Geheimnisvolle Verwandlung

Eine Kugel aus Papier offenbart in ihrem Innern einen unerwartet kostbaren Inhalt. Unauffällig weiß und bescheiden geben sich die Papierblätter, welche schichtweise das Innere umhüllen und es wie eine Verpackung schützen. Wäre diese Hülle oben nicht aufgerissen oder aufgeblättert, so würde von außen nichts auf den verborgenen Schatz hinweisen. Wie ein Verband oder ein Kokon umgeben die weißen Schichten die goldene Kugel, selbst überrascht, was in ihrer Mitte, unkontrolliert von den Menschen, im Verborgenen geschah. Nun umgibt das Armselige das Kostbare, das Bruchstückhafte das Vollkommene, das Irdische das Göttliche!

Wie war eine solche Metamorphose möglich, eine solche Verwandlung?

Die Kugel, die goldene Farbe und ihr Glanz lassen symbolisch auf Gott schließen, der stets wunderbar am Wirken ist, gerade im Verborgenen und weit über die Grenzen des von uns Wahrnehmbaren und Fassbaren hinaus. So auch mit dem Leben nach dem Tod. Wir vergleichen die Verwandlung gerne mit der Metamorphose der Raupe in einen Schmetterling. Auch wenn die Raupe sich bis auf winzige Teile des Gehirns zu einer breiigen Masse auflöst, sind dennoch so viele strukturgebende Informationen da, welche aus dem „Brei“ einen wunderschönen Schmetterling entstehen lassen, dessen Identität untrennbar mit der Raupe verbunden ist. Der Schmetterling entsteht nicht aus irgendeiner, sondern aus genau dieser Raupe und das auch nur einmal.

Die Kugel, die goldene Farbe und ihr Glanz lassen sich auch als göttliche Essenz in unserer vergänglichen Hülle deuten, die uns unsere einmalige Identität und Geschichte verleiht und das Bestehen durch Zeit und Sterblichkeit hindurch in die Ewigkeit garantiert. Ganz wie Paulus im ersten Brief an die Korinther schreibt: „Seht, ich enthülle euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, aber wir werden alle verwandelt werden – plötzlich, in einem Augenblick, beim letzten Posaunenschall. Die Posaune wird erschallen, die Toten werden als Unverwesliche auferweckt, wir aber werden verwandelt werden. Denn dieses Verwesliche muss sich mit Unverweslichkeit bekleiden und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit.“ (1 Kor 15,51-53)

Paulus schreibt, dass die Verwandlung plötzlich geschehen wird, in einem Augenblick, beim letzten Weckruf durch die Posaune. Diese Verwandlung von innen nach außen ereignet sich aber schon jetzt unaufhaltsam in unserem Innern, wie es auch in der Skulptur unauffällig mit dem über den Papierrand gehenden Gold angedeutet wird. Auch wenn wir glauben, dass die endgültige Verwandlung am Ende unserer irdischen Tage von Gott vollbracht wird, so besteht doch bereits jetzt in der gleichen Kraft Gottes das Angebot, uns auf diese Verwandlung vorzubereiten, an ihr mitzuwirken, uns für sie zu disponieren. Gott bringt sich unaufhaltsam durch seinen Heiligen Geist in uns ein, damit wir durch ihn und mit ihm Christus ähnlicher werden und Gott durch uns sichtbar und erfahrbar wird. Die Skulptur ist eine Einladung, Gott in unserer Mitte groß werden zu lassen. Schon jetzt – in uns – und in der Mitte unserer Zeitgenossen und Mitmenschen.

Zusammenhalt

Was ist das Funktionsprinzip der Kontermutter? (…) [Es] besteht darin, zwei identische Muttern zu verwenden, die auf dieselbe Schraube geschraubt werden, und zwischen den beiden Muttern wird ein Anzugsmoment hinzugefügt, um die Schraubenverbindung zuverlässig zu machen.“ (https://de.phshuishun.com/)

Die Osterkerze 2025 für St. Paul [München] besteht aus einem zentralen Gewinde, auf dem senkrecht angeordnete Muttern befestigt sind. Die Kerze wurde in mehr als 100 Stunden Arbeit für Recherche, Kooperation mit einem Kerzenhersteller und einem 3 D-Spezialisten sowie Hand-Guss in Wachs mit 10% Bienenwachs durch den Bildhauer Guido Weggenmann gestaltet. Ein wesentlicher künstlerischer Ansatz des Künstlers ist es, alltägliche Gegenstände stark zu vergrößern, dadurch zu verfremden und in eine neue Realität zu bringen, die auch starke Symbolkraft entwickeln kann.

So kann diese Gestaltung der Osterkerze assoziative Deutungen eröffnen: Die Transformation des Lebens in der Auferstehung Jesu Christi steht im Mittelpunkt der christlichen Feier des Osterfestes, für die die Osterkerze Symbol ist. Das Licht der Osterkerze ist Sinnbild für die Auferstehung – ein Zeichen des Neubeginns, der Hoffnung und des göttlichen Lichts, das in die Welt strahlt.

