Fließendes Licht

Unaufhaltsam kommt das Licht von weit hinten. Wie der Blick eines Auges flutet es aus einem Jenseits in das Diesseits hinein, aus der ungeschaffenen in die geschaffene Welt. Vom weißen Zentrum dehnt sich das Licht im Raum aus, sich gelb materialisierend, orange feurig sich entfaltend, um sich dann in warmem Rot über einen imaginären Rand zu ergießen.

Als Betrachter ist man geneigt, das Bild als eine Vision des ewigen Lichts zu sehen. Die Mystikerin Mechthild von Magdeburg (13. Jh.) sagte in ihrem Buch „Das fließende Licht der Gottheit“ zu Gott: „Du bist das Leuchtende in allem Licht.“

Michael Lesehr hat eine mystische Lichtschau (Lightshow) geschaffen, die Mechthilds Aussage sehr nahe steht. Das leicht aus der Bildmitte nach links verschobene Zentrum wirkt intensiv, konzentriert und kraftvoll. Es ist nicht groß oder vereinnahmend. Es lässt sich schauen ohne geblendet zu werden oder zu erblinden. Auch die warmen und gleichmäßig sich ausbreitenden Farben sind angenehm zu betrachten. Faszinierend ist zudem, dass das Bild trotz aller Einfachheit nicht langweilig wirkt.

Wie hat der Künstler es geschafft, das Licht so gleichmäßig fließen zu lassen, es von der Mitte unaufhörlich nach außen strömen zu lassen? Das Bild besteht aus unzählig vielen feinen, kurzen Linien, die strahlenförmig von der Mitte nach außen orientiert sind. Dadurch, dass auch zwischen den dunkleren Strichen hellere Striche gelegt sind, ergibt sich diese dynamische Bewegung nach außen. So vermag der Strahlenkranz von dem inneren Leuchten ausgehend immer neue Kreise zu ziehen. Ohne Unterlass.

Und wir können uns einüben in das Schauen des ewigen Lichts. Noch macht es den Eindruck, als sei es ein visueller Dialog durch das Loch in einer Wolkendecke, doch am jüngsten Tag werden wir ihn unverhüllt von Angesicht zu Angesicht sehen. Dann wird unser Schauen durch Gottes Schauen erwidert und wir werden hoffentlich die beglückende Erfahrung seiner Liebe, Güte und Barmherzigkeit machen.

Wo ist deine Mitte?

Was für eine Menschenfigur. Sie hat drei Beine und vier Arme, und mitten in der Brust gähnt ein riesiges Loch. Dort, wo sonst des Menschen Herz schlägt, ist einfach nichts. Man blickt durch ihn hindurch. Dieser Mann ist herzlos, er hat kein Herz mehr. Er hat sein Herz verloren oder es ist ihm genommen worden. Jedenfalls ist er sein Herz los, er hat seine Mitte verloren, auch wenn er scheinbar quicklebendig ist.

Dieser Mensch bewegt sich wie ein Roboter oder eine Marionette. Nicht aus eigener Initiative, sondern so wie es von ihm verlangt wird, hebt er seinen Arm zum Gruß, streckt ihn seitlich tastend aus oder hält beide Arme mit den offenen Handfläche nach unten, als wolle er sich von einer unsichtbaren Wand abstoßen. Ebenso vielsagend sind die Positionen seiner Beine. Neben einem kleinen Schritt (großes Bild), bei dem beide Füße am Boden sind, macht er mit dem linken Fuß auch einen großen Schritt. Militärisch steif erinnert er an den Stechschritt, was zusammen mit dem erhobenen Arm und der bräunlich-roten Farbe an die Zeit der Nationalsozialisten erinnert, die Herzlosigkeit und unbedingten Gehorsam forderten.

Unabhängig davon vermag der Mann auch eine Parabel für den modernen Menschen sein, der in sich ganz unterschiedliche Rollen zu vereinen hat. Dies gepaart mit dem Anspruch, vieles gleichzeitig machen zu können oder zu müssen, in einer Schnelligkeit und Perfektion, bei der es manchmal vorteilhaft wäre, mehrere Arme und Beine zu haben.

Der „Mann ohne Mitte“ stellt ganz offensichtlich die Frage: „Wo ist Dein Herz? Wo ist Deine Mitte?“ Und … nicht nur: „Was bewegt ihn? Was bewohnt diesen Menschen? Was belebt ihn?“, sondern auch: „Was bewegt mich? Was macht mein Leben aus, was gibt mir Kraft und Leben?“

Bei dem runden Loch ist man versucht zu denken: Wo nichts ist, kann nichts sein (Ansicht von vorn). – Aber der Freiraum ist kreisrund und kann damit eine unsichtbare Gegenwart andeuten, die ohne Anfang und Ende ist. Des Mannes Mitte ist somit transparent auf das Transzendente. Mit dieser unsichtbaren Präsenz wirkt der Mann wie eine Monstranz. Es kommt nun ganz darauf an, welcher Kraft er diesen Freiraum überlässt. „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“, sagt Jesus. (Mt 7,16) Es liegt an uns, was oder welche Kraft wir zulassen, in unserer Mitte zu wohnen, unsere Mitte zu bilden und damit unser Leben und Handeln entscheidend zu prägen.

In Frage gestellt

Blickfang des Bildes ist ein runder Gegenstand, der mit einer goldenen Folie verpackt ist. Nach rechts aufsteigend drücken drei Schnüre durch die Folie durch und geben dem Paket eine leicht diagonale Bewegung. In der Mitte lässt sich ein Knoten beobachten, der wie ein Bauchnabel in den Rundungen erscheint. Trotz der Verhüllung wirkt der Gegenstand wie ein Bild, das auf einem schwarzen Quader an der Wand lehnt. Davor liegt eine tote Taube auf dem rosaroten Boden.
Das Bild wirft mit seinen rätselhaften Objekten Fragen auf: Wieso ist der runde Gegenstand verschnürt und verhüllt? Was könnte die Bedeutung der goldenen Folie und des schwarzen Podests sein? Warum stellt der Künstler eine tote Taube dar?

Bei der Betrachtung von Kreis und totem Vogel fällt ihre Gegensätzlichkeit auf. In ihnen stehen sich symbolisch Unendlichkeit und Vergänglichkeit gegenüber. Auch wird der runde Gegenstand mit der Goldfolie als kostbar und schützenswert bezeichnet, während die Taube in ihrem grau-weißen Federkleid ungeschützt am Boden liegt. Der vollkommene Kreis ist zudem oben, die Taube unten platziert. Zwischen ihnen befindet sich ein altarähnlicher Aufbau, so dass sie sich nicht berühren können.

Das eingepackte Objekt lässt nach dem darunter Verhüllten fragen. Hält es das, was durch die vollkommene Kreisform und die glänzende Goldhülle angedeutet wird? Verweist es auf etwas oder jemand Erhabenen, das oder der kostbar und strahlend schön ist, ohne Anfang und ohne Ende? Soll es wenn möglich ein Symbol für den verborgenen Gott sein, von dem es im apokryphen Thomasevangelium (83) heißt: „und sein Bild ist verborgen durch sein Licht“? – Oder ist die Inszenierung nur Effekthascherei und nichts dahinter? Eine Art Konsumaltar? Der tote Vogel davor verstärkt die Unsicherheit im Umgang mit diesem Objekt. Auch hier ist das eine genauso möglich wie das andere. Der Vogel kann geopfert worden sein – es ist allerdings kein Blut zu sehen –, er kann aber auch versucht haben, das Göttliche zu sehen und hat es nicht überlebt (vgl. Ex 33,20; 1Tim 6,16), bzw. die Begegnung mit dem vermeintlich Göttlichen hat ihm kein Leben gegeben.

Eine ganz andere Sichtweise und Fragestellung ist die nach der Kommunikation. Hat sich „Gott“ versteckt, weil er nicht mehr mit uns kommunizieren will? Selbst die Taube als symbolische Übermittlerin seiner Botschaften liegt reglos darnieder. Hat er jeden Kontakt abgebrochen, weil er nichts mehr von uns wissen will? Oder ist es vielleicht gerade umgekehrt, dass wir Menschen nichts mehr von ihm wissen wollen, ihn an die Wand gestellt haben und jeglichen Kontakt mit ihm meiden, weil seine Worte unbequem sind?

Gott offenbart sich glücklicherweise nicht nur in von Menschenhand geschaffenen Objekten. Aber diese Objekte haben die Kraft, unseren Glauben, unsere Haltung und unser Verhalten in Frage zu stellen. Damit wir innehalten, uns besinnen und uns neu auf Ihn ausrichten, der unsichtbar in allem wirkt und mit Leben und Schönheit erfüllt.

Gesehen und geliebt

Das abstrakte Bild lädt ein, über die hellblauen Flächigen in den Randbereichen betreten zu werden. Denn in der Mitte befindet sich eine weiß-gelbe Lichtung, außen herum bandförmige Elemente, die diesen Bereich mal geordnet wie ein Zaun mal in chaotischem Durcheinander umgeben. Es ist nicht klar, ob diese Elemente eine schützende Funktion haben oder von der Lichtung selbst verursacht wurden. Nur von unten her scheint ein Zugang zu diesem zentralen Bereich möglich zu sein, der wie eine Öffnung auf eine andere, dahinter, darunter oder darüber liegende Wirklichkeit verweist.

Die verschiedenen Elemente bilden kraftvolle Kontraste zueinander. Auch die fünf dunkelblauen Flächen, die sich im Kreis um die weiß-gelbe Lichtung gruppieren, gehören dazu. Sie stehen lebendig miteinander im Dialog und bilden sowohl Bereiche spannungsvoller, ja fast explosiver Dynamik als auch Zonen der Ruhe und Entspannung.

