Durchgefallen

Fallende Marienfiguren: Von irgendwoher nach irgendwohin. Vor oder unter einem cyanblauen Himmel. Mutter mit Kind im Taumel. Weder Jesus noch zum Gebet gefaltete oder andere segnende Hände vermögen einen Halt zu geben. Eine Statue nach der anderen fällt im luftleeren Raum des Dazwischens. Noch sind die Figuren ganz, doch irgendwann werden sie aufschlagen und in viele Stücke zerspringen.

Verlangende, haltsuchende Arme und Hände kreuzen die vertikale Fallbewegung. Es sind anonyme Greifarme, welche versuchen einer der Marienfiguren in der Bildmitte habhaft zu werden. Sie zu halten, festzuhalten, behalten zu können. Doch die Figuren scheinen den kraftlosen Händen schon nach kurzer Zeit zu entgleiten und ihren Fall fortzusetzen.

Ein Bild des Elends!

Auf der horizontalen, irdischen Ebene die vom Leben gebeutelten Arme, die nach Zuwendung, Leben, Liebe und Nahrung hungern, die Nackten, die keine Kleider und kein Hab und Gut haben, die Heimatlosen, Vertriebenen, die nach Halt und Geborgenheit, einem Ort zum Leben suchen.

Auf der vertikalen Achse die Himmel und Erde verbindende Vertreterin der Katholischen Kirche in vielen Ausführungen: Maria. Sie steht für Religion und Spiritualität. Sie ist durch ihren Glauben und ihr Da-Sein für Jesus und die Gläubigen ein hervorragendes Vorbild für die Christen.

Aber weder ihr Angebot noch das der Kirche(n) scheint zu greifen. Kein Handschlag kommt zustande, kein Begreifen, Zugreifen, Festhalten. Die Kirchenvertreterin und mit ihr symbolisch alle Kirchenvertreter fallen durch. Noch sind die Figuren makellos. Doch was passiert, wenn sie aufschlagen?

Ein Kreuz!

Auf der einen Seite das ungesättigte Verlangen der unzähligen, namenlosen Arme. Auf der anderen Seite das über Jahrhunderte tradierte Angebot der Kirchen, das bei vielen Menschen immer weniger ankommt, weil es nicht mehr den Bedürfnissen unserer Zeit entspricht.

Die Kirche wird im Bild durch die vom Sockel gestoßenen Marienstatuen als kalt, versteinert, bewegungslos und handlungsunfähig dargestellt. Ein kritisches Bild, das anfragt, wie die Kirche mit ihrer Haltung und ihrer Theologie Antworten auf die heutigen Fragen und Bedürfnisse geben kann, damit ihre Worte und Handlungen bei den Heilsuchenden und allen sich nach Lebensfülle Sehnenden wieder ankommen, greifen und eine feste Verbindung mit Gott schaffen.

Die Kathedrale

Vor und in einer terrassenförmigen Landschaft erhebt sich fast unsichtbar ein hochaufragendes, sakrales Bauwerk. Unsichtbar, weil die kleinteilige Struktur der unregelmäßig verteilten und ungleich großen, dunklen Fenster sich über das ganze Relief verteilt. Die Kathedrale hebt sich nur durch ihre vertikale Gliederung von den horizontalen Terrassen des Fundamentes oder des Hintergrundes ab. Ihr Baumaterial besteht aus dem gleichen Rotbuchenholz wie ihr Umfeld, doch ihre Zeichen wachsen transzendent über das Vergängliche hinaus.

Als Relief mit Erhöhungen und Vertiefungen geschnitzt bildet es einen unwirklichen Raum zwischen flachem Bild und dreidimensionalem Architekturmodell, der gleichzeitig vermittelnd die alles übersteigende Wirklichkeit zur Sprache bringt.

Der Einstieg in die Höhe, die zum Höchsten und in die Tiefe, die zum Tiefsten und alles Tragenden führt, beginnt am unteren Reliefrand. Pyramidenförmig sich zuspitzend führen 23 Stufen hinauf zur schmalen kleinen Eingangstür unter einem sich immer weiter verkleinernden Torbogen. Die nach oben weisende Dreiecksform wiederholt sich im Giebel der Eingangshalle, über dem sich die Fassade des fünfschiffigen Langhauses erhebt, dessen Dach wiederum steil nach oben zu den fünf Türmen weist.

Frau Dr. Renftle, die Kuratorin der Ausstellung „Geöffnet – Verschlossen“ in Biberach schreibt dazu treffend: „Das Tor hat ebenso viel räumlich abgestufte Tiefendimension wie die Treppe ein mühsam zu erklimmender, vielstufiger Berg ist. Diese hohen, vielteilig gegliederten und emporgeschichteten Kathedralfassaden können als ein Gleichnis auf die Schöpfung oder das Himmlische Jerusalem angesehen werden – wer hineingelangen möchte, muss sich erst auf dem steilen Stufenberg hinauf quälen – zwar wird er bald von schwingenden Rundbögen beschirmt, das Ziel jedoch erscheint fern und klein wie ein Schlüsselloch. Dieses letzte Tor wirkt im Gesamtgefüge ungeheuer winzig und doch hält es die gesamte, vielfach perforierte, höchst unruhige Komposition im Innersten zusammen, fokussiert das ganze Gewimmel auf das Nadelöhr, durch das ein Jeder hindurch finden muss, will er sich das Reich erschließen, das dieser Kathedralen-Kosmos versinnbildlicht. Die archetypischen Symbole von Treppe und Tor sind hier ebenso dynamisch wie untrennbar verbunden: Das Eine bedingt das Andere, das Aufsteigen ermöglicht erst das Eintreten.“ (Renftle S. 43)

Zwei weitere Beobachtungen kommen dazu: Zum einen führen die Treppe und der Torbogen in die Tiefe. Sie führen über viele Stufen und Abstufungen in die Tiefe des Glaubensgebäudes, weit hinein in die symmetrische Mitte, die vertikal alles im Gleichgewicht hält. Das Eintreten bildet für den Betrachter gleich dem real Eintretenden ein Schlüsselerlebnis, das ihn mittet, ihnen sakramental die verlorene Mitte und damit das seelische Gleichgewicht wiederschenkt. Das erhebt den Menschen weit über sich hinaus in himmlische Sphären, verbindet ihn unsichtbar mit seinem Schöpfer und Herrn, der Mitte und alles in allem ist.

Das vierte archetypische Symbol neben Treppe, Tor und Tiefe ist die Höhe. Die hochaufragende Kathedrale versinnbildlicht mit ihrer feinen Gliederung und edlen Gestaltung den Sitz des Bischofs. In ihrer vertikalen Fächerung bietet sie Schutz, in ihrer horizontalen Gliederung breitet sie empfangend einladend die Arme aus. Im übertragenen Sinn spricht diese Kathedrale die Einladung Jesu aus: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. “ (Mt 11,28) „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen, …“ (Joh 14,2) Jesus selbst ist der Gastgeber in dieser Kathedrale, die mit ihren Fenstern wie eine Stadt, in ihrer weißen Gestalt wie das himmlische Jerusalem, die verheißene Stadt, das neue Paradies wirkt.

„Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat. Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein.“ (Offb 21,2-3)

Das Bild ist in der Themenausstellung „Geöffnet – Verschlossen. Tür und Tor in der bildenden Kunst“ bis zum 24. November 2023 in der Galerie der Stiftung BC – pro arte in Biberach zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog mit allen Werken und einer umfassenden kunstgeschichtlichen Einführung der Kuratorin Dr. Barbara Renftle erschienen.

