Licht und Schatten

Hellblau, violett bis schwarz manifestieren sich Farbfelder vor dem grauen Hintergrund. Die Farbspuren sind alle leicht nach rechts geneigt. Ihre Ränder sind unscharf, bilden fließende Übergänge. Die dunkleren Farben sind vor allem im mittleren und oberen Bereich anzutreffen.

Die unscharfen Farbfelder lassen keine eindeutigen Zuordnungen an Bekanntes zu. Der Betrachter wird zum Suchenden in den farblichen und „formlichen“ Andeutungen. Es ist etwas da. Doch was ist es? … oder was könnte es sein? Wir tun uns schwer mit dem Vagen, Unsicheren, Unbestimmten, Ungewissen. Dabei vermag schon der hellgraue Hintergrund an Nebel zu erinnern, der zuerst alle Konturen verschwimmen lässt, dann oft ganze Landschaften verschluckt, bevor er sie nach und nach wieder frei gibt.

Bei der hellblauen Form scheint letzteres der Fall zu sein. Sie weckt den Eindruck, aus einer Nebelwand aufzutauchen. Die Gestalt des hellblauen Farbfeldes lässt einen menschlichen Oberkörper wahrnehmen, links und rechts die Arme, die wie bei einem Läufer leicht angewinkelt sind. Dies und die leichte Rechtsneigung wecken den Eindruck, als käme jemand dynamisch auf uns zugelaufen und würde gleich vor uns stehen. Doch kein Kopf ist zu sehen, nur dieser mandelförmige Schatten aus dunklen Senkrechten, der die eben wahrgenommene Gestalt im Brust- und Schulterbereich verdeckt. Jede einzelne Vertikale läuft oben und unten haarfein aus, was ihnen wohl eine Leichtigkeit verleiht, aber nichts von ihrem Unheilvollen nimmt. Ähnlich einer dunklen Gewitterwolke am hellblauen Himmel.

Aber alle Vergleiche bleiben Vermutungen und Möglichkeiten. Das Dargestellte bietet keine Anhaltspunkte für eine letzte Gewissheit. Auch der einzelne schwarze Strich unter dem gefächerten Schatten lässt sich nicht zuordnen. Er erscheint zwar als Spalt, der sich nach einem Schnitt aufgetan hat. Die Öffnung lässt jedoch nichts außer einer undurchdringlichen Dunkelheit sehen.

Die vielen Andeutungen beflügeln unsere Fantasie. Sie lassen uns ganz Unterschiedliches sehen oder besser vermuten, denn sie sind in einer offenen Sprache formuliert. Und dennoch sind alles Spuren, die fragende Rückschlüsse erlauben. Zum Beispiel, ob das helle Blau im Zusammenhang mit dem Himmel gelesen werden darf. Denn dann würde es eine menschliche Gestalt darstellen, die vom Himmel erfüllt oder durchdrungen ist, quasi durch den Himmel auf die Erde gekommen ist. Das Dunkle, das seine Gegenwart überschattet, könnte dann mit dem Leiden des Gottessohnes gedeutet werden, die senkrechte Schnittöffnung mit dem Lanzenstich in seine Brust am Kreuz.

Genauso ist es möglich, dass Sie etwas ganz Anderes sehen. Dann lassen Sie sich nicht irritieren. Das ist gut so. Glauben ist das eine, Glaubensansichten sind das andere.

 

Riech Gott

steig mir in die Nase, Gott,
aus deinem Wort,
im Blick jetzt, durch die Augenlider, entzünde sie, schlag auf,
Geist, weh dich her, durchzieh die Seele,
ein leichtes Kitzeln des Herzens
(tausendmal feiner als Fräulein Smillas Gespür für den Schnee),
dass ich dich erschnüffle,
dass ich aufspring, in der Luft steh, mitten am Mittag in München,
im Marienplatzton unter den Menschen.
in so einem Duft.
ich höre die Angelusglocken, die stimme für uns,
und ich riech dich, den ohne Geruch, den Unbemerkten.
steig mir in die Nase,
durch ihre Kanäle, in ihren Fasern zu Kopf,
ins Denken, Erkennen, zum Lieben.

 

Aus: Josef Roßmaier, Es könnte ja sein, Fink Verlag 2012, 128 Seiten, Euro 12,80, S. 20,
ISBN 978-3898707794

Auf Empfang sein

Zwei aufeinander gerichtete Mobiltelefone – ein vertrauter Anblick in unserer Zeit. Sie stehen für die mobile und individuelle Kommunikation schlechthin. Kaum jemand kommt bei uns noch ohne sie aus, weil geradezu erwartet wird, jederzeit erreichbar zu sein oder andere erreichen zu können. Und wenn es nur wie in unserem Bild in Form von Kurzmitteilungen, den sogenannten SMS, ist. „Ave Maria gratia plena“, steht auf dem Display rechts oben (Detailbild). „Siehe ich bin die Magd des Herrn“ ist auf dem Display links unten zu erkennen (Detailbild). Eine ungewöhnliche Kommunikation, bei der schon die verschiedenen Sprachen auf ein interkulturelles Geschehen hinweisen.

Wer sind die beiden Personen, die so miteinander kommunizieren? Was lässt sich allein aus der Anordnung der beiden Mobilteile über Sender und Empfänger der ungewöhnlichen Botschaft aussagen? Zuerst lässt sich feststellen, dass beide die gleichen Geräte benutzen und mit dem gleichen Provider zusammenarbeiten. Dann zeigt die Empfangsbereitschaft beider Geräte maximale Stärke an, so dass von den besten Voraussetzungen für eine gute Verständigung gesprochen werden kann.

Der Mobilteilnehmer rechts oben scheint der Initiator des Austausches zu sein. Die kleinere Abbildung des Handys lässt auf seine Ferne schließen, die Anordnung auf der Höhe des Bergkammes und das Licht auf dem Mobiltelefon auf jemand, der aus der Höhe und im Licht agiert. Eine schöne Umschreibung für Gott, von dem gesagt wird, dass er in den Bergen wohnt (Ps 121), und zu dem gebetet wird „Herr, lass dein Angesicht über uns leuchten! (Ps 4,7). Aus der Höhe zeigt er sich der Erde zugewandt.

Konkret neigt er sich dem Menschen unten links zu, die er mit dem Namen Maria anspricht. Eine geerdete Person. Jemand, der seinen Blick zu Gott erhebt, in Empfang steht mit dem Höchsten.