Je länger man schaut, vermag man jedoch auch ein großes, formatfüllendes Auge zu entdecken, das nach rechts schaut. Das weiße Zentrum gibt dann die Linse wieder, die Bänder außen herum die Wimpern. Inmitten der hellblauen Farbe, die an einen klaren Himmel erinnert, entwickelt sich das Auge dann zu einem Himmelsauge, einer Öffnung im Himmel, aus der groß und aufmerksam in unsere geschaffene Welt hineingeschaut wird.

Diese Beobachtung eröffnet ganz neue Assoziationen. Dieses Gesehen-Werden bedeutet, dass ich nie allein bin. Da ist jemand, der mich sieht, im positiven Sinn ein Auge auf mich hat und über mich wacht. Wenn jemand so etwas macht, dann muss ich ihm oder ihr viel bedeuten, er oder sie mich sehr schätzen, gern haben oder lieben. Vom Himmel her gesehen zu werden bedeutet dann, dass Gott mich sieht. Er hat sein Auge auf mich geworfen, weil er mich liebt, weil ich ihm viel bedeute und in seinen Augen wertvoll bin. So wie er nach der Taufe Jesu zu allen gesagt hat: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.“ (Mt 3,17) Der Evangelist Lukas verwendet anstelle des Wortes „geliebter Sohn“ „auserwählter Sohn“ (Lk 9,35). Denn wer geliebt wird, ist auch auserwählt.

Die moderne Interpretation des Auges Gottes erinnert uns an die Gegenwart Gottes. In seiner Liebe zu mir ist er in meinen Beziehungskreis getreten, hat er sich mir genähert, sich meiner angenommen und mich mit Gnade beschenkt („begnadigt“). Er lässt „sein Angesicht über mir leuchten“ (vgl. Num 6,24-26), um mich zu beschützen und darauf zu achten, dass mir kein Unheil geschieht. Dass Gott mich auserwählt und ein Auge für mich hat, bedeutet auch, dass er für das richtige Verständnis und Urteilsvermögen für mich hat. Ich kann mich ihm anvertrauen, mich ihm ganz überlassen und ihn machen lassen. Denn er hat ein gutes Auge (und Herz) für mich.

Umgekehrt schenken sein gütiger Blick und seine Wahl mir Geborgenheit und Gewissheit, im Tode ihn zu schauen, ja in die Augen schauen zu dürfen und ihm für seine unendliche Liebe danken zu können. Die helle Lichtung im Hellblau des Bildes ist diesbezüglich ein Lichtblick, der hoffen lässt und Sehnsucht weckt.

Tanzender Stern

Von links oben fliegt dieser Stern in den Bildraum. Er zieht einen geflochtenen Schweif hinter sich her und scheint sich in seiner jetzigen Position aus seiner hellen Mitte gerade voll zu entfalten.

Dies einerseits durch das hellgelbe Licht, das sich über sieben Extremitäten strahlenförmig in alle Richtungen ausbreitet und darüber hinaus die dunkelblaue Nacht verklärt und in warmes Grün verwandelt. Andererseits sprüht der Stern durch die geschwungenen Linien und die feurig-warmen Flächen vor Energie. Sie bedecken ihn wie ein luftiges Kleid und tragen viel zu seiner tanzenden Erscheinung bei.

Fast meint man eine menschenähnliche Fantasiegestalt mit kurzen Beinen und Armen zu sehen, die zudem noch Flügel hat. Wie ein Quirl zwirbelt der Stern durch die Nacht. Doch in ihm ruht das Licht. Kreisrund und ohne wirkliche Begrenzung offenbart es sich als göttliche Gegenwart und Quelle. Der Stern – Lichtträger, Freudenbote, Lebensbringer – von Gott zu uns Menschen.

Prof. Dr. Dr. Ingrid Riedel erklärte in ihrer Ansprache anlässlich der Vernissage zur Ausstellung „LEBENsFARBEN“ (Kloster Hegne, 30.11.2014), dass die diagonale „dynamische Achse eine Bewegung vom Symbolraum des Väterlichen – links oben – zu dem des Mütterlichen hin – unten, mehr rechts – darstellen kann, wobei bei religiösen Themen diese Achse auch aus der Richtung der Transzendenz – der des väterlichen Gottes – her kommen kann. Von dort her käme also der tanzende Stern mit seinem wundersam geflochtenen Schweif aus Gelb, zartem Rot und Grün, eingeflogen in die Zone des Nahen, Konkreten, des Irdischen, des Hier und Jetzt, …“

Der Betrachter ist somit der Empfänger des Lichts, das der Stern in sich trägt. Er will es uns geben, damit wir wie er von innen her erleuchtet werden und selbst lebendige Lichter in den Dunkelheiten dieser Zeit werden. Frohe Lichtträger, vor Freude tanzende Lichtträger, voller Leben und voll ansteckender Energie.

So wie der Stern von Bethlehem. Die Weisen aus dem Osten haben ihn als besonderes Zeichen erkannt, sind ihm gefolgt und hatten dadurch das Glück, das „Licht der Welt“ (Joh 8,12) von Angesicht zu Angesicht schauen zu dürfen und von ihm durchdrungen und erfüllt (vgl. Mt 2,10) selbst zu einem Licht in seiner Welt zu werden.

Wenn Friedrich Nietzsche Zarathustra zu seinem Volk sagen ließ: „Ich sage euch: Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können, ..” (Also sprach Zarathustra), dann um unsere Sehnsucht zu ermutigen, über das Sichtbare dieser Welt hinauszuschauen und von dort her das Heil zu erwarten.

Verhüllen, um zu offenbaren

Der österreichische Künstler Arnulf Rainer ist bekannt für seine „Übermalungen“. Hier hat er zwei Drittel einer Kopie eines Bildes aus der Bibel des Königs Wenzel (Prag, um 1390) mit orangen und gelben Farben übermalt. Das ursprüngliche Bild zeigte Gott, der Moses in der Wüste zu sich gerufen hatte (Ex 3,1-11). Davon ist nur noch Moses zu sehen, wie er auf das Geheiß Gottes seine Schuhe auszieht (Detailbild), weil er heiligen Boden betritt. Warum übermalt Rainer Bilder? Warum hat er ein altes Motiv der biblischen Ikonografie mit breiten farbigen Pinselstrichen zugedeckt?

Er macht dies, um eine in seinem Werk wiederkehrende Idee auszudrücken, die man überall in seinen Arbeiten findet: Verbergen offenbart. Indem das Motiv ganz oder teilweise dem Blick entzogen wird, fügt der Künstler etwas Geheimnisvolles hinzu, und schafft er den Wunsch zu sehen. Rainers Handlung durch Verbergen zu verhüllen besitzt mindestens vier Dimensionen: eine künstlerische, anthropologische, biblische und theologische.

Die künstlerische Dimension: Rainer bedeckt seine Gegenstände nie ganz. Er lässt immer Stellen im Bild unbedeckt, was ihnen besondere Kraft gibt. Außerdem ist seine Übermalung meistens in kräftigen Farben, die einem alten Gemälde – das man es nicht mehr richtig anschaut, weil man es zu kennen glaubt – wieder Leben geben. Der Künstler zeigt damit, dass das Bild ein Kunstwerk ist, das zum Leben erwacht und kraftvoll genug ist, unsere alten Darstellungsweisen zu erschüttern.

Die anthropologische Dimension: Der Mensch will – wie es mit Thomas in der Bibel treffend zum Ausdruck gebracht wird – sehen. Er will alles sehen, sogar das, was unsichtbar ist, sogar Gott. Der Mensch hat Mühe das Geheimnis zu akzeptieren und zu lernen, dass das Unsichtbare in der Regel wichtiger ist als das Sichtbare. Indem Rainer überdeckt und versteckt, stellt er sich dieser menschlichen Tendenz entgegen. Seine Veränderung fordert uns heraus, damit wir lernen zu akzeptieren , nicht über das hinaus zu suchen, was uns gegeben ist zu sehen. Denn oft genug ist es so, dass wir, je mehr wir sehen, umso weniger glauben. Indem Rainer uns daran hindert, gibt er uns unsere wirkliche Menschlichkeit zurück.

Die biblische Dimension: Indem er den größeren Teil dieses alten Bildes übermalt, erweist sich Rainer als guter Exeget des biblischen Textes in Exodus 3,1-11. Die alte Buchillustration zeigt Gott mit einem menschlichen Gesicht, einem Heiligenschein und umgeben von Engeln. Aber der Gott, der Moses zu sich rief, ist in diesem biblischen Text ein Gott, der sich verhüllt. Er zeigt Moses sein Gesicht nicht und verweigert seinen Namen zu nennen. Er sagt nur: „Ich bin, der ich bin“. Wie im biblischen Text verbirgt Rainer Gott vor uns. Die farbige Malerei in Form von großen Feuerzungen verhüllt und offenbart gleichzeitig das Wesen von Gott und hat seine Präsenz im Bild, aber auch in unseren Herzen wieder aufflammen lässt.

Die theologische Dimension: Rainer illustriert hier nicht nur eine biblische Erzählung. Er stellt uns eine Art theologischen Kommentar zum Gott der Bibel zur Verfügung. Wenn er sich selbst offenbart, dann durch das Wort oder durch einfache Zeichen, die sein Geheimnis bewahren. In diesem Bild gehen die orangen Spuren, die man als Feuerzungen interpretiert, an einem gewissen Punkt auseinander und lassen einen flüchtigen Blick auf Gott zu (Detailbild), der über seine Präsenz unter uns spricht und uns gleichzeitig zurückweist, sich auf ein menschliches Wesen reduzieren zu lassen. Gott ist immer größer als wir. Gott ist immer anders als wir. Das will uns die Bibel in all ihren Erzählungen sagen. Das ist auch die Botschaft des österreichischen Malern Arnulf Rainer.