Momentum der Unendlichkeit

Wenn natürliches Licht in Form von Strahlen sichtbar wird, ist das an sich schon ein Ereignis, denn das Licht selbst ist unsichtbar. In der Architektur geschieht eine sichtbare Lichtführung in der Regel durch Maueröffnungen. Und wenn in Kirchen das Sonnenlicht durch die Fenster gebündelt hereinbricht und choreografiert durch die großen Räume wandert, ist das ein besonderes Schauspiel.

Für die Künstlerin Elke Maier bilden solche Beobachtungen die Vorarbeit für Ihre Installationen, in denen sie Fäden durch den Luft- und Freiraum von Kirchen wie Christ-König in Bochum spannt. Sie sagt dazu: „Ich entwickle meine Arbeiten von Anfang an im kontinuierlichen Dialog mit dem Raum wie mit dem im Raum wandernden Licht, wobei die Form der Werke noch die prozessuale Bewegung ihrer Entstehung erkennen lässt.“ (Maier) Aus diesem Dialog heraus haben sich der solitäre Höhepunkt der Fäden an der Decke und die beiden Kreiselemente mit den vielen kegelförmigen Erhöhungen am Boden ergeben. Dazwischen loten die weißen Garnfäden „den Raum diagonal aus und kulminieren in radialen Strahlenbündeln. Die energetische Fadenführung wirkt ambivalent, da sie sowohl eine Aufwärts- als auch eine Abwärtsrichtung impliziert, die auf dieses Kraftfeld zuläuft bzw. von dort ausstrahlt.“ (Kessler-Slotta)

Als Betrachter steht man zwischen den beiden sichtbaren Polen der Installation und kann den extrem feinen Raumkörper umschreiten und aus unterschiedlichen Perspektiven in wechselndem Licht und vor verschiedenen Hintergründen betrachten. Wie bei einem Spinnennetz ist eine erstaunliche Raumpräsenz bei den dünnen Seidenfäden zu beobachten. Je nach Hintergrund sind sie mehr oder weniger sichtbar, aber dennoch wahrnehmbar. Doch wenn das Sonnenlicht sie kreuzt, beginnen sie zu leuchten und im Reigen ihrer Abstände durch den Raum zu tanzen. Dabei lassen sie den Betrachter in einer künstlerischen Interpretation etwas von dem erleben, was den Kirchen genuin eingeschrieben ist: den Dialog des einzelnen als auch der vielen mit dem einen Gott. Beziehung wird sichtbar. Von oben her kommend können die Fäden als Gnade, Segen, Liebe, Leben oder Barmherzigkeit Gottes gesehen werden. Von unten her als die Antwort der Menschen durch das Leben, ihre Liebe zu Gott, die Gebete, den Dank oder den Lobpreis Gottes.

Dieser durch die gespannten Seidenfäden sichtbar in den Raum eingeschriebene und strahlende Dialog der vielen mit dem Einen ist nicht auf den Kirchenraum begrenzt. Er setzt sich zeitlich und räumlich in ungebundener Form fort. Wie das Licht sich temporär in den dünnen Seidenfäden verfängt und sie zum Leuchten bringt, so lässt Elke Maier mit ihrer Installation ein Geschehen sichtbar und sinnlich anders erlebbar werden, das unsichtbar überall gegenwärtig ist. Darauf weist die spiralförmige Entwicklung der Bodenkreise hin. Entsprechend können auch die geraden Fadenlinien ohne Anfang und ohne Ende gedacht werden – sich im Boden wie über der Decke endlos fortsetzend.  So gesehen lässt die Künstlerin mit ihrer Installation ein Momentum der Unendlichkeit aufleuchten. Sie macht einen Ausschnitt von etwas unendlich Größerem sichtbar und lässt den Betrachter spüren, dass auch er oder sie gleichermaßen ein Momentum der Unendlichkeit am Horizont oder der Schwelle von der sichtbaren zur unsichtbaren Dimension unserer Welt ist.

Weitere Bilder und Einführungstext von Dr. Elisabeth Kessler-Slotta auf der Website der Christ-König-Kirche Bochum

Diese Fadeninstallation „ins Licht geatmet“ war bis zum 8. November 2019 in der Studienkirche St. Josef in Burghausen (Bayern) zu sehen. Hier finden Sie umfangreiche Informationen, Bilder und ein Video zur Installation.

Geht hinaus zu den Menschen

Auf einem kleinen Tisch mit kurzen Beinen steht auf einer roten Samtdecke ein weißes Miniaturmodell des Petersdoms. Wie zwei Hände umfangen die Kolonnaden ein Vogelnest. In seinem Inneren befinden sich weiße Mullbinden, die so gewickelt sind, dass sie an weiße Rosen erinnern. Am Tisch befestigte Metallstangen mit Handgriffen an beiden Enden ermöglichen das Tragen des Tisches durch zwei Personen.

Neben dem transportablen Modell des Petersdoms bildet das proportional zum Architekturmodell übergroße Vogelnest den dominierenden Blickfang. Braun und etwas zerzaust erhebt es sich über die so mächtig anmutenden Kolonnaden. Es bildet in seiner runden Schalenform ein Pendant zur nach oben gewölbten Kuppel als Symbol kirchlicher Macht. Im Vergleich mit dem weißen Petersdom als Symbol für die reine und wahre Kirche, der wie eine außerirdische Erscheinung auf dem mit einer Goldbrokat umsäumten Samt ruht, mutet das Vogelnest arm und schmutzig an.

Doch es befindet sich in den Vorhallen der Kirche, gleichsam als Symbol für alle Armen, Obdachlosen, Hungrigen und Verletzten, die vor der Kirche stehend diese um Erbarmen und Hilfe bitten. Dabei geht es nicht nur um die amtlichen Kirchenvertreter, sondern um alle Gläubigen. Das Vogelnest mit den Mullbinden stellt die Einladung dar, unsere „Throne“ und „Paläste“ zu verlassen und mit den Werkzeugen der Barmherzigkeit zu den Armen in unseren „Welten“ zu gehen und ihre Wunden zu verbinden. Wir sollen die „Kirche“ mit unserem Zu-ihnen-Gehen mittragen und ihr durch unser Kommen und Handeln das Gesicht Jesu Christi wiedergeben. Papst Franziskus hat dies mit der Metapher der „Kirche als Feldlazarett“ auf den Punkt gebracht. Die Kirche muss dort hingehen, wo die Menschen „leben, wo sie leiden, wo sie hoffen“, sagt er. Die Aufgabe der Kirche sei nicht, zu verurteilen, sondern Barmherzigkeit zu üben.

Der Titel der Arbeit – Wandelaltar – spannt damit den Bogen zuerst zum gotischen Retabel, das seinen Platz auf dem Altar hat und durch Umklappen der verschiedenen Tafeln Bilder nach Vorgaben des Kirchenjahres zeigt. Der Wandelaltar war aber auch der Ort der Wandlung par excellence, weil sich auf der Altarmensa in der Heiligen Messe die Wandlung der Hostie in den Leib Christi vollzog. In der heiligen Kommunion an die Gläubigen gereicht wandelte Gott ihre Schwächen in Stärken, die befähigten, zu den Bedürftigen gehen zu können. Hier knüpft das Kunstwerk an. Wie die alttestamentarische Bundeslade mit dem Volk wandelte und umherzog, so tragen die Gläubigen Gott in sich und bringen ihn in die Welt. Darüber hinaus bringt die Arbeit die Sehnsucht vieler Menschen zum Ausdruck, dass sich das (Selbst-)bild der Kirche wandeln soll. Statt durch Machtsymbole soll die Kirche durch heilende Tätigkeit in der realen Welt in Erscheinung treten und sich somit dem von Papst Franziskus geprägten Begriff der „Kirche als Feldlazarett“ angleichen.