Zwischen ihnen sind Dornengestrüpp mit weißen Blüten und eine karge Wüsten- oder Berglandschaft auszumachen, dazu verbreiten Nebelschwaden eine geheimnisvolle Aura. Jedes einzelne dieser Bilder mag Geschichten erzählen und vielleicht auch ein bisschen an das Adventslied „Maria durch ein‘ Dornwald ging“ erinnern.

Aber sind nicht wir alle auf einem ähnlichen Weg wie Maria? Bewegt uns nicht Sehnsucht, Schmerz und Hoffnung auf unserem Weg zu Gott? Wir kennen die Erzählung vom Engel, der Maria mitteilte, was Gott mit ihr vorhat und ihr Einverständnis holen wollte. So oft schon haben wir die Erzählung gehört – und trotzdem blieb Maria recht weit von uns entfernt. Vielleicht weil zu uns niemals ein Engel kam? Im Bild von Monika Funke-Stern ist Maria uns ganz nah, obwohl man nur einen Daumen und einen Zeigefinger von ihr sieht. Sie ist modern und empfangsbereit dargestellt, so wie wir es mit unserer technischen Ausrüstung auch sein wollen. Aber sind wir es auch mit unseren Herzen? Maria hat auf die ungewöhnliche Anrede ihre Antwort geschrieben und wartet nun auf das, was kommen mag. Sie ist in Erwartung des Kommenden …

Wenn auch keiner von uns eine solch gewaltige Aufgabe bekommt wie die biblische Maria, so spüren wir vielleicht doch ab und an den Imperativ, etwas ganz Bestimmtes zu tun, eine Aufgabe zu übernehmen, an die wir gar nicht gedacht hätten. So, als käme dieser Ruf von weit her. In der Mitteilung im Bild ist kein Inhalt genannt – es kann so vielerlei sein. Aber ebenso wie der Engel Symbol ist für eine Botschaft aus einer anderen Welt, so kann das Handy ein zeitgemäßes Symbol für dasselbe sein. Wichtig ist die Empfangsbereitschaft, die Offenheit für das Unerwartete.

Sensation des Unsichtbaren

Verschwommene Farbflecken. Ein abstraktes Bild mit Unschärfen. Wahrnehmen von etwas Ungewohntem, in Licht und Farben schwer Fassbarem. Annäherung, welche uns ein dunkles Blau in der linken Ecke sehen lässt, darüber – diagonal das Bildformat durchquerend – ein luftiges grau-grünes Band, das unten rechts in hellgelbe Lichteffekte übergeht. Darüber lässt sich intensives Kobaltblau, am oberen Bildrand eine lilafarbene Strahlung beobachten, welche unten wiederum spiegelbildlich reflektiert. Weiße Lichtspuren mit schleierartigen Ausläufern bilden einen auffallenden Kontrast zu den diffusen Farberscheinungen.

Mit Worten ist so ein Bild schwer zu fassen. Es hat außer den Farben und den verschiedenen Bewegungen nichts Irdisches an sich. Vielleicht nennt es der Künstler deshalb „Universum“. Denn, was wir hier als Sinneseindruck wahrnehmen können, übersteigt alles Bekannte, erscheint größer und anders.

Und dennoch stammt das Bild – es ist ja eine fotografische Aufnahme – aus unserer realen Welt. Hier hat das künstlerische Auge etwas wahrgenommen, das es gibt, wir so aber noch nicht gesehen haben. Oft reagieren wir in der Begegnung mit dieser ganz „anderen Welt“, die ans Wunderbare grenzt, mit Staunen oder eben mit Verwunderung. „Unglaublich!“ sagen wir da oft und bringen damit unsere Überraschung, aber auch die unversehens an uns gestellte Glaubensfrage zum Ausdruck. Was ich da mit meinen Augen als existierendes Phänomen wahrnehme, ist kaum zu glauben. Die Fragen und Zweifel sind meist größer als das Annehmen des Wahrgenommenen.

Das Bild ermöglicht Grenzerfahrungen. Es führt uns vor Augen, wie schwer Glauben an etwas oder jemanden sein kann, aber auch wie schön. Der Künstler selbst, er ist katholischer Pfarrer im Ruhestand, begleitet das Bild mit folgenden Worten in seinem Buch „Aus der realen Welt“ (S. 9):

Wirklich

der raum ist hoch und milliarden-
lichtjahrweit
nicht auszuseh’n
der raum ist tief
wie nichts

nichts ist nicht tief
ist nichts
sonst nichts
nicht hoch nicht weit
nicht tief ist
nichts

nichts ist so tief wie du
nicht raum und zeit
nichts
nichts ist so weit
bist keine zeit
nicht nichts
bist du

und bist dann da
bist mensch
ein mensch wie ich
kein solcher mensch doch mensch und wahr
klein und gering
ganz arm
wie nichts sagt man
wie niemand klein und arm
dass gott erbarm
so mensch
wahrhaftig mensch
der mensch so tief am kreuz
so oben tot
so nah

mein gott
bist da
du
hinter raum und außer zeit und tiefer
denn als tiefes all
und nacht und licht
und ohne sonn
nur du
mein gott
mir da

bist da

 

Josef Roßmaier: Aus der realen Welt, Fink Verlag 2008, ISBN-13: 978-3898705158, Euro 9,80

Bedeutsame Hände

Hände und Unterarme sind in diesem Kreuzweg die Hauptdarsteller. Bis auf drei Ausnahmen sind keine Körper oder Köpfe zu sehen (alle Bilder). Aber es geht ganz klar um den Menschen, ein Essen, Gefangenschaft, Stürze, Leid, Kreuzigung und Auferstehung. Die Handlung beschränkt sich in ihrem Ausdruck auf die fotografische Wiedergabe der menschlichen Arme und Hände, deren unterschiedliche Haltungen voller Symbolik sind. Im Dialog mit dem Holzbalken und dem Licht verstehen sie das Leiden und die Auferstehung Jesu eindrücklich zum Ausdruck zu bringen. Dies verstärkt der sparsame Einsatz von Farbe im ersten und letzten Bild sowie ankündigend in der Kreuzigung.

Die Hände begegnen und berühren sich, sind in gestischem Gespräch. Hier wird die eine von einer anderen ergriffen und gehalten. Ihre diagonal-vertikale Ausrichtung ist von Bedeutung. Ebenso, dass der untere Arm das waagrechte Holz kreuzt und ein breites gelbes Lichtband senkrecht die Dunkelheit trennt. Vor dem Hintergrund der Kreuzigung wird so die göttliche Hilfe symbolisiert: Einerseits die rettende Hand von oben, welche den Menschen am schlaffen Handgelenk aus der Tiefe des Leids und des Todes errettet. Andererseits das hereinbrechende Licht, das die Dunkelheit zurückweichen lässt und durch seine Vertikale dem furchtbaren Kreuzestod bereits einen glorreichen Ausgang gibt.

