Heiliger (Frei-)Raum

Auf der Wiese neben der Michaelskirche in Gräfelfing bei München wurde mit Baumscheiben aus einem Pappelstamm ein großes lateinisches Kreuz ausgelegt. 13 x 3 Schreiben in der Länge, 9 x 3 Scheiben in der Breite. Seine Ausrichtung ist geostet. Dadurch liegt es nicht parallel zu den Grundstückgrenzen, sondern quer. So wird das Kreuz mit der aufgehenden Sonne verbunden und vermag auf eine andere, unsichtbare Wirklichkeit zu verweisen.

Die dünnen Baumscheiben künden zuerst aber von einem Baum, der über Jahrzehnte gelebt hat. In der Erde verwurzelt hat er seinen Halt gefunden, um hoch in den Himmel zu wachsen. Nun liegt sein Stamm in Scheiben geschnitten und als Kreuz ausgebreitet auf der Wiese, auf dem Boden. Man könnte meinen, dass alles Leben aus dem Holz gewichen ist und das Scheibenfeldkreuz nur noch vom Tod des einst stolzen Baumes und von den Qualen des Zersägens zu erzählen vermag.

Doch das Zusammenwirken von Erde und Himmel auf die sich im Zwischenraum Befindlichen geht weiter. Von der Erde stieg kontinuierlich die kühle Feuchtigkeit ins Holz, während vom Himmel abwechselnd Licht, mehr oder weniger große Wärme und Regen auf die Holzscheiben einwirkten. Zuerst wurde die Ringspannung so groß, dass eine Scheibe nach der anderen bis in die Mitte barst und einen V-förmigen Ausschnitt freigab. Dann begannen sich die Scheiben zu verbiegen und zu verformen. So kam neues Leben in das Holz. Es wurde gleichsam von außen dazu bewegt. Spielerisch, ohne menschliches Zutun. Sie erwecken den Eindruck eines Tanzes, als würden sie sich drehen.

Allerdings sind auch diese spannungsvollen Bewegungen begrenzt und vergänglich. Denn eines Tages werden die Scheiben entfernt und es wird nur die Zeichnung des Kreuzes im Gras übrigbleiben: gelblich weiße Grashalme, die nach Licht hungern. Und es wird wieder eine Weile dauern, dann werden auch diese Markierungen nur noch Erinnerung sein, weil wieder Gras darüber gewachsen ist.

Das mit Baumscheiben markierte Kreuz eröffnet somit einen Freiraum, der anschaulich anregt, über das Leben und die jeder Zeit eigene Schönheit nachzudenken. In den Bewegungen des Wachsens und Vergehens wird die Vergänglichkeit sichtbar und in ihrer Einzigartigkeit kostbar und schön. Unsichtbar vermag die Kreuzform zudem auf die Kraft von Glaube, Hoffnung und Liebe in unserm Leben hinzuweisen: auf die göttlichen Ressourcen, in allen Situationen des Lebens das Gute und damit das Heilige zu suchen und darin zu bestehen. Über die Zeit und die Vergänglichkeit hinaus … in IHM … und in Ewigkeit.

Diese Arbeit 2018 ist im Rahmen der Ausstellung Glaube – Hoffnung – Liebe. Kunst an sakralen Orten bei der Michaelskirche in Gräfelfing bei München entstanden. Hier finden Sie umfassende Informationen zur Ausstellung.

Glaubenszeugnis

Das Bildgeschehen gruppiert sich um eine breite rötliche Senkrechte, auf der im oberen Drittel der Gekreuzigte schwebt. Er ist vom Kreuzbalken abgenommen und wird optisch nur von diesem starken Band gehalten, das für die Liebe Gottes steht, die bis in die menschlichen Abgründe geht und dort mit den Menschen leidet (violette Verfärbung am unteren Ende). Dadurch und in Verbindung mit dem Holz des Corpus Christi ist das Leiden durchaus gegenwärtig. Viel stärker jedoch wirken durch die Abwesenheit des Kreuzes, die Freistellung der Hände und die erhöhte Position der Skulptur die Auferstehung und die Himmelfahrt Jesu auf den Betrachter.

