Wurzeln des Lebens

Herbstlich leuchten die Farben rund um die knorrigen Stämme und Äste dieses Baumes. Die dichte Krone ist mehrheitlich noch grün, doch einzelne Bereiche haben sich bereits kastanienbraun und weinrot gefärbt. Am Boden finden sich die gleichen Farben in den heruntergefallenen Blättern wieder, angereichert mit den Gelb- und Orangetönen aus dem Zwischenbereich.

Denn zwischen und seitlich der Stämme flutet von hinten warmes, gelbes Licht in das Bild, die Silhouette der Hölzer hervorhebend, die Krone erhebend, die Blätter am Boden erleuchtend. Die Verwandlung lässt die beiden Bäume tanzen, so dass sie auch wie ein sich einander zuneigendes, sich umarmendes Paar wirken. Von innen her leuchtend, nach außen hin strahlend. Die innere Glut lässt sie zu einer Einheit werden und ungeachtet der gebogenen Stämme Stärke und Stabilität ausstrahlen.

Verborgen im Bild bleiben die Wurzeln, welche die Bäume mit Lebenskraft versorgen und ihnen Halt geben. Sie sind entscheidend für die Aufnahme der Lebenswerte aus der Umgebung: dem Boden, der Luft, der umstehenden Vegetation. Dynamisch fließt die Energie durch die bizarren Stämme von den Wurzeln in die Krone.

Durch den Titel „Wurzeln des Lebens“ stellen sich die Fragen nach unseren Wurzeln, welche das Leben im Ganzen, aber auch unser ganz individuelles Leben ausmachen. Auf welche Art und Weise nehmen wir neben dem täglichen Essen und Trinken Lebensmittel und -werte zu uns, welche uns aufblühen lassen, die unser Leben stark machen und mit denen wir anderen Halt geben können?

Es geht nicht nur um die Kraft- und Lebensquellen, sondern um die Fähigkeiten, zu diesen zu gelangen, sie für uns zu erschließen und sie in Lebensenergie zu wandeln. Als Verbindungen nach außen graben sich Wurzeln in den Untergrund oder in unbekannte Gebiete vor auf der Suche nach Nahrungsmitteln aller Art. Je besser der Baum oder das Lebewesen dann vernetzt ist, desto besser ist seine Lebensqualität in guten Zeiten und seine Überlebenschance in schlechten Zeiten.

Das tief zwischen den Stämmen durchbrechende Licht erinnert an die ersten Strahlen der kraftvollen Morgensonne, das als Schöpfungslicht den Tag vollends zum Leben erweckt. Es macht auf die immateriellen Werte aufmerksam, die wir zum Leben brauchen. So wie Jesus sagt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ (Mt 4,4) Sein Wort bringt Licht in unsere Dunkelheit, es ist Zuspruch, Halt, Freude, Leben und vieles mehr. Jedes gute Wort motiviert, stärkt, belebt, verbindet. Deshalb sollen wir unser Herz und unseren Geist für es offen halten und danach dürsten.

Die Bäume von Bernd Zimmer sind bis zum 27. Januar 2024 in der gleichnamigen Ausstellung in der Galerie Thomas in München zu sehen.

 

Polyphones Zusammenspiel

Außergewöhnlich präsentiert sich die abstrakte Farbkomposition auf dem mehrteiligen Untergrund. Die aus je vier Stabhölzern verleimten Bretter bilden vier individuell bemalte Hochformate, die durch einzelne Bildelemente über die dunklen Abstände hinweg miteinander zu einem Ganzen verbunden sind.

Gegliedert durch drei Fugen schimmern die Stöße, Risse und Strukturen des Holzes durch den lasierenden Farbauftrag und spielen dadurch so etwas wie eine Hintergrundmusik, welche die Gesamterscheinung wesentlich beeinflusst. Der wiederverwendete Malgrund und der neue Farbauftrag mit dem vielgestaltigen Linienspiel treten als fast gleichwertige Partner auf.