Bedeutsam sind die sechs Hälften der Passionsfrucht, die im Kreuzungspunkt des Lichtstrahls auf dem Holzbalken liegen. So wie seit dem 17. Jahrhundert in der Passionsblume die ganze Leidensgeschichte Jesu gesehen wurde (daher auch der Name), so kann deren Frucht die Auferstehung bezeichnen. Die Hälften geben gleichsam Einblick in das an sich Verborgene der Auferstehung, lassen im Innern der unansehnlichen und harten Schale das reife Fruchtfleisch sehen, sie bilden eine symbolische Siegeskrone angesichts des überwältigten Todes und der erlittenen Folterqualen.

Das Fehlen von Blut und geschundenen Körperteilen mag irritieren. Ob damit gesagt werden will, dass den Darstellern die Erfahrung der Folter und des Todes unbekannt ist? Oder könnte dies auch zum Ausdruck bringen, dass in der Auferstehung alle Wunden geheilt werden? Dass wir im Tod zu einem neuen und ganzheitlichen Leben auferweckt werden, das zeitlos und integral unser ganzes Wesen beinhaltet? – Wir?

Auch die verschiedenen Hände und Arme mögen verunsichern. Der Kreuzweg folgt in seiner Handlung und Abfolge dem Leidensweg Jesu. Aber er wird von Menschen jeden Alters und Geschlechts dargestellt, um deutlich zu machen, dass erstens viele Menschen einen solchen Leidensweg gehen müssen. Zweitens zeigt er auf, dass es unsagbar schwer ist, einen solchen Weg alleine zu gehen und es gut tut, eine hilfreiche Hand bei sich zu haben. Letztlich zeigen die verschiedenen Teilnehmenden auf, dass der Leidensweg Jesu in seiner Wirkung alle Menschen betrifft. Jesus ist für uns alle gestorben. Durch seine Auferweckung von den Toten hat er uns allen die Hoffnung auf ewiges Leben geschenkt.

Gesamtansicht aller Kreuzwegbilder

Lebenstreppe

Auf dem Foto kann man nur eine Treppe erkennen. Sie ist aus Stein und trägt Spuren der Verwitterung: abgesplitterte Treppenkanten und schwarzen Schimmel. Es kann keine stark frequentierte oder öffentliche Treppe sein, denn die seitlichen Handläufe und Geländer zur Gewährung der Sicherheit fehlen.

Wozu mag sie wohl dienen? Wohin mag sie führen? Der Bildausschnitt gibt keine klare Auskunft über die Umgebung, den Zweck und das Ziel der Treppe. Sie führt von einer durch den dunklen (gemalten) Balken angedeuteten Waagrechten am unteren Bildrand hinauf zu einer durch eine starke Diagonale angedeuteten Ebene, die über dem Horizont des Betrachters liegt. Ob diese Ebene eine Brücke oder ein Balkon ist, lässt sich nicht erkennen. Die dunkle Unterseite suggeriert aber einen Blick wie aus der Öffnung einer Höhle heraus in die Weite eines klaren Himmels.

Diese Öffnung wird von der Treppe diagonal durchquert und lässt den Eindruck entstehen, dass die Treppe durch den Himmel oder sogar in den Himmel führt. – Ein verrückter Gedanke! – Jetzt verstellt die Treppe noch den Ausblick, doch bereits die Treppe selbst und die Plattform an ihrem Ende verheißen eine ungehinderte Sicht auf die himmlische Weite.

Wer diese Treppe hinaufgehen will, braucht Vertrauen: Vertrauen in die luftige und schon etwas in die Jahre gekommene Konstruktion, sowie Vertrauen in sich selbst, da er oder sie sich weder links noch rechts abstützen kann. Einziger Halt ist – im Bild mit dem blauen Himmel angedeutet – der Glaube, dass sich dieses Wagnis lohnen wird und sinnvoll ist.

Diese Treppe könnte ein Sinnbild für unser Leben sein. Aus der Horizontalen suchen wir den Aufstieg, den Erfolg. Körperlich helfen uns Rolltreppen, Fahrstühle, Autos und Seilbahnen und andere moderne Verkehrsmittel, schnell und bequem Höhen zu überwinden. Wer will, kann ganz leicht „hoch hinaus“. Aber das ist nicht das wirkliche Leben. Letztlich müssen wir doch alle die Erfahrung der Anstrengung machen, dass man nicht überallhin kann, wo man gerne sein möchte, dass man nicht alles auf einmal haben kann, dass sich das Leben – glücklicherweise – nur Stufe für Stufe realisieren lässt. Erst am Ende werden wir vollumfänglich sehen, was „oben“ ist. Erst am Ende der Treppe werden wir den Aufstieg mit seinen verschiedenen Etappen bewerten können und erfahren, ob er zu einem lohnenden Ziel geführt hat.

Die große Frage

Eine Frau stützt den Kopf in ihre Hände. Ein vertrautes Bild. Wer hat das nicht schon gemacht, wenn der Kopf beim Überlegen zu schwer geworden ist? Blasses Licht und unscharfe Konturen beherrschen das Motiv und scheinen Ausdruck der Gedanken zu sein, welche diese Frau bewegen.

Doch im Verhältnis zum Gesicht sind die Hände überdimensional, riesig. Auch die Anordnung der Finger macht keinen stimmigen Eindruck. Sie sind alle gleich lang. Der Künstlerin scheint es nicht auf eine realistische Wiedergabe anzukommen. Die „Hände“ sollen offenbar ein Gefäß sein, in dem das Gesicht wie in einem Kelch ruht. Ihre Größe lässt an jemand Größeren denken, so wie es etwa im Psalm 139,5-6 heißt: „Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich. Zu hoch ist für mich dieses Wissen, zu hoch, ich kann es nicht begreifen.“

Ein geheimnisvolles Geschehen scheint diese Frau in tiefe Nachdenklichkeit gestürzt zu haben. Ein Schatten hat sich über ihr Gesicht und den oberen Teil der Hände gelegt und erinnert an die „Kraft des Höchsten“, die Maria bei der Verkündigung überschatten wird (Lk 2,35). Ihre Stirn und ein Teil ihrer Augen werden allerdings von einem weißen Licht in Form eines Dreiecks erhellt. Erleuchtung von oben und von außen wird suggeriert, von einem, der selbst Licht ist und dieses Licht in das menschliche Dunkel bringen will durch diese Frau.

