Tod und Leben

Der Totenkopf ist wahrscheinlich das Erste, das wir beim Betrachten des Bildes erfassen. Mit großen runden, doch leeren Augenhöhlen „schaut“ er aus dem Bild heraus und grinst uns an. Sein Schädel ist aschgrau. Bezeichnenderweise ist er mit Kohle gezeichnet, einem pflanzlichen Material, das bereits einen Verwandlungsprozess durchgemacht hat. Auch formal wird die Vergänglichkeit sichtbar: Zum einen durch das fehlende bzw. wie ersetzte Stück Schädeldecke, zum anderen durch die Verformung zur rechten Bildecke hin.

Etwas kleiner, doch auch in rundlicher Form, ist dem Totenkopf auf der anderen Bildseite eine lichtgelbe Erscheinung mit feinen Zacken gegenübergestellt. Von ihrer Form her erinnert sie an eine Sonnenblume, von der Farbe her mehr an die Sonne selbst. Die hellgelbe Farbe wirkt kraftvoll und lichtdurchdrungen, der Pinselstrich bewegt. Somit stehen mit Sonne und Totenschädel Ursprung und Ende des Lebens einander gegenüber, Licht und Dunkelheit, Wärme und Kälte, unendliche Bewegung und Erstarrung.

Zwischen und über den beiden Bildprotagonisten befinden sich grüne Elemente auf schwarzem Untergrund. Zuerst scheinen sie einfach einen ornamentalen Hintergrund für diese Gegenüberstellung zu bilden. Doch mit der Zeit werden Assoziationen an ein Blätterwerk wach, erinnert die T-Form an einen Baum voller Blätter und Leben, ja lässt sich sogar ein Lebensbaum in symbolischer Kreuzform sehen. Noch einen Schritt weiter meint man den Gekreuzigten selbst zu erkennen, wie er mit weit ausgestreckten Armen schützend Sonne und Schädel umarmt und ihnen links und rechts von seinem Kreuz einen Platz gibt.

Damit wird der Lebensbaum zum zentralen und entscheidenden Bildelement. Flächenmäßig etwa gleich groß wie die Sonne und der Totenkopf, jedoch dunkler von der Gestalt her, verbindet er die beiden und gibt ihnen Halt. Dieses zum Lebensbaum erweckte Kreuz steht primär für Jesus Christus, der am Kreuz gestorben ist und dem vom Vater das neue, unvergängliche Leben geschenkt wurde. Gleichzeitig verweist das lebendige Kreuz auf das Paradies, auf den „Baum des Lebens“ in seiner Mitte (Gen 2,9).

Das Kreuz ist der neue Baum des Lebens und, wie die blauen Stellen im unteren Bereich andeuten, auch die Quelle ewigen Lebens. Aus der Seitenwunde von Jesus floss Wasser und Blut (Joh 19,34). Er selbst hat gesagt, „wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.“ (Joh 4,14)

Auch der Totenschädel darf in Verbindung mit dem Paradies gesehen werden. Am Fuße des Kreuzes bezieht er sich auf den alten Adam, durch den die Sünde in die Welt gekommen ist, während Jesus, der die Welt von der Sünde erlöst hat und das ewige Leben brachte, als neuer Adam bezeichnet wird.

So markant der Totenschädel also die menschliche Endlichkeit zur Sprache bringt, so erzählen das Kreuz und die Sonne von der Überwindung dieser Grenze. Die Künstlerin hat diesen Prozess nicht in Leserichtung, sondern von rechts nach links dargestellt. So ist es, als würde der Tod rückgängig gemacht. Jesu Tod und Auferstehung haben den Tod entmachtet und den Gläubigen unvergängliches, ewiges Leben geschenkt. Dafür stehen die Sonne und ihr Licht. Und sie erinnern jeden Tag neu: Auferstehung ist jetzt. Das Licht hat gesiegt, die Erstarrung ist vorbei! – LEBE!

Auferstehen in die Herrlichkeit Gottes

Aufstrebende Dynamik und kraftvolles Licht prägen diese Arbeit aus farbigem Glas. Weite goldgelbe Flächen, versetzt mit braunen Nuancen, bestimmen den Grundton des Bildes und vermitteln Freude und ein wunderbares, unfassbar kostbares Geschehen voller Leben.

Es scheint seinen Ursprung im schwarzen, höhlenartigen Bereich am unteren Bildrand zu haben, in dem vor unförmigem Gestein auch zwölf kleinere, rundliche Bälle zu sehen sind. Sie leuchten wie kostbarstes Gold und muten wie Samenkörner an, die tief unter dem Boden darauf warten, zum Leben auferweckt zu werden und ihr verborgenes Potential entfalten zu können. Die Zahl Zwölf symbolisiert dabei Vollkommenheit und Vollständigkeit alles Geschaffenen, das zum Leben erweckt wird, hier aber noch im Machtbereich des Todes ruht.

Als starkes Gegenüber zum geschlossenen Raum des Todes hat die Künstlerin einen offenen Himmel gestaltet. Kräftiges, blau-weißes Wehen erfüllt den oberen Bereich des nahezu quadratischen Bildes und zeugt von Bewegung und Leben. Durch das Symbol des Auges wird dieses Leben Gott zugeordnet, dem Lebendigen, der Quelle des Lebens par excellence, dem Dreifaltigen, wie es das rötliche Dreieck anzudeuten vermag.

Direkt unter dem Auge ragt eine „Himmels-Zunge“ tief in den Bildraum hinein. Aus ihr scheint kostbares Wasser des Lebens zu fließen, zuerst ein Strom (vgl. Ez 47,9a: „Wohin der Fluss gelangt, da werden alle Lebewesen, alles, was sich regt, leben können …“), der dann wie feiner Regen in der Tiefe die einzelnen Samen berührt (vgl. Jes 45,8: „Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, sie lasse Gerechtigkeit sprießen. Ich, der Herr, will es vollbringen.“). Der offene Himmel streckt sich einem aufsteigenden Menschenwesen wie eine einladende Hand entgegen, auf dass der der Mensch sie annehme und ins Reich Gottes eintrete.

Die Auferstehung oder Auferweckung von den Toten wird hier eindeutig als ein Werk Gottes beschrieben, als ein Wirken voller Gnade und wunderbarer Herrlichkeit. Und es macht auch deutlich, dass Auferweckung von den Toten gleichzeitig Himmelfahrt und Heimkehr zum Vater bedeuten, ganz wie Jesus zu Maria nach seiner Auferstehung gesagt hat: „Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ (Joh 20,17)

In der Bewegung des Bildes, seiner Dynamik, Kraft und seinen Farben darf jede Auferstehung zudem als ein ausgesprochen pfingstliches Geschehen verstanden werden. Das Wehen des Geistes ist allgegenwärtig spürbar. Er erfüllt mit neuem Atem, neuer Kraft und führt in die unfassbare Weite des von Gott erneuerten, ewigen Lebens. – Uns allen ist der Heilige Geist zugesagt, versprochen! Wir brauchen uns seinem Wirken nur zu öffnen, seine Auferweckung zum Leben nur zuzulassen!

> Video in einer Präsentation der Arbeit von Gabi Weiss in der Schwäbischen Zeitung 2017

Durst nach Leben

Dynamisch geschwungene Liniengebilde schweben durch einen neutralen Bildraum. Alle haben mehr oder weniger die gleiche Strichstärke, sie unterscheiden sich nur in ihrer Intensität. Während die dunkleren Linien sich kraftvoll in den Vordergrund drängen, verschwinden die weniger stark betonten Linien im Hintergrund. Durch die auslaufenden Striche und offenen Formen entschwinden sie gleichsam in der unfassbaren Tiefe des Bildraumes.

Auf den ersten Blick mag dieses Spiel der Linien einfach faszinieren: Der Rhythmus von weiten Bögen und engen Kurven, der sich in der unteren Bildhälfte verdichtet und von diesem Zentrum aus in drei einzelnen Formen aufsteigt. Der luftige Tanz von Linien, der Assoziationen an eine Feuerstelle und den daraus aufsteigenden Rauch auslösen mag.

Bei längerer Betrachtung schließen sich die luftigen Gebilde jedoch zu Umrissen von Knochen mit langem Schaft (Diaphyse) und breiteren Knochenenden (Epiphysen). Noch sind sie zu erkennen, noch sind mit den Strichen Spurenelemente von ihnen übrig geblieben. Von wem sie wohl stammen mögen?

Ihre Ähnlichkeiten mit Arm-, Finger- und Beinknochen lassen auf den Menschen schließen. Aber jeglicher Anhaltspunkt für die Bestimmung einer Größe fehlt. So sind es einfach Knochen, die durch die Überlagerungen zum einen körperliche Zusammengehörigkeit signalisieren, durch die teils offenen Formen und erst recht durch den Umstand, dass sie sich über den Bildrand hinaus auflösen, auch Vergänglichkeit und Übergang in eine ungegenständliche und letztlich unsichtbare Wirklichkeit andeuten.

So sind die Knochen in ästhetisierender Transparenz von jeder menschlichen Nähe entfremdet. Einst zu Menschen wie du und ich gehörend, von Fleisch und Sehnen überzogen, waren sie das unsichtbare Gerüst für den aufrechten Gang und das Leben. Nun sind sie nur noch eine Ansammlung substanzloser Knochen, nicht viel mehr als eine Erinnerung, dass da einmal etwas war.

