Neues Herz und neuer Geist zu verschenken

Die Jahreslosung 2017 lautet: “Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.” (Ez 36,26) Wie kommt es, dass Gott eine so grundsätzliche Erneuerung des Menschen anstrebt? Warum macht Gott dieses unglaubliche Angebot, ein neues Herz zu schenken und einen neuen Geist in sie zu legen? Was ist passiert, dass Gott zu einer so radikalen Maßnahme schreitet? In den Versen, die Ez 36,26 vorausgehen, erklärt Gott, dass das Volk, das er sich auserwählt hatte und liebte, ihm untreu geworden war. Sie hatten „Blut vergossen und das Land mit ihren Götzen befleckt“ (V. 18). Deswegen zerstreute er sie unter die Völker – u.a. schickte er sie ins Exil nach Babylon. Doch weil sie auch dort ihr Verhalten nicht änderten und seinen heiligen Namen weiterhin entweihten, sah sich Gott zu einer radikaleren Maßnahme gezwungen, damit sein Name nicht weiter beschmutzt würde: Er will seinen Namen selbst wieder heiligen. Die Völker sollen erkennen, dass er der Herr ist.

Diese Heiligung seines Namens kündigt Gott mit einer mehrstufigen Maßnahme an, bei der die Geschenke des neuen Herzens und des neuen Geistes das zentrale Anliegen bilden. Vorbereitend holt Gott sein Volk aus der Fremde und bringt es in sein Land zurück. Dann reinigt er es von Unreinheit und falschen Göttern, um ihm sodann ihr Herz aus Stein gegen ein Herz aus Fleisch auszutauschen und einen neuen Geist in sie zu legen, der sie befähigt, seine Gebote und Gesetze zu achten und erfüllen (V. 26-27). Und damit es klar ist, wer diese Wende vollbringen wird, beginnen die elf Sätze mit fanfarenartigen „Ich …“ (V. 24-30.32). Gott drückt nach großer Enttäuschung gewissermaßen auf die „Reset-Taste“, um seinem Volk eine zweite Chance zu geben. So sehr liebt er es, dass er ihm alles vergibt und nichts sehnlicher wünscht, als dass sie ihn als ihren Gott anerkennen. Dieser heilige Bund soll dann bei den anderen Völkern zur Erkenntnis führen, dass Israels Gott der Herr ist, der heilige und höchste Gott.

Im Bild zur Jahreslosung sind die beiden Geschenke vor einem stilisierten Kreuz in Form einer Taube und zweier Herzen dargestellt. So wie die Taube und die Herzen am Kreuz angeordnet sind, kommt dem Kreuz etwas Menschenähnliches zu. Der obere Teil ist erleuchtet und aufstrebend, während die untere Hälfte tiefe Ruhe ausstrahlt, genährt von der Gnade der Vergebung und Erneuerung, die aus der „Seitenwunde“ des Kreuzes fließen. Damit verbindet die Künstlerin das Heilshandeln Gottes an seinem Volk mit dem Kreuzestod Jesu, durch den Gott wiederum den Menschen ihre Verbrechen verzeiht und ihnen die Möglichkeit gibt, im Glauben zu ihm zu finden und seine Kinder zu werden. Diese Treue und Großherzigkeit von Gott gegenüber seinem Volk ist übrigens sehr schön im tragenden Blau des Hintergrundes angedeutet. Hier wird die Weite des Himmels genauso spürbar wie die Tiefe des Meeres oder die reinigende Kraft von Gottes Liebe.

Alle, die das Unfassbare annehmen können, erhalten im Austausch zum eigenen Herz und Geist kostenlos ein Herz und einen Geist von Gott. Gewissermaßen ein göttliches Herz, einen himmlischen Geist, die andere Qualitäten haben als unsere Irdischen. Und da Geschenke in der Regel dem Herzen des Gebers entspringen, ist es nur folgerichtig, dass die Künstlerin das kleine Herz aus dem großen Herzen hervorgehen lässt und beide durch eine Art Nabelschnur mit dem Kreuz verbunden sind.

Mit dem Geschenk eines neuen Herzens schenkt uns Gott von seinem Herzen und lässt uns teilhaben an seinem Herzschlag des Lebens, der Liebe, der Freude, des Erbarmens und Vergebens. Gottes Herz war fähig, seinen Sohn für unsere Rettung am Kreuz hinzugeben. Wer wie Jesus sich bzw. sein Herz ganz in Gottes Hände zu legen vermag und ganz sein Werkzeug in dieser Welt sein will, durch den wird Gott sichtbar und letztlich verherrlicht.