Doch das Gesicht bleibt fragend, die Augen gehen suchend in die Ferne. Schriftzeichen äußern gleichsam eine listenartige Folge von Gedanken, die Maria beim Anspruch Gottes durch den Kopf gegangen sein müssen. „Wie soll das geschehen?“ Mit durchdringendem Blick lotet sie im Dialog mit der dreieckigen Lichtquelle die Bedeutung der Worte des Engels aus.

Auch wenn die Fingerformen zwischendurch den Eindruck erwecken, dass sich diese Frau Kissen an den Kopf drückt, um diesen Anruf nicht hören zu müssen, ist sie doch eine Hörende. Alle Hindernisse durchdringend drückt sich eine transparente Farbform geradezu gewalttätig wie eine Schallkappe an ihren Kopf. Die einzige Farbe im Bild kann nicht bedeutungslos sein: die Farbe der Liebe und des Blutes und damit des Lebens. Könnte dieses schwere Rot, das auch in einer Dreiecksform erscheint, zeichenhaft für die Schwere der Entscheidung stehen, für den Verzicht auf ein eigenes Leben, auf eigene Pläne?

Blasses Licht erfüllt das Bild. Weder Freude noch Aufbruch sind zu spüren. Eher Fassungslosigkeit, was Gott mit ihr vorhat und wie das alles geschehen soll. Aus dem Bild geht nicht hervor, was sie Gott zur Antwort geben wird. Es signalisiert lediglich eine Bereitschaft und eine Offenheit wie sie Gefäßen eigen ist. Diese Frau zeigt sich bereit, das göttliche Licht in sich aufzunehmen, es in sich zu tragen und der Welt zu schenken.

Durch den Titel hat die Künstlerin das Thema ihres Bildes vorgegeben. Aber – sie hat eine moderne junge Frau fotografiert und in die biblische Szene gesetzt und damit hat sie die Frage an Maria an uns weitergereicht. Was werde ich Gott zur Antwort geben, wenn er mich in seinen Dienst ruft? – „Ja, es geschehe wie du gesagt hast“? oder „ich weiß nicht recht, ich kann mich nicht entscheiden“ oder „das kann ich mir nicht vorstellen – warum gerade ich – nein danke – ich habe andere Pläne“? Das Bild stellt uns und unsere Verfügbarkeit in Frage. Aber immer und immer wieder werden unerwartete Aufgaben, Anforderungen in unser Leben eintreten und unsere Pläne durchkreuzen. Unsere Offenheit für Anrufe und unsere Bereitschaft Ja zu sagen zu dem, was wir als Aufgabe für uns erkennen, werden uns bereichern und können heilbringend sein – wie bei Maria.

Ignoranz

Ein Bildausschnitt: Eine dunkelhäutige Frau lehnt sich an die nackte Brust eines um einen Kopf größeren weißen Mannes. Sie ist im Profil dargestellt und schaut auf sein dem Betrachter frontal zugewandtes Gesicht, in dem durch das fahle Licht und die verdunkelnden Schatten kein Ausdruck zu finden ist. Das Gesicht der Frau erscheint gepflegt, Lippen und Augen stark geschminkt. Sie schaut mit ruhigem Verlangen auf seinen Mund, doch er zeigt keine Reaktion auf ihr Werben. Dabei hat sie sogar ihre Hand mit einer brennenden Zigarette auf seine Brust gelegt. Die langen Fingernägel sind dunkelrot lackiert, der lange Aschenstummel weist darauf hin, dass bereits einige Zeit verstrichen ist, seit sie diese Haltung eingenommen hat.

Die Fotographie ließe uns an einen Einblick in die Welt der Prostitution denken, wäre da nicht der breite Rahmen mit einer Goldinschrift. Sein Marmoreffekt erinnert an Monumente mit Gedenkcharakter, die dezente Inschrift „IV. JESUS MEETS HIS MOTHER“ (Jesus begegnet seiner Mutter) konfrontiert uns unvermittelt mit einer Kreuzwegstation.

Plötzlich werden da große religiöse Gefühle angesprochen und unzählige Fragen ausgelöst: Eine Kreuzwegstation soll das sein? Wo ist das Kreuz? Die Dornenkrone? Das Leid bei dem Mann, der Jesus sein soll? Was soll die Zigarette? Wie kann diese eher jüngere als ältere Afroamerikanerin die Mutter von Jesus sein? – Verstörung macht sich breit bei der Betrachtung dieses angeblichen Kreuzwegbildes, Empörung. So eine Darstellung ist skandalös, pietätlos! Wieso wird so etwas alle moralischen und sittlichen Schranken Durchbrechendes und Gefühle Verletzendes gemacht?

Was hier großformatig und theatralisch inszeniert wurde, und die weiteren Bilder bestätigen dies, hat nichts mit dem Leidensweg von Jesus vor etwa zweitausend Jahren in Jerusalem zu tun. Allein schon von der Größe her sind die Bilder weniger für die Kirche als vielmehr für die Welt geschaffen. Ein profaner Kreuzweg, bei dem Jesu Kreuzweg den Künstlern als entfernte Vorlage und bekannte Rahmengeschichte dient, um die ganz menschliche Leidensgeschichte von geschlechtlichem Verlangen, von Ignoranz und Enttäuschung zu erzählen. Um zu zeigen, wie sehr dies zu allen Menschen gehört, wird die Person von Jesus schockierender Weise in jedem Bild von jemand anderem, auch von Frauen, dargestellt.

In Anlehnung an die Begegnungen auf dem Kreuzweg sind Personen ins Bild gebracht, die ein aus vielen negativen Erfahrungen heraus entstandene seelische Leid verkörpern. In unserem Bild bringt der Mann Gefühlsarmut und Herzlosigkeit zum Ausdruck. Er kann sich nicht mehr anderen zuwenden! Was für ein Kontrast zu Jesus, der alle Menschen geliebt und sich ihnen zugewendet hat, gerade den von der Gesellschaft durch ihre Fehler und ihr Anderssein Ausgegrenzten! Die gezeigte Frau könnte diesbezüglich sowohl für die Prostituierten wie auch für die „Andersfarbigen“ stehen.

Der geradezu abweisende „Jesus“ befremdet. Wurde er vielleicht so dargestellt, um zu sagen, dass ihn unsere Armut und all unsere Fehler, die er auf sich geladen hat, gezeichnet, gefoltert und gewissermaßen bis zur Unkenntlichkeit entstellt haben? Wird durch ihn deutlich, wie sehr wir Menschen der Erlösung, wie sie durch Jesus vielfach geschenkt wurde, bedürfen, damit unsere wahre Menschengestalt wieder zum Vorschein kommen kann?