Suchen und Finden

Kontrastreich steht die glatte lichte Gebäudehülle in einem feingliedrigen dunklen Umfeld. Ihre Vorderseite ist offen, lädt zum Eintreten ein. Doch kein Weg führt durch die unwirtliche Umgebung zu ihr hin. Ringsum dieser fellartig dichte Stangenwald, schwarz verkohlte Baumstümpfe vielleicht, ast- und blattleer, ganz ohne Leben.

Mitten in dieser Einöde also das Gebäude: „hausartig, einräumig, selbst wie hineingelandet – oder herausgewachsen? Über die Maßen hoch; über den dunkelrestigen Stämmen steht es; fremd, ein Leuchtbau, ein Lichtort. Groß und große Stille. Dreiwandig; die vierte, die vordere Seite nur Öffnung. Ein Dastehen, wartendes Geschehnis, aus dem Zentrum gesetzt und doch die Mitte der Installation. Im Fundament schon erhaben: Anwesenheit. Ruhend. Mysterienhaus, ein Geheimes. Von irgendwoher beleuchtet? Aus sich selber strahlend? Ringsum dicht gereiht Stecken, ein verschwiegener Platz (Seitenansicht).

Eine anziehende Entdeckung. Dabei einfaches Material: Schwarze Drahtstücke sind in die Holzunterlage gesteckt, das Haus ist aus hellem, ausstrahlendem Kunstharz entstanden; schön und märchenhaft; ein Haus für Poesie und Musik. Und für die Feier, eine große, seltene, vielen noch unbekannte Feier müsste das sein. Und es hieße darin: Erhebet die Herzen. Für ein Kommen, für die Ankunft, die noch gar nicht ersehnte …

Der Raum erwartet, er empfängt zum Fest, zum Hören, er ist Atmen. Er lädt zur Musik. – Aber die Arbeit von Alois Achatz ist kein Traumstück, vielmehr ein Bild der Realität: Denn es steht wie im Versengten. Wie abgefackelt die Pfosten, Bäume oder was sie auch waren; eine Dunkelwelt, in der sich mühsam das Leben neu zu organisieren hat.

Wenn ich in die Stämme hineintreten will, finde ich mich am Dickichtgewirr, im Baumrestbestand. Ich suche um die Stöcke herum ins Innen. Mein Jahr in der Niemandsbucht von Peter Handke fällt mir ein: Wie der Icherzähler sucht, nach Pilzen und nach mehr, nach viel mehr. Und wie er Sucher erlebt. Wie die Menschen durch den Wald suchen, nach Pilzen. Nicht nach mehr? Handke fragt, wie man ein guter Sucher wird: Indem man nebenbei sucht, sich nicht verkrampft in lauter Absicht, auch im Unscheinbaren sucht, in Licht und Gegenlicht. Und in der Ruhe, voller Stille. Bereit für die Überraschung (vgl. Peter Handke, Mein Jahr in der Niemandsbucht, suhrkamp taschenbuch 3887, S. 522- 525).

Alois Achatz hat mit dieser Installation eine Suchersituation, eine Suchlockung gebaut. Und die Chance des Findens, des Mehr-Findens. Und nochmals erinnert mich sein Kunstwerk an eine Erzählung von Peter Handke: Der große Fall: Ein Schauspieler geht und läuft den Tag lang in die große Stadt, von außen her, durch die Ränder, in den Abend, zu einer Veranstaltung, zu seinem Leben. Durch das Land, an Menschen vorbei. Es überkommt ihn der Hunger, ein riesiger: Ein Hunger nach Speisen; nach der Frau; nach mehr; nach viel mehr … nach dem Geist. Der hungernde Stadteinwärtsgeher, Vorbeigeher, Menschenseher meint sterben zu müssen, wenn er nicht sofort den Geist findet. Und die Mehr-als-Speise. Veni, Creator Spiritus, so erfüllt es ihn. Glocken hört er, dem Klang geht er nach; er findet eine kleine Kirche. Und die ist offen. Und es ist Messe. Und eine Heiterkeit geht von der Eucharistiefeier aus in sein Weitergehen (vgl. Peter Handke, Der große Fall, Suhrkamp 2011, S. 173 f). Ähnlich stellt Alois Achatz uns das Suchen ins Bild. Und das Finden des Lichthauses. Er baut uns die Einladung zum Hunger, zum Hören der Glocke, zum Betreten seines Werkes. Zum Suchen des Mehr, des Noch-viel-Mehr.“ (Textzitate und -änderungen mit freundlicher Genehmigung von Josef Roßmaier aus dem Buch Gegenüberstellung, S. 42, siehe unten)

Dabei verkörpert das weiße Gebäude einen Ort der Sehnsucht, der Unversehrtheit und Reinheit, gerade für Menschen, die von Unruhe erfüllt oder bereits innerlich ausgebrannt sind. Es schützt und gibt gleichzeitig neuen Bewegungsraum. Es bildet einen Kraftort, in dem die Sehnsucht nach Leben durchatmen kann. Und allen anbietet, in den unendlich größeren Lebensgeist Gottes einzuatmen.

Gegenüberstellung – Brücke zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem. Hrsg. vom Bischöflichen Ordinariat Regensburg anlässlich der Ausstellungen zum 99. Deutschen Katholikentag. Regensburg 2014, 112 S., 88 Abb.,  ISBN: 978-3-7954-2895-2

Aufbruch zum Leben

Acht Skelette bilden auf den zwei großen Bildtafeln (Zoom) eine Art Totentanz quer durch den Chor der katholischen Kirche St. Peter und Paul in Dürbheim. Sie liegen nicht, sondern sitzen, stehen, hängen, trommeln, blasen die Fanfare. Aus dem Staub des sandigen Bodens haben sie sich erhoben, wieder menschliche Gestalt angenommen. Während die einen noch mit verschränkten Armen im Dunkeln kauern, stehen andere schon aktiv im Licht, blasen und schlagen zum Aufbruch. Sie scheinen nicht nur die im „Schatten des Todes“ Sitzenden zum Aufstehen bewegen, sondern auch alle im Kirchenraum Anwesenden wecken und aktivieren zu wollen. Damit steht die künstlerische Intervention in einer Linie mit der biblischen Erzählung von der Auferweckung der Toten im Buch Ezechiel 37,1-14. Damals stärkte Gott durch die großartige Vision sein in langjähriger Gefangenschaft entmutigtes Volk und gab ihm neue Kraft, seiner alles erneuernden Geisteskraft zu vertrauen.

Von außen nach innen bauen sich die beiden Bildtafeln auf und entwickeln über eine imaginäre Kopflinie hinweg eine ungeheure Kraft, die letztlich über die Fanfaren hinaus den Bildrand quert: Alle sollen von dieser Auferstehung hören, alle sollen von dieser Hoffnung leben. Im Gottesdienst bilden die beiden Fanfaren spielenden Skelette ein Spalier für den, der durch die Öffnung in ihrer Mitte geht: den Leiter des Gottesdienstes, den Pfarrer oder den Diakon, der den lebendigen Gott verkündet und das Brot des Lebens reicht. Und wenn der Priester am Altar steht, wird erst recht deutlich, dass die Fanfarenstöße und Trommelwirbel Christus gelten. Denn gerade während der sakramentalen Handlung am Altar handelt der Priester in „persona Christi“.

