Zwölf Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts umgeben einen mit einem weißen Laken bedeckten Tisch. Die einen sind bekleidet, die anderen nackt. Sie sitzen, stehen, kauern und liegen. Die Gemeinschaft wirkt ungewöhnlich und doch familiär. Fremd und doch vertraut befinden sie sich dem Betrachter gegenüber. Überraschen mag die Versammlung um den Tisch, die bedeutungsvolle Zahl von zwölf Personen, irritieren die Ähnlichkeit der Darstellung mit bekannten Bildern, die uns herausfordert, das Andere, Unterschiedliche in diesem Bild zu suchen. Denn ob Nacktheit oder Haltung, ob Beziehung oder Einsamkeit, die verschiedenen Lebensalter und -situationen sind uns alle bekannt. Wir haben sie am eigenen Leib, in unserer Familie oder im Bekanntenkreis kennen gelernt.
In ausgesprochener Schönheit hat der Künstler die Menschen vom Baby bis zur Greisin, vom Neugeborenen bis zum Verstorbenen dargestellt. Der Künstler hat sich mit seiner Frau (beide schwarz gekleidet), mit Tochter, Sohn und Mutter, mit Freunden und Bekannten in dieses Bild eingebracht. Sie erscheinen als feiernde Gemeinschaft. Allerdings ist keine Freude zu beobachten, kein großes Essen, keine wirkliche Beziehung zueinander. Die einzelnen Personen stehen sich durch ihre Position im Raum nahe, aber außer der Mutter, die ihre Hand auf die Schulter der Tochter gelegt hat, berührt sich niemand, spricht niemand.
Die Gemeinschaft scheint in dieser fast bedrückenden Ruhe zu warten. Das Brot ist geteilt, aber noch nicht verteilt. Wie als Einladung an den Betrachter wird als einzige aktive Handlung das Glas an der Vorderkante des Tisches mit Wein gefüllt. Erwartungsvoll wird der Betrachter von einigen im Bild angeschaut. Wie wird er auf diese Einladung reagieren? Wird er sich an den wirklichen Tisch vor dem Hauptbild setzen oder sich wie andere Personen im Bild aus welchem Grund auch immer vom Tisch abwenden?
Wer die Einladung annimmt, wird auf ganz unerwartete Weise erfahren, wie sehr er zu dieser menschlichen Schicksalsgemeinschaft gehört. Denn nach einer halben Minute sieht er sein Portrait (gefilmt von einer in der Installation versteckten Kamera und von einem in der Wand eingelassenen Beamer auf das Bild projiziert) inmitten der Tischrunde. Wie eine Erscheinung taucht er so an der freien Stelle in der Bildmitte auf (Ansicht 2). Es ist, als wolle der Maler dem Betrachter sagen: in diesem Bild ist ganz viel von Dir. Setz Dich und setze Dich mit uns auseinander, verweile bei uns, trink mit uns ein Glas Wein, brich mit uns das Brot. Erst mit Dir kann das Fest beginnen.
Doch was für ein Fest soll denn hier gefeiert werden? Es irritiert, dass nur die eine Hälfte der Tischgemeinschaft angezogen ist. Auffallend auch, dass sie ausschließlich schwarze oder weiße Kleider tragen und nur beim jungen Mädchen ein paar Farbklekse zu sehen sind, beinahe als Pendant zum Dunkelrot des Weines. Sind sie eine Trauergemeinschaft? Oder sollen Schwarz und Weiß dezent auf seelische Zustände der diese Farben tragenden Personen hinweisen? Die Fragen bleiben unbeantwortet. Sicher ist, dass sie im Gegensatz zu den unbekleideten Personen stehen. Diese haben nichts Exhibitionistisches an sich, sondern integrieren sich auffallend natürlich in diese Gemeinschaft. Sie lassen den Menschen in seiner ursprünglichen und elementaren Beschaffenheit wahrnehmen, so wie er geboren wird (Kleinkind), aufblüht (junge Frau) und letztlich auch stirbt (liegender Mann). Der Künstler hat schöne Menschen gemalt, die Schönheit und die Würde des Menschen hervorgehoben. Auch nackt hat er nichts zu verbergen. Er darf in diesem geschützten Raum seine Anfälligkeit und Vergänglichkeit genauso zeigen wie seine unbekümmerte Offenheit und sein geradezu paradiesisches Vertrauen (vgl. Gen 2,25). Er hat nichts zu befürchten und darf in seiner existenziellen Körperlichkeit ganz sich selbst sein. Ist das nicht so im Kreis der Familie?
