Himmelsmantel

Eine große T-förmige Leinwand bildet den Hintergrund für das große Chorkreuz. Es begleitete die Gläubigen der evangelisch-lutherischen Kirche Sankt Petri in Wuppertal von Aschermittwoch bis Pfingsten durch die Fasten- und Osterzeit. Durch die blaue Farbe wird das Kreuz gleichsam in den Himmel gehoben und noch mehr in die Mitte Gottes, für den das Symbol des Kreises und die rötliche Farbe stehen. Das Kreuz und das Leiden bleiben, doch die Umgebung des Kreuzes hat sich verändert: Jesus stirbt nicht mehr allein am Kreuz. Er wird in der größten Einsamkeit von Gott gehalten, von hinten umfangen, mit dem Mantel des Himmels bekleidet und mit seiner Barmherzigkeit gewärmt.

Die T-Form will kein zweites, alternatives Kreuz bilden, sondern die einfachste Form eines Gewandes wiedergeben. Es erinnert an das hohepriesterliche Untergewand Jesu, das Josephus Flavius so beschreibt: „Dieser Rock besteht nicht aus zwei Stücken, so dass er auf den Schultern und an der Seite genäht wäre, sondern er ist aus einem einzigen Faden gewebt.“ (Josephus Ant. III,161)

Dieses einzigartige Gewand spielt auch im Johannesevangelium eine besondere Rolle (19,23-24). Der Evangelist greift die Worte aus Psalm 22,19 auf, um zu verdeutlichen, dass Jesus der von Gott auserwählte Hohenpriester war: Die Soldaten teilten seine Kleider unter sich, aber um sein außerordentliches, in einem Stück gewebtes Gewand warfen sie das Los, um es nicht zu zerstören!

Das Himmelsgewand im Hintergrund lässt uns das Kreuz zudem in Verbindung mit einigen Aussagen des Paulus im Brief an die Hebräer sehen, in denen Jesus als der wahre und einzige, bereits im Alten Testament angekündigte Hohepriester erkennbar wird. Als Hohepriester, der sich bei Gott mit der Hingabe seines eigenen Lebens für uns eingesetzt hat und zu Gott erhoben bleibend für unsere Rettung eintritt.

„Denn jeder Hohepriester wird aus den Menschen genommen und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen. Er ist fähig, mit den Unwissenden und Irrenden mitzufühlen, da er auch selbst behaftet ist mit Schwachheit, und dieser Schwachheit wegen muss er wie für das Volk so auch für sich selbst Sündopfer darbringen. Und keiner nimmt sich selbst diese Würde, sondern er wird von Gott berufen, so wie Aaron. So hat auch Christus sich nicht selbst die Würde verliehen, Hohepriester zu werden, sondern der zu ihm gesprochen hat: Mein Sohn bist du. Ich habe dich heute gezeugt, wie er auch an anderer Stelle sagt: Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks. Er hat in den Tagen seines irdischen Lebens mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört worden aufgrund seiner Gottesfurcht. Obwohl er der Sohn war, hat er durch das, was er gelitten hat, den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden und wurde von Gott angeredet als Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks.“ (Hebr 5,1-10)

„So ist auch Jesus zum Bürgen eines besseren Bundes geworden. Auch folgten dort viele Priester aufeinander, weil der Tod sie hinderte zu bleiben; er aber hat, weil er in Ewigkeit bleibt, ein unvergängliches Priestertum. Darum kann er auch die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten; denn er lebt allezeit, um für sie einzutreten. Ein solcher Hohepriester ziemte sich in der Tat für uns: einer, der heilig ist, frei vom Bösen, makellos, abgesondert von den Sündern und erhöht über die Himmel; einer, der es nicht Tag für Tag nötig hat, wie die Hohepriester zuerst für die eigenen Sünden Opfer darzubringen und dann für die des Volkes; denn das hat er ein für alle Mal getan, als er sich selbst dargebracht hat.“ (Hebr 7,22-27)

„Die Hauptsache bei dem Gesagten aber ist: Wir haben einen solchen Hohepriester, der sich zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel gesetzt hat, als Diener des Heiligtums und des wahren Zeltes, das der Herr selbst aufgeschlagen hat, nicht ein Mensch.“ (Hebr 8,1-2)

Das tief in das Himmelsgewand hineingetauchte Kreuz erinnert schließlich auch an die Taufe, bei der die Täuflinge beim Eintauchen ins Wasser symbolisch mit Jesus sterben und mit ihrem Auftauchen zum neuen Leben auferstehen: einem Leben als Christen, weil alle auf Christus Getauften ihn selbst angezogen haben (vgl. Gal 3,27). Innerlich gewandelt durch ein Leben aus Glauben, Hoffnung und Liebe (vgl. Hebr. 10,20-24), kann die innige Verbundenheit mit Gott äußerlich als überirdischer Mantel wahrgenommen werden.