Mit dem Geschenk eines neuen Geistes schenkt uns Gott die Möglichkeit, an der Größe seines Heiligen Geistes teilzuhaben. Die Taube ist das Symbol dieser unsichtbaren göttlichen Kraft voller Energie und Weisheit. Er schenkt uns alle Gaben, um Gott treu zu bleiben im Glauben und in Werken.

Wunderschön hat Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Ephesus (3,17-21) die Wirkung der beiden Geschenke Herz und Geist beschrieben: „Durch den Glauben wohne Christus in eurem Herzen. In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt. Er aber, der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können, er werde verherrlicht durch die Kirche und durch Christus Jesus in allen Generationen, für ewige Zeiten. Amen.“

Dieses Bild kann als Karte, Poster, usw. HIER bezogen werden.

Ein leuchtendes Herz als Tor zur Welt

Ein gelbes Herz?! Das ist ja mal ganz was Neues! Außergewöhnlich! Absolut nicht „von der Stange“!

Aber das gibt es doch gar nicht! In unserer Welt sind Herzen zumeist Rot: Frisch Verliebte malen sie auf ihre Briefe oder fügen sie ihren elektronischen Nachrichten bei. Sie zieren die verschiedensten Autoaufkleber, mit denen Menschen bekunden, dass sie ein Herz für dies und jenes haben. Rote Herzen stehen für Liebe, Leben, Freude.

In Gottes Augen sieht das Herz freilich noch einmal ganz anders aus. Nicht weil er farbenblind wäre oder alles nur in tristes Schwarz-Weiß einteilt. Aber: Er sieht die Dinge so, wie sie sind. Und unsere Herzen sind eigentlich dunkel schwarz und hart wie ein Stein. Sie sollten lieben – Gott, unsern Schöpfer und die Geschöpfe neben uns! Unsere Herzen sollten fröhlich rot-pulsierend in beide Richtungen schlagen! Und sie tun es doch nicht. Wir hängen vor allem an uns selbst. Die Bibel beklagt sie seit Adam und Eva immer wieder, und wir spüren und erkennen sie durchaus auch selbst – unsere schwarzen, versteinerten Herzen, die unser Verderben und unser Untergang sind.

Doch nun: Ein gelbes Herz, das das Bild von Ulrike Wilke-Müller dominiert?! Hat sie nicht anders gekonnt oder gewollt? Hat sie sich die sprichwörtliche „künstlerische Freiheit“ genommen? Nein! Sie musste so malen. Denn sie fasst ja ein Wort, eine Zusage Gottes in Farben. Sie gibt der Jahreslosung ein Gesicht. Sie predigt darüber mit Pinsel und Leinwand. In dem Bibelwort für unseren Weg durch das Jahr 2017 sagt Gott seinen Menschen: Es soll nicht bei Euren dunklen, harten Herzen bleiben. Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun. … Ich will euch von all eurer Unreinheit erlösen. (Hesekiel 36, 26-27+29a – Lutherübersetzung) „Ich will, ich will, ich will etwas ändern!“ – sagt Gott. Die Einheitsübersetzung, der offizielle Text der Jahreslosung 2017, bringt zum Ausdruck, dass Gott es nicht bei Absichtserklärungen belassen hat. Seinen Worten folgten und folgen stets Taten. Er ist der, der Menschenherzen verändert und erneuert – bis heute: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.

Deshalb also ein gelbes Herz! Ganz etwas Neues! Absolut außergewöhnlich! Ulrike Wilke-Müllers Jahreslosungsbild stellt es uns vor Augen und lässt uns zugleich Zweierlei entdecken:

Zum einen, wie es zu einem derart „sonnigen“ Herzen kommt:

– Der Schlüssel dazu ist das Kreuz – das Zeichen Jesu, des Sohnes Gottes, dessen Herz ungeteilt am Willen des himmlischen Vaters und an unserer Rettung hängt. Himmlisch strahlend hell leuchtet sein Kreuz vor allem anderen. Es vertreibt alle dunkle Finsternis, verbindet mit seinem Längsbalken Himmel und Erde und umfängt mit seinem Querbalken die Welt.