Die Bildtafeln sind eigens für diesen Chorraum gemacht. Wie eine Chorschranke trennen sie den Altarraum: vorne der aktuelle Volksaltar, hinten der barocke Hochaltar mit dem Allerheiligsten (Choransicht). Obwohl die Platten auf den ersten Blick wie eine Mauer wirken, lassen sie unzählige Durchblicke auf den Hintergrund zu. Die meisten Linien sind mit der Motorsäge „gezeichnet“ bzw. aus der Spanplatte herausgeschnitten worden. Sie finden sich bei den Schattenbereichen genauso wie bei den stern- und kreuzförmigen Gebilden, die dunkel den hellen Hintergrund strukturieren. Insbesondere fallen sie aber bei den Skeletten und der Zeichnung ihrer Knochen auf (Detailansicht). Was dem lebenden Menschen Halt gibt, ist hier Freiraum, Leere, Nichts. Durch die Schnitte wurde gleich in zweifacher Weise Trägermaterial (Spanplatte und Knochen) entfernt, was die Verwandlung zu immateriellen Wesen noch hervorhebt.

Geisterhaft, unwirklich erscheinen die Skelette so im Material der Spanplatte als skelettierte Lichtgestalten. Von den Knochen her, von ihrer tragenden Körperstruktur her löst sich ihre Körperlichkeit in Luft und Licht auf. Vollzieht sich an ihnen Auferstehung? Umgekehrt wurde die Spanplatte mit jedem Schnitt geschwächt, mit jeder Materialentfernung mehr zum Skelett ihrer selbst. Dabei hatte sie als Recyclingprodukt von Holzspänen selbst schon eine Verwandlung zu einer neuen Form erfahren. Aber diese Verwandlung von Material spielt sich in unserer Wirklichkeit ab und ist absolut verständlich und beobachtbar. Ganz anders ist es bei den Gestalten. Deren Rückkehr in bewegtes Leben, ihre Auferstehung entzieht sich unserer Beobachtung, unseren Sinneskräften und der Künstler muss zu Symbolen greifen, wenn er „anschaubar“ machen möchte, was in einer anderen Dimension stattfindet. Hier kann es die Teilung des Chorraums sein, die eine Ahnung von dem vermittelt, was eigentlich verborgen ist. Der vordere Teil ist unser Lebensraum. Die Verwendung des Alltagsmaterials Holz unterstreicht das. Und dahinter, verbunden durch einen schmalen Gang, ist das Andere, das Sakrale, Auferstehung, ewiges Leben, Gott, zu dem nur Glauben und Hoffen gelangen können. Aber das Geschehen am Altar kann ein Wegweiser in diese andere Dimension sein.

Diese Installation von Hans-Jürgen Kossack wurde 2011 im Rahmen der Ausstellung malhalten – Gegenwartskunst in einundzwanzig Kirchen in der katholischen Kirche St. Peter und Paul in Dürbheim gezeigt.

Leben aus dem Licht

Alles kreist um die Mitte, die sich durch feurige Farben und eine Corona wie bei der Sonne auszeichnet. Fest und doch warm bildet dieser Feuerball das „Herz“ dieses kreisrunden Universums. Ein schwarzgrauer Rand, der nach innen unscharf ausläuft, bildet von der Form, Farbintensität und „Wärme“ her ein Gegenstück zu dieser aus sich selbst heraus strahlenden Mitte. Hart und unmissverständlich begrenzt er diese Welt voller Leben.

Der Raum zwischen Ursprung und Ende lebt durch seine mehrschichtigen Bewegungen. Von hinten nach vorne ist er farblich ähnlich gegliedert wie von der Mitte zum Rand. Kaum sichtbar, bilden weiße Striche als Symbol für das unerschaffene Licht den Grund für alle weiteren Schichten. Die wirklich wahrnehmbare Basis sind jedoch die weichen gelben Pastellstriche, die wie Sonnenstrahlen den Brennpunkt umgeben und wirkmächtig den ganzen Lebensraum durchdringen. Um ihre Bedeutung für die Fülle des Lebens darstellen zu können, sind die Linien weder gerade gezogen noch wiederholen sie sich. Kein Energiestrom gleicht dem anderen, jeder ist einzigartig und bewegt auf seine Weise.

Im Rund verteilt tauchen über der gelben Schicht rote Zeichen auf. Sie sind zum Teil verwischt und wirken wie singuläre Boten der feurigen Mitte – wie Boten der göttlichen Liebe. Wie schwebende Gefäße scheinen sie über die Strahlen hinaus das Leben auf diesem Rund anfeuern zu wollen. Als nächst dunklere Farbe fallen drei blaue Zeichen in der Form eines nach oben weisenden Dreiecks auf. Wie Quellen sind sie um den Feuerbrunnen in ihrer Mitte angeordnet, die Notwendigkeit des Wassers für alles Wachstum andeutend.

Die oberste Schicht bilden graue, feste Striche, die mit dem äußeren Rand eine Einheit erzeugen. Ihre leichten, ja schwungvollen Bewegungen gleichen einem Tanz. Nur sind keine menschlichen Gestalten auszumachen. Und doch kommt es einem vor, als hätte sich eine ganze Gruppe um das Feuer in ihrer Mitte versammelt. Die skizzierten Bewegungen lassen ein Wesen erahnen, etwas Seiendes, das aber mit keinem bekannten Lebewesen vergleichbar ist. Insofern umfasst der in diesem Bild verwendete Strichcode alle Lebewesen.

So kann diese runde Arbeit von Thomas Werk als Sinnbild für die Schöpfung gelesen werden, bei der sich auf der Grundlage des Lichtes, der Wärme und des Wassers auf dem Boden nach und nach das Leben entfaltet. Dabei kommen die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde genauso zur Sprache wie die Bedeutung der Sonne für den ganzen Erdenkreis.

Der Gläubige mag darüber hinaus mit den blauen und roten Zeichen an seine Taufe und das Wirken des Heiligen Geistes erinnert werden. Sie helfen ihm genauso wie die gottesdienstlichen Feiern, für die das Tondo symbolisch auch stehen könnte, das Leben im Spannungsfeld zwischen Geburt und Tod, Gut und Böse, Licht und Dunkelheit, … positiv zu gestalten.

Gotteshaus

Vielerlei Unterscheidungskriterien gibt es für Kirchen: nach ihrer Funktion oder Zugehörigkeit, ihrer Bauform, ihrer Entstehungszeit oder ihrem Baustil. Dem allen entzieht sich die Skulptur von Thomas Werk.

Sie besteht aus glatten, schlichten Stahlstäben, waagrecht, senkrecht und schräg miteinander verbunden zu einem Ganzen, das je nach dem Standort des Betrachters und den Lichtverhältnissen ganz unterschiedlich wirkt. Mal dominieren die senkrechten, mal die schrägen Vierkantstäbe oder es zeigt sich ein gleichsam „geordnetes Durcheinander“ von Bändern, welche einen Innenraum umschließen. Dann wieder mag man unter den drei Bögen mit den Querstreben ein hockerartiges Gebilde mit vier Beinen entdecken, aber von welcher Seite man die Skulptur auch betrachtet – eine Kirche im gewohnten Sinn erkennt man nicht.

Die Konstruktion aus teilweise glänzenden Metallstäben steht auf einem rohen Holzschemel, einem eindeutig irdisch materiellen Unterbau. Sie steht grundsätzlich offen in ihrer Bedeutung, es ist jedenfalls keine Kirche im materiellen Sinn, sondern ein Symbol für das Wirken Gottes in dieser Welt und der Gemeinschaft der Gläubigen. Und doch mögen die drei Überwölbungen auf den dreieinigen Gott hinweisen, den die Christen verehren. Durch seine Zuwendung gibt er den Menschen neuen Raum. Raum, in dem das Leben in all seinen Dimensionen zur Sprache kommt und sich in der gelebten Beziehung zu seinem Gott in ungeahnten Dimensionen entfalten kann.