Diesen Zustand der äußersten Armut und Beziehungslosigkeit, der Abwesenheit von jeglichem Leben, verbindet die Künstlerin mit Jesu Sterben am Kreuz. Insbesondere bewegten sie bei der Ausführung dieser Werkreihe seine letzten Worte: „Mich dürstest.“ Dabei meint sie nicht seinen “Durst nach Wasser, sondern nach Trost, Hoffnung, Liebe von Mensch zu Mensch”. Damit setzt sie mit diesen Arbeiten (weitere Werke aus dieser Reihe) den Ruf Jesu am Kreuz fort. Die ihrer Substanz und ihrer Zuordnung beraubten Knochen bringen diese Sehnsucht nach Zuwendung, stabiler Beziehung und Erfüllung zum Ausdruck.

Doch diesen an Knochen erinnernden Linien hat Lilian Moreno Sánchez nicht nur die Sehnsucht nach Trost, Hoffnung und Liebe mitgegeben, sondern auch eine Bewegung, die Überwindung des trostlosen Zustandes andeutet. Scheint nicht ein Windhauch die Gebeine an einem Ort zusammenzuwehen und einige sogar hochzuwirbeln? Die Intervention einer äußeren Kraft wird damit sichtbar. Auferstehung zu einer neuen Lebensgestalt, die sich durch Auferweckung und liebevolle Zuwendung Gottes ergibt.

Das erinnert über die Auferstehung Jesu hinaus an die Weissagung des Propheten Ezechiel, bei dem er wiederholt den Geist Gottes über ein großes Feld mit Knochen herabrufen musste, damit diese sich zu Skeletten sammelten und letztlich mit neuem Leben erfüllt wurden (Ez 37,1-14). Eine wunderbare Erzählung, mit der Gott den im Exil verzweifelten Israeliten seinen Beistand kund tat und ihnen Mut machte, aus ihrer Hoffnungslosigkeit aufzustehen.

Heute ermutigt uns Lilian Moreno Sánchez auf ihre Weise auf Menschen zuzugehen, die sich hoffnungslos wie damals die Israeliten oder durstig wie Jesus am Kreuz fühlen.

Ganze Werkreihe “Tengo Sed – Mich dürstet”

Ausführliches Interview mit Lilian Moreno Sánchez anlässlich ihrer Ausstellung zum “Aschermittwoch der Künstler” 2013 in Hildesheim

Neues Leben

Ruhig geben sich die Farben und Formen dem Auge des Betrachters. Oben und als Hintergrund dominieren warme Gelb- und frische Grüntöne, unten und näher beim Betrachter rotbraune Farben mit weißen Farbtupfern. Filigran und vergänglich wie farbige Blätter im Herbst bilden sie den Boden des Bildes. Aus drei verschwommen dargestellten Basen steigt ein Dickicht von braunen Strichen bis in die farbigen Spitzen empor. Sie suggerieren geknickte Hölzer. Und das Ganze ist zusammengefügt zu einer Krone, einer Dornenkrone.

Das Gebilde ist nicht erhaben und ziert auch keinen Kopf. Die „Krone“ liegt vielmehr wie niedergelegt am Boden, Niederlage und Tod gleichzeitig symbolisierend. Wenn da nicht die vielen kleinen weißen Blüten wären, die in diesem Dickicht von Zerbrochenem von Leben zeugen und es wunderbar verkünden.

Ein Auferstehungsbild? Die blühende Dornenkrone vermag genauso von der verspottenden Dornenkrönung Jesu während seiner Passion zu erzählen wie von seiner wahren Königswürde als Sohn Gottes. Sie spricht im dreiteiligen Fundament die drei Tage der Grabesruhe an, in den weißen Blüten seine Auferweckung von den Toten. So wächst das Bild von unten nach oben dem Licht entgegen, bildet links stellvertretend für die ganze Schöpfung ein Ahornblatt und streckt sich nach dem Licht rechts oben.

Das ganze Bild strömt eine wohltuende Wärme aus. Von Vergänglichkeit oder Tod ist nicht mehr viel zu spüren. Übermächtig wirken das Aufstrebende und die Fülle des Lebens. Doch die verdorrten Zweige sind die Grundlage für das neue Wachstum. An und auf diesem Dornengebilde treiben die siebzehn weißen Blüten. In ihnen ist keine farbliche Altlast zu sehen, sondern kindliche Reinheit und Neuschöpfung. Sie künden von der Größe ihres Schöpfers, der sie nach dem Winterschlaf durch die Wärme der Sonne ans Licht gerufen hat. Auferweckung durch und durch.

Sieg des Lichts

Licht und Dunkel stehen sich in diesem Bild gegenüber. Nicht mehr im Kampf, sondern in entspannter Ruhe und Ordnung zeigen sie sich. Mittig und erhaben leuchtet weißes Licht, welches die dunklen Elemente in die Ecken verdrängt. Über allem schwebt ein vertikaler Balken, der weder Licht noch Dunkel ist, sondern ganz aus Gold.

Alle Symbole sprechen von einer finalen Auseinandersetzung zwischen Leben und Tod, ja vom Sieg des Lebens über den Tod! Wie aus einer anderen, immateriellen Welt dringt das Licht durch die türartige Öffnung in den diesseitigen Lebensraum hinein; an seinen Rändern sich in sonnengelbe, dann orange Farben wandelnd und Wärme ausstrahlend. Alles soll licht und warm werden. Das Angstmachende, Einengende, Lähmende, Verschließende und zum Tod Führende muss endgültig weichen. Links unten lösen sich die rechteckig erstarrten Elemente auf, rechts ist das Wegrollen einer schweren Kreisform zu spüren.

Licht und Dunkel stehen sich nicht nur farblich, sondern auch in den beiden Kreisformen im Bild gegenüber. Während der dunkle Kreis das Bild verlassen muss, scheint die helle Kreisform von oben hereinzukommen. Ihr Wesen ist mit Transparenz, Zuneigung und, wie es das goldene Element in sich aufnimmt, mit Offenheit zu beschreiben. Diese Kreisform steht für das unendliche Leben, für das Transzendente, für Gott.

Hier wird mit gestalterisch formalen Mitteln Auferstehung gefeiert. Im senkrechten Rechteck begegnet uns der von den Toten Auferweckte. Mit der goldenen Farbe wird auf seine göttliche Herkunft hingewiesen, mit seiner erhöhten Position auf seine Rückkehr zum Vater und die Verherrlichung zu seiner Rechten. Die drei gelben Waagrechten muten wie Stufen an und mögen an sein Hinabsteigen in das Reich des Todes erinnern, gleichzeitig aber auch sein Heraufsteigen nach drei Tagen Grabesruhe.

Ob es so geschehen ist? Keiner weiß es. Es ist ein Bild des Glaubens. Ein Glaubensbild, das von der unzerstörbaren Kraft des Lebens erzählt. Es ist ein Bild, das alle einlädt, dem einst Geschehenen zu trauen, über die gelben Stufen gleichsam ins Licht zu steigen und sich so in das Werk der Erlösung hineinnehmen zu lassen.

Wucht des Todes noch
schwarz hingesetzt
verfügt der Tod
hingerollt der Stein aus Angst
tot-sicher
Ende
aller Herrlichkeit.
Weggewälzt
die dunkle Last
frei der Blick
das Tor zum Licht.
Das Grab hielt ihn nicht mehr
unfassbar leer
der Schreckens-Freude Raum:
„Er ist nicht mehr hier.
Auferstanden ist der Herr.“
Ausgestreckt am Kreuze einst
zum Himmel auf der Schrei
Abstiegsweg ins Totenreich
erhoben aus dem Grabe, hell
eint Erd und Himmel – ER.
Lebendiger der eine Weg zum Vater hin
SEINE Liebe, grenzenlos.
Umfasst du ihre „Länge und Breite,
Höhe und Tiefe“ geformt in der Geschichte des Abstiegs?
Auferstanden von den Toten ist der Herr,
lebt das WORT:
„Ich lebe – und auch ihr werdet leben.“

(Lyrik von P. Meinulf Blechschmidt in: Sehen – Glauben – Leben. Gedanken zum Glaubensbekenntnis, Beuroner Kunstverlag, Beuron 2007, S. 39f, ISBN 978-3-87071-166-5)

Den Tod vor Augen

In kräftigem Orange ragt die Glasscheibe aus dem kleinen Steinsockel in die Höhe. Vom intensiven Farbton wie den ungeschützten Kanten, die links und oben gebrochen scheinen, geht eine Warnung aus: Achtung, was du hier siehst, ist mit Vorsicht zu genießen! Du kannst dich hier verletzen, das hier kann dir weh tun. Die geradezu aggressive Farbe möchte vielleicht auch bewirken, dass sich die zentrale Botschaft der Glasstele so in unser Gedächtnis einbrennt, dass wir sie nicht so schnell vergessen.

In der Mitte der Glasscheibe schaut uns eine mit schwarzen Strichen skizzierte menschliche Gestalt an. Sie macht einen ausgemergelten, bis auf die Knochen abgemagerten Eindruck. Doch der Mensch steht – oder schreitet er sogar? Mit schelmischem Grinsen schaut er uns über den Rücken an. Doch den Blick in seine Augen gibt er nicht preis. Es ist, als trüge er eine Sonnenbrille. Aber die nackte Schädelform lässt eher vermuten, dass es sich um die Schatten leerer Augenhöhlen handelt.

