Verschüttet

Aus einer kreisförmig ausgeschütteten Ansammlung von goldenen Münzen ragen zwischen vier schräg hervorstehenden Holzbeinen die Extremitäten eines Babys in die Höhe. Auch sein Kopf ist teilweise zu sehen. Kein wärmendes Stroh bedeckt es, kein schützendes Tuch umhüllt es. Der kalte und harte Geldsegen droht das Kind zu ersticken, doch den angedeuteten Bewegungen nach lebt es noch. Die Münzenflut vermochte es nicht gänzlich zu bedecken. So taucht es in dem monetären Heiligenschein halb unter, aber auch halb auf. Die Münzansammlung erinnert an Orte wie den Trevi-Brunnen in Rom, in den Besucher Münzen hineinwerfen in der Hoffnung auf Erfüllung eines Wunsches. Was die Menschen wohl hier bewegte, Münzen zu werfen? Ihre Bitte um Frieden? Oder wollten sie sich den Frieden erkaufen?

Doch da sind noch zwei umgekippte Gefäße am Rande der Spielfläche. Beim einen rollen Weihrauchkörner heraus, beim anderen Myrrhe. Lieblos hingeworfen und ausgeschüttet. Zweifelsohne wird mit Gold, Weihrauch und Myrrhe eine Verbindung zu den Gaben der Heiligen Drei Könige geschaffen, doch ihre Präsentation ist das abstoßende Gegenteil vom Handeln der drei Weisen aus dem Osten. Diese haben vor rund 2000 Jahren auf ihrer Reise nichts von ihrer kostbaren Fracht verschüttet. Denn als sie hocherfreut beim gesuchten Kind ankamen, schenkten sie ihm ihre Gaben (vgl. Mt 2,11). Doch hier sind keine Ehrfurcht und keine Andacht zu spüren, keine Hingabe und keine Anbetung des Gottessohnes. Es ist viel Geld eingesetzt worden, um das Kind mit Reichtum zu überschütten, aber die Installation lässt nichts von der Heiligkeit des Festes, der Gottesgeburt und des Besuches der Könige spüren. Stattdessen zeigt die Installation auf schmerzhafte Weise, wie das kommerzielle Brauchtum die zentralen Inhalte des Weihnachtsfestes erdrückt und unterdrückt.

Diesen Kontrast zwischen früher und heute hebt die Assemblage hervor: Die drei Könige wussten noch, was die Geburt von genau diesem Kind bedeutet. Aus den Sternen haben sie seine herausragende Bedeutung herausgelesen. Das Außerordentliche motivierte sie, den langen und unbequemen Weg zu wählen, ihr Land zu verlassen, aufzubrechen ins Ungewisse, um das Kind zu suchen. – Heute verfügen wir über alle Informationen zu jeder Zeit, doch scheint das besondere dieser Botschaft in der Fülle an Informationen unterzugehen. Zwar dreht sich alles noch um das Kind, aber sein außergewöhnliches Wesen spielt keine Rolle mehr. Das Wünschen und Schenken haben die Hauptrolle übernommen. Dabei ist des Kindes friedliche Haltung Gold wert, seine wundersame Entstehung und sein Da-Sein voller Heiligkeit gehört mit Weihrauch geehrt, seine fragile Existenz und Wehrlosigkeit sind immer vom Tod bedroht und damit von der Myrrhe begleitet.

Die Assemblage will uns aufrütteln anders zu handeln und Jesus seinen gebührenden Platz im weihnachtlichen Geschehen zurückzugeben: Unverfälscht, wahrhaftig und ernsthaft. Motiviert durch den Glauben und die Dankbarkeit, dass Gott uns zu unser aller Rettung seinen Sohn geschenkt hat.

Ins Zeitliche geboren

Das Wunder der Geburt geschieht in der liebenden Zuneigung der Eltern. Sie bilden in ihrer knienden und demütig sich vor dem Kind verneigenden Haltung eine bergende Krippe und ein beschützendes Haus. Der Freiraum zwischen Mutter und Vater ist des Kindes erster Lebensraum in der neuen Welt. Er erscheint als grauer Alltag. Die kurzlebige Tageszeitung als Hintergrund verortet die Geburt an einem bestimmten Tag und in der Armut der Obdachlosen, die Zeitungen als Isolation auf den Boden legen oder sich damit zudecken. Nur die Eltern können die lebensnotwendige Wärme schenken, die das Kind braucht.

Die drei Personen sind hauptsächlich durch die schwarzen, skizzenhaften Konturen definiert. Die sparsam verwendeten Farben deuten mit den braunen Farbtönen links Josef an, die rötlichen Farbspuren verweisen auf Maria und das lichte Gelb lässt das Göttliche im Kind aufleuchten. Jesus ist auf Zeitungen gebettet und in sie gewickelt.

Der Glanz der Heiligen Nacht entfaltet sich um das traute Paar herum. Die gelben Lichtblitze erhellen den Himmel und lassen gleichzeitig an die Engel der himmlischen Chöre denken. Am Boden verdichtet sich das himmlische Licht mit dem irdischen Stroh zu einer wahren Lichtflut, die warm und froh die Kunde der Geburt Gottes über die ganze Erde verbreitet.

Nun sind es nicht die Zeitungen, welche die Nachricht in alle Welt hinaustragen, sondern das Licht selbst, das im Denken, Sprechen und Handeln der Menschen vom Gottessohn kündet. Denn das Kind ist nicht arm, sondern reich an Liebe und Macht, um in allen Menschen den Glauben an Gott zu entzünden und in der Liebe zueinander zum Brennen zu bringen.

Mitten im Alltag

Es ist nur ein Kleiderbügel – ein billiger Kleiderbügel aus Plastik – der an der Wand hängt. Unbenutzt, arbeitslos, doch dem verformten Pendant unter sich eine Art schützendes Dach gebend. Dekonstruiert lassen unten nur Haken, Mittelteil und der Vergleich der einzelnen Elemente mit der Vorlage den ursprünglichen Gegenstand erkennen.

Die Umformung fordert zunächst auf im eher chaotischen „Trümmerhaufen“ nach „Überlebenden“ bzw. nach sinnstiftenden Elementen zu suchen. Nach und nach nehmen die einzelnen Teile eine sinngebende Gestalt an und lassen eine Krippe erkennen – mitten im Alltag, an der Garderobe, im Übergang von draußen nach drinnen, gleich hinter der Türe. In der Mitte einander gegenüberstehend Maria und Josef, links daneben ein Hirte mit einem Lamm, dahinter ein Esel und ein Ochs. Auf der anderen Seite nähern sich drei Personen, die sowohl für die Hirten als auch für die drei Könige stehen können.

Aber wo ist das Kind? Der Titel sagt doch, „Gott ist immer mittendrin”. Liegt es vielleicht hinter Maria und Josef geschützt im Dunkeln? Unter dem kleinen Bogen in der Mitte ist ein Kinderkopf auszumachen. Gott will offensichtlich nicht an der Front mitmischen, sondern liebt mehr die verborgene Position – unterm Kleid oder im Kleiderschrank. Er muss nicht glänzen, um gegenwärtig zu sein. Es genügt ihm, da zu sein, eine tragende Funktion zu haben. Wie die Krippe, so einfach und unperfekt, ohne Glanz und Gloria.

Die Frage nach dem Kind beinhaltet auch die Frage nach Gott. Jede Frage ist eine Suche und je offener sie gestellt bzw. gestaltet wird, umso mehr kann man Gott in allem Möglichen entdecken, sogar in einem Kleiderbügel. Gott ist kein Sonntagsgott. Er ist jederzeit und allerorts alltagstauglich. Gott ist da an jedem Tag im neuen Jahr und offenbart sich in den unmöglichsten Situationen als erstaunlich gegenwärtig wie – mit diesem Bild im Kopf – ab heute auch im schwarzen Plastikkleiderbügel an der Garderobe.

 

Die Kleiderbügelkrippe war vom 05.11.2022 bis 22.01.2023 Teil der 82. Telgter Krippenausstellung “Mittendrin” im RELíGIO, dem Westfälischen Museum für religiöse Kultur in Telgte. 

Geschenkte Größe

Inmitten des großen Kreisrunds begegnet uns golden hinterlegt die heilige Familie. Maria sitzt und hält das Jesuskind in ihrem Arm, Josef steht zugewandt und beschützend dahinter. Relativ zu der großen und schweren Masse des Steines, der einen beeindruckenden Durchmesser von einem Meter hat, wirkt das Kind klein und zerbrechlich wie ein soeben Neugeborenes.