Dieser Beitrag wurde in englischer und niederländischer Sprache am 16. Februar 2014 auf der Website artway.eu erstveröffentlicht. Jérôme Cottin ist Professor für praktische Theologie an der protestantischen Fakultät in Straßburg und Verantwortlicher der Website www.protestantismeetimages.com.

Gott nahe zu sein ist mein Glück (Ps 73,28)

Biblischer Kontext
Wer diese wenigen Worte auch formuliert hat, der muss eine tiefe Erkenntnis in seinem Leben gemacht haben. Sein Bekenntnis ist denn auch das Resultat vieler Beobachtungen, Überlegungen und Glaubenserfahrungen, die im Psalm zum Ausdruck kommen. Nach der Vorwegnahme des Ergebnisses bekennt der Beter gleich: „Ich aber – fast wären meine Füße gestrauchelt, beinahe wäre ich gefallen.“ (Vers 1) Aus den weiteren Versen geht hervor, dass er sich am mühelosen Glück und Reichtum der Gottlosen gestoßen hatte (V 4-12) und zu zweifeln begann, ob die Art und Weise, wie er seinen Glauben an Gott lebt, der richtige Weg ist. Er fragt sich: „Also hielt ich umsonst mein Herz rein und wusch meine Hände in Unschuld. Und doch war ich alle Tage geplagt und wurde jeden Morgen gezüchtigt.“ (V 13-14) Zuerst versuchte er das Problem im Alleingang durch Nachdenken zu lösen, doch erst im Heiligtum seines Gottes wurde ihm seine Situation offensichtlich. In der Zuwendung zu Gott kann er seine Erkenntnis nun als Gebet formulieren, sein Versagen („ich war töricht und ohne Verstand, war wie ein Stück Vieh vor dir“, V 22) als auch seine Entscheidung und sein Vertrauen („Ich aber bleibe immer bei dir, du hältst mich an meiner Rechten“ V 23) bekennen. Mit drei absoluten Aussagen bekräftigt er sein Vertrauen auf Gott. „Neben dir erfreut mich nichts auf der Erde. […] Gott ist der Fels meines Herzens und mein Anteil auf ewig. […] Gott nahe zu sein ist mein Glück.“ Mit dem dreifachen Bekenntnis gibt er seinem Vertrauen in Gott einen unumstößlichen, felsenfesten Charakter, wobei er in der dritten und finalen Aussage seine Glaubenserfahrung nochmals verdichtet. Mit „Gott nahe zu sein ist mein Glück“ bringt er seine wesentlichste Erkenntnis für sein Leben auf den Punkt und bezeugt sie öffentlich als Segen.

Literarische Betrachtungen
Die sieben Worte bilden dabei eine wunderbar symmetrische Komposition. Anfang und Ende des Satzes werden durch „Gott“ und „Glück“ gebildet, Synonyme für unfassbare und vollkommene Lebensfülle. Genau in der Mitte finden wir das Wort „sein“. Zwischen Gott und Glück ist das Sein, die Existenz, das Leben gut aufgehoben. Davor und danach die beiden Beziehungswörter „nahe“ und „mein“. Bei Gott zu bleiben, sich an ihm festzuhalten, ist das Beste, was der Mensch machen und ihm geschehen kann. Denn Gott ist die Quelle und die Erfüllung seines Lebens, ER ist eben sein Glück!

Gedanken zum Bild
Das Bekenntnis des Psalmisten hat Angelika Litzkendorf mit einer spannungsvollen Komposition aus Linien und Farben ins Bild gebracht. Die Grundlage bildet ein liegendes Kreuz aus breiten blauen Linien, das wie eine Krippe runden Formen Geborgenheit gibt. Nach rechts hin steigen aus dem Kreuz wogenartige Elemente hoch, die in ihrem Innenraum ein gelbes und ein rotes Licht über einer glutartigen Unterlage bergen. Die miteinander im Dialog stehenden Lichter befinden sich in der direkten Verlängerung zum gleichfarbigen Lichtbündel, das von oben links in die Bildfläche einbricht. Doch während die Farben von einem klaren Zusammenhang sprechen, lassen ihre Abgrenzungen auf unterschiedliche Lichtträger schließen. So darf das gradlinige große Licht mit den weichen Konturen als Symbol für den dreifaltigen Gott gedeutet werden, während die beiden intensiven Lichter mit klaren Konturen mehr für sein Geschöpf, den Menschen stehen.
Zusammen mit den runden blauen Formen entsteht der Eindruck eines großen Auges, in dessen Mitte die Farben und Formen des lichten Gegenübers aufleuchten. Gleichzeitig glaubt man in das Herz des Psalmisten schauen zu können und seinen Glaubenseifer zu spüren, seine Erkenntnis der lichten Güte Gottes, das Aufleuchten seiner entschiedenen Antwort auf Gottes Nähe zu sehen. Voll und ganz auf Gott ausgerichtet, kann er IHN in aller Freiheit schauen und von ihm angestrahlt und geliebt, gewissermaßen durchdrungen werden. Er hat nichts mehr zu befürchten: Gott nahe zu sein ist sein Glück. Anfechtungen mögen noch so bedrohlich über ihm schweben, er ist im Glauben unerschütterlich mit Gott verbunden.

In seiner Offenheit stellt die Komposition allen Betrachtern die Frage, wie ihr Glaube für Gott brennt. Ist uns das Suchen der Gottesnähe auch ein Bedürfnis? Ist uns das Verweilen und Sein in seiner Nähe ein derart unfassbares Glück, dass wir der Zweisamkeit mit IHM einen so großen Platz einräumen, dass sich daraus das ganze weitere Leben entfalten kann?

Diese Bild war zur Jahreslosung 2013 gemalt worden.

Kosmologisch

Runde und rechteckige Formen gestalten dieses in blau-grün-weißen Farbtönen gemalte Bild. Dabei stehen freie Elemente geometrischen gegenüber. Eine Symmetrie wird angedeutet und doch überall aufgebrochen. Mehrschichtig führt das Bild in die Tiefe, die angeschnittenen Elemente jedoch über den Bildrand hinaus in die Weite.

Zwei Welten berühren sich in den verschiedenen Formen. Von unten her erhebt sich im Symbol des Rechtecks die Erde bzw. das Irdisch-Materielle. Von oben her senkt sich in den runden Formen sanft das Unendliche, Göttliche in das Bild hinein.

Die Basis bilden zwei leicht nach links geneigte Rechtecke mit bewegtem Rand. Weiche Formen, in denen sich spiralförmige Abdrücke und gepunktete Spuren befinden, die an Fingerabdrücke erinnern, aber auch an entstehendes Leben. Neblige Goldspuren deuten die Kostbarkeit dieses Bereichs genauso an wie der minimale rote Farbtupfer seine Verletzlichkeit. Im breiten Riss, der die beiden Elemente voneinander trennt, kommt ihre frühere Einheit zur Sprache, vielmehr aber ihre jetzige Zerrissenheit und Trennung.

Im oberen Teil werden sie durch einen halbkreisförmige, weiße konzentrische Linien überlagert und klammerartig zusammengehalten. Diese wiederum werden nach oben gespiegelt und von dort auch nach links und nach rechts, so dass sich eine T-Form ergibt, die auf den beiden aufrecht stehenden Rechtecken aufliegt. Diese weiße Manifestation im Zwischenbereich des Bildes vereint in sich rechteckige wie runde Formen, irdische wie göttliche Elemente. Sie überhöht die rechteckigen unteren Formen, bildet gleichsam einen Altar. Zudem stellt sie einen Übergangsbereich dar, hinter und über dem sich verschiedene Kreisformen erheben.

Der mit lebendiger Linie ganz dargestellte Kreis scheint über dem altarähnlichen Tisch zu schweben. Rund wie ein Himmelskörper ist er doch von der Farbe her anders. Erinnerungen an eine Sonnenfinsternis mögen aufsteigen, auch die seltsamen Gefühle, die einen beschleichen, wenn sich der Mond vor die Sonne schiebt und es immer dunkler wird. Doch im weiß gefaßten Kreis finden sich die gleichen Farben wie außen herum. Allerdings sind sie in ihm anders vermischt, hier kommen sie klarer zum Ausdruck – das helle Blau außen, übergreifend, innen das dunklere, intensivere, geheimnisvollere Blau, das die hellen Lichtpunkte besser zur Geltung bringt. Das Firmament ist das Kleid von diesem Himmelskörper, der von oben her wie von einem Kometen besucht oder befruchtet wird. Zu beiden Seiten wird er von runden Linien flankiert und ein erstes Mal gehalten. Wirklich eingebettet ist dieser schwebende kleine Kreis in dem großen, das Bild weit übersteigenden Kreis, der sich an seiner Außenseite mit einer intensiven grünen Bewachsung zeigt und sich fest in das altarähnliche Tischblatt einsenkt – bleibende Gegenwart, bleibende Ver-Bund-enheit.

Eine Schalenform zeichnet sich ab, ein darbietendes Gefäß, über dem sich der weiß umrandete Kreis erhebt. Gedanken an die Eucharistie mögen aufsteigen, Erinnerungen an das eucharistische Hochgebet, das der Priester – während er Kelch und Hostienschale erhebt – mit den preisenden Worte abschließt: „Durch ihn und mit ihm und in ihm ist dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Herrlichkeit und Ehre jetzt und in Ewigkeit. Amen.“ Danksagung in ihrer reinsten Form für die Größe und die Schönheit der Schöpfung, für ihre Rettung, für ihre Vollendung durch Gott.

Augenkreuz, Augenblicke, Durchblicke

Aus vier quadratischen Bildtafeln schauen den Betrachter 16 Augen an. Als Lichtpunkte heben sie sich von den schwarzen Flächen ab, bzw. scheinen sie hinter ihnen zu leuchten. Wie durch Löcher schauen sie in den Kirchenraum hinein. Menschenaugen, aber immer nur eines, nie ein Augenpaar. Das irritiert. Es ist, als würden viele Leute hinter dieser Verkleidung ein Auge zukneifen, um mit dem anderen besser durch das Loch sehen zu können. Weit offene, wachsame Augen. Augen, die ruhig schauen, beobachten.

