Standortbestimmung

Unwirklich zerreißt das lilafarbene Element die mit roten Strichen fein strukturierte Fläche. Die Schatten an seinen Rändern wirken bedrohlich dunkel und unheilvoll. Die rote Intensivierung auf der anderen Seite lässt wiederum an schmerzhaft entzündete Wundränder denken. Die Schattierungen suggerieren einen Absatz, eine Tiefe oder auch ein Dahinter – auf jeden Fall eine andere, durchaus auch geheimnisvolle Ebene, weil sie sich nicht gleich erschließt. Die ungleichen „Bruchkanten“ oder die Ränder des „Risses“, die nicht „zusammenpassen“, tragen das ihre dazu bei.

Beidseits dieses lilafarbenen Elements breiten sich Flächen mit intensiver roter Schraffur aus. In den unteren zwei Dritteln ist die Struktur durch die Zweifarbigkeit ruhiger als oben gestaltet, besitzt aber wegen der Verdichtung im unteren Bereich dennoch aufstrebenden Charakter. Dazu trägt auch der helle Saum ganz unten und der größere Weißanteil am oberen Rand bei. Die Fläche oberhalb des lila Streifens ist durch einen dichten gelblich-roten Bereich intensiver als unten gestaltet. Dadurch wirkt er im Vergleich zu seinem Pendant unten wärmer und stärker.

Was sich uns beim Betrachten eines digitales Abbildes entzieht, ist die Tatsache, dass die roten Striche, welche das ganze Bild wie eine Textur überziehen, im Original nicht additiv, also durch Hinzufügen von Farbe, sondern durch Abkratzen von Farbe entstanden sind. Mit einem Messer hat die Künstlerin die oberflächliche Farbschicht aus Ölpastell weggeschabt, damit die rote Grundierung aus Acryl, welche auch den Rand der Arbeit bildet, wieder zum Vorschein kommt.

Reinhild Gerum hat mit dieser Technik in den letzten 15 Jahren über 170 Blätter gestaltet. Sie hat damit wenige Tage nach dem Attentat auf die Twin Towers in New York angefangen. Sie schreibt dazu: „Der Vorgang dieses Abkratzens ist zerstörerisch, andererseits gelingt es nur auf diese Weise, das Rot, welches Kraft und Energie pur spüren lässt, zum Vorschein zu bringen. Rot als Farbe der Auflehnung gegen die Schreckstarre, die damals rundum wahrzunehmen war. Es ging in dieser Situation der Verwirrung und Verunsicherung um die Bestimmung der persönlichen Lage, die täglich mit der Auswahl der Farben auszuloten war.“ (Reinhild Gerum, Zeichnung und Installation, 2012, S. 54)

Der Bedrohung und Verunsicherung stellt die Künstlerin die Standortbestimmungen gegenüber. Immer und immer wieder. Erinnernd, fragend, ins Heute vergegenwärtigend: Wo stehe ich? Wo befinde ich mich aktuell? Wo will ich hin? Die Serie der Standortbestimmungen bildet die Notwendigkeit ab, immer wieder innezuhalten, sich selbst auszuloten und seine Mitte zu finden. Sie motiviert, sich mit der Gegenwart und ihren vielfältigen Anforderungen auseinanderzusetzen, um sich selbst und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Gerade wenn Erschütterung und Verwirrung, Zerstörung und Angst drohen uns handlungsunfähig zu machen. Die Bilder ermutigen, sich mit Brüchen und Wunden in unserem Leben auseinanderzusetzen und erstarkt aus ihnen herauszugehen.

Bild und Abbild

Oberfläche
Wir sehen einen Kopf. Wir erkennen ihn an der Anordnung der Augen, der Nase und des Mundes. Auch wenn er um 180 Grad gedreht „auf dem Kopf“ dargestellt ist, auch wenn die Farben nur wenig mit unserem Aussehen gemeinsam haben, auch wenn der Kopf im Vergleich zu unserem riesengroß ist.

Die Kopfform füllt mit seiner Größe das Bildformat praktisch aus. So ist von seinem Körper nichts zu sehen und vom Hintergrund nur dunkelblaue Farbe. Die Außenlinien des Kopfes sind sehr einfach gehalten und für die runde Form eines menschlichen Kopfes recht gerade bzw. kantig ausgefallen. Allein betrachtet wirkt die Kopfform in der dunklen Umgebung wie ein Gefäß, in dem sich die Landschaft der menschlichen Physiognomie entfaltet. Zuerst fällt die farbliche Dualität auf, dieses Wechselspiel von Fleischfarben bis Rosa auf der linken Seite und dem kräftigen Grün auf der rechten Seite. So stark sie die eine Seite prägen, sind sie doch auch partiell auf der Gegenseite zu finden. Die grüne Farbe zum Beispiel als Augenbraue oder als linke Abgrenzung der Nase, die rosa- bis braunfarbigen Elemente finden wir im ganzen grünen Bereich. So verschränken sich die helle und die dunkle Seite farblich ineinander. Licht und Schatten kommen dadurch in diesem Gesicht zum Ausdruck. – Licht- und Schattenseiten des menschlichen Daseins?

Zwei weitere Farben sind in diesem Gesicht wesentlich. Auf der Höhe der Augen und des Mundes finden wir einen blauen Dreiklang (linker Augapfel, rechte Pupille und Haarsteifen, linke Mundhälfte), während die grau-weiße Farbe mit seiner Anwendung an Kinn und Nase eine starke vertikale Komponente beinhaltet. Während Rosa und Grün irdisch-materielle Farben (Fleischton = Mensch, Grün = Natur) sind, bringen Blau und Weiß eine himmlisch-spirituelle Dimension ins Gesicht, die mit dem Tiefblau des Hintergrundes korrespondiert. Im Weiteren fallen die großen, offenen Augen auf, der leicht geöffnete Mund und dass kaum Haare zu sehen sind.

Assoziationen
Yin und Yang, Heilandsgesicht von Jawlensky, Dornenkrone, Gefäß. Die dominierenden zwei Farben, die ineinander übergehen, erinnern an Yin und Yang bzw. das bekannte Symbol das Taijitu, in dem das weiße Yang (hell, hart, warm, männlich, Aktivität) und das schwarze Yin (dunkel, weich, kalt, weiblich, Passivität) gegenüberstehend dargestellt werden. Sie stehen für polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene Kräfte oder Prinzipien.
Zu Jesus können uns zwei Details führen. Zum einen die braune Augenbraue, die mit ihren Querstrichen gleichzeitig eine Dornenkrone andeutet, zum anderen die vereinzelte Locke, die auch in den Heilandsgesichtern bei Alexej Jawlensky zu finden ist. Mit ihnen hat der Kopf von Georg Baselitz auch die stilisierten Formen gemeinsam.
Assoziationen an ein Gefäß mögen durch die relativ geraden Formen entstehen, die unten und seitlich geschlossen gemalt sich, während der obere Abschluss offener gestaltet ist.

Inhaltliche Annäherung und Erschließung
Die Frage zu stellen, wem dieser Kopf wohl gehören mag, erscheint in Kenntnis des Bildtitels wahrscheinlich überflüssig oder gar unsinnig. Aber kennen Sie ABGAR und den Grund, wieso er mit einem Portrait einer Person in Verbindung gebracht wird?

Abgar V war zur Zeit Jesu König von Edessa, einer Stadt im nördlichen Griechenland. Die Legende berichtet von einem Briefwechsel zwischen den beiden, in dem der erkrankte Herrscher Jesus bittet, ihn zu heilen. Jesus konnte aber nicht selbst kommen und versprach, zu einem späteren Zeitpunkt einen Jünger zu schicken. Dieser Auftrag soll nach Christi Himmelfahrt durch den Apostel Thomas an Judas Thaddäus weitergeleitet worden sein. Ob dem so gewesen ist, ist unklar und bleibt Legende. Viel Wesentlicher an der Legende ist die Überlieferung, dass Jesus selbst dem König Abgar einen Abdruck seines Gesichtes geschickt haben soll, das erste Vera Icon. Dies, weil der König an Jesus geglaubt hat, ohne ihm je begegnet zu sein. Die ältesten Beispiele dieser wunderbaren, wahren Portraits sind seit dem 4. Jahrhundert aus der byzantinischen Kirche bekannt. Auch die römische Kirche kennt solche Vera Icons, ich erinnere nur an das in Rom aufbewahrte Mandylion oder den Schleier von Manopello als „nicht von Menschenhand gemachte Bilder“ (Acheiropoieton), bei denen das Mandylion gemalt ist, während sich der Abdruck des Antlitzes Jesu auf dem Stofftuch von Manopello nicht erklären lässt.

