Lebenspartner

Leicht wie ein von der Sonne durchleuchtetes Herbstblatt breiten sich die Farben über das Papier aus. Die über das ganze Blatt gehende gelbe Blatt-, Kelch- oder Ballonform ist in einer kleinen schwarzen Markierung am unteren Bildrand verankert. Von hier aus steigt die äußere Form auf der rechten Seite in einem klaren Halbrund nach oben, während die Umrisse auf der linken Seite verschwommen sind. Die Farben scheinen aus der Blattform auszulaufen, Offenheit, Bewegung und Kommunikation signalisierend.

Im oberen Bilddrittel sind lineare Strukturen auszumachen. In ihrer horizontalen Ausrichtung wie in ihrer auffallenden diagonalen Parallelität erinnern die Linien an Äste, die von einem stürmischen Wind in die gleiche Richtung gedrückt werden. Mit einem dieser Äste scheint das „Blatt“ – es könnte aber auch eine Frucht oder etwas ganz anderes sein – fest verbunden zu sein. Goldgelb leuchtet es zwischen vereinzelten dunklen Stellen, auf der einen Seite Reife und Schönheit vermittelnd, auf der anderen Seite auf die Vergänglichkeit alles Geschaffenen hinweisend. Die in das Bild eingemalte Stimmung bringt klar zum Ausdruck, dass diese beiden Komponenten nirgends so nahe beieinander zu finden sind wie im Herbst.

Wie ein Fremdkörper gegenüber diesen Impressionen hebt sich auf der linken Bildseite ein großes rotbraunes L von der übrigen Bildlandschaft ab. Mit seinen harten Konturen und seiner deckenden braunen Farbe springt es förmlich ins Auge. Im Gegensatz zu den fließenden Farben des Hintergrundes muss der Buchstabe aus einer monochromen Fläche ausgerissen und aufgeklebt worden sein. Erratisch steht das geometrische Zeichen da, nur begleitet und gleichsam getragen von einer mysteriösen schwarzen Schriftspur, die in ihrer Unverständlichkeit ebenso fremd anmutet.

Was das L wohl zu bedeuten hat? – Schwer zu sagen! – Es ist zuerst einmal ein isoliertes Zeichen, das in diesem fremden Kontext keinen Sinn ergibt. Es ist ein menschliches Zeichen, ein Ausdruck menschlicher Intelligenz. Allerdings scheint die Künstlerin den Bildtitel „EL“ vom gesprochenen Buchstaben abgeleitet zu haben, wodurch das L als Symbol für Gott gedeutet werden könnte (vgl. Gen 17,1: El Schaddai = Gott, der Allmächtige). – Geheimnisvolle Präsenz dessen, der alles geschaffen hat? Inmitten des schöpferischen Werdens und Vergehens der ganz Andere in abstrakter Fremdheit? – Wieso nicht! Der Buchstabe L könnte auch ein dezenter Hinweis auf Leben, Licht und Liebe sein! Drei göttliche Eigenschaften par excellence, die der Psalmist immer wieder wie im Psalm 36, Vers 6 und 10 besingt: „Herr, deine Güte [= Liebe] reicht, so weit der Himmel ist, deine Treue [= Liebe] reicht, so weit die Wolken ziehen. … Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht.“ (vgl. auch 1. Joh 4,16b: „Gott ist die Liebe …“)

So vermag das Bild im ungleichen Gegenüber von Buchstabe und fließenden Farben vom unaufhörlichen Dialog zwischen Gott und seiner Schöpfung zu erzählen. Durch Sein gesprochenes Wort wurde sie ins Leben gerufen und in Seiner unendlichen Liebe schenkt Er ihr durch alle blühenden und verwelkenden Lebensphasen hindurch eine unvergleichliche Schönheit und Würde.

Veränderungen

„Aus dem Dunkel bricht ein glühender Feuerball hervor und verströmt ein intensiv leuchtendes Licht. Wie von einer schützenden Schale wird das lodernde Feuer halbkreisförmig umfangen. Reliefartig hebt sich die Farbe vom Bildgrund ab und kommt auf den Betrachter zu. Dieser Eindruck steht im Wechsel mit einer Sogwirkung, die den Blick in die Tiefe des Bildraumes lenkt. Helmut Schober versteht seine Malerei als Darstellung von Energie und Licht, deren Erscheinungen er in immer neuen Facetten Ausdruck verleiht. So erinnert der glühende Feuerball an kochendes vulkanisches Gestein, das sich als Lava ergießt. Vorstellbar ist jedoch auch ein kosmisches Ereignis in den unendlichen Dimensionen des Weltalls. Entsteht hier vor unseren Augen ein Gestirn aus leuchtenden Gas- und Staubwolken, dessen Licht in den umliegenden dunklen Weltraum hineinstrahlt?