Der runde Stein steht für die Vollkommenheit, aber es kann auch das Weltenrund darin gesehen werden oder ein Menschen-Leib, in dem Leben heranwächst, oder sogar ein Brot-Laib. Jesus ist als Erdenbürger geboren worden, er ist leib-haftig Mensch geworden. Er will in uns zur Welt kommen und sich als lebendiges Brot verschenken, damit wir in Ewigkeit leben (vgl. Joh 6,51).

Wie aus dem Auge oder dem Herzen der Welt heraus präsentieren Maria und Josef allen auf dem Weltenrund den Gottessohn. Vom unteren Weltenrand schauen die versammelten Völker zum Licht auf, das über ihnen aufstrahlt wie Jesaja vorhergesehen hat: „Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht.” (Jes 9,1) Endlich ist der Retter da! – und doch ist da noch eine Distanz dazwischen.

An die Menschenmenge und uns Betrachter richten sich drei Zeilen aus dem Gedicht „Das Marien-Leben” von Rainer Maria Rilke (1911/12), die über der Heiligen Familie in den Stein gemeißelt sind:

… SIEH, DER GOTT, DER ÜBER VÖLKERN GROLLTE,
MACHT SICH MILD UND KOMMT IN DIR ZUR WELT.
HAST DU IHN DIR GRÖSSER VORGESTELLT?

Rilke und auch der Künstler weisen damit auf die Barmherzigkeit Gottes hin, auf seine Liebe zu uns Menschen, die mit der Geburt seines Sohnes in die Welt gekommen ist. Das Zentrum ändert sich: Gott ist nicht mehr nur oben im Himmel, sondern auch und vor allem mitten auf der Erde. Gott ist nicht mehr fern, sondern nahe, er ist nicht mehr zornig, sondern gnädig, er trägt nicht mehr nach, sondern verzeiht. Deshalb ist das Erstaunen groß und die Frage berechtigt, welche der Künstler zwischen die Heilige Familie und die erwartungsvollen Völker gestellt hat: WAS IST GRÖSSE?

Was ist Größe? Rilke vergleicht in seinem Gedicht zur Geburt Jesu alle Schätze der Welt und das Ansehen der Könige mit der Geburt des Gottessohnes und kommt zu dem Schluss, dass das alles nichts wert ist gegenüber dem Geschenk, das Gott den Menschen macht: Er schenkt sich selbst. Jedem Menschen, bedingungslos und umsonst, obwohl wir das nicht verdient haben. Er möchte der Mittelpunkt unserer Seele, unseres Herzens, unseres ganzen Lebens sein, damit wir als erlöste und befreite Menschen mit ihm und mit allen Menschen in Frieden leben und die Fülle des Lebens erfahren. Gott macht sich klein und schenkt sich jedem von uns unverdienterweise. Das ist seine wahre Größe. Das größte Geschenk, das weitergeschenkt werden will.

 

Die Skulptur war vom 05.11.2022 bis 22.01.2023 Teil der 82. Telgter Krippenausstellung “Mittendrin” im RELíGIO, dem Westfälischen Museum für religiöse Kultur in Telgte.

Fürchtet euch nicht!

Eine kleine Krippe steht im Schatten eines mächtigen Kreuzes, das schräg über die Krippe geneigt auf sie zu stürzen droht. Die Krippe selbst besteht aus einer Walnussschale und wird von innen beleuchtet. Das Licht der Krippe und die herausstehenden Strohspitzen projizieren auf den breiten Kreuzschatten ein feines Licht- und Schattenspiel, das dem Haupt Jesu mit der Dornenkrone gleicht.

Verloren steht die Krippe im Kreuzungspunkt des Schattens der beiden Kreuzbalken. Wo sonst die Wände eines Stalls ein Mindestmaß an Schutz bieten, droht hier von oben das Holz des Kreuzes den Neugeborenen zu erschlagen. Wo sonst Menschen und Tiere das Kind schützend und wärmend umgeben, ist hier nur die Bedrohung des übermächtigen Kreuzes und die Kälte seines Schattens zu spüren.

So hart und geradezu brutal diese Krippendarstellung Geburt und Tod zusammenbringt und nicht wie in manchen Inszenierungen den Kreuzestod nur versteckt andeutet, so „normal“ ist es im apostolischen Glaubensbekenntnis in einem Atemzug zu sprechen: „geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben“.

Die Krippe bildet ein Kontrastprogramm zu dem vom maßlosen Konsumverhalten immer mehr zu einem Event verkommenden Advents- und Weihnachtszauber, bei dem es mehr und mehr ums Geld, um das Wünschen und Beschenken geht als um die Freude über die Geburt des Gottessohnes und Seelenretters. Radikal wird hier die menschliche Zerbrechlichkeit unter dem übermächtigen Kreuz bewusst. Wobei das Kreuz sowohl für die Dunkelheiten und Härten des Lebens stehen kann als auch für das menschliche Sünder-Sein und die eigene Gottesferne.

Gerade in diese Dunkelheit leuchtet die kleine Krippe. Ihr Licht vermag selbst die Schatten des Kreuzes zu durchdringen und zu erhellen. Die Installation erinnert an das prophetische Wort: „Das Volk, das im Dunkel saß, hat ein helles Licht gesehen; denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen.“ (Mt 4,16) Dieses in die Dunkelheit gesandte Licht kommt klein und verletzlich an und strahlt doch hell über die Dunkelheit hinaus. Es bricht die durch das Kreuz, die Sünde und den Tod entstandene Übermacht der Finsternis. Das vom Christuskind ausgehende Licht lässt uns die Stärke von Gottes Barmherzigkeit und Liebe erfahren. Sie sind unvergleichlich größer als die tiefste Dunkelheit und Not. Sein Licht macht Mut und schenkt Hoffnung. Letztlich ruft es in die Dunkelheit: Ich bin der Gott Immanuel: Was auch passiert, ich bin bei euch! Fürchtet euch nicht! (Lk 2,10; Joh 6,20)

 

Die Installation war Teil der 82. Telgter Krippenausstellung “Mittendrin” im RELíGIO, dem Westfälischen Museum für religiöse Kultur in Telgte. Die Ausstellung war mit über 120 zeitgenössischen Ausstellungsstücken bis zum 22. Januar 2023 zu sehen.

Seine Herrlichkeit schauen

Das mit Symbolen gestaltete Bild lädt von oben nach unten zur Betrachtung ein. Doch der Schlüssel zum Verständnis liegt in der Krippe: Sie bzw. der in ihr Liegende weist den Weg, zum Verständnis und das Licht des Johannesprologs (Joh 1,1-18) beleuchtet ihn zusätzlich.

Im dunklen Querbalken sind Schriftzeichen zu sehen. Sie deuten das göttliche Wort an: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott.“ (Joh 1,1-2) Da Gott nicht darstellbar ist, sehen wir nur schriftähnliche Zeichen als Symbol für den göttlichen Logos. Der Balken selbst kann dabei als sichtbares Moment einer ewigen und gleichbleibenden Präsenz in der Schöpfung interpretiert werden.

Darunter entfaltet sich vor dem blauen Dreieck die Menschwerdung Gottes in seinem Sohn. „Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen.“ (Joh 1,3-4) – Es ist ein trinitarisches Geschehen, ein Zusammenwirken von Vater, Sohn und Heiligem Geist. In der großen Sonne klingt die Unendlichkeit Gottes an und dass er die Quelle des Lebens und des Lichtes ist. Der kleinere untere Kreis weist durch die Überschneidung und die gleiche Form auf die Gottheit Jesus hin. Er ist der Einzige, der „am Herzen des Vaters ruht“ (Joh 1,18). Der nach unten versetzte Kreis macht auch deutlich, dass er sich entäußert hat, um uns Kunde zu bringen von der Gnade und der Wahrheit Gottes. Seine Geburt ist eine Sternstunde der Menschheit und der Schöpfung. Gott wird Mensch: Seine ganze trinitarische Fülle ergießt sich „Gnade über Gnade“ in unsere menschliche Armut, dargestellt durch die nach oben geöffnete Krippe. „Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“ (Joh 1,12) Die Krippe ist gleichsam die Antwort des unteren dunklen Balkens auf die vom oberen Balken ausgehende Frage.