Mit dieser Abgarlegende verbindet der Künstler seinen Abgarkopf. Außer der Abbildung eines Kopfes scheint sein Kopf wenig mit den wahren Bildern von Jesus gemeinsam zu haben. Zu groß der Unterschied. Doch genau um den Unterschied geht es Baselitz. Um die Differenz zwischen dem Original und dem Abbild hervorzuheben, malt er seit 1969 seine Bilder verkehrt herum. Er dreht nicht das fertige Bild nach dem Malen um 180 Grad, sondern kehrt das Motiv in seinem Kopf und Geist, um es dann kopfüber auf die Leinwand zu bringen. Dieses Malen entspricht seiner These: „für mich ist das Sichtbare nur eine Haut“. „Ob Vera Icon oder gemaltes Bild in der Vergangenheit oder Gegenwart, sie zeigen in letzter Konsequenz nur die Oberfläche. Sie sind, um mit Baselitz zu sprechen „nur die Haut“, haben mit dem Inhalt, der Essenz des Dargestellten nur wenig zu tun. Baselitz hätte im byzantinischen Bilderstreit, wie nahezu die gesamte Moderne, vermutlich die Ikonoklasten favorisiert, ganz aus dem Verständnis heraus, dass Bild und Abbild nie identisch zu sein vermögen, da ein Abbild wenig mehr als die Oberfläche zeigt.“ (Carla Schulz-Hoffmann, Georg Baselitz. Religiöse Bilder?, München 2013, S. 8-17)

Jesus oder Abgar?
Nach dem Seitenblick auf die Abgarlegende und den Umgang des Künstlers mit Bild und Abbild ist man versucht, das Bild als modernes Abbild von Jesus zu deuten. Sein Kopf „steht Kopf“, weil er derjenige ist, der vom Himmel, von oben, zu uns gekommen ist. Der dunkelblaue Hintergrund verweist auf seinen tiefen Glauben. Das tiefe Blau kann aber auch auf das Weltall verweisen und dadurch seine Abstammung vom ewigen Gott. In den zwei Farben des Gesichts kommen seine fleischlich-menschliche und seine schöpferisch-göttliche Natur zum Ausdruck. Ein starker Ausdruck sind die offenen, sehenden, mich anschauenden Augen. Das Dunkelblau spiegelt sich aufgehellt, gemildert in seinen Augen und auf seinen Lippen. War Jesus nicht ein Sehender, ein die Menschen Schauender, ja Erkennender, der auch mich sieht, beachtet, betrachtet? Und hat er durch seinen Mund nicht wunderbare Worte gesprochen, welche in ihrer Intensität und Unvergänglichkeit die Menschen damals wie heute ansprechen, begeistern und stärken?

Aber ist diese Interpretation stimmig? Der Künstler nennt das Portrait „Abgarkopf“. Das verunsichert. Nach ihm würde dieser Kopf also nicht Jesus, sondern König Abgar darstellen! Aber ist das so abwegig? Sein Glaube an Jesus war so groß, dass dieser ihn selig pries. Diesbezüglich kann der tiefblaue Hintergrund auch für den Glauben Abgars stehen. Abgar ist ganz Mensch, ein von Krankheit, von Vergänglichkeit gezeichneter Mensch. In ihm ringen die guten mit den zerstörenden Kräften, doch in seinem Schauen und Sprechen spiegelt sich durch das Himmelsblau sein Glaube an die rettende Kraft Gottes. Gott hält ihn. Gottes Gegenwart wird dreifach sichtbar: im dunkelblauen Hintergrund, dem hellen blauen Widerschein in Augen und auf den Lippen und letztlich in der weiße Farbe im Kinn- und Nasenbereich. Auf dem Kinn kann die weiße Farbe als weißer Bart gesehen werden und damit als Symbol für die Weisheit. Gleichzeitig „schweben“ die weißen Striche aber wie eine Wolke über dem Gesicht. Ein Zeichen für Gottes Gegenwart „über“ Abgar? Wollen die weiß aufgehellten Flächen im Nasenbereich auch andeuten, dass Gottes Geist in ihm „atmet“?

Gibt es also nur Jesus oder Abgar? Oder könnte das Bildnis auch Jesus und Abgar zugleich darstellen? Oder bringt es, noch größer gedacht, einfach jeden Menschen, männlich oder weiblich, ins Bild, der von seinem Glauben an Gott derart gehalten und durchdrungen ist, dass seine „Religio“ in seinem Schauen und Reden sichtbar werden? In der Schöpfungserzählung heißt es, dass Gott uns Menschen als sein Abbild geschaffen hat. Wo Christus in uns lebt und sichtbar wird, wo Gottes Gegenwart und Geist durch uns spürbar werden, da wird durch die „oberflächliche Haut“ hindurch wesentliche Tiefe spürbar: Derjenige, der unser Ursprung und durch alle Vergänglichkeit hindurch auch unsere Vollendung ist.

Erstpublikation in der Zeitschrift IfR – Informationen für den Religionsunterricht Nr. 70/2014, S. 65-66, Hrsg. Erzbischöfliches Ordinariat München, Ressort Bildung, Hauptabteilung Religionsunterricht

Glaubenszeugnis

Das Bildgeschehen gruppiert sich um eine breite rötliche Senkrechte, auf der im oberen Drittel der Gekreuzigte schwebt. Er ist vom Kreuzbalken abgenommen und wird optisch nur von diesem starken Band gehalten, das für die Liebe Gottes steht, die bis in die menschlichen Abgründe geht und dort mit den Menschen leidet (violette Verfärbung am unteren Ende). Dadurch und in Verbindung mit dem Holz des Corpus Christi ist das Leiden durchaus gegenwärtig. Viel stärker jedoch wirken durch die Abwesenheit des Kreuzes, die Freistellung der Hände und die erhöhte Position der Skulptur die Auferstehung und die Himmelfahrt Jesu auf den Betrachter.

Im gelben Licht wird seine Himmelfahrt von Engeln begleitet. Sie schweben auf der intensiv-roten Linie, die von ganz unten in die Höhe führt und durch ihr Pendant diagonal gegenüber (links neben Jesus) auch mit Gott Vater in Verbindung gebracht werden darf, der seinen Sohn von den Toten auferweckt und zu sich geholt hat. Die Gestalt der gelben Fläche lässt zudem an einen Baum, durch Jesus an einen goldenen Lebensbaum denken oder auch an einen Kelch, in dem sein Blut aufgefangen und zu seinem Gedächtnis und zur Vergebung der Sünden zum Trinken gegeben wird.

Von Jesus, der seinen Kopf den Engeln zuneigt, geht die Bildbewegung über die Engel auf der Zwischenhöhe auf die andere Seite hinunter zu den Menschen. Das waagrechte Element dieser Figurengruppe bildet das Gegengewicht zum Geschehen auf der anderen Seite. In Blau gemalt bedeutet, in der Farbe des Glaubens dargestellt zu sein, des Wassers, in dem sie getauft wurden, dem Himmel, in den Jesus sie aufzunehmen versprochen hat. Sie sind als Pilgernde unterwegs, als Menschen auf dem Weg zu Gott, bereit in seinen Strahl der Liebe einzutreten, von seiner Barmherzigkeit umarmt und wie Christus erhoben zu werden. Spiegelbild der im Kirchenraum versammelten Gemeinde.

Dieses Bildgeschehen richtet auf und ermutigt. Es gibt die Bewegung der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu wieder, in der er ganz der den Menschen Zugewandte bleibt und ihre Sehnsüchte aufnimmt. Es ist kein endgültiges Entschwinden oder sich Verabschieden, sondern die Wandlung seiner Gegenwart durch die Kraft des Heiligen Geistes. Dieser ist im Bild nicht explizit zu sehen, aber in der von Jesus ausgehenden Abwärtsbewegung, welche in die vertikale Menschengruppe einmündet, spürbar am wirken.

Im Weiteren macht die Bildkomposition deutlich, dass Gott in seiner unverbrüchlichen Liebe hinter seinem Sohn steht … und auch hinter allen Menschen, die an ihn glauben (Gesamtansicht).

Zahlreiche weitere Arbeiten in Kirchen finden sich im Buch Zeitgemäße Wand- und Deckenfassungen für Sakralbauten, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg, 2015, 304 Stein, > 350 Abb., 19,80 Euro.

WARUM? – Vielschichtige Erinnerung

Viele unterschiedliche Elemente verschmelzen in dieser Arbeit zu einem Bild. Neben- und übereinander angeordnet erzählen sie in vierzehn Stationen von Leiderfahrungen unter Chiles Militärdiktatur, welche die Künstlerin in Beziehung zum Leidensweg Jesu setzt. LEMA ist die Referenz an den Aufschrei Jesu am Kreuz: „Eli, eli, lema sabachthani?“ – „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das WARUM ließ die chilenische Künstlerin betroffene Frauen vor Ort besuchen und im Gespräch mit ihnen nach Erinnerungen suchen. Die vierzehn Arbeiten verstehen sich denn auch als Beitrag zum Prozess des Erinnerns, als Hilfestellung das Geschehene aufzuarbeiten. Dafür hat die Künstlerin Bilder, Farben, Linien und Materialien zu einer vielschichtigen Symbolik verdichtet.

Für den Bildgrund nähte Moreno Sánchez Bettlaken der chilenischen Frauen mit Krankentüchern aus Deutschland zusammen. Damit verwendete sie Stoffe, die von den Berührungen jener, die sie genutzt haben, geprägt wurden. Photographien des Tanzstückes „Paradise Twice“ bedecken die Bettlaken und verstärken das Geschehene. Sie zeigen Menschen, die loslassen müssen, deren Geliebter entzogen worden ist. Handschriftliche Namen erinnern an das konkrete Leid und den Schmerz vieler Frauen, deren Männer, Söhne und Väter 1973 von den Militärs entführt, gefoltert und getötet wurden und die erst 37 Jahre später erfuhren, was mit ihnen geschehen war. Gleichsam als Gegenpart zum Namen sind oben Teile des Motivs mit Goldfarbe nachgemalt worden: Erinnerung, die heilsam, wertvoll und kostbar werden konnte.