– Wo ein Mensch zu Christus findet und unter seinem Kreuz zur Ruhe kommt, da tut dieses „Schlüsselerlebnis“ das Herz dieses Menschen auf. Die Tür am Fuße des Kreuzes macht es deutlich: Durch Jesus werden wir neu offen für Gott und offen für die Menschen und die Schöpfung um uns her. Alles Dunkel unserer Gottferne muss weichen. Neues, lichtes, fröhliches Leben wird möglich.

– Das ist nie ein Programm oder etwas, das wir aus eigener Kraft und Anstrengung erreichen könnten. Es bleibt immer ein „Geschenk des Himmels“: Die Strahlen, die sich von links oben kommend über das Herz und das ganze Licht erstrecken, bringen es zum Ausdruck. Es ist ein Werk des dreieinigen Gottes (viele Dreiecke finden sich im Bild). Es beginnt durch Wasser und Geist in der Taufe und ist getragen und verbürgt durch das Blut Jesu, das er für uns vergossen hat (das immer wieder von Weiß durchzogene Türkis-Blau und Rot im Hintergrund kann uns daran erinnern).

Daher kommt es zu so einzigartigen, von Gott bewegten, erneuerten Herzen.

Wir sehen auf dem Bild zum anderen aber auch, was diese Herzen ausmacht:

– Wo Gott ein Menschenherz verändert, da werden Ketten gesprengt und Horizonte eröffnet (die vielen Querlinien im Bild können uns darauf hinweisen)! Da ist es möglich „Segel zu setzen“ und aufzubrechen zu anderen Ufern (der obere Teil des Bildes lädt zum Träumen ein und die vielen Dreiecke gewinnen eine zweite Bedeutung)!

– Wo ein Mensch zu Jesus findet, da tut dieser Herr und Heiland nicht nur das Herz auf und bleibt draußen vor der Tür, sondern er zieht selbst darin ein! Er macht es „zu seinem Tempel, seinem Haus“ (vergleiche Evangelisches Gesangbuch, Nr. 389). Er wohnt durch seinen Geist darin und macht unsere Herzen fest – woran? An Gottes Wort und Willen! Das gelbe Herz erinnert so, wie es gemalt ist, zugleich an die beiden Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten, die übereinander und nebeneinander liegen. Geballter Ausdruck für die wahre, vollkommene Liebe zu Gott und dem Nächsten.

– Dieses herrliche „Veränderungs- und Erneuerungswerk“ Gottes ist nun schließlich und endlich nicht auf einen Schlag vollendet, sondern dauert ein Leben lang. Es beginnt unscheinbar und im Kleinen und doch sichtbar. Es ist wie ein Weizenkorn, das in der Mitte des Herzens, im Schnittpunkt der „Tafeln“ auf Ulrike Wilke-Müllers Bild bei intensiver Betrachtung sichtbar wird. Es schlägt vom Kreuz her Wurzeln, wächst und nimmt zu und bringt Frucht – in der Nähe zu Gott, im Bleiben bei Jesus, als Werk des Heiligen Geistes. Der wird es auch vollenden, einst vor Gottes Thron, am Jüngsten Tag, wenn Gottes herrliche Ewigkeit beginnt, für alle, in deren Herzen Jesus Christus lebt.

Die Jahreslosung mit dem „gelben Herzen“, sie kann und will uns so nicht nur ein Jahres-, sondern ein Lebensbegleiter werden: Zu viele „schwarze Herzen“ bevölkern noch diese Welt. Legen wir sie im Gebet immer wieder Gott ans Herz, der verspricht und zusagt, sie durch seinen Geist in Christus zu erneuern, dass sie nicht verloren gehen. Fliehen wir auch selbst zu ihm, wo unsere „roten Herzen“ nur schöner Schein und Tagtraum waren und weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben. Suchen wir die Nähe Gottes sonntags wie alltags. Denn ER sagt ja stets aufs Neue zu uns: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.

Bildbetrachtung von Pastor Helge Dittmer aus Kiel, Quelle: www.GemeindebriefHelfer.de.

Postkarten des Motivs können hier bestellt werden. Ebenso kann hier das Motiv in größerer Auflösung heruntergeladen werden.