Die Bilder geben keine Antwort. Sie lassen den Betrachter mit vielen Fragen verwirrt stehen. Denn die Fotografien führen nicht zu Jesus, sondern pervertieren ihn so grundsätzlich in seinem Wesen, wie es uns überliefert ist, dass ihm Gewalt angetan wird. Jesus war nicht der in sich Verschlossene, Kommunikationsunfähige, sich unerreichbar Gebende, der nur mit seiner Männlichkeit reagiert.

In der Autonomie der Kunst ist diese Verfremdung, die alle bisher bekannten Kreuzwegdarstellungen pervers kreuzt, vielleicht legitim. Die meisten Gläubigen werden sich jedoch von solchen ästhetisierenden, oberflächlichen Darstellungen abwenden, weil ihnen einerseits religiöser Respekt und inhaltliche Tiefe fehlen, andererseits die durch die dunklen Hintergründe zeit- und ortlosen Fotografien von einem Körperkult geprägt sind, der jeden spirituell ausgerichteten Menschen in seinem geistigen Verlangen verhungern lässt.

Wir könnten die Bilder dieses Kreuzwegs aus Protest ignorieren. Aber sie stellen nun einmal eine, wenn auch sehr begrenzte Reflektion der Leiden unserer Zeit dar. Deshalb sollten wir ihre Existenz durchaus wahrnehmen und die Herausforderung zur Auseinandersetzung und Stellungnahme annehmen. Gerade weil die Bilder aufwühlen und Althergebrachtes verletzend in Frage stellen.

Damit macht dieser Kreuzweg schmerzhaft bewusst, dass unser Glaube auf der einen Seite immer wieder solche „unverschämten Angriffe“ von außen braucht, um beweglich zu bleiben und sich weiterzuentwickeln, auf der anderen Seite sich nicht auf äußere Erscheinungen stützen kann und darf, sondern fern aller visuellen Ausdrucksweisen und Stützen in einer geistigen Grundhaltung und Verbundenheit wurzeln muss.

Kontakt

Auf der großen Bildtafel begegnet uns eine Fülle von in Blautönen gehaltenen Einzelszenen. Was stellen sie dar? Durch die verschwommenen Formen bleibt das auf den 96 quadratischen Fotografien Gezeigte geheimnisvoll verhüllt oder entrückt. Distanz! Doch trotz aller Unschärfe weisen die weichen Schattierungen auf menschliche Körperteile hin, die stark vergrößert, sehr nahe und nur ausschnittweise fotografiert wurden. Nähe! Diese Detailaufnahmen sind wie Teile eines rätselhaften Puzzles, in welchem der Mensch in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen angedeutet wird. Alle zusammen ergeben ein ungewöhnliches Ganzes, das mit dem Betrachter Kontakt aufnimmt, mit ihm ins Gespräch kommt.

In der Spitalkirche, in der das Bild hängt, ist das etwas ganz Wichtiges. Menschen, die sich hier einfinden, machen meist eine leidvolle Phase durch. Jede Krankheit und jede Operation birgt in sich viel Ungewissheit und Angst. Das geschliffene Acrylglas spiegelt die Unklarheit des Danach. Die Hoffnung auf Gesundung und Heilung ist da. Doch ohne Durchblick braucht es viel Zuversicht und Vertrauen in die Ärzte, die PflegerInnen und die Medizin, ein gläubiges Schauen über das jetzt Sichtbare hinaus. Die Blautöne des Bildes mögen die Zwiesprache mit dem Himmel eröffnen, das Gebet zu Gott erleichtern.

Der nach Halt suchende Blick vermag mit der Zeit auf den Fotos Nahaufnahmen von Händen zu entdecken. Tatsächlich hat der Künstler Hände von Ungeborenen bis zu Sterbenden ins Blickfeld gebracht. Hände, die berühren, Verbundenheit zeigen, streicheln, beten, helfen, arbeiten, trösten, schützen …

Neben den Augen hängen unsere Handlungen wesentlich von unseren Händen ab. Mit den vergrößerten Bildausschnitten und Handteilen werden einzelne Schicksale stellvertretend hervorgehoben und gleichzeitig in ein großes Ganzes eingebettet. So reihen sich Einzelschicksale, die sich ähnlich sind, aneinander, neben- und übereinander. Eine mit Krankheit und Tod ringende Schicksalsgemeinschaft findet sich in diesem Raum und vor diesem Bild zusammen, um in Gemeinschaft mit Jesus Christus, der Leid und Tod überwunden hat, Kraft zu schöpfen.

„Kommt alle zu mir, die ihr Euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen“, verkündigte Jesus (Mt 11,28). Er hatte keine Berührungsängste und legte den Kranken seine göttlichen Hände auf (8,15; 9,25), sie rettend (14,31), heilend (4,23; 9,29), segnend (19,13-15).

Über die Momentaufnahmen der Hände hat der Künstler mit malerischen und zeichnerischen Mitteln eine zweite, diesmal dynamische Ebene gelegt. In einer leichten Aufwärtsbewegung durchquert diese künstlerische Intervention das Bild von links nach rechts. Mit dem blauen Rechteck und der weißen, nach rechts auslaufenden Übermalung ist auf der linken Seite ein starker Akzent gesetzt, der auf der rechten Seite von ansteigenden Linien aufgenommen und fortgesetzt wird. Weiße Farbspritzer begleiten diese Bewegung, die Zeit und Krankheit, den operativen Eingriff und heilende Prozesse zur Sprache bringen. Übrig bleiben Narben und Einschränkungen, die das wiedergewonnene Leben zeichnen, aber nicht mehr wie vorher zudecken. Das tröstet und stärkt die Hoffnung, bald selbst wieder handeln zu können.

Fußwaschung

Der Fuß in der Bildmitte, die gewellten Haare wie ein Vorhang auf der linken Bildseite, die beiden Hände, welche die Haare zum Fuß führen: deutlicher kann nicht auf die berühmte Begebenheit im Hause des Pharisäers hingewiesen werden.

