Fußabdruck

Am Boden einer scheinbar mit Wasser gefüllten Emaille-Schüssel sind zwei Fußabdrücke zu sehen. Es ist, als hätte jemand beim Waschen der Füße einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Als wolle er für alle Zeiten sagen: Tretet in meine Fußstapfen, macht es genauso. Doch haltet euch nicht nur selbst rein, sondern wascht einander die Füße! So hat Jesus seinen Jüngern nach dem letzten Abendmahl die Füße gewaschen und Ihnen gesagt: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“ (Joh 13,15)

Außer der Fußwaschung erinnert der Fußabdruck in der Schüssel an Jesu Gang über das Wasser. Er hat damals keine materiellen Fußspuren hinterlassen,  aber Spuren allemal. Manch einer mag vielleicht auch an Darstellungen der Fußabdrücke bei Christi Himmelfahrt denken, die zum Ausdruck brachten, dass er als Mensch auf der Erde lebte, doch nach seiner Auferstehung von den Toten zu seinem himmlischen Vater zurückkehrte.

Doch so wenig wie beim Gang über das Wasser oder bei der Himmelfahrt entsteht beim Waschen von Füßen ein Fußabdruck. Wäre dem so, würde es an ein Wunder grenzen. Ein normaler „Fußabdruck“ im Wasser wäre z. B. von Schmutzpartikeln getrübtes Wasser. Eindrücke wie in der vorliegenden Arbeit entstehen in der Regel nur in weichem, formbarem Material. Hier hat die Künstlerin zwei Füße in kaltgeformte Glaspaste (Pâte de Verre) gedrückt und diese anschließend im Ofen unter starker Hitze zum Schmelzen gebracht, so dass sie transparent wurde.

Letztlich hat das Schmelzen der Glaspaste diese erst transparent und damit die Fußabdrücke wieder sichtbar werden lassen. Wie oft denken wir, dass wir durch unser Tun und Leben kaum Spuren hinterlassen. Am Aschermittwoch werden wir mit einem Aschekreuz daran erinnert, dass wir eines Tages zu Staub zurückkehren werden. Der Fußabdruck in der Waschschüssel erinnert uns auch, dass wir mit allem, was wir tun, einen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Was wir essen, wie wir wohnen und leben, wohin wir mit welchem Transportmittel fahren, wie viel Infrastruktur wir brauchen. All das bindet Ressourcen und hinterlässt umweltbelastende Spuren und Materialien.

Jesus ruft die Menschen in seinen Predigten immer wieder zur Umkehr und zum Glauben an das Evangelium auf. Er ruft uns auf ganz unterschiedliche Art und Weise in seine Nachfolge, damit  wir „das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Umkehr bedeutet nach der Fußwaschung sich gering achten, den anderen zu sehen und ihm Gutes zu tun. Dazu gehört auch die Bewahrung der Schöpfung, damit dem Nächsten und seinen Nachkommen genügend reine und unverfälschte Ressourcen zum Leben zur Verfügung stehen.

Wenn das Wasser so verschmutzt ist, dass es nicht mehr zum Trinken verwendet werden kann, geschweige denn beim Waschen sauber oder rein macht, dann wird es zu spät für eine Umkehr sein. In abgewandelter Form könnten die Worte aus der Aschermittwochliturgie lauten: Bedenke Mensch, wo du hintrittst und welche Zerstörung du hinterlässt!

Die Arbeit von Ilka Raupach war für den Kunstpreis der Erzdiözese Freiburg 2019 nominiert und im Rahmen der Ausstellung WAS IST WAHR an verschiedenen Orten Deutschlands zu sehen (siehe Ausstellungshinweise). Der Katalog zum Kunstpreis ist beim Mondo Verlag erhältlich.

Fußspuren

Vier gelbe Fußspuren durchqueren hart am Rand der fasrig strukturierten Fläche das Bild. Die Anordnung der Fußspuren zeigen dem Betrachter eine Sicht von oben. Der Mensch, der diese goldenen Spuren hinterließ, hat die blau-weiß-rote Fläche von rechts nach links überquert und dabei ungewöhnliche Abdrücke hinterlassen. Es sind nicht durch das Gewicht verursachte Vertiefungen, sondern Verfärbungen. Wo dieser Mensch gegangen ist, hat er „seine Farbe“ hinterlassen.

Doch wer war es und wo geschah dies? Die Hintergründe vermögen weitere Hinweise zu geben: Während der obere durch sein helles Blau-weiß an den Himmel erinnert, lässt sich der untere am besten mit bewegtem Wasser in Verbindung bringen. Die Grenze zwischen Wasser und Himmel wäre dann gleichsam der Horizont, die Wasseroberfläche. Und seinen Spuren nach wäre dieser Mensch dann ein Grenzgänger zwischen Himmel und Erde.

Aber Fußspuren auf dem Wasser? Unmöglich! Zum einen können wir Menschen nicht auf dem Wasser gehen, zum anderen verwischt das Wasser die Spur jeglicher oberflächlichen Berührung in Sekundenschnelle.

Im Bild können sie allerdings an Jesus erinnern, der seinen Jüngern eines Nachts über das Wasser des Sees Gennesaret zu Hilfe eilte, weil sie im Gegenwind mit starkem Wellengang zu kämpfen hatten (Mt 14,24-25). Gerade weil das Gehen auf dem Wasser nicht möglich ist, meinten sie ein Gespenst zu sehen und ängstigten sich sehr.