Im rechten Teil werden die Farben der Tanzszene in einer photographischen Reproduktion eines historischen Messgewandes intensiviert wieder aufgenommen. Das Kreuz, auf dem zentral „IHS“ steht, der Kurzform von Jesus, wird so mit den menschlichen Kreuzwegen unserer Zeit in Verbindung gebracht; das Messgewand steht so stellvertretend für die christliche Liturgie, in der für die Leidenden und die Verstorbenen gebetet wird. Der Druck wird von der Röntgenaufnahme eines menschlichen Brustkorbes überlagert. Das weiße, nahezu transparente Knochengerüst mit teils schwarzen Konturen erinnert an die Toten, an Knochen, die man den trauernden Frauen Jahrzehnte danach überreicht hatte. Auch der große braune Fleck – entstanden durch verschüttetes Leinöl – weist auf eine frühere Gegenwart und jetzige Abwesenheit eines Körpers hin. Krankentuch, Kreuz, Messgewand, Knochen und Fleck bilden eine geistige Gegenwart, die wie in einem Gottesdienst durch das geschaffene kollektive Gedenken ein Vergessen verunmöglicht.

Quer über das Bild steht mit unterschiedlichen Buchstabenabständen geschrieben: „T e n g o que s o b r e v i v i r.“ – „Ich muss überleben.“ Ein Wort, das von Lebenswille zeugt und von der chilenischen Schriftstellerin Diamela Eltit den leidtragenden Frauen in den Mund gelegt wurde und die konventionellen Bezeichnungen der Kreuzwegstationen ersetzt. Zwei feine gerade Linien, die auf der einen oder anderen Seite zusammenlaufen und an denen sich die Farben in Abstufungen brechen, verstärken subtil das jeweilige Bildthema. Sie sind nicht zu verwechseln mit dem Schnittmuster, welches jeweils die vorderste Person der Figurengruppe überlagert und eine Art Gegenpol zur Radiographie darstellen. Beide sind unsichtbare und doch essentielle Form- und Gestaltgeber, die Knochen für den menschlichen Leib, das Schnittmuster für das ihn umgebende Kleid.

So leben die vierzehn Arbeiten von der ihnen innewohnende Bedeutungsdichte. Sie sind primär Gedächtnis des in Chile geschehenen Gräuels. Darüber hinaus verweisen sie „auf ein Allgemeines, im traurigsten Sinne. Denn auch für die jüngste Zeitgeschichte und die Gegenwart gilt, dass überall auf der Welt Menschen verschwinden, dass gefoltert und getötet wird [z.B. Syrien]. Den Prozess des Bewusstwerdens, der Trauer und der Heilung will Lilian Moreno Sánchez durch ihre Kunst befördern. Das Eigentümliche dabei ist, dass dies geschieht durch das Wunder schöner Bilder.“ (Petra Giloy-Hirtz in ihrem Beitrag „LEMA. Identität und Gedächtnis“ im Buch LEMA, Kunstverlag Josef Fink, 2014, S. 13)

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Vom Himmel hoch

Mit wenigen Kohlestrichen hebt sich der Kinderkopf vom weißlich strukturieren Hintergrund ab. Er scheint aus dem Nichts aufzutauchen. Zeichnerische Ausschweifungen deuten jedoch an, dass er von oben kommt, in Rundungen gesprochen geradezu in die Welt purzelt.

Körperlich scheint der Kopf allein zu sein. Und doch wird er auf der rechten Seite durch die dunkleren Schattierungen und nach unten durch einen gelblicheren Farbkörper und der darüber liegenden Notenlinie gehalten.

Festlich stimmt der Musikschlüssel auf die ersten drei Töne ein. Wer sie nachsummt, wird neben den Tönen schnell auch die dazugehörigen Worte aus dem bekannten Weihnachtslied hören: „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Diese Worte begründen im Lied den Auftritt und die Botschaft des verkündenden Engels, während sie in der vorliegenden Arbeit dem Kind zugeordnet werden können. „Vom Himmel hoch, da komm ich her!“

So schlicht kommt diese bahnbrechende Botschaft an, dass sie übersehen und überhört werden kann. Gott drängt seine Menschwerdung den Menschen nicht auf. Nur wer offen für Gott ist und auf ihn zu hören vermag, bei dem kann die Botschaft ankommen und das Wort Fleisch werden.

Ein anderer Aspekt leuchtet durch die Darstellung diskret auf: Jedes Menschenkind ist ein Geschenk des Himmels, ein Geschenk Gottes an seine Eltern als auch an alle Menschen. In jedem Neugeborenen schenkt Gott sich selbst in neuem Leben und neuer Liebe mitten unter uns Menschen.

Vom Himmel hoch da komm ich her …
damit der Mensch zum Mensch wird mehr und mehr!

Ein Lichtspalt Hoffnung

Inmitten der Dunkelheit strahlt ein Licht auf. Im Zentrum werden ein Neugeborenes und seine Mutter sichtbar, nach unten hin auch viele Schaulustige.

Ein kraftvoller Lichtstrahl hat dieses wunderbare Aufleuchten bewirkt. Von oben nach unten lässt er das gelbe Licht, welches das rote Rechteck umgibt – es mag ein Symbol für die Erde sein – in die Mitte eines dunklen und wirren Geschehens hineinfließen. Das Durcheinander mutet nach Zerstörung und Trümmern an, eine liegende Person ist zu sehen, ein Verletzter vielleicht. Ein schwarzes Kreuz ist neben der gelben Frau und ihrem Kind aufgerichtet und dem Geschehen zugewandt. Mit seinen Armen strahlt es Erbarmen aus, Zuwendung und Trost. Es identifiziert den Neugeborenen als Gottes Sohn, der sein Leben für uns Menschen hingegeben hat. Es bringt das Heil zum Ausdruck, das Jesus in und mit seinem Leben bewirkt hat.

So ist Jesus im Gegensatz zum schwarzen Kreuz als hellster Punkt im Bild weiß dargestellt. Wie das Innere einer Flamme erleuchtet er sein Umfeld mit warmem Licht. In die chaotisch-laute Umgebung bringt er ordnende Ruhe hinein, in der Bedrängnis werden er und seine Mutter zu einem Freiraum. Die Menschen strömen zu ihm und wollen ihn sehen. Ihn, der sie aus dem „Schatten des Todes“ herausholt, Ihn, der sie mit seinem Licht erfüllt und dadurch ihre Persönlichkeit zum Vorschein bringt und aufleuchten lässt, wie es die Künstlerin durch die unterschiedlichen Farben der Gestalten andeutet (Detailbild).

Gott wird in der Dunkelheit und in den Wirren unserer Welt Mensch, damit alle Menschen von seinem Licht erleuchtet und durchdrungen zu ihrem wahren Menschsein finden. In dem Sinne kann das rote Rechteck auch als Symbol für das menschliche Herz gesehen werden. Denn Gottes Gnade durchdringt wie ein Lichtstrahl alle zerstrittenen und leidenden Herzen, er dringt tief in ihre blutende Mitte, um zu heilen und zu erlösen und letztlich zum erfüllten Leben zu führen.

Ohne die vielfältigen Geschehnisse unserer Zeit zu verdrängen oder zu verharmlosen, hat die Künstlerin uns ein Hoffnungsbild gemalt. Sie bringt die Gewissheit des Paulus malerisch zum Ausdruck: Nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen, die er uns in Jesus Christus schenkt. Weder „Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, noch Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert“. „Wenn Gott für uns ist, wer ist dann gegen uns?“ (vgl. Röm 8,31ff)

Der Lichterglanz von Weihnachten möchte die Kraft des göttlichen Lichtes spüren lassen. Er möchte ermutigen, dem neuen Leben zu vertrauen, das als Licht in die Krippe unserer Herzen gelegt wurde. Er möchte ermutigen, dem Licht zu folgen, welches das Dunkel aufzubrechen und am Ende zu besiegen vermag. Der Lichtspalt Hoffnung ist der Anfang – alles in seinem herrlichen Licht befreit zu sehen, und die Vollendung, da er die Schatten des Todes überwindet.

ein Spalt
in der Wand des unendlichen Alls
ein Lichtspalt
hinein in die finstern Verliese der Welt

Hoffnungsspalt
oder Illusion

geträumtes Erwachen
oder erwachtes Leben

schnelles Aufflammen
ein kurzer Augenblick
zur Zeit des Kaisers Augustus

nein heute

aufstrahlendes Licht aus der Höhe
um allen zu leuchten
die in Finsternis sitzen
und im Schatten des Todes

ein Hoffnungsstrahl

(Peter Stengele)

Komm bald!

Warme, satte Farben erfüllen dieses Bild. Vor allem das gelbe Lichtspiel fasziniert, das sich von oben in den weinroten Bereich herabsenkt, der wiederum wie eine Brücke über einen violetten Fluss anmutet.

Doch die Bildkomposition lässt ganz unterschiedliche Sichtweisen zu. So kann die halbrunde Form in violett auch die Erde in Erwartung andeuten. Denn das Kreissegment ist über das Erdenrund hinaus auch eine sich wölbende, emporstreckende Form, die in sich schwanger ist und sich gleichzeitig etwas Höherem entgegenstreckt. Die violette Farbe, die in der Liturgie in Zeiten der Veränderung und des Übergangs getragen wird, unterstützt diese Bewegung genauso wie das gleichfarbige rechteckige Element, das die Wölbung überragt und damit die Erwartung noch steigert. Wie ein Altar ragt es in den roten Bereich hinein.

