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Carola Faller-Barris, Voll der Gnaden, 2017
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Himmelszelt voller Gnade

Zwei weiße Hände von porzellanartiger Beschaffenheit ragen nebeneinander aus der Wand. Sie halten zwei Stricknadeln, die durch einen Draht verbunden sind, der die Maschen hält. Gestrickt wird mit zwei verschiedenfarbigen Fäden: einem mit Gold durchwirkten blauen Faden, der, wie die Hände, aus der Wand kommt, und einem dickeren roten Faden, der unten einem Fadengewirr entspringt. In dieses verstrickt sind menschliche Figuren in unterschiedlichen Körperhaltungen: still betend, im Fadenmeer versinkend oder verzweifelt sich an einem nach oben führenden Faden festhaltend, usw.

Die weißen Hände stricken eine Art Zelt, das auf seiner Außenseite blau und auf der Innenseite rot ist und dem Mantel entspricht, mit dem in traditionellen Darstellungen Maria gekleidet ist. Dabei symbolisiert das Blau den Himmel und Rot die Erde. Entsprechend entspringt der Faden für die blaue Außenseite dem Jenseits, hier ausgedrückt durch sein kontinuierliches Hervortreten aus der Wand. Demgegenüber werden die Menschen, die sich in ihrer Not an Maria wenden, durch die strickende Tätigkeit mit dem roten Faden nach oben und aus ihrer Misere gezogen, gleichzeitig wächst dadurch der Mantel in Richtung Erde und kommt ihnen schützend entgegen.

Maria wird hier nicht als Mensch mit individuellen Zügen dargestellt, sondern allein durch ihre strickenden Hände. Mit dieser typisch weiblichen Tätigkeit verbindet sie irdische Not mit himmlischem Erbarmen und fertigt damit einen weiten Mantel für die Bedürftigen. Wie ein Himmelszelt schwebt er über ihnen, beschützend, wärmend, Gottes Zuneigung und Liebe vermittelnd. Beeindruckend wird die Wandlung sichtbar, die Maria durch ihre Mittlerfunktion bewirkt. Die Menschen, die in der verwirrenden Not oder dem Chaos unterzugehen drohen, erhalten durch sie neue Hoffnung. Sie werden aufgerichtet und ihr zerstörerisches Leid wird gewandelt in den behütenden, Ruhe und Ordnung gebenden Innenmantel eingearbeitet, was sie gestärkt durchs Leben gehen lässt. Dadurch erhält der Schutzmantel Marias im Gegensatz zu traditionellen Darstellungen eine größere Eigenständigkeit, gleichzeitig wird Marias Mittlerfunktion zwischen Himmel und Erde, die bei der Marienfrömmigkeit eine große Rolle spielt, besonders deutlich.

Carola Faller-Barris / Patrik Scherrer, 04.11.2017

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