‚Der Geist des Herrn’, heißt es in einem Kirchenlied (GL 249), ‚erfüllt das All mit Sturm und Feuersgluten’ – diese spirituelle Vorstellung nimmt vor der Malerei von Helmut Schober Gestalt an und lässt das Gedachte zum lebendigen Bild werden. Evokationen an Licht- und Feuererscheinungen, wie sie in der Bibel geschildert werden, schließen sich an: das Pfingstwunder, die Ausschüttung des Heiligen Geistes, der auf die Apostel herabkam und ihr Leben durch Mut und Glaubensstärke veränderte (vgl. Apg 2). Auf dynamische Vorgänge spielt auch der Bildtitel ‚Veränderungen’ an. Diese werden als Prozesse des Glühens, des Aufbrechens und des Verschmelzens visualisiert, offenbaren in der Betrachtung jedoch das Potential einer spirituellen Tiefe, die über das Sichtbare hinausführt.“

Die Betrachtung von Frau Sabine Sander-Fell (IM DIALOG, Zeitgenössische Kunst in Pax Christi Krefeld, 2004, S. 46-47) auf der spirituellen Ebene fortführend, kann das halbkreisförmige Rund auch als großes C gelesen werden, das auf Christus Jesus hinweist, der die ganze Schöpfung umfängt, trägt, bewahrt (vgl. Kol 1,15-20). Wie ein Herz leuchtet die rote Erscheinung in der Mitte dieses göttlich-menschlichen Lebensraumes: Geschützt und doch mit Öffnungen versehen, damit sein feuriger Lebensatem aus der Tiefe aufsteigen und sich über die ganze Welt ausbreiten kann. Die roten Schattierungen, die wie Wellen über die Bildoberfläche wogen, deuten auf die Wärme der göttlichen Liebesglut hin, die als heißer Atem die erloschenen Glaubensfeuer sorgsam wieder zu entfachen und zu beleben vermag.

Dieser glühend roten Mitte wohnt eine gewaltige Kraft inne. Es erinnert an die zerstörerische Macht des Feuers, an die Explosionen und Kriege, die unsere Welt und unsere Herzen erschüttern und auch das Ende der Welt ins Blickfeld rücken. So gesehen kann das Bild bedrohlich wirken und Angst machen. Es kann aber auch die Bitte um den göttlichen Beistand auslösen, „den Geist der Weisheit und der Einsicht, den Geist des Rates und der Stärke, den Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht“ (Jes 11,2), damit wir mit Mensch und Umwelt richtig umgehen können und es eben nicht zu einer Katastrophe kommt.

Übrigens: Je dunkler der Raum wird, in dem das Bild hängt, um so mehr leuchtet die rote Farbe! Ob auch darin ein Bild für den Heiligen Geist gesehen werden darf, der in unserer Mitte um so mehr aufleuchtet, als uns die Lebenssituation bedrückt und einengt? Das Bild veranschaulicht gewissermaßen, wie Gott mit der schöpferischen Kraft seines Geistes, die Veraltetes auseinanderfallen und Neues entstehen lässt, in den Menschen gegenwärtig ist, sie von innen her verändert, aufbrechen und neue Wege beschreiten lässt. – Weil sie Seine Kraft und Führung erfahren, aber auch die Geborgenheit in Ihm.

Die Broschüre IM DIALOG, Zeitgenössische Kunst in Pax Christi Krefeld mit vielen Abbildungen und hervorragenden Beschreibungen zu den 33 Kunstwerken kann für Euro 3,50 + Porto im Pfarrbüro bestellt werden: pfarrbuero@pax-christi-gemeinde-krefeld.de

Ewiger Schöpfungstag

Eine große Stille schwebt über dem ganz in Blautönen gemalten Bild. Hier wird uns in mystischer Sprache ein Geschehen offenbart, das in geheimnisvoller Entfernung liegt. Durch die blaue Farbe spricht alles von Gott und dem Wirken seines Geistes. „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde … und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.“ (Gen 1,1-2) Ehrfurchtsvoll schafft der Künstler durch die schlichte symbolische Farb- und Formenwahl einen visuellen Andachtsraum.

Dominiert wird das Bild in der Mitte durch eine Senkrechte, die das Oben mit dem Unten verbindet. Oben wird in drei waagrechten Schichtungen wolkenartig der Himmel angedeutet, symbolisch aber die Dreifaltigkeit dargestellt, die sich in ihrer „Mitte“ lichtvoll entfaltet. Dem gegenüber liegt unten ein breites waagrechtes Element, das zum Betrachter hin dunkler wird und ehrfurchtsvollen Abstand zum gewaltigen Geschehen der Schöpfung schafft. Es kommt mir vor, als wolle der Künstler damit unsere Rolle als Zuschauer unterstreichen, in der wir eigentlich nur mit dem Psalmisten staunend beten können:

„Herr, mein Gott, überaus groß bist du!
Du bist mit Hoheit und Pracht bekleidet.
Du hüllst dich in Licht wie in einen Mantel,
du spannst den Himmel aus gleich einem Zelt. …
Du hast die Erde auf Pfeiler gegründet;
in alle Ewigkeit wird sie nicht wanken.
Einst hat die Urflut sie bedeckt wie ein Kleid,
die Wasser standen über den Bergen.
Sie wichen vor deinem Drohen zurück,
sie flohen vor der Stimme deines Donners.
Sie stiegen die Berge hinauf
sie flossen hinab in die Täler,
an den Ort, den du für sie bestimmt hast.“

(Ps 104,1-2.5-8)

Genau dies wird uns im Mittelfeld offenbart, der Blick auf das göttliche Wirken ist frei. Wir sehen den Himmel geöffnet, Gott in seiner lichten Dreiecksform der Erde zugeneigt. Gott gießt sich aus der Fülle seines Wesens aus (Jes 55,10-11), teilt sich uns mit. Gleichsam als Antwort hat der Künstler auf Gottes Mitteilung die ansteigenden Hügel und das sich dadurch bildende Tal gestaltet. Ebenbildlich, stellvertretend für alles Geschaffene auf Erden. Denn wie auf den Bergen spiegelt sich das weiße göttliche Licht – seine „Unterschrift“ – auf allen Kreaturen, nicht zuletzt in uns Menschen.