getroffen – betroffen

Zwölf Dart-Pfeile sind auf eine Figur des Gekreuzigten geworfen worden, neun haben seinen Körper getroffen und „nageln“ ihn auf dem weißen Untergrund fest. Die Pfeile erscheinen im Vergleich größer als die Figur des Gekreuzigten. Übermächtig an Größe und an Zahl dominieren sie das Geschehen – und wären doch nur ein Geschicklichkeitsspiel, wenn sie nicht Jesus als Ziel gehabt hätten.

So wird eine Hinrichtungsart aus der Zeit der Römer ins Zentrum eines harmlosen Wurfspiels unserer Zeit gestellt und eine Grausamkeit geschaffen, bei der man gar nicht richtig hinschauen kann. – Es tut weh, den Leib Jesu von diesen Pfeilen durchbohrt zu sehen, es schmerzt richtig, ihn an Händen, Füssen und anderen Körperstellen getroffen und festgenagelt zu sehen. – Vielleicht braucht es diese Verfremdung und dieses in-einen-neuen-Kontext-Stellen der Kreuzigung Jesu, um durch Gefühle wie Empörung, Entrüstung, Abscheu, etc. Betroffenheit und eine Re-Aktion auszulösen.

Denn „man wirft nicht mit Dartpfeilen auf einen religiösen Gegenstand wie die Figur des gekreuzigten Jesu. So etwas macht man nicht. Das ist pietätlos.“ – Aber trifft es nicht den Kern einer jeden Kreuzigung, einer jeden mutwilligen Tötung von Menschen, dass damit das Recht auf Leben genommen wird, dass damit das 5. Gebot mit Füßen getreten wird, nicht zu töten?

Zwölf rote Pfeile hat der Künstler für seine Arbeit verwendet. Symbolische zwölf, weil diese Menge eine erhabene Zahl darstellt, eine Fülle, die von alters her alles und alle impliziert. Jeder von uns ist durch seine Unvollkommenheit und Fehler ein potentieller Pfeil, der Jesus und mit ihm Gott trifft und verletzt. Die rote Farbe der Flights, wie die kreuzförmigen Flugstabilisatoren der Pfeile heißen, mag als Hinweis auf das leidenschaftliche Engagement gedeutet werden, wenn es um die Verteidigung eigener Meinungen, Rechte oder auch des eigenen Lebens geht. Man sieht dann oft nur noch „rot“ und handelt aus dem Affekt.

Die künstlerische Arbeit lässt darüber nachdenken, mit was für „Pfeilen“ wir um uns schießen. Mit welchen Worten und Haltungen verletzen wir Menschen in unseren Lebensbereichen, nageln wir sie fest und machen wir sie damit vielleicht handlungsunfähig? Denn alles, was wir wie auch immer den Geringsten unter uns zukommen lassen, machen wir für Jesus oder gegen ihn (vgl. Mt 25,40.45) – und treffen ihn damit – wie mit Pfeilen.

Trösten

Goldene Buchstaben bilden ein fast menschengroßes Schriftbild. Ohne Abstände fügt sich horizontal und vertikal ein Buchstabe an den anderen, so dass sich Wort- und Satzsinn nicht sofort erschließen. Durch ihre Größe fallen wahrscheinlich als erstes ganz oben ICH WILL und in der zweituntersten Reihe EMUT auf. Kann das bereits die Botschaft sein, dass hier jemand Mut zusprechen will? Nach und nach erschließt sich der ganze Satz: „Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet.“

Das Kunstwerk gibt einen Satz aus dem Buch Jesaja (66,13) wieder, in dem Gott zu seinem Volk spricht. Das Gold spiegelt die Größe und den Glanz Gottes. Es bringt auch zum Ausdruck, dass es ein ganz besonderes Wort ist. Ein kostbares Wort aus göttlichem Mund. Und dies im doppelten Sinn. Zum einen, weil es im Kontext von Bildern zu Geburt und Trost die eher weibliche Seite Gottes beschreibt und dadurch das männliche Gottesbild weicher und zugänglicher macht. Zum anderen sagt Gott damit, dass er sein Volk – und damit auch mich – wie eine gute Mutter ihr Kind – gut kennt und ihm fürsorglich vertraut nahe ist. Was ich auch anstelle, was auch immer mit mir passiert, seine Liebe bleibt unveränderlich. Ich kann immer zu ihm kommen. Er wird mich wie eine Mutter trösten und mir Mut zusprechen.

Das Wortgebilde ist mit seinen Abmessungen von 80 x 150 cm groß und stark. Wie ein Schild vermag es zu schützen, wie ein Mantel kann es Verfolgte umgeben und bergen, ihnen Halt geben und sie trösten. Das Buchstabennetz vermag die Fallenden aufzufangen, die Durchbrüche der Buchstaben bringen symbolisch zum Ausdruck, dass Gottes Trost in hoffnungslosen Situationen neue Durchblicke und Ausblicke ermöglicht. Sein Trost gibt den Gefallenen Mut, wieder aufzustehen, es nochmals zu versuchen – mit Seinem Glanz im Rücken und mit der Gewissheit im Herzen, dass er nahe ist und bleibt. ER ist mit mir. Wohin ich auch gehe, er bleibt mir nahe. Immanuel – Gott mit uns.

Sein Herz schlägt für sein Volk, für jedes einzelne seiner Kinder. Daran mag auch die rötliche Farbe auf der Rückseite erinnern, welche bei der richtigen Beleuchtung von der Wand reflektiert. Das Jesajawort ist ein wunderbarer Wegbegleiter für das Jahr 2016. Gott will uns wie eine Mutter trösten und in allen schwierigen Situationen ermutigen. Er will uns Heil zusprechen und uns stärken, die Schwierigkeiten zu überwinden und von neuem vorwärts zu gehen.
Gott will uns trösten … nun hängt es an uns, ob wir bei IHM Trost suchen …

Ankündigung des Lichts

Zwei baugleiche rechteckige Objekte aus Industriestahl formen zusammen ein Diptychon. Sie unterscheiden sich vor allem in der Zeichnung der 24 horizontalen Lamellen, welche die Rahmen füllen.

Ohne Größenvergleich erinnern die beiden Objekte an Flügeltüren eines Eingangs, eines Schrankes oder an Fensterläden. Man ist versucht, sie aufzustoßen, um zu sehen, was dahinter ist. Oder wenigstens zwischen den Lamellen durchzuspähen. Was für ein Raum sich dahinter wohl öffnen mag? Wird er dunkel oder von Licht erfüllt sein? Wird er klein und geschlossen sein oder groß und in die Weite führen?

Überraschenderweise sind die beiden Objekte mit den Außenmaßen von 61,5 x 45 cm nicht größer als zwei kleine Schranktüren. Vielleicht sollen sie daher gar nicht als Türelemente aufgefasst werden, sondern vielmehr als zwei Objekttafeln, die eine gemeinsame Geschichte erzählen. Die Witterungseinflüsse haben sie mit Rost unterschiedlich gezeichnet. Die Patina lässt an einen lichten Weg denken, die Rostspuren an Wasser, das sich langsam vom vorderen Rand her in die Tiefe der Türen vorgearbeitet hat. (Detail)

Je länger man schaut, umso mehr erinnern die Lamellenstöße an Schriftlinien, auf denen geschrieben wurde. Nicht mit Buchstaben, sondern mit der „Handschrift“ des Rosts. Hell zeichnet sich seine Spur auf dem dunklen Grund ab und erzählt von einer langsamen Verwandlung durch das Wasser, die sich durch das Eindringen und Durchdringen des steten Wassereinfalls vollzogen hat. Die Oberfläche ist bereits hell geworden und kündet von einer anderen Gegenwart – die das ganze Wesen des Objektes verändern wird, wenn es sich dem Einfluss nicht entzieht.

So gesehen können die beiden Objekte Sinnbilder für das Erste und das Zweite Testament sein, entfernt auch für die zwei Tafeln mit den zehn Geboten, die Moses von Gott erhielt. Desweiteren vermögen sie zu erzählen, wie Gottes Wort Licht in das menschliche Dunkel zu bringen vermag (vgl. Ps 119), wie er als Retter allen beisteht, die für sein Wort offen sind (vgl. Ps 19,17-23), es hören und befolgen (Lk 11,28). In dem Sinne mag auch der erste Eindruck einer Doppeltür nicht verkehrt gewesen sein. Wer mit Gott geht, dem öffnen sich aus der Begegnung mit seinem Wort immer wieder Türen und es erschließen sich lichte Räume – gerade in ausweglosen Situationen.

„Über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf (Jes 9,1b).

Aufnahme in den Himmel

Die menschenähnliche Gestalt erinnert an Vielerlei. Sie lässt vor allem den Menschen dahinter suchen. Denn Größe und Gestalt stimmen mit einem Menschen überein, aber es sind nicht eindeutig Beine oder Arme auszumachen. Vielmehr fallen acht oder sind es gar neun blätter- oder flügelartige Ausformungen im Bereich des Oberkörpers auf. Zusammen mit dem spitz zulaufenden unteren Körperende verleihen sie der Gestalt etwas Schwebendes, das sowohl mit tierischen als auch himmlischen Wesen in Verbindung gebracht werden kann.