Im gelben Licht wird seine Himmelfahrt von Engeln begleitet. Sie schweben auf der intensiv-roten Linie, die von ganz unten in die Höhe führt und durch ihr Pendant diagonal gegenüber (links neben Jesus) auch mit Gott Vater in Verbindung gebracht werden darf, der seinen Sohn von den Toten auferweckt und zu sich geholt hat. Die Gestalt der gelben Fläche lässt zudem an einen Baum, durch Jesus an einen goldenen Lebensbaum denken oder auch an einen Kelch, in dem sein Blut aufgefangen und zu seinem Gedächtnis und zur Vergebung der Sünden zum Trinken gegeben wird.

Von Jesus, der seinen Kopf den Engeln zuneigt, geht die Bildbewegung über die Engel auf der Zwischenhöhe auf die andere Seite hinunter zu den Menschen. Das waagrechte Element dieser Figurengruppe bildet das Gegengewicht zum Geschehen auf der anderen Seite. In Blau gemalt bedeutet, in der Farbe des Glaubens dargestellt zu sein, des Wassers, in dem sie getauft wurden, dem Himmel, in den Jesus sie aufzunehmen versprochen hat. Sie sind als Pilgernde unterwegs, als Menschen auf dem Weg zu Gott, bereit in seinen Strahl der Liebe einzutreten, von seiner Barmherzigkeit umarmt und wie Christus erhoben zu werden. Spiegelbild der im Kirchenraum versammelten Gemeinde.

Dieses Bildgeschehen richtet auf und ermutigt. Es gibt die Bewegung der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu wieder, in der er ganz der den Menschen Zugewandte bleibt und ihre Sehnsüchte aufnimmt. Es ist kein endgültiges Entschwinden oder sich Verabschieden, sondern die Wandlung seiner Gegenwart durch die Kraft des Heiligen Geistes. Dieser ist im Bild nicht explizit zu sehen, aber in der von Jesus ausgehenden Abwärtsbewegung, welche in die vertikale Menschengruppe einmündet, spürbar am wirken.

Im Weiteren macht die Bildkomposition deutlich, dass Gott in seiner unverbrüchlichen Liebe hinter seinem Sohn steht … und auch hinter allen Menschen, die an ihn glauben (Gesamtansicht).

Zahlreiche weitere Arbeiten in Kirchen finden sich im Buch Zeitgemäße Wand- und Deckenfassungen für Sakralbauten, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg, 2015, 304 Stein, > 350 Abb., 19,80 Euro.

Per sempre ti rivedo

Die große weiße Gestalt irritiert. Sie ist da und erscheint doch als flüchtiger Anblick, als durch das Bild huschende Existenz. Wer ist sie, wovor flieht sie? Drei Kreisflächen sind wie bei einem Schneemann übereinander angeordnet und durch eine darunterliegende weißere Form miteinander verbunden. Die roten, den obersten Teil der Figur berührenden Worte suggerieren eine menschliche Gestalt, auch wenn keine konkreten, individuellen Züge zu erkennen sind. Mit den horizontal nach links „verwehten“ Farbläufen vermittelt sie Bewegung, Entschwinden einer Erscheinung oder Verflüchtigen eines Geistes, als hätte ein gewaltiger Sturm sie erfasst. Vergänglichkeit wird spürbar, Getriebenwerden, wohin man nicht will.
Da Weiß von Künstlern oft als Farbe des Übergangs verwendet wird, als Farbe „der ersten und der letzten Dinge“ (Otto Zech), könnte man das Weiße als Wesen, Geist, oder Seele im Aufbruch in eine andere Existenz verstehen, während die drei festen Kugeln in der linken Bildhälfte – gehalten durch luftige Schutzräume – für das stehen können, was Geist, Wissen und Können an Spuren zurücklassen.