Die drei Überwölbungen mit ihren Ablegern stehen fest ineinander gefügt zusammen. Wie Klammern umgeben sie von oben die horizontal auf vier Beinen stehende Viereckform. Es ist, als würde das Göttliche das Irdische schützend und bewahrend umschließen. So massiv das „Irdische“ errichtet wurde – man könnte in ihm auch einen altarähnlichen Tisch sehen –, braucht es doch einen überirdischen Schutz. Ob es Zufall ist, dass diese Überwölbungen mit ihren Verstrebungen letztlich an zwölf Punkten auf dem Holz stehen?

So verschlossen sich die Konstruktion auf drei Seiten gibt, ermöglicht sie mit ihren offenen Seiten doch ungehinderten Zugang, verweilenden Unterstand und Weggang. Damit wird die Kirche mit ihren Kirchen sowohl als geschützter Ort der Begegnung wie auch als Ort des Hindurchgehens dargestellt.

Gotteshaus nennt der Künstler seine Stahlskulptur. In diesem Raum geht es um Gott. So sehr er durch seine Andersartigkeit faszinieren und zum Verweilen einladen soll, ist er doch nicht wie eine Wohnung oder ein Haus wohnlich eingerichtet, gemütlich oder warm. Das alles mag in der Materialwahl zum Ausdruck kommen.

Letztlich lässt die offene Konstruktion auch den Gedanken zu, dass sich die Kirche wie die großen Kathedralen immer im (Auf-) Bau (under construktion) befindet bzw. der stetigen Erneuerung (semper reformanda) bedarf.

Das Gotteshaus also als Zeichen für eine Kirche in Bewegung, eine Gemeinschaft auf dem Weg. Ein Gotteshaus, das zum Verweilen einlädt, zum schutzsuchenden Unterstellen und zur Begegnung mit Gott und allen, die unterwegs sind und bei IHM inne halten. Ein göttlicher Rastplatz, der aufbaut, stärkt und zum Weitergehen ermutigt.

Metaphern Licht und Farbe

Was für ein Glasfenster! Kein figürliches Motiv ist wahrnehmbar, nur Tausende schillernder Farbquadrate, die so gleichmäßig über die ganze Fläche verstreut sind, dass kaum eine Ansammlung ähnlicher Farben auszumachen ist. Auf 19 m Höhe und 9 m Breite verteilen sich 11500 Glasquadrate mit einer Seitenlänge von 9,6 x 9,6 cm, eingepasst in 460 kleinere und größere Flächen des dunklen gotischen Maßwerks. Jeder Teil des Fensters erscheint so gleichbedeutend wie der andere, es gibt keine wichtigen oder unwichtigen Bereiche. Licht und die Farben können wie in einem Duett ihre volle Kraft entfalten und den Betrachter weit unter sich beeindrucken.

Was für ein Gegensatz zu den anderen großen und bunt bemalten Fenstern im ehrwürdigen Dom zu Köln – den erzählenden von biblischen Begebenheiten, denen mit Personendarstellungen oder mit ornamentalem Schmuck. Was für ein Unterschied zum vorhergehenden Fenster, durch das viel zu helles, blasses Licht in den Dom eingeströmt war. Das Provisorium war entstanden, weil im 2. Weltkrieg die Gläser wie die Pläne zerstört wurden und das Südquerhaus-Fenster deshalb nicht rekonstruiert werden konnte.

Und nun überwältigt die Farbenfülle: rot, blau, grün, gelb, schwarz, weiß … Je nach Sonneneinfall strahlt und leuchtet das Glasfenster, spielen die Farben miteinander, bei verhangenem Himmel wirkt es verhalten, und die einzelnen Farbquadrate sind auf sich allein gestellt. Ein Bild des Lebens? Das Leben ist doch bunt und zufällig – bei oberflächlicher Betrachtung nur dies.

Aber woher kommt dieser Eindruck von Harmonie, der das Fenster in der Tiefe eint? Kann es daher kommen, dass der Künstler nicht etwas grundsätzlich Neues schuf, sondern alle in den vielen Fenstern des Doms vorkommenden Farben sammelte, daraus 72 verschiedene Farbtöne auswählte und sie durch ein Computerprogramm zusammenfügen ließ? Anschließend korrigierte er an manchen Stellen die Zusammenstellung von Hand. So ergab sich eine Mischung aus dem vom Computer vorgegebenen „Zufall“ und dem Gestaltungswillen des Künstlers. So hat er althergebrachte und vorhandene Elemente aus dem unmittelbaren Umfeld in die Gestaltung des neuen Fensters einfließen lassen. Rührt das nicht an unser aller Lebensstruktur? Vieles ist vorgegeben durch Gene, Herkunft, Umfeld, Zeitumstände und vieles mehr. Aber die Freiheit ermöglicht auch Korrekturen, Eigenes einzubringen, sich zu entscheiden und etwas Vorgegebenes zu verändern.

Eine weitere dem Glasfenster zugrundeliegende Idee sorgt für Ruhe in der Vielfalt: Gerhard Richter gestaltete zuerst die eine Hälfte der Fläche und übertrug sie dann auf die andere Seite. Hier und dort schimmert diese grundlegende Symmetrie erkennbar durch. Ergänzende Ähnlichkeit und dennoch unverwechselbare Eigenständigkeit. Ob darin ein Hinweis auf die harmonische paarweise Existenzform gesehen werden kann, die das Leben erhält und trägt?

Als Drittes spielt das von außen eindringenden Licht eine maßgebliche Rolle in dem Kunstwerk, von dem Gerhard Richter sagt, er sei nicht sein „Schöpfer“, sondern nur „an seiner Schöpfung beteiligt … weil es eine Wirklichkeit veranschaulicht, die wir weder sehen noch beschreiben können“. Bewusst oder unbewusst nahm der Künstler dabei die mittelalterliche Vorstellung auf, das Licht sei Abbild – nicht nur Symbol – der göttlichen Allmacht. Damit öffnet das Fenster die Richtung zu einer in die Transzendenz führenden Lebensperspektive, die undogmatisch von Gottes vielgestaltiger und -farbiger Gegenwart in den Menschen unserer Zeit verkündet. Jeder Mensch, der das ihm innewohnende Licht auf seine Weise lebt und es für die anderen sichtbar bezeugt, gleicht einem unverwechsel- und unverzichtbaren Glasquadrat in diesem umfassenden und integrativen Fenster.

Das Bild vom Triforium bei vollem Lichteinfall
veranschaulicht dies auf faszinierende Weise und hierbei ist der Künstler selbst nur mittelbar der Verursacher. Die Farben und die Formen haben ihren Rahmen verlassen und sich “auf den Weg gemacht“: Dunkles zu erhellen, farblos Graues zu beleben und fröhlich zu machen, einen neuen Raum zu erfüllen, – auch wenn sich dabei ihre ursprüngliche Form verändert. Erfüllen sie nicht – mit heutigen Stilmitteln ausgedrückt – genau das, was Jesus in Gleichnissen gefordert hat: dass der Sauerteig nicht in der Schüssel bleiben, sondern hinaus quellen soll in die Weite; dass das Licht nicht unter dem Scheffel der Sicherheit und Geborgenheit an seinem Platz bleiben, sondern ebenfalls in die Weite hinaus leuchten soll.