Das Bild stammt aus einem Video, in dem Maria Magdalena vor allem durch ihre Haare thematisiert wird (Schwimmen mit offenen Haaren – „Fußwaschung“ – Kämmen der Haare). In der biblischen Erzählung wird der Name der Frau allerdings nicht erwähnt. Die Sprache ist von einer „Sünderin“. Erst die Tradition hat Maria Magdalena durch ihre Umkehr und Nachfolge mit der Sünderin in Verbindung gebracht. Lukas schreibt: „Als nun eine Sünderin, die in der Stadt lebte, erfuhr, dass Jesus im Haus des Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl und trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl.“ (Lk 7,37-38)

Lukas geht es um die Reue, um die Umkehr dieser Frau. Sie wendet sich Jesus so radikal zu und erhofft von ihm durch diese starke Handlung so viel Vergebung, dass der Hausherr Anstoß daran nimmt (V. 39) und Jesus ihn mit einer Lehrerzählung über Schuldvergebung zurechtweisen muss (Vv. 41-43). Argumentativ und vergleichend mit dem nicht erfolgten Handeln des Hausherrn zählt Jesus die Handlungsschritte der Frau auf: Fußwaschung mit ihren Tränen, Trocknen mit den Haaren, Küssen der Füße und Salben mit wohlriechendem Öl. Aufgrund dieser umfassenden Liebesbezeugung spricht er die erlösenden Worte: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ – „Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!“ (Vv. 48.50)

Im Videostill von Marta Deskur ist nur das Abtrocknen der Füße herauszulesen. Das Benetzen, Küssen und Salben der Füße bleibt für den Betrachter dieses Filmausschnittes im Verborgenen. Doch mit der Unschärfe in den Haaren wird Bewegung und Handlung signalisiert. Die ungewöhnliche Begegnung wird betont. Auf der einen Seite die Haare, die des Menschen Kopf als räumlich höchstes Gut zieren und schmücken, auf der anderen Seite die Füße, die als unterster Körperteil den Menschen tragen und fortbewegen. Eigentlich kommen sie nie miteinander in Berührung. Um so außergewöhnlicher, wenn die Haare die Füße berühren, streifen, trocknen. Die innere Haltung der Sünderin wird so überzeugend stark zum Ausdruck gebracht.

Mit der jungen Frau, die durch ihr langes Haar und die feinen Finger eher kindliche Züge aufweist, bringt Marta Deskur allerdings weniger die Sünde, als vielmehr die Unschuld ins Bild. Wurde die Frau in der Bibel erst durch die Sündenvergebung wieder rein und gewissermaßen in den Urzustand zurückgeführt, spricht Marta Deskur mit ihr von Anfang an die Thematik der Unversehrtheit, Unschuld und Reinheit an (Fußwaschung und Reinheit werden auch in der einzigen vergleichbaren Handlung von Jesus in Joh 13,1-12 thematisiert).

Ist es nicht die Sehnsucht nach dieser kindlich-göttlichen Reinheit, welche die Sünderin den Weg zu Jesus finden und diese eindrückliche Handlung vollziehen ließ? In der eigenen Erniedrigung wurde sie gesehen und durch die göttliche Vergebung erhöht. Ist da nicht das ganze Magnifikat Mariens herauszuhören (Lk 1,46-55)? Und kommt dies visuell nicht auch in der durch die Hände und den Fuß gebildeten aufsteigenden Bilddiagonale zur Sprache? Der Sünderin wurde durch Jesus das reine Herz wiedergeschenkt, damit sie der Seligpreisung gemäß wieder Gott schauen konnte (Mt 5,8). Uns mag das Bild vielleicht anregen, über zeitgemäße und aussagestarke Gesten der Reue, der Demut und der Zuwendung zu Jesus nachzudenken.

Stillende Mutter

Eine Mutter hält ihr neugeborenes Kind zur Nahrungsaufnahme an ihre Brust. Ein Bild, das uns immer wieder mal begegnet und doch nichts Alltägliches ist. Wieviel Haut die Frauen unserer Zeit auch in der Öffentlichkeit zeigen, das Stillen eines Kleinkindes geschieht meistens zurückgezogen in einem ungestörten Raum.

Wir schauen seitlich auf die sitzende Frau und das Kind auf ihrem Schoß. Mit dem rechten Arm hält sie es an die entblößte Brust, während ihre linke Hand beschützend auf dem Kind ruht. Der Blick der Frau geht seltsam in die Leere. Haben die vergangenen Monate sie so mitgenommen und ausgelaugt, dass sie kaum mehr Energie hat, das Kind zu nähren? Oder ist sie mit ihren Gedanken in einer anderen Welt? Geht sie im Geist nochmals die beschwerlichen Monate der Schwangerschaft und der Geburt durch? Oder überlegt sie sich, was wohl aus dem Kind werden wird?

Mutter und Kind sind nur mit drei Stoffstücken bekleidet: einem roten Samt um den Hüftbereich der Frau, einem blauen schleierartigen Tuch über ihrem Hinterkopf und dem Rücken. Ein heller glänzender Stoff ist als Windel um die Hüfte des Kindes geschlungen. Das Bild könnte einfach ein schönes Portrait einer Mutter mit ihrem Kind sein, doch die „Inszenierung“ lässt an Maria denken, auch wenn im Vergleich mit herkömmlichen Mariendarstellungen mit der entblößten Schulter irritierend viel nackte Haut gezeigt wird.

Im blauen Schleier leuchtet die Farbe des Himmels auf. Er weist auf den göttlichen Vater hin, der ihr durch seinen Heiligen Geist das Kind anvertraute (Lk 1,35). Der Schleier erscheint zudem wie ein bergendes Zelt, das die Frau und ihr Kind vor den Gefahren der sie umgebenden Dunkelheit beschützt (Ps 27,6). Auch die Dreieckskomposition, durch den waagrechten Unterarm in ihrer Basis betont, lässt an den dreifaltigen Gott denken. Durch Maria hat er in Jesus Christus sein „Zelt“ auf unserer Erde aufgeschlagen und einige Zeit unter uns gewohnt. Wie wir ist er aus einer Mutter hervorgegangen und Mensch geworden. Durch die mütterliche Brust ist er in den ersten Monaten ernährt, durch ihre fürsorglichen Hände ist er gepflegt worden, durch ihre aufmerksame Nähe hat er Liebe und Geborgenheit erfahren.

Das Bild mag Gedanken an unsere ersten Lebensjahre wecken … und Dankbarkeit für alles, was unsere Mutter für uns getan hat. Und die Mütter mag das Bild vielleicht an die Zeiten des Stillens erinnern … und an die einzigartigen Momente, die sie dadurch erleben durften.

Diese Bildinterpretation gibt nicht die Intention der Künstlerin wieder, sondern stellt die subjektive Leseart des Autors und nur einen Zugang unter anderen möglichen dar.

Das Madonnen-Projekt von Birgit Dunkel umfasst insgesamt 35 fotografische Arbeiten, welche alle im Katalog abgebildet sind: Birgit Dunkel, „madonnen“, Internationalismus Verlag Hannover 2002, ISBN 3-922218-74-1, Euro 15,-. Erhältlich im Buchhandel oder bei der Künstlerin.

