„Gott würfelt nicht“

Eine sehr minimalistische Skulptur, die vom Künstler aus 44 sechsseitigen Spielwürfeln in jeweils zwei Reihen längs und quer zusammengesetzt wurde, ohne auf die Aufeinanderfolge der Augenfelder zu achten.

Die Arbeit trägt eigentlich keinen Titel, aber bescheiden in Klammern gesetzt steht der bekannte, von Albert Einstein überlieferte Satz darunter: „Gott würfelt nicht“. Stammte er nicht von Einstein, nähme man ihn vielleicht nicht so ernst. Es ist eine lapidare Aussage, die selbstverständlich und daher umso verwunderlicher wirkt.

Viele Aussagen über Gottes Eigenschaften wurden im Laufe der Jahrhunderte von Theologen gemacht: allmächtig, allwissend, weise, gütig, gerecht, wahrhaftig … alles positiv, höchstpositiv. Und nun formuliert ein Naturwissenschaftler negativ: „Gott würfelt nicht“. Als ob das jemand angenommen hätte? Oder vielleicht doch?
Was macht denn einer, der würfelt? Er spielt, und zwar ein Glücksspiel. Er wirft einen oder eine bestimmte Anzahl von Würfeln und zählt, wenn sie liegen bleiben, ihre oben liegenden Augen. Er erwartet ein Ergebnis: entweder eine möglichst hohe Punktezahl, um zu gewinnen oder eine Entscheidung in einer mehr oder weniger wichtigen Sache. Aber jedenfalls ein Ergebnis, zu dem er nichts weiter tun muss als die Würfel werfen. Denn wer würfelt, überlässt das Ergebnis dem Zufall, es ist nicht sein eigenes Tun, seine Auswahl, seine Leistung oder sein Verdienst.

So konnte sich Albert Einstein die Entstehung und die Erhaltung des Universums nicht vorstellen. Er glaubte nicht an den Zufall, sondern an die Berechenbarkeit, durch die ihm im Laufe seines Lebens bahnbrechende Einblicke gelungen sind, er glaubte an die überwältigende Fülle der Lebensmöglichkeiten, anstatt an die begrenzten sechs Seiten eines Würfels. Gott richtet sich nicht nach unseren – wie für das Würfelspiel aufgestellten – Regeln und ist nicht auf Gewinn aus. Gott würfelt nicht.

Diesen Inhalt vermittelt der Künstler durch seine Arbeit. Die Kreuzform mag für das Göttliche, das Heilbringende stehen, der strenge Aufbau der Würfel für Ruhe und Ordnung, und … dass sie nicht zum Gebrauch zur Verfügung stehen. Sie können aber in ihrer willkürlichen Reihung auch ein Hinweis sein auf die sich so ungeheuer schwer erschließenden Geheimnisse des Universums. Und auch dazu wusste Einstein in seiner einfach-ironischen Art etwas zu sagen: „Falls Gott die Welt geschaffen hat, war es seine Hauptsorge sicher nicht, sie so zu machen, dass wir sie verstehen können.“

Geben und Empfangen

Auf einem geradezu glühenden Quadrat begegnen uns vordergründig zwei einander zugeordnete Zeichen: das Untere u-förmig offen, bergend; das Obere schwebend, astförmig ausgreifend. Das untere Zeichen streckt sich außen dem Oberen entgegen, das obere Zeichen taucht mit drei Ausformungen in den Bereich des Unteren ein. Die weiße, stellenweise ins Braun wechselnde Farbe gibt den Zeichen vor dem gelb-rötlichen Hintergrund etwas Körperhaftes, Materielles, Hölzernes. Während im Hintergrund durch die Holzstruktur und die Farbe das Leben pulsiert, sind die beiden Zeichen eher von fahler Vergänglichkeit geprägt.

Was sie wohl darstellen mögen? Das untere Zeichen gleicht einer Schale, einem nach oben offenen Gefäß. Das obere Zeichen hat eine waagrechte Ausrichtung, aus der die drei Ausformungen fingerförmig diagonal nach unten weisen. – Eine stilisierte Hand, die von oben her in die Schüssel greift? Oder deutet die U-Form vielleicht auch zwei offene Hände an?

In der Mitte dieser Begegnung lässt sich ein geradezu unscheinbares drittes Symbol beobachten. Goldfarben und kugelförmig befindet es sich genau in der Mittelachse des Bildes. Majestätisch schwebt die Kugel in und über der U-Form und macht den Eindruck von Erhabenheit. Wurde die goldene Kugel von oben in das Gefäß hineingelegt? Oder bieten die unteren Hände dieses kostbare Unendliche dem über ihm an? Auch scheint das obere Zeichen wie mit Zeigefinger und Daumen nach diesem runden Zeichen greifen zu wollen. Der Bildtitel könnte „Geben und Nehmen“ heißen. Doch der Künstler hat sich für „Geben und Empfangen“ entschieden.

Diese Bildbezeichnung ist offener. So schwingt im Geben und Empfangen der Aspekt der Freiheit mit. Da wird keiner zum Verlierer oder zum Gewinner. Da ist eher ein wechselseitiger Austausch zu beobachten, ein ausgeglichenes und stetes Hin und Her von Anbieten und Entgegennehmen. Hier wird eine Grundhaltung thematisiert, die etwas Großes, ja Göttliches an sich hat. Aus dem Dunkel heraus leuchtet diese Weisheit auf und will sich glühend in unser Herz einbrennen. Diese Ikone göttlichen Handelns vermag uns zu lehren, dass Austausch nach gerechten Grundsätzen zu erfolgen hat. Das lässt sich unendlich lange und immer wieder meditieren – in allen Lebensbezügen.

Erholung

Große Einfachheit zeichnet dieses Bild aus. Abstraktion, denn die Farbfelder lassen die Erkennung eines konkreten Gegenstandes nicht zu. Ist es deswegen ein geistiges Bild? Seine Struktur ist uns nicht unbekannt. Nicht nur von Mark Rothko, der als erster in dieser Weise große Arbeiten malte. Im Bild können sich vielfache Erfahrungen aus unserem Leben spiegeln.

Da ist eine markante, waagrechte Trennung zwischen Unten und Oben, wie wir sie auch in der Natur in der Trennung von Erde und Himmel erfahren. Die Horizontale erinnert an flache Landschaften wie große Ebenen, Wüsten oder den Meeresstrand. Ihnen wohnt eine besondere Weite und Ruhe inne. Es sind für Körper und Seele erholsame Orte, weil wir an ihnen Freiheit erfahren und tief durchatmen können. Da ist von der kleingliedrigen und ermüdenden Alltagsstruktur nichts mehr zu spüren.

Die horizontale Linie, sie ist selbst dreigeteilt, lässt auch die Erfahrung des Liegens, des Entspannens und Ausruhens spüren, die wir täglich brauchen. Sie findet ursprünglich auf dem Horizont statt, an der Grenze zwischen Erde und Himmel. Aber im Schlaf geben wir uns ganz der Erdkraft hin, und öffnen uns doch der Unendlichkeit über uns. Im Urlaub suchen wir oft ähnliche Erfahrungen: Orte und Situationen, in denen wir dem Alltag entfliehen, dabei Körper und Seele hängen lassen und gleichzeitig auftanken können.

Die helle Linie spricht weiter eine Dualität an: eine Dies- und Jenseitigkeit, ein Hier und Dort, ein Jetzt und ein Danach. Beide sind voll und ganz gegenwärtig, gehören zusammen. Mal mag der eine Teil größer sein oder mehr Raum im Leben einnehmen, mal der andere. Aber so wie die Horizontale proportional im goldenen Schnitt des Bildes liegt, suchen wir bei der Erholung – egal, wie sie umgesetzt wird – das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Lebensbereichen zu stärken, ihre Harmonie wiederherzustellen.

Wie der obere Bereich mehr Platz im Bild einnimmt, gibt man bei der Erholung dem Ersehnten, dem Wohltuenden mehr Raum und Zeit. Seine goldene Farbe mag andeuten, dass Erholung in jeder Form (Urlaub, Auszeit, Feierabend, Pause) eine heilige Zeit ist. Sie ist kostbar und verlangt einen wertschätzenden Umgang. Ebenso ist das Geheimnis dieser ganz anderen Zeit- und Lebenserfahrung spürbar, das Göttliche in ihr.

Dieser obere, lichte Farbraum, in dessen Zeichnung man auch eine Kreuzform, ein Gesicht, ja göttliches Leben ahnen kann, lässt den unteren, sich vom Hintergrund nur schwach abhebenden roten Bereich, der für uns Menschen und unseren Lebensraum stehen mag, ganz anders wahrnehmen. Geerdet strahlt er eine wohltuende Ruhe aus. Nicht nur in der Vision des ganz anderen, sondern in seiner gegenwärtigen Erfahrung spricht lebendige Stärke aus ihm, Lebenskraft.

Einer steht dahinter

Manchmal lohnt sich ein genauerer oder hinterfragender Blick. So wie bei dieser Knospe in einer Kreuzform. Das Bild ist mit drei Ebenen oder Formen sehr einfach aufgebaut: Hintergrund, Kreuzform, Knospe.

Der Hintergrund präsentiert sich in einem dunklen, aber transparenten Blau. Nacht könnte damit angedeutet sein, aber auch Geheimnis. Die Transparenz lässt auf ein lichtes Dahinter schließen – nur der nächste Tag oder gar etwas Größeres, welches hinter allem und damit auch hinter diesem Geschehen steht und es hält?