Mögen viele den von diesem Fenster ausgehenden Impulsen nachspüren, um vielleicht Hinweise auf den eigenen Platz im Leben und die eigenen Aufgaben zu erkennen. Möge es zum Nachdenken einladen, mit welcher Farbe ich in diesem großen Gesamt, das durchaus auch Bild der Kirche zu sein vermag, Seine Liebe und Sein Licht in diese Welt hineinstrahlen kann.

So verbindet das Glasfenster von Gerhard Richter, das 20 m über dem Boden „schwebt“, sowohl Vergangenheit und Gegenwart, Zufall und bewusstes Tun, als materielle Wirklichkeit und geistige Transzendenz. Unorthodox erfrischend präsentiert es sich als Zeichen der Hoffnung und als meditative Wegweisung in unserer Zeit. Seit langem seien sich Kirche und Kunst nicht mehr so nahe gekommen, meint ein Betrachter.

Beim Verlag Kölner Dom sind vom Glasfenster drei Postkarten und ein Buch erhältlich: Gerhard Richter – Zufall. Das Kölner DOMFENSTER und 4900 FARBEN. Mit Beiträgen von Stephan Diederich, Barbara Schock-Werner, Hubertus Butin, Birgit Pelzer. Text deutsch und englisch,144 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Broschur, fadengeheftet. Verlag Kölner Dom / Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2007, ISBN 978-3-86560-298-5, Preis 34,00 €.

Glaubensfrage

Der erste Blick auf das Bild mag verwirren. Das Auge sucht nach Halt und irrt doch vielmehr in der Vielfalt von Strichen und unbekannten Formen wie in einem Labyrinth umher.

Im Großen und Ganzen erscheint das Bild hell und freundlich. Der weiße, leicht ins Gelbliche changierende Hintergrund deutet einen undefinierten Raum an und lässt den einzelnen Formen und Gestalten viel Platz und Bewegungsfreiheit. Mal stärker, mal schwächer durchziehen die roten und blauen Linien die Bildfläche, keine Tiefe oder Perspektive gebend, die einzelnen Elemente wie Adern verbindend und zu einem Ganzen zusammenfügend, ihm aber auch ein fragiles Erscheinungsbild verleihend.

Unter den beiden kräftig blauen Farbeinbrüchen am oberen Bildrand erscheint – auch durch die sich gegen den „ transzendenten Himmel“ abzeichnende Silhouette – das Liniengewirr wie eine großer Organismus. Sein „Herzstück“ ist ein klar umschriebenes Gebilde, das mit seinen dicken Begrenzungen Festigkeit und Unumstößlichkeit vermittelt. Man kann diese Form als Gebäude sehen und mit Berücksichtigung des angedeuteten Turmes auch als Kirche. Das himmlische Blau scheint wie ein Segen einen Teil des Daches zu bilden. Anstelle aber beide Gebäudeteile zu bedecken, ragt es seitlich weit über das Kirchengebäude hinaus, um einem kleinen Haus und weiter unten auch menschlichen Gestalten Schutz zu geben. Das stimmt nachdenklich … Andererseits kann die Bildmitte auch als aufgeschlagenes Buch gesehen werden. Seine Größe und Position geben ihm eine zentrale Bedeutung, die vielen kleinen weißen Rechtecke, die wie verkleinerte Seiten oder „Flugblätter“ durch das Bild flattern und an manchen Stellen haften, vermitteln den Eindruck, dass sein Inhalt für alle wichtig ist,

Rund um diesen Mittelpunkt herum ist ein vielfältiges Leben zu beobachten. Vor allem im unteren Bildabschnitt sind mehrere menschliche Gestalten und ihre mögliche Beziehung zur Mitte angedeutet. Links außen begegnen wir zwei eher „stacheligen“ Gestalten, von denen sich eine abkehrt, die andere dem zentralen Objekt zuwendet. Daneben sitzt ebenerdig eine junge Frau in einen Text versunken vor einem stelenartigen Gebilde, das ebenso einen Menschen mit erhobenen Armen darstellen könnte. Von hinten scheint sie das Böse mit ausgestrecktem Bein treten zu wollen. Das Böse, weil anstelle eines Oberkörpers ein Dreizack den Eindruck der Bosheit verstärkt. Ganz rechts steht einer mit ausgestrecktem Arm da. Er scheint gebunden oder gefesselt zu sein. So könnte er einen Verletzten oder Kranken darstellen, der wieder aufstehen kann und nun dankbar auf seine Kraftquelle hinweist, sie vielleicht sogar zu berühren versucht.

Ob die verschiedenen Gestalten stellvertretend für uns stehen, die wir jeder anders mit einer unumstößlichen Wahrheit in unserer Mitte umgehen? Wird in diesem Bild nicht unsere Lebenssituation dargestellt? Unsere Existenz in einer vielfach verwirrenden Welt, in der wir uns zurechtfinden müssen und nach Ordnung suchen?

Jeder, der bewusst lebt, sucht sich einen Platz, der seinem Wesen und seinen Möglichkeiten entspricht. Er muss sich fragen, wie er sein Umfeld wahrnimmt und wie er wahrgenommen wird, ob er auch verwirrte Dinge lösen und ihnen einordnend einen Sinn abgewinnen kann. Er muss im Wahrgenommenen seine Wahrheit herausspüren oder -hören, das, was ihm wichtig, was ihm Lebensmitte und Kraftquelle ist. Letztlich geht es um das oder den, woran zu glauben sich lohnt auf der Suche nach Orientierung, Ordnung und Halt in dieser verwirrenden Welt. Die im zentralen Gebäude angedeutete Gemeinschaft, die im aufgeschlagenen Buch signalisierte Frohbotschaft stellen zwei Angebote dar, in denen Antworten auf Glaubensfragen gefunden werden können.

Glauben

Geheimnisvoll verbirgt und offenbart diese mehrteilige Arbeit Wesentliches des christlichen Glaubens. Die Heiligkeit des einen dreieinigen Gottes ist aus der Anordnung und Farbgebung der einzelnen Teile herauszuspüren.

In ehrfurchtsvoller Distanz, fernab von allen an Menschen und die Schöpfung erinnernden Symbolen „schwebt“ zentral auf einem blauen Grund ein goldener Ring: Symbol für den einen ewigen Gott, seine Herrlichkeit, seine Liebe, seinen Bund mit den Menschen. Dieses Mittelfeld lebt durch die diagonale Schattierung, die an einen Nachthimmel denken lässt. So unbegreifbar Gott auch ist, dem Gläubigen offenbart er sich als naher Gott – und nicht nur in dunklen Zeiten – als sinnstiftendes und Orientierung gebendes Licht (vgl. Ps 23; Joh 8,12 u.a.).

Die Seitenflügel sind symmetrisch aufgebaut. Das untere Drittel bedecken abstrakte Formen, die mit pastoser Farbe aufgetragen worden sind. Sie vermitteln Chaos, Unruhe und geschäftiges Treiben und verweisen damit auf das vielgestaltige Leben auf der Erde. Über diesen bunten Andeutungen sehen wir eine feurig rote, ruhigere Fläche mit symbolischen Hinweisen.

Links ist eine Schale zu erkennen, in der ein Feuer brennt. „IGNIS – Feuer“ steht seitenverkehrt daneben, wie von hinten auf die Leinwand geschrieben. Darf es als Feuer des Glaubens gelesen werden, als Zeichen für den Glauben, der von den Gläubigen im Credo gemeinsam bezeugt und gleichsam über ihren Köpfen hoch und heilig gehalten wird?