Auserwählt

Eine dunkle und eine helle Fläche prägen das diagonal unterteilte Bild. In der Bildmitte ist an der Schnittstelle zur hellen Bildfläche der Kopf einer jungen Frau zu sehen. Ihre Augen sind weit, ihr Mund ist leicht geöffnet.

An ihrer Seite, leicht erhöht und ganz in blaues Licht getaucht, ist der Kopf einer weiteren Frau zu sehen. Sie berühren sich auf Stirnhöhe, sind einander zugewandt, scheinen miteinander zu sprechen und in einem Gedankenaustausch zu stehen. Das blaue Licht hat sich pfeilförmig auf der Stirn der aus dem Dunkel auftauchenden Frau ausgebreitet. Gleichzeitig weist in der Diagonale ein schmaler Lichtstrahl auf die Stirn dieser Frau und scheint sie zu berühren.

Käthe Haase Kornstein hat die Verkündigung an Maria mit den heutigen Gestaltungs- und Ausdrucksmitteln dargestellt. Die Bildmontage zeigt die mystisch „berührende“ Begegnung zweier Frauen und konzentriert sich auf die beiden Köpfe. Feinfühlig und doch bestimmt übermittelt der im Licht stehende Himmelsbote seine ungewöhnliche Botschaft an Maria. Dennoch erschrickt Maria und fragt sich, was der Gruß wohl zu bedeuten habe und wie sie als Jungfrau einen Sohn empfangen und gebären könne (Lk 1,29.34). Diese Fragen stehen der durch Gott aus dem „Dunkel der Geschichte“ hervorgerufenen Frau ins Gesicht geschrieben. Worauf der Engel zu ihr sagte: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.“ (1,35)

Die Kraft des Höchsten, der Heilige Geist, der Maria überschatten wird, darf weniger in der halbseitig das Bild füllenden Dunkelheit als vielmehr im vom oberen Bildrand auf die Stirn Mariens zeigenden Lichtstrahl gesehen werden. Hier ist eine formale Ähnlichkeit mit der aus dem Himmel herabkommenden Hand Gottes in der christlichen Malerei festzustellen, die zum Ausdruck bringt, dass sich Gott einer Person zuwendet und zu ihr spricht. Die Kraft des Höchsten kommt noch in einem zweiten Element zur Geltung: Vom Engel ausgehend fließt etwas von dem luziden Himmelsblau auf das Gesicht Mariens über und „überlichtet“ bzw. bedeckt es wie um zu zeigen, dass ihre Gedanken nun vom göttlichen Auftrag erleuchtet und erfüllt sind.

Das Bild bringt die Ernsthaftigkeit des Gesprächs zwischen dem Engel und Maria zum Ausdruck. Es vermittelt auch die notwendige Auseinandersetzung in Maria, bis es in ihr „gedämmert“ hat, dass sie eben auserwählt und berufen worden ist, der Welt den Sohn Gottes zu gebären. Und es lässt in der Nacht-Tag-Symbolik auch die Zeit spürbar werden, die Maria wahrscheinlich gebraucht hat um sagen zu können: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ (1,38)

Mit der vielschichtigen Bildkomposition und der Darstellung einer Frau unserer Zeit wird die „Frage an Maria“ auch zur Frage an uns: Wie würde ich auf die Botschaft des Engels antworten? Wie würde es mir mit dieser „Empfängnis“ durch den Heiligen Geist ergehen? Wie würde ich mit einem Kind umgehen, das meines ist und doch mehr als alle anderen der ganzen Welt gehört?

Einsicht

Eine verwirrende Vielschichtigkeit kommt mir auf diesem Bild entgegen. Auf dem dunklen Hintergrund reflektieren Fenster, Gesichter, ein Buch und lichtes Blätterwerk um ein zentrales Kreuz mit klaren Konturen.

Wie eine Geschichte gruppieren sie sich um das Kreuz als Symbol für den Opfertod Jesu. Auf ihm ist allerdings nicht der Gekreuzigte zu sehen, sondern von rechts unten wächst grünes Blätterwerk ins Kreuz hinein und belebt es. Dadurch ist es nicht ein Kreuz des Todes – davon erzählt nur noch ein roter Fleck –, sondern vielmehr ein Zeichen der Auferstehung und des Lebens. Der dunkle Spalt rechts unten im Ockergelb des Lichtfensters, es könnten Felsbrocken sein, erinnert an das offene Grab, ohne welches das Verständnis vom Kreuz für immer verdunkelt bleiben würde.

Nachdenklich neigt sich der zur Hälfte gezeigte Frauenkopf dem Kreuz zu. Eine gedankliche Verbindung ist zu spüren, ein Anlehnen an diese Kreuzerfahrung, ein gegenseitiges Durchdringen und Austauschen in der Stille. Vom Rand zur Mitte und von der Mitte zum Rand alle Lebensbereiche auszuloten.

Auf der anderen Seite des Kreuzes sind nur schattenhafte Konturen auszumachen. Ein weiteres Gesicht ist nicht herauszusehen. Sind es schwache Erinnerungen an Menschen, mit den ich besonders durch das Kreuz und den Glauben verbunden bin? Hier könnte eine Verbindung mit dem Buch, vielleicht einem Tagebuch, bestehen, in dem diese Begegnungen über das lose Notizblatt hinaus festgehalten worden sind. Wie wir Menschen der Gegenwart ein Gesicht geben, erhält aus solchen Erzählungen die Vergangenheit ein Gesicht.
In Anlehnung an den „hortus conclusus“ – den von der Außenwelt abgeschlossenen Garten, in dem sich Maria mit dem Christuskind aufhält – hat die Künstlerin Käthe Haase Kornstein die Begegnung mit Gott in mystische Farben getaucht.

Wie Jesus seine Zeitgenossen beim Almosen geben, Beten und Fasten eingeladen hat, in der Stille des Herzens und in der Abgeschiedenheit vom hektischen Alltag die Zweisamkeit mit dem himmlischen Vater zu suchen (vgl. Mt 6,4.6.18), so lädt mich dieses Kunstwerk ein, die Stille aufzusuchen, um dort auf Gottes Wort zu hören.

Das Foto ist mir Anregung, meinen eigenen hortus conclusus zu suchen, den Ort der Einkehr, Besinnung und der mystischen Zwiesprache mit Gott. Ein Ort, wo geistliche Anregungen in mir auf fruchtbaren Boden fallen können, Neues in mir aufbrechen lassen, vielleicht auch tot Geglaubtes wiederbeleben, in neuer Kraft, wie das Grün des Kreuzes.