Der Hintergrund aus akkurat aufgetragenem Blattgold bildet zu dieser unförmigen und flüchtigen Erscheinung einen eigenartigen Kontrast. Er erinnert an den Goldgrund auf Ikonen und mittelalterlichen Altarbildern und bringt in dieser Tradition Transzendentes, Gott zur Sprache, wie er ähnlich einem Netz oder einem Gitter jeden auffängt und ihm Halt verleiht. Gott ist der kostbare Hintergrund allen Lebens, er erhebt das Vergängliche zu etwas Einmaligem und Beständigem.

Sechs rote Farbgebilde vollenden den farblichen Dreiklang. Je drei sind beiderseits der weißen Figur übereinander angeordnet und bilden durch Farbe, Größe und Anzahl einen wohltuend lebendigen Kontrast zur Hauptgestalt. In der Art und Weise, wie sie aufgetragen sind, wohnt ihnen in der linken Bildhälfte etwas Unvollendetes, Vergängliches inne. Ihre unterschiedlich gestalteten Formen erinnern durch ihre schwache Farbdeckung an Lippenstiftspuren. Ob sie als Abschiedsküsse, als Zeichen der Zuneigung, der herzlichen Verbundenheit und der Nähe gelesen werden dürfen? Andererseits lassen ihre diffusen roten Formen an schwimmende Kleinlebewesen denken, die im „Aquarium“ der kostbaren Erinnerungen von der Kraft des Lebens künden. Tatsächlich hat der Künstler mit einem farbgetränkten Tuch gearbeitet, bewusst die Spuren des Stoffes hinterlassend, von der Berührung erzählend und dem Kleid, das jetzt keine Rolle mehr spielt und deshalb zurückgelassen wird.
Die rundlich geformten Zeichen der rechten Seite erscheinen dagegen in ihrer kompakten Form als Markierungen oder Anhaltspunkte, die Werte des Lebens, Stabilität und Überdauern versprechen.

Inmitten dieses flüchtigen Geschehens laden vier in Schriftform festgehaltene Worte zum Nachdenken ein. Durch den unmittelbaren Bezug geben sie sich als gedanklicher Ausdruck der weißen Gestalt, erscheinen sie wie ein mit letzter Kraft gemaltes Vermächtnis des Davoneilenden: per sempre ti rivedo. Obwohl die Zeichen wackelig geschrieben sind und ein erbärmliches Bild abgeben, geht durch die rote Farbe und ihre verbindende Lage eine besondere Kraft von ihnen aus. Und durch den Farbunterschied und die zwei Zeilen werden die einzelnen Worte zusätzlich hervorgehoben:

per sempre ti rivedo
– für immer seh ich dich wieder

Diese wenigen Worte nehmen der gewaltsamen Trennung die Endgültigkeit. Aus ihnen spricht eine Zuversicht, die, alle irdischen Begrenzungen hinter sich lassend, neue Perspektiven setzt: für immer seh ich dich wieder. Nicht endgültiger Abschied, sondern nie endende Gemeinschaft wird in diesen Worten zum Ausdruck gebracht. Hier kommt ein Glaube zum Ausdruck, der alle irdischen Gebundenheiten außer Kraft setzt und gleichzeitig über das vordergründige Ende von uns Menschen hinaus einen neuen Lebensabschnitt erhofft und verkündet.

Die letzten Worte – ein Neuanfang
Die vom Künstler verwendeten Worte stammen aus einem Gedicht von Giuseppe Ungaretti, das er am 24. Mai 1959 in Rom geschrieben hat. Es sind die letzten vier Worte eines persönlichen Glaubensbekenntnisses, der Höhepunkt eines Gedankens, der hier in der deutschen Übersetzung von Ingeborg Bachmann wiedergegeben wird:

Ganz ohne Ungeduld werde ich träumen,
Ich werde mich an die Arbeit machen,
die nie enden kann,
Und nach und nach, gegen Ende,
Kommen Arme den Armen entgegen,
Öffnen sich wieder hilfreiche Hände,
Licht geben die wiederauflebenden Augen
In ihren Höhlen,
Und du, plötzlich unversehrt,
Wirst auferstehen, nochmals
Wird deine Stimme mir Lenkerin sein,
Für immer seh ich dich wieder.