Die in Rottönen gemalte rechteckige Form hebt sich als etwas Geschaffenes vom eher endlosen Hintergrund ab. Wie eine Straße oder ein Weg mit einem großen Rastplatz durchquert sie das Bild in der Vertikalen. Es muss nicht ein Kreuz sein, aber es kann. Die Gestaltung der Kreuzform ist offen für weitere Interpretationen. Es ist nichts Dunkles mehr in diesem „Kreuz“ zu finden. Lichtdurchflutet und vom Rot der Liebe und des Lebens umgeben verkündet das ursprüngliche Symbol für einen grausamen Tod durch Jesu Auferstehung nun Hoffnung und neues Leben. Das Kreuz ist nicht mehr Endstation, sondern Durchgang zu Neuem.

Die große Knospe suggeriert, dass dieses Neue im Gegensatz zur Kreuzform eine ganz andere, bisher unbekannte Lebensform beinhaltet. Anstelle der harten und geraden Formen besteht sie aus weichen, geschwungenen Linien, das künstlich Geschaffene ist nun dem natürlich Gewachsenen gewichen. Eine silberne Aura umgibt diese Pflanze des neuen Lebens, in deren Knospe sich die Farben der „alten Welt“ von außen nach innen wiederholen. Damit wird angedeutet, dass dieses ganz Andere und Neue dennoch aus dem Bekannten und Vorhergehenden entsteht und damit seine Spuren trägt. Aber in seinem Innern, umrahmt von einer feinen Goldspur, leuchtet in reinem, hellem Gelb die Einzigartigkeit und Schönheit seiner treibenden Kraft auf – unscheinbar, bezaubernd, von der überwältigenden Zuneigung des hinter uns Stehenden erzählend.

Orientierung

Das Auge verweilt suchend vor dieser Bronzeskulptur. Harmonische Proportionen und runde, glatte Formen nehmen wir wahr, links und rechts zwei längliche, abstehende Teile, dazwischen ein rundes, scheinbar herausgemeißeltes Loch. Wie ein Auge schaut es einen an, blinzelt das Licht durch die Öffnung im massiven Bronzeguss.

Die Stele lässt vielerlei Zugänge offen. Sie will nicht eindeutig nur dies oder jenes sein. Sie möchte bewusst herausfordern, eine Suchbewegung auslösen, Fragen stellen nach ihrer Identität. Die Bronze hat etwas Gefäßartiges an sich, gleichzeitig erhebt sie sich wie eine stilisierte Hand. Durch die sanft gewellte Oberfläche können auch zwei stark vereinfachte stehende Gestalten wahrgenommen werden, bei der die rechte durch die runde Öffnung stark beeinträchtigt ist.

Am Schlüssigsten ist aber wahrscheinlich das Erkennen einer schematisierten Gesichtshälfte, bei der links die Wangenknochen mit dem Ohr, rechts die eine Seite der Nase angedeutet sind. In der glatten Außenseite sticht das hart aus dem Material herausgehauene Auge beunruhigend heraus. Es scheint weit aufgerissen zu sein, Schrecken spricht aus ihm. Sieht das Auge Schreckliches oder hat es selbst solches erfahren müssen? Die Außenseite gibt nichts vom Geschehenen preis … womit die Bronze ihre geheimnisvolle Ausstrahlung nur noch vergrößert.

Welches Gesicht die Skulptur wohl darstellen soll, welchen Menschen zur Sprache bringen oder in Erinnerung rufen? Auf der einen Seite ist er schön, andererseits sieht es aus, als hätte er Schweres durchlitten. Er gibt sich als doppelte Erscheinung, als amphorenartiges Gefäß, das einen Einblick in seine Innenwelt ermöglicht. Seine Gesichtshälfte gibt einen Durchblick zum Licht, das ihn zu erfüllen scheint.

Zweifel stellen sich beim fragenden Nachdenken ein, ob dieses halbe Gesicht auf Jesus hinweisen soll. So haben wir ihn noch nie gesehen. Was wir sehen, ist mehr Fragment oder Ausgrabungsstück als ein göttliches Antlitz. Aber alles Wahrgenommene trifft auf Jesus zu: er ist „der Schönste unter den Menschenkindern“ (Ps 45,3), er ist für uns geschlagen worden, hat gelitten und ist am Kreuz gestorben. Die doppelte Wellenform vermag seine doppelte Natur anzudeuten: Gott und Mensch gleichzeitig zu sein. Durch dieses „menschliche Gefäß“ offenbart sich Gott den Menschen und gibt sich in seiner ganzen Liebe und Weisheit zu erkennen. Dabei tritt das Menschlich-Konkrete zu Gunsten des Symbolischen zurück.

Denn niemand von uns hat Jesus gesehen, gehört, persönlich erlebt. Deshalb ist alles Überlieferte Bruchstück, alles Wahrgenommene nur Teil eines größeren Ganzen. Aber in diesem Fragmentarischen steckt soviel Wahrheit, dass es einen Zugang möglich macht, der zu Gottesbegegnungen führt, die über das Sicht-, Hör- oder Spürbare hinausgehen.

Gottesbegegnungen, die denjenigen vieler Zeitgenossen von Jesus ähnlich sein müssen und nach dem Suchen und Zweifeln in der bekennenden Antwort gipfeln: „Denn Du bist das Licht!“

Zum Leben befreit

Welch ein Gegensatz! Die Gemeinde befindet sich das Jahr über einem barocken Hochaltar mit gewohnten klaren, verständlichen Darstellungen gegenüber (Gesamtansicht). Sein Mittelteil wird nun in der Fastenzeit hinter einem großen Fastentuch mit moderner, verschlüsselter, anfangs nicht leicht deutbarer Bildsprache verborgen (Altaransicht). Eine Aufforderung, genau hinzuschauen und zu versuchen, über Altbekanntes in neuer Weise nachzudenken.

Ins Auge springen die Farben: violetter, in sich bewegter Hintergrund, leuchtendes Gelb, korrespondierend mit Rot.
Mittelpunkt der Darstellung ist eine gelbe Lichtsäule, die über dem Tabernakel wie aus einer anderen Dimension aufsteigt und in einer gelb-leuchtenden Lichtquelle, einer Sonnenscheibe endend, das eigentliche Zentrum des Bildes darstellt.

Rechts und links flankieren zwei schlankere Lichtsäulen die zentrale stelenartige Erscheinung. Sie sind unregelmäßig, wie zufällig, rot bebändert, so dass sie nur in ihrer Form festgelegt wirken, nicht aber in ihrer Ausgestaltung. Auch sie tragen je eine Lichtscheibe, allerdings kleiner und nicht so strahlend gelb wie die der mittleren Gestalt; auch nicht oben, sondern ungefähr in der Mitte. Im Unterschied zur mittleren Lichtquelle sind sie durch zwei augenähnliche Gebilde nach rechts orientiert, als hielten sie Ausschau. Urbild und Abbild?

Als drittes Element prägen das Tuch drei durchhängende Linien. Sie verbinden optisch die drei säulenartigen Erscheinungen und wirken wie feine, auffangende Arme, welche die Ausstrahlung der mittleren Säule weitergeben. Andererseits vermitteln sie mit ihrem durchgehenden Bogen den Eindruck, heruntergelassen worden zu sein, um Halt zu geben und ergriffen zu werden.

Das vierte Element: eine Art Schnurvorhang, der vor dem violetten Tuch pfeilförmig bis zum Tabernakel herunterhängt. Er besteht aus nah aneinander hängenden Seilen mit in unregelmäßigen Abständen geknüpften Knoten. Der erdige Farbton dämpft und stört das strahlende Gelb, doch ist er unabweislich da seiend und dazugehörend wie die Stricke und Knoten in der Natur und im Menschenleben.

Über der trennenden Waagrechten mit den Seilen findet sich das fünfte Element. Es ist ein Feld mit geheimnisvollen Zeichen, die von der Anordnung her einer Überschrift ähnlich sind. Die Farben der Zeichen sind umgekehrt zu den 3 Lichtsäulen verwendet: die Flächen sind rot, der Rand gelb. In der Mitte von zwei waagrechten Balken werden drei dünne, leicht schräge Elemente mit einer dritten, erhöhten Waagrechten zu einer Einheit zusammengefasst. Die zentrale und erhabene Anordnung lässt in dieser Chiffre ein modern gestaltetes Symbol für die Wesenheit Gottes vermuten. Besteht nicht eine stilistische Nähe zur Hand Gottes in frühchristlichen Malereien, welche andeutet, dass Gott sich vom Himmel her den Menschen zuwendet und zu ihnen spricht? Zwei augenähnliche Zeichen unterstützen diese Abwärtsbewegung – korrespondierend mit den nach oben gerichteten ähnlichen Zeichen der beiden Lichtsäulen. Warten letztere auf diese von oben kommende Ausstrahlung, diese Begeisterung aus Licht, Wärme und Liebe?

Aus dem Beobachteten werden Parallelen zur Verklärung Jesu offensichtlich. „Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht.“ Und aus der Wolke rief eine Stimme den staunenden Jüngern zu: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören.“ (Mt 17,2.5)

Noch wird dieses Bild vom davor hängenden Schnurvorhang und seinen Knoten getrübt. Seine Bewegung von oben nach unten steht im Gegensatz zur aufstrebenden Bewegung, die aus den drei Vertikalen und ihren Lichtscheiben hervorgeht. Der Dialog zwischen den verschiedenen Materialien und Ebenen, der vordergründig und materiell die Verknotungen und Verstrickungen von uns Menschen zum Ausdruck bringt, hintergründig und geistig die Verheißung Gottes sichtbar macht, wird deutlich. Vision und Knoten sind Einladung, mit Blick auf Jesus und mit seiner Hilfe Verstrickungen mit inneren und äußeren Knoten zu lösen. Eine mit dem Fastentuch zusammenhängende Arbeit (Abb.)verhüllt das Kreuz bis auf die Hände des Gekreuzigten mit dem Gebet:

Christus hat keine Hände, nur unsere Hände,
um seine Arbeit heute zu tun.
Er hat keine Füße, nur unsere Füße,
um Menschen auf den Weg zu führen.
keine Lippen, nur unsere Lippen,
um Menschen von ihm zu erzählen.
Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe,
um Menschen auf seine Seite zu bringen.

