Tanzender Stern

Von links oben fliegt dieser Stern in den Bildraum. Er zieht einen geflochtenen Schweif hinter sich her und scheint sich in seiner jetzigen Position aus seiner hellen Mitte gerade voll zu entfalten.

Dies einerseits durch das hellgelbe Licht, das sich über sieben Extremitäten strahlenförmig in alle Richtungen ausbreitet und darüber hinaus die dunkelblaue Nacht verklärt und in warmes Grün verwandelt. Andererseits sprüht der Stern durch die geschwungenen Linien und die feurig-warmen Flächen vor Energie. Sie bedecken ihn wie ein luftiges Kleid und tragen viel zu seiner tanzenden Erscheinung bei.

Fast meint man eine menschenähnliche Fantasiegestalt mit kurzen Beinen und Armen zu sehen, die zudem noch Flügel hat. Wie ein Quirl zwirbelt der Stern durch die Nacht. Doch in ihm ruht das Licht. Kreisrund und ohne wirkliche Begrenzung offenbart es sich als göttliche Gegenwart und Quelle. Der Stern – Lichtträger, Freudenbote, Lebensbringer – von Gott zu uns Menschen.

Prof. Dr. Dr. Ingrid Riedel erklärte in ihrer Ansprache anlässlich der Vernissage zur Ausstellung „LEBENsFARBEN“ (Kloster Hegne, 30.11.2014), dass die diagonale „dynamische Achse eine Bewegung vom Symbolraum des Väterlichen – links oben – zu dem des Mütterlichen hin – unten, mehr rechts – darstellen kann, wobei bei religiösen Themen diese Achse auch aus der Richtung der Transzendenz – der des väterlichen Gottes – her kommen kann. Von dort her käme also der tanzende Stern mit seinem wundersam geflochtenen Schweif aus Gelb, zartem Rot und Grün, eingeflogen in die Zone des Nahen, Konkreten, des Irdischen, des Hier und Jetzt, …“

Der Betrachter ist somit der Empfänger des Lichts, das der Stern in sich trägt. Er will es uns geben, damit wir wie er von innen her erleuchtet werden und selbst lebendige Lichter in den Dunkelheiten dieser Zeit werden. Frohe Lichtträger, vor Freude tanzende Lichtträger, voller Leben und voll ansteckender Energie.

So wie der Stern von Bethlehem. Die Weisen aus dem Osten haben ihn als besonderes Zeichen erkannt, sind ihm gefolgt und hatten dadurch das Glück, das „Licht der Welt“ (Joh 8,12) von Angesicht zu Angesicht schauen zu dürfen und von ihm durchdrungen und erfüllt (vgl. Mt 2,10) selbst zu einem Licht in seiner Welt zu werden.

Wenn Friedrich Nietzsche Zarathustra zu seinem Volk sagen ließ: „Ich sage euch: Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können, ..” (Also sprach Zarathustra), dann um unsere Sehnsucht zu ermutigen, über das Sichtbare dieser Welt hinauszuschauen und von dort her das Heil zu erwarten.

Die Geburt Christi

Der Blick geht durch die Dunkelheit hindurch ins Licht. Denn es ist das Licht, das unseren Blick fängt und mit ihm den ganzen Menschen anzieht, der im Dunkeln steht. Es zieht uns Betrachter in den erleuchteten Raum, in dem die Umrisse einer roten Krone sichtbar sind. Sie mutet wie eine Krippe an, eine Krippe, in der kein Menschenkind liegt, sondern vielmehr eine Kerze brennt.

Die Kerze in der Krone mag klein sein, aber ihr Licht ist voller Leben. Es erfüllt den Raum mit einer Lichtfülle und Wärme, die jene einer Kerze übersteigen. Mit der Krone wird dem Licht Macht und Herrschaft zugesprochen. Dabei deuten die Spuren der Symbolfarbe Rot an, dass es um die Wirkkraft der Liebe und des Blutes geht, die gerade auch im Hinblick auf die Dornenkrönung und den Kreuzigungstod Jesu in der Auseinandersetzung mit Gewalt den Weg des Friedens gehen.

In der näheren Betrachtung lässt die helle Kerzenform in der Krone noch eine weitere Sichtweise zu. Die Lichtgestalt könnte auch einen menschlichen Oberkörper mit Kopf und Schultern wiedergeben. Klein erscheint dieser Mensch in der übergroßen Krone. Doch Jesus ist das Licht und bringt es uns durch sein Wort und sein Leben. Von unten scheint er in diese ihm zugeteilte Aufgabe hineinzuwachsen.

Den Beginn von etwas Neuem deutet auch ein anderes für eine Geburtsdarstellung ungewöhnliches Element an: die Fahne. Denn was wie ein hell erleuchtetes Fenster oder ein Durchgang aussieht, ist vielmehr als Fahne mit linksanliegendem Mast gestaltet. Krone mit der innenliegenden Lichtquelle figurieren als Zeichen. Wieso eine Fahne? Fahnen sind Feldzeichen, welche die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder Körperschaft markieren und diese Information visuell über eine größere Distanz zu übertragen vermögen, so auf dem Meer. Auch bei Eroberungen werden Feldzeichen gesetzt, um die neue Zugehörigkeit klar sichtbar zu machen, so geschehen bei der ersten Mondlandung 1969 durch die Amerikaner. Und genauso wie die Fahnen im Krieg immer den Standort des Befehlenden markierten, so wehen sie in unserer Zeit vor den Regierungsgebäuden von Städten, Ländern und Organisationen. Im Bild schwingt von allem etwas mit: Gott kommt zu den Menschen, die Erde gehört künftig zu seinem Königreich. Alle sollen sehen, dass seine Herrschaft nun beginnt und bei dem liegt, der hier geboren wurde. Auf sein Wort sollen alle hören.