Während die dunklen Zwischenräume trennen und gliedern, verbinden waagrechte und diagonale Geraden die einzelnen Hölzer. Sie bilden unten eine breite Basis und führen über verschiedene Diagonalen zur Mitte und in die Höhe. Farblich wird die Komposition zum einen von den beiden blauen Flächen auf den äußeren Hölzern zusammengehalten, zum anderen durch die grünen und roten Farbaufträge, die sich in intensiver Form unten in der Mitte finden und abgeschwächt überkreuzt im oberen Bereich der äußeren Hölzer. Über alle vier Tafeln tanzen gelbe Flächen auf und ab und verleihen der Komposition etwas Lebendiges und Fröhliches. In ihrer Mitte wird oben ein nur wenig bemalter Bereich frei, der einen Blick darüber hinaus ermöglicht.

Die sorgfältig orchestrierten Farbflächen erinnern bisweilen an eine geistige Landschaft, in der das Sonnenlicht alles Sichtbare in farbige Facetten fragmentiert. Mehr jedoch entzieht sich die Komposition der konkreten Zuordnung der Einzelelemente. Es bleibt ein fröhlicher, meditativer Farbklang, eine bezaubernde Harmonie, in der die einzelnen Erscheinungen auf wundersame Art und Weise miteinander in einen spielerischen Dialog treten, in dem sich Frage und Antwort bzw. Feststellung und Folgerung die Hand geben.

Das Farbenspiel meditierend kann in dieser geistigen Landschaft eine Verbindung zu den Seligpreisungen gesehen werden. Die wiederverwendeten Abfallhölzer, die einfach an die Wand gelehnt am Boden stehen, vereinigen in symbolischer Form einiges von den Menschen, die Jesus seligpreist. Die vom Künstler über sie gelegten Farben können dann als göttliche Verheißung gedeutet werden, dass sie weder vergessen noch verloren sind, sondern gesehen werden und einen Lohn empfangen, der weit über das Vorstellbare hinausgeht.

Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.
Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen. Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel.
(Mt 5,3-12)

 

Arbeiten von Albert Mellauner waren im Frühjahr 2023 in der Ausstellung “Farbrhythmen” in der Hofburg Brixen zu sehen.

Beflügelndes Miteinander

Leben ist diesem vermutlich intuitiv entstandenen Bild eingeschrieben. Leben ohne Vorgabe, ungebundenes, freies Leben! Lebendigkeit, die sich in der spielerischen Entfaltung von Strichformen und Farbakzenten, in der freien Bewegung und dem geselligen Miteinander äußert.

Das helle und fröhliche Bild kann auf ganz unterschiedliche Weise betrachtet werden. Nachfolgende Zugänge können eröffnende Impulse sein.

Welcher Strich, welches Lebenszeichen, mag wohl der erste auf der Leinwand gewesen sein? Wo fand ein zweiter Strich seinen Platz, als Ausgleich und Partner zum ersten? Welcher Strich ergänzte dieses Paar zu einem Trio bzw. zu einer Familie? Auf welche Weise verdichteten sich die Striche bis nach und nach das komplexe Gefüge einer (Farb- und auch Lebens-) Gemeinschaft entstand? Welche Striche sind bei der Entstehung der Komposition übermalt worden und haben dabei die Farbe gewechselt?

Die vielen Pinselstriche verunmöglichen wie bei einem Schneegestöber einen Blick in die Tiefe. Während vorne die starken Farben wirken, verwirbeln die schwächeren nach hinten. Die unterschiedliche Intensität ermöglicht umgekehrt ein Auftauchen oder Erscheinen der Farben, indem die Pinselstriche mit zunehmender Farbigkeit in den Vordergrund rücken und über den anderen Strichen zu schweben scheinen.