Kreuzauflegung

Glühende gelb-rote Farben füllen das Bild aus. Als einzige konkrete Form erhebt sich ein Tau-Kreuz in die Höhe. Seine Flächen heben sich aufgehellt – unten schwach, oben stärker – vom abstrakten Hintergrund ab. Wie ein Nagel senkt es sich in den gelben Bereich ein und wird dort gleichsam eins mit der Andeutung eines Menschen, dessen nach links gewendetes Gesicht nach und nach zu erkennen ist.

Gebückt und in sich gekehrt scheint er vorwärts zu schreiten, in sich eine glühende Energie tragend. Sie geht von seinem Nacken aus, auf dem das im Verhältnis zum Menschen kleine Kreuz aufliegt. Hier wird die Last des Kreuzes angedeutet, vielmehr aber die Veränderung im Kreuzträger. Entgegen den Erwartungen ist er – ebenso wie das Kreuz – nicht dunkel dargestellt, sondern als Lichtgestalt, die gleichsam als Mittelpunkt durch die ihn umgebende Feuersbrunst an Erregungen, Aggressionen und vernichtenden Emotionen geht.

In ihm leuchtet etwas Göttliches auf. Jesus wurde das Kreuz wegen der Menschen und von Ihnen aufgelegt, aber nur, weil es Gott zuließ. So kommt das Kreuz in dieser Darstellung mehr von oben als aus irgendeiner Menschenhand. Von der Auferstehung her gesehen wurde klar, dass die Hingabe Jesu bis in die Abgründe des Kreuzestodes zu Gottes Plan gehörte, um die Sünde des von ihm so sehr geliebten Menschen zu sühnen und zu tilgen. So darf das Kreuz als Not wendendes Mittel zu unserem Heil gesehen werden, als göttliches Instrument, das seinen Sohn so tief erniedrigte, dass er – auch am Kreuz erhöht – von ganz Unten die ganze Menschheit zu erlösen vermochte.

In unserem Bild scheint eine Feuersbrunst den Menschensohn zu umgeben, er musste förmlich durch die Hölle gehen. Wiederum stellt sich die Frage nach dem Licht, das er in sich trägt. Was ist das für eine Kraft, die glühender wirkt als sein Umfeld? Was ist das für eine Kraft, die ihm gleichsam über das Kreuz, das er wie eine Antenne zu Gott trägt, zufließt? Ob die warmen Farben mit dem Heiligen Geist in Zusammenhang gebracht werden dürfen, dem göttlichen Beistand par excellence? Damit Jesus das unerträgliche Leid aushält und auch in der größten Gottverlassenheit nicht aufgibt?

Von Jesus ausgehend ist das Bild offen für die mannigfaltigen „Kreuzauflegungen“ im Leben von uns Menschen, seien es unheilvolle Naturkatastrophen, Unfälle, Beziehungsdramen und anderes mehr. So gesehen nimmt der „Kreuzweg Jesu“ kein Ende. Aber dadurch, dass Jesus sein Kreuz auf sich genommen hat, ermutigt er alle, trotz der unsäglichen Schmerzen, trotz des schweren Leids nicht aufzugeben. Denn Gott ist dreifaltig in ihm, neben ihm, über ihm. Tod und Auferstehung Jesu lehren uns, dass Gott in seiner Weisheit alles zu einem guten Ende führt, auch wenn es in unseren Augen gar nicht so aussieht.

 

Klein wird der Mensch unterm Kreuz,
es ist aus mit dem aufrechten Gang,
mit seinem guten Gesicht, er ist geschafft
vom Geißeln, von Dornen gerissen,
man machte ihn schwach, er fällt ein.
Nun noch das Kreuz auf den Buckel
gezwungen, ihm pfeift der Atem durchs Blut
der Schmerz färbt das Holz in die Augen,
er sieht blutrot und verschwommen,
ein paar weiße Blitze und die leeren Gesichter
der Schinder. Man treibt ihn auf den Weg.
Nie hatte er so schwer getragen.

Ich weiß nicht, was er noch sieht unter
den Lidern, im wundgeschwellten Gesicht,
im Feuer der Schmerzen, mit den Dornen
im Kopf, unterm Kreuz,
taumelnd, als der Weg ihm beginnt.
Niemand nimmt sowas auf sich.
Doch es liegt schon auf ihm.
Er schaut blutädrig den Schrecken,
der ihn ausquält zum hitzig gleißenden Tod,
in die Kälte aus Hass.
Was denkt er im verklumpenden Fleisch?
Ein paar Stunden noch in seiner Stunde.
der Blick Schrei, der bald bricht.
Ein Gebet?
Vater.