Daneben ein Hinweis auf Lukas 10,22 oder / und 23: „… niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater, und niemand weiß, wer der Vater ist, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.’ Jesus wandte sich an die Jünger und sagte zu ihnen allein: ‚Selig sind die, deren Augen sehen, was ihr seht. Ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.’“ Die torähnliche Form ∏ darüber mag Jesu Wort in Erinnerung rufen, das er über sich gesagt hat: „Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden … und Weide finden.“ (Joh 10,9)

Unser Glaube basiert auf der Offenbarung durch Jesus Christus, der durch den Heiligen Geist Mensch geworden ist. Die Menschwerdung hat der Künstler auf dem rechten Seitenflügel in einem rosafarbenen „Lichtstrahl“ dargestellt, der nach unten immer stärker wird. In der oberen Hälfte wird er kaum wahrnehmbar durch einen schwachen Schriftzug gekreuzt und dadurch zum Kreuz. INCARNATUS ist von rechts nach links zu entziffern. Nur weil Gottes Sohn Mensch wurde und sich als solcher offenbarte, konnte er Anstoß erregen und gekreuzigt werden. Daran erinnern auch die beiden als Pendant zum Torbogen auf der linken Seiten stehenden Nägel.

Im Unterbau dieses „Flügelaltars“ verweisen sieben Fackeln auf die sieben goldenen Leuchter, die der Seher Johannes als Symbole für den Glauben der sieben Gemeinden in der heutigen Westtürkei sah (Offb 1,12 sowie die ermahnenden Worte an die Gemeinden in den Kapiteln 2-3). Sie brennen wie Kerzen vor dem Allerheiligsten – Seine einzigartige und heilige Gegenwart bezeugend. Diese Tafel ist vom Wort „EST – ist/sein“ geprägt. Es kann in Verbindung mit dem obigen INCARNATUS als INCARNATUS EST gelesen werden, betonend, dass er durch den Heiligen Geist in Maria Fleisch angenommen und Mensch geworden ist (Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine, et homo factus est).

Dieses EST kann aber ebenso auf uns und unseren Glauben bezogen werden. Erst wo der Glaube in uns Gestalt annimmt, Christus durch den Heiligen Geist in UNS Fleisch angenommen hat (Gal 2,20) und wir durch die lebendige Gottesbeziehung wahrhaftig Menschen geworden sind, gelangen wir doch zum wirklichen Sein und Leben. Die vielen X in den bunten Formen der Seitenflügel könnten ebenfalls dies bedeuten: Christi Menschwerdung vollendet sich dort, wo Menschen den christlichen Glauben annehmen und sich auf den einen dreifaltigen Gott taufen lassen. Christi Menschwerdung vollendet sich dort, wo Menschen aus dem Glauben heraus und in der Kraft des Heiligen Geistes wie Jesus Christus leben und handeln.

 > geschlossener Zustand

Den ganzen 5-teiligen Missa-Zyklus finden Sie im 57-seitigen Buch „Missa“ von Uwe Appold abgebildet (Juli 2005, ISBN 3761619731, Euro 15,-).

Gehalten!

In quadratischer Form präsentiert sich uns diese Kreuzwegstation aus Glas. Eingelassen in das Mauerwerk der Kirche bildet dieser Kreuzweg  Übergänge zwischen dem Äußeren und dem Inneren der Kirche und vermag den Gläubigen gerade in schweren Stunden wahre Lichtblicke zu schenken. Alle Kreuzwegstationen scheinen bereits vom Licht der Auferstehung durchdrungen.

In der 13. Station sind die Kreuzabnahme und das Hinabsteigen zu den Toten zusammengefasst. Beiden gemeinsam ist die Abwärtsbewegung. Mehr Skelett als Leichnam ist eine menschliche Gestalt mit ausgebreiteten Armen erkennbar, wie ganz unten auf dem Meeresgrund schwebend. Es muss Jesus sein. Das Kreuz ist ihm noch nahe, das ihm durch das Kreuz aufgebürdete Leid und der Schmerz verlassen ihn nicht so schnell und prägen weiterhin seinen Körper.

Die beiden aus dem Zentrum einer Spirale hervorgehenden Linien suggerieren, dass Jesus auch in den Tiefen des Totenreiches von Gott Vater und Heiligem Geist gehalten wird. Seine Arme bilden die Basislinie eines gleichschenkligen Dreiecks, das auch durch seine Helligkeit Symbol für die göttliche Dreifaltigkeit ist. Dieses Dreieck bildet wie eine Taucherglocke ein schützendes Hausdach, den (Über-)Lebensraum in den Tiefen der Erde. Die offene Form beinhaltet eine Sogwirkung nach oben. Jesus ist hinabgestiegen, um alle Menschen an sich zu ziehen (vgl. Joh 12,32), sie zu retten und seinem Vater zuzuführen (vgl. Joh 6,39f; 10,27f).

Jesus ist hinabgestiegen in das Reich des Todes. Das Blau suggeriert die Tiefe des Meeres, aber durch die leichte Wellenbewegung spiegelt sich im Wasser bereits der Himmel und kündigt sich seine Herrlichkeit zur Rechten des Vaters an (Mt 26,64). Ein intensiver heller Lichtstrahl verbindet denn auch die ärmliche Gestalt Jesu mit dem oberen Teil des Bildes, führt ihn dort hinauf, wo über der Erde nach einer verregneten Nacht eben die Sonne aufzugehen scheint.

So wenig das Bild an traditionelle Bilder von Kreuzabnahmen oder Jesu Hinabstieg zu den Toten erinnert, so erzählt es doch in einer neuen Sprache von diesem zentralen Wesenszug des christlichen Glaubens. Dem Künstler ist es dabei wie den großen Ikonenmalern gelungen, den Hinabstieg Jesu zu den Toten im Licht der Auferstehung darzustellen, als Sieg Jesu Christi über die Macht des Todes.

Bilden nicht die ausgebreiteten Arme Jesu zusammen mit den beiden Schenkeln des Dreiecks ein Alpha, den ersten Buchstaben des griechischen Alphabetes? Es erinnert mich an Jesu Worte im Buch der Offenbarung, die in „Erfüllung“ gegangen sind: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Wer durstig ist, den werde ich umsonst aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt. Wer siegt, wird dies als Anteil erhalten: Ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn [oder meine Tochter, Anm. d. A.] sein.“ (Offb 21,6-7)

Auf der Website des Künstlers (sein Name links unter dem Bild ist verlinkt) finden Sie alle Kreuzwegstationen.

Farbe bekennen – Spuren hinterlassen

Viele farbige, mehr oder weniger gleich große Punkte präsentieren sich unseren Augen. Meist kräftig in den Farben, rundlich in der Form und mit unscharfem Rand sind die bunten Farbtupfer über die Leinwand verstreut. Manchmal bildet ihre Aneinanderreihung so etwas wie eine Linie, aber es ist kein System der Verteilung oder Anordnung auszumachen. Die rundlichen Farbflächen sind einfach da, scheinen über dem braun-weiß verwischten Hintergrund zu schweben, auf dem Spuren horizontaler und vertikaler Pinselführung zu erkennen sind.

Was soll dieses Gemälde im Altarraum, was kann es zum Glauben sagen?

Vor dem eintönigen Hintergrund, auf dem nur noch verwischt Kreuzspuren zu erkennen sind, bilden die farbigen „Punkte“ eine neue, frische, frohe Wirklichkeit. Das Bild könnte eine Ostererfahrung zum Ausdruck bringen, wo es um die unfassbare Freude über die Auferstehung Jesu und den Sieg des Lebens über den Tod geht. Jeder Farbpunkt könnte ein Aspekt dieser Freude sein. Wie unser Auge versucht, alle Farbpunkte zu erfassen und es doch nicht kann, so unfassbar ist für uns das Geschehen der Auferstehung. Uns bleibt das teilweise Erfassen, das Wandern von einem Farbpunkt zum anderen. Darin erfahre ich schon Freude und Kraft, die ansteckt und in ihrer Frische gut tut.