Und obwohl das goldgelbe Rechteck als Fahne gestaltet ist, lädt das lichte Fenster zum Eintreten ein. Denn in der Fahne lässt sich zudem eine Stalltüre sehen, die sicher einen Einblick, aber ebenso ein Eintreten ermöglicht, um den, der hier angekündigt wird, auch in Wirklichkeit zu sehen.

Das Bild lädt den Betrachter somit ein, aus der Dunkelheit herauszutreten, sich ans Licht zu trauen und dort, im Zeigen seines eigenen Gesichts, das göttliche Antlitz zu sehen und zu schauen. Das Bild lädt zum Verweilen ein vor dem Wunder der Geburt Christi und seiner schlichten Herrlichkeit. Seine Herrschaft wird nicht mit demonstrativer Macht offenbart, sondern mit menschlicher Natürlichkeit und Herzlichkeit. Ganz so wie es der Prophet Jesaja angekündigt hat (9,1.5-6): „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Seine Herrschaft ist groß und der Friede hat kein Ende. Auf dem Thron Davids herrscht er über sein Reich; er festigt und stützt es durch Recht und Gerechtigkeit, jetzt und für alle Zeiten.“

Heilige Nacht

Punkte, wo man hinschaut. In dichten Reihen bedecken sie das Bild und legen eine bunte Schicht über den Bildgrund. Dennoch ist klar eine dunkelblaue Dreieckform zu erkennen, die von den unteren beiden Ecken bis zur Mitte des oberen Bildrandes aufsteigt. Vor dem helleren Hintergrund gleicht sie einer Pyramide oder einem Zelt, das in sich ein helles, längliches Element birgt.

Vor dem dunklen Hintergrund werden die Farbpunkte intensiver, leuchtender, und einzelne strahlen wie Sterne. Doch nur die weißen Punkte sind durchgehend gemalt. Die pinkfarbenen Punkte sind vor allem im Dreieck anzutreffen, überragen es aber wolkengleich im unteren und im oberen Bereich. Die gelben Farbtupfer sind bis auf die linke untere Ecke des Dreiecks überall anzutreffen. Zum einen umgeben sie das Dreieck wie eine Aura, zum anderen betont ein gelber Schatten das helle Element und lassen es als einen eigenständigen Körper wahrnehmen. Bei längerem Hinschauen meint man Füße und einen Kopf zu erkennen, eine hoch aufragende, menschliche Person zu sehen. In ihr scheinen die weißen Punkte Materie und Gestalt anzunehmen und eine Lichtgestalt zu formen.

Aber ist das möglich? Es sind doch nur das dunkelblaue Dreieck, die innenliegende weiße Form und die Farbtupfer in Weiß, Pink, Gelb und Blau zu sehen. – Doch all diese Elemente sind voller Symbolik! Kraft der ihnen innewohnenden Verbindungen vermögen sie ein weihnachtliches Geschehen anzusprechen. So haben die vielen Farbtupfer eine Ähnlichkeit mit einem Regenschauer und vermögen das Lied zu erinnern, in dem das Volk singt:

„Tauet, Himmel, den Gerechten!
Wolken! regnet ihn herab!
Rief sein Volk in bangen Nächten
Aus der Sünde finsterm Grab.
Und Er kam. – Mit Ihm kam Segen,
Wie ein milder Frühlingsregen
Wie des Himmels sanfter Tau
Rings erquicket Feld und Au.“
(nach Christoph von Schmid, 1811)

Gleichzeitig lassen die vielen gelben Farbtupfer an ein Lichtermeer denken, wie es an einem Christbaum oder auch in der Osternacht zu beobachten ist. In ihm vermeint man auch die göttliche Gnade und Herrlichkeit aufleuchten zu sehen, die sich auf die Erde niedersenkt und sich insbesondere auf bzw. im dunkelblauen Dreieck manifestiert, dem Symbol für Maria. Es verweist einerseits mit der Zeltform auf die temporäre und bewegliche Behausung, die jede Mutter ihrem Kind gibt, es beschützend und behütend. Andererseits mag sie die Glaubenshaltung Mariens zum Ausdruck bringen. Fest auf dem Boden der Erde stehend, ist sie doch mit ihrem ganzen Wesen auf den Himmel und auf Gott ausgerichtet. Dies so stark, dass sich ihr äußeres Erscheinen mit dem Symbol für den dreieinigen Gott deckt.

So wird deutlich, dass Gottes Sohn die göttliche Lebensgemeinschaft nie verlassen hat, um durch Maria Mensch zu werden. In Maria nimmt Gott Menschengestalt an, vor dem Hintergrund ihres Glaubens und ihrer Liebe hebt er sich als Licht vom unerschaffenen Lichte ab. Vor Maria oder in ihr vermag die Lichtgestalt damit einen Durchgang zum ewigen Licht zu bilden.

