Kreisen um die goldene Mitte

Rote Linien oder besser gebogene Holzstäbe sind in der dreidimensionalen Skulptur spielerisch mit der goldenen Mitte im Dialog.

Drei Ovale umkreisen die Mitte und definieren das Kreisen in seiner dreifachen Wiederholung als etwas Bestimmtes, Sicheres, vielleicht sogar als etwas Heiliges. In ihrer Gesamterscheinung geben sie der Skulptur das Aussehen eines Sonnensystems oder auch eines großen Auges.

Sechs zur Mitte hin gebogene Linien sind ein weiterer Ausdruck des Dialogs mit dem Zentrum. Von außen kommend nähern sie sich der Mitte mehr oder weniger und entfernen sich dann wieder. Dabei kreuzen sie die konzentrischen Linien und bilden eine Vielzahl von Berührungspunkten. In der Gesamterscheinung deuten die nach außen offenen Bogenformen eine dynamische Kreuzform an.

Das Zentrum bildet ein runder, gewölbter Körper mit einem goldenen Innenraum, der von einem unsichtbaren Licht warm pulsierend erleuchtet wird. Für den Zürcher Künstler Adrian Bütikofer steht es in seinem skulpturalen Wandobjekt symbolisch für die Bahnhofkirche im Zürcher Hauptbahnhof, einem spirituellen Ort der Konzentration und Stille inmitten der dynamischen Betriebsamkeit des Bahnhofalltags. So gesehen könnte das Objekt ein Ausdruck für unser geschäftiges Leben sein.

Darüber hinaus vermag das pulsierende Licht unsichtbarer Herkunft aber auch das göttliche Licht und seine nicht nur das Herz bewegende Kraft zu symbolisieren. Es steht für Gottes geheimnisvolle Gegenwart in jedem Menschen. Als unsere Lebensquelle brennt er in uns und von ihm strömt das Leben durch uns wellenförmig in die Welt.

Gleichzeitig können die strahlenförmig zur Mitte und wieder nach außen führenden Holzlinien mit Aktion und Kontemplation, dem Suchen und Finden von Gott, dem Verweilen bei Ihm und der Sendung durch Ihn gedeutet werden. Überraschend tauchen Assoziationen zum spätmittelalterlichen Meditationsbild des Niklaus von Flüe auf. Doch in der vorliegenden Arbeit werden keine inhaltlichen Vorgaben gemacht. Die aus einem Holzstück herausgearbeiteten „Holzlinien“ können mit ihrer lebendigen Struktur und dem pulsierenden Rot genauso als Blutbahnen, Lebensadern oder als Transportsysteme gedeutet werden, aber ebenso als vom Heiligen Geist dynamisch durchwehte Lebensbahnen.

In dieser Offenheit lädt die Skulptur zur Betrachtung und Meditation ein: Über die Bedeutung eines Ortes der Stille und der Spiritualität inmitten der ruhelosen Geschäftigkeit eines Bahnhofes, eines Stadtzentrums, eines Menschenlebens. Gegen den Zeitgeist weist sie auch leise darauf hin, dass der Mensch nicht um sich selbst kreisen soll oder er selbst im Mittelpunkt steht, sondern die goldene Mitte Gott ist. Die mit Abstand von der Wand in der Luft schwebende Skulptur lässt spüren, dass unsere Freiheit und all unsere Bewegungen nur durch den festen Halt in unserer Mitte möglich sind. Diesen innersten Halt gilt es immer wieder zu suchen und erneuernd zu festigen, damit – wie mit den symbolischen zwölf Enden angedeutet – das unendliche Neuland des Lebens zuversichtlich beschritten werden kann.

 

Die Wandskulptur war bis zum 25. August 2023 in der Bahnhofskirche Zürich ausgestellt. Auf der Website finden sich zudem Fotos zum Entstehungsprozess. Ganz unten einige Links zum Flyer der Kunstintervention und zu “Wegworten” der Seelsorgenden:  mittendrin / kreisen kurven kreuzen / ein Gott der mich ansieht.

Lebens(g)rund

Blau – Blau machen
Freiheit genießen
auf dem Boden liegend
in den Himmel schauen
ins Blaue!

Von der Enge des Alltags
hinauf in die Weite
durch einen Astkreis
den Blick fokussieren
Gott wahrnehmen, nicht sehen

Der Astkreis schwebt
wie eine Lebenskrone über mir
oder wie ein Fenster in die Ewigkeit
gewachsen, geflochten
gehalten von meinen Begrenzungen

Eine Momentaufnahme?
Wahrnehmung eines Augenblicks?
Oder ist es immer da?
Und ich sehe es nicht?
Das Lebensrad?

Was alles rund läuft in meinem Leben?
Was still und leise treibt
mich bewegt, aufbricht
sprießt und letztlich blüht?
Lebensfülle um die leere Mitte?

Lebensrad
in Bewegung sein
das Leben spüren
seine Veränderung erleben
unsichtbar gehalten und bewegt

Er ist da – und mein Halt
weiten Raum schaffend
Gestaltungsfreiraum gebend
luftige Kraftquelle
Lebensfülle – Atem

Lebensrund, Lebensgrund
zeit-leben-s aus Gott heraus
und auf Ihn hin wachsend als
sichtbare Gestalt des Unsichtbaren
vergängliche Schönheit des Ewigen

 

Bis zum 17. April 2022 sind in der Kirche St. Bonifatius Emmendingen von Carola Faller-Barris eine Kunstinstallation zur Fastenzeit 2022 mit zwei ihrer Kunstwerke zu sehen. Meine Gedanken zu den beiden Kunstwerken können Sie hier lesen: Voll-Kommen und Grace.