Diese lebensfrohe Komposition durchziehen fast unmerklich Bewegungen, die durch farb- und formbedingte Verdichtungen entstanden sind. Sie äußern sich in vielfältigen Bezügen, Farbintensivierungen, Aneinanderreihungen, Gruppenbildungen. So bilden zwei „Linien“ – ausgehend von den unteren Ecken – über der Bildkante eine in das Bild hineinführende Dreiecksform. Darüber, leicht nach rechts verschoben, eine Ansammlung von gelb-orangen und violetten Strichen, die eine Kreisform ohne feste Mitte bilden. Zudem schwingt ein großer Bogen von der rechten unteren Ecke links um die Kreisform herum zur rechten oberen Ecke hoch. Nicht zuletzt finden sich in der linken oberen Ecke gelb-orange Striche dicht beieinander. Einen Akzent bildet der vielfarbig schräg angelegte blau-weiße Strich in der oberen Mitte. Er wirkt in seiner Umgebung von gelben und weißen Strichen wie ein Ruhepol im Fluss der Farben, wie ein „Aufhänger“ oder Anker bei gedanklicher Unruhe. Ein spiegelbildliches Gegenüber oder „Dialogpartner” findet er in der gelbrot übermalten dunkelblauen Spitze des Dreiecks unten.

Es ist ein Tanz der Farben auf der Leinwand, bei dem jeder Strich voller Kraft und Dynamik für sich selbst stehen könnte und ein eigenes Kunstwerk bildet. In schier endloser Kombination steht jeder farbige Pinselstrich mit den anderen im Dialog und zusammen entwickeln sie eine Dynamik, die im Miteinander über sich selbst hinauswächst: beflügelnd, begeisternd, beseelend, bestärkend, belebend, bewegend. Durchdrungen und getragen von Dem, der das Leben selbst ist und es mit Seiner Liebe erfüllt.

In dem Sinne könnte das Gemälde ein Sinnbild einer Gesellschaft sein, die aus Individuen, wechselnden Gruppen und deren Interaktionen besteht. Einer Gesellschaft, in der durch die Liebe erbauende und einende Kräfte wirken, welche die vielen auseinanderstrebenden Gruppen zu einer Gemeinschaft verbinden. Ganz wie der Apostel Paulus Gläubige in Kolossai ermahnt: „Vor allem bekleidet euch mit der Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist! Und der Friede Christi triumphiere in euren Herzen. Dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar!“ (Kol 3,14-15) Wer so lebt, wird – wie jeder Pinselstrich im Bild – Spuren voller Leidenschaft, spontaner Lebenszeichen, tiefgründiger Freude hinterlassen, die das Miteinander beflügeln.

anders schauen – Neues entdecken

Der Blick des Betrachters taucht in eine fast formlose Farbenwelt ein, deren Aura neu schauen und denken lässt. Es gibt ein Oben und ein Unten, es gibt auch so etwas wie eine darüber (vordere) und darunter liegende (hintere) Ebene, diagonale Linien, die ein X bilden.

Die obere, vordere Ebene wird von der wolkig-grünen Farbe mit Tiefenwirkung zum tiefsten Punkt hin bestimmt. Diese Ebene ist an der unteren Kante  so nach hinten gebogen, dass darin zwei Flügel gesehen werden können, deren Unterseiten die unterhalb der Bildmitte liegenden Farben reflektieren. So scheint der obere Teil aufzureißen oder abzuheben und das Darunterliegende freizugeben.

In der Mitte dominiert ein intensives Gelb mit einer Kreisstruktur, welche an eine Sonne denken lässt, die zum unteren Bildrand hin fast stufenlos über ein luzides Lila-violett in ein intensives Blau übergeht.

In einer anderen Sichtweise führt vom unteren Bildrand her eine breite lichte Straße ins Bildzentrum. Links und rechts wird sie von einem hohen Wall mit rot-blau-weißem Abschluss gesäumt, der nur nach oben den Blick auf einen grünen „Himmel“ freigibt. Als Betrachter steht man beschützt in dieser fast unendlich langen Vertiefung mit den fantastischen Farben, die auf den grün gewölbten Himmel hin offen ist und ins Licht führt.

Ein nochmals anderes Schauen ermöglicht der gerundete und sphärische Farbverlauf zwischen dem Blau und dem Gelb. Denn es ermöglicht eine Sicht aus dem Weltall auf einen Planeten, über dem eine fremde Macht belebend und schützend seine Flügel ausgebreitet hat. Dort, wo sie sich am nächsten kommen, ist es im Bild am hellsten und von dort strahlt das Licht ins Bild hinein.