Zu wem sie wohl gehören mögen? Entfernt erinnern die vielen Augen an die Vision des Propheten Ezechiel, der den Thron Gottes von vier himmlischen Wesen (Cherubim) begleitet sah, die ringsum voller Augen waren (Ez 10,12). Andererseits erinnert die Darstellung von jeweils einem Auge an Abbildungen des einen Auges des einen Gottes. Es steht für die alle Geheimisse durchdringende Gegenwart Gottes. Stephan Balkenhol interpretiert es frei. Das Gegenüber bleibt im Wesentlichen verborgen, genauso wie das Kreuz hinter den vier Relieftafeln. Das Gegenüber, das alles zu sehen andeutet, gibt sich selbst bedeckt, maskiert. Aber die Augen signalisieren eine wachsame Präsenz.

Dabei stellt sich die Frage, ob es wirklich nur EIN Gegenüber ist. Die Überlagerung des Kreuzes durch vier Quadrate, die mit ihren Innenkanten einen kreuzförmigen Freiraum bilden, legt es nahe. Es sind irgendwie auch die Augen dessen, der am Kreuz gestorben ist und durch den Glauben der Menschen sich nun immer wieder neu in den Augen und deren Blicken zu erkennen gibt (“Augenkreuz” im Kontext des Altars).

Die Begegnung mit IHM muss und will gesucht werden. Die dem Kreuz vorgelagerte Arbeit weist darauf hin, dass Er – wenn auch verborgen – da ist und aus dem Geheimnis heraus uns sieht, schaut und liebt. Umgekehrt können auch wir ihn nur schauen, wenn wir durch das Vordergründige, durch das Sichtbare hindurchschauen, den Durchblick auf das Wesentliche der Dinge und Vorgänge suchen. Die profane Arbeit in der Kirche zeigt zudem, dass Gott nicht ausschließlich über religiöse Symbole „zu sehen ist“, sondern sich hinter / in allen Dingen der Welt versteckt, um sich dem zu offenbaren, der den Durchblick und damit „den Blick dahinter“ wagt.

In der Gesamtansicht der Kirche ergeben sich neue Perspektiven für das Kunstwerk. An zentraler Stelle der Chorwand wandelt sich die Arbeit zu einer Art Black Box. Visuell mögen vielleicht Analogien zum heiligen Stein (Kaaba) in Mekka aufsteigen, der von den Muslims als das Haus Gottes betrachtet wird, zu dem er alle einlädt. Parallelen zum christlichen Kirchenraum sind offensichtlich. Vom Wort „black box“ selbst sind auch Verbindungen zu einem Flugschreiber möglich, der alle Daten und Vorgänge in einem Flugzeug aufzeichnet und speichert. Im Zusammenhang mit den Augen könnte diese Funktion auch auf einen Gott übertragen werden, der alles sieht und erinnert. Das wäre allerdings eine verkürzte Sicht. Denn so verborgen sich Gott gibt, der Zugang zu ihm ist weder verschlossen noch unzugänglich. In der Arbeit zeigt sich das durch den kreuzförmigen Zwischenraum, der das große Würfelquadrat – ohne es auseinanderbrechen zu lassen – in vier kleinere Quadrate aufteilt und dadurch Ein- und Durchblicke auf Dahinterliegendes, auf Inneres ermöglicht. Das schwarze Quadrat  weckt die Neugierde des Betrachters und gibt Blicke in sein Innerstes frei. Da hier der Gekreuzigte zu sehen ist, Gottes geliebter Sohn, der sein Leben für unseres hingegeben hat, liegt die Deutung nahe, im „Augenkreuz“ von Stephan Balkenhol ein modernes Symbol für Gott Vater zu sehen, das Einblicke in sein Innerstes ermöglicht.

Die sechs weiteren Figuren, die an den Seitenwänden der Kirche befestigt wurden, bringen „Augenblicke“ der Geschichte Gottes mit den Menschen zur Sprache. Links vorne in einem Diptychon ein Mann und eine Frau, einander zugewandt (Ansicht), die vor einem grünen und goldenen Hintergrund stehen. Ihre Nacktheit und die beiden Hintergrundfarben deuten, ohne es explizit zu betonen, das Paradies an, die ursprüngliche Fülle des Lebens. Gegenüber sind vor einem silber-braunen Hintergrund ein Skelett und ein Mann zu sehen, der allseits gegenwärtige Tod, der uns Menschen begleitet und unsere Vergänglichkeit in Erinnerung ruft. In den mittleren Positionen stehen sich Maria mit dem Jesuskind im Arm und der Auferstandene (Ansicht) gegenüber. Irritieren mag, dass Jesus nach heutigem Dress-Code gekleidet ist, dadurch verwurzelt der Künstler nach alter christlicher Tradition das vor 2000 Jahren Geschehene in unserer Zeit. Dies wird auch im dritten Figurenpaar deutlich, das eine junge Frau und einen jungen Mann unserer Zeit zeigt. Gott will seine Heilsgeschichte in unserer Zeit fortschreiben, … mit jedem von uns. Stephan Balkenhol hat mit seinen Kunstwerken eine wunderbare zeitgenössische Katechese geschaffen: als Einladung, Gott und sein Wirken näher kennenzulernen.

Weiteres Bild: Mann im Turm

Dieses und weitere Werke waren im Sommer 2012 im Rahmen der documenta 13 in der Kath. Kirche Stankt Elisabeth zu sehen. Weitere Informationen zu Stefan Balkenhol in St. Elisabeth.

Zur Austellung ist der Katalog STEPHAN BALKENHOL in SANKT ELISABETH erschienen. Auf 96 Seiten dokumentieren 90 Farbabbildungen und Texte des Bischofs von Fulda, Josef Meyer zu Schlochtern, Matthias Winzen, Rainer Marten und Helmut Krausser die Bedeutung dieser außerordentlichen Ausstellung. Snoeck-Verlagsgesellschaft Köln, 2012, ISBN 978-3-86442-020-7, Euro 19,80

Pressemeldungen zu den Arbeiten von Stephan Balkenhol in Sankt Elisabeth:

Vom Licht durchdrungen

Die große weite Schale hebt sich farblich kaum ab vom Hintergrund. Nur das Licht- und Schattenspiel lassen sie als eigenständige Form im Vordergrund wahrnehmen. Wie ein großer Blütenkelch weitet sich die Schale vom rechteckigen Sockel weg in den Raum hinein. Ihre Beschaffenheit ist hauchdünn und ebenso verletzlich wie bei ihren Vorbildern in der Natur. Sanft gewellt endet das dünne Material, ja es scheint sich geradezu in Luft aufzulösen.

Ganz aus kostbarem Silber gefertigt, präsentiert sich die Schale in schlichter Eleganz. Gerade ihre Einfachheit fasziniert. Das Fehlen von jeglichem Beiwerk oder Verzierungen tun gut. Sie glänzt in ihrer formellen und materiellen Reinheit. So vermag die Schale durch ihre Einfachheit, durch ihre vollendete Form zu überzeugen. Reine Schönheit!

Ähnlich wie bei einem Töpfer ein Tongefäß mit der Hand aus einem Klumpen Lehm hochgezogen und geformt wird, muss die Künstlerin diese Schale mit ihren Werkzeugen in äußerst behutsamer Arbeit aus einem Stück Silber in die Höhe getrieben haben. Der gewaltige Zeitaufwand, den eine so sensible Arbeit benötigt, damit das Material nicht bricht, lässt sich nur erahnen. Doch die Intensität, mit der die Künstlerin das Material erfühlt und wahrscheinlich auch in es hineingehorcht hat, ist aus der Perfektion der Schale herauszuspüren.

In diesem Bild wirkt die Schale groß. Da ein Vergleich zur Umgebung, ein Anhaltspunkt fehlt, ist sie unvergleichlich und somit wirkt sie ganz für sich allein. Das scheint auch ihre Aufgabe zu sein. Denn ihre außerordentliche Beschaffenheit und Schönheit verbieten ihr geradezu, alles, was mit Gewicht zu tun hat, in sich aufzunehmen. Allerdings vermag sie durch ihre runde Form und ihren sanften Glanz das Licht derart anzuziehen und in sich zu konzentrieren, dass das eigene Material geradezu verzaubert wird und der Eindruck entsteht, dass es sich in der Durchflutung durch das Licht entmaterialisiert.

Durch die verschiedenen Charakteristika vermag mancher Gläubige in der Schale vielleicht ein Symbol für uns Menschen zu sehen. Glauben wir doch, von einem unsichtbaren Schöpfer in unendlicher Zuwendung fein und wunderbar geschaffen worden zu sein (vgl. Ps 139,14). Als sein Volk sind wir ihm „teuer und wertvoll“ (Jes 43,4). Anderseits soll der Gläubige ganz auf Gott ausgerichtet leben, ganz offen für sein Wort und seine Weisheit sein, bereit, seinen Willen zu tun. So betet der Psalmist (40,9): „Deinen Willen zu tun, mein Gott, macht mir Freude, deine Weisung trag ich im Herzen.“ Und ein anderer spricht zu Gott: „Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade“ (Ps 119,105). So dürfen wir im Licht ein Symbol für Gottes Wort sehen. So wie die Schale durch ihre Beschaffenheit das Licht in sich auffängt und konzentriert, durchflutet und in ein geistiges Gefäß verwandelt wird, so sollen wir Gottes Wort, seine Weisheit, seinen Geist und seine Liebe in uns aufnehmen und sammeln, damit sie uns genauso durchdringen und zu Lichtträgern verwandeln. Lichtwesen sollen wir werden, von Seiner lichten Gegenwart beseelt, „Engel“, die ganz transparent auf Ihn hin sind.

