Ins Zeitliche geboren

Das Wunder der Geburt geschieht in der liebenden Zuneigung der Eltern. Sie bilden in ihrer knienden und demütig sich vor dem Kind verneigenden Haltung eine bergende Krippe und ein beschützendes Haus. Der Freiraum zwischen Mutter und Vater ist des Kindes erster Lebensraum in der neuen Welt. Er erscheint als grauer Alltag. Die kurzlebige Tageszeitung als Hintergrund verortet die Geburt an einem bestimmten Tag und in der Armut der Obdachlosen, die Zeitungen als Isolation auf den Boden legen oder sich damit zudecken. Nur die Eltern können die lebensnotwendige Wärme schenken, die das Kind braucht.

Die drei Personen sind hauptsächlich durch die schwarzen, skizzenhaften Konturen definiert. Die sparsam verwendeten Farben deuten mit den braunen Farbtönen links Josef an, die rötlichen Farbspuren verweisen auf Maria und das lichte Gelb lässt das Göttliche im Kind aufleuchten. Jesus ist auf Zeitungen gebettet und in sie gewickelt.

Der Glanz der Heiligen Nacht entfaltet sich um das traute Paar herum. Die gelben Lichtblitze erhellen den Himmel und lassen gleichzeitig an die Engel der himmlischen Chöre denken. Am Boden verdichtet sich das himmlische Licht mit dem irdischen Stroh zu einer wahren Lichtflut, die warm und froh die Kunde der Geburt Gottes über die ganze Erde verbreitet.

Nun sind es nicht die Zeitungen, welche die Nachricht in alle Welt hinaustragen, sondern das Licht selbst, das im Denken, Sprechen und Handeln der Menschen vom Gottessohn kündet. Denn das Kind ist nicht arm, sondern reich an Liebe und Macht, um in allen Menschen den Glauben an Gott zu entzünden und in der Liebe zueinander zum Brennen zu bringen.

Herrlichkeit Gottes

Bäume säumen die zentrale Blickachse, deren Horizont durch eine sanfte Erhebung begrenzt wird. Auf jeder Seite der Allee stehen zwölf, die in ihrer Zusammenschau dreieckige Pyramiden bilden. Die idealisierten Kronen der Bäume gehen am Horizont übergangslos in die Wölbung des Hügels über und bewirken damit eine zentralperspektivische Sogwirkung, welche das weiße Quadrat hervorhebt. Diese Hervorhebung wird durch die vertikale Beschneidung der Bäume zur Mitte hin und den dadurch entstandenen ehrerbietenden Abstand verstärkt. Die „Schatten“ in den tropfenartigen Baumkronen machen eine Art Transparenz oder Durchleuchtung sichtbar, wodurch alle Bäume bis in die hinterste Reihe in ganzer Gestalt erkennbar sind.

Der Blick durch die Allee wird durch die geometrische Form eines aufrecht stehenden weißen Rechtecks gebremst und verschleiert. Die Lichterscheinung erhebt sich kontrastreich aus einer schwarzen, in den Boden eingesenkten Form, die einem Grab gleicht, und sie ragt etwa hälftig über den Horizont hinaus in den zartrosa gefärbten Himmel hinein. Am Scheitelpunkt der sanften Steigung der blauen Erhebung kann in blassroten Großbuchstaben schwach V E R G E H E N gelesen werden. Das Wort weitet das bisher Gesehene zu einer neuen Sicht mit anderen Augen. Plötzlich wird der abstrakte helle Raumkörper in der Bildmitte gleichsam zu einem Monument für die Vergänglichkeit, zu einem „Denk-mal“ über die Bedeutung und das Wesen von Werden und Vergehen.

Alles vergeht, alles verändert sich, außer Gott bleibt nichts in Ewigkeit so wie es ist. Könnte die rechteckige Erscheinung ein Symbol für die Zeit darstellen? Viereckig, weil die Zeit eine menschlich weltliche Formulierung ist, transparent, weil sie nicht sichtbar ist? Inmitten des Hains, weil sie eine kostbare Erfahrung der Gegenwart ist mit möglichem Rückblick auf die Vergangenheit und begrenzter Aussicht auf die Zukunft?