Ist es ein neuer Tag? Eine neue Erkenntnis oder Einsicht? Eine Befähigung und Ermutigung, im Da-Seienden neue Dimensionen zu entdecken und zu betrachten …

… so wie in der Sicht Josef Roßmaiers:

Eine Decke geht auf, die Schale zieht sich zur Seite,
ein Oben wird frei und eine andere Art Himmel,
die Weite an All weicht zurück
ins Unendlich:
Bodenlos, seitenlos; randlose Tiefe,
die Ferne, das Anders,
die Fremde,
ich falle hinaus, hinüber, hinein, lichtschnell und
auf einmal kein Laut mehr zwischen den Sonnmilliarden,
jeder Lärm ist jäh ins Universum gewichen,
aber ich ahne die Schreie im Bild,
im Absturz der Räume.
Kein Ende an Weg,
in der Ausfahrt der Augen
und Träume,
der Zeit…
Plötzlich, im einen Moment, fällt die Tür weg
und ich ras an die Grenzen,
die Enge reißt auf,
ich fahre,
und alles wird groß, blitzheftig,
ein Wirrspiel der Farben,
Anbruch von Himmel,
Einstrahlung.
Jetzt geschieht doch die Musik, tönendes Leuchten,
Lieder und Bild.
Immer mehr Anwesenheit.

Lebenskreise

Sechs Kreisflächen in unterschiedlichen Farben bilden in der Mitte des Blattes einen Sechserblock. Jede Farbfläche wird von körnig-porösen Farbringen umkreist. Auf dem weißen Hintergrund bilden die sechs eine geschlossene abstrakte Gruppe, die in sich ruht und doch voller Leben ist.

Farblich und strukturell erinnert die Sechsergruppe an zwei nebeneinanderstehende Ampeln. Doch das Farbenspiel irritiert und fordert heraus, die Farbenwahl und ihre Anordnung als auch die umkreisenden Linien genauer zu betrachten.

Die Grundlage der Farberuption ist farblos neutral. In ihr spiegeln sich unendliche Weite als auch grenzenlose Offenheit. In ihrer Helligkeit wohnt die additive Fülle aller Farben, die sich in der Auswahl der sechs Farben beispielhaft in ihrer Vielfalt äußert. Die sechs Farben bilden eine Komposition aus den Primärfarben (Gelb, Rot, Blau) und den Sekundärfarben (Orange, Grün, Violett). 

Die verschiedenen Kreisflächen stehen durch ihre Farbidentität in unterschiedlicher Beziehung zueinander. So bilden die blaue und die rote Kreisfläche farblich gesehen die waagrechte Mitte. Der gelbe Kreis bildet mit der orangen Fläche und ihrer intensiven gelben Umkreisung eine Klammer oder Diagonale. Eine zweite Diagonale ergibt sich von links unten nach rechts oben über die den dunkler bzw. blau umrandeten violetten Kreis unten in der linken und oben in der rechten Reihe. Zum anderen überkreuzen und verschränken sich die beiden vertikalen Farbachsen mit den obersten beiden Farbflächen, da der orange Kreis die gelb-rote Farblinie der rechten Seite fortführt, das grüne Rund in der violett-blauen Farbfolge der linken Seite gesehen werden kann.

Dieses spannende Nebeneinander und Miteinander wird durch zwei weitere Faktoren verstärkt. Zum einen sind die Kreise von Hand geschaffen worden, also nicht kreisrund, zum anderen ist ihre Anordnung nicht genau untereinander oder nebeneinander. Diese freie Interpretation der strengen geometrischen Formen, diese kleinen Abweichungen von der Norm erfüllen die Komposition mit Leben und Lebendigkeit.