Die beiden Fenster im oberen Bildteil könnten dann als Lichtblicke interpretiert werden – oder als lichte Flügel, die uns durch die vertieften geistlichen Einsichten über die bisherigen Horizonte hinaustragen.

Jesus?

Immer wieder stellt sich dem Gläubigen die Frage nach der Gestalt von Jesus. Wer war diese Person, die von den Propheten Jahrhunderte im voraus angekündigt worden war, während seines öffentlichen Wirkens Scharen von Menschen faszinierte und dessen Botschaft und Auferstehung zur Gründung der Kirche geführt hat? Stellungnahmen ergeben sich aus persönlicher Betroffenheit und aus dem Zeitgeist heraus.

Anlässlich des international ausgeschriebenen Wettbewerbs „Jesus 2000“ schuf der Künstler Gerhard Knell dieses Bild. Der virtuelle Raum und der Fernsehturm erzeugen ein futuristisches Bild unseres Bilder- und Medienzeitalters, gleichzeitig knüpfen das transparente Trägermaterial und die von hinten beleuchteten Farben an die großen gotischen Kirchenfenster an. Die Bildschirme ergeben zusammen die Gestalt eines Kreuzes. In der Mitte ist das Antlitz Jesu erkennbar, rechts und links davon große blaue Hände. Die unteren beiden Bildschirme zeigen Ausschnitte aus dem Turiner Grabtuch.

Der oberste Fernseher ist nach links abgedreht. Sein Bildschirm erscheint wie ein Aquariumglas, hinter dem ein Fisch schwimmt. Die sechs Fernseher wie ihre Bildbotschaft erinnern an eine aufrechte menschliche Gestalt und rufen seinen Tod und seine Auferstehung ins Bewusstsein. Sie sind gleichsam Fenster auf ein vor langer Zeit Geschehenes, auch mit Hilfe von Ikonen oder Reliquien wie des Turiner Grabtuches.

Wände und Decke zeigen großformatige Portraits von drei Männerköpfen. Der rechte Kopf trägt einen Bart und wird durch den weit aufgerissenen Mund und die großen Augen charakterisiert.  Im Gegensatz zu diesem „lauten“ Gesicht zeigt die linke Wand ein asketisch strenges Gesicht, dessen Augen auf das „Kreuz“ fixiert sind. Ob es sich um die beiden Schächer am Kreuz handeln soll, die mit Jesus gekreuzigt worden sind? In ihrer Todesstunde haben sie Stellung bezogen in Bezug auf Jesus. Der eine schrie: „Bist du nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns! „ Der andere wies ihn darauf zurecht und sagte zu Jesus: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ (Lk 23,39-43)

Und der Kopf an der Decke? Obwohl wir von oben auf ihn herunterschauen, schaut er auf uns herunter, bzw. auf den „Kreuzaltar“! Soll dieses Gesicht den Vater Jesu vergegenwärtigen, der auf ihn schaute und ihm in seiner Liebe und Nähe Geborgenheit schenkte? – Da kein Hinweis zu erkennen ist, kann auch einfach eine dritte Stellungnahme in diesem Portrait gesehen werden. Dieser Mensch schaut auf das Kreuz nieder, er entdeckt es gerade unter sich, vielleicht sogar als tragendes Element seines Lebens!

Bei der Betrachtung dieser drei großen Köpfe fällt das zentrale Antlitz Jesu durch seine kleine Größe, seine Unschärfe, vor allem durch seine frontale Gegenüberstellung auf. Die ganze Kraft der aus den umgebenden großen Gesichtern kommenden Blicke fokussiert sich in seinem Gesicht, das den Betrachter anschaut. Und Du, was denkst Du vom Menschensohn? (Mt 16,13)

Wie ein Nachrichtensprecher ist er abgebildet. Aber er ist mehr. Er selbst ist die Botschaft, sein Leben selbst ist die gute Nachricht, die Leben schenkt und in allen Häusern und bei allen Menschen verkündet werden will. Und wer ist Jesus für Dich? Was denkst Du vom „Messias, dem Sohn des lebendigen Gottes?“ (Mt 16,16)

Maiandacht mit Maria

Ein Andachtsbild für Zuhause. Klein und unaufdringlich, fein gearbeitet. Zum Innehalten einladend, wie die ange- zündete Kerze, deren leuchtende Flamme von Gott kündet und alles in Sein feierliches Licht kleidet.

Andacht – andächtiges „Andenken“ – an jemanden Denken. In eine geistige Welt eintauchen. Erinnerungen, und Bezieh- ungen aufgreifen, sorgfältig festhalten. In Gedanken kreisen, zum Bewegenden hintanzen, wie die Form der Hände.

Es könnten meine Hände sein, die sich verlangend in diesen „geistigen“ Raum hineinstrecken. Aber es sind dieHände von einem Gegenüber, die das kleine Bild umgeben. Wie mir hinhaltend, doch nicht berührend. Sehnsucht weckend, das Geheimnis des Glaubens anklingen lassend.

Der breite Rahmen schützt diesen geistigen Raum wie dicke Mauern vor den Vereinnahmungen des Alltags. Er markiert diesen besonderen Platz im Haus, ist Tor zur geistigen Welt, Teil der Kirche, wie das kleine Bild im Hintergrund.

Ausschnitt, bzw. Einsicht in eine Kirche. Nur der Arm der Freisinger Madonna in der Pfarrkirche Jetzendorf aus dem 18. Jh. ist zu sehen. Nicht sie steht im Mittelpunkt des Bildes und damit der Be(tr)achtung, sondern die weiße Lilie. Symbol der unbefleckten Empfängnis und der Reinheit ihres Herzens. Maria sammelt unsere Sehnsucht und unser Gebet, um es zusammen mit ihrem eigenen Gebet vor Gott zu bringen.

Maria und mich verbindet diese Sehnsucht nach Gott, das Suchen seines Angesichts. Ich höre die Worte des Psalmisten: „Vernimm, o Herr,  mein lautes Rufen; sei mir gnädig, und erhöre mich! Mein Herz denkt an dein Wort: „Sucht mein Angesicht!“ Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.“ (Ps 27,7-8)

Mitten im Alltag ist gerade Maria, weil sie so ganz in unserer Welt verwurzelt und doch ganz auf Gott ausgerichtet war, eine wunderbare Mittlerin und Fürsprecherin. So erinnert sie uns wie das in der Wohnung aufgehängte Kreuz an Sein heilwirkendes Leben auf der Erde und hilft uns, im Geist immer wieder neue Zugänge zu Ihm zu finden, der unsichtbar unter uns lebt und wirkt.