Dieses Rechteck mit der Kreisstruktur lässt auch an die Jahresringe von Holz denken und könnte so Bezüge zur Krippe wie zum Kreuz schaffen. Doch die Kreise bilden eine sich weitende Spirale, die sich von einem Ursprung her ausbreitet. Ähnlich wie bei den Jahresringen des Holzes wird hier die Zeit spürbar. So könnte die Spirale bedeuten, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, die Zeit erfüllt, alles am Punkt ist, dass ES geschehen kann: Dass sich Himmel und Erde berühren können.

Das Bild zeigt noch nicht die Begegnung oder Vollendung. Es zeigt im Emporwölben die irdische Erwartung, im stahlenden Herniederkommen den göttlichen Aufbruch aus den Höhen des Himmels. Es zeigt das Herabsteigen Gottes als Antwort auf die Sehnsucht der Menschen, es zeigt seine bevorstehende Ankunft. Nun stehen sie sich unmittelbar gegenüber und es braucht nicht mehr viel, dass sie sich berühren und durchdringen.

Vorerst verbindet die tiefrote Mitte das gelbe Lichtspiel mit dem violetten Halbrund und seiner rechteckigen Erhöhung. Ob diese Mitte durch seine verbindende und überbrückende Position her als Liebe gedeutet und mit Maria personifiziert werden kann? Das Bild legt es nahe und lässt es doch offen.

Denn genauso wie das Bild die göttliche Ankunft thematisiert, vermag es auch Jesu Tod, Auferstehung und Himmelfahrt anzukündigen, welche seiner Ankunft rückwirkend eine so große Bedeutung gegeben haben. Ebenso könnte die Spirale im Rechteck in ihrer Endlosigkeit auf Jesus hinweisen, ihre Zweifarbigkeit auf seine zwei Naturen.

Das Bild hat das Potential, die Sehnsucht nach Licht und nach Gott zu wecken. Es lässt spüren, dass es bei Seiner Ankunft wohl schön sein muss, dabei zu sein. Noch viel schöner ist aber, in der Nachfolge Christi selbst von Gott berührt, durchdrungen und verwandelt zu Licht für andere zu werden.

Komm, Herr Jesus. Komm bald! (vgl. Offb 22,20)

Fließendes Licht

Unaufhaltsam kommt das Licht von weit hinten. Wie der Blick eines Auges flutet es aus einem Jenseits in das Diesseits hinein, aus der ungeschaffenen in die geschaffene Welt. Vom weißen Zentrum dehnt sich das Licht im Raum aus, sich gelb materialisierend, orange feurig sich entfaltend, um sich dann in warmem Rot über einen imaginären Rand zu ergießen.

Als Betrachter ist man geneigt, das Bild als eine Vision des ewigen Lichts zu sehen. Die Mystikerin Mechthild von Magdeburg (13. Jh.) sagte in ihrem Buch „Das fließende Licht der Gottheit“ zu Gott: „Du bist das Leuchtende in allem Licht.“

Michael Lesehr hat eine mystische Lichtschau (Lightshow) geschaffen, die Mechthilds Aussage sehr nahe steht. Das leicht aus der Bildmitte nach links verschobene Zentrum wirkt intensiv, konzentriert und kraftvoll. Es ist nicht groß oder vereinnahmend. Es lässt sich schauen ohne geblendet zu werden oder zu erblinden. Auch die warmen und gleichmäßig sich ausbreitenden Farben sind angenehm zu betrachten. Faszinierend ist zudem, dass das Bild trotz aller Einfachheit nicht langweilig wirkt.

Wie hat der Künstler es geschafft, das Licht so gleichmäßig fließen zu lassen, es von der Mitte unaufhörlich nach außen strömen zu lassen? Das Bild besteht aus unzählig vielen feinen, kurzen Linien, die strahlenförmig von der Mitte nach außen orientiert sind. Dadurch, dass auch zwischen den dunkleren Strichen hellere Striche gelegt sind, ergibt sich diese dynamische Bewegung nach außen. So vermag der Strahlenkranz von dem inneren Leuchten ausgehend immer neue Kreise zu ziehen. Ohne Unterlass.

Und wir können uns einüben in das Schauen des ewigen Lichts. Noch macht es den Eindruck, als sei es ein visueller Dialog durch das Loch in einer Wolkendecke, doch am jüngsten Tag werden wir ihn unverhüllt von Angesicht zu Angesicht sehen. Dann wird unser Schauen durch Gottes Schauen erwidert und wir werden hoffentlich die beglückende Erfahrung seiner Liebe, Güte und Barmherzigkeit machen.

In Frage gestellt

Blickfang des Bildes ist ein runder Gegenstand, der mit einer goldenen Folie verpackt ist. Nach rechts aufsteigend drücken drei Schnüre durch die Folie durch und geben dem Paket eine leicht diagonale Bewegung. In der Mitte lässt sich ein Knoten beobachten, der wie ein Bauchnabel in den Rundungen erscheint. Trotz der Verhüllung wirkt der Gegenstand wie ein Bild, das auf einem schwarzen Quader an der Wand lehnt. Davor liegt eine tote Taube auf dem rosaroten Boden.
Das Bild wirft mit seinen rätselhaften Objekten Fragen auf: Wieso ist der runde Gegenstand verschnürt und verhüllt? Was könnte die Bedeutung der goldenen Folie und des schwarzen Podests sein? Warum stellt der Künstler eine tote Taube dar?

Bei der Betrachtung von Kreis und totem Vogel fällt ihre Gegensätzlichkeit auf. In ihnen stehen sich symbolisch Unendlichkeit und Vergänglichkeit gegenüber. Auch wird der runde Gegenstand mit der Goldfolie als kostbar und schützenswert bezeichnet, während die Taube in ihrem grau-weißen Federkleid ungeschützt am Boden liegt. Der vollkommene Kreis ist zudem oben, die Taube unten platziert. Zwischen ihnen befindet sich ein altarähnlicher Aufbau, so dass sie sich nicht berühren können.

Das eingepackte Objekt lässt nach dem darunter Verhüllten fragen. Hält es das, was durch die vollkommene Kreisform und die glänzende Goldhülle angedeutet wird? Verweist es auf etwas oder jemand Erhabenen, das oder der kostbar und strahlend schön ist, ohne Anfang und ohne Ende? Soll es wenn möglich ein Symbol für den verborgenen Gott sein, von dem es im apokryphen Thomasevangelium (83) heißt: „und sein Bild ist verborgen durch sein Licht“? – Oder ist die Inszenierung nur Effekthascherei und nichts dahinter? Eine Art Konsumaltar? Der tote Vogel davor verstärkt die Unsicherheit im Umgang mit diesem Objekt. Auch hier ist das eine genauso möglich wie das andere. Der Vogel kann geopfert worden sein – es ist allerdings kein Blut zu sehen –, er kann aber auch versucht haben, das Göttliche zu sehen und hat es nicht überlebt (vgl. Ex 33,20; 1Tim 6,16), bzw. die Begegnung mit dem vermeintlich Göttlichen hat ihm kein Leben gegeben.

Eine ganz andere Sichtweise und Fragestellung ist die nach der Kommunikation. Hat sich „Gott“ versteckt, weil er nicht mehr mit uns kommunizieren will? Selbst die Taube als symbolische Übermittlerin seiner Botschaften liegt reglos darnieder. Hat er jeden Kontakt abgebrochen, weil er nichts mehr von uns wissen will? Oder ist es vielleicht gerade umgekehrt, dass wir Menschen nichts mehr von ihm wissen wollen, ihn an die Wand gestellt haben und jeglichen Kontakt mit ihm meiden, weil seine Worte unbequem sind?

Gott offenbart sich glücklicherweise nicht nur in von Menschenhand geschaffenen Objekten. Aber diese Objekte haben die Kraft, unseren Glauben, unsere Haltung und unser Verhalten in Frage zu stellen. Damit wir innehalten, uns besinnen und uns neu auf Ihn ausrichten, der unsichtbar in allem wirkt und mit Leben und Schönheit erfüllt.

Morgenlicht

Graublaue Schattierungen lassen eine Landschaft erahnen. Dunkle Erhebungen und unscharfe Konturen verdichten sich zu einer Bergkette, die aus dem Nebel auftaucht. Es ergibt sich ein Dreiklang von einem höheren und seitlich zwei niedrigeren Bergen. Am linken und rechten Bildrand sind zudem dunkle Bereiche nach oben geführt, so dass weitere Berge angedeutet werden.

Darüber lichtet sich der Nebel. Helligkeit dringt durch und lässt ein starkes Licht spüren, das derzeit allerdings noch verhüllt ist. Doch es reicht, die schlafende Landschaft sanft zu berühren und zu neuem Leben zu erwecken. Die waagrechte Pinselstruktur in den graublauen Farben bringt zudem frischen Wind in das Bild. So wird die Dunkelheit nach und nach in Licht gewandelt und alles Leben in einen neuen Tag hineingeführt.

Noch liegen Morgennebel und Stille über dem Land. Doch das Erwachen liegt in der Luft. Denn das Licht ist schon schwebend da, langsam den Dunstschleier durchdringend und die Klarheit bringend, welche die Farben leuchten lässt, das Leben bewegt und mit Freude erfüllet.

Verklärt blickt der Betrachter auf die erhabene Lichterscheinung in der weißen Wolke, die genauso gut als weiße Taube gesehen werden kann, als Botschafterin eines neuen Tages voller Licht und Frieden. Verheißung kann wahrgenommen werden, göttliche Gegenwart. Ein Gegenüber, das sich jeden Morgen aufmacht, in die Niederungen seiner Schöpfung hinunterzusteigen und sie mit seiner Präsenz zu erfüllen.