Die mit Wachsstiften gezogenen Ringe bilden neben den Kreisflächen und ihrer Anordnung das dritte gestalterische Element. Mit jeder der sechs Farben wurde jeder Kreis linear umkreist, eingekreist, umgeben, geschützt, gehalten, in Schwingung versetzt. Es ist, als würden sie sich gegenseitig Schutz geben, nicht nur durch die Nähe, sondern auch durch die ihm eigene Farbe. Gleichzeitig wurde so das Flächige aufgelockert, bilden sich Bezüge und Übergänge, Erweiterungen und Auren. Dem Gedruckten wurde somit etwas Manuelles beigefügt, dem Perfekten etwas Ungelenkiges, dem Geplanten etwas Spontanes, Einmaliges, dem Ruhenden etwas Bewegtes.

Damit führt die Grafik mitten in das spannende Miteinander, Zueinander und Füreinander des Lebens und der daraus entstehenden Gemeinschaften hinein. Sie lädt ein, durch die Symbole spielerisch über unsere Begabungen und Positionen in der Gemeinschaft wie über unsere Haltung und Beziehung zum Nächsten nachzudenken. Das alles mit Blick auf den lichten, endlosen Hintergrund, der die kreative Fülle und Lebendigkeit Gottes symbolisiert.

Flyer mit der Präsentation der sieben Grafiken

Die Originalgrafiken können beim Kunstverein für Christliche Kunst in München erworben werden.

Weiterer Bild-Impuls aus der Edition 2018 zur Fotografie von Michael Wesely.

Fließendes Licht

Unaufhaltsam kommt das Licht von weit hinten. Wie der Blick eines Auges flutet es aus einem Jenseits in das Diesseits hinein, aus der ungeschaffenen in die geschaffene Welt. Vom weißen Zentrum dehnt sich das Licht im Raum aus, sich gelb materialisierend, orange feurig sich entfaltend, um sich dann in warmem Rot über einen imaginären Rand zu ergießen.

Als Betrachter ist man geneigt, das Bild als eine Vision des ewigen Lichts zu sehen. Die Mystikerin Mechthild von Magdeburg (13. Jh.) sagte in ihrem Buch „Das fließende Licht der Gottheit“ zu Gott: „Du bist das Leuchtende in allem Licht.“

Michael Lesehr hat eine mystische Lichtschau (Lightshow) geschaffen, die Mechthilds Aussage sehr nahe steht. Das leicht aus der Bildmitte nach links verschobene Zentrum wirkt intensiv, konzentriert und kraftvoll. Es ist nicht groß oder vereinnahmend. Es lässt sich schauen ohne geblendet zu werden oder zu erblinden. Auch die warmen und gleichmäßig sich ausbreitenden Farben sind angenehm zu betrachten. Faszinierend ist zudem, dass das Bild trotz aller Einfachheit nicht langweilig wirkt.

Wie hat der Künstler es geschafft, das Licht so gleichmäßig fließen zu lassen, es von der Mitte unaufhörlich nach außen strömen zu lassen? Das Bild besteht aus unzählig vielen feinen, kurzen Linien, die strahlenförmig von der Mitte nach außen orientiert sind. Dadurch, dass auch zwischen den dunkleren Strichen hellere Striche gelegt sind, ergibt sich diese dynamische Bewegung nach außen. So vermag der Strahlenkranz von dem inneren Leuchten ausgehend immer neue Kreise zu ziehen. Ohne Unterlass.

Und wir können uns einüben in das Schauen des ewigen Lichts. Noch macht es den Eindruck, als sei es ein visueller Dialog durch das Loch in einer Wolkendecke, doch am jüngsten Tag werden wir ihn unverhüllt von Angesicht zu Angesicht sehen. Dann wird unser Schauen durch Gottes Schauen erwidert und wir werden hoffentlich die beglückende Erfahrung seiner Liebe, Güte und Barmherzigkeit machen.