Der hier in das endlos Glühende hineinschreitet, ist ein Toter, ja es muss der personifizierte Tod selbst sein, wie er sich aufrecht in der Farbfläche manifestiert. Als modernes Memento mori erinnert es an unsere eigene Abhängigkeit, an unsere eigene Vergänglichkeit. Es erinnert uns daran, dass wir trotz unserer Genialität sterbliche Wesen sind. Unser ganzes Leben geht uns der Tod voran, wohl wissend, dass wir ihm folgen, ja folgen müssen, auch wenn wir ihn durch unsere Willenskraft über große Zeitspannen zu verdrängen wissen. Doch eines Tages wird er sich umdrehen, Halt gebieten und uns mit dem eigenen Tod konfrontieren.

Das Memento mori ist wie andere Gedächtnisorte in unserer Gesellschaft (Gräber, Statuen berühmter Menschen, etc.) aus einem Bildwerk, einem Sockel und einer Texttafel aufgebaut.

In der Mitte der knappen Granithalterung fällt eine halbrunde Vertiefung auf, die wie eine Rinne die Farbe der Glasstele zu sammeln und über die Texttafel mit der Inschrift „Ihr Bild vom Bild im Kopf“ zum Betrachter hin zu leiten scheint. Damit wird der Betrachter verstärkt zum Nachdenken gebracht. Wenn uns eines Tages die Lebensenergie verlässt und der körperliche Halt genommen wird, dann hat uns das „verdrängte Abbild“ unserer Zukunft eingeholt. Wir wissen nicht, wie der Tod genau sein wird. Aber wir wissen, dass er mit dem Verlust der ganzen Lebensfülle einhergeht, dass er in Sekundenschnelle kommen kann oder sich langsam und besitzergreifend nähert. Deshalb verdrängen wir die bildliche Vorstellung des Todes, diesen Verlust von allem, was wir haben.

Was uns bleiben kann, ist nicht Gewissheit, aber doch die starke Hoffnung, dass dieses Ende nicht absolut ist, sondern eine – zwar unvorstellbare – Umwandlung in eine andere Daseinsform. Wer es wagt, um die Stele herumzugehen und sie von der anderen Seite anzuschauen, wird den Tod in einem ganz anderen Licht entdecken. Das Licht mag zwar fahl erscheinen und an ein Leichentuch erinnern. Im Gegensatz zur Vorderseite, die das pralle, uns bekannte Leben zu versinnbildlichen vermag, lässt die jenseitige Opakbeschichtung mit ihrer weiß-rosa Farbe einen Blick über den Tod hinaus zu, hinein in das Geheimnis, das uns in unserer größten Armut nicht aufgibt oder verlässt.

„Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist”

Ein Bilderpaar. Im Dialog durch die gleichen Querformate, die ähnlichen Farben und die angeschnittenen, schwarzen T-Formen. Und dann sind da noch diese Linien oder Schläuche, welche die zwei runderen Formen – oben wie ein Schatten, unten wie ein Infusionsbeutel – mit den harten geometrischen Formen verbinden. Was letztere wohl bedeuten mögen? Sie haben nichts wirklich Gegenständliches an sich. Sie sind vielmehr wie Bild-Ausschnitte, in denen die Farbe und das Leben fehlen.

Im oberen Bild fällt die rote Gestalt auf, die aus der schwarzen Fläche auf den Betrachter zuzuschreiten scheint. Die Arme waagrecht angewinkelt, die Hände zu einem lauten Ruf an den Mund gelegt, damit dieser auch in weiter Ferne noch gehört wird. Links über ihm, geheimnisvoll wie eine Signatur, vier sorgsam als Rhombus gesetzte Punkte.

Der Mensch – wie mit Blut gemalt, wie ein letzter Blutstropfen. Die T-Form als Kreuz des Todes wirkt bedrohlich, furchteinflößend. Das Herz ist außerhalb – nur noch ein Schatten, dem das Leben entflieht. Was wohl die letzten Worte dieses Mannes am Kreuz sind? Der Künstler zitiert in seiner Bildunterschrift das letzte Wort Jesu: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lk 23,46)

Im unteren Bild ist die angeschnittene T-Form ganz am rechten Rand. Im Verhältnis zum Infusionsbeutel wirkt sie klein und eher wie die Silhouette eines Stuhles. Bedrohung geht auch von ihm aus. Kein Mensch ist zu sehen. Der am Boden liegende Beutel verheißt nichts Gutes. Im Kontext gelesen kommt der Verdacht auf, dass hier keine heilbringende Lösung verabreicht worden ist, sondern ein Beruhigungs- oder Betäubungsmittel, das letztlich zum Tod geführt hat. Auch dieses Bild ist aus den letzten Worten eines zum Tode Verurteilten entstanden. Worte, die sich an denen von Jesus orientieren, aber knapp 2000 Jahre später und an einem ganz anderen Ort ausgesprochen wurden. So sagte Jose Gutierrez am 18. November 1997: “Now Father, into They hands I commit my spirit.” (Siehe: www.tdcj.state.tx.us/stat/executedoffenders.htm – hier sind alle 464 seit 1982 in Texas Hingerichteten aufgelistet).

Nikolaus Mohr hat damit nicht nur die sieben letzten Worte Jesu malerisch umgesetzt, sondern sie auch den letzten Worten von zum Tod Verurteilten gegenüber gestellt. Dadurch sind sieben Bildpaare entstanden, die zum Nachdenken einladen: „über den Wert des Lebens ebenso wie des Sterbens, den Sinn und Unsinn von Todesstrafe und zuletzt über die Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu: wenn gilt, was er selbst von sich und seinem Leben sagt, dann starb er nicht nur für uns: er starb für alle, auch für die, die ihr Leben verwirkt haben und von uns aufgegeben, fallen gelassen oder gar zum Tod verurteilt werden. Mich tröstet in diesem Moment und rüttelt zugleich auf, wenn Jesus sagt: Ich bin gekommen zu suchen, was verloren ist. Oder: nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Oder: im Himmel herrscht mehr Freude über einen Sünder, der umkehrt, als über 99 Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren. Mehr noch tröstet mich aber die Bedeutung, des von Christen bekannten und ausgesprochenen Wortes: hinabgestiegen in das Reich des Todes …“ (Engelbert Paulus)

Allein

Was hier wohl geschehen ist, dass sich der Junge setzen musste und seinen Kopf in den Händen verbirgt? Ist etwas eingestürzt, was als haltbar galt? Ereignete sich ein kriegerischer Angriff, eine Bombenexplosion, die sein Zuhause zerstört hat? Oder hat sich die Erde bewegt, eine Naturkatastrophe stattgefunden? Aus dem Bild ist nicht zu ersehen, ob die Zerstörung vor kurzem geschah oder schon länger zurückliegt. So etwas wie die großen Gräser zwischen den Trümmern könnten auf Letzteres hindeuten. Andererseits könnten die Farbläufe auch einfach auf etwas Zerrinnendes hinweisen – einen Traum vielleicht, eine Lebensvision von einer heilen Familie, ein intaktes Zuhause.

Derzeit scheint es keinen Weg aus dieser Katastrophe zu geben. Wie der Hintergrund es andeutet muss es im Jungen drin Dunkel sein, ein undurchdringliches Dickicht. Die Verzweiflung spricht aus seinem ganz in sich gekehrten Körper. Dadurch mag er auch den breiten Weg hinter sich nicht zu sehen, der, von der Sonne beschienen, zumindest ein Stück weiter führen könnte.

Der auf dem Boden zusammengekauerte Junge bildet einen seltsamen Gegensatz zu seiner Umgebung. In seiner äußerlichen Unversehrtheit erscheint er unwirklich in dem verwüsteten Umfeld. Aber aus seiner Haltung spricht die seelische Verstörtheit und Zerstörung durch das, was hier geschah. Er wehrt es von sich, er will und kann es nicht sehen, zumindest jetzt noch nicht. Keine Angehörigen stehen ihm bei, kein Hab und Gut ist zu sehen. Nur das Leben scheint ihm geblieben. Aber mit dem weiß er momentan nichts anzufangen.

Das Bild ist so anrührend, dass man beinahe das Bildhafte vergisst, um ihm beizustehen, wortlos bei ihm zu sein, damit er nicht so zurückgeworfen ist in die Einsamkeit und in die zerstörte Natur. Er wird viel Zeit brauchen, bis die Zerstörung überwunden, die Wunden verheilt sind, das Leben wieder ein Fundament gefunden hat, auf dem es sich entfalten kann. Er wird viel Zeit und viele Helfer brauchen, bis es auch auf seinem Lebensweg wieder licht wird und sich der Horizont wieder weitet.

Dialogisches Gegenüber

Einer Skulptur gleich steht der kreuzförmige Glaskörper frei im Raum. Kreuze, die nicht an der Wand hängen oder einfach auf dem Tisch liegen, sind selten geworden. Diesem hier ist zudem eigen, dass es trotz seines schweren Materials schwebend leicht aussieht. Dieses Kreuz hat von sich aus keinen festen Ort, sondern vermag sich den Bedürfnissen seines Betrachters anzupassen, wenn dieser im Kreuz mal mehr ein dialogisches Gegenüber, dann wieder einen sichtbaren oder unsichtbaren Begleiter sucht, so wie es bis in unsere Zeit hinein das kleine „Sterbekreuz“ war, das „Hand in Hand“ mit dem Erlöser in der Sterbestunde beistand.

