Erfahrbarkeit von geistigen Wirklichkeiten

“Geistige Wirklichkeiten sind uns Menschen nur über die Sinne vermittelbar. Vermittlung ist ein kreativer und dynamischer Prozess, der den Menschen als gestaltendes Wesen herausfordert. Dass es kein Menschsein ohne Gestaltung gibt, legt Günter Rombold seinen Ausführungen (LThK 6 1997, 533-535) zugrunde. Das bedeutet: Die sehbaren, hörbaren, riechbaren oder fassbaren Dinge bezeichnen dort, wo sie zu Vehikeln geistiger Aussagen werden, in ihrer begrifflichen Fassung mehr als nur die sie umschreibenden Inhalte. Sei weisen über sich hinaus und werden als Bilder, Metaphern oder Begriffe zu Trägern nichtsinnenhafter Wirklichkeiten. Auch für die religiösen Wahrheiten trifft dies zu. Ästhetik als die Ausdrucksform von Wirklichkeit gehört wesentlich zur Kultur und damit auch zur Religion. Religion braucht Sprache (gesprochen und geschrieben), Musik, Architektur und bildende Kunst, um sich vermitteln zu können. Sie braucht die Ausdrucksformen der je gegenwärtigen Zeit, um Transzendentes zu vermitteln. Das gilt auch für heute. Günter Rombold formuliert: “Transzendenz in der modernen Kunst? … Versteht man … darunter, dass Kunst transzendiert, dass sie hinweist auf das Unbedingte, das unsere bedingte Existenz trägt, dass sie nach diesem letzten Geheimnis fragt, es auch in Frage stellt, dass sie in immer neuen Anläufen das Ganze der Welt deutet, je stets neu und anders entwirft, dann ist Transzendenz ein Focus auch moderner Kunst.” (G. Rombold, Der Streit um das Bild. Zum Verhältnis moderner Kunst und Religion, Stuttgart 1988, 268) Die sich wandelnden Formen dieser Kunst- und Darstellungsgattungen hängen damit zusammen, dass je andere Erfahrungswelten des Menschen andere Ausdrucksformen hervorbringen, um die erahnte Geistigkeit hinter den Dingen neu vermitteln zu können. Auch altbekannte Wahrheiten brauchen neue Aussageformen, sollen sie in ihrem Wahrheitsgehalt verstehbar bleiben, da sich die Erfahrungsräume der Menschen verändern. Neue Formen künden andererseits vom allzeit wirkenden Geist. Sie geben andere Anteile der Geisteswelt und der unfassbaren “Überwelt” kund. Eine lebendige Religion braucht deshalb neben den Traditionsformen, die in langen Generationsketten Bewährtes aufbewahren, innovative Elemente sinnenhaft erfassbarer Räume, Bilder, Klangfolgen, Worte und Begriffe. Nur so kann die geistig-geistliche Wirklichkeit in den dauernd sich ändernden Situationen des Menschenlebens spürbar und darstellbar bleiben.”

Ludwig Mödl, Kunst der Gegenwart im Blickfeld der Pastoral, in: “Spiegel des Heiligen”, Regensburg 2003, S. 233