Kreuze zum Leben

Kann man nur mit Kreuzen Leben darstellen, Veränderung? Ist es möglich, allein mit dem Kreuz einen Weg zu gestalten, der nicht nur Kreuzweg, sondern auch Lebensweg versinnbildlicht? Über mehrere Jahre hat sich Peter Burkart mit diesem Thema auseinandergesetzt. Dabei ist dann und wann aus dem Leben heraus ein neues Blatt zu diesem Thema entstanden: ein vom Leben gezeichneter Weg mit dem Kreuz, ein vom Kreuz gezeichneter Lebensweg (Übersicht). Auch wenn die einzelnen Blätter auf der Rückseite datiert sind, die Farben und Formen der Kreuze geben keine eindeutige Zuordnung zu einzelnen Kreuzwegstationen wie etwa die römischen Zahlen. Jede Reihenfolge ist daher individuell, persönlich.

Dieser Kreuzweg gibt dem Betrachter keine weiteren Anhaltspunkte als das Kreuz, die Hintergrund- oder Umfeldgestaltung und das in Großbuchstaben geschriebene Wort LEBEN. Der Künstler hat das Leben gleichsam in die Gestaltung eines jeden Blattes eingearbeitet, wie es die drei ausgewählten Blätter veranschaulichen.

In der linken Arbeit steht das Kreuz senkrecht in der Blattmitte und berührt mit seinen Armen weder den seitlichen noch den oberen Bildrand. Dadurch wirkt es trotz seines hoch angesetzten Querbalkens recht gedrungen und statisch. Die rote Farbe des Kreuzes vermag die Erinnerung an das schreckliche Blutvergießen zu wecken, aber auch an die umfassende Liebe dessen, der sich am Kreuz für uns Menschen hingegeben hat. Vor dem bewegten Hintergrund erhält das Kreuz durch seine dichte Farbe Festigkeit. Obwohl haltlos in den Himmel ragend, lädt es ein, inmitten größter emotionaler Ergriffenheit bei ihm Halt zu suchen. Die Bewegtheit des Hintergrundes vermittelt im Lila einerseits gegenwärtigen Schmerz, deutet im verdeckten Licht andererseits das kommende Heil an. Das Wort Leben ist in zwei Teilen neben das Kreuz geschrieben. Diese „Kreuzwegstation“ macht alles in allem einen äußerst aktiven, mit starken Emotionalitäten geladenen Eindruck. Dem Kreuz kommt in diesem unruhigen, geradezu turbulent wirkenden Leben eine bestimmende, tonangebende Rolle zu.

Die mittlere Arbeit mutet an, als wäre das Kreuz perspektivisch festgehalten worden. Durch die leichte Neigung erhält es einen dynamischen Charakter, scheint es sich nach rechts zu bewegen. Hell leuchtend setzt es sich vom dunklen Umfeld ab. Hier scheint der Lebensweg von starker Gegensätzlichkeit geprägt. Doch es ist keine farbliche Klarheit wie in den Blättern links und rechts zu beobachten. In der Art und Weise, wie das Kreuz teilweise mit blauer Farbe übermalt wurde, ist hier Kampf herauszuspüren. Von Innen heraus leuchtet schon die neue Freiheit, doch die finsteren Mächte lassen sie noch nicht zu. Trotz aller Leuchtkraft kann sich die Farbe des Kreuzes nur schwer in die dunkle Umgebung mitteilen.

In der rechten Arbeit ist das Kreuz fast nicht mehr zu sehen. Gelb auf gelbem Hintergrund vermittelt es erlöste Ruhe und Freude. Wiederum ist das Kreuz zentral ins Bild gemalt worden: Doch dieses Mal in breiten Balken, die Waagrechte nur wenig über der Bildmitte, mit allen Armen deutlich den Bildrand berührend. Trotz seiner massiven Malweise wirkt das Kreuz lebendig: Die Horizontale ist leicht schräg, mit aufstrebender Tendenz platziert, die Umrisse sind unregelmäßig, lebendig gestaltet. Leichte Schattierungen geben ihm zudem eine plastische Gestalt, durch die es sich vom leicht helleren Hintergrund abhebt, aber auch mit ihm verbunden wird. Feine rötliche Punkte könnten an das vergossene Blut denken lassen, evozieren aber doch mehr die froh machenden Farbtupfer einer bunten Blumenwiese. LEBEN steht in frischen grünen Buchstaben vor dem Kreuz. Alle Dunkelheit ist weg, auch die starre Form des Kreuzes scheint sich immer mehr in seiner Umgebung aufzulösen. Harmonische Ruhe, gelassene Heiterkeit sind der vorherrschende Eindruck. Das Kreuz wirkt in das Leben, dem es seine Prägung zu geben scheint, integriert.

