Pulsierendes Leben

Ein leuchtendes Rot, das wie bei der Mikrofotografie durch den Mutterbauch von feinen Äderungen durchzogen ist und das den Augen verborgene Leben sichtbar macht. Leben, das aus der Liebe entstanden ist und von ihr gehalten wird.

Dieses Rot ist durch und durch lebendig, pulsierend vom Kreuz-Zentrum aus in die Höhe und die Tiefe, und ganz besonders nach links und rechts in die Breite. Seine Arme sprengen die Grenzen der „quadratischen“ Form, gehen bis zum Bildrand und scheinen darüber hinaus den Betrachter umarmen zu wollen.

Diese warmen und lichtvollen Rottöne in der Form eines Kreuzes – oder vielmehr einer Menschenbrust mit ausgebreiteten Armen – führen mich zur unermesslichen Liebe Gottes. Sie lassen mich Geborgenheit erfahren, seine göttliche, Leben schaffende Liebe spüren.

Ein Raum der Liebe tut sich mir auf, erfüllt von glühender Leidenschaft, wie in einem Schmelzofen unaufhörlich Neues schaffend. In diesen Rottönen finde ich den Anfang und das Ende des Lebens Jesu, in ihnen fließt das helle Blut des Lebens, das von seinem Herzen durch die Adern seines mystischen Leibes, der Kirche, fließt.

Geboren von der Jungfrau Maria, breitet sich – wie die Kreuzapplikation auf dem Bild – seine „Blutspur“ über die Erde, sühnend und sie mit seinem Wort, seinem Fleisch und Blut tränkend zu neuem Leben erweckend. Es ist keine Spur des Leids oder der Gewalt, sondern eine Spur glühender mütterlicher und väterlicher Barmherzigkeit und Liebe.

Und der Fisch? Ist er nicht etwas fremd auf diesem Bild, ganz ohne Wasser? – Aber vielleicht soll er störend sein, damit wir besser hinschauen und uns mehr überlegen …

In der christlichen Ikonographie ist der Fisch ein Symbol für Jesus Christus. Er ist ganz „Gottes eingeborener Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, eines Wesens mit dem Vater“ und gleichzeitig ganz der Sohn Mariens, weil er „für uns Menschen und zu unserem Heil“ ihr „Fleisch angenommen hat durch den Heiligen Geist und Mensch geworden ist“ (vgl. Großes Glaubensbekenntnis).

Das Bild von Thalia Uehlein führt uns so gesehen zum Geheimnis des „Immanuel“ – dem „Gott mit uns“. Sie erinnert uns an das Geschenk des Lebens aus dem Zusammenwirken der göttlichen und menschlichen Liebe. Sie erinnert uns darüber hinaus an die Kostbarkeit des Blutes – so wichtig wie das Licht, das in ihm aufleuchtet, oder das Wasser, in dem der Fisch schwimmt.

Namenlos?

Die Kunstwerke mit dem Hinweis o. T. machen mich immer etwas ratlos. Worum ging es dem Künstler, wenn er dem Kunstwerk keinen Titel geben kann? Bei einem solchen Bild ohne Namen kommt es mir vor, als hätte der Künstler seine urmenschliche Aufgabe, seiner Umwelt Namen zu geben (vgl. Gen 2,20) nicht wahrgenommen.

Und dennoch hat er etwas zum Ausdruck gebracht, was ihn bewegt hat. Vielleicht wollte er, ähnlich wie Gott, als Schöpfer eines Werkes uns Betrachtern die Aufgabe nicht wegnehmen, dem Bild einen ganz persönlichen Titel, bzw. Namen zu geben. „o. T.“ verhindert demzufolge, dass nachfolgende Betrachter sich keine Gedanken mehr machen und das Bild einfach mit dem Lesen des Namens und einem bestätigenden Vergleich abhaken. Sind nicht wir Menschen und alle Geschöpfe Gottes solche Kunstwerke „o.T.“, die vom Betrachter entdeckt werden wollen?

Da sind Lichtdurchbrüche im schwarzen wie im dunkelgelben Feld, die das Bild in der ganzen Höhe queren. Der linke Spalt führt durch die Verengungen am Bildrand und das Licht im Bildinnern wie durch eine Schlucht in die Tiefe. Beim rechten Lichtdurchbruch scheint das Licht von oben zu kommen, von außerhalb des Bildes. Es fließt in die Farbe hinein und sammelt sich unten wieder, eine Leuchtspur hinterlassend.

Das Bild lebt von diesen schmalen Verbindungen. Zu den Seitenrändern hin, wie haltgebend, zwei schwarze Streifen. Zwischen dem Gelb und dem Schwarz ein transparentes hellblaues Band, mit dem linken Lichtdurchbruch und einem kleineren Durchblick am unteren Bildrand korrespondierend. Bis auf die kleine gelbe Fläche ist alles in der Vertikalen gemalt, lebt alles von dieser senkrechten Verbindung zwischen Oben und Unten und Unten und Oben. Und in dieser Beziehung wird Tiefe geschenkt.

Mir kommt es vor, als stünden all diese senkrechten Streifen, Spalten, Bänder und Flächen für unsere Beziehung zu Gott. Und weil diese Beziehung da ist, mal als undurchdringliche schwarze Wand des Unverständnisses und der Verlassenheit, mal als schmaler Lichtspalt der Hoffnung, mal als goldenes Tor, das sich dem Glück öffnet …, erhält unser Leben Tiefe und Sinn.

Weil dieses Bild ein Bild meines Lebens sein könnte, wie es gerade aus der Beziehung mit Gott lebt, wäre jede Bezeichnung dafür unzulänglich. Ist nicht das Leben an sich und erst recht die Beziehung zu Gott so wunderbar, dass einem die Worte fehlen und man nur noch staunen kann?