In einer ganz anderen Sichtweise kann das dunkelblaue Dreieck auch als eine sich in der Tiefe des Bildes verlierende Straße gesehen werden. Einsam steht dann die hochaufragende Lichtgestalt auf dem Weg. Als Licht in der Dunkelheit wie als Weg weist die Lichtgestalt auf Jesus hin. Er mag auf uns zuzugehen, aber genauso gut könnte er eine Einladung darstellen, ihm zu folgen. Vielleicht schwingt in der Darstellung aber auch beides mit und suggerieren die vielen Lichtpunkte, dass Begegnung und Nachfolge eins sind und zusammen mit unzähligen Menschen geschehen. Hin zu Mitmenschen, die auf unser Kommen und unsere Zuwendung warten, und durch sie zu Gott selber.

Durch die bunten Farbtupfer breitet sich Wärme über das Bild aus. Auch Freude schwingt mit. Außerdem ist eine neue Gemeinschaft zu spüren. Symbolisch zum Ausdruck gebracht durch die Farbtupfer untereinander, andererseits durch den Bezug zu den grundlegenden Farbelementen. Letztlich wird damit die neue Gemeinschaft unter den Menschen angesprochen, die durch Maria und die Geburt ihres Sohnes eine neue Basis erhielt – und weihnachtliche Dimensionen.

Der ganze Bild-Zyklus wird im Buch “CREDO” von Herausgeber Norbert Lammert präsentiert. Das Buch beinhaltet einen einführenden Text vom Herausgeber, eine Auswahl an Credotexten aus den frühen Jahrhunderten bis heute und die Abbildung des 19-teiligen Credo-Zyklus.

Hier können Sie den ganzen Zyklus auf der Website des Künstlers anschauen.

1 freier Mensch

Das Bild ist ein Abbild von einer dreidimensionalen Arbeit. Dies wird insbesondere durch die mittige Unterschrift auf der rechten Seite und die breiten seitlichen Ränder (in der Wiedergabe im Internet schlecht sichtbar) deutlich. Als Betrachter blicken wir also durch das im Offsetdruck multiplizierte Abbild auf das Original, das aus einem Blatt Papier, einem Tannenzweig, etwas Farbe und einem gelben Holzrahmen besteht.

Als Papier wurde die Rückseite eines Kalenderblattes verwendet. Unten sind gut die Perforierung und die halbrunde Ausbuchtung für die Aufhängung zu sehen. Damit erhält die Arbeit einen ersten Bezug zur Zeit, auch wenn die konkrete Zeitangabe verborgen bleibt. Damit beweist der Künstler zum ersten Mal seine Freiheit im Umgang mit den verwendeten Materialien. Er verwendet ein abgelaufenes Kalenderblatt, das er mit einer zweifachen Drehung einer neuen Aufgabe zuführt und wie durch eine Zeitenwende hindurch einem unbestimmten, offenen Zeitrahmen zuführt.

Ein Tannenzweig dominiert die Mitte des Blattes. Der feingliedrige Zweig erscheint als Strichmännchen mit gespreizten Beinen, einer gekrümmten Wirbelsäule und erhobenen Armen. Der Kopf ist am wenigsten ausgebildet. Eine Kopfform ergibt sich aber durch die Verdichtung von vier Verästelungen über der zentralen Vertikalen. So kann ein froher und tanzender Mensch darin gesehen werden, ein Mensch, der sich frei bewegt. Im Zusammenhang mit dem grünen Tannenzweig können aber auch weihnachtliche Gedanken aufsteigen, so dass im Tannenzweig mehr ein liegendes Kleinkind wahrgenommen wird. Mit dem Tannenzweig schafft der Künstler einen zweiten Bezug zur Zeit. In ihm wird das Wachsen und Erstarken genauso wie die Vergänglichkeit sichtbar. Zum einen im noch kräftigen Grün, zum anderen in den heruntergefallenen Nadeln, sie sich im Rahmen hinter dem Glas ansammeln. Auch hier schuf er aus dem Tannenzweig etwas völlig anderes.

Über dem Zweig malte der Künstler in dunklem Rot zudem „1 freier“ und darunter „mensch“, zusammen also „1 freier mensch“. Dies kann als Deutung des Tannenzweiges gelesen werden, aber auch im Bezug zum Künstler, der den Materialien in kreativer Freiheit eine neue Sinngebung gab. Seine künstlerische Unabhängigkeit bringt er auch in der Schrift zum Ausdruck. So schreibt er die Eins als Ziffer, schreibt „Mensch“ klein, unterstreicht aber dieses Wort. Durch die Platzierung von „freier“ oben im Bild erhält dieses Wort zudem etwas Geistiges, Ungebundenes, während das unterstrichene Wort „mensch“ unten im Bild geerdeter wirkt. Die Zahl „1“ steht wiederum mit dem singulären Tannenzweig in Beziehung und erhöht im Gegensatz zur Beliebigkeit des Wortes „ein“ die Einzigartigkeit dieses „freien Menschen“.