Weder das Jesuskind noch Maria, Josef oder sonst jemand sind an der Krippe dargestellt. Nur zwei blaue Flügel deuten eine Anwesenheit von himmlischen Wesen an – seien es die Engel der Heiligen Nacht oder den Geist des Johannes. Letztlich sind es zwei Präsenzen, die das Geschehen wohlwollend begleiten.

Alles zwischen den beiden Kontinuen am oberen und unteren Bildrand ist in ein warmes, goldgelbes Licht getaucht. In dieser mystischen Vision der Menschwerdung Gottes symbolisiert auch es die Materialisation: vom farblosen Licht zum von Farben, Gefühlen und damit vom Leben erfüllten gelben Licht. Im Licht gießt sich Gott symbolisch in die ganze Schöpfung aus. Im Licht offenbart er sich allen wesenhaft in seiner grenzenlosen Güte, Wärme und Freude. Es verweist immateriell auf Jesus, der von sich sagt: „Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.“ (Joh 9,5)

So abstrakt-symbolisch das Bild auch ist, letztlich wissen wir nur durch die geschichtlich konkret gewordene Person Jesu so viel über Gott und seine grenzenlose Liebe zu uns. Wir leben jeden Tag in der Erwartung Ihn zu sehen und Sein Erbarmen und Sein Heil zu erleben, denn „das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“ (Joh 1,14)

Epiphanie – Erscheinung des Herrn

Die helle, vier Meter hohe zylindrische Installation zieht die Aufmerksamkeit auf sich. In der Dunkelheit des sie umgebenden Raumes leuchtet sie mit ihrem sanften weißen Licht wie eine überdimensionierte Laterne und verkündet eine andere, lichtvolle und raumgreifende Präsenz. In abstrakter Form vermag sie an das Erscheinen des Engels bei den Hirten zu erinnern, von dem es heißt, dass mit seinem Kommen „die Herrlichkeit des Herrn“ sie umstrahlte, so dass sie sich fürchteten (Lk 2,9).

Von außen sind denn auch schattenhaft andeutende Elemente einer “klassischen Krippendarstellung” zu sehen: Kamele der Heiligen drei Könige, Schafe, eine kniende Person mit einem Stab in der Hand, eine Palme, eine Personengruppe auf einem Hügel. Eine Zuordnung zu einzelnen biblischen Figuren findet bewusst nicht statt. Ob es sich etwa bei der knienden Figur mit dem Stab um einen Hirten, um Joseph oder um einen Engel mit unsichtbaren Flügeln handelt, liegt ganz im Ermessen des Betrachters, der sich als gegenwärtiger Besucher und Gott-Suchender dem Lichtphänomen nähert.

Noch verbirgt die zeltartige Konstruktion aus feinem Stoff und transparenten Schnüren das geheimnisvoll erleuchtete Innere. Wer es sehen will, muss sich furchtlos in diesen abgesonderten Raum hineinwagen, hineingehen und sich hingeben: in die intime und ganz persönliche Begegnung mit Gott!

Der fast leere Raum überrascht. Die bekannten “Krippenfiguren” sind außen vor geblieben. Nur die Futterkrippe mit Stroh und einem Leinentuch erfüllt zumindest eine weihnachtliche Erwartung. Noch größer wird das Erstaunen jedoch bei der Feststellung, dass die Krippe leer ist, dass kein Neugeborenes darin liegt. Gott wird hier als derjenige dargestellt, der uns fehlt, den wir suchen, nach dem wir Sehnsucht haben. Dementsprechend wird an diesem Punkt die Weihnachtserzählung mit den Ereignissen am Ostermorgen verknüpft, als die Frauen zum Grab Jesu geeilt waren und ihnen auch hier ein Engel tröstend zusprach: „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht euch den Ort an, wo er lag!“ (Mt 28,5-6)

So wird die Installation zu einem außerordentlichen, eben einem ganz besonderen Erlebnisraum, in dem sich Gott auf geheimnisvolle Weise dem Suchenden und Verweilenden offenbart und herzerfüllend schenkt. In unserem Herz will Gott geboren werden, als Licht leuchten und brennen. Die Begegnung mit dem unsichtbar Gegenwärtigen soll berühren, verwandeln, bewegen. Die Erscheinung des Herrn (Epiphanie) in diesem modernen Offenbarungszelt beinhaltet zugleich die Sendung, allen Mitmenschen vom Gesehenen, Erlebten und Erfahrenen zu erzählen: vom Immanuel, dem Gott mit uns, der in Jesus Mensch geworden ist, unter uns gewohnt hat und für uns am Kreuz gestorben und in seiner Auferweckung von den Toten uns den Weg zum ewigen Leben geöffnet hat. Dieser Verkündigungsauftrag ist nicht den Schriftgelehrten oder Theologen vorbehalten, sondern von den „Hirten“ über die „Frauen“ bis zu den „Königen“ allen anvertraut. Deshalb wiegen die Worte der Engel und auch Jesu umso stärker:

„Fürchtet Euch nicht!“

Erzählt unbefangen von Gott und was Er an euch getan hat und für euch bedeutet!

 

Diese Arbeit gewann den 1. Platz im Gestaltungswettbewerb 2019 von arsLITURGICA, eine Weihnachtskrippe zu gestalten.

Das Wesentliche schauen

Was für eine Überraschung! Bei dieser Krippendarstellung gibt es in Wirklichkeit keine Krippe, kein Jesuskind, keine Maria und keinen Joseph, auch keine Besucher wie Hirten oder Könige. Diese „Krippe“ besteht nur aus Elektroschrott, aus Platinen, Schaltern, einer Spule, abgerissenen Kabeln etc. Vermutlich stammen sie aus einem Computer. Die einzelnen Teile sind so angeordnet, dass die chaotisch wirkende Zusammenstellung durch das Licht einer Lampe aus einem bestimmten Winkel Schatten an die Wand werfen. Überwölbt vom hellen Lichtkegel ist der Schattenwurf einer Futterkrippe zu sehen, aus der Stroh heraushängt und in der ein Säugling liegt. Von ihm sind der Kopf, eine Hand und ein Fuß zu sehen. Am Boden wirft das Licht die Silhouette einer Kerze oder einer Babytrinkflasche und rechts daneben den Griff einer Schaufel in einem Eimer an die Wand.

Welch ein Kontrastprogramm: Im Vordergrund türmt sich eine Ansammlung von ausgedientem Elektroschrott, während die frohe Weihnachtsbotschaft im Hintergrund ein Schattendasein fristet. Normalerweise halten wir das Schattenbild für einen trügerischen Schein und das dazugehörende dreidimensionale Objekt für die wahre Realität. Hier ist es umgekehrt: Das Schattenbild vermittelt das Wesentliche. Durch das genau ausgerichtete Licht wird das sonderbare Chaos in eine frohe Botschaft verwandelt. Nur durch das Licht wird in der Installation auf irritierende und faszinierende Weise das weihnachtliche Wunder der Menschwerdung sichtbar.

Das Kunstwerk ist eine Art Gleichnis: Auch wir Menschen sind für die Entdeckung und das Erkennen des Gottessohnes auf Licht angewiesen, ob es nun ein Stern, ein Engel, ein Geistesblitz oder eine innere Erleuchtung ist. Ohne diese Befähigung könnten wir nicht mit dem geistigen Auge über das Vordergründige einer Ansammlung von Konsumgütern oder auch eines süßen Kindleins in der Krippe hinwegsehen und seine irdische Gegenwart so durchdringen, dass wir in ihm Gottes Sohn und unseren Heiland schauen und verehren.

Wie die Elektroteile früher im Rechner des Computers Bilder auf den Bildschirm zauberten, so projiziert das Licht nun ein Schattenbild an die Wand. Ebenso soll Gott in uns aufleuchten und durch uns als Mensch geboren werden, damit ER für alle auf vielfältige Weise sichtbar und erlebbar wird. Wie in dieser Installation ereignet sich das weihnachtliche Geschehen immer wieder wunderbar und gleichzeitig unspektakulär im Stillen – ohne die kleinste Beachtung durch Dritte wie Hirten, Könige oder die Eltern. Und doch erneuert und verändert jedes noch so unscheinbare weihnachtliche Geschehen, in dem Gott sichtbar Mensch wird, wesentlich das Antlitz der Erde.

 

I M M A N U – E L

Ins Zeitendunkel ist die Nacht entschwunden,
In der ein Stern erstrahlte – klar und hell,
In der sich Erd‘ und Himmel neu verbunden,
In der geboren ward Immanu-El.

Zwar vieles könnte heut‘ nicht mehr geschehen:
Dass Hirten hör‘n der Engel Lobgesang,
Dass heil‘ge Könige zum Himmel sehen
Und folgen dann des neuen Sternes Gang.