Ewiger Schöpfungstag

Eine große Stille schwebt über dem ganz in Blautönen gemalten Bild. Hier wird uns in mystischer Sprache ein Geschehen offenbart, das in geheimnisvoller Entfernung liegt. Durch die blaue Farbe spricht alles von Gott und dem Wirken seines Geistes. „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde … und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.“ (Gen 1,1-2) Ehrfurchtsvoll schafft der Künstler durch die schlichte symbolische Farb- und Formenwahl einen visuellen Andachtsraum.

Dominiert wird das Bild in der Mitte durch eine Senkrechte, die das Oben mit dem Unten verbindet. Oben wird in drei waagrechten Schichtungen wolkenartig der Himmel angedeutet, symbolisch aber die Dreifaltigkeit dargestellt, die sich in ihrer „Mitte“ lichtvoll entfaltet. Dem gegenüber liegt unten ein breites waagrechtes Element, das zum Betrachter hin dunkler wird und ehrfurchtsvollen Abstand zum gewaltigen Geschehen der Schöpfung schafft. Es kommt mir vor, als wolle der Künstler damit unsere Rolle als Zuschauer unterstreichen, in der wir eigentlich nur mit dem Psalmisten staunend beten können:

„Herr, mein Gott, überaus groß bist du!
Du bist mit Hoheit und Pracht bekleidet.
Du hüllst dich in Licht wie in einen Mantel,
du spannst den Himmel aus gleich einem Zelt. …
Du hast die Erde auf Pfeiler gegründet;
in alle Ewigkeit wird sie nicht wanken.
Einst hat die Urflut sie bedeckt wie ein Kleid,
die Wasser standen über den Bergen.
Sie wichen vor deinem Drohen zurück,
sie flohen vor der Stimme deines Donners.
Sie stiegen die Berge hinauf
sie flossen hinab in die Täler,
an den Ort, den du für sie bestimmt hast.“

(Ps 104,1-2.5-8)

Genau dies wird uns im Mittelfeld offenbart, der Blick auf das göttliche Wirken ist frei. Wir sehen den Himmel geöffnet, Gott in seiner lichten Dreiecksform der Erde zugeneigt. Gott gießt sich aus der Fülle seines Wesens aus (Jes 55,10-11), teilt sich uns mit. Gleichsam als Antwort hat der Künstler auf Gottes Mitteilung die ansteigenden Hügel und das sich dadurch bildende Tal gestaltet. Ebenbildlich, stellvertretend für alles Geschaffene auf Erden. Denn wie auf den Bergen spiegelt sich das weiße göttliche Licht – seine „Unterschrift“ – auf allen Kreaturen, nicht zuletzt in uns Menschen.

Der brennende Dornbusch

Wie Moses vom brennenden Dornbusch fasziniert war und sich ihm näherte, so fordert diese außergewöhnliche Gotteserscheinung immer wieder neu Künstler zu ihrer Darstellung heraus. Auf seine ihm eigene Weise hat sich ihr Helmut Kästl zugewandt. Da ist kein loderndes Feuer zu sehen und der Dornbusch lässt sich aus den wenigen dürren Zweigen mehr erahnen als sehen. Dafür steht eine feuerrote Scheibe im Vordergrund, gleichsam auf einer Bühne, wo gerade die Vorhänge für den Beginn der Aufführung zurückgezogen werden.

Ein starker Auftritt wird da dem interessierten Betrachter offenbart, der sich wie Moses diesem Dornbusch nähert. Gott erscheint einem Menschen mitten im Leben, als er gerade in der Steppe seine Schafe hütet. Weil es wesentlich um die Gotteserscheinung geht, hat der Künstler den Dornbusch in eine feurig rote Kreisform gestellt, dem Symbol für die Unendlichkeit und Fülle Gottes. Der bewegte Pinselstrich lässt mich die Glut der göttlichen Liebe spüren – und ihre Anziehungskraft. In ihrem Schein errötet die Erde, nimmt sie die Farbe desjenigen an, der „da ist“ (Ex 3,14), mitten unter uns gegenwärtig. In der gleichen Farbe leuchtet der Himmel, der die Dreifaltigkeit symbolisierend in drei waagrechte Schichten mit angedeuteter Mitte aufgeteilt ist. Und in gleicher Weise will das göttliche Licht auch uns erleuchten.

Die Begegnung mit diesem Bild will uns nicht indifferent lassen. In dieser Darstellung öffnet sich Gott uns, von leidenschaftlicher Liebe erfüllt. Wie damals liebt Gott sein Volk und hört er, wie die Menschen um Hilfe schreien. Ich kenne sein Leid. Ich bin herabgestiegen, um es der Hand der Ägypter zu entreissen …“ (3,7c-8a)

Das Bild kann uns sagen, dass Gott zu uns Menschen gekommen ist, um uns wie Moses in seine Nähe zu rufen und uns eine ganz persönliche Aufgabe anzuvertrauen zur Linderung der vielen Leiden und Unfreiheiten. Voraussetzung ist eine gegenbildliche Offenheit zur Offenheit Gottes, die ein Hören mit dem Herzen ermöglicht. Vielleicht geht es uns dann ähnlich wie Moses und wenden ein: Ich? Wer bin ich denn! Wie kann ich das machen? Doch Gott wird auch uns antworten: „Ich bin mit dir.“ (3,12)

Könnte nicht die feuerrote Scheibe mit dem Dornbusch darin als Bild dafür stehen?

Sind wir nicht wie der vergängliche Dornbusch, der von Gottes liebender Gegenwart umgeben und getragen wird, ohne uns zu verzehren?