Foto der Künstlerin mit ihrer Gold-Licht-Schale “Durchflutung IV/2”

Trinität

Ganz hell präsentiert sich dieses dreiteilige Bild. Bis auf drei dunklere Bereiche sind alle Farben so stark aufgehellt, dass das Dargestellte nur wie durch einen Nebelschleier hindurch zu erkennen ist.

Irgendwann assoziieren wir das Dargestellte vielleicht mit drei menschenähnlichen Gestalten, die sich um eine gelbe Mitte versammeln, denn der Bildaufbau verwendet die gleichen Hauptelemente wie Andrej Rubljow am Anfang des 15. Jahrhunderts in seiner berühmten Dreifaltigkeitsikone. Doch während dieser die drei göttlichen Personen durch Engelsgestalten darstellte, deutet Bernd Zimmer sie als energiegeladene Außerirdische in einer transzendenten Atmosphäre an. Beim einen sind sie um den Tisch (Altar) mit Schale und Brot versammelt, beim anderen um ein lichtes Ereignis in ihrer Mitte. Sind die drei göttlichen Personen in der Ikone als solche klar erkennbar, steht man beim Triptyk eher einem Rätsel gegenüber. Hier wird zweifelsfrei eine Trinität dargestellt, die im Wesen eins ist, aber sie entspricht nicht unseren Vorstellungen, sondern ist anders als wir. Es bestehen wohl Ähnlichkeiten, so dass wir bei ihnen von einem Körper und einer Art Kopf sprechen können, aber Gott bleibt der Nicht-Darstellbare, der ganz Andere.

Wie hat sich Bernd Zimmer nun dennoch bildlich ihm angenähert? Als erstes wählte er drei gleich große Leinwände, die er durch die Farben und das gleiche Motiv zu einem Triptyk vereint. Dann stellt er die drei Gestalten in ein blendend helles Licht, so dass sie wie auf einem überbelichteten Foto nur ganz schwach zu erkennen sind. Je nach Lichteinfall sind sie mehr zu erahnen als zu sehen. Ihre Körper bestehen aus weißen Energieströmen, die von einer gelben Mitte auszugehen scheinen und individuell zu drei aufrechten Gestalten aufsteigen und je in einem kopfähnlichen Gebilde enden. Diese bestehen stets aus einer dunkleren, grünlicheren Innenform (rechts am wenigsten), bräunlichen Strichzeichnungen, in denen Kopfformen ausgemacht und Gesichtszüge gesehen werden können sowie mit etwas Abstand dazu einer rundlicheren Umrisslinie, die an die Außenform einer Glühbirne oder gar an einen Heiligenschein denken lässt.

So wie die „Köpfe“ eine dreiteilige Erscheinung haben, so durchzieht das Thema „Trinität/Triade“ die Arbeit in immer neuen Variationen. Wir haben ein dreiteiliges Bild mit drei gleichbedeutenden Gestalten, deren Einheit nur durch die Trennung der Leinwände unterbrochen wird. Jede Gestalt besteht im Wesentlichen durch eine grau-weiße, bzw. in der Mitte durch eine gelb-weiße körperliche Abgrenzung vom lindgrünen Hintergrund (je drei Farben) und dem dreifach ausgeformten einen „Kopf“.

Die drei Gestalten sind um das leuchtend gelbe Ereignis versammelt, das wiederum von einer kreisrunden Mitte auszugehen scheint. Etwas Spritziges wohnt diesem Ereignis inne, ebenso etwas Leichtes im schwebenden Überlagern der anderen Farben, etwas Vereinendes im Übergreifen auf die seitlichen Bildteile. Wie von einer gemeinsamen Energiequelle scheinen die Drei aus diesem einen Wesen zu leben.

Der Künstler bleibt in seiner Darstellung der Trinität offen. Er hat mit den „schemenhaften weißen Phantasmen“ … „eine Figuration, die aber ohne Identität ist“ geschaffen, eine Präsenz, „die eine kultische Assoziation zulässt, ohne sie zu definieren“ (Walter Grasskamp im Gespräch mit Bernd Zimmer in: Das menschliche Format, S. 41/43, München 2010). Für den Künstler muss das Bild „als strahlende Erkenntnis erscheinen, die Nichtfarbe Weiß, fast neutral in ihrer Erscheinungsform, muss den Bildraum bestimmen. Eine weiße Leinwand, gleich einer durchbrochenen Nebelwand, symbolisiert die Anwesenheit des Undarstellbaren“ (ebda.).

So kann das Bild durch die drei Gestalten mit der Erscheinung Gottes an Abraham bei den Eichen von Mamre (Gen 18,1-15) verbunden werden, durch das feurige Ereignis in der Mitte aber genauso gut mit der Erscheinung Gottes an Mose im brennenden Dornbusch, bei der er sich als „Ich-bin-da“ offenbarte (Ex 3,14). Er ist der Lebendige, der aus seiner Mitte heraus der ganzen Schöpfung Leben schenkt. Nicht nur den Menschen hat er als sein Abbild geschaffen (Gen 1,27), sondern auch des Menschen Familie, die traditionell aus Vater, Mutter und Kind besteht. Vielleicht verbinden wir gerade wegen dieser ursprünglichen Erfahrung so viel mit der Zahl Drei. So kann eine dreifache Manifestation kein Zufall mehr sein und steht somit für ein glaubwürdiges Zeugnis. Gleichzeitig deutet sie auf Vollkommenheit hin. In dem Sinne hat die Zahl Drei als eine allumfassende Zahl in vielen Religionen vielseitige Anwendung gefunden (u.a. z.B. Erde, Himmel, Hölle; Glaube, Hoffnung, Liebe), im Christentum ganz ausgeprägt im dreieinigen Gott. Er ist die Fülle des Lebens, aus der alle leben, in ihm findet auch alles Leben seine Vollendung. Und ist es nicht so, dass das Leben gerade in den Beziehungen seine Vollkommenheit erfährt, in der gelebten Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen? – Auch da ist uns die Trinität Vorbild.

Unfassbar

In diesem non-figurativen Glasfenster scheint alles in Bewegung zu sein, sich alles um das dunkelrote Zentrum in zweidrittel Höhe zu drehen. Während sich die eine Kreisbewegung von unten rechts her zum Kreis hin fokussiert, geht die Bewegung im obersten Drittel eher von diesem dunkelroten Blickfang aus nach links oben. Spiralförmig verschleudert dieses rote Kraftzentrum seine Energie, scheint sie in den unzähligen goldgelben Teilen in die unendliche Weite des Universums hinauszuschleudern. Verschwenderische Fülle wird spürbar.

Neben der eindrücklichen Drehbewegung prägen ein helles Rot und goldenes Gelb dieses Glasfenster. Das helle Rot mag an helles Blut erinnern, das vom Herzen aus durch die Arterien sauerstoffreich den menschlichen Körper mit Lebenskraft versorgt. Christologisch gesehen kann es auch als das Blut Christi gesehen werden. Weil er uns Menschen unendlich liebte, konnte er sein Leben für unseres hingeben, konnte er uns mit dem Preis seines göttlichen Lebens von freiheitsberaubenden Gebundenheiten freikaufen. In jeder Eucharistiefeier wird dieses Ereignis neu Gegenwart, soll die Liebe Gottes spürbar und wirksam wie aufstrahlendes Licht in der Dunkelheit unser Leben existentiell verändern. Dies kommt auch in der das helle Rot begleitenden goldgelben Farbe zum Ausdruck, die mit ihrer Symbolik „für das allumfassende Göttliche, für Geborgenheit und Wärme“ (Nestler) steht. Wie ein segensreicher Blätterregen schweben die goldfarbenen Elemente in das Kirchenschiff hinein und über die Gläubigen. Sie mit göttlichem Licht segnend, von innen her stärkend, erfüllend und miteinander durch seine Präsenz verbindend (Ansicht von unten mit gleichen Farben).

Dieses Licht- und Farbenspiel wird von weißen Lichtfeldern durchsetzt, die im untersten Bereich auch strahlenförmig wahrnehmbar sind. Wie Wolkenfetzen überlagern sie die göttliche Schau und verdecken sie teilweise. So wird wohl viel vom ewigen Licht und dem, was es beinhaltet, sichtbar, aber die ganze Fülle kann noch nicht gesehen oder sinnlich erfahren werden. Ein Wehmutstropfen bleibt. Noch leben wir hier auf Erden in materieller Umgebung und vergänglichem Körper. Was bleibt, ist die Sehnsucht und Hoffnung nach der immateriellen, seelischen Heimat bei dem Dem, der das Leben selbst ist.

Dieser mehrschichtigen Botschaft wird auch durch den außerordentlichen Aufbau des Glasfensters Gestalt verliehen. In vier Schichten und unterschiedlichen Techniken sind die Farben und Formen kunstreich auf das Glas gebracht worden. Um ihre Schönheit und Farben in ihrer Fülle zu erfassen, muss sich der Betrachter selbst in Bewegung setzen. Erst durch die verschiedenen Blickwinkel werden sich die gesehenen Fragmente vor dem geistigen Auge zu einem immer wirklichkeitsnäheren Bild zusammenfügen. Auch ist das Glas nicht in das bestehende Maßwerk eingesetzt (Außenansicht), sondern als eigenständige Fläche etwa 30 cm vor das Fenster in den Kirchenraum gehängt. Dadurch verliert das in der Fachsprache sogenannte „Lichtmaß“ als Ausschnitt der Architektur an Bedeutung. Während oben das auf dem Glas wiederholte Maßwerk noch dominierend ist, löst sich im und durch das Fenster die filigrane gotische Architektur nach unten immer mehr auf und ist letztlich nur noch als Schatten wahrnehmbar. So „weitet sich das durch die Architektur begrenzte Licht zu einem neuen grenzenlosen Raum“ (Nestler), setzt sich das sinnlich wahrnehmbare Licht als unfassbares göttliches Licht in den Gläubigen fort.