Doch in der Flucht der Zeit bleibt unverloren
Das Ewige, das uns erschien in jener Nacht.
Von neuem wird das WORT in dir geboren,
Das einst im Stalle ward zur Welt gebracht.

Ja! Gott mit uns – nicht dort, in Himmelszelten
Und nicht in Sturmeswehn, in Feuer nicht und Streit,
Und nicht in Fernen unerforschter Welten,
Und nicht im Nebel der Vergangenheit.

Nein: hier und jetzt: im eitlen Weltgetriebe,
Im trüben Lebensfluss, im Alltagstrott
Tönt uns die Botschaft von der ew‘gen Liebe:
Besiegt sind Not und Tod – mit uns ist Gott.
Wladimir Solowjow (1853-1900)

 

Jens Henning hat mit seiner Krippe den Bischof-Heinrich-Tenhumberg-Preis 2021 gewonnen. Seine Krippe war bis zum 13. Januar 2022 in der 81. Telgter Krippenausstellung “Geheimnis der Heiligen Nacht 2.0” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen.

Schlüssel zum Leben

Sehr schlicht präsentiert sich dieses Kunstwerk ganz besonderer Art. Auf einer Grundplatte steht hochkant ein Stück Holz mit einem abgenutzten Türbeschlag, der oben keinen Griff oder Knauf, aber unten ein intaktes Schlüsselloch hat. Nichts weist auf eine außergewöhnliche Situation hin. Allein ein Klingelknopf lädt zum Drücken und Hoffen ein, dass dieser eine Reaktion auslöst, durch die sich die eigenartige Aufmachung erklärt.

Doch auf Knopfdruck ereignet sich nicht allzu viel. Allein das Schlüsselloch wird beleuchtet, was allerdings die Aufmerksamkeit auf sich zieht und genauer hinschauen lässt. Denn im Schlüsselloch wird ein Kleinkind mit nacktem Oberkörper und lockigem, goldenem Haar sichtbar: Jesus! Die karge Tür ist gleichsam der Stall, in dem er geboren, die Krippe, in die er gelegt wurde. Er erstrahlt als Licht in der Dunkelheit des Schlüssellochs. Er nimmt den Platz des Schlüssels ein und verweist damit auf die vorweihnachtliche O-Antiphon des 20. Dezembers, in der die Schlüsselgewalt des Gottessohnes verkündet und ersehnt wird:

O Schlüssel Davids, Zepter des Hauses Israel  –
du öffnest, und niemand kann schließen,
du schließt, und keine Macht vermag zu öffnen:
o komm und öffne den Kerker der Finsternis.“
(vgl. Jes 22,22; Offb 3,7; Mt 16,19)

Jesus ist der Schlüssel zum Reich Gottes. Sein Leben, seine Worte der Liebe öffnen neue Lebensräume und führen aus der Gebundenheit und Gefangenschaft dunkler Abhängigkeiten in die Freiheit des wahren Lebens. Die Geburt Jesu ist der geschichtliche Wendepunkt. Seine Geburt lässt sich leicht übersehen, seine universelle Bedeutung in seiner Zeit weder erahnen noch verstehen.

Heute feiern wir mit Millionen von Lichtern Jesu Geburt. Aber haben wir verstanden, was es bedeutet, die Liebe selbst zu sein? Bei Jesus und in unserem Leben für den Nächsten?  Die Liebe allein vermag die Türen der Herzen zu öffnen und diese mit Licht und Leben, mit Glückseligkeit und Freude zu erfüllen. Keine andere Kraft hat eine solche Macht.

Komm Herr Jesus, kehr bei uns ein. Sei unser Gast und erfülle uns mit deinem Licht und deiner Liebe, auf dass wir heil werden und selbst zu befreienden Schlüsseln der Liebe werden.

Diese Krippe ist bis zum 13. Januar 2022 in der 81. Telgter Krippenausstellung “Geheimnis der Heiligen Nacht 2.0” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen.

Hineingenommen

Die kreisrunde Installation bildet während der Advents- und Weihnachtszeit einen neuen Brennpunkt im Kirchenraum. Die großen, spielerisch angeordneten Kugeln aus massivem Holz ziehen die Besucher in ihren Bann und verwandeln sie durch ihre einzigartige Maserung und Schönheit zu Betrachtenden und Verweilenden.

Auf einer kargen Grundfläche umgeben zehn Kugeln scheinbar zufällig eine schalenförmig gewölbte Baumscheibe,  die auf dem Schnittpunkt zweier Fugen in der dunklen Grundplatte ruht. Doch schnell lassen sich drei Gruppen ausmachen: die beiden Kugeln links und rechts der Baumscheibe, fünf helle Kugeln auf der rechten und drei dunklere Kugeln auf der linken Seite. Durch das Material Holz sind sie irdisch individuell von der Baumart und den örtlichen und zeitlichen Wachstumsbedingungen geprägt, während ihre Form ohne Anfang und Ende auf Gott verweist und eine wie auch immer gelebte Gottverbundenheit nahelegt. So verdichten sich die Beobachtungen zur Entdeckung einer Krippendarstellung, bei der die Personen um die Krippe durch Kugeln repräsentiert werden: Beidseits der Baumscheibe „schauen“ Maria und Josef fürsorglich durch die Astaugen zur Mitte; die einfacheren hellen Hölzer in unterschiedlichen Größen mögen die Hirten und evtl. Schafe darstellen, während die drei prachtvoll maserierten Kugeln eine Repräsentation der Weisen oder Könige aus dem Morgenland nahelegen.

Doch wo ist der Neugeborene? Wo ist das Jesuskind? In der Dramaturgie dieser Krippe senkt sich für ihn vom 1. Advent an eine leuchtende Kugel Tag für Tag mehr vom Himmel zur Erde herab, um an Heiligabend als Licht der Welt in der Krippenschale seinen bescheidenen Thron unter den Menschen einzunehmen. „Jetzt umgeben die versammelten Gruppen den Einen zu zweit, zu dritt und zu fünft und bilden mit diesem Arrangement nicht zufällig den Beginn der Fibonacci Reihe für natürliches Wachstum. Die kleine Menschentraube an der Krippe wird zur Keimzelle des Wachstums.“

Damit niemand außen vor bleibt, sondern jedermann aktiver Teil des Geschehens werden und an der Krippe verweilen kann, sind die 30 bis 50 cm hohen Kugeln als Sitzgelegenheiten für die Besucher konzeptioniert. Sie laden gerade in unserer hektischen Zeit zum Verweilen ein, zum Schauen auf Jesus und Erleben seines Heils. Denn mit der Ankunft Jesu hat sich der harte Boden des „Erdenrunds“ geöffnet und ein leuchtendes Kreuz freigegeben, das dem ganzen Erdkreis verkündet, dass Jesus der Retter und Erlöser aller Menschen ist. „Das Kreuz markiert den Punkt der Menschwerdung Gottes, es kann aber auch als Vorbote der Passion gesehen werden, zu deren Ende sich ebenfalls die Felsen spalten (vgl. Mt 27,51).“ (Konzeption Institut für Inszenierung)

Die Installation lässt die Niederkunft von Gottes Sohn sinnlich erwarten und erfahren. Wie Franziskus von Assisi die Menschen seiner Zeit durch das Krippenspiel in das Geschehen eingebunden hat, so ist die Installation offen für eine interaktive Teilnahme und Teilhabe an der Geburt Jesu. Alle sollen ohne Barrieren an der Krippe verweilen können, sie betreten, begehen und sich in ihr niedersetzen können. In ihrer formalen Einfachheit strahlt die Krippe eine heilsame Ruhe und einen tiefen Frieden aus, die man aus den Perspektiven der einzelnen Krippenfiguren erfahren kann, wenn man deren Platz einnimmt.  In ihrer Sinnlichkeit trägt die Krippe dazu bei, die Geburt Jesu als gegenwärtiges Geschehen zu erleben, das uns alle betrifft und unser aller Leben zu verändern vermag. Im Verweilen an der Krippe entziehen wir uns der Eile (die sich im Wort „Verweilen“ versteckt) und schaffen die Möglichkeit, aus Gottes Fülle beschenkt zu werden mit “Gnade über Gnade” (Joh 1,17).

 

Die Installation ist in der kath. Kirche St. Agnes in Hamm zu sehen und zu erleben.