Das Kreuz aus Glas signalisiert zu Recht Zerbrechlichkeit. Damit wird unsere menschliche Schwachheit reflektiert, unsere Anfälligkeit, unter großem körperlichem Druck zu zerbrechen. Doch mit der Dicke und der Oberflächenbehandlung fängt der Künstler die innere Zerbrechlichkeit auf und verleiht dem Kreuz eine Festigkeit, die Unzerstörbarkeit ausstrahlt. Erhaben steht es im Raum und bietet seine Vermittlung an. Es geht nicht um das Kreuz selbst, sondern um den, der an ihm würdevoll gestorben ist, und um den Menschen, der in diesem Kreuz Halt sucht. Wie das an sich durchsichtige Glas durch das Sandstrahlen die Sicht auf das hinter dem Kreuz Seiende verwehrt, so vermag auch der Suchende das vor ihm Liegende mit seinen Sinnen nicht zu durchdringen. Allein, wenn er das Holzkreuz aus seiner Fassung herauslöst, eröffnet sich ein begrenzter Durchblick.

Das innere, individuell gestaltete, goldgelb und mit rötlichen Spuren bemalte Kreuz ist im großen äußeren Kreuz geborgen. Das Hölzerne ist ein Teil vom Glasigen, es wird von ihm umgeben und getragen. Dieses in der Natur gewachsene, „lebendige Herzstück“ des Kreuzes kann herausgenommen, davor gelegt oder spürbar in die Hand genommen werden. Es möchte physischer Halt sein, der einerseits die Nähe und Wärme des am Kreuz Gestorbenen und Auferstandenen erfahrbar macht und hilft, die Krankheit oder den Tod anzunehmen, andererseits auch als Begleiter zurück ins gesunde Leben oder eben ins Grab mitgenommen werden kann. So will dieses Kreuz nicht nur Raumschmuck sein, sondern mit dem betrachtenden, betenden, leidenden und vielleicht auch scheidenden Menschen ganz konkret in einen tröstenden, stärkenden, aufbauenden und sinnstiftenden Dialog treten.

Form und Material des äußeren Kreuzes lassen die Schwere des Todes, des physischen Abschieds aus dem irdischen Leben spüren. Die matte Oberfläche des Stehkreuzes vermittelt aber gleichzeitig Leichtigkeit und Hoffnung. Die Öffnung in der Mitte verstärkt diesen Eindruck. Sterben ist schwer, man ahnt mehr als man sieht, was nach dem Tod kommt, aber durch Christus haben wir die Gewissheit, dass der Tod Durchgang ist, dass das Leben danach weitergeht.

Sehnsucht nach Befreiung

Neun Fensterteile bilden zusammen eine Art Triptychon. Fünf schlangenförmige Elemente umgeben eine zentrale Figur, deren Oberteil von einem ähnlichen Element eng umklammert ist. Gleichzeitig erscheint die menschliche Person erhöht, ja schwebend und dennoch gehalten in einem gelben Bereich mit T-Form.

Gebundenheit spricht aus der schmalen Silhouette dieser Gestalt, deren Beine eng nebeneinander liegen und denen die Arme auf den Rücken gedreht sind. Wie Fesseln überziehen kreuz und quer Linien den Körper. Auch die Körperhaltung vermittelt Gefangenschaft, Unfreiheit, Leiden und Erdulden einer unfreiwilligen Situation. Fuß- und Kopfhaltung dieses Menschen mögen an Darstellungen des Gekreuzigten erinnern, aber hier wird eine menschliche Grundexistenz dargestellt.

Mit unserem Denken und Tun verstricken wir uns immer wieder in unfreiwillige Gebundenheiten, welche unser Leben Stück für Stück bis zur Unbeweglichkeit einschränken. Oft merken wir gar nicht, wie unsere Freiheit zu Denken und zu Handeln geschwunden ist und nehmen den beschränkten Lebensraum als die größtmögliche Fülle an. Wie ein starrer Panzer können aber auch Krankheiten, Unfälle und andere Lebensumstände unseren Körper und Geist umgeben und zur Bewegungslosigkeit zwingen.

Gott sei Dank muss es nicht so bleiben und gibt es die sehnsüchtige Hoffnung auf eine Macht, die stark genug ist, diese einer massiven Befestigung gleichende Umgebung aufzubrechen. Umgeben und neu gehalten vom goldgelben Licht, das symbolisch für Gott steht, sind bereits Teile weggesprengt worden, die nun haltlos im Luftraum schweben. Ihre Formen lassen noch den Körper erahnen, den sie bedrängt haben. Die Befreiung ist im Gange, die Erlösung nicht mehr fern.

Aus der Zusammenschau von dem Fenster zur Linken und dem zur Rechten wird dieser zum Altar hin orientierte Prozess auf dreifache Weise verdeutlicht:


Zum einen ist die Befreiung am Menschen selbst festzustellen, der im linken Fenster noch vollständig von den starren Elementen eingemauert ist, auf der anderen Seite aber frei im von unten auftauchenden (auf der anderen Kirchenseite im von oben hereinbrechenden) goldenen Licht badet. Dieses Licht bezeugt die befreiende und belebende Kraft, wie wir sie in der Natur von der Sonne kennen und nach einem langen Winter ersehnen. Seine Kreuzform verbindet sich mit der Erlösung und Auferstehung Jesu, die durch seine Hingabe möglich geworden war und das Heil für alle Menschen gebracht hat. Die dritte Form der Befreiung kommt in der von sechs auf vier abnehmenden Anzahl der umgebenden Elemente zum Ausdruck.

Diese Hoffnung soll allen Gläubigen zur Glaubensgewissheit werden: in dem im Kirchenraum intensiv erlebten und gefeierten Gottesdienst, damit auch im Alltag Gottes begleitende und befreiende – und dadurch österliche – Gegenwart spürbar erfahren wird.

Link zur Darstellung aller 6 Fenster

Aus der Mitte heraus

Bekannte Elemente wie die sitzende Christusgestalt oder die altmeisterlich vollendete Malweise vermitteln den Eindruck, vor dem Werk eines alten Meisters zu stehen. Der fliegende Fischschwarm zur Linken oder die fallende Skulptur des Gekreuzigten zur Rechten verwirren jedoch und geben Rätsel auf. Auch die beiden Messer und die Lanze, die auf den Sitzenden zufliegen, sind ungewöhnlich und wecken die Sinne, sich intensiver mit diesem Bild auseinander zu setzen, um seiner Geschichte vielleicht etwas auf die Spur zu kommen.

In der Mitte meinen wir unserer Wahrnehmung noch trauen zu können. Der Thronende lässt sich aufgrund der Wundmale als der auferstandene Christus identifizieren. Als Salvator mundi, als Retter der Welt, segnet er die Schöpfung zu beiden Seiten. Dass er nicht wirklich sitzt, sondern vielmehr als Weltenrichter zwischen Tag und Nacht vor dieser mit geheimnisvollen Zeichen versehenen Rückwand und auf diesem erhebenden Sockel erscheint, stört noch nicht weiter. ER steht im Mittelpunkt – in der Mitte des Bildes und betont auf dem roten Kreis des Podests. Dass Christus allerdings die Gesichtszüge des Künstlers trägt, bringt einiges durcheinander. Die Gott zugesprochenen Attribute werden nun gewissermaßen vom Künstler vereinnahmt und machen deutlich, dass auch er die Macht hat, Welten zu erschaffen.

Dabei ist sein Schaffen kein Erschaffen aus dem Nichts. Das Zusammenfügen und Anordnen der verschiedenen Bildzitate stellt vielmehr eine Ordnung dar, die neuen, eigenen Gesetzen gehorcht. Der Bildtitel weist in Anlehnung an das gleichnamige Gedicht von Eduard Mörike auf die schiedsrichterliche Funktion des Künstlers hin. Er steht immer zwischen zwei Zeiten und hat es in der Hand zu entscheiden, was er aus dem Fundus der Vergangenheit nehmen will, um die Zukunft zu gestalten. Was durch ihn geschieht, hat durchaus Auferstehungscharakter, wie die drei sich öffnenden, weißen Blüten der sogenannten Osterlilien in Anspielung auf die drei österlichen Tage andeuten. Nicht nur die Macht der Nacht wird gebrochen – links überflutet schon das Licht der Morgensonne die Berggipfel –, auch die Macht des Todes. Am Fuße des Baumstammes, der durch die herabfallende Figur des Gekreuzigten zum Kreuzesstamm wird, wächst wie in der Geborgenheit einer Bauchhöhle, dem Uterus, ein Kind heran – neues Leben. Die stürzende Jesusgestalt muss dabei nicht blasphemisch gemeint sein, sondern kann Zeichen sein, dass er nicht am Kreuz geblieben, sondern von seinen Freunden begraben worden ist. In diesem schwebenden Dazwischen ist er einerseits mit der Kopfneigung in einem eindrücklichen Dialog mit dem Embryo, über den er wie schützend den Arm auszubreiten und ihn zu umarmen scheint, andererseits steht er mit dem linken Arm und dem wehenden Lendentuch in direkter Verbindung zum Auferstandenen. Darauf, dass der Leib des irdischen Lebens der Vergänglichkeit anheimfällt und etwas Neues an seine Stelle getreten ist, können die wie abgehackt wirkenden Armstümpfe und der fehlende Unterleib hinweisen.