 

Bernd Nestler hat mit diesem Fenster Anfang 2011 unter 285 Mitbewerbern einen international ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen, bei dem es darum ging, zum 450-jährigen Bistumsjubiläum ein Fenster zu schaffen, das die Möglichkeiten der heutigen Glasmalerei nutzt, um der Glaskunst im 21. Jahrhundert neue Impulse zu geben. Herzliche Gratulation!

Ein Kind entzweit …

Zwei dünne weiße Stoffrechtecke mit bedruckten Versen aus dem Koran stehen heute im Zentrum unserer Aufmerksamkeit (Gesamtansicht). Sie sind mit den Versen 16 bis 22 und 88 bis 93 der Sure 19 bedruckt, in denen es zentral um Maria und die Empfängnis des Gottessohnes geht. Nach der Verkündigung der Frohbotschaft an Maria (16 bis 22) folgt eine Reaktion zum diesbezüglichen Glaubensverständnis der Christen.

Sie, die Ungläubigen, die Christen sagen: „Der Barmherzige hat sich ein Kind zugelegt.” Mit dieser eurer Behauptung habt ihr etwas Schreckliches begangen. Schier brechen die Himmel aus Entsetzen darüber auseinander und spaltet sich die Erde und stürzen die Berge in sich zusammen, dass sie dem Barmherzigen ein Kind zuschreiben. Dem Barmherzigen steht es nicht an, sich ein Kind zuzulegen.

Die Bearbeitung und Darstellung dieser fünf Verse macht den Unterschied zwischen den beiden Stoffen aus. Oben ist der Text mit einem Goldfaden gestickt (Detailansicht), unten mit einem roten Garn in das Gewebe eingebracht, wobei hier die Garnenden als lange herunterhängende Fäden belassen wurden. Dadurch werden zwei ganz unterschiedliche Sichtweisen deutlich.

Mit dem Goldfaden wird hervorgehoben und gewürdigt, dass für die Muslime auch diese Worte zur Offenbarung Gottes gehören. Das Kostbare, Erhabene und Göttliche soll durch das Edelmetall zum Ausdruck kommen, als Zeichen dafür, dass Gott selbst gesprochen und damit seine ureigenen Gedanken kundgetan hat. Eine nahezu unermessliche Bestürzung und Distanzierung spricht aus ihnen. Was die Christen glauben, ist unannehmbar, unglaublich und letztlich Beweis, dass sie nach dem muslimischen Glaubensverständnis Ungläubige sind. Was sie glauben, ist für den Barmherzigen derart schrecklich, dass nicht nur er, sondern auch seine ganze Schöpfung (Himmel und Erde) und unausgesprochen auch alle Muslime unter der Spannung, die diese unerträgliche Behauptung auslöst, zu zerbersten drohen.

Der mit dem roten Faden wiedergegebene Text knüpft an diese gewaltigen und gewaltsam wirkenden Worte an. Was für die einen (die Muslime) Gottes heilige Offenbarung ist, die verehrt wird (Goldfaden-Variante), ist für die anderen (die Christen) ein Angriff auf ihr zentrales und ebenso unantastbares Glaubensverständnis der Gottessohnschaft Christi, dass in Jesus Christus der „eine” Gott Mensch geworden ist. Die rote Schrift lässt unwillkürlich an Blut denken (Detailansicht). Die herabhängenden Fäden suggerieren sogar herabfließendes Blut und lassen an die oft blutigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen zu diesen und anderen Glaubensansichten und -überzeugungen denken.

Mit den beiden künstlerisch gestalteten Varianten möchte die Künstlerin jeder Religion Respekt erweisen. Die Arbeit zeigt auf, wie unterschiedlich gerade Glaubenswahrheiten gesehen und empfunden werden. Die Arbeit kann damit als Bindeglied im interreligiösen Dialog, als kleines Plädoyer für mehr Offenheit und Verständnis untereinander angenommen werden. Vielleicht wird durch den Text auch bewusst, wie viel Provokation für Muslime darin liegt, Weihnachten, das Fest der Geburt Jesu, in der aufwändigen westlichen Art und Weise zu feiern. Das Entsetzen der Muslime darüber, dass Jesus Gottes Sohn sein soll, mag uns Christen vielleicht auch nachdenklich machen und zum dankbaren Staunen über unseren Glauben und das Wunder der Menschwerdung anregen. Weder das eine noch das andere ist selbstverständlich.

Vision des Himmels

Im Deckenspiegel der in der Mitte des 18. Jahrhunderts erbauten evangelischen Pfarrkirche in Seibelsdorf (Bayern) begegnen sich seit der umfangreichen Sanierung von 2008-2010 Rokoko und zeitgenössische Kunst (Ansicht 1, Ansicht 2). Die schwarzen 6 mm breiten Linien der Tuschzeichnung fügen sich harmonisch in das Licht- und Schattenspiel der sie umgebenden Stuckaturen ein. Nach den Regeln des Künstlers haben alle Linien eine ellipsoide Grundform. Sie berühren sich gegenseitig nicht und bilden auch keine Punkte. Mit ihren dynamischen Rundungen nehmen sie die Formensprache des Rokoko auf und führen sie thematisch in neue Dimensionen.

Während die Rundungen am Bilderrahmen dichter sind und dunkle Bereiche bilden, öffnen sie sich zur Mitte hin und geben Raum frei. Durch diese Strichführung erzeugt der Künstler die Wirkung einer Kuppel. So zieht es den Blick des Betrachters wie durch ein großes Auge hindurch in einen jenseitigen Raum mit unendlicher Höhe. Es öffnet sich ihm eine Vision des Überirischen und Transzendenten, die durch und über alles Dinghafte hinweg eine immaterielle Gegenwart in der Welt erahnen lässt (Großansicht).

Vier Säulen unterstreichen diese Bewegung nach oben und zur Mitte. Auf leichten Einwölbungen des Rahmens stehend, von Stuckelementen unterfangen, stemmen sie sich in eine Höhe, um eine mit Staubpartikeln versetzte Weite zu tragen. Durch die geschickte Linienführung entsteht nicht der Eindruck, dass diese zentrale Gegenwart leicht wäre oder die Säulen ins Nichts hinausgehen würden. Sie tragen vielmehr etwas unendlich Gewichtiges und Erhabenes.

Die vier Säulen werden von einem Linienmeer umwogt, das gleichzeitig Assoziationen an Flammen, Wasserwogen, Windwirbel und links auch an Pflanzen zulässt. Hier wird die Fülle des Lebens mit all seinen Bewegungen und Begegnungen angedeutet, so wie sie vom unsichtbaren Gott (vgl. Kol 1,15; 1 Tim 1,17) geschaffen wurde. Er thront über allem und ist gleichzeitig in allem (Eph 4,6) gegenwärtig. Ganz besonders in der Gemeinde, die sich unter diesem symbolträchtigen Bild versammelt.

Für sie ist diese große Deckenmalerei ein Blick in den Himmel. Sie soll erfahren, dass hier ein begnadeter Ort ist, ein Ort, an dem, wie bei der Taufe Jesu, der Himmel offen steht (Mt 3,16; Mk 1,10; Lk 3,21) und intensivste Gottesbegegnung und -gemeinschaft möglich ist. Gottesbegegnung wie sie der Prophet Elija am Berg Horeb machen durfte, in der er Gott nicht in machtvollen Kundgebungen erfuhr, sondern im kaum wahrnehmbaren Säuseln des Windes: „Der Herr antwortete: Komm heraus und stell dich auf den Berg vor den Herrn! Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle.“ (1 Könige 19,11-13)

Gerhard Mayer wurde am 5. Oktober 2011 für diese Arbeit der Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2011 verliehen.

Link zum Pressartikel von BR-online

sinnvoll

Sanfte Rundungen geben dieser Skulptur eine faszinierende Eleganz und gleichzeitig durch die leichte Unregelmäßigkeit den Charakter von Handgefertigtem. Die Öffnung mit der halsartigen Ausformung identifiziert sie als Vase. Doch der durchgehende Spalt auf der einen Seite lässt Zweifel aufkommen. Kann solch ein Gefäß noch seine Aufgabe erfüllen und Wasser oder andere Inhalte aufnehmen ohne diese seitlich wieder zu verlieren?

Normalerweise entsorgen wir Gefäße mit einem Sprung, denn sie sind undicht. Sie sind dann nicht mehr wirklich zu gebrauchen – höchstens zur Dekoration oder zum Aufstellen von Trocken- oder Kunstblumen. Wie um dem vorschnellen Beseitigen vorzubeugen, hat der Künstler „sinnvoll“ neben den fingerbreiten Spannungsriss geschrieben. Die goldenen Buchstaben machen den Betrachter darauf aufmerksam, dass die Vase durch den Spalt nicht wert- oder sinnlos wurde, sondern nach wie vor wert- und sinnvoll ist, ja vielleicht gerade durch diese klaffende Wunde, die Einblicke in das Innere der Skulptur ermöglicht, noch mehr Sinn erlangt.

Durch den Spalt wird erst deutlich, wie das Innere kostbar mit Blattgold ausgekleidet ist und im Gegensatz zur bunt bemalten, matten Außenseite goldgelb leuchtet. Zwei Welten begegnen sich in dieser Vase aus Eichenholz, dessen Wesen letztlich nur in dem (dem Holz eigenen) Spannungsriss sichtbar wird. Ansonsten scheinen sich auf seiner Außenseite die vielen Farben seiner Umwelt zu „spiegeln“, im Innern jedoch mit der Blattgoldbeschichtung etwas Fremdes und doch Wunderbares aufzuleuchten. Wunderbar auch, weil Vasen innen meistens dunkel und weniger kostbar ausgestattet sind als außen.