Ein Modell der Krippe von Marc von Reth / Institut für Inszenierung ist bis zum 13. Januar 2022 in der 81. Telgter Krippenausstellung “Geheimnis der Heiligen Nacht 2.0” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen.

Warten auf Jesus

Ein junges Paar steht am Ausgang eines Bahnhofs. Die einfach gekleidete junge Frau hält ein Baby in den Armen, ein Bauarbeiter in einfacher, verschmutzter Kleidung steht ihr bei. Ein Mann in weißer Latzhose und einem gelben Koffer schaut zu ihnen hinüber. Hinter ihnen öffnet sich der Blick auf einen Bahnsteig mit Informationstafeln und einem blauen Zug.

Das Paar scheint gerade in der Stadt anzukommen. Vor ihnen liegen erneut Gleise, vielleicht von der Straßenbahn. Sie müssen ja irgendwo eine Herberge finden in der Stadt. Neben ihnen wünschen Esel und Ochs aus einem DB-Informationsschalter heraus (auf die verkehrte Welt weist das von hinten spiegelverkehrt abgebildete DB-Symbol hin) den traditionellen Bergmannsgruß „GLÜCK AUF“. Mit dem kurzen Wunsch werden Gesundheit und Erfolg bei der gefährlichen Arbeit in den Bergwerksstollen zusammengefasst, das Finden des Gesuchten und auch die gesunde Rückkehr des Kumpels. Der als Graffiti auf die Wand gesprühte Spruch zu ihrer Rechten verortet das Glück einzig und allein im Glauben an Jesus: „Ohne Jesus ist Schicht im Schacht“.

Mit dem Rücken zur Wand sieht der telefonierende Geschäftsmann diesen entscheidenden Hinweis allerdings nicht. Läuft er dem Glück davon?

In den Ecken eines unsichtbaren Dreiecks umgeben drei Personen das junge Paar: links unten ein Mädchen mit einem weißen Lamm, rechts eine alte Frau am Rollator, oben ein geflügelter Mann in Business-Kleidung. Seine dunkle Brille und sein tastender Gang lassen in ihm einen blinden oder lichtscheuen Engel sehen. Was für eine Botschaft er wohl verkünden mag?

Unbeholfen steht er auf dem Dach der Bahnhofshalle. Wem soll er die Botschaft verkünden? Würden die Leute seine Botschaft überhaupt verstehen, wenn der Gottessohn so unauffällig in einer Bergmannsfamilie in die Welt hineingeboren wird? Wer es nicht weiß, wird das göttliche Kind übersehen, seine Ankunft verpassen! So ist es auch beim Mädchen und bei der alten Frau ungewiss, ob sie auf das Kind zugehen oder an ihm vorbeigehen. Die farbliche Verbundenheit mit Maria (rot-rosa Oberteile) lässt ersteres vermuten. Biblisch gesehen könnte das Mädchen symbolisch für die Hirten, die zum Stall geeilt sind, als auch für Johannes den Täufer stehen, der mit den Worten auf Jesus hinwies: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ (Joh 1,29). Die alte Frau hingegen könnte die biblische Witwe Hanna andeuten, die Gott im Tempel erwartete und sich über seine Ankunft derart freute, dass sie es allen erzählte, „die auf die Erlösung Jerusalems warteten.“ (Lk 2,38)

Johannes wie Hanna haben Jesus erwartet. Sie haben sehnsüchtig auf ihn gewartet. Sie haben gehofft und gebetet, dass ihnen die Gnade zuteilwerde, Jesus zu erkennen und ihn schauen (vgl. auch Simeon; Lk 2,25.26) und anbeten zu können: als Heiland der Menschen, als Retter der Welt. Weist nicht das Holzkreuz der Bahnhofshalle, unter dem die Mutter mit dem Kind steht, auf Jesu Berufung hin, die Menschen durch sein eigenes Blut zu erlösen? Und verweisen die Orientierungstafeln, welche Bahn wann in welche Richtung abfährt, nicht auch auf seine Heimkehr zum Vater?

Die Skulptur lädt uns ein, Jesus zu erwarten – „Komm Herr Jesus!“ (Offb 22,20) – auf dass wir ihn in Menschengestalt auch erkennen und schauen können. Hier und jetzt.

 

Die Arbeit von Rudi Bannwarth ist in der 81. Telgter Krippenausstellung “Geheimnis der Heiligen Nacht 2.0” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen.

Gottes Liebe ist ausgegossen

Visionär ist die Schau, in der sich das Licht aus der Höhe in die menschliche Dunkelheit ergießt und sternförmig über einer winzigen Menschengruppe aufstrahlt. Denn dass ein Gott, der per se überirdisch, ewig und damit transzendent ist, sich entäußert und Menschengestalt annimmt, ist schlichtweg unvorstellbar.

Doch weil bei Gott nichts unmöglich ist, kam er in Jesus Christus zu uns auf die Erde und wurde durch Maria Mensch. Diesem Wunder nähert sich die Künstlerin ebenso wie die Heilige Schrift in Symbolen.

Gott ist Licht. Seine Ewigkeit wird durch die Kreisform, die keinen Anfang und kein Ende hat, beschrieben. Im Innern dieses Kreises erzählen wunderbar bewegte rote und gelbe Linien, dass Gott die Quelle des Lebens ist. Im weißen Herz kommt zum Ausdruck, dass Er reine schöpferische Liebe ist, die über sich hinauswachsen will. Davon erzählt die Schöpfungsgeschichte, die mit der Erschaffung des Lichts begann und mit der der Menschen endet (Gen 1,1-31).

Jesus ist das Licht der Welt, weil er aus dem Licht kommt. Durch die Parallelen zur Schöpfungsgeschichte verankert der Evangelist Johannes im Prolog seines Evangeliums Jesus in Gott, wenn er schreibt: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (Joh 1,1-4)

Mit Jesus schenkt Gott seiner Schöpfung einen Neuanfang. Doch dieses Mal geht es nicht um die Erschaffung einer materiellen Welt, sondern um die Erneuerung des Menschen. Deshalb schreibt Johannes: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. […] Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut […], sondern aus Gott geboren sind.“ (Joh 1,9.12.13d)

Jesus ist der Erstgeborene dieser neuen Schöpfung. Im Bild ergießt sich das Licht in die Dunkelheit hinein. Es bahnt sich einen bleibenden Weg durch die Dunkelheit und explodiert förmlich in einem großen leuchtenden Stern über der kleinen Menschengruppe. Diese ist aus Wachs geformt und vor dem unteren Bildrand auf einer Zündholzschachtel erhöht angeordnet. Maria im blau-roten Kleid kniet anbetend vor der Krippe ihres Neugeborenen, Josef steht als Hirte gekleidet daneben.

Die Künstlerin hat mit dem gekneteten Wachs symbolisch den neuen Adam geschaffen. Indem sie ihn figürlich geschaffen hat, ließ sie das (gemalte) Licht Materie annehmen. Sie bildet damit ab, wie „das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat“ (Joh 1,14a).

Die Streichholzschachtel ist ein Hinweis, dass wir uns aufmachen, uns begeistern und anzünden lassen, und so Licht werden sollen. Sein Licht will wie der Stern im Bild in uns leuchten. Denn die schwarze Fläche im Bild ist mehr als ein effektvoller Hintergrund. Sie ist die symbolische Darstellung alles Dunklen in unserem Leben. Sie ist Ausdruck unserer Verlorenheit ohne Retter. Sie zeigt unsere Sehnsucht nach Licht, nach Erleuchtung und Orientierung, letztlich nach Gott.

Carola Wedell führt uns mit ihrer visionären Schau erneut die großen Zusammenhänge der Geburt Jesu vor Augen. Und alle, die von seinem Licht erleuchtet sind, die sein Wort in sich aufnehmen und ihm Wohnung geben, können staunend in das Bekenntnis des Johannes einstimmen: „Wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14b).

Die Arbeit von Carola Wedell war in der 79. Telgter Krippenausstellung “Auf der Suche nach dem Licht der Welt” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen. 

Licht vom Himmelsthron

Unser Blick wird durch eine leicht abgewinkelte rechteckige Öffnung auf ein lichtes Geschehen geführt. In der rechten unteren Ecke sitzt eine junge Frau mit einem Kleinkind auf dem Schoß. Sie sind vom sonnengelben warmen Licht durchdrungen, der Kopf des Kindes ist umgeben von einem Heiligenschein. Auf sie beide zeigt von oben ein übergroßer Finger, der sich bald als Engel offenbart, dessen Flügel wie ein Strich auf Jesus und Maria deuten. In dieser Direktheit vermag man die Stimme Gottes zu hören, wie sie bei der Verklärung aus den Wolken zu den anwesenden drei Jüngern sagte: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“ (Mt 17,5).