Auf der linken Bildseite schweift der Blick in die Weite, aber auch in die Tiefe auf einen Fluss mit starker Strömung, der durch das Tauwasser (gut über und unter der Speerspitze zu sehen) des ewigen Schnees gespeist wird. Was lange Zeit gefroren war, wird durch die Wärme des „neuen Tages“ lebendig und zu einem Quell des Lebens. Die Fleischmesser und die Lanze stehen dazu im Widerspruch. In ihrer Ausrichtung auf „Christus“ und die unmittelbare Nähe zu ihm fühlen sie sich eher bedrohlich an, tragen den Tod in sich. Indirekt haben aber auch sie mit der Auferstehung zu tun. So bat der Auferstandene den ungläubigen Thomas, seine Hand in die durch eine Lanze geöffnete Seite zu legen, um sich zu überzeugen und gläubig zu werden (Joh 19,34; 20,27). Die Bedeutung der Messer erschließt sich mir noch nicht wirklich, sie könnten aber ein Hinweis sein, dass Christus als Lamm Gottes sein Blut für die Vergebung der Sünden vieler vergossen hat.

Zuletzt bleibt uns noch die Deutung der wunderbar gemalten und ganz unterschiedlichen Fische. Dass sie nicht im Wasser schwimmen, stört uns in der neuen Ordnung des Künstlers nicht mehr. Auffallend ist ihre Christus-Orientierung, ihre Ausrichtung auf den Auferstandenen. Ob der Künstler hier die Erzählung vom wunderbaren Fischfang nach einer ergebnislosen Nacht neu ins Bild bringen wollte (Joh 21,1-14)? Die Hundertdreiundfünfzig Fische wurden in der Bibelauslegung immer wieder als Symbol für die gesamte Menschheit gedeutet. Sie könnten aber auch zeichenhaft für die an Christus Glaubenden stehen, diejenigen Menschen, die sich im Glauben Christus zugewandt, ihr Leben aus dem Glauben heraus auf ihn ausgerichtet haben.

Nun könnte die Frage auftauchen, ob der Künstler durch sein Bild vielleicht beabsichtigte, dass ihm eine ähnliche Aufmerksamkeit zuteil würde wie dem Auferstandenen. Das wäre anmaßend. Aber seine Mittlerfunktion, auf die dieses Stilmittel hinweist, hat uns die Auferstehung Christi und ihre Bedeutung durch die verschiedenen Symbole hindurch neu erfahren lassen. Nach der anfänglichen Irritation ist der Künstler im Verlaufe der Betrachtung wieder hinter sein Vorbild zurückgetreten, damit Er aus der Mitte heraus für alle Menschen auch Quelle des Lebens sein kann.

 

Gelassen stieg die Nacht an Land,
lehnt träumend an der Berge Wand;
ihr Auge sieht die goldne Waage nun
der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
vom Tage, vom heute gewesenen Tage.

Das uralt alte Schlummerlied –
sie achtet’s nicht, sie ist es müd;
ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
der flücht’gen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
es singen die Wasser im Schlafe noch fort
vom Tage, vom heute gewesenen Tage.
(Eduard Mörike)

Aufnahme in den Himmel

In einer wunderbar starken Bewegung senkt sich der blaue Raum auf den dunkelgrauen Figurenkomplex nieder und berührt beinahe die stehende Gestalt. Sie trägt ein Kind auf ihren Armen und steht an einem Bett. Der Silhouette nach beugt sich links eine weitere Person über die im Bett Liegende. Ob sie schläft, krank oder gar gestorben ist, lässt sich aus den wenigen Hinweisen nicht ableiten.

Allerdings erscheint die Figurengruppe zwischen zwei Welten dargestellt. Bröckelt nicht die Erde unter dem Bett weg, verweigert sie nicht den nötigen Halt, um sicher darauf stehen und leben zu können? Durch diese feinen gestalterischen Veränderungen des Hintergrundes befindet sich die Figurengruppe in einer Übergangszone zwischen Erde und Himmel, die sich grau und gegenstandslos gibt. An seiner engsten Stelle scheint das Bett mit den Personen zu schweben und wenn sich der Himmel weiter herunterneigt, bald von ihm umgeben zu sein.

Diese Hinweise deuten darauf hin, dass die im Bett liegende Person gestorben sein muss. Die intensive blaue Farbe und die Herkunft der Figurengruppe aus dem Marientod von Giotto di Bondone (1310) verbinden das Bildgeschehen letztlich mit Maria und ihrer Himmelfahrt, wie in der Umgangssprache ihre Aufnahme in den Himmel bezeichnet wird.

In diesem Bild wird nicht mit Engelscharen, Pauken und Trompeten ihre glorreiche Himmelfahrt gefeiert. Still neigt sich der Himmel wie in einer großen ehrenden Verneigung über das Sterbebett Mariens, um ihr ewige Heimat bei Gott zu geben. In Christus ist Gott selbst an das Sterbebett Mariens herangetreten, um sie persönlich zu sich zu holen. Bildhaft ist dies bereits mit dem Kind auf seinen Armen geschehen, welches die Seele von Maria darstellt, die bereits bei Gott weilt.

Was für eine gewaltige Vision, dass Gott uns Menschen im Tod nahe ist und diejenigen zu sich holt, die während ihrer Erdenzeit mit ihm gelebt haben, ja ihn aufgenommen und ihm das Leben und ihre liebende Zuwendung geschenkt haben.

Die kraftvolle und blauschwere Weite des Himmels laden zum Meditieren dieses Glaubensgeheimnisses ein. Wenn die Erde uns ihren nährenden Boden entzieht, dann bietet die Weite des Himmels einen neuen Halt. Oder bildlich gesprochen, wenn die Kräfte der Erde schwinden und sie austrocknet, wird der Himmel sich öffnen und lebenspendende Wasser regnen lassen.

Diesbezüglich erinnert das Bild an das adventliche Kirchenlied „Tauet, Himmel, aus den Höhn, tauet den Gerechten, … Wolken regnet ihn herab!“ (GL 104; KG 313) Was verdorrt ist, soll unter seinem Segen aufblühen, heißt es da. Und in der dritten Strophe wird sehnsüchtig gerufen: „Komm, du Trost der ganzen Welt, rette uns vom Tode. Komm aus deiner Herrlichkeit, komm uns zu erlösen.“

An Maria hat sich die Verheißung Gottes, „den Mittler selbst zu sehen und zum Himmel einzugehen“ (KG 303,1) bereits erfüllt! Als Glaubende leben wir in der Hoffnung, dass Gottes Verheißung auch uns gilt und unser irdisches Leben durch sein Kommen vollendet.

Kraft der Auferstehung

Bekanntes mit neuen Augen zu sehen ist immer wieder eine anspruchsvolle Aufgabe. Zu schnell trüben vorhandene Bilder den Blick und behindern eine unvoreingenommene Sichtweise. Dies könnte auch bei dieser Bronzearbeit geschehen, auf der ein liegender und ein stehender Mensch gezeigt werden. Letzterer wird durch die ausgebreiteten Arme schnell als Jesus identifiziert. Es ist die Haltung, die er am Kreuz einnehmen musste. Losgelöst vom Kreuz wird die gleiche Haltung aber zu einer Geste der Offenheit und des allumfangenden Willkommen-Heißens.

Gegensätzlichkeit charakterisiert die beiden Personen. Die annähernd gleich großen Rechtecke hinterfangen, wiederholen und betonen ihre Körperhaltung. Der Liegende befindet sich ganz unten im waagrechten Feld, ein Gewandteil fällt über die Unterkante hinaus. Ausgestreckt liegt er da, den Eindruck erweckend, gestürzt oder gefallen zu sein, als kümmerliches Wesen in der Ecke dieser an eine große Kiste oder gar an einen Sarg erinnernden Form.

Doch noch im Fallen scheint er die Hoffnung nicht aufgegeben zu haben. Seine rechte Hand ist hilfesuchend ausgestreckt und erfüllt sein Liegen mit Zuversicht und erwartendem Drängen. Bildlich wird das so zum Ausdruck gebracht, dass der Oberteil des Kopfes und die rechte Hand in den untersten Teil des anderen, senkrechten Elementes hineinragen, das wie zwischen dem waagrechten Feld und der liegenden Person eingeschoben erscheint.

Damit wird diese im Sterben begriffene oder bereits verstorbene Person in zweifacher Weise von oben her dem Tod entrissen: von oben wie auch in den verschiedenen Bildebenen. Die offene Hand wird dabei zum spannungsgeladenen Wendepunkt. Darüber taucht wie aus dem Nichts aus der gleichmäßigen Oberfläche der Grundplatte der senkrechte Mensch auf: als Auferstehender. Neue Kraft ist in ihn eingekehrt, ein neues Gleichgewicht, auch ohne Bodenhalt. Die Schwerkraft der Erde ist überwunden. Losgelöst, ja erlöst von allen Gebundenheiten schwebt er nun vor der Mitte des vertikalen Hintergrundes. Die gleiche Macht, die Jesus den Toten entrissen und dem Leben zugeführt hat, ist nun auch sein Halt und sein Heil geworden. Frontal dem Betrachter zugewendet, hoheitlich über alles Erniedrigende und Erdrückende erhoben, dringt die befreiende Geste des Auferstandenen durch und wird die Seine. Die ausgebreiteten Arme signalisieren eine neue, alle Grenzen überschreitende Weite. Alle sollen an diesem neuen Leben teilhaben, in ihm Zuversicht, Halt, Kraft und Dauer finden.