Begegnungen mit Auferstandenen, neues Leben ist angesagt. Leben, das von Gott und seiner Liebe her geprägt ist. Symbolisch dargestellt durch die beiden äußeren Säulen, die unser so unterschiedlich geprägtes Leben darstellen, das durch die bogenförmigen Verbindungen mit der zentralen Gestalt, Symbol für den da seienden, unter uns gegenwärtigen Gott, genährt und Halt gebend gesichert wird.

Dem Licht entgegen …

Pilgern ist wieder in Mode gekommen, aus welchen Gründen auch immer. Hape Kerkelings Vorbild und sein unterhaltsamer Bericht „Ich bin dann mal weg“ können kaum der einzige Grund dafür sein.

Auf diesem Holzschnitt hat sich eine Gruppe auf den Weg gemacht. Die Pilger wirken anonym, sind uns abgewandt in ihren schwarzen Umhängen mit hochgezogenen Kapuzen. Jeder trägt einen langen Pilgerstab. Alle streben sie, leicht vornüber geneigt, einem gemeinsamen Ziel zu.

Warum sie wohl unterwegs sind? Sind sie vielleicht aus dem Alltagstrott aufgebrochen, haben sie Bekanntes hinter sich gelassen, um neue Erfahrungen zu machen – mit sich – mit ihren Mitmenschen – mit Gott? Suchen sie einen Ort, der Heil verspricht? Suchen sie Klarheit, Orientierung, ein lohnendes Ziel? Eine Pilgerreise wird – wenn sie gelingt – von einer äußeren Reise zu einem inneren Vorgang, zu einer Begegnung mit sich selbst.

Unmerklich hat der Künstler den Betrachter in diese stille Schar eingereiht und so berühren auch ihn diese Fragen nach dem Sinn und Ziel des Unterwegs-Seins. Denn ob wir uns Zeit nehmen oder nicht, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht – wir alle sind unter vielen anderen Menschen auf dem Weg, brauchen Orientierung und suchen ein lohnendes Ziel.

Mit der Pilgergruppe zusammen machen wir über den Rücken der vielen Vorläufer und Wegbereiter eine kreisrunde Lichtscheibe aus, die im dunkelroten Hintergrund eine Art Fenster oder gar einen Durchgang bildet. Kreisrund – also ohne Anfang und ohne Ende etwas Vollkommenes symbolisierend. Darauf streben sie zu, sichtlich erwartungsvoll. Sie ziehen uns geradezu mit. Was erwarten sie und was erwartet uns, wenn wir weiterhin mitgehen? Licht vor uns, also Erhellung und Ermunterung auf dem Weg, eine klare Sicht auf Wesentliches, Orientierung zu einem heilbringenden Ziel, für das sich die Mühe des Weges lohnt …

Gedanken, die uns gerade im Advent beschäftigen können. In der Vorbereitung zu dem Fest, in dem wir feiern, dass Gottes Licht in unsere Welt und in unser Leben gekommen ist.

Begegnung der anderen Art

Meeresbrandung, hohe Wellen, die am Strand auslaufen, sind auf dem Bild zu erkennen. Darüber gold-schwarze Silhouetten, vage Gestalten – eine Menschengruppe? Gesichter und Körperfragmente sind zu sehen, doch gleichen die Wesen mehr einer flüchtigen Erscheinung. Wie Wellenreiter kommen sie daher. Und die zwei langen Beine der mittleren Gestalt lassen in ihnen am Übergang von Wasser und Land auch Läufer sehen, Jogger, Strandläufer.

Wer kennt nicht diese faszinierende Erfahrung zwischen zwei Welten? Auf der einen Seite die festen und haltgebenden Begrenzungen des Landes, auf der anderen Seite die bewegte Weite des unergründlichen Meeres? Es ist ein Ort der Begegnung, ein Ort der besonderen Erfahrung, auch mit der Gravitation, der Anziehungskraft des Mondes. Da wird die Zeit in einem anderen als dem Tag-Nacht-Rhythmus spürbar. Wer am Strand auf diesem Berührungssaum der verschiedenen Kräfte spazieren gehen will, wird zwangsläufig zu einem Gezeitenläufer, zu jemandem, der auf die Gegebenheiten und ihre besonderen Zeiten achtet und diese Erkenntnis für sein Tun und Handeln einsetzt.

Dieser Deutung ist entgegenzusetzen, dass sich kein Fuß im Wasser befindet, dass kein klatschendes Aufspritzen einen Hinweis auf körperliche Wesen gibt. In goldener Farbe und luftiger Andeutung schweben sie vielmehr über dem Wasser, wie Geistwesen, denen durch den besonderen Ort etwas Mystisches anhaftet.

Dieser Ort ist nicht unbedeutend, treffen sie sich doch am Übergang von Wasser zu Luft, von Erde zum Himmel, vom Wasser zum Land. Ob die Elemente als Gleichnis ihrer Eigenschaften gedeutet werden dürfen? Unaufhörlich wird das Wasser von einer unermesslichen Kraft bewegt und ans Land getrieben. Ist nicht das furchteinflößende Tosen des Meeres, das rauschende Ausrollen der Wellen sogar aus dem Bild heraus zu hören? Gegenüber der uferlosen Weite des Meeres können die Gedanken unwillkürlich schweifen …

Goethe war auf einer seiner Italienreisen so tief beeindruckt von diesem Erlebnis, dass er daraufhin seinen “Gesang der Geister über den Wassern“ schrieb:

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muss es,
Ewig wechselnd …

Und das Gedicht endet mit den Worten: Seele des Menschen, wie gleichst Du dem Wasser!
Schicksal des Menschen, wie gleichst Du dem Wind!

Es kann aber auch sein, dass unsere Gedanken über diese natur-immanenten Vorstellungen hinaus zu einem Schöpfergott schweifen, der ebenso unfassbar groß, machtvoll und unendlich wie das Meer erscheint. Wäre da nicht die menschenähnliche Verkörperung dieser geistigen Wesen auf dem letzten Wellenkamm, würde er uns vielleicht ein abstrakter, ferner Gott bleiben. So aber erinnern sie an eine Gemeinschaft mit menschlichen und göttlichen Zügen gleichzeitig, deuten sie sanft die Menschwerdung Gottes und damit seine Nähe zu uns Menschen an.

Aus dem Urlaub kennen wir den Strand als Ort der Entspannung und der Erholung in dem Erleben des Zusammenspiels der verschiedenen Kräfte. Das Bild vertieft diese Kräfte durch spirituelle Andeutungen, wobei der Titel richtungsweisend unsere irdische Position anspricht: Wir leben auf der einen Erde, aber letztlich sind wir Grenzgänger zwischen zwei Welten. Wie Gezeitenläufer nehmen wir höhere Mächte wahr, die auch unser Leben zu einem kurzen Besuch mit dem Geschaffenen machen, zu einer flüchtigen Begegnung mit der festen Erde, wie sie das Wasser am Strand macht, bevor es wieder von einer geheimnisvollen Kraft ins unendliche Meer hinausgezogen wird.

Göttliche Zuwendung

Solche Bilder sind uns von Mandalas her bekannt. Man kann sie drehen wie man will, sie sind von allen Seiten gleich aufgebaut und haben einen klaren Mittelpunkt. Das ruhige grüne Passepartout, in den vier Ecken mit einem stilisierten Blumenmotiv gehalten, führt den Blick wie durch ein Fenster hindurch auf ein rotierendes Gebilde, das aus zwölf Händen und sie verbindenden Linien besteht.

Die Hände kommen von außen, aus dem blauen Hintergrund, und erinnern dadurch an frühchristliche Malereien, in denen Gott und seine Zuwendung zu den Menschen durch eine aus den Wolken ragende Hand dargestellt wurde. Hier wie dort ist die Handhaltung eine segnende. Hier sind die Umrisse der Hand zudem aus Gold: ein traditionelles Zeichen für Gottes Herrlichkeit, unterstrichen durch die goldgestreiften Ärmel eines roten Festgewandes. Gold kann für Macht und Herrschaft gesehen werden, das Rot für sorgende und bergende Liebe.

Gottes Hände rotieren geradezu um das Geschaffene. Sie sind unaufhörlich in Bewegung: segnend, schöpferisch, behütend. Ist das nicht wohltuend zu sehen, wie alles aus Gott Hervorgegangene auch von ihm umgeben ist und gehalten wird? Wir Menschen dürfen uns zusammen mit allem Geschaffenen in diesem Focus von Gottes Aufmerksamkeit und Handeln wissen.

Doch ist das unsere erlebte Realität ? Ist das nicht eher eine Wunschvorstellung? Persönliches Leid, Krankheit, Armut, Verständigungsschwierigkeiten unter Einzelnen, Völkern und Religionen, Naturkatastrophen und, und, und … Gibt es nicht genug Gründe, an Gottes Allmacht und Liebe zu zweifeln?

„Gott ist Vater, Gott ist gut, gut ist alles, was er tut“, wurde früher den Kindern mit auf den Lebensweg gegeben. Und dann ging das Leben weiter und überrollte diesen wohlgesetzten, gutgemeinten Kinderspruch, denn er widerspricht zunächst der Lebenserfahrung – wenn er nicht von Anfang an eingebettet ist in ein grünes Passepartout der Hoffnung und des Glaubens. Der Hoffnung, dass Einer eine Regie führt, die wir zwar meistens nicht verstehen; des Glaubens, dass es einen Plan gibt, den nur Gott kennt.