Endlose Bewegung

In farblichem Dreiklang fließen blaue, grüne und weiße Wellenbewegungen horizontal durch das Bild. Es hält eine Momentaufnehme fest, den Ausschnitt eines größeren Ganzen, von etwas örtlich und zeitlich Grenzenlosem oder Unendlichem. Die sanften Bewegungen erinnern bewegte See, sie eröffnen eine Vogelperspektive in die Weite einer immensen Hügellandschaft mit wechselnden Erhebungen und Niederungen. Darüber hinaus lassen die hellen Bereiche Luftströmungen spüren, den unsichtbaren Wind, der bewegt, kommt und davonzieht.

Im Bild ist ein stetes, wechselseitiges Auf und Ab zu sehen. Die Wasserwogen, Hügel oder Windstöße erzählen vom Atem der Natur, der sich im Wasser, auf dem Land wie in der Luft gleichermaßen in einem Auf und Ab zeigt, das dem Heben und Senken unseres Brustkorbes ähnlich ist.

Dieses unentwegte Auf und Ab mag andeuten, dass Leben bedeutet in Bewegung zu bleiben, nicht stehen bleiben zu können. Es spricht die unbedingte Offenheit für Veränderung an. Und doch geht aus dem Bild keine Unruhe hervor. Denn es sind kraftvolle und gleichmäßige Bewegungen, ruhige und beruhigende. Bei der Betrachtung spürt man auf einmal das eigene Ein- und Ausatmen. Und man merkt, dass man Teil eines unfassbar größeren Ganzen ist, das „genauso“ atmet und in Bewegung ist in seiner Lebendigkeit.

Und noch etwas Wunderbares wohnt diesem Bild inne. Je länger man es betrachtet, umso mehr lässt es einen zwei weitere Tiefendimensionen des Lebens spüren. Die unterste „Welle“ bildet so etwas wie einen klaren, nicht zu trübenden Grundstrom, der in der Tiefe einer jeden Existenz fließt und sie am Leben erhält. Die endlose Weite, die sich nach allen Seiten über das Bild hinaus in unsere Zeit und Welt ergießt, vermag hingegen die zeitliche Größe unseres Lebens anzusprechen. Denn trotz aller normalen körperlichen und geistigen Begrenzungen erscheinen uns das Leben und die Möglichkeiten, die es mit sich bringt, so lange grenzenlos, bis wir ernsthaft daran gehindert werden, diese Möglichkeiten wahrzunehmen.

Doch auch dann werden Lebensbewegung und -qualität nicht gemindert, nur gewandelt. Denn der christliche Glaube lässt über alle irdischen Grenzen, Behinderungen und Tode hinaus hoffen und vertraut darauf, dass das Leben durch die Größe Gottes auch nach dem irdischen Ende seinen Schwung und Atem nicht verliert. Die Verheißung geht sogar weit darüber hinaus: Das Leben wird durch die Liebe Gottes in ganz neue Dimensionen übergeführt. Dimensionen, die wie in unserem Bild, unsere Wahrnehmung und Vorstellung übersteigen, weil sie sich außerhalb unseres „irdischen Lebensrahmens“ befinden.

Die eigene Lebensmelodie finden

Ein Cello scheint aus einem vage umrissenen Farbraum herauszufliegen oder herauszuspringen. Gleichsam aus einer hintergründigen Gebundenheit in eine vordergründige und damit primäre Freiheit hinausgeworfen zu werden. Im Vergleich der beiden Formen scheint das Instrument zudem eine Transformation durchgemacht zu haben, die der Umsetzung einer Idee oder eines Gedankens in eine konkrete Tat gleicht: die Verwandlung von einer Andeutung hin zur Klarheit eines Cellos.

Der Raum, dem es entspringt, ist rechteckig und genau so klar gefasst wie das Instrument selbst. Doch das Instrument bricht aus diesem flächig geraden Raum aus. Neu bildet es einen eigenen, geschwungenen Raum, einen Klangraum, der durch die betonte Vertikale und die versetzt wiedergegebenen Instrumentenhälften in die Höhe zieht. Formal wird den vielen feinen waagrechten Linien zudem eine starke, leicht diagonal gesetzte Linie entgegengesetzt, ähnlich wie die Saiten beim Bespielen des Instrumentes durch den Bogen gekreuzt werden, um Töne zu erzeugen.

Es geht bei der Darstellung also nicht um den banalen Rausschmiss eines Instrumentes, bei der die Linien links vom Cello wie in einem Comic sichtbar gemachte Bewegung oder Geschwindigkeit andeuten. Die unbeschriebenen Notenlinien laden vielmehr ein, auf dem Cello seine eigenen Töne zu finden und so lange zu spielen, bis sich daraus eine Melodie ergibt und mit der Zeit ein Lied entsteht.

Ob es verwegen ist, nach der Bedeutung des Hintergrunds und der Identität des Instruments zu fragen? Das intensive Blau bringt unergründliche Tiefe ins Spiel, das warme Rot, das es zu beiden Seiten begleitet, vermag unendliche Liebe anzudeuten. Beide Farben werden gleichsam durch die Öffnung im Rechteck gesehen und finden sich im Instrument abgeschwächt wieder. Zusammen mit den „goldenen“ Notenlinien bilden sie einen doppelten Dreiklang, der in den intensiven Farben Gott als ungeschaffene Schöpferkraft thematisiert, im Cello den Menschen als konkrete Schöpfung. Als Abbild des Schöpfers geschaffen, Wesentliches von ihm beinhaltend, und doch ganz anders. Berufen, mit der erhaltenen Gestalt und den mitgegebenen Talenten das Beste zu machen. Alle seine Saiten und Seiten zu bespielen, die göttliche Farbe stark werden zu lassen … durch die eigene Lebensmelodie.

Das aus der Öffnung im Rechteck hervor- und auch seitlich aus dem „Rechteck“ heraustretende Cello deutet Freiheit an. Es kann eigene Wege gehen. Es kann eigene Töne entwickeln und spielen. Doch wie es auf der rechten Kante des „Rechtecks“ gemalt ist, suggeriert es auch, dass die besten Töne oder die schönsten Melodien in Verbindung (religio) mit dem Ursprung oder der Herkunft entstehen.

FREIGEGEBEN

Im Schutzraum Deiner Werkstatt
von Dir in die Hände genommen
angeschaut
gehört immer wieder gehört
zurechtgerückt behutsam gereinigt
gewachsene Fasern erspürt
und in Beziehung gesetzt
den eigenen Ton in jeder Schwingung erkannt
bestätigt
mit Lack versiegelt
die Saiten aufs Neue gespannt
gestimmt
und zum vollen Klingen gebracht

Freigegeben

damit Du mit mir die Noten schreibst:
das Lied meines Lebens
und ich spiele

auf befreitem Grund

(Sr. Christamaria Schröter)

Das Motiv kann als Faltkarte mit Textblatt und Kuvert Nr. 7839 beim Verlag Christusbruderschaft bezogen werden.

Pfingststurm

Ein farbenmächtiger Lichteinfall erfüllt dieses Bild. Es ist eine so außergewöhnliche Lichterscheinung, dass sie nur im Vergleich zu bekannten Objekten in unserem Leben beschrieben werden kann, ähnlich wie das Pfingstereignis in Jerusalem. Wie ein himmlischer Wasserfall ergießt sich das orangefarbene Licht in die Tiefe. Farblich mutet es wie eine Vulkaneruption an. Dampfartig weitet sich das ursprünglich weiße Licht, wandelt sich zu einer orangen, dann roten und letztlich violett-braunen Erscheinung. Es ist eine Himmelsglut über einem nachtschwarzen Grund, der nur im oberen Bereich einen nachtblauen Übergang aufweist.

Doch Licht und Dunkelheit stehen sich nicht einfach gegenüber. Das farbige Licht ergießt sich so in die Dunkelheit hinein, als solle diese vom Licht durchdrungen und aufgebrochen werden. Was diese Dunkelheit wohl bezeichnen mag? Für wen mag sie wohl stehen? Unwillkürlich erinnert sie vielleicht an ein Wort des Propheten Jesaja, in dem er vom Volk spricht, das im Dunkel lebt, im Land der Finsternis (9,1). Er verheißt einen starken Retter durch den Gottessohn, der auch „wunderbarer Ratgeber“ und „Fürst des Friedens“ genannt werden wird (9,5).

Und obwohl Jesus in die Welt gekommen war und die Jünger ihn begleitet haben, finden sie sich nach seinem gewaltsamen Tod gleichsam in der Dunkelheit wieder: verängstigt, zurückgezogen, entmutigt. Ihrem Lebensprojekt war die Grundlage entzogen worden, wie sollte es ohne ihn auch weiter gehen? Sie tappten im Dunkeln bzw. warteten auf Erleuchtung.

Das Einzige, was sie retten konnte, war eine überwältigende Begeisterung, die sie aus ihrer Passivität herausriss. Der Heilige Geist wird hier nicht als Taube oder als Feuerzungen gezeigt (vgl. Apg 2,3), sondern als „Kraft des Höchsten“ (Lk 1,35), wie er auch Maria verheißen wurde. Vom oberen Bildrand ausgehend entfaltet sich das weiße Licht in immer neuen Farben, so als wolle es jeden Menschen auf seine Weise berühren und an der Gemeinschaft mit Gott teilhaben lassen.

