Ein Mann ist auf die schiefe Bahn geraten. Mit seinem ganzen Körper und Gewicht stemmt er sich gegen eine große Kugel. Während seine Füße, das eine Knie und eine Faust auf dem Boden Halt suchen, drücken die linke Schulter und die rechte Hand gegen das rollende Gewicht. Drahtiger und doch zerklüfteter, muskulöser und doch zerbrechlicher Widerstand. Wie lange er die Kugel wohl zu halten vermag?
Aber es ist nicht seine Aufgabe, sie nur am Weiterrollen zu hindern, also zu halten, sondern sie zurückzurollen, den Berg hinauf zu befördern. Die Aufgabe braucht Kraft und Geschick, Geduld und Ausdauer. Umso mehr, wenn der „Felsblock“ kurz vor dem Ziel immer wieder auskommt und den Berg hinunterrollt, so dass von vorne begonnen werden muss. Dem verschlagenen Sisyphos, der die Götter Zeus und Thanatos verraten, überlistet und betrogen hatte, wurde diese endlose Arbeit von Thanatos, dem Gott des Todes in der griechischen Mythologie, als Strafe für seine Taten zugeteilt.
Eine andauernde, äußerst anstrengende und oft auch vergebliche Aufgabe, die nie wirklich abgeschlossen werden kann, nennt man deshalb eine „Sisyphosarbeit“. Im „skulpturalen Filmstill“ scheint Sisyphos zudem nie eine Pause nehmen zu können, weil alles von ihm abhängt. Wenn er losließe, würde die Kugel zurückrollen, wenn er aufgäbe, wer würde dann der Kugel Widerstand geben und sie auf ihren Platz rollen?
Die Skulptur schneidet viele Fragen an. Ist eine Aufgabe oder Arbeit wirklich so wichtig, dass ich derart Zeit und Energie in sie investiere? Wenn ja, wäre es dann nicht vorteilhaft, die Aufgabe – gerade wenn sie groß und schwer ist – nicht allein, sondern mit anderen zusammen anzugehen und damit wahrscheinlich sogar ein schnelleres und besseres Resultat zu erreichen?
Weiter bietet die Skulptur Gelegenheit über Schuld und Sühne, über Strafe und Vergebung nachzudenken. Sisyphos wurde für seine Vergehen mit dem immer wieder neuen Hinaufrollen des Felsblockes bestraft. Sein Leben und sein Schicksal wurden damit an diesen großen Stein gebunden, Symbol für die Schwere seiner Untaten und Verletzungen, die er anderen zugefügt hat. Ihre Folgen hat er nicht im Griff, sie lasten schwer und entkommen ihm immer wieder.
Die ihm auferlegte Strafe kennt keine Vergebung der Schuld. Die Götter kennen kein Erbarmen. Sisyphos schiebt den Stein vergeblich nach oben. Seine Lage ist hoffnungslos, weil ihm die Götter den Stein nie abnehmen, sondern immer wieder entgleiten und hinunterrollen lassen, so dass Sisyphos in der Strafe gefangen bleibt. Jede Veränderung zum Guten wird ihm dadurch verunmöglicht.
Die ausweglose Situation des Sisyphos lässt unwillkürlich nach seinem Gegenbild fragen… und jenem der Götter. Es ist ein durch und durch aufrechter Mensch, der sich durch seine Rechtschaffenheit keine Schuld auflastet und in keine falschen Abhängigkeiten gerät. Er achtet Gott und die Menschen und bleibt gerade in dieser Verbundenheit in seinem Denken, Reden und Handeln ein freier Mensch. Gegenüber den griechischen Göttern offenbart sich der christliche Gott als guter Gott. Er ist ein Gott der Liebe und des Erbarmens, der allen, die zu ihm kommen, großzügig Vergebung schenkt. Das macht Mut und gibt Hoffnung, dass Veränderung und damit Besserung möglich ist, dass eine Strafe bei Einsicht und Reue nicht ewig dauern muss. Denn bei Gott ist niemand und keine Situation ein hoffnungsloser Fall.