Gleichzeitig ist man versucht, in dem Engel Gabriel zu sehen, der zu Maria hinuntersteigt und ihr ankündigt, dass sie auserwählt wurde, den „Sohn des Höchsten“ in sich zu tragen und zur Welt zu bringen. Das Kind wäre in diesem Fall eine Visualisierung des Zukünftigen.

Gegenüber von Jesus und Maria neigt sich auf der anderen Seite der bühnenartigen Darstellung eine dreiteilige Menschengruppe ins Bild hinein. Auch sie sind Randständige. Ihre Schräglage kann sich auf ihre Lebenssituation beziehen, aber auch als ein sich ins Licht hineingeben. Sie trauen sich, die Dunkelheit zu verlassen und sich vom Licht erfassen zu lassen. Damit neigen sie sich gleichzeitig Jesus zu und verneigen sich vor ihm. Denn das Licht, das vor ihnen her gezogen ist, weist nun in Gestalt eines Engels auf den lang Ersehnten und Gesuchten. Wunderbar ist die Offenheit, mit der die Künstlerin die Begegnung darstellt. Aus der Darstellung geht nicht hervor, ob es sich um die drei Könige handelt, die zu Jesus kamen, um ihm die Ehre zu erweisen und ihn anzubeten.

So klar die drei Personengruppen in einer Dreieckanordnung erkennbar sind, so werfen doch die beiden braunroten Elemente beidseits des Engels Fragen auf. Mit ihren dunklen Farben haben sie etwas Bedrohliches an sich, das über dem Kind schwebt. Sie muten wie Schatten oder Vorboten des Leids an, welches Jesus später zu ertragen und durchleiden hat. Links mag ein Kreuzesbalken angedeutet sein, rechts eine spitzige Waffe.

Überwältigend an diesem Bild ist jedoch das intensive, warme Licht. Es lässt die 3. Strophe des Adventsliedes „Tauet, Himmel, den Gerechten“ (GL 474) hören, in der es heißt: „Und in unsres Fleisches Hülle kommt zur Welt des Vaters Sohn. Leben, Licht und Gnadenfülle bringt er uns vom Himmelsthron. Erde jauchze auf in Wonne bei dem Strahl der neuen Sonne, bald erfüllet ist die Zeit, macht ihm euer Herz bereit! Bald erfüllet ist die Zeit, macht ihm euer Herz bereit!”

Marias Herz war bei der Ankündigung durch den Engel bereit gewesen. Durch ihr bedingungsloses Ja zu Gottes Willen wurde sie Mutter. Aus der Frau am Rande wurde sie zur Mutter von Gottes Sohn. Für uns Menschen ist sie Schwester. Und Vorbild zu unserem Ja zu Gottes Willen. Sie ist uns Hilfe auf unserem Weg der Erwartungen und der Suche, auf unserem Weg zu Gott …

Lassen wir uns hineinnehmen in die Gnaden-, Licht- und Lebensfülle vom Himmelsthron, mit der Jesus alle beschenkt, die Ja zu ihm sagen.

“Stadtgeschehen”

Ein fast alltägliches Stadtgeschehen wird in dieser Steinarbeit in Szene gesetzt. Den Hintergrund bilden mit einfachen Rechtecken wiedergegebene Häuser. Die Steinbauten vermitteln einen südlichen, nahöstlichen Charakter. Die Silhouette der Münchner Frauenkirche entreißt die dicht gedrängten Bauten jedoch der Anonymität und verortet sie in die bayerische Hauptstadt.

Auf dem freien Platz davor gehen Menschen geschäftig wirkend in alle Richtungen. Nur auf der linken Seite – weit abseits im Hintergrund und gleichsam als Kontrapunkt und Ruhepol zu allen anderen – sitzt eine Person mit gekreuzten Beinen auf dem Boden und hält in ihren Armen ein großes Bündel, wahrscheinlich ein Kind. Neben ihr steht eine zweite Person, deren  Körperhaltung Zuwendung und Beistand vermittelt. Sie sind die einzigen Personen auf dem Relief, die deutlich eine Beziehung zueinander zeigen, die füreinander da sind. In dieser schlichten Krippenszene, bei der die Beine der sitzenden Maria selbst das Gestell des Futtertrogs nachbilden, sind gleichzeitig Verlorenheit in der Gesellschaft als auch Wärme durch das innerliche und äußerliche Zueinander von Maria und Josef zum Neugeborenen zu spüren.

Das Desinteresse der nicht ganz detailliert ausgearbeiteten Menschen am Neugeborenen ist erschreckend. Sie meiden die kleine Menschengruppe geradezu. Sie gehen von ihnen weg, als wollten sie nichts mit ihnen zu tun haben. Dieser Eindruck wird durch die mauerartigen Häuser verstärkt. Sie verorten das Geschehen weniger auf einem zentralen Platz als vielmehr vor den Toren der Stadt.

Das traute Paar im Abseits! Das traute Paar als randständige Obdachlose, für die nicht nur in der Herberge kein Platz mehr ist, sondern an keinem Ort in der Stadt. Weder in einem heruntergekommenen Stall noch in einem Menschenherzen. Sie werden von ihrer Umgebung nicht wahrgenommen, weil alle etwas Unsichtbarem nachgehen bzw. etwas Wichtigeres zu tun haben. Die Heilige Familie ist nicht wirklich ausgestoßen, aber die Ignoranz der Mitmenschen macht sie gleichsam zu Unsichtbaren, Nichtexistierenden. Das ist paradox und tragisch zugleich.

Dieses fast alltägliche Stadtgeschehen tut weh. Aber es spornt an, einander wieder vermehrt Zuwendung und Beachtung zukommen zu lassen, um der Vereinsamung entgegenzuwirken. Wo uns das gelingt, wird es wieder warm werden und Gott selbst wird sich in Frieden und Glück dazu schenken.

Diese Arbeit entstand im Rahmen eines vom Diözesanmuseum Freising ausgeschriebenen Krippenwettbewerbs und war von Ende 2017/Anfang 2018 mit 88 weiteren Arbeiten in der Karmeliterkirche in München ausgestellt. 

Das wahre Licht kam in die Welt.

Es gibt viele Arten von Licht. Hier wird das Licht als warme Erscheinung thematisiert, gehalten von einer braun-roten Fassung, die nach oben bis auf die Andeutung einer Eiform offen ist. Das zentrale Licht ist sanft und atmet zwischen weiß und zitronengelb.

Die helle Mitte und die feurige Schale bilden eine immaterielle Einheit, die in einem grauen, eckigen Gefäß ruht, das nach oben ebenfalls offen ist. Größer gesehen kann die geometrische Form auch als einfachste Konstruktion einer Behausung gesehen werden, in der sich das übergroße Licht niedergelassen hat. Man könnte sagen: Das Unfassbare hat sich in die irdische Offenheit eingelassen und lebt nun in ihr als göttliches Licht.

Wie der brennende Dornbusch Mose angelockt hat (Ex 3,2f), lädt das warme Licht den Betrachter ein, näher zu treten und es zu schauen, zu staunen und sich an ihm zu wärmen. Es macht keine Angst, verbrennt und zerstört nicht. Es sind vielmehr Leben und Freude in ihm, die Frieden verkünden, Nähe und Gegenwart, ja Erfüllung präsentieren. In diesem symbolischen Bild ist vieles über die Menschwerdung Gottes erkennbar. Der Evangelist Johannes fasst es in dem kurzen Satz zusammen: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“ (Joh 1,9). Denn für ihn ist Jesus das göttliche Licht, das Herz und Verstand mit Weisheit erhellt und befähigt, Jesu Wort aufzunehmen und zu befolgen. In seiner Geburt wird lichtvoll das Kommen des Retters gefeiert, der durch seinen Tod unsere Sünden getragen und in seiner Auferstehung den ewigen Tod besiegt hat. Im Bild mögen das lilafarbene Rechteck ganz unten und die diagonalen Elemente, welche es durchbrechen und einen Aufbruch, einen Neuanfang spüren lassen, auf den Tod und die Auferstehung Jesu hinweisen. Gleichzeitig lassen die x-förmigen Linien an eine Krippe im Stall denken, in der sich das göttliche Licht offenbart.