Das aus der Dunkelheit des „Grabes“ aufsteigende gefasste Licht löst wie eine unsichtbare Gegenwart von unten nach oben die Grenze zwischen Erde und Himmel auf. Durch den fließenden Übergang in den blauen Bereich und die Wiederaufnahme und Steigerung der nach oben weisenden Horizontlinie des Hügels findet auch diese Bewegung im erhabenen Quadrat ihre Vollendung.

Das weiße Quadrat wirkt am Horizont wie eine Großleinwand, wie eine Projektionsfläche für Visionen. Es lenkt den Blick in die Ferne und kann ermahnen, im gegenwärtigen Handeln auch an die Zukunft zu denken und nicht alles rosarot verzaubert zu sehen. Seine Leuchtkraft lässt zudem an eine höhere Gegenwart denken, in der alles Werden und Vergehen seine Vollendung findet. Es könnte ein Sinnbild für das Neue Jerusalem sein, in dem es keine Nacht mehr geben wird, weil Gottes Gegenwart selbst allen Menschen Licht ist und sie der Macht des Todes entreißt. Das Quadrat kann gar als „Wohnung Gottes unter den Menschen“ gedeutet werden nach der Vision des Himmlischen Jerusalems im Buch der Offenbarung (21,3-5): „Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: „Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu.“

Vor diesem Hintergrund erhält das Gemalte eine noch tiefere Dimension. Es geht um den Blick über alles Vergehen und Vergangene hinaus in die Ewigkeit. Dem Seher Johannes wurde die heilige Stadt Jerusalem gezeigt, „wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Sie glänzte wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Jaspis.“  In der weiteren Beschreibung werden die „zwölf Stämme der Söhne Israels“ und die „zwölf Apostel des Lammes“ genannt (Offb 21,12.14), die sinnbildlich in den 24 gleichmäßig gewachsenen und schönen Bäumen ihren Platz seitlich der Herrlichkeit Gottes haben. In der Tropfenform der Baumkronen klingt das Abwischen aller Tränen an, denn „der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“

Das vom Künstler mit „Monument IV“ betitelte Bild ist weniger ein Monument für die Vergänglichkeit oder ein Denkmal für die Zeit, sondern vielmehr ein Monument für Gottes bleibende Gegenwart durch alle Zeit hindurch. Es ist ein Bekenntnis, dass nicht das lebensbestimmende VERGEHEN das letzte Wort hat, sondern Gott selbst im durch seine Liebe bewirkten AUFERSTEHEN zum ewigen Leben.

Dieses und weitere Werke von Nikola Saric waren bis zum 31. Oktober 2020 in der Ausstellung „Reflexionen“ im Domschatz- und Diözesanmuseum Eichstätt im Original zu sehen.

Berichtigung

Auf der weißen Scheibe des Bildes „Monument IV“ von Nikola Saric steht das Wort VERSEHEN und nicht VERGEHEN. Laut Künstler bezieht sich das „Versehen“ hier eher auf die politisch-journalistische Sprache im Zusammenhang mit Ausdrücken wie „Kollateralschaden“, „menschliche Fehler“ und „Tat aus Versehen“. Das Wort VERSEHEN steht dabei auch im Kontext der versehentlichen Zivilopfern bei militärischen Operationen.

In meinem Zugang zum Wort VERSEHEN habe ich mich also gleich zweifach versehen: Zum einen habe ich mich verschaut beim Lesen des Wortes, zum anderen habe ich das Wort auf der Erhebung am Horizont und nicht auf der Scheibe in der Bildmitte verortet. Für diese Fehldeutung entschuldige ich mich an dieser Stelle. Gleichzeitig wird deutlich – auch im Sinne der Intention des Künstlers, wie wichtig achtsames, umsichtiges Schauen und rücksichtsvolles Handeln sind, damit es eben nicht aus Versehen zu Kollateralschäden kommt.