Diese glühende Lichterscheinung ist machtvoll, verängstigt aber nicht wie eine dunkle Gewitterwolke oder ein zerstörerischer Sturm. Sie lässt spüren, dass Gottes Geist gewaltlos zu uns kommt, als Licht, das unsere menschlichen Dunkelheiten und Schwächen heimsucht und sanft durchdringt, erleuchtet und zum Guten wandelt. Die Jünger haben seine Kraft in ihrem Innern erfahren, in der Befähigung, furchtlos aufzutreten und mit ihrer Rede von Jesus die Menschen so zu berühren, dass jeder sich in seiner Sprache angesprochen fühlte (Apg 2,6).

Pfingsten ist damit das Fest, an dem nicht mehr der einzelne erleuchtet wurde, sondern eine Gruppe, dann iele, dann Tausende … Der Geist Gottes kam nicht mehr nur zu den Auserwählten seines Volkes, sondern unabhängig von Herkunft oder Religion zu jedem, der sich ihm öffnete. Das war noch sensationeller als die Ausgießung des Heiligen Geistes auf seine Jünger. Denn damit ergoss sich Gottes Licht und Weisheit in die „Dunkelheit“ der Ungläubigen, die aber voller Sehnsucht auf seine Berührung und Erfüllung gewartet haben, und machte sie durch die Taufe zu Kindern Gottes (Apg 2,41).

Gott ist die erbarmende Weite.
Unendliches Ich.
Mein Du.
Feuer, Feuer. Licht. Nacht. Schon in der Nacht Licht.
Brausen. Anprall des Gegenwärtigen.
Mein Lager.
Mein Weg, mein Geschehen, meine Heilung.
Mein Sehen.
Mein Schlucken.
Meine Begegnung.
Meine Stunde, mein Jetzt und mein Tag. Du, mein Gott.
Das Tiefe Erstaunen und Wundern. Verwandlung.
Ich glaube genau so war es mit Petrus. Den der Herr ansah und rief.
Wie verrückt folgte ihm Petrus,
folgten die andern.
Alles verlassend: Kinder, Frauen und die Profession, das tägliche Brot.
Von allem weg.
So folgte Paulus blindsehend dem Licht.
Mensch, wer ist Jesus?
Der Mensch,
Gottda.
Sie gehen ihm nach in die Hitze, ins Gottglühen, in ihr Menschinnen,
in den Geistwind, in den Atemhauch Anfang, in die Nacht Ölberg,
zum Schrecken des leeren Grabes, zum Mahl,
in den Pfingststurm, ins Wort.
Bis er kommt.

„Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“

(Josef Roßmaier zu Peter und Paul 2014,aus „Tagweis – stückweis“, S. 108, Josef Fink Verlag, 2014)

Erfülltes Leben

Warme Farben lassen das Bild leben und geben ihm eine feurige Atmosphäre. Kräftiges Rot bildet die Basis, dann formen weiße Elemente in dynamischer Diagonale einen klar umrissenen Raum der Mitte, darüber gleichsam als Krönung aufflammendes Gelb vor lichtrotem Hintergrund

Das Bild lädt zum Verweilen ein. Es ist, als würde der Betrachter durch das weiße Element angeschaut und eingeladen, in diesen lichterfüllten Raum der Begegnung einzutreten.

Vom Rot der Liebe und der Begeisterung her gesehen, das wie ein standhafter Docht in den weißen Bereich hineinragt, kann dieser auch als geistige Flamme gesehen werden, als das Licht, das durch die tätige Liebe entsteht.

Von oben her ist gleichzeitig eine gelblich inspirierte Intervention zu beobachten, die durch die intensive gelbe Schicht hindurch wie eine Hand auf den roten „Docht“ hinweist. Diese Bewegung kann nur als Schatten gesehen werden – und doch geschieht Begegnung: von unten aus dem erdhaften Rot, von oben aus dem sonnenschweren Gelb.

So entsteht ein Begegnungsraum von großer Reinheit: Von oben mit intensivem Licht begnadet, von unten mit überfließendem Lebensdrang erfüllt. Entstanden aus dem ungeteilten Dasein für Gott und den Nächsten. Aus Begeisterung für die Sache Gottes und der Menschen entzündet, für ihn brennend, leuchtend, als sein Werkzeug andere damit erleuchtend, ihnen die Augen und Herzen öffnend, sie berührend, um das Licht Gottes in ihnen zu entdecken und sichtbar werden zu lassen.

Ein Begegnungsraum des Lebens, der wie ein Auge aussieht. Vielleicht wie Gottes Auge, das mich sanft betrachtet, mir Aufmerksamkeit und Wertschätzung vermittelt. Eine bleibende Wertschätzung, weil Gott seinen liebenden Blick nicht von mir lässt. So motiviert er, Leben und Fähigkeiten in seinen Dienst zu stellen, so stärkt er durch seine Gnade, so krönt er jedes hingegebene Leben mit der Krone des Lebens, dem ewigen Leben, als Belohnung für die Treue zu ihm, für die Durchhaltekraft, für alles Gute, was in dieser irdischen Zeit geschehen ist. So vermag das Bild darauf hinzuweisen, jetzt Begegnungsräume mit Gott zu suchen und zu schaffen.

Vielleicht erinnert der weiße Raum auch an das Samenkorn, das in die Erde fällt, im keimenden Aufbrechen stirbt, dadurch aber hundertfach Frucht bringt. Gottes Gnadenfülle macht Unerwartetes möglich, wo wir es zulassen. Insofern könnte das Bild auch vieles über Maria erzählen, von der Berufung zur Gottesmutter bis zur Krönung im Himmel. „Sei treu bis in den Tod, so werde ich dir die Krone des Lebens geben“, sagt der Geist im Buch der Offenbarung (2,10) zu den bedrängten Gläubigen in Smyrna.

 

Das Bild wurde von der Künstlerin zum Anlass „Ordination – Krone des Lebens?“ – „50 Jahre Frauenordination in der Hannoverschen Landeskirche“ geschaffen worden und schmückte am 4. Juli 2014 den Festgottesdienst für Pastorinnen in Bad Rothenfelde.

Neue Schöpfung

Das Bildgeschehen konzentriert sich auf die vertikale Bildachse. Vor einem hellgrauen Hintergrund erhebt sich unten ein Mensch mit ausgebreiteten Armen über den Horizont der Landschaft. Wie in einem gläsernen Fahrstuhl scheint er aus der Tiefe der Erde zu kommen und in den weiten Himmel aufzufahren. In ihm wird gleichzeitig der gekreuzigte, der verstorbene und begrabene, der auferstandene als auch der in den Himmel erhobene Jesus dargestellt.

Über seinen ausgebreiteten Armen erhebt sich ein großes weißes Rund – Symbol für das Himmelreich, für Gott. Unaufdringlich und schön ist seine Gegenwart, kontrastreich verstärkt durch die Lichtbrechung in den Spektralfarben. Wie eine aufgehende Sonne, die den Morgennebel durchbricht, leuchtet die Lichterscheinung in der gräulichen Umgebung.

Schemenhaft sind darin grüne Baumzeichen zu erkennen. Sie sind Symbole des Wachstums und des Lebens und bilden von der Erde emporstrebend gleichsam eine Allee in die sphärischen Höhen. Insofern erinnern sie an die Bäume des Lebens, wie sie der Seher Johannes in der Vision des himmlischen Jerusalems beschreibt:

Der Engel „zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall; er geht vom Thron Gottes und des Lammes aus. Zwischen der Straße der Stadt und dem Strom, hüben und drüben, stehen Bäume des Lebens. Zwölfmal tragen sie Früchte, jeden Monat einmal; und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker. […] Es wird keine Nacht mehr geben und sie brauchen weder das Licht einer Lampe noch das Licht der Sonne. Denn der Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten und sie werden herrschen in alle Ewigkeit.“ (vgl. Offb 22,1-3.5)

Gottes lebensspendende und heilende Gegenwart wird nicht nur im Gegensatzpaar Licht – Dunkel erfahrbar. Auch die beiden waagrechten Elemente des Bildes – unten die dunkle Erde, oben der bunte Farbbalken – erzählen davon, dass Gott alles neu macht (vgl. Offb 21,5) und die „verbrannte“ Erde in eine neue und leuchtende Daseinsebene zu überführen vermag. Der Dialog zwischen dem wie eine Glut in den Tiefen der Erde versteckten Rot mit dem in die Mitte geholten Rot im himmlischen Farbbalken ist ein weiterer Hinweis, wie Gott die ganze Schöpfung mit der Auferstehung Jesu neu ordnet und wesentlichen Lebenselementen wie der Liebe ihren ursprünglichen zentralen Platz zurückgibt. So wird auch die Kreuzform neu definiert. Im Gegensatz zur menschlichen Kreuzform und den beiden kleinen Kreuzen daneben, die den Tod Jesu und der beiden mit ihm gekreuzigten Männer erinnern, bilden das vertikale Element des Auferstehenden und das horizontale Farbelement eine rettende Zuordnung. Die Gegensätze kreuzen sich nicht, sondern bilden in einem spannungsvollen Miteinander ein Tau-Zeichen, in dem das Leben eingeschrieben ist.

Vom Auferstehenden ausgehend führt das Bild in die Höhe, in die Bildtiefe und Weite, womit es sehr gut eine Visualisierung des Psalms 18 sein könnte. Bilden die runde Lichterscheinung und das darunterliegende Element, das die Erde berührt und sich auf der Höhe des Auferstehenden befindet, nicht eine Art Schlüsselloch und deuten damit einen Zugang zu einem hinter der sichtbaren Welt liegenden Raum an? Jesus ist der Schlüssel zu jener neuen Welt, er ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Menschen und Gott, allem Geschaffenen und Ungeschaffenen. Er ist der „Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6), der zum Vater führt, in das Leben, das kein Ende hat.