Auch das Material des Objektes verhüllt den Menschen viel mehr als es ihn enthüllt, vermitteln die Stoffbahnen doch den Eindruck einer mit Leinenbinden umwickelten Gestalt. So wie man es früher mit Verstorbenen gemacht hatte. Doch die geschwungenen Umrisse, die bewegten Ausformungen erzählen nicht von einer toten, sondern von einer lebenden Person. Hier liegt keine Mumie, sondern steht jemand, der dem Betrachter die Botschaft vom Leben verkündet.

Der Untertitel bringt das Kunstwerk in Verbindung mit Maria und den „sieben“ Schmerzen, die sie in Jesu Kindheit und bei seiner Passion mitdurchlitten hat.

1. Darstellung Jesu im Tempel mit Weissagung Simeons (Lk 2,34-35)
2. Flucht nach Ägypten vor dem Kindermörder Herodes (Mt 2,13-15)
3. Verlust des zwölfjährigen Jesus im Tempel (Lk 2,43-45)
4. Jesus begegnet seiner Mutter am Kreuzweg
5. Kreuzigung und Sterben Christi (Joh 19,17-39)
6. Kreuzabnahme / Beweinung Christi (Mt 27,57-59)
7. Grablegung Jesu (Joh 19,40-42)

In der Kunst wurden die sieben Schmerzen Mariens gerne mit Schwertern oder Messern dargestellt, die ihr Herz durchbohrten. Formal ist eine gewisse Ähnlichkeit durchaus gegeben, aber die Ausformungen weisen darüber hinaus. Der Schmerz und das Mitleiden sind wunderbar gewandelt worden in ein größeres Ganzes, so wie beim Schmetterling alle Mühen der Raupe in Anbetracht seiner neuen Lebensform und Schönheit in den Hintergrund treten. Diese Erfahrung dürfen auch wir Menschen glücklicherweise immer wieder – wenn auch leider nicht immer – machen. Diesbezüglich kann die Plastik über Maria hinaus jeden Menschen ansprechen und ihm Trost und Hoffnung schenken. Schmerz, Leid und Trauer nicht ewig, sondern werden einst gewandelt in himmlische Freude, wie es auch die Aufnahme Mariens in den Himmel vorbildhaft zum Ausdruck bringt.

Im gleichen Sinn lassen sich bei der beflügelten Gestalt auch trefflich die Worte Jesu aus der Bergpredigt hören und meditieren. Denn auch sie künden von einer unvorstellbaren Wandlung zum Guten, Ganzen, Vollendeten, welche eine endgültige Nähe zu Gott beinhalten.

Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.
Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn so wurden schon vor euch die Propheten verfolgt.
(Mt 5,3-12)

Aufforderung zu retten

Aus der Ferne ist das Kunstwerk ein Rettungsring, wie man ihn überall an den Ufern von Gewässern an Pfosten oder Hauswänden hängen sieht. Weit leuchtet seine signalrote Farbe, vierfach unterbrochen von breiten weißen Streifen, normalerweise in der Diagonale. Ringsum ein Seil, um sich besser daran festhalten zu können.

Aus der Nähe betrachtet entpuppt sich der vermeintliche Rettungsring als eine eingefärbte Stacheldrahtrolle, ironischerweise mit Verbandmull zusammengebunden. Wer ihn anfasst, verletzt sich, wer sich an seinen Seilen festhalten will, geht mit ihm unter. Denn dieser Ring ist bleischwer, er hat weder Schwimm- noch Tragvermögen, sondern zieht mit seinem Gewicht in die Tiefe.

So erinnert das Kunstwerk an die unzähligen Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten, deren Boot kenterte und seinen Passagieren in den Wellen und Stürmen des Mittelmeers den Tod brachte. Es erinnert an all jene Flüchtlinge, die aus Seenot gerettet worden sind, nun aber, wie alle Flüchtlinge, die das rettende Ufer erreicht haben, die Stacheln der Behörden und viel Unmut und Unverständnis der Bevölkerung spüren.

Dieser Rettungsring symbolisiert eine trügerische Sicherheit. Der Ring wird nicht verwendet, um Menschen in Seenot zu retten, sondern um sich vor ihnen zu schützen, sie abzuwehren. Manchen Europäern kommt das Mittelmeer als großer Wassergraben der „Festung Europa“ sehr gelegen, sonst wären es noch mehr Überlaufer, noch mehr Flüchtlinge, die kommen würden, noch mehr Asylgesuche.

Eine leichte Drehung um 45 Grad brachte die weißen Bereiche eines Rettungsringes zudem in eine waagrechte und senkrechte Ausrichtung, so dass in ihnen ein Kreuz gesehen werden kann. Auch Assoziationen zum Heiligenschein von Jesus werden dadurch geweckt, da dieser sich mit der Kreuzform von den Heiligenscheinen anderer Heiliger abhebt, um an seinen Kreuzestod zu erinnern. Doch dieser Kreis umgibt keinen Kopf. Er ist leer in der Mitte. Dieser Rettungsring hat keine Verdienste, hat niemandem Heil gebracht, er ist scheinheilig.

Die Arbeit appelliert eindrücklich an unsere Hilfsbereitschaft und Menschenfreundlichkeit. Wir sollen die Grenzen nicht zu eng ziehen in unserer Angst und Sorge um unser eigenes Wohl. Der „Rettungsring“ von Nikodemus Löffl zeigt, wie wenig es braucht, um eine Idee, ein Verhalten ins Gegenteil kippen zu lassen. Ins Negative, aber auch ins Positive. Denn dieser „Negativ-Rettungsring“ ermutigt, wo und wem auch immer, der in Not ist, richtige, tragfähige Rettungsringe zuzuwerfen: „Rettungsringe“ in Form von Haltungen und Verhalten von uns, die sie aus der Verlorenheit der See in die Gemeinschaft zurückholen, die ihnen wieder festen Boden unter den Füßen schenken. Hilfeleistungen, die sie von Hunger und Durst, Kälte und Nässe erlösen.

Letztlich geht es um unsere Herzlichkeit, die ihnen über die temporäre Zuwendung und Anteilnahme hinaus Geborgenheit und eine neue Heimat schenkt. – Einen rettenden Ring herzlicher Wärme. Ganz in der Nachfolge Jesu, der uns durch sein Verhalten deutlich gezeigt hat, wie Gott jeden von uns grenzenlos liebt und in dieser Liebe umgibt und trägt.

Totentanz

Stramm steht es da, das weiße Skelett eines Menschen. Die Füße berühren sich wie in Habachtungstellung, die Arme liegen am Oberkörper an, der Kopf ist über die Schulter rechts nach hinten gedreht. Es steht auf einer silbergrauen Kreisfläche, oder besser gesagt es dreht sich leicht erhöht um seine eigene Achse (Video anschauen).

Die ruckartigen Bewegungen lassen alle Knochen zittern und das Skelett bescheiden tanzen. Runde um Runde, im Sekundentakt, Minute um Minute, Stunde um Stunde … ein einsamer Totentanz. Nicht nur dass der Kopf weggedreht ist, das Gesicht ist zudem mit einer Maske bedeckt. Die Identität dieses Toten bleibt damit verborgen, sein wahres Gesicht verhüllt.

Es stellt sich die Frage, ob hier einfach ein Menschenskelett oder der Tod selber dargestellt ist. Gegen den Gevatter Tod spricht, dass das Skelett keine Sense trägt. Aber aus der Kopfhaltung spricht Stolz. „Schaut nur, mir kann keiner etwas anhaben. Ich drehe mich unaufhörlich und werde jeden von euch zu seiner Zeit holen.“ Es sieht zwar aus, als schäme er sich, als würde er es nicht wagen, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen in die Augen zu schauen. – Aber kommt der Tod nicht oft genug überraschend? Dazu würde auch die Totenmaske passen. Er kommt oft heimtückisch, unerwartet. – Aber der Tod mit einer Totenmaske?! Das macht ihn absurd! Und man ahnt: hinter dem Tod lauert der andere Tod!

Die Skulptur reiht sich in die vielen Vanitas-Darstellungen ein, die seit der Renaissance daran erinnern, dass unser Leben vergänglich und nichtig ist und wir keine Gewalt über das Leben haben. Schädel und Sanduhr waren in der Kunst dafür aussagekräftige Symbole. Die Zeit vergeht und entgleitet wie der Sand. Bei Hans Thomann stehen dafür das Skelett, seine Drehungen um sich selbst und im Sekundentakt unserer Uhren und Zeitmessung.