Allerdings, wer könnte mit einem freien Menschen gemeint sein? Ist es wie bereits angesprochen der Künstler, der losgelöst von allen Konventionen frei gestaltet? Oder bezieht sich die Bezeichnung mehr auf Jesus? Er kann wegen dem Tannenzweig im Zusammenhang mit seiner Geburt gesehen werden, als Gottes Sohn, der den Menschen den Frieden brachte (vgl. Lk 2,14), im Bezug zur Schrift ebenso als einziger wirklich freier Mensch, der unbelastet von jeglicher Schuld handelte (vgl. Hebr 4,15). Diesbezüglich könnte auch der feine Rahmen mit seinem leuchtenden Gelb als unauffälliger Licht- oder Heiligenschein gedeutet werden.

Die Arbeit von Felix Dröse lässt noch einen weiteren Zugang zu. Die plakative Aufmachung kann auch als Spiegelbild und Vision von uns gesehen werden. „ Zur Freiheit hat uns Christus befreit“, schreibt Paulus an die Gläubigen in Galatien (Gal 5,1). Als auf Christus Getaufte sollen wir als freie Menschen handeln und neue Wege gehen. Martin Luther (zu dessen 500. Jahrestages des Thesenanschlages die Wanderausstellung „Zeitgenössische Kunst zur Bibel“ lanciert wurde und dieses Blatt zur Ausstellung eingereicht wurde) war einer von vielen Persönlichkeiten, die im Hören auf den Heiligen Geist und die innere Stimme es wagten, kontrovers zu denken und zu handeln, und dadurch zur Erneuerung von Kirche und Gesellschaft beizutragen. Heute stehen wir in ihrer Nachfolge.

Das Buch zur Ausstellung: “Zeitgenössische Kunst zur Bibel”, Johannes Beer (Hrsg.), Kerber Verlag Bielefeld 2012, ISBN 978-3-86678-720-9, 22,50 × 22,50 cm, Seiten: 204 Seiten, 122 farbige und 6 s/w Abbildungen, Hardcover gebunden, Euro 29,95

Rose und Mensch

Ein rosarotes Feld mit schönen Schattierungen dominiert das Bild. Erst auf den zweiten Blick mag in den Formen und Schattierungen eine Rosenblüte sichtbar werden. Im Vergleich zum Stern neben ihr und den feineren Strukturen unter ihr schwebt sie – es sind kein Stiel und keine Blätter zu sehen – geradezu übergroß im Bildraum.

Dieser ist dem Stern nach und der Pyramide unter ihm im Außenraum anzusiedeln, im Bereich zwischen Himmel und Erde. Der gelbe Boden suggeriert im Zusammenhang mit der Pyramide zudem eine Wüste, die Neigung auf der rechten Seite die Wölbung der Erde.

Da, mitten drin, umgeben von lilafarbenen Spurenelementen, in der roten Farbe intensiver, aber dennoch mit der Rose darüber korrespondierend, eine liegende menschliche Gestalt. Ihre Größe ist schwer auszumachen. Im Vergleich zur Rose über ihm erscheint der Mensch klein und irgendwie auch einsam. In seiner roten Farbe erweckt er den Eindruck voller Leben, voller Liebe zu sein. Die Farbspuren um seinen Kopf lassen aber auch seine Verletzlichkeit spüren, vielleicht auch schon die seelische und körperliche Gewalt, die er später einmal erleiden muss.

Wer den lila Farbspuren nachgeht, wird um das Menschenkind herum zwei feine, gerade Linien entdecken. Erstaunlich: dieser Bildbereich scheint aufgeklebt, eine Collage, ein Ausschnitt aus einem anderen Bild zu sein. Ob die Künstlerin dem Betrachter damit sagen will, dass dieses Menschenkind seinen Ursprung an einem anderen Ort hat? Der Gedanke scheint nicht abwegig, denn über eine lila Farbspur im Stern ist direkt über dem Kind in der linken oberen Ecke des Bildes ein ähnliches Bildelement angesiedelt, allerdings mit einer organischeren Begrenzung. Es ist, als wäre der Himmel hier aufgerissen und der Ausschnitt darunter ganz klar dem Himmel zugehörig. Dadurch kann dem Kind eine göttliche Abstammung zugeschrieben werden. Der da allein in der weiten Wüste daliegt, nur von mysteriösen lila Farbspuren umgeben, muss Gottes Sohn sein. Der Stern über der Pyramide kündigt an: Gott selbst schenkt der Welt seinen Sohn. „Unweit“ der Pyramiden wurde er im Nahen Osten geboren.

Doch wieso mag die Künstlerin die Rose so groß gemalt haben? Worauf will sie mit ihr wohl hinweisen? Ob sie an das Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen“ aus dem 16. Jahrhundert erinnern will, in dem Jesus als die Rose besungen wird, als das „Blümlein“, das aus dem Rosenstock Maria hervorging und als dessen Wurzel Jesse gesehen wird? Im Vergleich mit dem Bildmotiv „Wurzel Jesse“ (z.B. Wikipedia) wird deutlich, dass die Künstlerin durchaus Bildelemente verwendet haben mag. Die liegende Gestalt könnte auch Jesse darstellen, über dem (und durch die im Bild unsichtbare Maria) die wunderbare Rosenblüte Jesu aufgeht. Sie ist größer als der Stern, der ihn angekündigt hat. Sie wächst von der Erde her dem Himmel zu, Gott und die Menschen wunderbar und neu miteinander verbindend.