Mein Bildzugang bleibt bestehen, weil die Deutung mit dem „Versehen“ in sich stimmig ist. Zudem hat Nikola Saric sein Einverständnis dazu gegeben: „Ich finde Ihren Text sehr interessant und finde es spannend wie unterschiedlich sich Gedanken zu einem Bild entwickeln können. Ich bin auch der Meinung, dass wir den Text so stehen lassen.“

Alles und nichts

Eine Morgenmesse lang, gemessene 44 Minuten, zeichnete die geöffnete Blende auf, was vor dem Altar geschah. Eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Verwischt ist der Priester, sind vielleicht auch Messdiener zu sehen, sitzend, stehend, der Priester vermutlich betend und segnend, feierlich in weißes Gewand gekleidet. Man erkennt Frauen in hellen Kleidern, offenbar mit Kopftuch, die die Kommunion empfangen oder darauf warten. Männer sind nicht auszumachen, waren aber möglicherweise dabei. Kerzen stehen so, also ob sie getragen worden sind. Das alles vor einem mächtigen barocken, vergoldeten Hochaltar, der in bestechender fotografischer Brillanz und Schärfe mit seinem Rocaille-Schmuck die imposante Rückwand bildet für den heiligen Ritus. Hinter dem mit weißem Tuch bedeckten Abendsmahlskelch – er steht und ist durch die Bewegung schattenhaft an verschiedenen Stellen gleichzeitig zu sehen – sieht man den verschlossenen Tabernakel: ein eindrucksvoll geschnitztes Relief, das den auferstehenden Christus zeigt, der mit der Siegesfahne aus dem Grab steigt. Die Anwesenheit des Abwesenden – die vice versa – die Abwesenheit des Anwesenden: Das lässt sich hier in vieler Hinsicht lesen.

Etwa an der Geschichte des vergoldeten Hochaltars: Die 1733 geweihte Kirche Igreja Matriz Nossa Senhora do Pilar in der Stadt Ouro Preto gilt als das wichtigste Gotteshaus aller barocken Kirchen aus der portugiesischen Kolonialzeit. Ouro Preto bedeutet „Schwarzes Gold“, das man dort damals im Überfluss fand. Tonnenweise wurde das Gold, das an der Oberfläche durch Erzeinlagerungen leicht oxidiert und deshalb dunkel war, nach Portugal geschafft. Kolonialgeschichte. Davon zeugt die Kirche, und mit ihrem gewaltigen Hochaltar auch von dem Reichtum jener Zeit, die längst verflossen ist: Für den Innenraum sollen mehr als 400 Kilo Gold verarbeitet worden sein! Nahezu alles scheint vergoldet, vor allem der Hauptaltar in seiner überbordenden Pracht.

Michael Wesely hat diese Kirche auch nicht zufällig ausgewählt, die in der historischen Altstadt steht und zum UNESCO-Kulturerbe zählt. Denn in seinem Bild spiegelt sich eine Geschichte vom Werden und Vergehen, von Ruhm und Reichtum, und gleichermaßen vom Versuch, Vergängliches vor dem Verfall zu schützen und zu bewahren: Zeitfluss, und der Versuch ihn anzuhalten, wenigstens zu verlangsamen. „Es kann die Spur von meinen Erdetagen I nicht in Äonen untergehn“, lässt Goethe seinen Faust am Ende des Dramas in falscher Hoffnung auf Beständigkeit ausrufen. Der Augenblick verweilet eben nicht. Auch das teilt sich in der Arbeit des Künstlers mit. Zugleich öffnet er mit der Fotografie noch eine weitere, tiefere Ebene, indem er die Messe aus dem linearen Zeitverlauf in die simultane Zeit hebt und damit in die Gegenwart. Genau das geschieht während der Liturgie.