Der Künstler stellt uns diese Gedanken in dem fein gezeichneten Gespinst im Kreis der zwölf Hände vor Augen, das aus einer Vielzahl von geometrischen Formen besteht: wohltuenden Bogen und vielerlei eckigen und kantigen Fragmenten, die für sich allein gesehen sinnlos erscheinen. Doch zusammengefasst ergeben sie ein durchdachtes, harmonisches Gebilde von großer Schönheit.

Wenn es gelingt, diesen Plan zu erhoffen, kann diese Hoffnung zu einem „doppelten Boden“ im Leben führen oder zu einem Netz, das im Absturz hält und trägt. Rainer Maria Rilke hat das in seinem Herbstgedicht von den fallenden Blättern so ausgedrückt: „… und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält“. Das stärkt den Glauben und lässt die vielen sich kreuzenden Linien gar zu einem bergenden Gewölbe werden, voll unfassbarer Gnade und Fülle.

Feuer des Lebens

Drei Lichtgestalten bewegen sich, ja scheinen zu tanzen vor dem orangeroten Hintergrund. Ihre Körper sind von goldgelben Flammen umgeben, die sie brennen, glühen und wie Gold leuchten lassen. Dampfwölkchen deuten auf große Hitze und einen verzehrenden Verbrennungsvorgang hin. Dabei hebt sich die mittlere Gestalt durch eine größere Leuchtkraft und Unversehrtheit von den beiden vom Verfall Gezeichneten ab. Es scheinen auch seine Arme zu sein, welche wie ein Bildstrich die beiden ihm Zugewandten auch körperlich mit ihm verbinden. Erst durch seine horizontale Armstellung werden die auf Einzeltafeln dargestellten und dadurch voneinander getrennten Menschen miteinander verbunden zu einer Gemeinschaft.

Kopf-, Körper- und Beinhaltung deuten Zuneigung an, ein Miteinander. Es ist, also wolle der Künstler darauf hinweisen, dass sich menschliches Leben ganz für sich allein nicht entfalten kann, dass es auf Zusammenhalt, -arbeit und -leben angelegt ist.

Wie bereits erwähnt, steht der junge Mann in der Mitte als der Verbindende und Haltgebende in dieser Trias. Intensiv schaut er auf den Mann zu seiner Rechten, dessen Gesichtszüge ein fortgeschrittenes Alter verraten und dessen Glieder starke Spuren der Zersetzung aufweisen. Lange wird er nicht mehr stehen können. Von der Frau auf seiner Linken kann schwer etwas gesagt werden. Ihr Gesicht erscheint verhüllt, ihr Körper durch die zusammenhängenden Flächen jugendlicher. Von ihrer Haltung her steht sie im Einklang mit dem jungen Mann in der Mitte – beide Körper sind gleich gebogen, beide Köpfe gleich geneigt.

Vom Bildaufbau her den „Drei Grazien“ von Raffael (1504/05) nahestehend, lenkt der Künstler den Blick durch die Verfremdung und vor allem durch die Darstellung der einzelnen Personen über das Bekannte hinweg. Insbesondere die zentrale Gestalt lässt aufgrund der von gotischen Kreuzen her bekannten gebogene Körperhaltung und den Wundmalen an den Gekreuzigten denken. Ohne Kreuz und nicht erhöht – auf gleicher Ebene – schafft er als vom Licht Verwandelter und Auferstandener mit seinen ausgebreiteten Armen eine partnerschaftliche Verbundenheit, bei der die ihm zur Seite gegebenen Menschen gleichsam seine „Hände“ werden. Er lässt sie teilhaben an dem Licht und der Energie, die ihn durchströmen …

… damit auch sie immer mehr in das hineinverwandelt werden, was Jesus von Ewigkeit her ist und wofür er gestorben ist. Stellvertretend stehen sie für die ganze Menschheit. Wir alle sollen, von Jesu leidenschaftlichem Zeugnis angesteckt, immer mehr zu Söhnen und Töchtern Gottes werden, von materiell Verhafteten zu geistigen Menschen, die Jesu „Feuer“, seine Wahrheit und Liebe, durch unser Leben lichtvoll, verwandelnd und erneuernd in die Welt hineintragen. Jesus selbst wird uns dabei Mitte, Halt und feurig pulsierende Quelle sein.

Göttliche Gemeinschaft

Drei geometrische Formen sind in rotbrauner (blutroter) Farbe auf das Blatt gemalt worden. Alle drei Formen haben in etwa die gleiche Größe und scheinen mit dem gleichen breiten Pinsel in je einem Arbeitsgang sorgfältig aufgetragen zu sein. Zuerst das Viereck oder Quadrat, dann das gleichschenklige Dreieck, zuletzt – und dadurch für den Betrachter zuvorderst – der Kreis. Zusammen ergeben sie eine neue Formierung, erhalten sie eine zusätzliche Ausdruckskraft.

Jede der drei Formen besitzt mit der umschlossenen Innenfläche ein ausgeprägtes eigenes Zentrum. Dieses bildet gleichzeitig einen tragfähigen Sitz für einen Teil der anderen Form, seien es die unteren Ecken des Dreiecks, die durch die Zentren des Quadrates und des Kreises gehalten werden, sei es der Zwischenraum derselben im Dreieck.

Während Quadrat und Kreis partnerschaftlich nebeneinander angeordnet sind, ist das Dreieck als Zwischenform von links nach rechts wie von hinten nach vorne verbindend in sie eingeordnet.

Jede der drei Formen ist eine geometrische Grundform. Einfacher geht es nicht. Sie lassen sich nicht noch mehr reduzieren. Unverwechselbare Gestalt. Symbolhaft. Eigenständig.

Und doch sind sie zueinander und miteinander in Beziehung. Um Gemeinschaft zu werden, lassen sie nicht nur Nähe zu, sondern auch Überlagerungen und gestaltete Einheit.

Können so einfache geometrische Formen auf Gott hinweisen? Vermögen sie symbolisch von einem Gegenüber zu sprechen, das sich uns in dreigestaltiger Wesensart offenbart und uns als Vater, Sohn und Heiliger Geist begegnet? Können die abstrakten Grundformen den drei Seinsweisen von Gott zugeordnet werden?

Dadurch, dass Quadrat und Kreis partnerschaftlich nebeneinander stehen, können sie als Symbole für den Vater und den Sohn gedeutet werden. Das verbindende Dreieck weist auf den Heiligen Geist hin, der dem Glaubensbekenntnis nach aus dem Vater und dem Sohn hervorgegangen ist. Ob nun Kreis oder Quadrat den Vater bzw. den Sohn symbolisieren, hängt von der Lesart ab: Zum einen könnte der Kreis den Sohn darstellen, weil er uns am nächsten dargestellt ist. Durch ihn haben wir im Heiligen Geist Zugang zum Vater, der die Welt erschaffen hat und deshalb mit einem Quadrat versinnbildlicht werden kann, denn die vier Seiten entsprechen den vier Himmelsrichtungen und weisen auf das Weltall hin. Es könnte aber genauso gut umgekehrt sein. Der Kreis könnte, weil er keinen Anfang und kein Ende hat, für den Vater stehen, der von Ewigkeit her lebt und mit dem Sohn und dem Heiligen Geist zusammen Leben schafft. Das Quadrat wäre dann Symbol für den Sohn, weil dieser in Jesus Christus irdisch geworden ist: ein Mensch dieser Welt. Alles sind Versuche, die Unbegreiflichkeit Gottes durch Symbole in unsere Vorstellungskraft zu holen.

Erstaunlich, wie gut die abstrakten Formen den an sich genauso abstrakten Gottesbegriff zum Leben erwecken. Doch … können die Formen auch irdisch-menschlich gelesen werden? Die meisten von uns verbinden den Kreis, die runde Form, gefühlsmäßig mit der Frau, während das Viereck eher dem Mann zugeteilt wird. Und … Mann und Frau stehen doch im Idealfall wie Quadrat und Kreis gleichberechtigt nebeneinander und zueinander! Könnte dann nicht – erhöht und die beiden „Irdischen“ von Mitte zu Mitte verbindend – das Dreieck als Symbol für die göttliche Dreifaltigkeit gelesen werden, als transzendente, verbindende Ebene, aus der Liebe strömt: zueinander, über die Zweiergemeinschaft hinaus und zu Gott oder dem Nächsten?

Osterlicht

Frohe Ruhe strahlt dieses Bild aus. Liegt es am fast symmetrischen Aufbau oder an den weichen Farbtönen? Oder weil das weiße vertikale Band die verschiedenen Bildelemente durchquert und zusammenhält? Aber auch die schwarze waagrechte Form und das hellblaue Feld, beide im unteren Bereich des Bildes positioniert und durch die helle Vertikale wie an einem Pendel fest mit dem dunkelblauen Element am oberen Bildrand verbunden, tragen ihren Teil dazu bei. Zudem scheint das warme Gelb auf dem weißen Hintergrund zu schweben und vermittelt sonnige Leichtigkeit.

Aber andererseits prägt die dunkle Form das Bild an zentraler Stelle und die dunklen Schatten an den Rändern bilden einen düsteren Hintergrund für das Geschehen. Hier kommen Leid und Tod unübersehbar zur Sprache. Aber die sargähnliche Form ist aufgebrochen und kann den Verstorbenen nicht festhalten, die dunkle Vergangenheit ist verdrängt durch einen neuen Zeitraum, der von warmem Licht erfüllt ist.