Das Bild kann noch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden. Heißt „Farbe bekennen“ nicht, vor und gegenüber anderen zu seiner Einstellung, zu seiner Meinung, zu seinem Glauben stehen? So gesehen habe ich mit meiner Lebensgeschichte, meinen Fähig- keiten, meiner Persönlichkeit eine ganz eigene „Farbe“.  Wo ich mich in Gesellschaft und Kirche eingebe, bekenne ich Farbe, präge ich Situationen, Menschen, Orte – male ich gleichsam an dem großen Gemälde Kirche (oder Gesellschaft) mit. Je mehr ich mich mit meiner Farbe einbringe, engagiere, umso mehr Spuren hinterlasse ich und um so bunter, lebendiger und froher wird das Leben der Gemeinschaft.

„Ihr seid das Licht der Welt,“ sagt Jesus. „Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf einen Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure Werke sehen und euren Vater im Himmel  preisen. (Mt 5,14-16)

Noch ist Freiraum zwischen den Farbpunkten! – Fehlt vielleicht meine Farbe, weil ich mich nicht getraue, sie zu zeigen? Das Bild macht mir Mut, meine eigene Farbe zu bekennen, einzubringen und damit die Leuchtkraft und das Zeugnis der Gemeinschaft der Gläubigen zu erneuern.

Lebendiger Kirchenraum

Mit seinem Chorbild lehnt sich Dietrich Stalmann an die gotischen Altarretabel an, deren Flügel unterschiedlich bemalt und entsprechend dem Kirchenjahr auf- oder zugeklappt waren. Mit seiner Kirchenjahresstele verfolgt der Künstler dasselbe Ziel. Die Bilder wollen in das Zeitgeschehen einbezogen werden, sie wollen Veränderung mitmachen, durch die Veränderung immer wieder neu ansprechen.

Die Kirchenjahresstele wird aus einem senkrechten Element gebildet, in das der liturgischen Zeit entsprechend drei verschiedenfarbige Tafeln eingesetzt werden können. Violett in der Advents- und Fastenzeit, Gelb in den Festzeiten, Grün im restlichen Jahreskreis. Ohne Bilder vermittelt sie gerade in der Fastenzeit eine befreiende Leere, die zum Denken anregt. Der Bildentzug signalisiert Buße, Einkehr, Umkehr. Zusammen mit der waagrechten Stahlschiene für die Aufnahme der Bilder erinnert die Stele entfernt an ein Kreuz.

Waagrecht können drei Bildtafeln der Stele vorgehängt werden: Georg, Maria, der Engel Gabriel. Wahlweise allein, zu zweit oder zu dritt. Der hl. Georg als Kirchenpatron übers Jahr auf der grünen Stele, Maria und der Engel in der Adventszeit auf der violetten oder an Marienfesten auf der gelben Stele. Mit allen drei Bildtafeln entfaltet die Kirchenjahresstele ihre Vollgestalt und kündet mit ihrer dynamischen Farb- und Formgebung von der Geistigkeit des Glaubens. Glauben ist etwas Unfassbares. Genauso wie Gott immer der ganz Andere sein wird. Doch durchweht nicht Gottes Geist die ganze Schöpfung und hilft ihr in der Erkenntnis Gottes? (vgl. „Der Geist des Herrn erfüllt das All …“ Kath. Gesangsbuch der Schweiz, 232) Brennt nicht seine Liebe in unseren Herzen? (Röm 5,5)

Mein Blick geht in das unendliche Feuer der Liebe Gottes, lässt mich die Weite Gottes erfahren (Ps  36,6) und etwas von der explosiven Kraft des christlichen Glaubens spüren.

Erst im Nähertreten sind die vom Heiligen Geist erfassten Gestalten von Maria, Georg und dem Engel zu erkennen. Georg als Kirchenpatron in der Mitte. Mit der Lanze den Drachen tötend ist er uns Vorbild im ehrenhaften und mutigen Kampf gegen das Böse. Wie er der Legende nach damals die Königstochter vor dem Tod bewahrt hat, mag er auch heute helfen, die Kirche Christi zu beschützen.

Maria wird gerade vom Engel besucht. Ganz ins Blau des Glaubens gehüllt, neigt sie sich von der göttlichen Botschaft überwältigt nach hinten. Was soll mit mir geschehen? Was hat Gott mit mir vor? Sinnfragen des Lebens klingen in ihrer Haltung an, die gerade in der Begegnung mit Gott noch spürbarer werden. Der Engel ist von grünen Farben umgeben – der Farbe des Lebens. Mit der Botschaft, dass sie den Sohn Gottes empfangen wird, bringt der Engel ihr keimendes Leben, Hoffnung für alle Menschen, die wie Maria glauben, dass sich Gottes Wort an ihr erfüllt. Jeden Tag und in jeder „Jahreszeit“ des Lebens wieder neu und anders – in der Kraft des Unfassbaren, alles durchdringenden und heiligenden Geistes Gottes.

Maiandacht mit Maria

Ein Andachtsbild für Zuhause. Klein und unaufdringlich, fein gearbeitet. Zum Innehalten einladend, wie die ange- zündete Kerze, deren leuchtende Flamme von Gott kündet und alles in Sein feierliches Licht kleidet.

Andacht – andächtiges „Andenken“ – an jemanden Denken. In eine geistige Welt eintauchen. Erinnerungen, und Bezieh- ungen aufgreifen, sorgfältig festhalten. In Gedanken kreisen, zum Bewegenden hintanzen, wie die Form der Hände.

Es könnten meine Hände sein, die sich verlangend in diesen „geistigen“ Raum hineinstrecken. Aber es sind dieHände von einem Gegenüber, die das kleine Bild umgeben. Wie mir hinhaltend, doch nicht berührend. Sehnsucht weckend, das Geheimnis des Glaubens anklingen lassend.

Der breite Rahmen schützt diesen geistigen Raum wie dicke Mauern vor den Vereinnahmungen des Alltags. Er markiert diesen besonderen Platz im Haus, ist Tor zur geistigen Welt, Teil der Kirche, wie das kleine Bild im Hintergrund.

Ausschnitt, bzw. Einsicht in eine Kirche. Nur der Arm der Freisinger Madonna in der Pfarrkirche Jetzendorf aus dem 18. Jh. ist zu sehen. Nicht sie steht im Mittelpunkt des Bildes und damit der Be(tr)achtung, sondern die weiße Lilie. Symbol der unbefleckten Empfängnis und der Reinheit ihres Herzens. Maria sammelt unsere Sehnsucht und unser Gebet, um es zusammen mit ihrem eigenen Gebet vor Gott zu bringen.

Maria und mich verbindet diese Sehnsucht nach Gott, das Suchen seines Angesichts. Ich höre die Worte des Psalmisten: „Vernimm, o Herr,  mein lautes Rufen; sei mir gnädig, und erhöre mich! Mein Herz denkt an dein Wort: „Sucht mein Angesicht!“ Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.“ (Ps 27,7-8)

Mitten im Alltag ist gerade Maria, weil sie so ganz in unserer Welt verwurzelt und doch ganz auf Gott ausgerichtet war, eine wunderbare Mittlerin und Fürsprecherin. So erinnert sie uns wie das in der Wohnung aufgehängte Kreuz an Sein heilwirkendes Leben auf der Erde und hilft uns, im Geist immer wieder neue Zugänge zu Ihm zu finden, der unsichtbar unter uns lebt und wirkt.