Es muss sein, sagte er einmal den Jüngern.
Warum?
Was soll das?

Es ist über ihm. Vater.
Mein Gott.

(Josef Rossmaier)

Der 12-teilige Kreuzweg sowie eine Auswahl großformatiger Gemälde aus dem Jahr 2014 sind zusammen mit den eindrucksvollen Worten von Josef Rossmaier im 40-seitigen Katalog „Jacques Gassmann, Weg und Nachweg“, Sonderheft 7 des Diözesanmuseums Regensburg unter der ISBN 978-3-9817126-0-5 erschienen. 

Bis zum Grund

Ein Lichtstrahl durchdringt die Farbflächen. Zunächst hellblau klar, wechselt er mit dem Eindringen in den unteren dunkleren Farbraum seine Farbe in ein helles Gelb. Wie eine Pfeilspitze taucht er bis zur Unterkante des Bildes ein; scheint den blauen Hintergrund in eine linke und eine rechte Seite zu teilen. Und doch bleiben die beiden Farbflächen durch die Fortführung der nach rechts ansteigenden Trennlinie im Lichtstrahl verbunden.

Dieser Lichtstrahl schneidet nicht wie ein Messer durch, sondern dringt in die Materie ein, aus dem klareren Blau des Himmels in das grünliche Blau des Wassers und des Wachstums der Erde. Um den Lichtstrahl herum breitet sich kelchartig ein durch ihn erhellter Schein aus, der lediglich am Bildrand einen tiefblauen Rand hinterlässt. Eine zusätzliche Farbveränderung lässt sich links vom Lichtstrahl feststellen. Eine rote Lichtbrechung begleitet hier das Licht und erscheint im unteren Bereich am intensivsten.

Trotz des einschneidenden Ereignisses geht von dem Bild eine große Ruhe aus. Ein Grund mag im harmonischen Miteinander der scheinbaren Gegensätze liegen, bei denen sich Waagrechte und Senkrechte kreuzen, dunkle und helle Flächen durchdringen oder strenge geometrische Elemente mit weichen Farbübergängen die Waage halten. Auch das Trennende zwischen Oben und Unten ist durch den Lichtstrahl überwunden. Ein zweiter Grund mag der Umstand sein, dass der Lichtstrahl auch bleibenden Halt gibt, einen festen Anhaltspunkt bildet, wie ein Leuchtstab, ein immaterieller Anker, der tief in der diagonal aufsteigenden Fläche steckt.

Was mag das Bild für uns bedeuten? Dieser Lichtstrahl, der offensichtliche Grenzen durchdringt ohne zu verletzen und bis auf den Grund des eigenen Wesens vordringt und Tiefen ausleuchtet, die selbst uns oft unbekannt sind? Vom Psalmvers 139,23: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, prüfe mich und erkenne mein Denken!“ ausgehend, könnte der Lichtstrahl als ein Zeichen für Gott gedeutet werden. Die Keilform des Lichtstrahls lässt auf einen unendlich großen Anfang schließen – Gott selbst – das punktgenaue Auftreffen auf der Unterkante des Bildes auf sein individuelles Eingehen auf den Menschen. So kann der Lichtstrahl für Gottes Ergründen des Menschen stehen, das Prüfen seiner Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit.

Ob Maria auch so ein Lichtstrahl durchdrungen hat, als Gott ihr durch den Engel ankündigte, dass er sie zur Mutter seines Sohnes auserkoren hatte? Dann könnte das Licht auch als Symbol für Gottes Geist gesehen werden, durch den Maria Jesus empfangen hat. Und von Menschenseite her könnte er als strahlende Antwort Marias verstanden werden: JA, „mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Denn Licht streut, die Lichtquelle wäre demzufolge die Seele oder das Herz Mariens.