Doch die Frage bleibt, ob es sich bei diesem Totentanz nicht um mehr als den Tod oder ein Vanitas-Motiv handeln kann. In früheren Totentanzdarstellungen tanzte der Tod immer mit einem Menschen. Ein Zeichen, dass er ohne Rücksicht auf Rang, Alter oder Geschlecht alle Menschen oft mitten aus dem Leben zu sich holt. Hier tanzt der Tod allein. – Haben wir ihm mit unserer modernen Medizintechnik ein Schnippchen geschlagen?

Eine andere Sichtweise wäre, dass das tanzende Skelett möglicherweise gar nicht den Tod darstellt, sondern auf den Glauben vieler Religionen hinweist, dass die Verstorbenen nicht im Tod bleiben, sondern in einer für uns unsichtbaren Realität weiterleben. Denn wenn Tote tanzen, dann heißt das doch, dass sie leben, dass sie voller Lebensfreude sind. – Dreht das Skelett vielleicht deswegen den Kopf nach hinten, weil da eine größere Macht ist, die es hält? Eine Macht, die auch uns nach dem Tod, nach dem Zerfall bis auf die Knochen stehen, bestehen lässt, ja über die Zeit hinaus uns drehen, tanzen, freuen, leben lässt?

 

Im Sekundentakt zittern seine Glieder im Kreis
holt der Tod die Menschen aus dem irdischen Leben
entreißt er sie dem Kreislauf der Zeit
dem nie endenden menschlichen Taumel und Stressfaktor.

Doch was soll er mit all den Menschen nur machen
als sie – als Gottes Geschöpf – IHM weitergeben
damit ER allen Menschen
in seiner nie endenden Ruhe Frieden und ewiges Leben geben kann?

Video nochmals anschauen

Heilfasten des Sehens

Großflächig hängt die Stoffskulptur im Chorbereich dieser Kirche. Naturfarbern und unbemalt. Das Bildprogramm entfaltet sich nicht durch eines oder mehrere Bilder wie bei anderen Fastentüchern, sondern über das Material, die Verarbeitung und Hängung des Gewebes.

Wie ein Kleidungsstück zum Trocknen ist das Fastentuch über eine horizontale Stange gelegt. Akkurat. Durch die Doppelung des Gewebes wird die konische Form deutlich – oben ist das Gewebe weiter, unten enger.

Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass Stoffsteifen spiralig zu einem Schlauch zusammengenäht worden sind. An beiden Enden steht ein Stoffzipfel vor (Detailbild). Die Stoffstreifen sind unten schmal geschnitten und werden nach oben immer breiter. Spiralförmig aneinandergenäht, symbolisieren sie einen Weg, ein Wachstum, das klein angefangen hat und immer größer und weiter wird. Sie lassen an das Leben denken, seinen Anfang und sein Ende, die lange Zeit der Entwicklung dazwischen, welche dem Leben seine so schlichte Form gegeben hat.

Die Stoffstreifen lassen durch ihr Material wie ihre Breite auch an die Leinenbinden denken, mit denen der Leichnam Jesu im Grab umwickelt war (Joh 20,5-7). Nun hängen sie zusammengenäht als abgestreiftes Gewand über dem Stab, aufgehängt wie die nicht mehr benötigte Körperhülle nach einer Verwandlung. Noch meint man die menschliche Gestalt, die das Kleid getragen hat, in der Stoffskulptur wahrzunehmen: Gerade auch, weil die oberen beiden Stoffschichten die Fortsetzung des unten sichtbaren schmaleren Teils als hohe vertikale Erscheinung durchscheinen lassen. Die „Waagrechten“ deuten unten die Füße an, darüber die Hände an herabhängenden Armen, oben den Schulterbereich.

Aber die Hülle ist leer. Und die mehrfachen Stoffschichten entziehen den menschlichen Blicken auch die dahinterliegende Kreuzigungsgruppe. Wir sind auf Entzug gesetzt. Wir sehen nichts von ihm, verharren in der Betrachtung all dessen, was er durchgemacht hat, und dürfen durch das weiße Leinengewand doch die Auferstehung des Totgeglaubten erahnen.

Visueller Entzug ist Fasten für die Augen. Wir sollen zur Ruhe kommen, gerade in der heutigen Bilderflut. Die Stoffskulptur gibt Raum zur Einkehr, zur Besinnung auf die vielen Erfahrungen und Erlebnisse, die uns bewegt und geprägt haben. Vor unserem inneren Auge bildet sie so etwas wie eine weiße Leinwand, auf die wir alles in uns Verborgene, Unausgesprochene, Dunkle und Schwere projizieren dürfen. – Damit es durch ihn und mit ihm verwandelt werde, heil werde, zu neuem Leben. Was verwickelt war, möge sich entwirren, das Verbundene entbunden werden, das Festgehaltene sich wieder befreien.

Claudia Merx gewann mit dieser Arbeit beim Wettbewerb ARS LITURGICA 2012 – Gestaltung eines Fastentuchs, den 1. Platz. Zur gleichnamigen Ausstellung der besten Entwürfe im Kardinal-Hengsbach-Haus, Essen vom 15. Mai bis zum 21. Juli 2013 erschien ein Katalog mit hervorragenden Beiträgen sowie die Präsentation der 15 besten Arbeiten. Der Katalog kann für 8 Euro beim Liturgischen Institut in Trier erworben werden.

Pressebericht zur Ausstellung FASTENTUCH MODERN vom 11. November 2013 bis 26. Januar 2014 im Textilmuseum Krefeld.

Das unsichtbare Kreuz

Zwei Paar Schuhe befinden sich in einer Metallbox mit Glasabdeckung. Es sind schwarze Herren-Halbschuhe, die Oberfläche des Glattleders glänzt und die Schnürsenkel sind gebunden. Sie stehen bzw. hängen auf dem grauschwarzen Mittelfeld eines sonst weißen Hintergrundes. Es ist keine Befestigung auszumachen. Die Drähte, welche die Schuhe mitten in der Einstiegsöffnung und vor dem Absatz umwickeln, halten farbige Glassteine in den Schuhen.

Die vier Lederschuhe „stehen“ ordentlich im Zentrum des Objekts. Ordentlich bedeutet in diesem Fall, dass sie vertikal ausgerichtet sind, paarweise übereinander stehen, zwischen dem linken und dem rechten Schuh jeweils gut eine halbe Schuhbreite Abstand. Alle Freiflächen stehen zueinander in einer harmonischen Beziehung.

Den Hintergrund oder aus anderer Sicht die Grundlage bildet ein teilweise mit grauschwarzer Farbe bedecktes Büttenpapier. Es ist schwer zu erkennen, ob die Farbe ausgegossen oder aufgemalt wurde. Unten rechts lassen helle Bereiche Spuren eines Pinsels vermuten. Auf den weißen Flächen verteilte Farbtupfer und –spritzer suggerieren eine spontane Arbeitsweise.

Man kann die dunkle Fläche einfach als abstrakte Form stehen lassen. Assoziativ lassen die Konturen aber auch einen weiblichen Torso von der Seite sehen, bei dem der Hals spitz zuläuft. Der einzige weiße Punkt in der Spitze des Farbkörpers ermöglicht zudem eine weitere Sichtweise. Das kleine weiße Rund ist eine Aussparung von Farbe und wirkt wie ein Loch, an dem der schwarzgraue Farbkörper wie ein Stück Schlachtfleisch im Raum aufgehängt ist.

Diese Beobachtungen und Gedanken mögen verstören und skandalös wirken. Denn es sind Männerschuhe auf einer Frauensilhouette. Es sind mit Steinen beschwerte Schuhe, die ein stilisiertes Stück Fleisch treten, das getötetes Leben bedeutet, ein enthauptetes, gehängtes Lebewesen. Unter der ästhetischen Schönheit der Arbeit verbergen sich tatsächlich grausame Beziehungen und Machenschaften, die unzähliges und unsägliches Leid im zwischenmenschlichen Bereich wie im Umgang mit anderen Lebewesen anprangern.

Unbarmherzig stellt der Künstler mit seinem Objekt die barbarische Seite vieler Männer wie in einem Schaufenster zur Schau . Die schwarzen Lederschuhe deuten auf diejenigen, die sie normalerweise tragen. Es ist typisch, dass diese Männer nicht sichtbar sind, denn sie verheimlichen ihre Machenschaften gerne. Stehen sie doch oft im Gegensatz zu dem, was sie vorgeben zu tun und zu sein. Die farbigen Glasbrocken mögen Symbole für alles sein, das sie sich selbst (in die Taschen) oder gegenseitig in die Schuhe schieben, um sich damit zu bereichern oder zu entlasten.

So ist es nicht verwunderlich, dass auch das Kreuz, das sich aus den horizontalen und vertikalen Abständen der Schuhe ergibt, ein unsichtbares Kreuz bleibt. Mit seinem Tod am Kreuz hat sich Jesus mitten in das Leid dieser Welt hineinbegeben, um das Leid aller Menschen und aller Zeiten, um das Leid der ganzen Schöpfung von innen heraus zu umfassen und durch seinen Tod zu sühnen. Durch Jesus ist Gott gerade im Leidenden bleibend gegenwärtig, in dem, der seine Schmerzen und sein Leid oft in großer Einsamkeit und bis zum Tod ertragen muss.