Die Sinnfülle dieses Objektes scheint also mit seinem inneren „Kleid“ im Zusammenhang zu stehen und erinnert an ein Wort des Apostels Paulus: „Christus ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit aufstrahlt die Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi. Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt.“ (2 Kor 4,6b-7)

Für den Künstler Udo Mathee steht die Vase tatsächlich für uns Menschen. Wir sind „aus hartem Holz geschnitzt“ und doch anfällig für Verletzungen. Wie das Holz können innere Spannungen unseren Körper verspannen und ihn bei Überforderungen auch „zerreißen“. Gerade diese „Wunden“ können tiefe Einblicke in unsere persönliche Mitte zulassen und dazu beitragen, die göttliche Gegenwart in unseren Herzen zu schauen. So ein „Riss“ im Leben macht sicher nicht alles sinnlos. Er macht vielmehr Sinn, weil in dieser Schwäche Gottes begleitende und stärkende Gegenwart erfahrbar wird. Sinnstiftende Gegenwart in der Kraft des Heiligen Geistes, der von innen heraus wirkt und alle Unzulänglichkeit mit neuem Sinn erfüllt und so den Menschen eine neue Ganzheit und geradezu übermenschliche Fülle schenkt.

Von dieser Skulptur ist eine Kunstkarte (Nr. 6020) zum Preis von 1 Euro + Porto erhältlich, die beim Künstler bestellt werden kann: Mailadresse

Wir sind da

Bescheiden stehen die drei Worte auf einer großen weißen Wand. Wer nicht achtgibt, läuft an ihnen schlichtweg vorbei. Bei diesen von Hand mit Fineliner auf die Wand geschriebenen Worten könnte es sich ja auch um eine Wandschmiererei handeln, um eine in jugendlicher Unbekümmertheit oder Frechheit angebrachte Botschaft. Dieses „Wir sind da“ steht im Zeitgeist von „Wir sind Deutschland“, „Wir sind Papst“ (Bildzeitung 20. April 2005) und einem „Yes, we can“ des amerikanischen Volkes. Doch wer ist „wir“? Geht es dabei um ein Volk? Und wo „sind“ diejenigen, die „da“ sein sollen? Auch derjenige, der geschrieben und diese geheimnisvolle Spur hinterlassen hat, ist nicht mehr da.

Mit diesen drei Worten werden gleichzeitig Anwesenheit und Abwesenheit angesprochen. Die Worte zeugen von einer Gegenwart, von einer spürbaren Präsenz. Aber sie verbirgt sich namenlos hinter den drei Worten „Wir sind da“. Dennoch geschieht hier Offenbarung. Offenbarung, die einerseits an die Selbstkundgebung Gottes in der Wüste erinnert, als sich Gott dem Mose aus dem brennenden Dornbusch heraus als „Ich bin der ICH BIN DA“ mitgeteilt hat (Ex 3,14).

Andererseits mag der Schriftzug in seiner mysteriösen Erscheinung an die Warnung Gottes an den König Belschazzar (mene mene tekel uparsin) erinnern, die der Prophet Daniel übersetzen muss, damit der König sie versteht (Dan 5). Allerdings wird in unserem Fall kein drohendes Unheil verkündet. Vielmehr kann das „Wir sind da“ als ein Statement gelesen werden, als eine Einladung. Wir sind da. Du kannst nun kommen. Du bist herzlich willkommen.

„Ganz offensichtlich ist dieser Schriftzug nicht die Präsenzfanfare aus dem Munde eines Pluralis Majestatis, sondern die Bekundung auf einer Art Notizzettel in einem sehr vertrauten Kontext.“ (J. Rauchenberger) Diese Präsenz ist für alle da, gerade auch für die kleinen Leute (vgl. Mt 5,3-12).

Es bleibt die Frage nach dem „Wir“ in dieser Kundgebung. Geschah die Ich-Aussage Gottes zur Zeit Mose in einem polytheistischen Umfeld, in dem es darum ging, den einen wahren Gott zu manifestieren? Entstand die Wir-Aussage zu Gott im Rahmen eines Kunstwettbewerbs, in dem neue künstlerische Positionen zum Thema Trinität gesucht wurden? Im „Wir“ fasst der Künstler Markus Wilfling die vor gut 2000 Jahren sich herauskristallisierende christliche Glaubenserkenntnis zusammen, dass der eine Gott sich uns als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart und für uns da ist. So steht das „Wir sind da“ voll und ganz in der christlichen Tradition und verkündet doch hochaktuell den mit keinem unserer Sinne fassbaren Gott, obwohl er in seinem Wesen durch und durch dem Menschen zugewandt ist.

In seiner radikalen Einfachheit hört sich das „Wir sind da“ auch wie ein Werbeslogan an. Ganz schlicht tönt er, ohne bildliche Darstellung und ohne in die Augen springende Farbe. Die drei Worte werben nicht für etwas Materielles, das man kaufen kann, sie kommen auf einer tieferen Ebene an. Sie scheinen einen Widerhaken zu haben, der sich im Gedankengut des Lesers einnistet zu einer selbstverständlichen, stärkenden Gegenwart. – Doch brauche ich eigentlich diese verborgene Präsenz dessen, der da ist und keine leeren Worte macht, sondern hält, was er verspricht? Brauche ich diesen: „Wir sind da“?

Gottesmutter – Menschensohn

Abstrakt und mit einfachen Formen und Farben erzählt dieses Bild dem interessierten Betrachter seine Geschichte. Eine Geschichte, die von der Spannung der beiden Bildhälften und dem Geschehen in seiner Mitte lebt. Die blaue Farbe steht im Gegensatz zum feurigen Rot darüber. Und beide scheinen sich seitlich und nach oben oder unten endlos auszubreiten. Doch in der Bildsituation begegnen sie sich als stille Förderer und Zeugen einer einzigartigen Begegnung, die sich zwischen der tiefen weißen Schale und dem goldenen Quadrat ereignet. Von der waagrechten weißen Trennlinie unsichtbar gehalten scheint es in der bewegten Offenheit des Halbkreises zu schweben und gleichzeitig in seiner Mitte zu ruhen: Von oben geschenkt, von unten empfangen, von beiden gehalten.

Doch von wem oder was ist hier die Rede? Was haben die Symbole und Farben zu bedeuten? Die horizontale Zweiteilung weist auf Himmel und Erde hin, das satte Rot auf die leidenschaftliche Liebe Gottes, die sich im Lichtstrahl kraft des Geistes offenbart und nach unten in die weiße Schale ergießt. Im tiefen Blau kommt unsere Erde als blauer Planet zur Sprache. Die Farbe kann aber genauso als Symbol für das Wasser als schöpferischen Ursprung allen Lebens gedeutet werden wie für den unergründlichen Glauben. In dieser Schöpfung nimmt der nach oben offene Halbkreis eine Sonderstellung ein. Durch die weiße Farbe wird Reinheit angedeutet. An der Oberfläche getragen und sich ausbreitend, kommt immerwährende Offenheit und Bereitschaft zum Ausdruck, das Göttliche in sich zu empfangen, aufzunehmen und zu bewahren.

So wird die vorbildliche Haltung Mariens dargestellt, ihr JA auf Gottes An-Spruch in die Zeit, dass sein ewiges WORT in ihr Menschengestalt annehmen solle. Für IHN steht das goldene Quadrat in der optischen Mitte des Bildes. Gold steht dabei für das Göttliche, Unvergängliche, Höchste, die Quadratform für seine irdische Gestalt. Ganz Gott und ganz Mensch vereint er Himmel und Erde, bringt er allen Orientierung und Frieden, die ihn wie Maria in sich aufnehmen und ihm Wohnung geben. In ihnen erfüllt sich, was Jesus zu Beginn der Bergpredigt verkünden sollte: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen.“ (Mt 5,3.8)

Einfach
und voll Spannung
unten und oben
nicht einerlei.
Die Erde
Werk des Schöpfers
unten elementar ausgestreckt.
Feuer der Liebe
Fülle des Geistes von oben
darin verborgen-offenbar
ein Strahl von Licht
aus der Höhe nach unten.
Die Schale,
offen und horizont-weit
eingesenkt in die Welt
erhoben darüber hinaus für das Licht
reine, lichte Offenheit
„immerwährende Empfängnis“.
Das Ewige WORT
empfangen
von Maria, der Jungfrau:
Ja.
Maria, Gabe an die Welt
Zuwendung Gottes
An-spruch in die Zeit
reine Empfängnis
Geschenk zur Freiheit
WORT von oben:
„Gott-mit-uns“
Ant-wort von unten:
„Mir geschehe nach deinem Wort“
für die Welt.

(Lyrik von P. Meinulf Blechschmidt in Sehen – Glauben – Leben. Gedanken zum Glaubensbekenntnis, Beuroner Kunstverlag, Beuron 2007, S. 19, ISBN 978-3-87071-166-5)

Weltentreffen

Im Zentrum dieser Weihnachtsdarstellung steht zweifelslos die Geburt Christi. Und auch wenn der Künstler ein Bildzitat des Meisters von Moulin (Ende 15. Jh.) verwendet, ist es durch seinen Hintergrund und die beiden quadratischen Elemente ein modernes Bild mit einem zeitlosen Inhalt: die Geburt Jesu.

Die Komposition konzentriert sich auf die Mittelachse. Das untere Rechteck ergibt sich aus dem Abdruck von zwei Hirnhölzern. Beim einen sind die Jahrringe umlaufend, beim anderen ist die Mitte ausgespart, um dem Jesuskind als Krippe zu dienen. Darüber öffnet sich wie ein Fenster in eine vergangene Zeit das Bildzitat des Meisters von Moulin und gibt den Blick frei auf Maria und Josef.