Das Bild lässt sich auch als Metapher für meine Gottesbeziehung sehen. Der Lichtstrahl gleichsam als Datenautobahn des Austausches zwischen Gott und mir. Es stellt visuell die Frage, ob ich es zulasse, dass Gott mich besucht, erforscht und mein Herz erkennt, wie es der Psalmist erbittet. Dass Gott meine Bedürftigkeit sieht, auf meine Sehnsucht (vgl. Jes. 26,9) nach ihm antwortet. – Gleichzeitig mag es Anstoß sein, das göttliche Licht zu verinnerlichen! Es zuzulassen, in mir aufzunehmen, mich von ihm durchdringen und verändern zu lassen zu einer Lichtgestalt, die Anhaltspunkt für andere sein kann.

Diese Arbeit war im Rahmen des Festes “Maria Himmelfahrt” 2014 zusammen mit einem Dutzend anderer moderner Arbeiten zu Maria in Warendorf ausgestellt. Alle Kunstwerke finden Sie in der PDF-Version des Begleitheftes zur Ausstellung: Maria ImPuls der Zeit

Göttliche Inspiration?

Ein helles Rot bzw. Orange bildet die Hauptfarbe. Sie umschließt rechts einen intensiven gelben Bereich und ist gleichzeitig von anderen Gelbtönen überlagert, die in denen sich wiederum orangegesprenkelte Zonen befinden. Der Hintergrund bildet nicht deckend aufgetragene weiße Farbe, links oben und rechts unten eine braun-graue Ecke freilassend. Sie bilden ein Gegengewicht zur Hauptbewegung von links unten nach rechts oben. Die nach rechts orientierte U-förmige Bewegung wird durch den parallelen Verlauf einer blau-roten bzw. blauen Linie verstärkt.

Die Arbeit macht den Eindruck einer zweckfreien Malerei. Noch ist die Pinselführung des Künstlers zu spüren, die teils die Farbe mit klaren Konturen führend, dann wieder die Farbe nach außen spritzen lassend, so dass sie ihre eigenen Wege gehen ging. Damit hat Tobias Kammerer einen Spannungsbogen geschaffen, wie er nur im einzigen Augenblick der Gegenwart seinen Ausdruck findet. Mit diesem Pinselstrich, vielleicht sind es auch mehrere, ist es ihm gelungen einen Zeitpunkt festzuhalten, das Leben in ihm, die künstlerische Freiheit, die Freude am Malen.

Allein schon dieses dynamische Farben- und Formenspiel vermag den Betrachter zu begeistern. Virtuos weiß der Künstler seine Werkzeuge und Farben einzusetzen und miteinander zu kombinieren. Noch erstaunlicher wird es, wenn die an sich freien Farben durch unseren Geist mit festen Formen belegt werden und plötzlich zwei nach rechts blickende Gesichter in der Bildmitte auftauchen, der orange Kopf wegen der in die Luft geworfenen Haare voller Bewegung erscheint, ja zwei dazu gehörige Arme sich nach rechts ausstrecken. Die einen Kopf andeutende Kontur links hinter ihm scheint ihm über die Schultern zu schauen. Doppelte Bewegung nach rechts, die über die beiden Arme über den Bildrand hinausweist. Sie scheinen auf das Unfassbare zu zeigen, das im lichten Gelb zwischen den beiden Armen dennoch irdische Wahrnehmung angenommen hat. Die orange Gestalt scheint sie freudig zu begrüßen, zu umarmen, sie an sich zu drücken. Wer ist wohl dieses Licht gewordene Etwas, das für die beiden so bedeutungsvoll da und doch nicht fassbar ist? Es hat etwas von einem Geist an sich, es mag als Inspiration gedeutet, kann aber genauso als mystische Begegnung mit einer Muse gesehen werden. Was nach antiker Vorstellung nichts anderes bedeutet, als dass gute Ideen schon immer als ein göttliches Geschenk gesehen wurden. Die Gedanken sind frei, in der gelben Farbe einen göttlichen Funken zu sehen, der in der Begegnung mit dem Menschen diesen förmlich anzündet und vor lauter Energie in alle Richtungen explodieren lässt.

Das Bild weckt die Sehnsucht nach göttlicher Inspiration. Nicht nur für Künstler, sondern für und bei jedem von uns! Damit wir über unsere „Bild-(ungs-)Horizonte hinauszublicken vermögen. Damit seine Begeisterung uns anzündet und ermutigt, das Notwendige anzugehen und durch alle Schwierigkeiten hindurch zu vollenden. Damit nicht mein Ego im Mittelpunkt steht, sondern sein Wille.