Geschichte der Erlösung durch das Kreuz. In jedem Menschenleben wird sie ihre eigenen Farben und Formen, ihren eigenen Ausdruck finden. So wird der Weg zur Erlösung, wie mit den Beispielen angedeutet, von unterschiedlichen Erfahrungen geprägt sein. Jesu Kreuzweg legt sich diesen Erfahrungen wie eine haltgebende Matrix zugrunde. Und seine Auferweckung wird auch all unsere dunklen und schweren Kreuzerfahrungen umfassen und in lichte Freude und aufblühendes Leben verwandeln. Leben, das gerade vom Kreuz her seine Helligkeit und seine Kraft bezieht. Österliches Leben ist aus der Auferweckung entstanden. Ohne dieses Vorzeichen wäre es nie so hell und stark. Aber in dieser Hoffnung ist das Leben umso schöner, stärker, wunderbarer.

Farbe und Form

Ist es ein Kreuz? Oder eher eine kreuzförmige Bildtafel? Die Farbe scheint dem Künstler genauso wichtig zu sein wie die Form oder das Material, aus dem das Kreuz gemacht und auf dem die Farbe aufgetragen ist. Nicht umsonst lassen die splittrigen Bruchkanten uns das aus Holzspänen zusammengeleimte Trägermaterial spüren, aus dem der Künstler im wahrsten Sinne des Wortes Fragmente, also Teile herausgebrochen und wieder zu einem Ganzen zusammengefügt hat.

Um eine rechteckige, stumpfe, graue Mitte gruppieren sich vier in allen Farben leuchtende Kreuzesarme. Gemeinsam sind ihnen die sich nach außen weitende Form und die Übergänge von dunklen zu hellen Farbtönen. Sie unterscheiden sich voneinander in der Farbgestaltung und im jeweiligen Abschluss. Die obere kelchförmige Fläche mit eingewölbtem Bogen (die dadurch in einem formalen Gleichgewicht zu den Seitenarmen steht) beginnt in der Mitte mit einem intensiven Blau, um dann über ein schweres Dunkelrot in ein helleres Weinrot überzugehen. Die untere, größte Fläche beginnt ebenfalls mit einem intensiven, aber anderen Blau als oben, und vermischt sich dann mit Dunkelgrün, bevor sie heller wird und in der symmetrischen Spitze fast weiß ausläuft. Der linke Seitenarm endet in einem Kreisbogen. Der Mitte zu ist seine Farbe noch dunkelviolett, während sie sich nach Außen hin zu einem hellen Lila wandelt. Der rechte Seitenarm dagegen beginnt mit einem dunklen Rot und geht dann langsam in ein warmes Gelb über. Formal endet er in einer asymmetrischen Schräge.

Diese fünf Elemente formen ein lateinisches Kreuz und gleichzeitig ein durch seine außergewöhnlichen Formen und Farben offenes Symbol, das vielerlei Zugänge und Interpretationen zulässt. Von der Gestalt und den Dimensionen her erinnert es an einen Menschen mit ausgebreiteten Armen, der willkommen heißt und in eine mystische Tiefe führt. Ich höre Jesu Einladung: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ (Mt 11,28) Die gerundete, weinrote Form mag an den Ölberg denken lassen, auf dem Jesus betete: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ (Mt 26,39)

In diesem Kreuz wird Begegnung und Austausch nicht nur sichtbar, sondern durch seine majestätische Erhabenheit und seine satte Fülle auch erfahrbar gemacht. Wer sich diesem Zeichen aussetzt, wird in seiner Niedergeschlagenheit oder Hoffnungslosigkeit aufgerichtet. In diesem Symbol des Kreuzes nimmt ihn Gott gleichsam in die Arme, drückt ihn an sein Herz und lässt ihn seine Wärme, Lebensfülle und Liebe spüren.