Mit seinen einfachen Elementen spannt das Bild aber nicht nur den Bogen von der Geburt bis zur Auferstehung Jesu, sondern auch vom Anfang der Schöpfung zum Bild ihrer Vollendung. Denn in der Geburt Christi erhält mit dem Menschen die ganze Schöpfung die Grundlage für einen Neuanfang. Die Referenz an den ersten Schöpfungstag, an dem Gott als erstes das Licht schuf, in dem er es von der Finsternis trennte (vgl. Gen 1,1-5), ist offensichtlich in den Worten des Johannes. Ebenso kann von der Geburt aus ein inhaltlicher Licht-Bogen ans Ende der Bibel gespannt werden, wo im Buch der Offenbarung der Autor berichtet, wie er „die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen“ sieht. Sie wird als „die Wohnung Gottes unter den Menschen“ beschrieben (Offb 21,2f), die kein Licht braucht. „Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie und ihre Leuchte ist das Lamm.“ (21,23)

Wo und wie auch immer wir Gottes Licht betrachten, in Jesus hat es ein Gesicht erhalten. Und „aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.“ (Joh 1,16)

Verborgen

Suchend schweift der Blick über eine rote Landschaft mit einem hohen Horizont. Durch viele Schichten führt das Bild von oben nach unten. In der Mitte des blassblauen Himmels fällt ein intensiveres blaues Dreieck auf, das in der Tiefe der Erde mit einem ebenso blauen, liegenden Kreuz korrespondiert. Die Verbindung zwischen den beiden Elementen wird durch eine senkrechte weiße Linie gefördert, die wie eine Ader die verschiedenen Schichten durchquert.

Neben dem hohen Horizont wird durch die muldenförmige Ausbildung der roten Fläche und deren Abdunkelung zum Rand hin Tiefe suggeriert. Damit öffnet das Bild auch Assoziationen an einen fleischlichen Schoß, der allerdings mit einem verhüllenden Tuch bedeckt ist, ähnlich wie in den Kunstwerken von Christo.

Das Tuch von Gielia Degonda ist ganz fein, fast transparent. Es ist eine schöne Umkleidung, ganz einfach, aber fähig, ein Erstaunen zu bewirken. Das geknitterte und gezeichnete Gewebe ist hingehaucht wie kurz vor dem Ausbruch des Lichtes, eines sehr Schönen, vielleicht eines Herrlichen. Es ist wie das Ansummen eines Liedes, wie das Erwachen einer frohen Bewegung. Zart schwebt diese Hülle als ein himmlisches Zelt über der vergoldeten Zeichen-Markierung und taucht die ganze Umgebung in ein mystisches Licht.

Das alles lässt das Kreuz zur Krippe werden, zur Krippe des Höchsten, der sich in die Tiefen der menschlichen Abgründe hinein geschenkt hat wie ein Samenkorn, das aufgehen und reiche Frucht tragen will, wie eine Quelle, welche in uns sprudelt und unser wüstes Leben in fruchtbares Land verwandeln will. Dieses Bild lässt kein Christkind sehen. Es wird lediglich angedeutet als eine im Schoß der Maria verborgene Präsenz und in enger Verbindung mit dem Himmel Stehender, über den gesagt werden wird: „Das ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“ (Mk 9,7)

Weihnachten wird hier nicht romantisch verklärt dargestellt, sondern als Fest der Enthüllung, des Aufgehens, der Erfüllung von Verheißung und Erwartung. Nicht protzend und gleißend – aber schön, atmend, hauchend, musizierend – wenigstens der Möglichkeit nach. Die Hirten sind dazu gerufen worden und die Weisen aus der Heidenferne. Viele Jahre später sollten es bei der Taufe die Menschen von Jerusalem sein, dann die berufenen Apostel und in der Folge alle Menschen. Wir alle sollen hinzukommen zum Gekommenen, der sich in der Menschenart entbirgt.

Das im Titel angesprochene „Verborgen“ ist im Kunstwerk durch und durch Realität. Das Kunstwerk selbst ist verhüllte Chance, es ist der Augenblick, da die Wirklichkeit des Fassens und Aufdeckens nahe und wirklich sein kann. Es ist als Zeichen und Zeugnis der Geburt des Menschensohnes tatsächlich als Weihnachtsbild sehbar. Es ist wie ein glaubendes Erkennen dessen, was in und hinter und unter den Bildern geschieht, ein Ergreifen dessen, der sich hinter dem Schleier schon andeutet und manchmal und manchem sich enthüllt.

Dann kann der ganze rote Bereich zu einer großen Krippe werden, in der das Licht zu leuchten beginnt, aber auch zu einem offenen Buch, bei dem die vielen Striche und Zeichen nicht mehr unverständliche Hieroglyphen bilden, sondern einen Sinn stiften, der über unsere Herzen und unseren Verstand hinweg die ganze Welt zu erhellen vermag.

Vom Himmel hoch

Mit wenigen Kohlestrichen hebt sich der Kinderkopf vom weißlich strukturieren Hintergrund ab. Er scheint aus dem Nichts aufzutauchen. Zeichnerische Ausschweifungen deuten jedoch an, dass er von oben kommt, in Rundungen gesprochen geradezu in die Welt purzelt.

Körperlich scheint der Kopf allein zu sein. Und doch wird er auf der rechten Seite durch die dunkleren Schattierungen und nach unten durch einen gelblicheren Farbkörper und der darüber liegenden Notenlinie gehalten.

Festlich stimmt der Musikschlüssel auf die ersten drei Töne ein. Wer sie nachsummt, wird neben den Tönen schnell auch die dazugehörigen Worte aus dem bekannten Weihnachtslied hören: „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Diese Worte begründen im Lied den Auftritt und die Botschaft des verkündenden Engels, während sie in der vorliegenden Arbeit dem Kind zugeordnet werden können. „Vom Himmel hoch, da komm ich her!“

So schlicht kommt diese bahnbrechende Botschaft an, dass sie übersehen und überhört werden kann. Gott drängt seine Menschwerdung den Menschen nicht auf. Nur wer offen für Gott ist und auf ihn zu hören vermag, bei dem kann die Botschaft ankommen und das Wort Fleisch werden.

Ein anderer Aspekt leuchtet durch die Darstellung diskret auf: Jedes Menschenkind ist ein Geschenk des Himmels, ein Geschenk Gottes an seine Eltern als auch an alle Menschen. In jedem Neugeborenen schenkt Gott sich selbst in neuem Leben und neuer Liebe mitten unter uns Menschen.

Vom Himmel hoch da komm ich her …
damit der Mensch zum Mensch wird mehr und mehr!

Ein Lichtspalt Hoffnung

Inmitten der Dunkelheit strahlt ein Licht auf. Im Zentrum werden ein Neugeborenes und seine Mutter sichtbar, nach unten hin auch viele Schaulustige.

Ein kraftvoller Lichtstrahl hat dieses wunderbare Aufleuchten bewirkt. Von oben nach unten lässt er das gelbe Licht, welches das rote Rechteck umgibt – es mag ein Symbol für die Erde sein – in die Mitte eines dunklen und wirren Geschehens hineinfließen. Das Durcheinander mutet nach Zerstörung und Trümmern an, eine liegende Person ist zu sehen, ein Verletzter vielleicht. Ein schwarzes Kreuz ist neben der gelben Frau und ihrem Kind aufgerichtet und dem Geschehen zugewandt. Mit seinen Armen strahlt es Erbarmen aus, Zuwendung und Trost. Es identifiziert den Neugeborenen als Gottes Sohn, der sein Leben für uns Menschen hingegeben hat. Es bringt das Heil zum Ausdruck, das Jesus in und mit seinem Leben bewirkt hat.

So ist Jesus im Gegensatz zum schwarzen Kreuz als hellster Punkt im Bild weiß dargestellt. Wie das Innere einer Flamme erleuchtet er sein Umfeld mit warmem Licht. In die chaotisch-laute Umgebung bringt er ordnende Ruhe hinein, in der Bedrängnis werden er und seine Mutter zu einem Freiraum. Die Menschen strömen zu ihm und wollen ihn sehen. Ihn, der sie aus dem „Schatten des Todes“ herausholt, Ihn, der sie mit seinem Licht erfüllt und dadurch ihre Persönlichkeit zum Vorschein bringt und aufleuchten lässt, wie es die Künstlerin durch die unterschiedlichen Farben der Gestalten andeutet (Detailbild).