Der Grund für diese alles verändernde Verwandlung muss in der breitbandigen Mittelachse liegen. Sie scheint aus dem souverän am oberen Bildrand schwebenden Element mit den drei hellen Kreuzen herauszufließen, um das in der Tiefe Ruhende zu hinterfangen und am unteren Bildrand in den schmalen weißen Saum mündend auch alles zu umfassen. Es ist, als wolle damit angedeutet werden, dass dieses von oben Kommende die tragende und letzte Wahrheit allen Geschehens ist – nicht das Leid und nicht der Schmerz, und auch nicht der Tod.

Göttliche Erscheinung

Schauen
Es gibt Bilder, die verleiten zum Schauen. Sie haben eine Ausstrahlung, die berührt. Sie haben eine Anziehungskraft, die den Besucher zum Betrachter werden lässt, der in der Begegnung mit dem Unbekannten versucht, seine verborgenen Tiefen auszuloten. Was fasziniert mich? Was spricht mich an? Wodurch entsteht die Spannung? – Annäherung findet statt. Denn oft sehen wir, ohne zu erkennen, oft nehmen wir etwas wahr, ohne es zu verstehen.

Im Bild von Helene B. Grossmann begegnen uns abstrakte Formen. Es sind keine Linien zu entdecken, die abgrenzen oder an greifbare Gegenstände denken lassen. Im Gegenteil, alle Farbflächen haben weiche, auslaufende Konturen. Sie erinnern an Wolkenbilder. Ist es das, was fasziniert? Diese schwebende Leichtigkeit der Komposition, die Blickführung zur geheimnisvollen Lichterscheinung in der Mitte?

Ordnen
Das Bild lässt einen symmetrischen Bildaufbau erkennen. Um die weiße Mitte gruppieren sich farbige Wolken, die nach unten immer dunkler werden. Am unteren Bildrand formen sie eine schwarz-blaue Erhebung, welche die Basis des Bildes und einen harten Kontrast zur Bildmitte bildet. Nach oben ist das Bild offen. Der Gegensatz zwischen den geraden Bildkanten und den sich zur Bildmitte hin auflösenden Formen trägt wesentlich dazu bei, dass der Blick zur Mitte geführt wird und dort verweilt. Ein Dutzend weißer Wolkenfetzen im Vordergrund verstärken den Eindruck einer himmlischen Vision.

Dennoch ist die irdische Welt nicht abwesend. Sie spiegelt sich in den Farben und der Komposition. Ocker und Braun verweisen auf Sand und Erde, das Blau unterhalb der Lichterscheinung auf das Meer und seine dunklen Tiefen, das obere Blau auf den Himmel und seine Weite. Mitten drin dieses weiße, geheimnisvolle Licht, das nach innen immer intensiver wird. In seiner äußeren Form ist es als Oval erkennbar, in seinem Wesen spricht es vom Unfassbaren.

Visionen von Gott
Das Bild und das Licht als eine Vision von Gott zu deuten, liegt nahe. Eines Gottes, „der in unzugänglichem Licht wohnt“ (Tim 6,16). Der nicht etwa außerhalb seiner Schöpfung gegenwärtig ist, wie man es dem Schöpfungsbericht (Gen 1,1-2,4a) entnehmen könnte, sondern als Ursprung, Erhalter und Endziel in seiner Mitte lebt, wie es Paulus im Brief an die Römer (11,36) formuliert: „Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung.“

Dieser Ansatz eröffnet vielfältige Zugänge (die hier leider nur angedeutet werden können) zu Situationen, in denen Gott den Menschen erschienen ist. In geschichtlicher Folge ermöglicht das Bild als erstes einen Zugang zum Exodus des Volkes Israel. Das helle Licht kann als Wolkensäule gedeutet werden, die den Israeliten beim Auszug aus Ägypten vorausging (Ex 13,21f) und sie sicher durch das Rote Meer führte (14,15-31). Durch diese Tat erfuhr Israel seinen Gott als nahen Gott und starken Retter (15,2), der kraftvoll in der Mitte seines Volkes gegenwärtig war (vgl. Jes 12,6).

Visionen von Jesus
Einen weiteren Ansatz bildet die Verklärung Jesu. „Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes und sein Gewand wurde leuchtend weiß. Und plötzlich redeten zwei Männer mit ihm. Es waren Mose und Elija; sie erschienen in strahlendem Licht und sprachen von seinem Ende, das sich in Jerusalem erfüllen sollte.“ (Lk 9,29-31) Ein erster Blick vermittelt vielleicht den Eindruck einer abstrakten, symbolischen Darstellung dieser Szene. Weitere Blicke lassen aber so viele Andeutungen erkennen, dass einzelne Elemente etwas Figürliches erhalten. Hat nicht die blau-schwarzen Basis eine bergähnliche Form? Können darin die von der Oberkante ausgehenden Aufhellungen (oder die darüber auf der Spitze stehende weiße Dreiecksform) nicht als gekreuzte Füße gesehen werden, welche den verklärten Leib tragen? Und bilden die von der Mitte aus seitlich abfallenden „Linien“ im oberen Abschluss der Erscheinung nicht so etwas wie die Schulterpartie und die Arme eines Menschen? Im Zenit dieser beiden „Linien“ können aus einem Wolkenfetzen zudem die Gesichtszüge eines nach rechts geneigten menschlichen Kopfes herausgelesen werden. Nase und Stirn sind hell, während die Haare, die Augenhöhlen, die Wangen und die Mundpartie im Dunkeln liegen. Dadurch ist eine menschliche Gestalt, die ganz in Licht getaucht ist, mehr wahrnehmbar als sichtbar angedeutet. – Die singuläre Gestalt lässt an der Richtigkeit der Annäherung zweifeln. Aber wenn in den beiden obersten Wolken links und rechts neben dem „Kopf“ genauso geheimnisvolle, büstenähnliche Erscheinungen von Mose und Elija gesehen werden können wie bei Jesus in der Mitte, so hätte diese Ansicht durchaus ihre Gültigkeit.

Die gleichsam auf den Wolken schwebende Gestalt lässt weiter an die Vision des Menschensohnes im Buch Daniel (7,13) denken, die von Jesus in seinen Reden vom Ende der Welt aufgegriffen wird: „… Danach wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen; dann werden alle Völker der Erde jammern und klagen und sie werden den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen.“ (Mt 24,30; vgl. 26,64) Schließlich taucht die Vision in der Offenbarung (1,7-8; 14,14-20) nochmals in der Ankündigung der Endzeit und des damit verbundenen Gerichts auf.

Zu guter Letzt vermag die lichte Erscheinung neben dem Kommen des Menschensohnes auch Jesu Heimgang zum Vater anzusprechen. In der angedeuteten Gestalt kann Jesus gesehen werden, der sich nach seiner Auferstehung ein letztes Mal den Jüngern gezeigt hatte. Noch während er sie segnete, wurde er „zum Himmel emporgehoben“ (Lk 24,36-53). In Anlehnung an die vielen von Offb 12,1 beeinflussten Mariendarstellungen ist die göttliche Erscheinung von einem Kranz heller Wolken umgeben. Sie funkeln nicht als Sterne, aber sie bilden als diskrete Lichterkette eine Art Heiligenschein, der die Herrlichkeit Gottes und seines aus Ihm hervorgegangenen und zu Ihm zurückgekehrten Sohnes hervorhebt.

Dieser Bild-Impuls wurde in der Ausgabe 3/2006 der Zeitschrift “das münster”, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft erstveröffentlicht.

Lebenspartner

Leicht wie ein von der Sonne durchleuchtetes Herbstblatt breiten sich die Farben über das Papier aus. Die über das ganze Blatt gehende gelbe Blatt-, Kelch- oder Ballonform ist in einer kleinen schwarzen Markierung am unteren Bildrand verankert. Von hier aus steigt die äußere Form auf der rechten Seite in einem klaren Halbrund nach oben, während die Umrisse auf der linken Seite verschwommen sind. Die Farben scheinen aus der Blattform auszulaufen, Offenheit, Bewegung und Kommunikation signalisierend.

Im oberen Bilddrittel sind lineare Strukturen auszumachen. In ihrer horizontalen Ausrichtung wie in ihrer auffallenden diagonalen Parallelität erinnern die Linien an Äste, die von einem stürmischen Wind in die gleiche Richtung gedrückt werden. Mit einem dieser Äste scheint das „Blatt“ – es könnte aber auch eine Frucht oder etwas ganz anderes sein – fest verbunden zu sein. Goldgelb leuchtet es zwischen vereinzelten dunklen Stellen, auf der einen Seite Reife und Schönheit vermittelnd, auf der anderen Seite auf die Vergänglichkeit alles Geschaffenen hinweisend. Die in das Bild eingemalte Stimmung bringt klar zum Ausdruck, dass diese beiden Komponenten nirgends so nahe beieinander zu finden sind wie im Herbst.

Wie ein Fremdkörper gegenüber diesen Impressionen hebt sich auf der linken Bildseite ein großes rotbraunes L von der übrigen Bildlandschaft ab. Mit seinen harten Konturen und seiner deckenden braunen Farbe springt es förmlich ins Auge. Im Gegensatz zu den fließenden Farben des Hintergrundes muss der Buchstabe aus einer monochromen Fläche ausgerissen und aufgeklebt worden sein. Erratisch steht das geometrische Zeichen da, nur begleitet und gleichsam getragen von einer mysteriösen schwarzen Schriftspur, die in ihrer Unverständlichkeit ebenso fremd anmutet.