Kreuzauflegung

Glühende gelb-rote Farben füllen das Bild aus. Als einzige konkrete Form erhebt sich ein Tau-Kreuz in die Höhe. Seine Flächen heben sich aufgehellt – unten schwach, oben stärker – vom abstrakten Hintergrund ab. Wie ein Nagel senkt es sich in den gelben Bereich ein und wird dort gleichsam eins mit der Andeutung eines Menschen, dessen nach links gewendetes Gesicht nach und nach zu erkennen ist.

Gebückt und in sich gekehrt scheint er vorwärts zu schreiten, in sich eine glühende Energie tragend. Sie geht von seinem Nacken aus, auf dem das im Verhältnis zum Menschen kleine Kreuz aufliegt. Hier wird die Last des Kreuzes angedeutet, vielmehr aber die Veränderung im Kreuzträger. Entgegen den Erwartungen ist er – ebenso wie das Kreuz – nicht dunkel dargestellt, sondern als Lichtgestalt, die gleichsam als Mittelpunkt durch die ihn umgebende Feuersbrunst an Erregungen, Aggressionen und vernichtenden Emotionen geht.

In ihm leuchtet etwas Göttliches auf. Jesus wurde das Kreuz wegen der Menschen und von Ihnen aufgelegt, aber nur, weil es Gott zuließ. So kommt das Kreuz in dieser Darstellung mehr von oben als aus irgendeiner Menschenhand. Von der Auferstehung her gesehen wurde klar, dass die Hingabe Jesu bis in die Abgründe des Kreuzestodes zu Gottes Plan gehörte, um die Sünde des von ihm so sehr geliebten Menschen zu sühnen und zu tilgen. So darf das Kreuz als Not wendendes Mittel zu unserem Heil gesehen werden, als göttliches Instrument, das seinen Sohn so tief erniedrigte, dass er – auch am Kreuz erhöht – von ganz Unten die ganze Menschheit zu erlösen vermochte.

In unserem Bild scheint eine Feuersbrunst den Menschensohn zu umgeben, er musste förmlich durch die Hölle gehen. Wiederum stellt sich die Frage nach dem Licht, das er in sich trägt. Was ist das für eine Kraft, die glühender wirkt als sein Umfeld? Was ist das für eine Kraft, die ihm gleichsam über das Kreuz, das er wie eine Antenne zu Gott trägt, zufließt? Ob die warmen Farben mit dem Heiligen Geist in Zusammenhang gebracht werden dürfen, dem göttlichen Beistand par excellence? Damit Jesus das unerträgliche Leid aushält und auch in der größten Gottverlassenheit nicht aufgibt?

Von Jesus ausgehend ist das Bild offen für die mannigfaltigen „Kreuzauflegungen“ im Leben von uns Menschen, seien es unheilvolle Naturkatastrophen, Unfälle, Beziehungsdramen und anderes mehr. So gesehen nimmt der „Kreuzweg Jesu“ kein Ende. Aber dadurch, dass Jesus sein Kreuz auf sich genommen hat, ermutigt er alle, trotz der unsäglichen Schmerzen, trotz des schweren Leids nicht aufzugeben. Denn Gott ist dreifaltig in ihm, neben ihm, über ihm. Tod und Auferstehung Jesu lehren uns, dass Gott in seiner Weisheit alles zu einem guten Ende führt, auch wenn es in unseren Augen gar nicht so aussieht.

 

Klein wird der Mensch unterm Kreuz,
es ist aus mit dem aufrechten Gang,
mit seinem guten Gesicht, er ist geschafft
vom Geißeln, von Dornen gerissen,
man machte ihn schwach, er fällt ein.
Nun noch das Kreuz auf den Buckel
gezwungen, ihm pfeift der Atem durchs Blut
der Schmerz färbt das Holz in die Augen,
er sieht blutrot und verschwommen,
ein paar weiße Blitze und die leeren Gesichter
der Schinder. Man treibt ihn auf den Weg.
Nie hatte er so schwer getragen.

Ich weiß nicht, was er noch sieht unter
den Lidern, im wundgeschwellten Gesicht,
im Feuer der Schmerzen, mit den Dornen
im Kopf, unterm Kreuz,
taumelnd, als der Weg ihm beginnt.
Niemand nimmt sowas auf sich.
Doch es liegt schon auf ihm.
Er schaut blutädrig den Schrecken,
der ihn ausquält zum hitzig gleißenden Tod,
in die Kälte aus Hass.
Was denkt er im verklumpenden Fleisch?
Ein paar Stunden noch in seiner Stunde.
der Blick Schrei, der bald bricht.
Ein Gebet?
Vater.

Es muss sein, sagte er einmal den Jüngern.
Warum?
Was soll das?

Es ist über ihm. Vater.
Mein Gott.

(Josef Rossmaier)

Der 12-teilige Kreuzweg sowie eine Auswahl großformatiger Gemälde aus dem Jahr 2014 sind zusammen mit den eindrucksvollen Worten von Josef Rossmaier im 40-seitigen Katalog „Jacques Gassmann, Weg und Nachweg“, Sonderheft 7 des Diözesanmuseums Regensburg unter der ISBN 978-3-9817126-0-5 erschienen. 

Der rote Faden ist gelegt …

Die alten Mythen enthalten zentrale Aussagen über die Menschheit. Das Bild des Minotaurus von Christian Lippuner ist auf einer so tiefen Ebene anrührend, dass man es nur anschauen braucht – es ist alles drin. Obwohl nur ein „Portrait“, keine Ganzkörper-Darstellung – auf irgendeine geniale Art und Weise vermittelt es die ganze Tragik dieses Halb-Tier- und Halb-Mensch-Wesens. Dieser Stierkopf hat etwas Menschliches und unendlich Trauriges.

Ins Leben gerufen durch ein Schicksalsverhängnis, die Rache der Götter, durch einen Ehebruch seiner Mutter; dazu verdammt, eine menschenfressende Bestie zu sein, allein in einer Höhle zu leben … was für ein schlimmes Schicksal. Er hat nichts dazu getan. Gäbe es ein liebendes Wesen, das sich ihm nähert, müsste er es auffressen, zerstören.

Dann kommt einer, dringt zu ihm vor, mit einem Fadenknäuel und einem Schwert bewaffnet, aber nur, um ihn zu töten … Er ist blass, der Lippuner – Minotaurus, und sieht nicht aus wie kampfbereit. Eines seiner Hörner ist abgedreht. Sein Kampfesmut ist schon gesunken, er weiß, dass seine Tage gezählt sind. Vielleicht froh, bald von sich selbst befreit zu werden, aus dieser Verschlingung ins Verhängnis, in der er gefangen ist … Verschlingung ist hier sein Wesen.

Das waren spontan meine Gedanken, als ich ihn sah … verwundert! Aber auf den zweiten Blick verstehend … eine Metapher für die Menschheit?

Die Gier nach Liebe, nach dem Lebendigen, die im Mythos vom Minotaurus spricht, macht ihn zum Opfer seiner selbst. Am Ende steht er, mächtig aber verlassen, in der dunklen Höhle am Ende des Labyrinths. Und wird selbst getötet. Gibt das nicht die beste Metapher ab? Der Mensch ist so mächtig, dass er alle „Feinde“ beseitigen kann. Aber welchen Sinn hat das? Die Gewalt richtet sich am Ende gegen sich selbst, erschafft genau das, was sie am meisten fürchtet: die Einsamkeit, den Tod. Was für ein trauriges, verzweifeltes Wesen ist dieser Minotaurus! Ein Zwitterwesen, so in die Welt geworfen, kennt sich selbst nicht, muss auf immer seine Triebe ausleben …

Der Befreier kommt von außen, der Mensch! Er will dieses destruktive Triebwesen (in sich?) abtöten. Er findet aus dem Labyrinth heraus mit dem roten Faden der Liebe. Die Liebe ist das, was uns aus dieser elenden, gewalttätigen Existenz den Ausweg gibt. Aber das (gegenseitige und selbstige) Töten muss ein Ende haben. Das ist der Unterschied zwischen dem Helden im Altertum und dem Heute: Denn inzwischen ist der Christus in die Welt gekommen …Christus lehrt die bedingungslose Liebe und das Vergeben. Auge um Auge, Zahn um Zahn – das ist vorüber.

Ja, über das Töten und Abtöten (auch unserer eigenen Schattenseiten) müssen wir hinauskommen. Denn im Grunde sind all diese Kräfte, auch die scheinbar bösen, ein Zugang zum Lebendigen, wenn man sie nur richtig nutzt: Zerstörung des „Feindes“ ist der Versuch, sich das Lebendige einzuverleiben, das kann heute auf die geistige Ebene verlagert werden. Wut ist gut, sie enthält viel kreatives Potential. Hass will im Grunde Liebe, er entsteht aus Ohnmacht. Konkurrenzstreben offenbart das Streben nach Vollkommenheit … usw. Das alles sind doch Energien, und wir wissen heute genug über die menschliche Seele, um uns diese Energien nutzbar machen zu können. Christus hat uns übrigens aufgezeigt, wie wir da hinkommen können.

Der Minotaurus ist schon überwunden. Der rote Faden ist gelegt. Wie in vielen alten Märchen, in denen Verwandlung stattfindet (z.B. „Die Schöne und das Biest“) muss nur eine/r kommen, die/der die Abscheu und Furcht überwindet. Dann kann der verwünschte Tier-Mensch entzaubert werden.

