Kein Wesen kann zu nichts zerfallen

Achteck, Kreis, Quadrat.
Raumbildend durch Mauerreste und Stahlkörper. Spiegelbildlich einander gegenüber stehend, zusammen ein Ganzes bildend. Öffnungen frei lassend.

Eine Einladung, um sich auf das Kunstwerk einzulassen? Nicht nur intellektuell, sondern physisch, ganzheitlich, erfahrungsbezogen! Das Kunstwerk lädt mich ein, es durch mich zu erfahren.

Ich kann mich nur von außen nähern. Ich kann überschreiten oder durchschreiten. Beim Überschreiten der Elemente verwehrt sich das Kunstwerk mir und ich erfahre mich als Eindringling. Im Durchschreiten der schmalen Öffnungen fühle ich mich auf dem rechten Weg und gleich von der Mitte angezogen. Die Gassen bilden eine leere Kreuzform, die mich zur Mitte führt, wenn ich nicht in einen der beiden Umgänge einschwenke. Will ich der Mitte nicht fern bleiben, muss ich mich entscheiden, in einer der Gassen auf sie zu zugehen.

Und dann stehe ich in der Mitte, dem durch die drei geometrischen Grundformen archaisch geheiligten leeren Raum. Achteck, Kreis und Quadrat nun nicht mehr vor mir, sondern um mich herum. Ich spüre, wie dicht diese leere Mitte schon erfüllt war. Da war nicht „nichts“, sondern erfüllte Gegenwart des Unsichtbaren.

Kein Wesen kann zu nichts zerfallen! Denn da ist Einer, der unsichtbar alles am Leben erhält und dadurch in der Mitte von allem Geschaffenen steht und es zusammenhält. Das Quadrat in der Mitte kann symbolisch für die Welt stehen, der Kreis für die sie umgebende und beschützende göttliche Gegenwart, das Achteck für die Taufe, die von der Kirche veranlasste Rück- und Verbindung der sichtbaren mit der unsichtbaren Welt Gottes.

Quadrat, Kreis und Achteck können auch für verschiedene „Lebenswelten”, verschiedene Verhalten von uns Menschen stehen. Für das Eckige oder Runde in uns, das Abweisende oder Zulassende. Die Materialien der Installation sprechen Gegensätzlichkeiten an, die ich beide in mir wiederfinde. Die Tonsteine lassen die warme, lebendige Seite in mir anklingen, aber auch die Bruchstücke meines Lebens, die durch alle Lebenslagen hindurch trotz ihrer Zerbrechlichkeit eine schöne Gestalt ergeben. Der kühle, glatte und fast schwarze Stahl erinnert mich an die Lebensseiten (-zeiten), in denen die Leidenschaft erkaltet ist, in denen vielleicht durch Enttäuschungen, Angst oder Verletzungen Verhärtungen entstanden sind. Während ich Wesenszüge unter der „kalten Schulter“ verstecke, können andere sich an den harten Kanten verletzen. Meine Stahlseiten sind wohl belastbarer und dauerhafter als die offenherzige Seite, aber sie lassen auch weniger Leben – Einblicke und Austausch – zu.
Die Rauminstallation von Frau Dietz beginnt in seiner ganzen Einfachheit viele Fragen zu stellen. Einige seien nur angedeutet: Wie komme ich mit den so verschiedenen Seiten in mir klar? Kann ich Zu- und Ausgänge in mir zulassen, Freiräume respektieren, damit ER Platz hat? Es ergeht mir plötzlich wie in einem Labyrinth. Im Eingehen “auf“ das Kunstwerk bin ich in mich selbst gegangen – und habe vieles über mich erfahren.

Offen-Zu

Ein Stahlschrank mit aufgestapelten Lehmsteinen drin. Die Abdeckung ist abgenommen, angelehnt übers Eck zur Seite gestellt. Dadurch ist der Behälter offen, aber auch halb zu. Sowohl als auch – offen-zu. Offen: Einblick gewährend ins Innere. Zu: Abweisend sagend „noch nicht“. Doch Einladung: Offen – zu schauen, hineinzuschauen in das sonst Verborgene unter dem Undurchdringlichen.

Hinter dem kalten schwarzen Stahl kommen warme braune Erdschollen zum Vorschein. Die Künstlerin hat sie für würdig befunden, aufgehoben, aufbewahrt und aufgestapelt zu werden. Dicht gedrängt neben- und übereinander.