Die gemeinsame Feier nimmt die Menschen hinein in einen Raum des Heils, der keine irdischen Grenzen kennt. Das Heil ist keine Frage historischer Zeitlichkeit, sondern stete Gegenwart. Alles ist gleichsam angefüllt mit diesem Heil: die Menschen, der Raum, die Abläufe. Die gesamte, außerordentlich komplexe Dynamik der Messe ist daraufhin angelegt. Alle Gläubigen sind in diesen geheimnisvollen heiligen geistigen Raum hineingenommen: Die Menschen feiern mit, bewegen sich innerlich – und zuweilen auch äußerlich – und werden teilhaftig all der Heilsereignisse. Sie berühren und verbinden sich gleichsam mit dem Himmel. Man könnte auch sagen, in der Messe durchzieht die Menschen eine Ahnung davon, wo ihre schöpfungsgemäße Bestimmung liegt: in der Teilhabe an der Herrlichkeit des Herren. Deshalb ist im Zentrum der Fotografie von Michael Wesely der Priester erkennbar, der die Kommunion austeilen wird / austeilt / ausgeteilt hat – die Reihenfolge ist nicht ersichtlich. Der Verlauf, der Zeitpfeil, spielt dabei ohnehin keine Rolle mehr. Über die Eucharistie, die man im Bild nicht sieht, aber ahnt, sagt Ludwig Mödl: „Die Eucharistie als Bild ist ein abstraktes Bild. Es zeigt alles, und es zeigt zugleich nichts.“

Weselys Foto, das die 44 Minuten einer Morgenmesse in der brasilianischen Kirche Igreja Matriz Nossa Senhora do Pilar gewissermaßen in sich vereint, scheint die Entsprechung zu zeigen: Sie zeigt alles und zeigt nichts. Aber, schreibt Ludwig Mödl: „Jedes Bild bleibt einseitig – man könnte sagen: weltlich – und kann … bei seiner Faszination den Beschauenden verführen, zu meinen, er sehe schon alles. Das Göttliche ist aber immer mehr als jedes Bild. (Die Spiritualität des Schauens, Bildverehrung und adoratio in der christlichen Frömmigkeitspraxis, in: Eichstätter Hochschulreden, Regensburg, 1995, S. 16)

Der Text stammt mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber aus dem 28. Jahrbuch des Vereins für christliche Kunst in München (S. 105-106), das dem langjährigen Vorsitzenden Prof. Ludwig Mödl gewidmet ist, der im März 2018 seinen 80.  Geburtstag feiern konnte. In diesem Jubiläumsjahrbuch werden die sieben Originalgrafiken der Edition 2018 und ihre Künstler vom Kulturjournalisten Wilhelm Warning eingehend vorgestellt.

Flyer mit der Präsentation der sieben Grafiken

Erholung

Große Einfachheit zeichnet dieses Bild aus. Abstraktion, denn die Farbfelder lassen die Erkennung eines konkreten Gegenstandes nicht zu. Ist es deswegen ein geistiges Bild? Seine Struktur ist uns nicht unbekannt. Nicht nur von Mark Rothko, der als erster in dieser Weise große Arbeiten malte. Im Bild können sich vielfache Erfahrungen aus unserem Leben spiegeln.

Da ist eine markante, waagrechte Trennung zwischen Unten und Oben, wie wir sie auch in der Natur in der Trennung von Erde und Himmel erfahren. Die Horizontale erinnert an flache Landschaften wie große Ebenen, Wüsten oder den Meeresstrand. Ihnen wohnt eine besondere Weite und Ruhe inne. Es sind für Körper und Seele erholsame Orte, weil wir an ihnen Freiheit erfahren und tief durchatmen können. Da ist von der kleingliedrigen und ermüdenden Alltagsstruktur nichts mehr zu spüren.

Die horizontale Linie, sie ist selbst dreigeteilt, lässt auch die Erfahrung des Liegens, des Entspannens und Ausruhens spüren, die wir täglich brauchen. Sie findet ursprünglich auf dem Horizont statt, an der Grenze zwischen Erde und Himmel. Aber im Schlaf geben wir uns ganz der Erdkraft hin, und öffnen uns doch der Unendlichkeit über uns. Im Urlaub suchen wir oft ähnliche Erfahrungen: Orte und Situationen, in denen wir dem Alltag entfliehen, dabei Körper und Seele hängen lassen und gleichzeitig auftanken können.

Die helle Linie spricht weiter eine Dualität an: eine Dies- und Jenseitigkeit, ein Hier und Dort, ein Jetzt und ein Danach. Beide sind voll und ganz gegenwärtig, gehören zusammen. Mal mag der eine Teil größer sein oder mehr Raum im Leben einnehmen, mal der andere. Aber so wie die Horizontale proportional im goldenen Schnitt des Bildes liegt, suchen wir bei der Erholung – egal, wie sie umgesetzt wird – das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Lebensbereichen zu stärken, ihre Harmonie wiederherzustellen.

