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Carola Faller-Barris, Grace, 2014
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Grace: Gnade + Dank

49 weiße Körper, die an Kokons erinnern, liegen wie ausgeschüttet auf dem Boden. Alle haben eine rissartige oder rundliche Öffnung. Innen sind sie leer. Ähnliche Formen kennen wir von Schmetterlingen. Kokons sind beim Verwandlungsprozess von Raupen in Schmetterlinge nötig und bleiben quasi als Zeugen übrig.

Diese Kokonform wird in der Installation aufgegriffen und übergroß mit Materialien aus dem medizinischen Bereich dargestellt. Gips- und Mullbinden verweisen auf Zeiten, in denen unser Leben gefährdet war. Sie verweisen auf Krisenzeiten, in denen wir auf Grund von Unfällen etwas gebrochen oder uns verletzt hatten und zur Heilung einen zusätzlichen Halt und Schutz brauchten. Sie verweisen auf Verbände nach Operationen, die durch Krankheiten oder Versagen von Körperorganen nötig wurden. Die Kokonformen lassen an Lebenshüllen denken für Zeiten, in denen wir besondere Ruhe und Schutz benötigten, an einen Rückzugsort, aus dem man gestärkt und verwandelt hervorgehen kann.

Die fast transparenten und fragilen Hüllen machen bewusst, wie prekär der Aufenthalt darin war. Was wir hier sehen, sind die zurückgebliebenen Spuren geglückten Lebens. Die Kokons sind leer, weil das in ihren herangereifte Leben stark genug war, in die Welt aufzubrechen. Sie sind zurückgelassen, weil sie kein Nest sind, sondern vergängliche Notwendigkeit, darin zu reifen und fit zu werden für die vielfachen Anforderungen des Lebens, für die (fast) grenzenlose Freiheit, die wir wie Schmetterlinge entfalten dürfen.

Solche Gedanken lassen Staunen und Dankbarkeit aufkommen. Ist das nicht wunderbar? Es ist doch keine Selbstverständlichkeit, dass das Leben gelingt oder in Übergangszeiten die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellt. Dass in der STille und Verborgenheit die Kraft für ein Comeback heranreift. Es könnte auch anders sein, wenn wir wieder einmal haarscharf an einer gefährlichen Situation vorbeigeschlittert sind, das Neugeborene vollkommen gesund, die Ernte reichlich, das Leben gut zu uns ist.

Eigentlich haben wir dieses ästhetische wie schöpferische Wunder nicht verdient. Es wird uns einfach zuteil, still und leise geschenkt. Es ist Gnade, grenzenlose Güte, unverdientes Glück! Gläubige sehen es als Geschenk Gottes. Jesus sagt: „Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Darauf möchte auch die Anzahl der Kokons hinweisen. Die Wurzel der Zahl 49 ist die Sieben, die Zahl der Fülle. 49 ist die Fülle im Quadrat – unfassbarer Überfluss!

„Grace“ hat die Künstlerin ihre Arbeit benannt. Nicht weil englisch immer besser klingt, sondern weil das Wort „Grace“ weitere Bedeutungen hat, die eng mit dem Begriff der Gnade verbunden sind. „Grace“ bedeutet auch Anmut und Schönheit, wie wir es ja auch im deutschen Wort „Grazie“ kennen. Und „to say grace“ meint, das Tischgebet zu sprechen, Dank zu sagen. Mille grazie!

Gnade und Schönheit werden uns geschenkt, unsere Antwort ist schlicht der Dank.

Patrik Scherrer, 03.10.2014

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