Was das L wohl zu bedeuten hat? – Schwer zu sagen! – Es ist zuerst einmal ein isoliertes Zeichen, das in diesem fremden Kontext keinen Sinn ergibt. Es ist ein menschliches Zeichen, ein Ausdruck menschlicher Intelligenz. Allerdings scheint die Künstlerin den Bildtitel „EL“ vom gesprochenen Buchstaben abgeleitet zu haben, wodurch das L als Symbol für Gott gedeutet werden könnte (vgl. Gen 17,1: El Schaddai = Gott, der Allmächtige). – Geheimnisvolle Präsenz dessen, der alles geschaffen hat? Inmitten des schöpferischen Werdens und Vergehens der ganz Andere in abstrakter Fremdheit? – Wieso nicht! Der Buchstabe L könnte auch ein dezenter Hinweis auf Leben, Licht und Liebe sein! Drei göttliche Eigenschaften par excellence, die der Psalmist immer wieder wie im Psalm 36, Vers 6 und 10 besingt: „Herr, deine Güte [= Liebe] reicht, so weit der Himmel ist, deine Treue [= Liebe] reicht, so weit die Wolken ziehen. … Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht.“ (vgl. auch 1. Joh 4,16b: „Gott ist die Liebe …“)

So vermag das Bild im ungleichen Gegenüber von Buchstabe und fließenden Farben vom unaufhörlichen Dialog zwischen Gott und seiner Schöpfung zu erzählen. Durch Sein gesprochenes Wort wurde sie ins Leben gerufen und in Seiner unendlichen Liebe schenkt Er ihr durch alle blühenden und verwelkenden Lebensphasen hindurch eine unvergleichliche Schönheit und Würde.

Blick in den Himmel

Ein mit Licht erfüllter Kreis dominiert die Komposition dieses Aquarells. Er ist von einem schmalen grauen Ring eingefasst und zeigt sich wie eine Öffnung im blauen Hintergrund des Quadrates. Ein Blick in den Himmel? In seiner Mitte zwei schmale, aufgerichtete Rechtecke. Durch ihre organischen Ränder und die geneigten Formen erinnern sie auch ohne anatomische Details an Menschen, die sich nahe stehen, ja in ihrer Zuwendung einander zugeneigt sind.

Die größere Gestalt ist ganz im Rot des Blutes und des Lebens sowie der Liebe gehalten. Sie steht in sich selbst, kann sich der kleineren Gestalt zuneigen und ihr Halt geben. Denn diese schwach s-förmig geschwungene Figur besteht nur in der Anlehnung. Ihre grüne Farbe lässt an das Grün der Pflanzen und Bäume denken, die auf der Erde wachsen. Die wenigen Angaben genügen, um die beiden Rechtecke als Symbole für Gott und den Menschen deuten zu können – den Schöpfer des Lebens und der Liebe sowie sein aus Erde geschaffenes Abbild (Gen 1,27), das wie die Pflanzen wächst und vergeht (vgl. dazu Ps 90,5-6; 103,13-18).

Die beiden Gestalten erinnern in ihrer Beziehung an die Rückkehr des verlorenen Sohnes. Nach der langen Zeit in der Ferne findet er bei seinem Vater jene Barmherzigkeit und Geborgenheit wieder, die seinem Leben Halt und Sinn gibt (Lk 15,11-32). Beeindruckend hat der Künstler die Herzlichkeit und Innigkeit der Begegnung durch das Überlappen und ineinander Verschränken der beiden Farben und Formen dargestellt. Der Sohn taucht tief in die Wirklichkeit Gottes ein und Gott schenkt ihm trotz allem erlittenen Schmerz seine ungeteilte Liebe. Gestalterisch bringt der Künstler dies durch das „Ausbluten“ der roten Farbe in den grün-gelben Bereich hinein zur Sprache.

Die Betrachtung der beiden im Licht stehenden Gestalten und der Bildgeschichte vom verlorenen Sohn können den Wunsch aufkommen lassen, von Gott so herzlich umarmt zu werden wie der zurückgekehrte Sohn. Die Sehnsucht wird geweckt, sich mit allen Unsicherheiten und Ängsten bei Ihm anzulehnen und Zuneigung und Halt zu finden. Diese Grundhaltung des Gläubigen wird dann im Gespräch mit Gott nicht mehr viele Worte brauchen. Das ganze Vertrauen und die wissende Nähe Gottes floss bei Jesus in die familiär-zärtliche Anrede „Abba – lieber Vater“ hinein (Mk 14,36). Und er empfahl seinen Zuhörern mit den einfachen, von herzlicher Nähe und Barmherzigkeit geprägten Worten des „Vater unsers“ zu beten: „Vater unser im Himmel, … Gib uns unser tägliches Brot. Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. …“ (Mt 6,9-13).

Über den „Blick in den Himmel“ hinaus führt dieses Aquarell den Betrachter ins Gebet und an das Herz Gottes. Es lässt nicht nur mit den Augen die uns Menschen zugewandte Liebe Gottes sehen. Das Aquarell ermöglicht so dem Betrachter, die göttliche Liebe mit dem Herzen zu erfahren und sich gewissermaßen „im Himmel“ wiederzufinden.

Joachim Wanke, Andreas Felger, Gottesnähe – Vater unser, Präsenz Kunst & Buch, 2005, (Aquarelle und Zeichnungen von Andreas Felger, Betrachtungen von Bischof Dr. Joachim Wanke). Außerdem ist ein Leporello mit allen 14 Aquarellen und einer Betrachtung auf der Rückseite im Buchhandel erhältlich.

Hier auf der Website des Künstlers können Sie alle Bilder zum Vater unser online anschauen.

Konsum-Mandala

Wie eine Stadtlandschaft breitet sich dieses Kunstwerk auf dem Boden aus. Die einzelnen Teile der Installation stehen wie in verdichteter Bauweise ineinander verschachtelt da und bieten eine verwirrende Farben- und Formenvielfalt. Beim Nähertreten offenbart sich die idyllische Stadtlandschaft allerdings als eine Ansammlung von Konsumgegenständen, bzw. von deren Abbildungen.

Gesucht und zusammengetragen aus unzähligen Zeitschriften, Katalogen und Werbebroschüren wurden sie ausgeschnitten und auf Pappkarton aufgeklebt. Je zwei farblich gleiche Abbildungen dieser käuflich erwerbbaren Gegenstände wurden kreuzweise miteinander verbunden, um ihnen Stand zu verleihen. Die Rückseiten sind unbeklebt. Dadurch ergibt sich beim Umschreiten des Mandalas stets ein anderes Bild: Mal sind vor allem die hellen, einfarbigen Rückseiten zu sehen, dann nur eine Bildfläche, in der Diagonalansicht wiederum die erschlagende Fülle aller Gegenstände: Lebensmittel, Autos, Möbel, Elektronikgeräte, Spielsachen, Kleider, Kosmetika, Werkzeuge, Haushaltsgegenstände, Musikinstrumente, Kunstwerke, etc.

Geduld, Ausdauer und ein meditatives Schauen waren nötig, um die Abbildungen nach Farben zu ordnen. Um eine rechteckige grüne Mitte gruppieren sich in vier Kreissegmenten rote, blaue, gelbe und weiße Objekte. Danach folgt ein orange-brauner Bereich, der wie durch eine quadratische Mauer von schwarzen Gegenständen eingegrenzt ist. Anschließend bildet ein weiß-schwarzer Bereich den Übergang zu einem Kreis, dem konzentrisch weitere, je ein gelber, blauer und roter Kreis folgen. Den äußeren Abschluss bildet ein niedrig gehaltener schwarzer Kreis.

Der dreiteilige Aufbau strahlt etwas Sakrales, Heiliges aus. Die einmalige grüne Fläche in der Mitte des Mandalas lässt an das Paradies denken, in dem Gott Bäume wachsen ließ, die „verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten“ behangen waren (Gen 2,9). Im Mandala sind die Verlockungen unserer Zeit zur Betrachtung vereint worden. Die vielen Abbildungen, die normalerweise um die Gunst der Konsumenten werben, sie beeinflussen und zum Kauf verführen sollen, regen nun in der Konzentration dieses Mandalas zum Denken an.

Sinnigerweise bilden die kreuzförmigen Objekte der Abbildungen in dieser Stadtlandschaft nur Fassaden und leere Räume. Kein Mensch ist zu sehen. Die Konsumgegenstände sind das Wesentliche dieser Stadt geworden. Der Mensch, der sie geschaffen hat und dem sie eigentlich zu Diensten stehen sollten, ist durch die erschlagende Fülle verdrängt worden. Nicht mehr er steht im Mittelpunkt, sondern die Ware und der Gewinn, der sich damit erwirtschaften lässt. Insofern ist dieses Mandala ein Abbild unserer Welt, die zu einem alles beherrschenden Supermarkt verkommen ist, in dem nur das Geld zählt. Durch die Anhäufung dieser Gegenstände wird der Betrachter nach der Bedeutung dieser Produkte in seinem Leben gefragt. Vielleicht fühlt er sich mit ihnen paradiesisch wohl, vielleicht aber auch bedrängt. Für den einen mögen sie unverzichtbar und (über-)lebenswichtig sein, für den anderen ein belastendes und oftmals auch zerstörendes Übel.

Die alles beherrschende Konsumwelt stellt die Frage nach Gott. Worauf bauen wir unser Leben auf, an wen oder was binden wir uns? In den zehn Geboten sprach Gott zu seinem Volk: „Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott“ (Ex 20,5a).

Die aus Papierabbildungen und Karton gefertigte „Stadt“ legt eine Scheinwelt nahe, ein Blendwerk, das der Wirklichkeit entbehrt und ins Nichts führt (vgl. Jes 2,18; Jer 51,17). Trotz ihrer verführerisch glänzenden Darstellung suggeriert gerade ihr äußerst vergängliches Material, dass der Wert des angepriesenen Gegenstandes nicht von langer Dauer ist. Auch der Besitz noch so vieler käuflich erwerbbarer Gegenstände kann den Hunger nach wahren Werten wie Vertrauen, Liebe, Gerechtigkeit, Anerkennung u.a.m. nicht stillen. Im Gegenteil! Eine Enttäuschung nach der anderen spornt wie in einer Teufelsspirale den Kauf von weiteren Gegenständen an – immer in der Hoffnung, damit zufrieden und glücklich zu werden.