Das Kreuz ist unsichtbar. Aber es ist geistig wahrnehmbar. Gott sei Dank ist es da. Gott sei Dank ist GOTT da. Still und leise, aber machtvoll.

Auferstehung

Die Figur des gekreuzigten Jesus dominiert diesen fotografisch festgehaltenen Moment einer Performance. Mit den ausgebreiteten Armen, dem nach rechts geneigten und mit Dornen gekrönten Kopf sowie den geschlossenen Augen ist er noch in der Körperhaltung des Gekreuzigten und am Kreuz Verstorbenen.

Das Kreuz ist allerdings nicht mehr zu sehen, auch ist die Dunkelheit jener Stunde einem hell erleuchteten Umfeld gewichen. Die unveränderte Körperhaltung von Jesus erzählt, dass er, auch vom Kreuz abgenommen, der vom Kreuz Gezeichnete bleibt.

Aufmerken lässt der Eisblock, der seinen Unterleib umgibt und festhält. Diese Darstellung ist ungewöhnlich und lässt innehalten. Eis ist Wasser, das bei Temperaturen unter null Grad gefror. Wir verbinden es mit großer Kälte, Erstarrung und Unbeweglichkeit. Im Zusammenhang mit der Figur des vom Kreuz Abgenommenen könnte es für den Tod stehen, der seinem Leib das Leben genommen hat, ihn erstarren ließ und wie Eis umklammerte. Andererseits könnte der Eisblock auch das Grab symbolisieren, in das der Leichnam hineingelegt worden war (Bild 1/5).

Doch Eis wird auch zum Konservieren verwendet. Diesbezüglich könnte es auch ein Hinweis sein, dass der Tod das Leben nur scheinbar nehmen bzw. festhalten kann. In Wirklichkeit wird es für die Auferweckung zum ewigen Leben aufbewahrt. Denn ein Anderer steht durch seine Liebe näher bei den Menschen und ist mit seiner Herzlichkeit und Wärme stärker als der Tod (Detail von Bild 2/5).

Der obere Teil des ursprünglich die Figur vollständig umgebenden Eises ist bereits geschmolzen. Hier scheint sich der Gekreuzigte nun wie nach dem Schlaf die Arme zu strecken und sich seiner wiedergewonnenen Freiheit zu freuen. Zudem wird deutlich, dass sein Erlöser von oben her wirkt. Durch seine Wärme schmilzt das Eis nach und nach und zuletzt werden die Fesseln seiner Füße freigegeben (ganze Bildreihe). Eine sonnenförmige Erscheinung auf der Schauseite des Objektes legt nahe, dass die abschmelzende Kraft wie eine Sonne wirkt, und suggeriert durch ihre Strahlen gleichzeitig, dass das Eis auch von Innen aufgebrochen werden kann.

Im Zusammenhang mit dem gekreuzigten und ins Grab gelegten Jesus kann sein Erlöser nur Jesu Vater sein. Durch das von oben her schmelzende Eis wird verstärkt, dass die Befreiung durch die Liebe Gottes bewirkt wurde, durch seine Herzlichkeit, sein Erbarmen, seine tiefen Gefühle für uns Menschen.

All diese Gaben stehen auch uns zur Verfügung, um Menschen Nähe zu schenken, die in todesähnlichen Zuständen leben, in erkalteten blockierten Beziehungen stecken oder unter menschlicher Kälte und Ignoranz leiden. Durch unsere Empathie, durch unsere Herzlichkeit und Barmherzigkeit haben wir das Potential, Mitmenschen zumindest in unseren irdischen Umständen zu neuem Leben zu verhelfen und dazu beizutragen, dass sie wieder Mut fassen, aufstehen und neu zu leben beginnen.

Vernagelte Schrift

Hinter einem „Gitter“ von geknickten Nägeln zeichnet sich eine graue Handschrift auf der hellen Leinwand ab. Von Hand geschriebene Sätze, denen die Zahlen 43 und 44 vorangestellt sind und weitere Zahlen und Buchstabenabkürzungen folgen, sind mit langen Nägeln zugenagelt worden.

Der Umstand, dass kein Nagel in die Schrift geschlagen, sondern stets daneben angesetzt wurde, zeugt von einem Respekt vor der Autorität dieses Wortes. Erst in einem zweiten Schritt wurden die Nägel kreuz und quer über den Text gebeugt, so dass alle zusammen eine harte Gegenschrift aus Metall bilden, die sich wie ein Maschenzaun über das geschriebene Wort legt. Meistens bilden zwei Nägel zusammen ein X, als wollten sie die lebendige Schrift durchstreichen, unkenntlich machen, damit ihr Inhalt nicht wie ein Virus in die Köpfe und Herzen der Betrachter hinüberspringt.

Was steht denn geschrieben, dass die Worte auf so wenig Gegenliebe stoßen und versucht wird, sie zu beschmutzen – so könnten die schwarzen fleckenartigen Erscheinungen gelesen werden – oder sie sich wie durch ein Gitter vom Leibe zu halten?

43 „Ihr habt gehört, daß gesagt ist, “Du sollst deinen Nächsten lieben” (3. Mose 19,18) und deinen Feind hassen.
44 Ich aber sage euch: “Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen” 2. Mose 23,4.5 ; Lk 6,27.28 . a Röm 12,14.20 b Lk 23.34; Mt 5,43; Apg 7,60

Dieser Satz stammt aus der Bergpredigt (Mt 5-7), wie er von Matthäus im 5. Kapitel seines Evangeliums überliefert wird. Jesus richtet die Worte an seine Jünger und alle, die sich um ihn versammelt hatten, um zu hören, weil er nicht wie einer ihrer Schriftgelehrten lehrte, sondern mit einer ungewöhnlichen Autorität. Aufbauend auf die herkömmliche Unterweisung lehrte er sie die neue Gerechtigkeit der Kinder Gottes, also eine neue, zum Teil bis dahin als unehrenhaft geltende Form des Zusammenlebens. In seinen Sätzen ist eine Sprengkraft, die für viele unbequem, herausfordernd, vielleicht sogar so überfordernd ist, dass sie sich wünschen, die Worte Jesu nie gehört zu haben.

Die guten Menschen lieben – ja! Aber diejenigen, die einem Böses wollen, das geht zu weit. Doch Jesus setzt noch eins oben drauf: Bittet auch für diese Menschen, die euch verfolgen! – Haben nicht gerade sie unser Gebet nötig, damit sie Einsicht und Kraft erhalten, von ihrem Tun zu lassen, umzukehren und gute Menschen zu werden?

Der Künstler hat die zwei Sätze mit Anführungs- und Schlusszeichen als direkte Rede hervorgehoben. Mit dem Du richtet sich Jesus zeitlos auch an uns als Betrachter: „DU sollst deinen Nächsten lieben“, „Liebt [ihr] eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen“.

Der über diese Worte gebeugte Nagelteppich lässt die Gewalt der Hammer-Schläge und den Druck der Mächtigen spüren, mit dem sie Menschen bedrängen, belasten und in die Knie zwingen. Der von Jesus angesprochene Feind und die bedrängende Verfolgung kommen im Symbol der gekrümmten Nägeln auf einmal beängstigend nah und machen die Überwindung erfahrbar, die es braucht, den zu lieben und für den zu beten, der mir das Leben schwer macht.

In die Hand gelegt

Ein sitzender Buddha meditiert ein mit Brombeerranken umwickeltes Bündel, das von der Größe und der Lage her an ein Kleinkind erinnert. Was für einen spannungsvollen Gegensatz hat die Künstlerin durch das Zusammenbringen dieser beiden Objekte aufgebaut, was für Welten sich dadurch begegnen lassen.

Schon rein materiell betrachtet bildet die glänzend-weiße Oberfläche des Porzellans einen kontrastreichen Hintergrund zu den matten Naturmaterialen des Bündels. Während die Buddhafigur sitzt und in einer meditativen Haltung verweilt, liegt das dornige Objekt passiv in ihrem Schoß und scheint die Situation zu erleiden. Außerdem steht die industriell-serielle Fertigung der Buddhafigur einer einmaligen manuellen Herstellung des Bündels gegenüber.

Die Buddhafigur stellt in idealisierter Form Siddharta Gautama dar, der meditiert, um Erleuchtung zu erlangen. Er sitzt mit gekreuzten Beinen da, eine Hand liegt in der anderen, beide Handflächen zeigen nach oben. Seine Augen sind geschlossen, sein Kopf leicht nach vorne geneigt. Auffallend sind auch seine großen Ohren, die hörende Offenheit signalisieren. Die Konzentration seiner Sammlung, die Hinwendung all seiner Sinne auf eine unsichtbare, transzendente wie immanente Präsenz ist deutlich spürbar.