Von der Sonne getrockneter und gebrochener Lehm. Bruchstücke! Jedes anders – individuell, doch alle griffig, porös, von der Luft durchdrungen und umgeben. Leben atmet in ihnen. Sie sind bereit, es in sich aufzunehmen. Offen-zu, offen-zu, offen-zu … Spricht aus dem Stahlbehälter das Abweisende, die Lehmschollen sind Zeichen für das Empfangende, irdische Empfänglichkeit für Samen, Wasser und Tiere.

Manchmal geht es mir ähnlich: Unter einer glänzend schönen Panzerhaut verstecke ich meine Lebens-Bruchstücke. In Reih und Glied stehen sie in meiner Leibesgeschichte. Erinnerungen an fast unzählige Situationen, Begebenheiten, in denen ich in meiner Menschlichkeit, „Erdlichkeit“ vor Freude zersprungen, vor Spannung gesprungen, oder unter dem Schmerz innerlich zerbrochen bin. Aber all die Bruchstücke machen die Fülle meines Lebens aus. Ohne sie wäre ich genauso leer wie ein Schrank. Sie bilden ein kostbares Inneres, bereit und offen für neue Lebens-Erfahrungen.

Ein Kreuz? – im Nichts?

Mitten auf dem neuen Friedhof Riem bei München steht dieses ungewöhnliche Kreuz. Manch einer mag sich fragen, wieso diese Plastik ein Kreuz sein soll. Denn rein äußerlich deutet nichts auf ein Kreuz hin.

Da sind vier dicke Eichenbalken, ohne Sockel aus der Erde aufsteigend, in ihrer Mitte ein begehbares Kreuz bildend. Aber das kann es nicht schon sein. In luftiger Höhe stemmen die Holzbalken eine Steinplatte in den Himmel. Durchblicke auf Dahinterliegendes oder den Himmel freilassend.

Das Kreuz will gesucht werden in dieser Skulptur. Annäherungen wollen gemacht werden. Die Eichenbalken erinnern mich an das Holz des Kreuzes. Ihre Ausmaße verbinde ich mit der Bedeutungsstärke und –kraft dessen, was am Kreuz geschehen ist.

Wer den Mut hat, sich zwischen die Holzpfosten zu stellen, entdeckt, dass aus dieser Perspektive die Steinplatte die Form eines Kreuzes annimmt, von der wie Strahlen alternierend die Holzbalken oder der Himmel ausgehen. Der Betrachter steht somit wörtlich unter dem Kreuz und es wird ihm durch die Steinplatte sinnlich das Gewicht, die Bedeutung oder der Wert des Kreuzes Christi für seinen Glauben bewusst.

Die Steinpatte weckt in mir noch andere Assoziationen. Sie könnte von ihren Ausmaßen her auch eine Grabplatte sein, wie sie rings um diese Kreuzskulptur aufgestellt sind. Die Eichenpfosten strecken in dem Sinne symbolisch fürbittend die auf den Grabsteinen verzeichneten Namen der Verstorbenen zum Himmel empor – Gott entgegen.

Von der Bildgeschichte des Kreuzes her gesehen ist diese Skulptur kein Kreuz. Aber sie ist Verbindung zwischen Erde und Himmel, durch die Materialien Stein und Holz in der Tradition stehend. Neu angeordnet, bringen sie die überlieferte Botschaft des Kreuzes auf herausfordernde Weise neu und kraftvoll zur Sprache. Es kann nicht wie viele andere Kreuze durch die Gewohnheit übersehen werden, sondern regt zur Auseinandersetzung und Stellungnahme an.

Wieso heißt das Kreuz aber „Kreuz im Nichts“? Es steht doch im Friedhof, auf der Erde. Möchte der Künstler damit vielleicht die Angst vieler Menschen ansprechen, dass wir mit dem Tod in den Abgrund des Nichts fallen? Möchte er damit vielleicht sagen, dass gerade in diesem Nichts des Todes das Kreuz Jesu aufgerichtet ist – wie ein Rettungsanker – und vom Leben erzählt, der dem Tod folgenden Auferstehung? Dass Gott die Seinen nicht fallen lässt? Ich spüre, wie dieses Kreuz von Gottes Macht und Schutz erzählt, den er allen gewährt, die sich zu ihm flüchten (vgl. Ps 71). Die vier Kreuzesarme scheinen sich tröstend über den Trauernden zu neigen, Geborgenheit in der Einsamkeit des Verlustes gewährend. Wer will, kann sich unter die dicke Steinplatte stellen oder an die mächtigen Eichenstämme anlehnen und etwas davon spüren.