Die „goldenen“ Spuren zeugen von einem göttlichen Beistand. Sie verweisen auf die Herkunft Jesu und auf seine Herrlichkeit. Sie sprechen von seiner Ermutigung: „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“ (V. 27) und erinnern an seine tröstenden Abschiedsworte: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. … Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,18b.20b)

Die goldenen Fußspuren zeugen von seinem Vertrauen in den Vater. Er war so von diesem Vertrauen durchdrungen, dass es die Spuren all seiner Schritte einfärbte. Dadurch sind sie uns Einladung und Ermutigung, ebenfalls Schritte des Vertrauens zu wagen. Petrus versuchte es, doch nach einigen Schritten bekam er wieder Angst und Zweifel … und begann unterzugehen, bis Jesus ihn bei der Hand ergriff.

Uns geht es in vielen Sachen des Glaubens auch so. Dann brauchen wir die haltgebende Liebe Gottes an unseren Händen oder unter unseren Füßen – ähnlich wie das satte Rot in der Tiefe des Wassers – damit auch unser Herz wieder zuversichtlich fest wird und das scheinbar Unmögliche durch das Vertrauen in Jesus möglich wird. Dann werden vielleicht auch unsere Fußstapfen zu vergoldeten Spuren, in denen Gottvertrauen, Überwindung und Fülle des Lebens zu lesen sind.

Fußwaschung

Der Fuß in der Bildmitte, die gewellten Haare wie ein Vorhang auf der linken Bildseite, die beiden Hände, welche die Haare zum Fuß führen: deutlicher kann nicht auf die berühmte Begebenheit im Hause des Pharisäers hingewiesen werden.

Das Bild stammt aus einem Video, in dem Maria Magdalena vor allem durch ihre Haare thematisiert wird (Schwimmen mit offenen Haaren – „Fußwaschung“ – Kämmen der Haare). In der biblischen Erzählung wird der Name der Frau allerdings nicht erwähnt. Die Sprache ist von einer „Sünderin“. Erst die Tradition hat Maria Magdalena durch ihre Umkehr und Nachfolge mit der Sünderin in Verbindung gebracht. Lukas schreibt: „Als nun eine Sünderin, die in der Stadt lebte, erfuhr, dass Jesus im Haus des Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl und trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl.“ (Lk 7,37-38)

Lukas geht es um die Reue, um die Umkehr dieser Frau. Sie wendet sich Jesus so radikal zu und erhofft von ihm durch diese starke Handlung so viel Vergebung, dass der Hausherr Anstoß daran nimmt (V. 39) und Jesus ihn mit einer Lehrerzählung über Schuldvergebung zurechtweisen muss (Vv. 41-43). Argumentativ und vergleichend mit dem nicht erfolgten Handeln des Hausherrn zählt Jesus die Handlungsschritte der Frau auf: Fußwaschung mit ihren Tränen, Trocknen mit den Haaren, Küssen der Füße und Salben mit wohlriechendem Öl. Aufgrund dieser umfassenden Liebesbezeugung spricht er die erlösenden Worte: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ – „Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!“ (Vv. 48.50)

Im Videostill von Marta Deskur ist nur das Abtrocknen der Füße herauszulesen. Das Benetzen, Küssen und Salben der Füße bleibt für den Betrachter dieses Filmausschnittes im Verborgenen. Doch mit der Unschärfe in den Haaren wird Bewegung und Handlung signalisiert. Die ungewöhnliche Begegnung wird betont. Auf der einen Seite die Haare, die des Menschen Kopf als räumlich höchstes Gut zieren und schmücken, auf der anderen Seite die Füße, die als unterster Körperteil den Menschen tragen und fortbewegen. Eigentlich kommen sie nie miteinander in Berührung. Um so außergewöhnlicher, wenn die Haare die Füße berühren, streifen, trocknen. Die innere Haltung der Sünderin wird so überzeugend stark zum Ausdruck gebracht.

Mit der jungen Frau, die durch ihr langes Haar und die feinen Finger eher kindliche Züge aufweist, bringt Marta Deskur allerdings weniger die Sünde, als vielmehr die Unschuld ins Bild. Wurde die Frau in der Bibel erst durch die Sündenvergebung wieder rein und gewissermaßen in den Urzustand zurückgeführt, spricht Marta Deskur mit ihr von Anfang an die Thematik der Unversehrtheit, Unschuld und Reinheit an (Fußwaschung und Reinheit werden auch in der einzigen vergleichbaren Handlung von Jesus in Joh 13,1-12 thematisiert).

Ist es nicht die Sehnsucht nach dieser kindlich-göttlichen Reinheit, welche die Sünderin den Weg zu Jesus finden und diese eindrückliche Handlung vollziehen ließ? In der eigenen Erniedrigung wurde sie gesehen und durch die göttliche Vergebung erhöht. Ist da nicht das ganze Magnifikat Mariens herauszuhören (Lk 1,46-55)? Und kommt dies visuell nicht auch in der durch die Hände und den Fuß gebildeten aufsteigenden Bilddiagonale zur Sprache? Der Sünderin wurde durch Jesus das reine Herz wiedergeschenkt, damit sie der Seligpreisung gemäß wieder Gott schauen konnte (Mt 5,8). Uns mag das Bild vielleicht anregen, über zeitgemäße und aussagestarke Gesten der Reue, der Demut und der Zuwendung zu Jesus nachzudenken.