Die Zufriedenheit, die er ausstrahlt, der Frieden, der von ihm ausgeht, lassen ahnen, dass er dieser geheimnisvollen Gegenwart begegnen und in dieser Begegnung verweilen durfte. Umspielt nicht ein leises Glück seine Mundwinkel und seine Augen? Er macht den glücklichen Eindruck, den oder das gefunden zu haben, das ihn erfüllt, ihm Halt gibt und ihn tief in sich ruhen lässt.

Macht das vielleicht die Faszination der Buddhafiguren aus, dass sie Ruhe und Harmonie, Zufriedenheit und ein Glücklich-Sein ausstrahlen, die wir uns so sehr ersehnen und in den Gesichtern unserer Mitmenschen so oft suchen? Ist er vielleicht deshalb auch für Christen so attraktiv geworden, weil er zu den unzähligen Kreuzigungsdarstellungen, die das Bild von Jesus mitprägen, eine Alternative bietet, bei der nicht das Leid und der Tod, sondern die Suche nach Erkenntnis, Ausgeglichenheit und Glück, letztlich das Leben im Hier und Jetzt im Vordergrund steht?

Das Bündel in seinem Schoß scheint ihn in seiner Meditation nicht zu stören, auch wenn es in den Brennpunkt seiner Aufmerksamkeit gelegt wurde. Für den Betrachter wird es aber zur humanistisch-christlichen Herausforderung, bei aller Konzentration auf das eigene Wohlergehen nicht den Blick für die Umwelt und Mitmenschen zu verlieren, für ihre Not und ihre Leiden. Das verschnürte Bündel aus Zeitungen und Stoff erinnert zum einen an ein Kleinkind, zum anderen schaffen die Dornenranken und das mit roter Farbe betupfte Tuch einen eindeutigen Bezug zum Leiden Jesu. Damit vermag das Bündel das Elend und die Hilfsbedürftigkeit der Menschen in ihrer lebenslänglichen „Menschwerdung“ von der Geburt bis zum Tod zu symbolisieren.

Offensichtlich ist auch die formale Ähnlichkeit mit einer Pietà. Von Maria sind unzählige Darstellungen überliefert, in denen sie ihren Sohn mit Freude als Kleinkind und mit Trauer als Verstorbenen in ihrem Schoß gehalten hat. Wie sie sollen wir den uns Anvertrauten das ganze Leben lang Halt geben. Letztlich geht es der Künstlerin darum, darauf hinzuweisen, dass Kontemplation und Aktion zusammengehören, dass wir einerseits leere Herzen und Hände brauchen, um uns selbst zu finden, andererseits um Einsicht und Mut zu erhalten, wo und wie wir in unserer Gesellschaft Verantwortung übernehmen und zum Wohle der ganzen Welt handeln müssen. – Denn vollkommenes Glück erreicht der Mensch nur in der Zuwendung zum Menschen.

Ein Kind entzweit …

Zwei dünne weiße Stoffrechtecke mit bedruckten Versen aus dem Koran stehen heute im Zentrum unserer Aufmerksamkeit (Gesamtansicht). Sie sind mit den Versen 16 bis 22 und 88 bis 93 der Sure 19 bedruckt, in denen es zentral um Maria und die Empfängnis des Gottessohnes geht. Nach der Verkündigung der Frohbotschaft an Maria (16 bis 22) folgt eine Reaktion zum diesbezüglichen Glaubensverständnis der Christen.

Sie, die Ungläubigen, die Christen sagen: „Der Barmherzige hat sich ein Kind zugelegt.” Mit dieser eurer Behauptung habt ihr etwas Schreckliches begangen. Schier brechen die Himmel aus Entsetzen darüber auseinander und spaltet sich die Erde und stürzen die Berge in sich zusammen, dass sie dem Barmherzigen ein Kind zuschreiben. Dem Barmherzigen steht es nicht an, sich ein Kind zuzulegen.

Die Bearbeitung und Darstellung dieser fünf Verse macht den Unterschied zwischen den beiden Stoffen aus. Oben ist der Text mit einem Goldfaden gestickt (Detailansicht), unten mit einem roten Garn in das Gewebe eingebracht, wobei hier die Garnenden als lange herunterhängende Fäden belassen wurden. Dadurch werden zwei ganz unterschiedliche Sichtweisen deutlich.

Mit dem Goldfaden wird hervorgehoben und gewürdigt, dass für die Muslime auch diese Worte zur Offenbarung Gottes gehören. Das Kostbare, Erhabene und Göttliche soll durch das Edelmetall zum Ausdruck kommen, als Zeichen dafür, dass Gott selbst gesprochen und damit seine ureigenen Gedanken kundgetan hat. Eine nahezu unermessliche Bestürzung und Distanzierung spricht aus ihnen. Was die Christen glauben, ist unannehmbar, unglaublich und letztlich Beweis, dass sie nach dem muslimischen Glaubensverständnis Ungläubige sind. Was sie glauben, ist für den Barmherzigen derart schrecklich, dass nicht nur er, sondern auch seine ganze Schöpfung (Himmel und Erde) und unausgesprochen auch alle Muslime unter der Spannung, die diese unerträgliche Behauptung auslöst, zu zerbersten drohen.

Der mit dem roten Faden wiedergegebene Text knüpft an diese gewaltigen und gewaltsam wirkenden Worte an. Was für die einen (die Muslime) Gottes heilige Offenbarung ist, die verehrt wird (Goldfaden-Variante), ist für die anderen (die Christen) ein Angriff auf ihr zentrales und ebenso unantastbares Glaubensverständnis der Gottessohnschaft Christi, dass in Jesus Christus der „eine” Gott Mensch geworden ist. Die rote Schrift lässt unwillkürlich an Blut denken (Detailansicht). Die herabhängenden Fäden suggerieren sogar herabfließendes Blut und lassen an die oft blutigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen zu diesen und anderen Glaubensansichten und -überzeugungen denken.

Mit den beiden künstlerisch gestalteten Varianten möchte die Künstlerin jeder Religion Respekt erweisen. Die Arbeit zeigt auf, wie unterschiedlich gerade Glaubenswahrheiten gesehen und empfunden werden. Die Arbeit kann damit als Bindeglied im interreligiösen Dialog, als kleines Plädoyer für mehr Offenheit und Verständnis untereinander angenommen werden. Vielleicht wird durch den Text auch bewusst, wie viel Provokation für Muslime darin liegt, Weihnachten, das Fest der Geburt Jesu, in der aufwändigen westlichen Art und Weise zu feiern. Das Entsetzen der Muslime darüber, dass Jesus Gottes Sohn sein soll, mag uns Christen vielleicht auch nachdenklich machen und zum dankbaren Staunen über unseren Glauben und das Wunder der Menschwerdung anregen. Weder das eine noch das andere ist selbstverständlich.

Den Tod vor Augen

In kräftigem Orange ragt die Glasscheibe aus dem kleinen Steinsockel in die Höhe. Vom intensiven Farbton wie den ungeschützten Kanten, die links und oben gebrochen scheinen, geht eine Warnung aus: Achtung, was du hier siehst, ist mit Vorsicht zu genießen! Du kannst dich hier verletzen, das hier kann dir weh tun. Die geradezu aggressive Farbe möchte vielleicht auch bewirken, dass sich die zentrale Botschaft der Glasstele so in unser Gedächtnis einbrennt, dass wir sie nicht so schnell vergessen.

In der Mitte der Glasscheibe schaut uns eine mit schwarzen Strichen skizzierte menschliche Gestalt an. Sie macht einen ausgemergelten, bis auf die Knochen abgemagerten Eindruck. Doch der Mensch steht – oder schreitet er sogar? Mit schelmischem Grinsen schaut er uns über den Rücken an. Doch den Blick in seine Augen gibt er nicht preis. Es ist, als trüge er eine Sonnenbrille. Aber die nackte Schädelform lässt eher vermuten, dass es sich um die Schatten leerer Augenhöhlen handelt.

Der hier in das endlos Glühende hineinschreitet, ist ein Toter, ja es muss der personifizierte Tod selbst sein, wie er sich aufrecht in der Farbfläche manifestiert. Als modernes Memento mori erinnert es an unsere eigene Abhängigkeit, an unsere eigene Vergänglichkeit. Es erinnert uns daran, dass wir trotz unserer Genialität sterbliche Wesen sind. Unser ganzes Leben geht uns der Tod voran, wohl wissend, dass wir ihm folgen, ja folgen müssen, auch wenn wir ihn durch unsere Willenskraft über große Zeitspannen zu verdrängen wissen. Doch eines Tages wird er sich umdrehen, Halt gebieten und uns mit dem eigenen Tod konfrontieren.

Das Memento mori ist wie andere Gedächtnisorte in unserer Gesellschaft (Gräber, Statuen berühmter Menschen, etc.) aus einem Bildwerk, einem Sockel und einer Texttafel aufgebaut.

