Gottes Liebe ist ausgegossen

Visionär ist die Schau, in der sich das Licht aus der Höhe in die menschliche Dunkelheit ergießt und sternförmig über einer winzigen Menschengruppe aufstrahlt. Denn dass ein Gott, der per se überirdisch, ewig und damit transzendent ist, sich entäußert und Menschengestalt annimmt, ist schlichtweg unvorstellbar.

Doch weil bei Gott nichts unmöglich ist, kam er in Jesus Christus zu uns auf die Erde und wurde durch Maria Mensch. Diesem Wunder nähert sich die Künstlerin ebenso wie die Heilige Schrift in Symbolen.

Gott ist Licht. Seine Ewigkeit wird durch die Kreisform, die keinen Anfang und kein Ende hat, beschrieben. Im Innern dieses Kreises erzählen wunderbar bewegte rote und gelbe Linien, dass Gott die Quelle des Lebens ist. Im weißen Herz kommt zum Ausdruck, dass Er reine schöpferische Liebe ist, die über sich hinauswachsen will. Davon erzählt die Schöpfungsgeschichte, die mit der Erschaffung des Lichts begann und mit der der Menschen endet (Gen 1,1-31).

Jesus ist das Licht der Welt, weil er aus dem Licht kommt. Durch die Parallelen zur Schöpfungsgeschichte verankert der Evangelist Johannes im Prolog seines Evangeliums Jesus in Gott, wenn er schreibt: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (Joh 1,1-4)

Mit Jesus schenkt Gott seiner Schöpfung einen Neuanfang. Doch dieses Mal geht es nicht um die Erschaffung einer materiellen Welt, sondern um die Erneuerung des Menschen. Deshalb schreibt Johannes: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. […] Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut […], sondern aus Gott geboren sind.“ (Joh 1,9.12.13d)

Jesus ist der Erstgeborene dieser neuen Schöpfung. Im Bild ergießt sich das Licht in die Dunkelheit hinein. Es bahnt sich einen bleibenden Weg durch die Dunkelheit und explodiert förmlich in einem großen leuchtenden Stern über der kleinen Menschengruppe. Diese ist aus Wachs geformt und vor dem unteren Bildrand auf einer Zündholzschachtel erhöht angeordnet. Maria im blau-roten Kleid kniet anbetend vor der Krippe ihres Neugeborenen, Josef steht als Hirte gekleidet daneben.

Die Künstlerin hat mit dem gekneteten Wachs symbolisch den neuen Adam geschaffen. Indem sie ihn figürlich geschaffen hat, ließ sie das (gemalte) Licht Materie annehmen. Sie bildet damit ab, wie „das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat“ (Joh 1,14a).

Die Streichholzschachtel ist ein Hinweis, dass wir uns aufmachen, uns begeistern und anzünden lassen, und so Licht werden sollen. Sein Licht will wie der Stern im Bild in uns leuchten. Denn die schwarze Fläche im Bild ist mehr als ein effektvoller Hintergrund. Sie ist die symbolische Darstellung alles Dunklen in unserem Leben. Sie ist Ausdruck unserer Verlorenheit ohne Retter. Sie zeigt unsere Sehnsucht nach Licht, nach Erleuchtung und Orientierung, letztlich nach Gott.

Carola Wedell führt uns mit ihrer visionären Schau erneut die großen Zusammenhänge der Geburt Jesu vor Augen. Und alle, die von seinem Licht erleuchtet sind, die sein Wort in sich aufnehmen und ihm Wohnung geben, können staunend in das Bekenntnis des Johannes einstimmen: „Wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14b).

Die Arbeit von Carola Wedell war in der 79. Telgter Krippenausstellung “Auf der Suche nach dem Licht der Welt” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen. 

Heilige Familie

Die im Mittelpunkt stehende Krippe und das dem Betrachter gezeigte Kind lassen in den drei Menschen unschwer Jesus, Josef und Maria erkennen. Die geschnitzte Ausführung verbindet sie mit vielen traditionellen Weihnachtskrippen und birgt die Gefahr in sich, das Besondere dieser Figurengruppe zu übersehen: Die leere Krippe, der stehende Josef, der Jesus in die Höhe hält, Maria staunend, beinahe erschrocken dasitzend.