Von oben gesehen bilden die vielen Gegenstände dieser „Konsumwelt“ eine unüberschaubare Anzahl von Kreuzen. – Bildet unsere Konsumgesellschaft eine durch ihren Konsum sich gegenseitig kreuzigende, zerstörende Gesellschaft? Bei der die einen, wie es das Mandala anschaulich darstellt, in einer überbordenden Angebotsfülle ihre Wünsche und Ansprüche immer höher schrauben, während die Menschen auf der anderen Seite so leer ausgehen, dass sie nicht einmal ihre Grundbedürfnisse befriedigen können? Erschreckend!

Das Mandala wirft virulent die Frage auf, was in unserem Leben sinnstiftend ist. Wer oder was bildet unsere Welt? Welche Menschen oder Gegenstände sammeln wir, um mit ihnen unsere Lebenswelt zu gestalten und glücklich zu werden? Ist unsere „Welt“ noch eine lebenswerte Stadtlandschaft oder ist sie dabei, zu einer künstlichen, dem Leben entfremdeten „Satt-„ oder „Stattlandschaft“ zu verkommen?

Dieser Bild-Impuls wurde in der Ausgabe 2/2006 der Zeitschrift “das münster”, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft erstveröffentlicht.

Glauben

Geheimnisvoll verbirgt und offenbart diese mehrteilige Arbeit Wesentliches des christlichen Glaubens. Die Heiligkeit des einen dreieinigen Gottes ist aus der Anordnung und Farbgebung der einzelnen Teile herauszuspüren.

In ehrfurchtsvoller Distanz, fernab von allen an Menschen und die Schöpfung erinnernden Symbolen „schwebt“ zentral auf einem blauen Grund ein goldener Ring: Symbol für den einen ewigen Gott, seine Herrlichkeit, seine Liebe, seinen Bund mit den Menschen. Dieses Mittelfeld lebt durch die diagonale Schattierung, die an einen Nachthimmel denken lässt. So unbegreifbar Gott auch ist, dem Gläubigen offenbart er sich als naher Gott – und nicht nur in dunklen Zeiten – als sinnstiftendes und Orientierung gebendes Licht (vgl. Ps 23; Joh 8,12 u.a.).

Die Seitenflügel sind symmetrisch aufgebaut. Das untere Drittel bedecken abstrakte Formen, die mit pastoser Farbe aufgetragen worden sind. Sie vermitteln Chaos, Unruhe und geschäftiges Treiben und verweisen damit auf das vielgestaltige Leben auf der Erde. Über diesen bunten Andeutungen sehen wir eine feurig rote, ruhigere Fläche mit symbolischen Hinweisen.

Links ist eine Schale zu erkennen, in der ein Feuer brennt. „IGNIS – Feuer“ steht seitenverkehrt daneben, wie von hinten auf die Leinwand geschrieben. Darf es als Feuer des Glaubens gelesen werden, als Zeichen für den Glauben, der von den Gläubigen im Credo gemeinsam bezeugt und gleichsam über ihren Köpfen hoch und heilig gehalten wird?

Daneben ein Hinweis auf Lukas 10,22 oder / und 23: „… niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater, und niemand weiß, wer der Vater ist, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.’ Jesus wandte sich an die Jünger und sagte zu ihnen allein: ‚Selig sind die, deren Augen sehen, was ihr seht. Ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.’“ Die torähnliche Form ∏ darüber mag Jesu Wort in Erinnerung rufen, das er über sich gesagt hat: „Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden … und Weide finden.“ (Joh 10,9)

Unser Glaube basiert auf der Offenbarung durch Jesus Christus, der durch den Heiligen Geist Mensch geworden ist. Die Menschwerdung hat der Künstler auf dem rechten Seitenflügel in einem rosafarbenen „Lichtstrahl“ dargestellt, der nach unten immer stärker wird. In der oberen Hälfte wird er kaum wahrnehmbar durch einen schwachen Schriftzug gekreuzt und dadurch zum Kreuz. INCARNATUS ist von rechts nach links zu entziffern. Nur weil Gottes Sohn Mensch wurde und sich als solcher offenbarte, konnte er Anstoß erregen und gekreuzigt werden. Daran erinnern auch die beiden als Pendant zum Torbogen auf der linken Seiten stehenden Nägel.

Im Unterbau dieses „Flügelaltars“ verweisen sieben Fackeln auf die sieben goldenen Leuchter, die der Seher Johannes als Symbole für den Glauben der sieben Gemeinden in der heutigen Westtürkei sah (Offb 1,12 sowie die ermahnenden Worte an die Gemeinden in den Kapiteln 2-3). Sie brennen wie Kerzen vor dem Allerheiligsten – Seine einzigartige und heilige Gegenwart bezeugend. Diese Tafel ist vom Wort „EST – ist/sein“ geprägt. Es kann in Verbindung mit dem obigen INCARNATUS als INCARNATUS EST gelesen werden, betonend, dass er durch den Heiligen Geist in Maria Fleisch angenommen und Mensch geworden ist (Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine, et homo factus est).

Dieses EST kann aber ebenso auf uns und unseren Glauben bezogen werden. Erst wo der Glaube in uns Gestalt annimmt, Christus durch den Heiligen Geist in UNS Fleisch angenommen hat (Gal 2,20) und wir durch die lebendige Gottesbeziehung wahrhaftig Menschen geworden sind, gelangen wir doch zum wirklichen Sein und Leben. Die vielen X in den bunten Formen der Seitenflügel könnten ebenfalls dies bedeuten: Christi Menschwerdung vollendet sich dort, wo Menschen den christlichen Glauben annehmen und sich auf den einen dreifaltigen Gott taufen lassen. Christi Menschwerdung vollendet sich dort, wo Menschen aus dem Glauben heraus und in der Kraft des Heiligen Geistes wie Jesus Christus leben und handeln.

 > geschlossener Zustand

Den ganzen 5-teiligen Missa-Zyklus finden Sie im 57-seitigen Buch „Missa“ von Uwe Appold abgebildet (Juli 2005, ISBN 3761619731, Euro 15,-).

Kyrie Eleison

Vertikale Elemente prägen dieses in verschiedenen Grautönen gehaltene Bild. Da ist das schmalere, aber dunklere Feld auf der linken Seite, auf dem vier schwarze, parallel geführte Linien je ein helles Rechteck am oberen und am unteren Bildrand verbinden. An dicke Kabel erinnernd bringen diese dunklen festen Linien auf dem wärmeren Teil des Bildes einen ununterbrochenen Austausch zwischen oben und unten zum Ausdruck, dem durch die Festigkeit auch eine Sicherheit innewohnt.

Was für einen Kontrast bildet daneben die fragile Leiter in einem kühleren Farbraum. Durch die sieben horizontalen schwarzen Striche, welche an Leitersprossen denken lassen, werden auch hier Oben und Unten miteinander in Verbindung gebracht. Doch die dünnen Seile der Hängeleiter sind oben unterbrochen und scheinen herunterzufallen, auch unten links fehlt ein Stück. Gegenüber der gleichgestellten Beziehung auf der linken Seite wird hier betont, dass mit eigenen Mitteln der Aufstieg nach oben nicht möglich ist.

Noch weiter rechts ein drittes vertikales Element. Es hebt sich vom Hintergrund kaum ab, doch ist eine Bewegung von unten und von oben erkennbar, welche zu einer Begegnung im goldenen Schnitt führen kann. Im weißlichen Farbfeld ist ein bläuliches Quadrat so angeordnet, als würde es dem oberen Farbfeld entgegengehalten.

Abschließend sind feine Pinselspuren zu beobachten, die alle Grauschattierungen durchziehen und etwas vom Leben erahnen lassen, welches trotz der Farblosigkeit in dieser vertikalen Beziehung pulsiert.

Ob wir das Bild ohne den Hinweis des Künstlers mit dem „Kyrie eleison“ in der Liturgie in Verbindung gebracht hätten? – Wohl kaum. Inspiriert von der geistlichen Musik, hat Johann P. Reuter, der als Chorsänger die Messen von vielen Komponisten mitgesungen hat, das Ordinarium der römischen Messgesänge – Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei und Benedictus – in ein abstraktes, ästhetisches Formenspiel übersetzt, in dem die Linien, Formen und Farben tiefgründig die spirituelle Botschaft des liturgischen Geschehens zum Ausdruck bringen.

„Kyrie eleison“ entstammt der griechischen Sprache und bedeutet „Herr, erbarme Dich“. Mit diesem Gesang rufen die Gläubigen ihren Herrn Jesus Christus an und preisen sein großherziges Erbarmen. Sie treten als vergängliche und mit Fehlern behaftete Menschen vor ihren Schöpfer und Heiland, ihre Schuld bekennend und gleichzeitig auf sein barmherziges Handeln hoffend. Voraussetzung ist eine Gottesbeziehung, die im Glauben, der Hoffnung und der Liebe lebt.

Diese verschiedenen Facetten der Kyrie-Akklamation können aus dem Bild herausgelesen werden. Links die starke und feste Glaubensbeziehung, in der auf vielerlei Weise kommuniziert und Geborgenheit erfahren wird. In der Bildmitte, eingedenk der schwachen menschlichen Voraussetzungen, der flehentliche Bittruf um Erbarmen und helfenden Beistand. Rechts das gnädige „Herunterbeugen“ Gottes zum reumütigen Beter (helles Rechteck), der im Symbol des blauen Quadrates sein Leben und die ganze Welt Gott hinhält, damit Er sie in seinem Erbarmen umfängt und zu neuem Leben erweckt.