In der Mitte der knappen Granithalterung fällt eine halbrunde Vertiefung auf, die wie eine Rinne die Farbe der Glasstele zu sammeln und über die Texttafel mit der Inschrift „Ihr Bild vom Bild im Kopf“ zum Betrachter hin zu leiten scheint. Damit wird der Betrachter verstärkt zum Nachdenken gebracht. Wenn uns eines Tages die Lebensenergie verlässt und der körperliche Halt genommen wird, dann hat uns das „verdrängte Abbild“ unserer Zukunft eingeholt. Wir wissen nicht, wie der Tod genau sein wird. Aber wir wissen, dass er mit dem Verlust der ganzen Lebensfülle einhergeht, dass er in Sekundenschnelle kommen kann oder sich langsam und besitzergreifend nähert. Deshalb verdrängen wir die bildliche Vorstellung des Todes, diesen Verlust von allem, was wir haben.

Was uns bleiben kann, ist nicht Gewissheit, aber doch die starke Hoffnung, dass dieses Ende nicht absolut ist, sondern eine – zwar unvorstellbare – Umwandlung in eine andere Daseinsform. Wer es wagt, um die Stele herumzugehen und sie von der anderen Seite anzuschauen, wird den Tod in einem ganz anderen Licht entdecken. Das Licht mag zwar fahl erscheinen und an ein Leichentuch erinnern. Im Gegensatz zur Vorderseite, die das pralle, uns bekannte Leben zu versinnbildlichen vermag, lässt die jenseitige Opakbeschichtung mit ihrer weiß-rosa Farbe einen Blick über den Tod hinaus zu, hinein in das Geheimnis, das uns in unserer größten Armut nicht aufgibt oder verlässt.

Spannungsbogen der Liebe

Wie Seerosen auf einer das Licht und die Sonne spiegelnden Wasseroberfläche muten die Buchstaben in dieser dreiteiligen Arbeit an. In jedem Teil des Triptychons leuchtet ein anderes Wort auf. Links oben groß, deutlich und erhaben: „deum“ in einer sich nach unten neigenden Einheit, umgeben vom Blau des Himmels. In der Mitte lässt sich das Wort „alterum“ entziffern. Die sieben Buchstaben tanzen geradezu verstreut in der unteren Bildhälfte, das Bildformat seitlich durchbrechend. Im rechten Bildteil befinden sich die beiden Buchstaben „m“ und „e“ ganz groß und ganz unten, das „e“ wiederum über die Bildkante hinausragend.

Wie drei Welten kommen die drei Wörter „deum“ – „alterum“ – „me“ dem Betrachter entgegen. Man spürt, das „me“ steht mir am nächsten, dann geht es wie über eine Treppe nach oben zum „deum“. Auch ohne Lateinkenntnisse wird einem der Sinn dieses Triptychons deutlich: Hier geht es um mich, um Gott und dazwischen um die anderen. Die Darstellung macht deutlich, dass sie für jeden von uns wie eine Brücke zu Gott sind, ganz wie der König im Weltgericht sagt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)

Langsam wird einem klar, dass es in dieser dreiteiligen Arbeit um die Liebe geht. Geradezu spielerisch verschmitzt vermag einem aus der Innenform eines jeden „m“ ein Herz ins Auge zu springen, liebevoll die Antwort des suchenden Gesetzeslehrers an Jesus andeutend: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.“ (Lk 10,27)

Auffallend ist, dass die drei Wörter nicht im Nominativ, sondern im Dativ geschrieben sind. Ob es daran liegt, dass der Nominativ die drei Bereiche der Liebe nur repräsentativ und beziehungslos darstellen würde, der Dativ jedoch auf das Objekt der Liebe hinweist, von wem sie gegeben wird und wem sie gilt? Denn Liebe ist immer ein Geschenk, das gegeben und empfangen wird. Liebe, die nur sich selbst kennt, ist unglücklich machender Egoismus. Liebe, die nur Nächstenliebe ist, verliert sich selbst. Und nur Gottesliebe? Das haben die Eremiten und Säulenheiligen der frühchristlichen Zeit ausprobiert. Doch auch die Gottesliebe allein hat keinen Bestand, wenn sie nicht in der Nächstenliebe tätig wird.

Liebe braucht die Spannung der drei Pole, zwischen denen sie sich formen und entfalten kann. Das gibt uns auch die Künstlerin in dem formalen und farblichen Dreiklang ihres Triptychons zu be(tr)achten. Was eigentlich wie in einem Spiegel uns gegenüber stehen sollte, offenbart sich so immer mehr als visionäres und herausforderndes Ziel, da es vielen in unserer Zeit genau um das Gegenteil geht. Es geht weder um Gott noch um die anderen, sondern primär um sich selbst. Es geht nicht, wie dem Schriftgelehrten, um das ewige Leben, sonderen um den schnellen persönlichen Erfolg. Gott erleben viele nur in weiter Ferne, das Schicksal der anderen berührt nur am Rande oder wenn die Medien ihren Focus darauf richten.

Dabei ist es gerade die Liebe zu Gott, die unsere Liebe formt, schult und ihr Gestalt gibt. Deshalb sollen wir ihn auch mit ganzem Herzen, ganzer Kraft und mit allen Gedanken lieben. Die primäre Ausrichtung auf ihn gibt unserer Liebe eine Offenheit, die weit über uns hinausgeht. Sie ermöglicht eine Weltsicht, bei der die Armen und Kranken, die Behinderten und Benachteiligten genauso einen Platz im persönlichen Blickfeld haben wie die Bedürfnisse des eigenen Ichs. Und die liebende Ausrichtung auf Gott entfaltet in uns alle notwendigen Kräfte, um unsere Gesellschaft um des Nächsten willen gerechter und besser zu gestalten.

Sehnsucht und Erfüllung

Selten sieht man in unserer Zeit solche gewobenen, aus Textilien gewirkten Bilder. Ihre Herstellung benötigt sehr viel Zeit, Geduld und Entschiedenheit. Tugenden, die wie diese Ausdrucksform rar geworden sind.

Umso eindringlicher wirkt die Einheit von Material und Bildinhalten, die sich in der Tradition der Tapisserien auf mehrere Arbeiten erstreckt, wenn sie zum Thema das Pilgern haben. Pilgern: das Sich-auf-den-Weg-Machen und auf dem Weg zur Begegnung mit Gott sein. Schritt für Schritt in der Balance von Bewegung und Betrachtung, von Fortschritt und Innehalten. Das Pilgern nimmt die Sehnsucht der Seele nach Gott auf, lässt den Menschen aufbrechen, ihn sich ganzheitlich in seiner gefährdeten Existenz erfahren.

Die sieben Tapisserien zum Psalm 84 lassen den Betrachter etwas von der Größe solcher Lebenserfahrungen spüren, in denen der gläubige Mensch auch ganz stark Gott wahrnimmt. Unser Bild stammt aus der Mitte des Zyklus und hat die Psalmworte des sechsten und siebten Verses zum Thema:

„Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln.
Ziehen sie durch das trostlose Tal, wird es für sie zum Quellgrund, und Frühregen hüllt es in Segen.“

Spalten und Zickzacklinien durchziehen das Bild in der Diagonalen wie Risse den Erdboden. Die aufgebrochene Erde, teils glühend rot, ist ganz auf das Blau rechts oben ausgerichtet. Ausdruck von Durst, von einem wie von Feuer ausgetrocknetem, existentiellem Durst nach Leben. Ausdruck von großer Sehnsucht und klarer Orientierung des Bedürfnisses. Ausgerichtet auf das, was uns Kraft gibt, wo wir hoffen, Stärkung und Ermutigung zu erhalten. Zu lange scheint hier ein Bedürfnis unterdrückt worden zu sein. Der Ausbruch ist wie eine feurige Eruption.

Anziehungspunkt dieser geradezu flammenden Sehnsucht ist ein tiefblauer, oben angeschnittener Kreis, als würde er teils verdeckt. Umfangen wird er von gelbgrünen Umrandungen. So kann das Symbol als Quelle und Brunnen wie auch als Regenwolke gesehen werden. Die Anordnung in der Höhe lässt es zu einem himmlischen Quellgrund mit einem dreifaltigen Zeichen auf seinen Ursprung werden. Es ist, als öffne sich der Himmel, als handle es sich nicht nur um ein irdisches Geschehen zwischen dem Pilger und der Erde, sondern um die Sehnsucht nach dem Höchsten und ein Beschenktwerden von ihm – stärkend, ermutigend, von außen und von innen.

Dialogisches Gegenüber

Einer Skulptur gleich steht der kreuzförmige Glaskörper frei im Raum. Kreuze, die nicht an der Wand hängen oder einfach auf dem Tisch liegen, sind selten geworden. Diesem hier ist zudem eigen, dass es trotz seines schweren Materials schwebend leicht aussieht. Dieses Kreuz hat von sich aus keinen festen Ort, sondern vermag sich den Bedürfnissen seines Betrachters anzupassen, wenn dieser im Kreuz mal mehr ein dialogisches Gegenüber, dann wieder einen sichtbaren oder unsichtbaren Begleiter sucht, so wie es bis in unsere Zeit hinein das kleine „Sterbekreuz“ war, das „Hand in Hand“ mit dem Erlöser in der Sterbestunde beistand.