Erstaunlich ist und für manche mag dies auch blasphemisch wirken, dass der Künstler dem Betrachter den Platz zuweist, den Jesus in traditionellen Abendmahldarstellungen einnimmt. – Doch zuerst mal ist der zentrale Platz einfach leer, allerdings auch nicht unbesetzt. Denn dahinter öffnet sich der Raum für einen weiten Blick über das Land und in den Himmel. Die Sonne scheint gerade untergegangen zu sein. Noch erleuchten ihre Strahlen den Himmel, doch sie selbst ist nicht mehr zu sehen. Auf diese Weise wird eine andere Dimension unseres Lebens im Bild sichtbar, ein zentraler Bezugspunkt, der mit einer immateriellen Kraft und einem Licht zu tun hat, die auf eine andere Weise als das von links durch ein Fenster in den Raum hineingeworfene Licht für unser Leben wichtig sind. Wir nennen die unerschaffene Kraft Gott, sein Licht, von dem wir heute noch die Strahlen sehen dürfen, Jesus. Er nimmt in dieser aktualisierten Darstellung des Letzten Abendmahls, allerdings in einer anderen Gestalt, weiterhin den zentralen Platz ein.
Wenn nun das Bild des Betrachters an dieser Stelle erscheint, dann um zu sagen, dass Jesus auch durch ihn sichtbar wird und wirkt. Zum einen, weil der Künstler ihn als Hungrigen und Dürstenden an seinen Tisch geladen hat und sich dadurch das Wort Jesus erfüllt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Zum anderen, wenn der Betrachter bereit ist, an Gott zu glauben und bereit ist, sein Leben aus der lebendigen Beziehung zu Ihm zu gestalten. Denn jeder Christ hat in seiner Taufe „Christus angezogen“ (Gal 3,27) und soll sich in seiner Haltung und seinem Verhalten, in seinem Reden und Handeln möglichst wie Jesus verhalten, denn „der Christ ist ein anderer Christus“, wie es der Kirchenvater Cyprian auf den Punkt brachte.
Das Mittelbild der Installation weitet sich seitlich in je sechs kleineren Bildern in den Raum hinein (linke Ansicht 2). Mit Bildzitaten aus dem Abendmahlbild und Inschriften wie „bekennen, vergeben, vergehen, opfern, empfangen, Brot brechen, vergessen, suchen, täglich Brot, Anmut, spiegeln, schlafen“ wird der Dialog zwischen dem im Hauptbild Dargestellten und wesentlichen Handlungen und Erfahrungen im Leben jedes Menschen zusätzlich angeregt (linke Bilderreihe / rechte Bilderreihe / kurze Erläuterungen zu den “12 Begleitern”).
Was in dem Bild geschieht, geht jeden etwas an. Auch der dem Bild vorgelagerte Tisch mit weißem Tischtuch, gebrochenem Brot, dem Messer und der Blume, einem Glas und einem Teller sowie einer goldenen Kugel will dem Betrachter die Tatsache nahe bringen, dass jeder auf irgend eine Art und Weise am Tisch des Lebens sitzt und aufgefordert wird, im Geben und Empfangen daran teilzuhaben und zur Lebensfülle beizutragen. Der wie beim Letzten Abendmahl sparsam bestückte Tisch lässt spüren, dass es auch beim gedächtnishaften Abend-Mahl im Familienkreis weniger um das Essen als vielmehr um die Anwesenheit, die Gemeinschaft und die gegenseitige Zuneigung und Hingabe geht.
Digitale Materialien für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk:
> Das Kunstwerk auf der Website des Künstlers.
> Predigt von Pfr. Bodo Windolf (Fronleichnam 2011).
> Video und Diskussionsforum 1.
> Diskussionsforum 2.