Bei Maria ist intensivste Hinwendung zu beobachten. Mit geneigtem Haupt schaut sie staunend auf das Kind, es mit offenen Händen anbetend und gleichzeitig beschützend segnend. Josef dagegen steht mit seinem Körper parallel zu Maria und erscheint dadurch vom Kind abgewendet. Allein durch den zum Kind gedrehten Kopf erhält es Beachtung. Seine Hände sind zum Gebet gefaltet. Hinter Maria und Josef sind zwei weitere Personen zu entdecken, auch weitet sich das Bild durch ein Fenster hindurch bis zum Himmel.

Dieser öffnet sich gleichsam in der Vision eines rechteckigen Farbfeldes, welches sich majestätisch hinter dem Bildzitat erhebt. Es ist von einem zentralen hellen Quadrat geprägt, welches sich seitlich und nach oben in violett-roten Farberscheinungen weitet, sodass der Eindruck von einem Kreuz entsteht, in dem Leiden und Auferstehung gleichermaßen schon gesehen werden können. Nach unten hinterfängt es zum einen das Bildzitat, zum anderen scheint es durch die Ausbildung des unteren Abschlusses zu einem gerissenen Segmentbogen seine Kraft gleichsam in das Bildzitat einfließen zu lassen, an dessen unterstem Punkt sich der Gottessohn befindet. So gesehen, kann man den Holzstoß auch als modernen Altar sehen, an dem der Geburt, dem Leben und Sterben und der Auferstehung Jesu gedacht wird.

Noch nackt, doch nicht schutzlos liegt er da. Neigt sich der Himmel durch das Wolkenband nicht gerade tief zur Erde, wo es sich an seinem tiefsten Punkt wie eine große Schale behutsam auf den Holzstapel senkt, sich mit ihm schneidet und so das Kind in den Zeichen des Himmels und des Holzes zweifache Geborgenheit erfährt? Immaterielle, geistige, göttliche Zuwendung von oben, irdisch materiellen Schutz von unten.

Christi Geburt: Gott schenkt uns Menschen seinen Sohn, damit wir durch ihn IHN selbst besser kennenlernen. Er legt sich uns zu Füßen, setzt sich uns schutzlos aus, damit wir über das Staunen und ehrfürchtige Anbeten hinaus Vertrauen fassen und glauben, dass ER ein guter und treuer Gott ist. Dabei vermag das Holz einen dreifachen Impuls zu vermitteln. Erstens, dass Gott ganz irdisch Mensch wird, um uns in unserem Elend zu besuchen, zweitens, dass Jesus Zimmermann wurde und drittens, dass er sich am Kreuz wie auf dem Altar hingibt, um uns aufzurichten und erneut den Weg zu ihm zu öffnen.

Nur zwei Vasen?

Zwei Vasen. Vor braunem Hintergrund. Nur zwei Vasen? Nichts mehr? Kein Tisch, auf dem sie stehen, keine Blumen, die aus ihnen herausragen, kein Hinweis auf einen Raum, der die beiden Vasen umgibt. Die beiden Körper sprechen durch ihre Umrisse und die Lichtreflexe auf ihren Oberflächen. Doch wer sagt, dass es Vasen sind? Letztlich haben wir nur gemalte Flächen vor uns, denen durch Farbunterschiede ein Volumen gegeben wurde.

Es ist die Erfahrung, die uns in diesen gemalten Flächen flaschenähnliche Vasen erkennen lässt, die uns sagt, dass es sich um Hohlkörper handelt, die oben eine Öffnung haben. Die linke Vase hat eine runde, bauchige Form und steht auf einem kleinen Fuß. Sie ist von der Größe und vom Volumen her geringfügig kleiner als ihre Nachbarin, die gradlinige, bis zum Boden reichende Formen besitzt. Beide Gefäße sind in einem leuchtenden Kupferton dargestellt und werden teilweise von einer Aura umgeben, die sich in einer Art Wasserzeichen oder hellerem „Schatten“ äußert. Es wird der Eindruck erweckt, dass den beiden Vasen etwas entströmt, das wesentlich mit ihrem Inhalt zu tun hat.

Ob die einzige rote Fläche etwas damit zu tun hat? Bewirkt sie nicht, dass die Vasen auf Grund ihrer Lichtreflexe nicht nach links ausgerichtet sind, sondern einander zugewandt erscheinen? Wird damit die Zusammengehörigkeit nicht genauso verstärkt wie der Eindruck, dass es sich bei den beiden Vasen durch ihre körperlichen Unterschiede um Symbole für Frau und Mann handelt? So gesehen könnte dann die kleine rote Fläche als herzlicher Ausdruck gelesen, als Fenster der Liebe gedeutet werden, als das, was die beiden Vasen in sich tragen.

Der Mensch als irdenes Gefäß. Das ist kein neuer Gedanke, aber immer wieder ein faszinierender, gerade im Zusammenhang mit der biblischen Aussage: „Und doch bist du, Herr, unser Vater. Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer, wir alle sind das Werk deiner Hände“ (Jes 64,7). Wie Gefäße stehen wir auf dem Boden. Durch unsere Sinnesorgane und unseren Geist haben wir „Öffnungen“, die uns ermöglichen, nach Oben offen zu sein und allerlei aus unserer Umwelt in uns aufzunehmen.

Vasen sind dazu bestimmt, Schnittblumen temporär Halt zu geben und mit Wasser zu nähren. Sie sind ihre Begleiter für die kurze Zeit des Erblühens und Verwelkens an einem Ort des Exils. Die Blumen werden doch von ihren Wurzeln getrennt und in eine fremde Umgebung transportiert, um uns Menschen in der Blüte ihres Lebens Freude zu bereiten.
So lassen uns die zwei Vasen über das Leben und seinen Sinn nachdenken. Über die Aufgaben und Dienste, die aus unseren Eignungen und Fähigkeiten erwachsen und uns mit Freude und Zufriedenheit erfüllen. Sie lassen uns fragen, wofür wir offen sind und was wir in uns aufnehmen, wen wir in uns „beherbergen“. Der Apostel Paulus beschrieb das Aufleuchten Gottes in seinem Herzen als einen Schatz, den wir Menschen in zerbrechlichen Gefäßen tragen (vgl. 2 Kor 4,6-7). Jeder von uns ist eine Vasa sacra, wie die in der katholischen Liturgie verwendeten Gefäße genannt werden, bestimmt, Gott in sich aufzunehmen und zu den Menschen zu tragen. Wir sind die vergänglichen Gefäße (blättert bei der linken Vase nicht eine Farbschicht ab?), über die Gott seine Schönheit und Größe anderen Menschen offenbart.

Das den beiden Vasen entströmende Etwas lässt noch einen anderen Zugang zu: Die beiden Vasen können auch als Behälter eines Öls oder eines Wohlgeruchs gesehen werden, der sich über die Luft verbreitet. Auch hier vermag das Bild an Paulus zu erinnern, der im zweiten Brief an die Korinther (2,14-16) schrieb: „Dank sei Gott, der uns stets im Siegeszug Christi mitführt und durch uns den Duft der Erkenntnis Christi an allen Orten verbreitet. Denn wir sind Christi Wohlgeruch für Gott unter denen, die gerettet werden, wie unter denen, die verloren gehen. Den einen sind wir Todesgeruch, der Tod bringt; den anderen Lebensduft, der Leben verheißt. Wer aber ist dazu fähig?“

Nur zwei Vasen. Menschliche Gemeinschaft und Zugehörigkeit wiedergebend. Von der Vergänglichkeit gezeichnet. Aber ein unfassbares Licht reflektierend, eine Kraft, die als Liebe ihr Inneres erfüllt und ihre Körperlichkeit durchdringt und übersteigt … andere begeistert.

Blick in die Weite

Geometrisch abstrakt ist dieses Bild aufgebaut und so würde es auch wirken, wenn der Pinselstrich nicht sichtbar wäre und feine Unregelmäßigkeiten aufweisen würde. Anders als die deckende Flächenfüllung eines Piet Mondrian hat Maria Maier mit transparenten Farben gearbeitet. Dadurch sind Schichten entstanden, haben sich Durchsichten ergeben, Raumtiefe. Seit Jahren hält sie so tagebuchartig Stimmungen und Eindrücke mit einfachen Farblegungen fest. Einsichten und Empfindungen erhalten dadurch eine neue Fassung, einen neuen Ausdruck.

Was die Künstlerin bei diesem Bild wohl bewegt haben mag? Das Aquarell füllt sich von außen nach innen mit Farbe. Nur im unteren Drittel ist ein Rechteck frei geblieben. In seiner weißen Erscheinung gründet die größte Raumtiefe. Die blauen waagrechten Flächen darunter und darüber geben ihm eine lichte Weite; begrenzt wie vom Wasser des Meeres und einem Stück Himmel. Doch dazwischen … nahezu Unendlichkeit!

Während ganz unten ein schmaler blauer Streifen den Grund der Komposition bildet, nimmt oben ein mit Blau versetztes Violett über ein Drittel der Bildfläche ein. Mystisch mag es das geheimnisvoll über allem Waltende und durch alles Wirkende bezeichnen.

Vertikale Farbbahnen überlagern im rechten Winkel und goldenen Schnitt die horizontalen Farbflächen der ersten Farbschicht. Dunkelgrau wäßerig links, ockerfarben golden rechts, verdecken sie wie ein halb zurückgezogener Vorhang das Dahinterliegende. Gleichzeitig geben sie den Blick frei – und verstärken ihn noch – auf die asymmetrisch leicht verschobene Mitte mit ihren klaren lichtdurchdrungenen Farben.

Aus den farblich getrübten und verfremdeten seitlichen Überlagerungen wird das Auge so Stufe um Stufe in die Bildtiefe hineingeführt. Der Blick durch die Mitte läßt harmonische Schönheit wahrnehmen, Reinheit. Eine mystische Schau. Nicht hoch angelegt, sondern unten, auf der imaginären Augenhöhe von kleinen Leuten. Dieser gewaltige Ausblick soll allen möglich sein. Alle sollen aus ihm Kraft schöpfen können.