Die leere Krippe ist nicht leer! Sie ist voller Bedeutung. Zunächst ist sie der Ort des Geschehens in Bethlehem, als Maria das göttliche Kind gebar, es in Windeln wickelte und in eine Krippe legte, weil in der Herberge kein Platz für sie war. Desweiteren ist die Krippe weniger als ärmlicher Futtertrog für Tiere gestaltet, sondern vielmehr als Thron für einen König. Und drittens lässt die Konstruktion der Krippe aufmerken, denn unten wölbt sich ein tragendes Halbrund nach oben, in das ein nach unten weisender Dreieckskörper eingesenkt ist. Begegnung und Verbindung zweier Formen, die in ihrer einfachen Ausdrucksweise das Wunder der Heiligen Nacht und auch dieser Familie formulieren: Gott wurde in Jesus Christus Mensch!

Darum wird Jesus nicht als ein in Windeln eingewickelter Säugling dargestellt. In ein langes, schlichtes Gewand gekleidet, schwebt er, von Josef nur leicht gestützt und ihn um einen halben Kopf überragend, geradezu vor uns. (Detailbild) Mit großen wachen Augen – in einem eher unkindlich wissenden Gesicht – schaut er uns Betrachter an. Bedeutsam hält er uns seine nach vorne gewendeten offenen Handflächen hin, als wollte er sagen: „Schaut, das bin ich!“ Auf die Krippe deutend, könnten seine Hände darauf hinweisen, dass er als „reicher“ Gott durch die Menschwerdung „arm“ geworden ist. Andererseits weisen sie auch auf Maria und Josef hin, die ganz auf ihn ausgerichtet sind und ihn durch ihre Haltung in den Mittelpunkt stellen. Verhaltene Freude spricht aus ihren Gesichtern: Es ist nicht nur ihr eigener Sohn, es ist Gottes Sohn, den sie der Welt zeigen!

Ermutigend ist für heutige Familienväter, dass Josef nicht als grübelnder alter Mann dargestellt wurde, sondern als moderner junger Vater, der ohne Berührungsängste seine Vaterrolle ernst nimmt: Er steht hinter seinem Kind und gibt ihm Halt und Schutz, nicht nur mit den Händen. Mit seinem Oberkörper neigt er sich zur Seite, um dem kleinen Jesus Raum zu geben. Behutsam stützt er mit seiner Hand den Rücken von Jesus, so dass dieser aufrecht stehen kann.

Aber was ist mit seinem Gesicht geschehen? Die uns zugewandte linke Seite ist klar herausgearbeitet und lässt in Josef einen Mann mit Weltoffenheit, mit Realitätssinn und Augenmaß erkennen: den Zimmermann. Die andere Gesichtshälfte, dem Kind zugewandt, ist vom Künstler aus der Proportion geschnitten und mehr angedeutet als ausgearbeitet. Sie bringt die andere Seite von Josef zur Sprache: Er ist auch Gottesmann, der offene Sinne für das Unsichtbare hat und in seinen Träumen Gottes Stimme wahrnimmt. Innerlich und äußerlich wachsam, geht er seiner Berufung nach, steht er zu den ihm anvertrauten Menschen.

Maria sitzt. Mit ihrer „erniedrigten“ Position, dem offenen Haar und dem wallenden Mantel erinnert sie – hervorgerufen durch bekannte innere Bilder – einerseits an den Engel, der ihrem Leben mit seiner Botschaft eine jähe Wendung gab. Wie er legt sie ergriffen die linke Hand auf die Brust und die andere als Zeichen ihrer Hingabe offen in ihren Schoß. Zeichen der Ehrfurcht und des Staunens. Was ihr damals verkündet wurde, ist nun Wirklichkeit: „Das Wort ist Fleisch geworden!“ Durch sie, aufgrund ihres Glaubens, ihres Ja-Wortes. Deshalb ist ihre Haltung andererseits auch wesentlich die ihre. Was geschehen ist, bewegt sie zutiefst und lässt sie ahnungsvoll in die Zukunft schauen. Es ist, als sähe sie im Geiste bereits, was das Kind für sie und für alle Menschen zu bedeuten hat.

So zeigt uns diese Heilige Familie Menschen, die aus der Verbindung mit ihrem inneren Grund leben und die offen sind für die Anrufe Gottes in dem, was ihnen im Leben begegnet. Menschen, die aus der Gottverbundenheit heraus einander Halt geben, um die vielfältigen Zumutungen des Lebens anzunehmen und zu integrieren. Menschen wie Du und ich?