Chaire, Magnifikat, Gaudete

Diese drei Worte und das Glasbild verbindet die Freude. Die Freude über die Größe Gottes, die Freude über das Kommen Gottes in unsere Welt und sein Heilswirken in ihr.

Das Glas ist seit dem Mittelalter Träger von Botschaften. Das unsichtbare Licht strahlt im farbigen Glas auf und verweist z.B. auf die sichtbare Erscheinung Gottes in Jesus. Durch die verschiedenen Sprachschichten hindurch – spürbar durch die doppelte Glasebene – wird der Betrachter an das Geheimnis der Menschwerdung herangeführt und zur Freude, die daraus hervorgeht.

In die Mitte des Bildes ist die Gestalt einer jungen Frau gezeichnet: Maria. Halb verdeckt von der blauen Fläche mit dem Rundbogenfenster und halb kniend, wendet sie sich um und schaut auf das Licht, das in den Raum hereinbricht. Sie versucht zu fassen, was auf sie zukommt. Der Künstler hat dies in dreifacher Form dargestellt.

1) Da ist über Maria die rote flammende Form – verschlüsseltes Bildzitat von Geist und Engel als Träger der Geistbotschaft. Das griechische Wort kaire- freue dich, sei gegrüßt, sei begnadet – verweist  auf die Verkündigung an Maria!

2) Während die rechte blaue Fläche einen Raum andeutet und „geerdet“ ist, stellt die andere blaue Fläche von links oben (wie vom Himmel her kommend) den Menschen Maria in den Brennpunkt der Spannweite zwischen Himmel und Erde. Sie ist im Irdischen verwurzelt ganz auf das Göttliche ausgerichtet und für es offen.

3) Die liebende „Zuneigung“ Gottes wird verstärkt durch die von Leben strotzende goldgelbe Kreisform in schwungvollen Pinselstrichen, Symbol für Gott. Der Heilige Geist kommt leuchtend über Maria und nimmt sie in dieses göttliche Leben hinein, damit „das Kind heilig und Sohn des Höchsten genannt werden“ wird. Stark, was da geschehen ist und wie es lichtvoll in diesem Glasfenster vermittelt wird!

Marias Antwort ist jedoch nicht nur das Fiat, „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,37), sondern auch das Magnifikat (1,46-55) auf die wunderbaren Taten Gottes.

Franz Hämmerle spricht die Umwälzung, die im Magnifikat wie später in der Bergpredigt laut werden, mit zwei Wortzeichen in den beiden horizontal gestreiften „Fenstern“ an. Beat ist links unten erkennbar und heißt „schlagen“. Dieses Wort wird gewandelt in beati = „selig, die Frieden bringen“. Rechts neben Maria ist aus militate = „durch Macht und Gewalt“ das Wort humilitatem geworden, „auf die Niedrigkeit und Demut deiner Magd hast du geschaut“.

Über diese Wandlungen im Menschen und zwischen den Menschen durch das Wirken Gottes dürfen wir uns freuen. Wir dürfen uns freuen, dass dieses Wirken nicht nur Maria galt, sondern allen Menschen, die zu ihm aufschauen. „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmel- reich.“ (Mt 5,3)

Ein Engel – für mich?

Der Engel in der Bildmitte lässt auf eine Verkündigungsszene schließen. Er stammt tatsächlich aus einem alten Verkündigungsbild vom Meister der Münchner Bildtafel (15. Jh.). Aber wo ist Maria? In der Blickrichtung des Engels rankt eine goldgelbe Blättergirlande durch das Bild, den Engel von den rechts davon befindlichen Knochen trennend. Auch der Hand des Engels folgend erhalten wir eine verwirrende Antwort: „Die frisch abgezogene Haut muss rasch konserviert“ … Zudem sind unten und oben Doppelstangen von einem großen rechteckigen Rahmen zu sehen. Die Stangen führen uns hinter den Engel zu weiteren Knochen, die von einem menschlichen Arm zu stammen scheinen.

Neue Entdeckung: Linien von Kleiderschnittmustern, die ganz fein hier und dort auftauchen und die einzelnen Elemente miteinander verbinden. Aber wozu Stoffe zuschneiden, wenn der Engel schon so üppig gekleidet ist und auch die Knochen mit einem filigranen Gewebe wie von einem Kleid umgeben sind? Vielleicht will uns die Stofflichkeit – das Material, das uns wesentlich eigen ist – näher gebracht werden: Die Knochen – oder das Gestänge –, die uns tragen; die Haut – oder das Leder oder die Stoffe –, die uns bedecken und uns schön und ansehnlich machen. So sehr es um die Oberfläche geht, werden wir auch in die darunter liegenden Schichten geführt, damit wir uns mit ihnen auseinandersetzen.

Ganz links auf ziegelrotem Grund ein technischer Text über das Gerben, d.h. das Konservieren von Tierhäuten. Kontrastierend zum Johanneswort: „… und das Wort ist Fleisch geworden …“ (1,14) wird vom Haltbarmachen der Haut gesprochen, weil das Fleisch verweslich ist. Aber der Engel bringt als verlängerter Arm Gottes die Botschaft der Menschwerdung Gottes auf die Erde – zu den Menschen. Gleichsam auf seinem Rücken trägt er das ewige (aller Zeit und Vergänglichkeit entgegengesetzte) göttliche Wort, das in den Knochenfragmenten bereits Menschenähnlichkeit angenommen hat. Aus einer anderen Welt kommt der Engel in unsere Welt. Die zerschneidende Doppellinie mitten im Bild und der Übergang von Grautönen zu einer dezenten Farblichkeit betonen das Auftauchen aus einer geistigen Welt. Trotz ihrer Farblosigkeit – die eben die für unsere Augen verborgene Welt bezeichnet – wird sie durch das goldene Blumenmotiv als göttliche Welt deklariert. Aus den vielen „Stoffschichten“ taucht er in unserer Welt auf und bringt weiterhin die Botschaft des Lebens. Nicht nur Maria – seine Einsamkeit scheint zu sagen – uns allen.

„El ángel quedó a cargo de encausar mi palabra, mi oido, mi deseo“, steht in verwischter Handschrift neben dem Engel. Dieser Satz von der chilenischen Schriftstellerin Diamela Eltit könnte folgendermaßen übersetzt werden: “Dem Engel ist aufgetragen, über mein Wort, das was ich höre (im Sinne von Wahrnehmung), und meine Sehnsucht zu richten.” Mit diesem Wort führt uns die Künstlerin noch weiter in die Tiefe der Gottesbegegnung. Steht der Text doch auf dem gleichen „göttlichen“ Goldgelb wie der Heiligenschein. Geschieht und vollendet sich unsere Menschwerdung nicht dort, wo all unser Sehnen und Tun sich von Gottes Licht durchleuchten und richten (gerade, rechtschaffen machen) lässt? – Wie bei Maria?