Das Kreuz aus Glas signalisiert zu Recht Zerbrechlichkeit. Damit wird unsere menschliche Schwachheit reflektiert, unsere Anfälligkeit, unter großem körperlichem Druck zu zerbrechen. Doch mit der Dicke und der Oberflächenbehandlung fängt der Künstler die innere Zerbrechlichkeit auf und verleiht dem Kreuz eine Festigkeit, die Unzerstörbarkeit ausstrahlt. Erhaben steht es im Raum und bietet seine Vermittlung an. Es geht nicht um das Kreuz selbst, sondern um den, der an ihm würdevoll gestorben ist, und um den Menschen, der in diesem Kreuz Halt sucht. Wie das an sich durchsichtige Glas durch das Sandstrahlen die Sicht auf das hinter dem Kreuz Seiende verwehrt, so vermag auch der Suchende das vor ihm Liegende mit seinen Sinnen nicht zu durchdringen. Allein, wenn er das Holzkreuz aus seiner Fassung herauslöst, eröffnet sich ein begrenzter Durchblick.

Das innere, individuell gestaltete, goldgelb und mit rötlichen Spuren bemalte Kreuz ist im großen äußeren Kreuz geborgen. Das Hölzerne ist ein Teil vom Glasigen, es wird von ihm umgeben und getragen. Dieses in der Natur gewachsene, „lebendige Herzstück“ des Kreuzes kann herausgenommen, davor gelegt oder spürbar in die Hand genommen werden. Es möchte physischer Halt sein, der einerseits die Nähe und Wärme des am Kreuz Gestorbenen und Auferstandenen erfahrbar macht und hilft, die Krankheit oder den Tod anzunehmen, andererseits auch als Begleiter zurück ins gesunde Leben oder eben ins Grab mitgenommen werden kann. So will dieses Kreuz nicht nur Raumschmuck sein, sondern mit dem betrachtenden, betenden, leidenden und vielleicht auch scheidenden Menschen ganz konkret in einen tröstenden, stärkenden, aufbauenden und sinnstiftenden Dialog treten.

Form und Material des äußeren Kreuzes lassen die Schwere des Todes, des physischen Abschieds aus dem irdischen Leben spüren. Die matte Oberfläche des Stehkreuzes vermittelt aber gleichzeitig Leichtigkeit und Hoffnung. Die Öffnung in der Mitte verstärkt diesen Eindruck. Sterben ist schwer, man ahnt mehr als man sieht, was nach dem Tod kommt, aber durch Christus haben wir die Gewissheit, dass der Tod Durchgang ist, dass das Leben danach weitergeht.

schwebend

Wer in die evangelische Christuskirche in Nürnberg eintritt, dessen Blick wird bald von einer gelben Linie im Granitboden eingefangen und vom Taufbecken im Eingangsbereich nach vorne in den Chor geführt. Das schmale Band aus Glas verdeutlicht den lichten Weg eines jeden Gläubigen von der Taufe auf Christi Namen und lädt zur Feier der Gemeinschaft im Hören auf Gottes Wort und Teilen von Brot und Wein ein.

Die gelbe Linie würde, mit einem kurzen Unterbruch, den waagrechten, dunklen Kubus als Altar bezeichnen, in dessen Mitte sie auf die Höhe ihres Ausgangs, des Taufsteins, hochgezogen wurde, wenn nicht davor eine waagrechte Platte Zweifel an dieser These aufkommen ließen. An vier kaum wahrnehmbaren Seilen hängt sie als Mensa am traditionellen Ort des Altars von der Decke herunter und fordert den Besucher auf, mit ganz neuem Denken an den Abendmahlstisch heranzugehen.

Seine Abhängung von der Decke suggeriert, dass das Ereignis, dem auf diesem erhöhten Ort gedacht wird, von oben her gegeben ein Geschenk vom Himmel ist (solus Christus). Nur der flüchtige Schatten berührt den Boden, lässt ihn stellvertretend für alles Geschaffene die geheimnisvolle Gegenwart des ganz Anderen spüren, der sich uns Menschen an diesem Ort im Abendmahl sinnlich erfahrbar gibt und gleichzeitig wie ein Windhauch allem Begreifen entzieht.

Dieser ganz andere „Tisch“ erinnert an das Außergewöhnliche einer jeden Gottesbeziehung, ihr Geschenk wie ihre Abhängigkeit von der Gnade Gottes (sola gratia). Dabei umschreiben die vier Stahlseile einen durch die Schwerkraft der Stahlplatte geerdeten Luftraum, der durch das stetige Wiederholen und Vergegenwärtigen der Abendmahlfeier an seinem tiefsten Punkt zu einer Art unsichtbaren Wolkensäule oder Leiter Jakobs wird, welcher die Gegenwart und Heiligkeit Gottes im Hier und Jetzt spüren lässt.

Der auf das strikte Minimum reduzierte Abendmahltisch in der Mitte der Versammlung lässt die zentrale Bedeutung des hier Dargebrachten spüren. Leicht durchhängend wie eine Schale vermag dieser Altar die Gaben von Brot und Wein aufzunehmen und ohne Ablenkung durch einen künstlerisch gestalteten Unterbau konzentriert auf ihr Zeichen hinzuweisen. Durch seinen schwebenden Zustand vermittelt er zudem etwas Instabiles und verweist auf die Vergänglichkeit dieser heiligen Handlung und den Bedarf der stetigen Erneuerung.

So hängt der Altar leicht wie eine Erscheinung vor dem visuell dominierenden Rechteck, das aus Distanz den erdenden Sockel für die Chorwandgestaltung mit einer thronenden Christusfigur von Burch-Corrodi bildet, sich aus der Nähe und in der Liturgie zum überdimensionalen Ort des Wortes wandelt. Spätestens hier wird die Bedeutung des Wortes Gottes und seiner Auslegung in der evangelischen Kirche deutlich (sola scriptura), dem gegenüber die Abendmahlfeier, auch wenn ihr Ort räumlich perfekt im Vordergrund angeordnet ist, im Hintergrund steht. Dieser Altar beansprucht nicht, im Mittelpunkt zu sein. Visuell ist das im Raum ganz klar die erhöhte Christusfigur und in der Liturgie der Pastor, der unter ihr und stellvertretend das Wort Gottes verkündet, auslegt und im Abendmahl feiert.

Dennoch ist der Altar nicht dem Ort des Wortes untergeordnet, sondern vielmehr der Verkündigung zugeordnet und folgerichtig vorgelagert. Das im Boden verlaufende „güldene Band der Taufgnade“ läuft unter der Altarmensa durch, steigt im Wort Gottes hörbar auf, um sich dann zusammen mit dem Leib und dem Blut Christi in der Gestalt von Brot und Wein den Gläubigen zur Stärkung zu schenken. Eine wunderbare Bewegung: irdisch verhaftet am Boden von hinten nach vorne, dort, nachdem das geschriebene Wort durch den Geist zum Leben erweckt wurde und in der Hingabe Christi seine sinnliche Erfahrung fand, als geistige Nahrung wieder zurück zu den Gläubigen.

Nicht wie gewohnt nebeneinander, sondern räumlich bedingt hintereinander und sich damit wie durchdringend und einander bedingend eine Einheit bildend, stehen die beiden Prinzipalstücke dabei im Zentrum dieser liturgischen Bewegung. Wie der Glaube werden sie von innen her zusammengehalten durch die Form des Kreuzes, dessen Waagrechte die Altarmensa und dessen Senkrechte der aufsteigende Glasstreifen in der Brüstung des Ortes der Rede bilden. Am Kreuz Christi, seinem Tod und seiner Auferstehung scheiden sich die Geister, auf das Geschehen an ihm gründet unser Glaube, allein der Glaube – Sola fide.

 

Meide Büdel erhielt für diese Arbeit am 9. Oktober 2008 von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern den Kunstpreis 2008.

Reichtum der Armut

Welch eigenwillige Komposition: Eine Holzplatte mit niedrigem schmalen Rand, ausgelegt mit Wellpappe, als Behältnis für einen Salzbrand. Er ruht auf dem unteren Holzrand, ist oben und unten mit feinem Draht auf seiner Unterlage festgezurrt.

Die Farbgebung verbindet diese Materialien: das Weiß des Salzes mit vielen Übergängen in ein ins Violette spielendes Grau, ein verhaltenes Gelb, das wie ein matter Scheinwerfer – von rechts kommend – auf das Wesentliche gerichtet ist, erhellend, sinn-erhellend.

Und was sehen wir?

Zwei Gestalten mit unklaren Konturen, rechts eine kleinere, zarte, schutzbedürftige – vielleicht ein Kind. Sein Kinn ruht geborgen in der Hand der größeren Gestalt, deren Kopf sich tief neigt, mit der Stirn den Scheitel des Kleinen berührend. Eine liebevoll bergende, respektvolle Zuneigung!