Ganzer Missa-Zyklus

Websites des Künstlers:
www.johann-p-reuter.de
www.j-p-reuter.de

Gelobt sei mein Herr …

Um die neun Meter erheben sich die Fenster der gotischen Franziskanerkirche in Rothenburg ob der Tauber in die Höhe. Allein schon ihre Dimensionen erheben den Lobpreis der Gläubigen zu Gott. Mit dem Sonnengesang des Franziskus fügen sich die Fenster in diese Bewegung des Gebetes ein, es als Lobgesang aufnehmend und verstärkend. Dabei bleibt die Gestaltung mit den ruhigen Formen und den weiß-gelb-braunen Farbtönen zurückhaltend, um den Beter nicht abzulenken.

Im unteren Drittel geben drei dunklere Flächen der Fensterfront erdendes Gewicht. In der Mitte das Grab von Bruder leiblicher Tod, links der Herd von Bruder Feuer, rechts die waagrechten Schichten von Mutter Erde. Über die das Mittelfenster krönende Rosette fällt warmes gelbes Licht ein. Symbol und Ehrung von Schwester Sonne, die für Franziskus Gleichnis des erhabenen Gottes ist.

Zur Fenstermitte hin wird das gelbe Licht immer weißer und endet über dem Grab in einer mächtigen quadratischen Erscheinung. Weiß ist für Johannes Schreiter das Zentrum aller Farben und Synonym für Transzendenz, für Gott und vor allem für Jesus Christus, das Licht der Welt (Joh 1,4-5; 8,12). In dem dieses Licht groß über dem Grab aufleuchtet, kündet es von der göttlichen Kraft, die Toten zum Leben zu erwecken und – wie es das im Dunkeln des Grabes keimende Samenkorn verrät – zur Herrlichkeit Gottes zu führen.

Gleichzeitig zeigt die weiße Erscheinung in der Mitte des Sonnengesang-Fensters, dass Gott als Urheber des Lebens mitten in seiner Schöpfung gegenwärtig ist und sie erhaltend durchdringt, ja wie das breite weiße Band am Fuße des Fensters andeutet, auch trägt und verbindet.

Nur auf der Basis der göttlichen Liebe vermögen wir Menschen mit Franziskus den Lobgesang auf Gottes Werke anzustimmen. Der Künstler hat uns symbolisch in den gelben stimmgabelgleichen U-Formen auf diesem weißen Band dargestellt: In unserer Menschlichkeit geerdete, durch unsere Sehnsucht langgestreckte, mit unserem Durst nach Begegnung zutiefst offene Wesen. Im Mittelfenster ist die gleiche Form übergroß wiederzufinden, als wolle die Schöpfung mit gutem Beispiel vorangehen, Gott dort in sich aufzunehmen, wo wir am schwächsten und vergänglichsten sind, im Sterben und im Tod.

In den Seitenfenstern überall das Geflecht, welches das göttliche Licht durchscheinen lässt. Noch können wir Gott nur durch seine Spuren in der Schöpfung erkennen und von ihm in Bildern sprechen. Mit Bruder Feuer und Wind (Luft) zur Linken, und Schwester Wasser und Erde zur Rechten hat Johannes Schreiter die Urelemente der Schöpfung dargestellt. Sie singen Gottes Lob als Wärme spendende und verwandelnde Flammen, als der aus den Wolken hervorbrechende Sturm oder schlichtweg als der von oben kommende Atem Gottes, der Heilige Geist, der alles belebt. Sie preisen Gott als aus den dunklen Wolken heruntertropfende Wasserbäche, welche die Samen zum Keimen und Wachsen bringen, als verheißungsvolles Erdreich, in dem die Pflanzen tiefe Wurzeln schlagen können, um dann an der Oberfläche reiche Frucht zu bringen.

Auffallend ist, dass alle Elemente nur angedeutet sind. Sie sind in ihrer Sanftheit dargestellt, als den Menschen zu Diensten stehende, wohldosierte, nicht zerstörende Kräfte. Gleichzeitig kommt damit aber auch ihre Zerbrechlichkeit und Anfälligkeit zum Ausdruck. Wie der heilige Franziskus schon treffend zum Ausdruck brachte, sind alle Geschöpfe unsere Schwestern und Brüder, haben wir für Feuer, Luft, Wasser und Erde Sorge zu tragen, stehen wir in einer Mitverantwortung wie für unsere eigenen Geschwister!

 

Du höchster, mächtigster, guter Herr, Dir sind die Lieder des Lobes,
Ruhm und Ehre und jeglicher Dank geweiht; Dir nur gebühren sie,
Höchster, und keiner der Menschen ist würdig, Dich nur zu nennen.

Gelobt seist Du, Herr, mit allen Wesen, die Du geschaffen,
der edlen Herrin vor allem, Schwester Sonne,
die uns den Tag heraufführt und Licht mit ihren Strahlen,
die Schöne, spendet; gar prächtig in mächtigem Glanze:
Dein Gleichnis ist sie, Erhabener.

Gelobt seist Du, Herr,
durch Bruder Mond und die Sterne.
Durch Dich sie funkeln am Himmelsbogen
und leuchten köstlich und schön.

Gelobt seist Du, Herr,
durch Bruder Wind und Luft
und Wolke und Wetter,
die sanft oder streng, nach Deinem Willen,
die Wesen leiten, die durch Dich sind.

Gelobt seist Du, Herr,
durch Schwester Quelle:
Wie ist sie nütze in ihrer Demut,
wie köstlich und keusch!

Gelobt seist Du, Herr,
durch Bruder Feuer,
durch den Du zur Nacht uns leuchtest.
Schön und freundlich ist er am wohligen Herde,
mächtig als lodernden Brand.

Gelobt seist Du, Herr,
durch unsere Schwester, die Mutter Erde,
die gütig und stark uns trägt
und mancherlei Frucht uns bietet
mit farbigen Blumen und Matte.

Gelobt seist Du, Herr,
durch die, so vergeben um Deiner Liebe willen
Pein und Trübsal geduldig tragen.
Selig, die’s überwinden im Frieden:
Du, Höchster, wirst sie belohnen.

Gelobt seist Du, Herr,
durch unsern Bruder, den leiblichen Tod;
ihm kann kein lebender Mensch entrinnen.
Wehe denen, die sterben in schweren Sünden!

Selig, die er in Deinem heiligsten Willen findet!
Denn Sie versehrt nicht der zweite Tod.
Lobet und preiset den Herrn!
Danket und dient Ihm in großer Demut!

Thron Gottes

Gelb, Weiß und Rot geben diesem mehr oder weniger symmetrisch aufgebauten Aquarell den farblichen Ausdruck. Im unteren Drittel bildet ein dunkles Rot die Basis des Bildes. In seiner Mitte führen hellere Rechtecke wie Stufen oder ein Teppich zu einem sesselartigen hellen Gebilde, dessen „Armlehnen“ den Bildrand berühren. Darüber die durch ein dunkleres Gelb vom Hintergrund abgesetzte Rückenlehne dieses ungewöhnlichen Sitzes.

Den oberen Abschluss bildet ein horizontales Band, das mit freien Handbewegungen rot und blau dekoriert worden ist. Es könnte der Baldachin sein, der diesen königlichen Thron überdacht. An seiner Unterkante bricht ein nach unten zeigendes lichtes Dreieck mit den sonst rechteckigen Formen. Es weist mit seiner Spitze auf den leeren Sitz.

Wer regiert von hier aus? Wer sitzt auf diesem Thron? Die gelben Farben deuten auf eine Lichtgestalt hin, die über der Erde herrscht. Denn die leicht gewölbte dunkelrote Basis könnte ein Ausschnitt der Erdkugel sein, deren Rot auf das Leben und die gelebte wie die  verletzte Liebe hinweist. Der Thron würde dann gewissermaßen überdimensional auf der Erde stehen, wie Jesaja den Herrn sagen hört: „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße“ (Jes 66,1).

Der Himmel ist vom Glanz der göttlichen Herrlichkeit erfüllt (Ps 113,4). Alles ist Licht, nicht nur um den Thron herum, sondern auch innerhalb des Throns. Es ist, als weise das Dreieck auf dieses hellste Rechteck hin, das in seiner Verlängerung bis an den unteren Bildrand reicht. Ich höre die Stimme Gottes auf dem Berg der Verklärung zu den Jüngern sagen: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“ (Mt 17,5).

In frühchristlichen Darstellungen des Thrones Gottes in Rom (4. Jh.) ist anstelle eines herrschenden Jesus die Heilige Schrift auf die Sitzfläche gestellt. Gott und auch Jesus sprechen zu uns durch das Wort, das uns in der Bibel überliefert und durch den Heiligen Geist eingegeben wird. Das hellgelbe Rechteck auf dem Thron mit dem schwach erkennbaren roten Kreuz in seiner Mitte könnte als Buch gedeutet werden, dessen Wort den suchenden Menschen erleuchtet und Licht auf seinem Weg ist (Ps 119,105). Das Rechteck hat für mich aber auch etwas von einem Tabernakel, in dem der Leib Christi aufbewahrt wird.

Ob Heilige Schrift oder Tabernakel, sie weisen auf den Herrn des Lebens hin, der sich uns unermüdlich in seinem Wort wie in seinem Leib schenken will. Was auf dem Bild als Thron dargestellt ist, das sollen wir selber sein: Ehrwürdiger, kostbarer Träger und Bewahrer des Allerheiligsten. Beim Kommunionempfang sollen unsere Hände ein Thron sein, im Alltag soll unser Leib Thron der göttlichen Weisheit sein, so wie Maria in der Kunst oft als Sedes sapientiae dargestellt wird. Durch sein Wort sollen wir so transparent sein, dass ER durch unser Leben hindurch für alle Menschen sichtbar wird.