In Reichweite

Was Du als selbstverständlich betrachtest,
ist für mich ausser Reichweite
Was ich säe,
wird im Keim erstickt – durch eine unzähmbar gewordene Natur
und durch die ungleiche Verteilung

Wir hoffen weiter – auf Gerechtigkeit
Du kennst keinen Hunger
Ich harre im Hunger aus
Was Du isst,
säe und ernte ich und gebe es weg
Dir fällt die Auswahl schwer,
während ich keine habe
Mit dem, was ich verdiene, kann ich kaum meine Kinder ernähren
Das Ungleichgewicht bleibt bestehen
In der Sättigung erstarkt,
im Hunger schwach
Werden wir uns je wehren können?
Gibt es Gerechtigkeit?
Übersättigung – Unterernährung

Wir hungern weiter

Worin bestünde die Gerechtigkeit?
Ich verdiene an meiner Ernte soviel,
dass ich leben kann
Auf Ausgleich hoffen und auf Morgen vertrösten
Wo verbirgt sich die Klage für das Unterlassene?

Wer hungert, erfährt Gerechtigkeit

Im Teilen zwischen Dir und mir entstünde Hoffnung
Und die Möglichkeit einer fruchtbaren Zukunft

Text: Michèle Brandenberg, Zug/Basel
Bild: Sr. Gielia Degonda, Kloster Ingenbohl

Gegen das Vergessen

In dieser Wandnische der Rosenkranzkirche in Osnabrück ranken vier rote, flammen- oder wurmähnliche Formen zum Glasfenster hoch. Allen ist eine horizontale Basis eigen, aus der längliche Formen hervorgehen, die an liegende, sitzende, kniende Menschen erinnern, die sich nach Licht sehnen. Man erhält den Eindruck in einem Keller zu sitzen, in Gefangenschaft.

Die Konturen und Oberflächen dieser unförmigen Gestalten sind ganz unterschiedlich gestaltet und verweisen auf vielfältige äußere Einwirkungen. Da gibt es tiefe Einschnitte, die an Verletzungen mit einem Messer, aber auch an einschneidende und unvergessliche Erlebnisse erinnern können. Andernorts ist die Oberfläche wie von Bombensplittern zerfetzt aufgebrochen, die Ränder wie nach einer Explosion ausgefranst. Dann wieder findet man abgetrennte Glieder oder Bereiche, die sich aufzulösen scheinen. So sind überall Verletzungen zu sehen und Beschädigung des menschlichen Lebens und des Lebensumfeldes zu spüren.

Dazwischen finden sich mit Goldfarbe geschriebene Vor- und Nachnamen. Sie erinnern an das Schicksal von zwölf niederländischen und italienischen Zwangsarbeitern, denen beim Bombenangriff der Alliierten am 16. Februar 1945 auf Grund ihrer nicht-arischen Herkunft der Zutritt zum Bunker am Schinkelberg in Osnabrück verwehrt worden war. Darauf waren sie in den Keller der Rosenkranzkirche geflüchtet, die jedoch durch einen Volltreffer total zerstört wurde, so dass alle Zwölf darin den Tod fanden.

Im Zuge der Renovierungsarbeiten und Umbaumaßnahmen 2013/2014 sollte das Mahnmal, das schon 2003 unter der Leitung des damaligen Religionslehrers der Gesamtschule Schinkel, Heinrich Munk, durch eine Schülergruppe gestaltet worden war, erneuert werden. Wiederum nahm sich eine Schülergruppe der Gesamtschule Schinkel dieser Aufgabe an. Der Kunstkurs entwickelte Konzepte für die Neugestaltung und unterbreitete dem Bauausschuss der Gemeinde vier Vorschläge. Dieser entschied sich für den Entwurf, bei dem das Rosenmuster der Kirchenfenster blutig rot an den Wänden fortgesetzt wurde.

Für die Überarbeitung und Ausführung des Entwurfs wurde der Künstler Tobias Kammerer beauftragt. Unter seiner Anleitung konnten die Schülerinnen des Kunstkurses in einer Projektwoche ihren Entwurf selbst auf die Wand übertragen (Bild 1, Bild 2, Bild 3). Während die einen an der Wand direkt arbeiteten, bereiteten andere die Schablonen für die Namen der zwölf Opfer vor, wiederum andere kümmerten sich um die Dokumentation der Arbeit, machten einen Flyer zur Gedenkstätte oder sorgten für das leibliche Wohl der Arbeitsgruppe.

Von den alten Glasfenstern mit dem Thema der schmerzhaften Rosenkranzgeheimnisse ausgehend zeichnet sich die Malerei weiter. Die Farbe Rot steht für den Schmerz, den diese Leute erlitten, gleichzeitig verweist sie auf das Martyrium Christi. Die roten Farbfelder erinnern an die Zerbombung Osnabrücks und das Flammenmeer jener Tage. Das Kreuz in der Wandmitte stand seit 1914 am Hochaltar über den Tabernakel. Es wurde nach dem Bombenangriff in den Trümmern wiedergefunden und als Assoziation zu den Opfern dort angebracht. Die in Gold gemalten Namen der Opfer bilden eine Farb- und Symbolverwandtschaft zu der Auferstehungsthematik an der Chorwand.

Am 19. Januar 2015 wurde den Schülerinnen des Kunstkurses für die Realisierung dieser Gedenkstätte der zweite Platz des Niedersächsischen Schülerfriedenspreises verliehen.

Persönlich hat mich beeindruckt, dass die damalige Arbeits- und Lebensgemeinschaft der Zwangsarbeiter in Osnabrück durch dieses Projekt bereichsübergreifend (Schule/Kirche und Schülerinnen/Künstler) und auf seine Weise in unserer Zeit fortgesetzt wurde. Es wird damit eindrücklich gezeigt, dass Gemeinschaft einem Geist entstammt und eine verbindende Kraft bildet, die keine Grenzen kennt.

Gesehen und geliebt

Das abstrakte Bild lädt ein, über die hellblauen Flächigen in den Randbereichen betreten zu werden. Denn in der Mitte befindet sich eine weiß-gelbe Lichtung, außen herum bandförmige Elemente, die diesen Bereich mal geordnet wie ein Zaun mal in chaotischem Durcheinander umgeben. Es ist nicht klar, ob diese Elemente eine schützende Funktion haben oder von der Lichtung selbst verursacht wurden. Nur von unten her scheint ein Zugang zu diesem zentralen Bereich möglich zu sein, der wie eine Öffnung auf eine andere, dahinter, darunter oder darüber liegende Wirklichkeit verweist.

Die verschiedenen Elemente bilden kraftvolle Kontraste zueinander. Auch die fünf dunkelblauen Flächen, die sich im Kreis um die weiß-gelbe Lichtung gruppieren, gehören dazu. Sie stehen lebendig miteinander im Dialog und bilden sowohl Bereiche spannungsvoller, ja fast explosiver Dynamik als auch Zonen der Ruhe und Entspannung.

Je länger man schaut, vermag man jedoch auch ein großes, formatfüllendes Auge zu entdecken, das nach rechts schaut. Das weiße Zentrum gibt dann die Linse wieder, die Bänder außen herum die Wimpern. Inmitten der hellblauen Farbe, die an einen klaren Himmel erinnert, entwickelt sich das Auge dann zu einem Himmelsauge, einer Öffnung im Himmel, aus der groß und aufmerksam in unsere geschaffene Welt hineingeschaut wird.

Diese Beobachtung eröffnet ganz neue Assoziationen. Dieses Gesehen-Werden bedeutet, dass ich nie allein bin. Da ist jemand, der mich sieht, im positiven Sinn ein Auge auf mich hat und über mich wacht. Wenn jemand so etwas macht, dann muss ich ihm oder ihr viel bedeuten, er oder sie mich sehr schätzen, gern haben oder lieben. Vom Himmel her gesehen zu werden bedeutet dann, dass Gott mich sieht. Er hat sein Auge auf mich geworfen, weil er mich liebt, weil ich ihm viel bedeute und in seinen Augen wertvoll bin. So wie er nach der Taufe Jesu zu allen gesagt hat: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.“ (Mt 3,17) Der Evangelist Lukas verwendet anstelle des Wortes „geliebter Sohn“ „auserwählter Sohn“ (Lk 9,35). Denn wer geliebt wird, ist auch auserwählt.

Die moderne Interpretation des Auges Gottes erinnert uns an die Gegenwart Gottes. In seiner Liebe zu mir ist er in meinen Beziehungskreis getreten, hat er sich mir genähert, sich meiner angenommen und mich mit Gnade beschenkt („begnadigt“). Er lässt „sein Angesicht über mir leuchten“ (vgl. Num 6,24-26), um mich zu beschützen und darauf zu achten, dass mir kein Unheil geschieht. Dass Gott mich auserwählt und ein Auge für mich hat, bedeutet auch, dass er für das richtige Verständnis und Urteilsvermögen für mich hat. Ich kann mich ihm anvertrauen, mich ihm ganz überlassen und ihn machen lassen. Denn er hat ein gutes Auge (und Herz) für mich.

Umgekehrt schenken sein gütiger Blick und seine Wahl mir Geborgenheit und Gewissheit, im Tode ihn zu schauen, ja in die Augen schauen zu dürfen und ihm für seine unendliche Liebe danken zu können. Die helle Lichtung im Hellblau des Bildes ist diesbezüglich ein Lichtblick, der hoffen lässt und Sehnsucht weckt.