Gott wird in der Dunkelheit und in den Wirren unserer Welt Mensch, damit alle Menschen von seinem Licht erleuchtet und durchdrungen zu ihrem wahren Menschsein finden. In dem Sinne kann das rote Rechteck auch als Symbol für das menschliche Herz gesehen werden. Denn Gottes Gnade durchdringt wie ein Lichtstrahl alle zerstrittenen und leidenden Herzen, er dringt tief in ihre blutende Mitte, um zu heilen und zu erlösen und letztlich zum erfüllten Leben zu führen.

Ohne die vielfältigen Geschehnisse unserer Zeit zu verdrängen oder zu verharmlosen, hat die Künstlerin uns ein Hoffnungsbild gemalt. Sie bringt die Gewissheit des Paulus malerisch zum Ausdruck: Nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen, die er uns in Jesus Christus schenkt. Weder „Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, noch Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert“. „Wenn Gott für uns ist, wer ist dann gegen uns?“ (vgl. Röm 8,31ff)

Der Lichterglanz von Weihnachten möchte die Kraft des göttlichen Lichtes spüren lassen. Er möchte ermutigen, dem neuen Leben zu vertrauen, das als Licht in die Krippe unserer Herzen gelegt wurde. Er möchte ermutigen, dem Licht zu folgen, welches das Dunkel aufzubrechen und am Ende zu besiegen vermag. Der Lichtspalt Hoffnung ist der Anfang – alles in seinem herrlichen Licht befreit zu sehen, und die Vollendung, da er die Schatten des Todes überwindet.

ein Spalt
in der Wand des unendlichen Alls
ein Lichtspalt
hinein in die finstern Verliese der Welt

Hoffnungsspalt
oder Illusion

geträumtes Erwachen
oder erwachtes Leben

schnelles Aufflammen
ein kurzer Augenblick
zur Zeit des Kaisers Augustus

nein heute

aufstrahlendes Licht aus der Höhe
um allen zu leuchten
die in Finsternis sitzen
und im Schatten des Todes

ein Hoffnungsstrahl

(Peter Stengele)

Die frohe Botschaft weitergeben

Mächtig erhebt sich die vergraute Eichenstele in die Höhe. In der oberen Hälfte sind drei Reihen Porzellanisolatoren von früheren Telegraphenmasten angebracht. Zusammen ergeben sie eine Art Baumkrone oder Dach. Eine leicht geschwungene Form verleiht der Skulptur zudem eine dynamische Eleganz.

Unterhalb der Isolatorenreihen, etwa in der Mitte der Eichenstele, ist eine quadratische Öffnung ausgenommen. Ihre Seiten sind vergoldet, auf ihrer Grundfläche liegt klein und unscheinbar eine kleine Menschengestalt, ein Kind, ein Neugeborenes. Sein Körper ist so in Leinen eingewickelt, dass er wie ein Laib Brot aussieht, sein Kopf ist dem Betrachter leicht zugewandt.

Als Lichtgestalt tritt das weiße Kind im goldenen Sch(r)ein und der dunklen Umgebung in Erscheinung. Sein Körper korrespondiert mit den weißen Porzellanelementen, die durch ihre vereinfachte Gestalt selbst Lichtwesen andeuten, eine symbolische Engelschar, die diesen Ort umgibt.

Die massive Holzstele ist zu einem irdischen Haus für den Gottessohn geworden. Sein „Brotleib“ erinnert seinen Geburtsort Bethlehem – der übersetzt „Haus des Brotes“ heißt. Und er erinnert auch, dass sich in Jesus Gott selbst den Menschen schenkt und ihnen sein Leib in der Gestalt des geteilten Brotes zum Essen gibt (vgl. 1Kor 11,24).

„Die Mitte des Christentums und seiner Botschaft ist die wirkliche Selbstmitteilung Gottes an die Kreatur.” (Karl Rahner) “Die große Eichenstele mit eingefügten Teilen alter Telegraphenmasten lässt das Übermaß dieser Botschaft auf die unscheinbare Gestalt des Kindes treffen. In ihm, dem Kind von Bethlehem, findet und verehrt der Glaube das unfassbare Geheimnis der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus.“ (Peter Klein)

Die Elemente der früheren Telegraphenmasten machen deutlich, dass die Botschaft von der Geburt des Gottessohnes in alle Welt hinausgetragen werden soll. „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“ (Lk 2,11-12)

Im Bild ist der „Telegraphenmast“ der Übermittler dieser Frohen Botschaft. Aber hat der aufgerichtete Eichenbalken nicht auch eine entfernte Ähnlichkeit mit einer menschlichen Gestalt? Würde die Skulptur dann nicht auch andeuten, dass Gott seinen Sohn in uns hineingelegt hat und wir ihn als Christusträger zu allen Menschen bringen sollen, zu denen wir gehen und denen wir begegnen? Und ihnen persönlich von unserem Glauben Zeugnis geben, dass Gott sich uns mitgeteilt hat und in uns lebt? – Durch die Geburt Jesu hat die Beziehung zwischen Gott und Mensch eine neue Qualität erhalten. Diese soll sich auch unter uns Menschen auswirken.

Im Herzen gebor(g)en

Auf einer gerundeten roten Fläche liegt ein Kind. Oder besser gesagt es liegt in einer von Leben pulsierenden Herzform. Wie eine vulkanische Eruption aus der Tiefe der Erde ergießt sich das warme Rot zu dieser Herzform. Die Wärme dieses Herzens wird gesteigert durch eine kalte Umgebung, die genauso an eine Winterlandschaft zu erinnern vermag wie an Tageszeitungen, in denen Neuigkeiten verbreitet werden. Denn auf den Papierfragmenten ist in blauen Großbuchstaben wiederholt JESUS zu lesen und in schwarzen Zahlen 24.12. Alle Welt soll von seiner Geburt hören, alle sollen seinen Namen kennenlernen.

Der Neugeborene ist diagonal in dieses Herz gebettet. Seine Arme und Beine sind angewinkelt, sein Gesicht ist halb verdeckt durch ein Sternfragment mit einem Schweif, das zugleich eine Krone anzudeuten vermag. Links neben ihm liegen weitere leuchtende Objekt, die möglicherweise Geschenke darstellen.

Das Kind wirkt verloren in diesem Herz. Es sind keine weiteren Menschen zu sehen, nicht einmal Maria oder Josef. Allerdings umgibt es auf der rechten Seite ein grau-weißes Band, das sich an drei Stellen zu Gesichtern ausformt. Zum einen auf der Höhe der Hand mit einer vertikalen und einer horizontalen Andeutung, zum anderen zu seinen Füßen in der Ausformung zu einem schwarzen Gesicht mit Knollennase. Dieses wirbelnde Band hat etwas Festliches. Es könnte die drei Weisen aus dem Osten darstellen, die zum Kind kamen, um ihm zu huldigen. Andererseits zieht sich diese grau-weiße Linie wie eine tragische Spur der Zerrissenheit durch das Herz und erinnert an all jene, die dem Neugeborenen nach dem Leben trachteten. Ein schwarzes „Loch“ links neben dem Kind verstärkt diesen unheilvollen Eindruck durch seine Verbindung mit den dunklen Stellen im Band.

Damit verbindet das ambivalente Band die beiden Bereiche des Hintergrundes, auf denen stilisierte braune Sterne bald zu hellen, bald zu dunklen Kreuzen werden. Unmissverständlich weist auch der weiße Judenstern unterhalb des Kindes auf seine Abstammung hin. Wie die Juden im Zweiten Weltkrieg ist dieses Kind gekennzeichnet und – so wie sein Name und das Datum ins Bild eingebracht worden sind – auch abgestempelt: Das ist er, das muss er sein, der neugeborene König der Juden, der Menschensohn, der Sohn Gottes, den der Vater als Kind zu uns Menschen geschickt hat.

Allein, hilflos, ausgesetzt, wie unerwünscht liegt das Kind inmitten dieser eisigen Landschaft. Doch das göttliche Kind ist uns ans Herz gelegt. Es ist uns ins Herz gelegt, damit wir ihm Geborgenheit schenken, es schützen und für es sorgen. Wir sollen Jesus in unser Herz aufnehmen, er will in uns und durch uns zur Welt kommen und Licht in der Welt sein.

Die Schriftzeichen wirken wie Nachrichtenfetzen: Heute ist euch der Heiland geboren. Im Herzen sollt ihr ihn tragen und verehren. Im Herzen sollt ihr ihn wärmen und mit Leben erfüllen, so dass er in euch groß werden kann und ihr durch ihn immer mehr zu Christenmenschen werdet.