Wenn aber in der Rose eine symbolische Darstellung von Jesus betrachtet wird, erhält auch die liegende Gestalt eine neue Bedeutung. Neben dem Jesuskind oder seinem Stammvater Jesse kann in ihr auch ganz einfach der Mensch in seiner Erbärmlichkeit und Hilfsbedürftigkeit gesehen werden. Was wir im Bild in einer kosmischen Schau zusammensehen, sieht der liegende (und damit aufschauende) Mensch sich über ihm entfalten. Im Symbol der Rose sehen wir, wie sich Gott durch Jesus in Liebe dem Menschen zuwendet, ihm machtvollen und doch sanften Beistand schenkt.

Licht im Leiden

Welches Wort Ihnen wohl als erstes „ins Auge gesprungen“ ist? Das in breiten, schweren Buchstaben geschriebene „Leid“ oder das in dünnen, leichten Buchstaben geschriebene „Light“?

Spannungsvoll stehen die beiden Wörter zueinander. Je mehr man die Augen zusammenkneift, umso mehr verschwinden die blutroten Buchstaben im Hintergrund und treten die hellen, klaren Buchstaben hervor. Doch übermächtig steht das „Leid“ hinter dem „Light“ und scheint sogar an dessen sieghaft strahlendem Gelb zu partizipieren.

Leid und Leiden sind nichts Schönes oder Angenehmes. Im Gegenteil, sie belasten Leib und Seele. Das Leid des anderen kann mich berühren und zu Mitleid bewegen. Wer etwas falsch gemacht hat, so dass es ihn belastet und er sich entschuldigen möchte, sagt oft: Es tut mir leid. Das Leid trifft einzelne wie ganze Völker. Es gehört zentral zu uns Menschen, wenn auch zu den düsteren Seiten unseres Wesens und unserer Geschichte. Verursachen wir doch oft bewusst oder unbewusst auch anderen Lebewesen schweres Leid. Der dunkle, blutrot wabernde Hintergrund mit den dazugehörigen, leicht helleren Buchstaben drückt dies aus.

Wie ein Zeichen von Woanders her hat der Künstler das aus der „Fremde“ stammende Wort „Light“ symmetrisch und auf die gleiche Grundlinie wie das „Leid“ gelegt. Kennen wir das nicht? „Wie durch ein Wunder … blieb er unversehrt … überstand sie die schwere Krankheit … oder bekamen wir Recht in der Verhandlung …“

Im Prolog seines Evangeliums schreibt Johannes von diesem Wunder. Nicht erst moderne Künstler greifen zu abstrakten Begriffen, um das unvorstellbar Andere darzustellen. Den, der in unsere Realität kam, benennt er abstrakt mit „Wort“ und mit „Licht“. Das wahre „Licht“ kam in die Welt und erleuchtet jeden Menschen – was sicherlich nicht nur erkenntnismäßig zu verstehen ist – aber die Welt hat ihn nicht erkannt, nicht verstanden, ihm nicht vertraut und sich ihm nicht anvertraut.

All das führt dazu, dass das englische Light durch die Überlagerung der beiden Wörter und ihre akustische Nähe jedem Leid ein stiller Beistand und eine Ermutigung zu sein vermag, auch in der dunkelsten Erfahrung das Licht zu suchen. Die Anordnung deutet darauf hin, dass dieser Lichtschimmer wohl von außen angeregt werden kann – also durch uns, unsere Worte und Gesten –, letztlich aber im Leidtragenden selbst aufleuchten und Gestalt annehmen muss. Doch wenn dieser Spalt Licht im Herzen des Leidenden angekommen ist, dann kann es eine Heilkraft entfalten, die alles zu verändern vermag. Weit über den starren und begrenzenden Rahmen hinaus.

Gottesmutter – Menschensohn

Abstrakt und mit einfachen Formen und Farben erzählt dieses Bild dem interessierten Betrachter seine Geschichte. Eine Geschichte, die von der Spannung der beiden Bildhälften und dem Geschehen in seiner Mitte lebt. Die blaue Farbe steht im Gegensatz zum feurigen Rot darüber. Und beide scheinen sich seitlich und nach oben oder unten endlos auszubreiten. Doch in der Bildsituation begegnen sie sich als stille Förderer und Zeugen einer einzigartigen Begegnung, die sich zwischen der tiefen weißen Schale und dem goldenen Quadrat ereignet. Von der waagrechten weißen Trennlinie unsichtbar gehalten scheint es in der bewegten Offenheit des Halbkreises zu schweben und gleichzeitig in seiner Mitte zu ruhen: Von oben geschenkt, von unten empfangen, von beiden gehalten.