Der Lichteinfall, der diese Szene sichtbar macht, taucht den Rücken der größeren Gestalt in kräftiges Dunkel. Ein ins Auge springender Bezug: kraftvolle Stärke, eigener „Rückhalt“ können Quelle der Zuneigung, der Schutzbereitschaft für einen Schwächeren sein.

Wahrhaftig ein Schatz, den zu suchen und den festzuhalten sich lohnt. Vor uns ein Kunstwerk, das sich nicht nur von Farbe und Form her erschließt, sondern ebenso von den verwendeten Materialien. Dinge des Alltags: Holz, Salz, Pappe vermitteln die Botschaft von einer zwischenmenschlichen Kostbarkeit, die in den Alltag gehören sollte. Getaucht ist sie in den bei Otto Zech häufig vorkommenden Lichteinfall. Hier erhellt er die Spannung zwischen Stärke und Schwäche, Geben und Empfangen, Selbstständigkeit und Bedürftigkeit, die sich löst in der Gewissheit der gegenseitigen Würde.

Am rechten Rand der Holzplatte steht in kleinsten Buchstaben wie ein Geheimnis: Die Armut ist schon reich geworden.

Dieser Bildimpuls entstammt dem Buch: Otto Zech. Werkbuch Fragmente, Hg. Stephanie Roos, Wuppertal 2006, S. 78/79. 

Glauben

Geheimnisvoll verbirgt und offenbart diese mehrteilige Arbeit Wesentliches des christlichen Glaubens. Die Heiligkeit des einen dreieinigen Gottes ist aus der Anordnung und Farbgebung der einzelnen Teile herauszuspüren.

In ehrfurchtsvoller Distanz, fernab von allen an Menschen und die Schöpfung erinnernden Symbolen „schwebt“ zentral auf einem blauen Grund ein goldener Ring: Symbol für den einen ewigen Gott, seine Herrlichkeit, seine Liebe, seinen Bund mit den Menschen. Dieses Mittelfeld lebt durch die diagonale Schattierung, die an einen Nachthimmel denken lässt. So unbegreifbar Gott auch ist, dem Gläubigen offenbart er sich als naher Gott – und nicht nur in dunklen Zeiten – als sinnstiftendes und Orientierung gebendes Licht (vgl. Ps 23; Joh 8,12 u.a.).

Die Seitenflügel sind symmetrisch aufgebaut. Das untere Drittel bedecken abstrakte Formen, die mit pastoser Farbe aufgetragen worden sind. Sie vermitteln Chaos, Unruhe und geschäftiges Treiben und verweisen damit auf das vielgestaltige Leben auf der Erde. Über diesen bunten Andeutungen sehen wir eine feurig rote, ruhigere Fläche mit symbolischen Hinweisen.

Links ist eine Schale zu erkennen, in der ein Feuer brennt. „IGNIS – Feuer“ steht seitenverkehrt daneben, wie von hinten auf die Leinwand geschrieben. Darf es als Feuer des Glaubens gelesen werden, als Zeichen für den Glauben, der von den Gläubigen im Credo gemeinsam bezeugt und gleichsam über ihren Köpfen hoch und heilig gehalten wird?

Daneben ein Hinweis auf Lukas 10,22 oder / und 23: „… niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater, und niemand weiß, wer der Vater ist, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.’ Jesus wandte sich an die Jünger und sagte zu ihnen allein: ‚Selig sind die, deren Augen sehen, was ihr seht. Ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.’“ Die torähnliche Form ∏ darüber mag Jesu Wort in Erinnerung rufen, das er über sich gesagt hat: „Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden … und Weide finden.“ (Joh 10,9)

Unser Glaube basiert auf der Offenbarung durch Jesus Christus, der durch den Heiligen Geist Mensch geworden ist. Die Menschwerdung hat der Künstler auf dem rechten Seitenflügel in einem rosafarbenen „Lichtstrahl“ dargestellt, der nach unten immer stärker wird. In der oberen Hälfte wird er kaum wahrnehmbar durch einen schwachen Schriftzug gekreuzt und dadurch zum Kreuz. INCARNATUS ist von rechts nach links zu entziffern. Nur weil Gottes Sohn Mensch wurde und sich als solcher offenbarte, konnte er Anstoß erregen und gekreuzigt werden. Daran erinnern auch die beiden als Pendant zum Torbogen auf der linken Seiten stehenden Nägel.

Im Unterbau dieses „Flügelaltars“ verweisen sieben Fackeln auf die sieben goldenen Leuchter, die der Seher Johannes als Symbole für den Glauben der sieben Gemeinden in der heutigen Westtürkei sah (Offb 1,12 sowie die ermahnenden Worte an die Gemeinden in den Kapiteln 2-3). Sie brennen wie Kerzen vor dem Allerheiligsten – Seine einzigartige und heilige Gegenwart bezeugend. Diese Tafel ist vom Wort „EST – ist/sein“ geprägt. Es kann in Verbindung mit dem obigen INCARNATUS als INCARNATUS EST gelesen werden, betonend, dass er durch den Heiligen Geist in Maria Fleisch angenommen und Mensch geworden ist (Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine, et homo factus est).

Dieses EST kann aber ebenso auf uns und unseren Glauben bezogen werden. Erst wo der Glaube in uns Gestalt annimmt, Christus durch den Heiligen Geist in UNS Fleisch angenommen hat (Gal 2,20) und wir durch die lebendige Gottesbeziehung wahrhaftig Menschen geworden sind, gelangen wir doch zum wirklichen Sein und Leben. Die vielen X in den bunten Formen der Seitenflügel könnten ebenfalls dies bedeuten: Christi Menschwerdung vollendet sich dort, wo Menschen den christlichen Glauben annehmen und sich auf den einen dreifaltigen Gott taufen lassen. Christi Menschwerdung vollendet sich dort, wo Menschen aus dem Glauben heraus und in der Kraft des Heiligen Geistes wie Jesus Christus leben und handeln.

 > geschlossener Zustand

Den ganzen 5-teiligen Missa-Zyklus finden Sie im 57-seitigen Buch „Missa“ von Uwe Appold abgebildet (Juli 2005, ISBN 3761619731, Euro 15,-).

Farbe und Form

Ist es ein Kreuz? Oder eher eine kreuzförmige Bildtafel? Die Farbe scheint dem Künstler genauso wichtig zu sein wie die Form oder das Material, aus dem das Kreuz gemacht und auf dem die Farbe aufgetragen ist. Nicht umsonst lassen die splittrigen Bruchkanten uns das aus Holzspänen zusammengeleimte Trägermaterial spüren, aus dem der Künstler im wahrsten Sinne des Wortes Fragmente, also Teile herausgebrochen und wieder zu einem Ganzen zusammengefügt hat.

Um eine rechteckige, stumpfe, graue Mitte gruppieren sich vier in allen Farben leuchtende Kreuzesarme. Gemeinsam sind ihnen die sich nach außen weitende Form und die Übergänge von dunklen zu hellen Farbtönen. Sie unterscheiden sich voneinander in der Farbgestaltung und im jeweiligen Abschluss. Die obere kelchförmige Fläche mit eingewölbtem Bogen (die dadurch in einem formalen Gleichgewicht zu den Seitenarmen steht) beginnt in der Mitte mit einem intensiven Blau, um dann über ein schweres Dunkelrot in ein helleres Weinrot überzugehen. Die untere, größte Fläche beginnt ebenfalls mit einem intensiven, aber anderen Blau als oben, und vermischt sich dann mit Dunkelgrün, bevor sie heller wird und in der symmetrischen Spitze fast weiß ausläuft. Der linke Seitenarm endet in einem Kreisbogen. Der Mitte zu ist seine Farbe noch dunkelviolett, während sie sich nach Außen hin zu einem hellen Lila wandelt. Der rechte Seitenarm dagegen beginnt mit einem dunklen Rot und geht dann langsam in ein warmes Gelb über. Formal endet er in einer asymmetrischen Schräge.

Diese fünf Elemente formen ein lateinisches Kreuz und gleichzeitig ein durch seine außergewöhnlichen Formen und Farben offenes Symbol, das vielerlei Zugänge und Interpretationen zulässt. Von der Gestalt und den Dimensionen her erinnert es an einen Menschen mit ausgebreiteten Armen, der willkommen heißt und in eine mystische Tiefe führt. Ich höre Jesu Einladung: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ (Mt 11,28) Die gerundete, weinrote Form mag an den Ölberg denken lassen, auf dem Jesus betete: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ (Mt 26,39)

In diesem Kreuz wird Begegnung und Austausch nicht nur sichtbar, sondern durch seine majestätische Erhabenheit und seine satte Fülle auch erfahrbar gemacht. Wer sich diesem Zeichen aussetzt, wird in seiner Niedergeschlagenheit oder Hoffnungslosigkeit aufgerichtet. In diesem Symbol des Kreuzes nimmt ihn Gott gleichsam in die Arme, drückt ihn an sein Herz und lässt ihn seine Wärme, Lebensfülle und Liebe spüren.