Im Bild wie im Gedicht wird der Betrachter in den Dialog zweier Liebender hineingenommen. Er sieht Vergehen, Entschwinden, spürt den Erinnerungen und Liebesbezeugungen nach und muss ebenfalls loslassen. Durch den Goldgrund und die letzten Worte wird ihm aber eine gewaltige Hoffnung vermittelt. So kurz das Leben, so flüchtig seine Lebensspuren auch sind, er ist in einem größeren Ganzen, das wir personalisierend Gott nennen, gehalten und aufgehoben. ER schenkt uns die Perspektive des nie endenden geistigen Lebens und des nie endenden Wiedersehens.

Dieser Bild-Impuls wurde in der Ausgabe 3/2007 der Zeitschrift “das münster”, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft erstveröffentlicht.

Göttliche Zuwendung

Solche Bilder sind uns von Mandalas her bekannt. Man kann sie drehen wie man will, sie sind von allen Seiten gleich aufgebaut und haben einen klaren Mittelpunkt. Das ruhige grüne Passepartout, in den vier Ecken mit einem stilisierten Blumenmotiv gehalten, führt den Blick wie durch ein Fenster hindurch auf ein rotierendes Gebilde, das aus zwölf Händen und sie verbindenden Linien besteht.

Die Hände kommen von außen, aus dem blauen Hintergrund, und erinnern dadurch an frühchristliche Malereien, in denen Gott und seine Zuwendung zu den Menschen durch eine aus den Wolken ragende Hand dargestellt wurde. Hier wie dort ist die Handhaltung eine segnende. Hier sind die Umrisse der Hand zudem aus Gold: ein traditionelles Zeichen für Gottes Herrlichkeit, unterstrichen durch die goldgestreiften Ärmel eines roten Festgewandes. Gold kann für Macht und Herrschaft gesehen werden, das Rot für sorgende und bergende Liebe.

Gottes Hände rotieren geradezu um das Geschaffene. Sie sind unaufhörlich in Bewegung: segnend, schöpferisch, behütend. Ist das nicht wohltuend zu sehen, wie alles aus Gott Hervorgegangene auch von ihm umgeben ist und gehalten wird? Wir Menschen dürfen uns zusammen mit allem Geschaffenen in diesem Focus von Gottes Aufmerksamkeit und Handeln wissen.

Doch ist das unsere erlebte Realität ? Ist das nicht eher eine Wunschvorstellung? Persönliches Leid, Krankheit, Armut, Verständigungsschwierigkeiten unter Einzelnen, Völkern und Religionen, Naturkatastrophen und, und, und … Gibt es nicht genug Gründe, an Gottes Allmacht und Liebe zu zweifeln?

„Gott ist Vater, Gott ist gut, gut ist alles, was er tut“, wurde früher den Kindern mit auf den Lebensweg gegeben. Und dann ging das Leben weiter und überrollte diesen wohlgesetzten, gutgemeinten Kinderspruch, denn er widerspricht zunächst der Lebenserfahrung – wenn er nicht von Anfang an eingebettet ist in ein grünes Passepartout der Hoffnung und des Glaubens. Der Hoffnung, dass Einer eine Regie führt, die wir zwar meistens nicht verstehen; des Glaubens, dass es einen Plan gibt, den nur Gott kennt.

Der Künstler stellt uns diese Gedanken in dem fein gezeichneten Gespinst im Kreis der zwölf Hände vor Augen, das aus einer Vielzahl von geometrischen Formen besteht: wohltuenden Bogen und vielerlei eckigen und kantigen Fragmenten, die für sich allein gesehen sinnlos erscheinen. Doch zusammengefasst ergeben sie ein durchdachtes, harmonisches Gebilde von großer Schönheit.

Wenn es gelingt, diesen Plan zu erhoffen, kann diese Hoffnung zu einem „doppelten Boden“ im Leben führen oder zu einem Netz, das im Absturz hält und trägt. Rainer Maria Rilke hat das in seinem Herbstgedicht von den fallenden Blättern so ausgedrückt: „… und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält“. Das stärkt den Glauben und lässt die vielen sich kreuzenden Linien gar zu einem bergenden Gewölbe werden, voll unfassbarer Gnade und Fülle.