Doch von wem oder was ist hier die Rede? Was haben die Symbole und Farben zu bedeuten? Die horizontale Zweiteilung weist auf Himmel und Erde hin, das satte Rot auf die leidenschaftliche Liebe Gottes, die sich im Lichtstrahl kraft des Geistes offenbart und nach unten in die weiße Schale ergießt. Im tiefen Blau kommt unsere Erde als blauer Planet zur Sprache. Die Farbe kann aber genauso als Symbol für das Wasser als schöpferischen Ursprung allen Lebens gedeutet werden wie für den unergründlichen Glauben. In dieser Schöpfung nimmt der nach oben offene Halbkreis eine Sonderstellung ein. Durch die weiße Farbe wird Reinheit angedeutet. An der Oberfläche getragen und sich ausbreitend, kommt immerwährende Offenheit und Bereitschaft zum Ausdruck, das Göttliche in sich zu empfangen, aufzunehmen und zu bewahren.

So wird die vorbildliche Haltung Mariens dargestellt, ihr JA auf Gottes An-Spruch in die Zeit, dass sein ewiges WORT in ihr Menschengestalt annehmen solle. Für IHN steht das goldene Quadrat in der optischen Mitte des Bildes. Gold steht dabei für das Göttliche, Unvergängliche, Höchste, die Quadratform für seine irdische Gestalt. Ganz Gott und ganz Mensch vereint er Himmel und Erde, bringt er allen Orientierung und Frieden, die ihn wie Maria in sich aufnehmen und ihm Wohnung geben. In ihnen erfüllt sich, was Jesus zu Beginn der Bergpredigt verkünden sollte: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen.“ (Mt 5,3.8)

Einfach
und voll Spannung
unten und oben
nicht einerlei.
Die Erde
Werk des Schöpfers
unten elementar ausgestreckt.
Feuer der Liebe
Fülle des Geistes von oben
darin verborgen-offenbar
ein Strahl von Licht
aus der Höhe nach unten.
Die Schale,
offen und horizont-weit
eingesenkt in die Welt
erhoben darüber hinaus für das Licht
reine, lichte Offenheit
„immerwährende Empfängnis“.
Das Ewige WORT
empfangen
von Maria, der Jungfrau:
Ja.
Maria, Gabe an die Welt
Zuwendung Gottes
An-spruch in die Zeit
reine Empfängnis
Geschenk zur Freiheit
WORT von oben:
„Gott-mit-uns“
Ant-wort von unten:
„Mir geschehe nach deinem Wort“
für die Welt.

(Lyrik von P. Meinulf Blechschmidt in Sehen – Glauben – Leben. Gedanken zum Glaubensbekenntnis, Beuroner Kunstverlag, Beuron 2007, S. 19, ISBN 978-3-87071-166-5)

Das Zeichen

Mit unregelmäßigen Konturen steht der Holzbalken da. Aufgerichtet schwingt noch etwas vom Baumstamm der Eiche mit, die einst häufig Treffpunkt für sakrale Rituale war. Hier ist eine fast leere Stele mit wenigen geheimnisvollen Zeichen.

Was sie wohl bedeuten? Worauf wollen sie hinweisen? Das große Zeichen befindet sich oben. Es ist ein aus mehreren Formen zusammengesetztes Bild, das sowohl eine Mondform beinhaltet als auch etwas Sternenartiges. Farblich weisen sie allerdings auf etwas anderes hin, das sich zu Beginn nicht so einfach erschließt. Aber sieht es nicht so aus, als würde sich diese Komposition den unteren beiden Symbolen zuwenden?

Formal sehr ähnlich, unterscheiden sie sich durch ihre Farbgebung: oben blau, unten rot (Detailbild). Der Künstler hat lasierende Farben gewählt, die dennoch voller Leben sind und den Blick auf sich ziehen. Da jeglicher Anhaltspunkt für eine feste Zuordnung fehlt, erscheinen sie uns in einem schwebenden Zustand. Die Frage ihrer Symbolik bleibt. Und wir bleiben Suchende.

Vielleicht müssen wir ganz unten, beim kleinsten Zeichen anfangen. Rot ist die Farbe des Blutes, des Lebens und der Liebe. Und das Zeichen besteht aus einem länglichen Körper und einem Kopf. Ein Kind der Liebe? Das Kind der Liebe? Jesus? – Der Evangelist Lukas (2,12) schreibt: „Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“ Diese Worte waren in den Alltag der Hirten vor Bethlehem hineingesprochen worden. Die Erscheinung der Engel hat sie mitten in der Nacht verunsichert, diese Worte sollten ihnen Halt geben, einen festen Anhaltspunkt, damit sie der himmlischen Botschaft glaubten.

Ob das blaue Zeichen für die Mutter Maria steht? Es zeigt in gleicher Form ein Menschenkind. Durch seine andere Farbe kommt allerdings mehr der Himmel zur Sprache, Gott. Der schwebende Charakter der beiden Zeichen bringt Menschwerdung zum Ausdruck, bei der das rote Kind als Abbild des blauen Kindes verstanden werden muss.

Wenn diese Stele also mit der Geburt Jesu, den Hirten und dem Stall in Bethlehem zu tun hat, dann können wir in der großen komplexen Form die von oben abgebildeten Köpfe von Ochs und Esel sehen. Sie gehören wegen ihrer Erwähnung im Buch Jesaja 1,3 von alters her zur Krippe, wobei der Ochse die Juden, der Esel die Nicht-Juden verkörpern. Beide zusammen bildeten nach biblischem Verständnis die gesamte Menschheit, die Zielgruppe der Menschwerdung Christi.

