Der kursorische Blick auf die Moderne zeigt, dass eine radikale Selbst-Infragestellung zum eigentlichen Entwicklungsfaktor von Kunst geworden ist und keineswegs zu deren finalen Liquidierung geführt hat. Beobachtete Verflüssigungsimpulse im Selbstverständnis von Kunst haben sich als notwendiger Ausgleich gegenüber systembedingten Erstarrungen erwiesen. Übertragen auf ein kirchlisches Selbstverständnis könnte dies bedeuten, dass aktuell zu beobachtende Verflüssigungstendenzen auch einen Beitrag zu größerer Lebendigkeit darstellen können. Verflüssigung bedeutet ein Plus an Beweglichkeit und Formbarkeit, ein Plus an situationsgerechter Einstellung auf gesellschaftliche Veränderungen und ein Plus an Präsenz an Orten, die vom Evangelium her ein Anliegen der Kirche sein müssen.
Bischof Hermann Glettler in “Über Verflüssigung, Kunst und Kirche”, www.feinschwarz.net, 5. Januar 2018