Die Waagrechte und die Senkrechte des Kreuzes sind noch zu erkennen, können aber in dieser Form nicht mehr Marter und Tod bringen. Sie haben eine dynamische Form angenommen und einen Weg geöffnet, der letztendlich ins Leben führt.

Metapher zu Leben und Tod

Luftballone erinnern mit ihren leuchtenden Farben und ihrer Leichtigkeit an kindliche Freude und ausgelassenes Leben. Wir verbinden sie mit Jahrmarktstimmung oder einem Fest. Solche farbigen Luftballone während der Fastenzeit in einer Kirche anzutreffen, erscheint auf den ersten Blick deplatziert. Ob sie aus der Faschings- oder Karnevalszeit oder von einem Kindergottesdienst hängen geblieben sind? Auffallend viele violette Ballone verweisen allerdings auf die vorösterliche Zeit der Besinnung und Umkehr.

In wolkenähnlichen Gebilden hängen, ja schweben die Ballone über dem Altar und verdecken das barocke Hochaltarbild. Was für ein Kontrast zur bestehenden Einrichtung: Hier leuchtend bunte, dort gedämpfte Farben, die einen erfüllt Leichtigkeit, die anderen bodenständige Schwere. Die Luftigkeit steht im Gegensatz zum fassbaren Material des Hochaltars, ebenso sind den beiden die Zeit und damit die Vergänglichkeit ganz unterschiedlich eingeschrieben.

Die Ballone stechen ins Auge, fordern zur Betrachtung heraus. Noch sind sie prall mit Luft gefüllt, glänzen und leuchten verzaubert im Licht. Sie vermitteln das Bild von erfülltem Leben. Aus Erfahrung wissen wir, dass ein winziger Nadelstich oder eine Berührung dieses aufgeblasene Wunderwerk zum Platzen bringen kann. Dann ist die Luft weg – ein paar Plastikfetzen bleiben übrig. Im besseren Fall entweicht ihre Luft langsam, lässt die dünne Plastikhaut schrumpfen und Falten bilden. Der Ballon wird dadurch immer kleiner, seine Farben matter, er unansehnlicher.

Parallelen zum menschlichen Leben werden offensichtlich. Straffe Haut, glänzendes Aussehen sind auch bei uns ein Thema. Früher oder später durchziehen Falten die individuelle Schönheit und das sichtliche Nachlassen der Körperkräfte lässt das Alter spüren. Nach und nach bleibt die Luft weg, die Atemreserven für große Leistungen schwinden. Langsamtreten ist angesagt, Haushalten mit den verbleibenden Kräften. Nicht nur im Alter. Unsere Leistungsgesellschaft fordert von uns oft derart viel, dass wir uns bis zur Erschöpfung verausgaben.

Dann kann es uns wie den Ballonen gehen und wir machen die Erfahrung, dass unser Leben oft an einem seidenen Faden hängt. So bringen die vielfarbigen Luftballone auf ungewöhnliche Weise unsere zerbrechlichen und vergänglichen Lebensbedingungen ins Blickfeld. Im Verlauf der Fastenzeit zeigen sie verkürzt den Lebenslauf des erfüllten Lebens, dem zu Beginn noch große Sprünge möglich sind, dann jedoch immer mehr die Luft ausgeht. Die Installation macht klar, dass dies ein ganz individueller Prozess ist. Und sie betont durch ihre Platzierung im Chorbereich, dass Schrumpfen und Kleinwerden nicht nur Verlust bedeutet, sondern auch Gewinn. Denn nun entstehen Durchsichten auf das Dahinterliegende, das vorher Verborgene, den Hintergrund.

Vision des Lebens

Plastisch erhebt sich die bildhohe T-Form vor dem schwarzen Hintergrund. Wie eine Lichtgestalt hebt sie sich vom undurchdringlichen Dunkel ab. Und doch bildet die T-Form so etwas wie einen Durchblick in eine ganz andere Welt. Im Gegensatz zum kalten und leblosen Schwarz ermöglicht die T-Form den Blick auf eine schwelende Glut, von der Wärme und Leben ausgeht.

Inmitten dieser Glut ist in den hellen Stellen trotz der undeutlichen Umrisse eine menschliche Gestalt zu erkennen. Durch die ausgebreiteten Arme, den angedeuteten, nach links gesenkten Kopf und die sie umgebende T-Form lässt sie sich unschwer als Gekreuzigten identifizieren.

Der Tod mitten in diesem mit Wärme und Leben erfüllten Raum? Ja, doch erscheint er als notwendiger Durchgang für die Verwandlung des Leibes in eine neue Wesensform, die im Bild durch Helligkeit charakterisiert wird. Der Künstler präsentiert uns den Tod, auch wie ihn Jesus am Kreuz erlitten hat, als endgültige Metamorphose zum Licht. Was für eine ermutigende Perspektive! Ganz Licht zu werden und gleichzeitig auch ganz leicht.

Ist das nicht eine tief in uns liegende spirituelle Sehnsucht, die uns durch das ganze Leben hindurch bewegt? Licht ist etwas durch und durch Gutes und bedeutet Leben. Ohne Licht hätten wir keine Entwicklungs- und Überlebenschancen. Licht werden ist verbunden mit Erkenntnis und Einsicht in die vielen verborgenen Dinge um uns herum. Licht werden ist verbunden mit Ausstrahlung und der Absicht, integral gut werden zu wollen und Gutes zu bewirken.

Doch das Finden der persönlichen Lichtgestalt ist schwer. Durch viele Rollen und Verwandlungen hindurch versuchen wir, sie peu à peu zu erreichen. Allein durch die menschliche Entwicklung wachsen wir in immer neue Rollen hinein, die uns Entfaltung zum Gutsein ermöglichen. Auch viele kleine und große Abschiede bringen – meist schmerzhafte – Neuerungen in unser Leben und zwingen uns zu ungewollten Veränderungen. Erheblich helfen aber wiederkehrende Rituale, Bräuche und besondere Zeiten der tiefen Sehnsucht in uns, gut und licht zu werden. So ermöglichen uns Fasching oder Karneval, aus den alltäglichen Rollen aus- und vielleicht auch Festgefahrenes in uns aufzubrechen. Ist es nicht, als brauche es dieses feurig-intensive Austoben, um anschließend in der Fastenzeit umso mehr in die Tiefe gehen und sich auf sein eigenes Wesen sowie seine Berufung konzentrieren zu können? Verzicht und Beschränkung sind in dieser vorösterlichen Zeit gewissermaßen die reinigende Glut, welche alles Unnötige wegbrennt und das Wesentliche, das Wichtige und Gute im Leben mit einem erneuerten Blick erkennen und mit befreiter Kraft auch leben lässt.

Per sempre ti rivedo

Die große weiße Gestalt irritiert. Sie ist da und erscheint doch als flüchtiger Anblick, als durch das Bild huschende Existenz. Wer ist sie, wovor flieht sie? Drei Kreisflächen sind wie bei einem Schneemann übereinander angeordnet und durch eine darunterliegende weißere Form miteinander verbunden. Die roten, den obersten Teil der Figur berührenden Worte suggerieren eine menschliche Gestalt, auch wenn keine konkreten, individuellen Züge zu erkennen sind. Mit den horizontal nach links „verwehten“ Farbläufen vermittelt sie Bewegung, Entschwinden einer Erscheinung oder Verflüchtigen eines Geistes, als hätte ein gewaltiger Sturm sie erfasst. Vergänglichkeit wird spürbar, Getriebenwerden, wohin man nicht will.
Da Weiß von Künstlern oft als Farbe des Übergangs verwendet wird, als Farbe „der ersten und der letzten Dinge“ (Otto Zech), könnte man das Weiße als Wesen, Geist, oder Seele im Aufbruch in eine andere Existenz verstehen, während die drei festen Kugeln in der linken Bildhälfte – gehalten durch luftige Schutzräume – für das stehen können, was Geist, Wissen und Können an Spuren zurücklassen.

Der Hintergrund aus akkurat aufgetragenem Blattgold bildet zu dieser unförmigen und flüchtigen Erscheinung einen eigenartigen Kontrast. Er erinnert an den Goldgrund auf Ikonen und mittelalterlichen Altarbildern und bringt in dieser Tradition Transzendentes, Gott zur Sprache, wie er ähnlich einem Netz oder einem Gitter jeden auffängt und ihm Halt verleiht. Gott ist der kostbare Hintergrund allen Lebens, er erhebt das Vergängliche zu etwas Einmaligem und Beständigem.

Sechs rote Farbgebilde vollenden den farblichen Dreiklang. Je drei sind beiderseits der weißen Figur übereinander angeordnet und bilden durch Farbe, Größe und Anzahl einen wohltuend lebendigen Kontrast zur Hauptgestalt. In der Art und Weise, wie sie aufgetragen sind, wohnt ihnen in der linken Bildhälfte etwas Unvollendetes, Vergängliches inne. Ihre unterschiedlich gestalteten Formen erinnern durch ihre schwache Farbdeckung an Lippenstiftspuren. Ob sie als Abschiedsküsse, als Zeichen der Zuneigung, der herzlichen Verbundenheit und der Nähe gelesen werden dürfen? Andererseits lassen ihre diffusen roten Formen an schwimmende Kleinlebewesen denken, die im „Aquarium“ der kostbaren Erinnerungen von der Kraft des Lebens künden. Tatsächlich hat der Künstler mit einem farbgetränkten Tuch gearbeitet, bewusst die Spuren des Stoffes hinterlassend, von der Berührung erzählend und dem Kleid, das jetzt keine Rolle mehr spielt und deshalb zurückgelassen wird.
Die rundlich geformten Zeichen der rechten Seite erscheinen dagegen in ihrer kompakten Form als Markierungen oder Anhaltspunkte, die Werte des Lebens, Stabilität und Überdauern versprechen.