Und dann mag unser Blick auf den Titel dieser Arbeit fallen, die Frage: Welches nun? Im Kunstbereich dient eine Stele dazu, ein Kunstwerk erhöht und freistehend zu präsentieren und ihm gleichzeitig festen Untergrund und Halt zu geben. Diese Holzstele vermittelt Einfachheit und Lebendigkeit mitten in der Natur, ja mitten in der Welt stehend. Aber sie präsentiert nur Zeichenhaftes und überlässt uns die Deutung. Welches nun? Worauf kann sich das Neutrum beziehen? Welches Zeichen? Oder gar welches Kind? Wir sollen auswählen, was für uns das Wichtigste ist. Welches nun? Wir müssen uns entscheiden, welches für uns der wahre Heilbringer ist.

Eine ungewohnte Sichtweise. Sie stellt das Gewohnte in radikaler Weise in Frage und bietet dafür Neues an. Es ist eine Arbeit zu Weihnachten, die aus dem statischen „Alle Jahre wieder …“ herausführen und uns in dynamischer Weise zu Beteiligten machen kann.

in der Luft hängend …

Nichts, aber auch gar nichts deutet bei dieser Imbissbude von Marc Fromm auf Weihnachten hin.

Eine Installation aus Lindenholz und Stahlblech – in der Luft schwebend, ein Teil mit dem anderen verbunden. Als tragendes Element eine fahrbare Imbissbude mit offener Markise. Sie ist leer, es wird nichts zu essen oder zu trinken angeboten in ASIA, wie die große Schrift diesen Ort bezeichnet. Dennoch hat der Mann eine Portion Pommes vor sich auf dem Stehtisch. Rechts oben an der Imbissbude ist eine Satellitenschüssel angebracht. So sehr sich die Bude verwaist gibt, sie scheint auf Empfang gestellt.

Außer dem Mann halten sich noch eine Frau mit einem Kinderwagen und, hinter ihr verborgen, ein Hund vor dem Stand auf. Eine Familie? Ihrer Kleidung und ihrem Aussehen nach scheinen sie aus der unteren Gesellschaftsschicht zu stammen. Der Mann steht in lethargischer, gelangweilt wirkender Haltung am Tisch –wartend. Auffallend sind sein kahler Kopf, die verspiegelte Sonnenbrille, das große keltische Tattoo auf seinem nackten Oberkörper, die mit einem großen Kreuz gekennzeichnete Umhängtasche.

Ihm gegenüber steht eine junge, untersetzte Frau, ihrem Äußeren nach ebenfalls aus der Szene stammend. Mehrere Piercings und modischer Schmuck betonen ihr schönes Gesicht und die gepflegten Haare mit lockiger Fülle bis zur Auffälligkeit. Ungeachtet der üppigen Körperformen bedeckt nur ein knappes Top den Oberkörper, ganz im Gegensatz zum langen Rock. Ihre Augen schauen gedankenverloren in die Ferne. Dennoch hält sie verantwortungsbewusst in der einen Hand den Kinderwagen mit ihrem Kind, mit dem angewinkelten Oberarm die Leine des Hundes, der mit dem Stachelhalsband einen recht gefährlichen Eindruck erweckt. Sucht sie vielleicht einen Ort, oder viele Orte, um diesen geheimnisvollen Zustand des Schwebens zu erden?

Obwohl sie alle miteinander verbunden sind, wirken die Personen heimatlos. Sie sind moderne Straßenmenschen, deren Bezugspunkt gerade noch die fremde, asiatische Imbissbude um die Ecke ist. Eine erwartungsvolle Stille geht von diesem Ensemble aus. Sehnsucht nach mehr. Abseits von den vielen Aktivitäten, abseits von den großen Menschenmengen oder den bekannten Zentren liegt hier etwas in der Luft, etwas Neues, das noch nicht richtig begonnen hat, dem noch das Wichtigste fehlt.

Lange Zeit haben wir die Vorstellung vom Lebensanfang Jesu den ersten drei Evangelien entnommen und ihn nach dem jeweiligen Zeitgeschmack ausgeschmückt zu einem zwar armseligen, aber dennoch lieblichen, gemütvollen Ereignis, zu dem die Hirten von den Feldern mit Geschenken eilten. Marc Fromm hingegen scheint sich an die herbe Darstellung des Johannes zu halten: „die Welt hat ihn nicht erkannt. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,10b-11). Stille um ihn herum. Nur zwei ungewöhnliche Gestalten begleiten ihn, die man wohl eher als Vertreter der Menschen sehen kann, zu denen Jesus in besonderer Weise gesandt ist: zu den Sündern, Ehebrechern, Dirnen und Zöllnern, zu den Armen, Ausgegrenzten und im Leben Gestrandeten – und nicht zu Maria und Josef.