Wie der obere Bereich mehr Platz im Bild einnimmt, gibt man bei der Erholung dem Ersehnten, dem Wohltuenden mehr Raum und Zeit. Seine goldene Farbe mag andeuten, dass Erholung in jeder Form (Urlaub, Auszeit, Feierabend, Pause) eine heilige Zeit ist. Sie ist kostbar und verlangt einen wertschätzenden Umgang. Ebenso ist das Geheimnis dieser ganz anderen Zeit- und Lebenserfahrung spürbar, das Göttliche in ihr.

Dieser obere, lichte Farbraum, in dessen Zeichnung man auch eine Kreuzform, ein Gesicht, ja göttliches Leben ahnen kann, lässt den unteren, sich vom Hintergrund nur schwach abhebenden roten Bereich, der für uns Menschen und unseren Lebensraum stehen mag, ganz anders wahrnehmen. Geerdet strahlt er eine wohltuende Ruhe aus. Nicht nur in der Vision des ganz anderen, sondern in seiner gegenwärtigen Erfahrung spricht lebendige Stärke aus ihm, Lebenskraft.

Jetzt

Ist es nicht verwegen, den jetzigen Augenblick in einem gemalten Bild einfangen zu wollen? Käme dem“ Jetzt“ eine fotografische Momentaufnahme nicht näher?

Wie Gesteinsschichten hat die Künstlerin waagrechte Farbschichten übereinander gestapelt, so dass der Eindruck eines großen Felsmassivs entstehen kann, von dem nur gerade ein Ausschnitt eingefangen werden konnte. Eine erste Spur? – Der jetzige Moment ist doch auch so etwas wie ein „Fenster“ aus dem größeren Ganzen der Zeit, die in ihrer unendlichen Größe ähnlich unfassbar wie ein Berg ist.

Über das ganze Bild verstreut sind auf diesem „Zeitberg“ vertikale, leuchtende, blaue Striche zu sehen. Sie scheinen wie Spuren hinterlassende Sternschnuppen von oben herab in den horizontalen Zeitfluss dieser Welt hineinzukommen und seine Gleichmäßigkeit zu durchbrechen, in dem sie leuchtende Augenblicke schaffen. Symbolisieren diese Striche den ach so flüchtigen Augenblick, der meist unbemerkt verstreicht? Wie um ausdrücklich darauf hinzuweisen, hat die Künstlerin unten in die Mitte das Wort „Jetzt“ hineingeschrieben.

Eine vage, hell leuchtende Dreiecksform zieht den Blick nach oben. Wie ein Zelt ruht die Erscheinung auf einem Absatz, der, durch die hellere Farbgebung entstanden, das Bild waagrecht durchquert. Von der unsichtbaren Spitze der Dreiecksform geht eine Kraft aus, die das ganze Bild durchströmt und auch uns als Betrachter in seinen Bann zu ziehen vermag. Es ist, als würde unser Blick auf einmal nicht mit der Zeit in die Zukunft oder die Vergangenheit gehen, sondern sich quer zur Zeit stellen – und dadurch des Augenblicks, des Jetzt’s gewahr werden.

Die weiße Dreieckserscheinung erinnert an den dreieinigen Gott, den Schöpfer der Welt. Er wohnt im “unzugänglichen Licht“ (1 Tim 6,16) und hat mit der Welt auch die Zeit geschaffen (Gen 1). Es ist der Blick auf IHN, der die Bedeutung und die Kostbarkeit des Augenblicks wahrhaben lässt. Wir können nur in der Gegenwart leben und aus ihr heraus handeln. Je intensiver und bewusster wir dieses Jetzt leben, um so erfüllter wird unser Leben am Ende sein.

Paulus schreibt an die Korinther: „Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung.“ (2 Kor 6,2) Täglich, zu jeder Zeit, in jedem Augenblick macht Gott uns Menschen das Angebot, mit Ihm durch das Leben zu gehen. Mit seiner Gnade möchte er uns befähigen, die Zeit sinnvoll zu gestalten und zu nutzen, die Fülle der Chancen und Möglichkeiten im Jetzt zu erkennen und zu ergreifen.