Inmitten dieses flüchtigen Geschehens laden vier in Schriftform festgehaltene Worte zum Nachdenken ein. Durch den unmittelbaren Bezug geben sie sich als gedanklicher Ausdruck der weißen Gestalt, erscheinen sie wie ein mit letzter Kraft gemaltes Vermächtnis des Davoneilenden: per sempre ti rivedo. Obwohl die Zeichen wackelig geschrieben sind und ein erbärmliches Bild abgeben, geht durch die rote Farbe und ihre verbindende Lage eine besondere Kraft von ihnen aus. Und durch den Farbunterschied und die zwei Zeilen werden die einzelnen Worte zusätzlich hervorgehoben:

per sempre ti rivedo
– für immer seh ich dich wieder

Diese wenigen Worte nehmen der gewaltsamen Trennung die Endgültigkeit. Aus ihnen spricht eine Zuversicht, die, alle irdischen Begrenzungen hinter sich lassend, neue Perspektiven setzt: für immer seh ich dich wieder. Nicht endgültiger Abschied, sondern nie endende Gemeinschaft wird in diesen Worten zum Ausdruck gebracht. Hier kommt ein Glaube zum Ausdruck, der alle irdischen Gebundenheiten außer Kraft setzt und gleichzeitig über das vordergründige Ende von uns Menschen hinaus einen neuen Lebensabschnitt erhofft und verkündet.

Die letzten Worte – ein Neuanfang
Die vom Künstler verwendeten Worte stammen aus einem Gedicht von Giuseppe Ungaretti, das er am 24. Mai 1959 in Rom geschrieben hat. Es sind die letzten vier Worte eines persönlichen Glaubensbekenntnisses, der Höhepunkt eines Gedankens, der hier in der deutschen Übersetzung von Ingeborg Bachmann wiedergegeben wird:

Ganz ohne Ungeduld werde ich träumen,
Ich werde mich an die Arbeit machen,
die nie enden kann,
Und nach und nach, gegen Ende,
Kommen Arme den Armen entgegen,
Öffnen sich wieder hilfreiche Hände,
Licht geben die wiederauflebenden Augen
In ihren Höhlen,
Und du, plötzlich unversehrt,
Wirst auferstehen, nochmals
Wird deine Stimme mir Lenkerin sein,
Für immer seh ich dich wieder.

Im Bild wie im Gedicht wird der Betrachter in den Dialog zweier Liebender hineingenommen. Er sieht Vergehen, Entschwinden, spürt den Erinnerungen und Liebesbezeugungen nach und muss ebenfalls loslassen. Durch den Goldgrund und die letzten Worte wird ihm aber eine gewaltige Hoffnung vermittelt. So kurz das Leben, so flüchtig seine Lebensspuren auch sind, er ist in einem größeren Ganzen, das wir personalisierend Gott nennen, gehalten und aufgehoben. ER schenkt uns die Perspektive des nie endenden geistigen Lebens und des nie endenden Wiedersehens.

Dieser Bild-Impuls wurde in der Ausgabe 3/2007 der Zeitschrift “das münster”, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft erstveröffentlicht.

Große Umarmung

Es ist der Vorzug des Künstlers, mit seiner Bildsprache etwas anschaulich zu machen, was jenseits unseres sprachlichen Ausdrucksvermögens liegt. Dabei ist auch das Dargestellte oft nur eine Art vermittelnde Brücke zum Unsichtbaren, das wir wohl wahrnehmen, aber eben nicht sehen können.

Im Bild von Christiane Vincent-Poppe begegnet uns vor einem blauen Hintergrund eine mächtige Licht-Erscheinung. Ihr hellster Punkt leuchtet wie eine Sonne aus der Tiefe dieser Erscheinung. Sie schwebt über einem schalenförmigen Bündel Striche, die auch als Sessel, Arme oder Flügel gesehen werden können – je nach Betrachtungsweise.

Dynamische Energie geht von diesem Lichtkreis aus. Energie, die sich auf der rechten Seite der „Sonne“ sichtbar zu materialisieren scheint und im Gegenuhrzeigersinn stärker werdend letztlich in den schalenförmigen Grundbogen einfließt. Dabei lassen die roten Teile an Blut und Liebe denken – Basiselemente des Lebens, die uns Geschaffenen unaufhörlich aus dem unerschaffenen Licht zukommen.

Diese starke Ausstrahlung wird durch einen weißen Lichtschleier verstärkt, der die Erscheinung kreisförmig durchwirkt und verklärt. Alles ist voller Leben bei dieser Gestalt, die im Himmel zu schweben scheint und ihn durch ihr Licht gleichzeitig in wunderbaren Farben zum Leuchten bringt.

So sehr das Auge bei dieser faszinierenden Erscheinung verweilt, es vermag seine Gestalt nicht auf ein bekanntes Bild zu reduzieren. Einzelne Elementkombinationen ergeben das Brustbild eines Menschen mit weit ausgebreiteten Armen. Durch die lichte Ausdehnung können seine „Arme“ aber auch als „Flügel“ wahrgenommen werden, wodurch sich die Gestalt eines geflügelten Wesens ergibt, das dennoch weder als Taube, als Engel oder als Geist bezeichnet werden kann. Dazwischen, bedingt durch die symmetrische Ausdehnung der Erscheinung, Gedanken an ein Kreuz. – Ein Kreuz, das vom Licht erfasst und durch es verwandelt selbst zur Lichtquelle geworden ist.

In der angedeuteten Form des Gabelkreuzes, einem weit in die vorchristliche Zeit zurückreichendes Symbol für den Lebensbaum, steht es für das Leben schlechthin. Und obwohl man in der Römerzeit dieses Symbol des Lebens zum Werkzeug für den schimpflichsten und unehrenhaftesten Tod pervertierte, hat es durch die Auferstehung Jesu seine positive Zeichenkraft beibehalten. Freilich steht es jetzt auch für den Tod, den der Gekreuzigte mit aller Qual, mit aller Verlassenheit und aller Verzweiflung erlitten hat, ausgeliefert der Frage: Mein Gott, warum …?

Die Antwort – die auch unseren Warum-Fragen einen Sinn geben könnte – ist hier als geheimnisvolles Geschehen ins Bild gesetzt. Es vermittelt erkennbar, aber nicht fassbar, nah und doch entrückt den Übergang in eine andere Wirklichkeit, in der Sprache der Bibel: ins Paradies.

„Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ Diese alttestamentliche Frage, die das Sehnen der Menschheit über den Tod hinaus ausdrückt, hat Paulus an die Korinther konkretisierend auf Jesus als den „Erstgeborenen“ bezogen. Und wir „Nachgeborenen“ haben diese Frage bewahrt bis auf den heutigen Tag mit aller Sehnsucht und aller Hoffnung, die in ihr steckt.

Gerade in einer Zeit, in der der Tod nicht mehr die selbstverständlich ins Leben gehörende Rolle spielt wie einst und seine „Öffentlichkeit“ ins Private, ja ins Verborgene und in die Anonymität von Kliniken und Abdankungshallen gedrängt wird, andererseits durch die täglichen Berichte über den aberwitzigen, sinnlosen Tod, den Menschen sich selbst und ihren Mitmenschen zufügen, ein Zerrbild des Todes entsteht, bietet das Bild von Christiane Vincent-Poppe eine ermutigende Perspektive.

Wir werden erwartet. Die erhabene Licht-Erscheinung vermag die geheimnisvolle, lichte und weite Offenheit Gottes zu umschreiben, der uns einlädt, auf ihn zuzugehen und uns im Tod vom Leben umarmen zu lassen, in ihn einzugehen und von seinem Licht und seiner Liebe gleichgestaltend durchdrungen und erneuert zu werden. Der Tod ist kein Ende, er ist „Hinübergang“, Ankommen und Vollendung des Lebens.

Osterlicht

Frohe Ruhe strahlt dieses Bild aus. Liegt es am fast symmetrischen Aufbau oder an den weichen Farbtönen? Oder weil das weiße vertikale Band die verschiedenen Bildelemente durchquert und zusammenhält? Aber auch die schwarze waagrechte Form und das hellblaue Feld, beide im unteren Bereich des Bildes positioniert und durch die helle Vertikale wie an einem Pendel fest mit dem dunkelblauen Element am oberen Bildrand verbunden, tragen ihren Teil dazu bei. Zudem scheint das warme Gelb auf dem weißen Hintergrund zu schweben und vermittelt sonnige Leichtigkeit.

Aber andererseits prägt die dunkle Form das Bild an zentraler Stelle und die dunklen Schatten an den Rändern bilden einen düsteren Hintergrund für das Geschehen. Hier kommen Leid und Tod unübersehbar zur Sprache. Aber die sargähnliche Form ist aufgebrochen und kann den Verstorbenen nicht festhalten, die dunkle Vergangenheit ist verdrängt durch einen neuen Zeitraum, der von warmem Licht erfüllt ist.