Das Kind, das sich trotz allem im Zentrum der beiden befindet, lässt sich nicht sehen. Es bleibt im Kinderwagen – der modernen Krippe – dem Betrachter verborgen und fordert ihn heraus, es in seiner Abgeschiedenheit zu suchen, sich ihm zu nähern und sich über es zu beugen, um es zu sehen – so sehr ihn die vielleicht ungewohnte Umgebung und ihre Personen abschrecken. Aber ob sie uns ein Ärgernis ist oder nicht: h i e r ist das Kind, hier ist es angekommen und wartet darauf, entdeckt, gefunden und auch angenommen zu werden. Denn „wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärest ewiglich verloren“, heißt es im Cherubimischen Wandersmann von Angelus Silesius. Bei Marc Fromm könnte es heißen: Wäre Christus nicht in dir geboren, könntest du ihn nicht sehen und die frohe Botschaft bliebe im banalen Alltag oder in der Luft hängen.

Warten auf den Aufbruch

Ausnahmsweise finden wir keine mächtige Leuchtgestalt oder einen beschützenden Engel vor. Klein und beinahe verloren kauert er auf der Kante eines Bootes, das im Vergleich zu den anderen kleineren Booten wie ein Luftschiff in großer Höhe anmutet. So wie das Boot perspektivisch von oben gezeigt wird, müsste der Engel eigentlich seitlich herunterfallen. Doch er sitzt mit seinen angezogenen Beinen seelenruhig da und schaut von seinem „Adlerhorst“ auf das Wasser unter ihm.

Wartend, die ungewöhnlichen Zeichen beobachtend: den das Bild horizontal durchquerenden Fischzug, der in das weite Meer aufgebrochen ist, rechtwinklig dazu den mit Wassertropfen angedeuteten Regen, der aus einer prall gefüllten Wolke senkrecht durch das Bild ins Boot am unteren Bildrand fällt. „Tauet Himmel, den Gerechten, Wolken regnet ihn herab, rief das Volk in bangen Nächten“, kommt einem unwillkürlich in den Sinn. Gottes Verheißung, einen Retter zu senden, scheint nicht mehr weit von seiner Erfüllung entfernt zu sein. Es lohnt, sich vorzubereiten und sich Zeit zu nehmen, um das Kommen des Herrn nicht zu verpassen. Auch in der Nacht, denn man weiß nicht, zu welcher Uhrzeit er kommen wird.

Dem Engel gegenüber taucht das Segment eines großen Kreises auf mit labyrinthähnlichem Muster, das an eine Stadt erinnert, gleichzeitig den Verlötungen auf elektronischen Schalttafeln gleicht. Ob es als Symbol für den unermesslich großen Gott gedeutet werden darf, dessen Gedanken unserem Verständnis und unserer Einsicht verborgen sind? Der Ausschnitt dieses unerhört Anderen und Größeren strahlt ein Geheimnis aus, aber auch kommunikative Nähe. Dadurch geschieht etwas, scheint ein fruchtbarer Aufbruch stattzufinden, der das Eis teilt und schmelzen lässt. Der von diesem Aufbruch ausgehende Strom wird mit den vielen Fischen voller Leben gezeigt. Bereits erscheinen die Silhouetten von Häusern und Bäumen beidseits dieses Flusses, als wollten sie auf das paradiesische Bild anspielen, das dem Propheten Ezechiel (47,1-12) gezeigt wurde: auf den vom Tempel ausgehenden Strom, der immer mächtiger wurde. Und Gott erklärte ihm: „Wohin der Fluss gelangt, da werden alle Lebewesen, alles, was sich regt, leben können und sehr viele Fische wird es geben. Weil dieses Wasser dort hinkommt, werden (die Fluten) gesund; wohin der Fluss kommt, dort bleibt alles am Leben.“ (V 8) Das Wasser macht auch das salzige Wasser gesund, ebenso werden an seinen Ufern Bäume wachsen, die nie ohne Früchte sein werden und deren Blätter nicht verwelken, sondern als Heilmittel dienen.

Hier wird endzeitliches, göttliches Heil im Aufbruch gezeigt. Gott ist dabei, einzugreifen, sich den Menschen sehr nahe zu zeigen. Und überall Boote, auch auf den Flügeln des Engels. Ein augenzwinkerndes Wortspiel mit Bote und Booten? Die Boote sind leer, als wollten sie bestiegen werden. Sie verheißen keinen sicheren Untergrund, verlangen Geschicklichkeit und Vertrauen. Wer die Bootsfahrt wagt, wird sich auf die Strömung einlassen müssen, setzt sich dem Wind und dem Wetter aus. Die Boote sind nicht größer als Nussschalen. – Ob solch ein Wagnis nicht zu gefährlich ist? Kann ER genug Sicherheit geben? Noch ankern die Bootspaare allein auf dem Wasser. Die Flügel des Engels könnten aber andeuten, wie schnell die Wasseroberfläche mit Booten bedeckt sein könnte, wenn alle sich aufmachen würden auf das Wasser des Lebens.

Eine doppelte Erfahrung würde sie begleiten. Erstens, dass sie im Wagnis, Gott zu glauben, getragen werden. Getragen von Gott selbst, der sich als Quelle, ja als Strom des Lebens offenbart. Zweitens, dass solch ein Aufbruch nicht in die Einsamkeit, sondern in eine Gemeinschaft führt, in der sich die Menschen nahe stehen und auf dem unsicheren Untergrund des Lebens eine sichernde Solidargemeinschaft bilden.