Der Grund für diese alles verändernde Verwandlung muss in der breitbandigen Mittelachse liegen. Sie scheint aus dem souverän am oberen Bildrand schwebenden Element mit den drei hellen Kreuzen herauszufließen, um das in der Tiefe Ruhende zu hinterfangen und am unteren Bildrand in den schmalen weißen Saum mündend auch alles zu umfassen. Es ist, als wolle damit angedeutet werden, dass dieses von oben Kommende die tragende und letzte Wahrheit allen Geschehens ist – nicht das Leid und nicht der Schmerz, und auch nicht der Tod.

Lebensbogen

Im Zentrum dieser Bilderreihe steht offensichtlich der Mensch. Auf jeder Bildtafel ist er anders dargestellt, von anderen Farben umgeben und von anderen Symbolen begleitet. Hier wird eine Lebensgeschichte erzählt, in idealisierter Form ein Bogen über das ganze menschliche Leben gespannt: Geburt und Kindheit, Jugend, die Lebensmitte, das Alter und zuletzt das Lebensende.

Die Größe der Gestalten erzählt dabei von einem Auf- und einem Abstieg, einem Wachsen und einem Vergehen. Das Leben wird durch die Farben als ein Ganzes dargestellt, bei dessen Durchquerung alle Farben und Stimmungen des Lebens kennengelernt werden. Die Farben orientieren sich am Tages- und Jahresablauf, welche unserem Leben einen festen Rhythmus geben: Von der blauen Farbe des Morgens wird der Bogen über das warme Licht des Mittags zu den Farben der untergehenden Sonne und des dunkler werdenden Abends gespannt. Das sphärische Blau des Winters wird vom aufbrechenden Grün des Frühlings abgelöst, um im sommerlichen Gelb seinen hellsten Ausdruck zu finden und dann über das herbstliche Rot in die zurückhaltenden Farben des Jahresendes überzugehen.

Auf dem ersten Bild wird das neue Leben als Geschenk des Himmels sichtbar. Es wird von oben in diese Welt hineingegeben und ruht wie auf einem Thron in der Bildmitte, als sollte gesagt werden, dass es ein Zusammenwirken von irdischen und himmlischen Kräften für die Entstehung eines Menschenkindes braucht. Das Neugeborene ist beinahe weiß, verhüllt und in Vasenform dargestellt: Es ist noch ein unbeschriebenes Blatt, doch wurde – wie es die Sterne über ihm andeuten – unendlich viel in es hineingelegt für die Bewältigung des Lebensweges, als Wegzehrung und um damit die Mitmenschen beschenken zu können. Das in den Grund weisende Dreieck könnte für alles stehen, was im Kindesalter wachsen sollte als Grundlage für ein gelingendes Leben: Vertrauen, Verlässlichkeit, Sicherheit …

Aus dem zweiten Bild sprechen Wachstum, Aufbruch und Heiterkeit. Der jugendliche Mensch wendet sich von der Kindheit ab, er hat gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen. Er setzt sich kraftvoll in Bewegung, selbstbewusst mit dem Finger auf sich zeigend. Er hat das ganze Leben vor sich! Voller Tatendrang schaut er nach oben, scheint sich an Idealen und großen Vorbildern zu orientieren, um seinen eigenen Lebensweg zu finden. Das Symbol über ihm erfasst seine Situation: Das Leben steckt voller unendlicher Möglichkeiten. Und der Bogen unter seinen Füßen bringt zum Ausdruck: Was in der Kindheit grundgelegt wurde, begleitet und trägt ihn nun bei seinem Tanz ins Leben.

Im dritten Bild wird der Mensch in glutroter Farbe fest und aufrecht stehend gezeigt. Voller Energie und auf Expansion ausgerichtet steht er in der Fülle seines Lebens. Er hat seinen Weg und seine Mitte gefunden und vermag die Höhepunkte des Lebens zu erreichen, aber auch seine Tiefen auszuloten: Ein Arm weist nach oben, der andere nach unten. In der Mitte des Lebens hat er die Chance, Halt, Vorbild und Orientierung für die Menschen links und rechts von ihm zu sein, er kann führen, aber auch verführen. Gleichzeitig nimmt er den Wechsel zwischen der scheinbar unbegrenzten Jugend und den zunehmenden Begrenzungen des nahenden Alters wahr. Diese Festigkeit und Klarheit, aber auch die Begrenztheit in diesem Lebensabschnitt möchte das Quadrat über ihm symbolisch andeuten.

Das vierte Bild spricht vom Alter. Der Mensch steht da, wie in einer Form geprägt, festgelegt, ja beinahe starr. Es lässt die aufsteigende Angst des Abschieds im wieder enger werdenden Lebensraum durch hochgezogene Schultern spüren – aber hinter sich hat er den warmen Reichtum der Erfahrungen und Erlebnisse, die sich wie geologische Schichten im Laufe der Jahre abgelagert haben. Im Rot spiegelt sich die empfangene und gegebene Liebe, auf die der alternde Mensch als Kapital seines Lebens zurückblicken kann. In ihr öffnet sich ein gleißend heller Bogen, der in eine andere Wirklichkeit zu führen scheint. Das nach oben gerichtete Dreieck steht für die Umkehrung der Kräfte.

Im fünften Bild wird das Sterben und der Tod angesprochen. Der Mensch schaut auf das Leben und alle zurückbleibenden Menschen zurück. Er ist von einem Saphirblau umgeben, das bei der Betrachtung der Bilder nie aus dem Blick geraten ist und den Bogen zum ersten Bild schlägt, der Geburt. Der Kreis des irdischen Lebens hat sich geschlossen. Eine große Ruhe geht von der schwarzen und von beiden Seiten bedrängten Gestalt aus. Das saphirblaue Feld hinter ihr und das aus dem Kreis herausfließende Licht scheinen sie aus den Tiefen der Erde herauszuziehen in eine andere Wirklichkeit. Wir glauben, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern ein Übergang. Darauf weist auch die Form des umgekehrten T mit seinen aus dem Bild und ins Unendliche führenden roten Balken hin. Liebe und Unendlichkeit – unendliche Liebe – sind wir ihr nicht das ganze Leben nachgegangen, so dass wir auch im Tod auf sie als ganz andere und doch irgendwie vertraute Wirklichkeit hoffen?

Versöhnung

Tatsächlich, die sich vom Hintergrund nur leicht abhebende Gestalt auf dem fast monochrom gestalteten Bild muss Jesus sein. Auch wenn kein Kreuz zu sehen ist, verrät die Körperhaltung seine Kreuzigung. Fast wie bei einem Röntgenbild ist seine Gestalt in ein mystisches Licht getaucht, in dem einzelne Körperpartien in helleren Farbtönen aufleuchten.

Das Leid und der Schmerz sind zu spüren, ebenso die Einsamkeit Jesu. Kein weiteres Lebewesen ist auf dem Bild zu sehen. Eine außerordentliche Stille und ein alles übersteigender Frieden gehen von Jesus aus und lassen ehrfürchtig an seine letzten Worte denken: „Es ist vollbracht!“ Danach neigte Jesus sein Haupt und gab seinen Geist auf. (Joh 19,30)

Das Werk des Vaters ist vollbracht. Jesus hat durch sein Opfer den Menschen Heil und Rettung gebracht. Das quadratische Format mag auf die Welt hinweisen, die störende und irritierende Zweiteilung, die längs durch den Körper läuft, ruft in Erinnerung , dass Jesus durch seinen Kreuzestod Menschen und Welten, die einst durch Feindschaft voneinander getrennt waren, wieder miteinander verbunden hat. Paulus schreibt an die Gläubigen in Ephesus (2,12-16): „Damals wart ihr von Christus getrennt, der Gemeinde Israels fremd und von dem Bund der Verheißung ausgeschlossen; ihr hattet keine Hoffnung und lebtet ohne Gott in der Welt. Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen. Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder. Er hob das Gesetz samt seinen Geboten und Forderungen auf, um die zwei in seiner Person zu dem einen neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet.“

Bleibt in unserer Bildbefragung noch die Bedeutung der mystisch grünen Farbe zu ergründen, die durch zahlreiche Schattierungen von Leben erfüllt ist und im Wechsel mit den schwarzen Flächen an das Licht- und Schatten-Spiel eines großen grünen Feuers erinnert, in dessen Licht sich die bevorstehende Auferstehung anzukündigen scheint.

Mit der grünen Farbe möchte der Künstler aber vor allem einen Bezug zu den Gärten (polnisch „Ogrody“) mit ihren Gräsern, Blumen und Blättern herstellen. In ihnen wird uns im jährlichen Wechselspiel von Werden und Vergehen unsere Vergänglichkeit vor Augen geführt (vgl. auch Ps 102,12; 90,5-6). Mit dem Garten verbunden ist aber auch unsere Sehnsucht nach dem (verlorenen) Paradies. Im Orgrody-Grün wird Jesu Verkündigung vom Reich Gottes angesprochen. Darin lässt der Künstler die Dimension der Versöhnung anklingen, wie sie dem gottesfürchtigen Verbrecher am Kreuz auf seine Bitte hin geschenkt worden und uns allen verheißen ist. Der gute Schächer sagte: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ Und Jesus antwortete ihm: „Amen ich sage dir: Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23,42-43)