Die von Guido Weggenmann gestaltete Osterkerze greift diese Symbolik auf und verbindet sie mit einer tiefen Bedeutung: dem Zusammenhalt der Gemeinschaft. So kann die Kerze Symbol sein „für ein festes Bündnis der Gläubigen, für die Verbundenheit jedes Einzelnen mit der Gemeinschaft und dem Glauben. Wie die Muttern das Gewinde umschließen, so hält der Zusammenhalt die Gemeinschaft zusammen – ein starkes Gefüge, das Halt gibt und gemeinsam das Licht der Hoffnung trägt.“ (Guido Weggenmann)

Ein Zusammenhalt, der in der Botschaft Jesu jede und jeden Einzelnen in den Blick nimmt: „Das will ich euch sagen: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder für eine meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan!“ (Mt 25,40 Hoffnung für alle).

Und Paulus betont im Brief an die Galater: „Durch Christus seid ihr dazu berufen, frei zu sein, liebe Brüder und Schwestern! Aber benutzt diese Freiheit nicht als Deckmantel, um eurem alten selbstsüchtigen Wesen nachzugeben. Dient vielmehr einander in Liebe. Denn wer dieses eine Gebot befolgt: ‚Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!‘, der hat das ganze Gesetz erfüllt.“ (Gal 5,13f., Hoffnung für alle)

Guido Weggenmann: „So ist die Osterkerze Zeichen der Auferstehung und Sinnbild für die Kraft, die entsteht, wenn Menschen in Glaube, Liebe und Zuversicht vereint sind.“

Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers: Quelle

Ostern im virtuellen Raum

Das mit dem Computer generierte Bild lässt in einen virtuellen Raum blicken, in dem zwei Wandelemente mit runden Öffnungen wie Chiffren oder Symbole in einer unendlichen Ebene stehen. Der Boden ist mit langen Farbbahnen bedeckt, während der orange- oder apricotfarbene Hintergrund Ruhe ausstrahlt. Die beiden Wandelemente stehen wie zwei Ereignisse neben- oder hintereinander und bilden damit eine visuelle Barriere mit zwei Möglichkeiten.

Beim größeren Element ist der Verschluss seitlich der Öffnung positioniert, so dass diese frei ist und einen Durchblick auf den Horizont weit hinten ermöglicht. Die Wand strahlt in hellgelbem Licht und lädt zusammen mit der dicken, goldglänzenden Scheibe zum Nähertreten, Bestaunen und gegebenenfalls zum Hindurchsteigen ein.

Das kleinere, schwarze Element hingegen gibt sich verschlossen, auch wenn die silberne Tür einen winzigen Spalt offensteht und ein orangefarbenes Dahinter erahnen lässt. Zudem erscheint die schwarze Oberfläche nicht undurchdringlich, sondern reflektiert Licht und Umgebung auf der glänzenden Oberfläche. Im Gegensatz zum linken Element spiegelt sich die silberne Tür auf dem Boden, so dass der Eindruck entsteht, dass alles zurückgeworfen wird, was auf diese Wand trifft, und auf dem Boden davor einem Farbverlauf gleich zu einem Rückstau führt.

Spirituell gedeutet erinnert die hell leuchtende Wand mit der runden, goldenen Scheibe an den Ostermorgen, an dem die Frauen den Stein vom Grab weggerollt vorgefunden haben (Mk 16,4). Sie präsentiert den Tod in einer gänzlich neuen Form, als einen von Gott freigegebenen Durchgang in die Ewigkeit. Die farbigen Lebensspuren führen hier geradeaus weiter. Das bisherige Bild vom Tod als grabsteinartige Endstation rückt in den Hintergrund. Durch den Tod und die Auferstehung Jesu hat der Tod seine vernichtende Macht und dunkle Kraft verloren. Noch ist er drohend da und lässt viele Lebenslinien bei seinem Anblick oder bei seinem Eintreten ins Schlingern geraten, wie es die Farbwechsel am Boden andeuten, aber seine Oberfläche reflektiert bereits das Licht.

Dem Gläubigen jedoch gilt die Zusage aus der Argumentation des Apostels Paulus im Brief an die Römer (5,1-2): „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus. Durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit, die Gott geben wird.“ In diesem Zusammenhang kann die intensiv orange Farbe mit dem Himmel assoziiert werden, der göttlichen Energie, die zeit- und schrankenlos waltet, ohne sich durch zeitliche Ereignisse zu ändern. Sie ist ein Sinnbild für Gottes unendliche und ewige Liebe, die uns allezeit und überall umgibt und mit Leben erfüllt.

Bild des unsichtbaren Gottes

Vor einem wellig bewachsenen Hügel des quadratischen Innenbildes steht ein Mensch mit weit ausgebreiteten Armen. Es ist nicht ersichtlich, ob er zum Betrachter hin oder von ihm wegschaut, denn seine Gestalt ist nicht gemalt, sondern ausgespart, so dass er in der Einfachheit und Natürlichkeit des Holzes auftritt. In der Kreuzhaltung erinnert er an Jesus, doch gibt es keine konkret auf ihn hinweisenden traditionellen Attribute.

Zentral positioniert bildet er die vertikale Bildmitte. Anders betrachtet wirkt die Figur wie ein Schlüssel zum Werk hinter ihm, das er wie ein Bild in den Händen hält und oder es gerade an eine Wand hängt. Die nach oben schmaler werdenden, mit Naturpigmenten und Sand gemalten Gras- oder Moosstreifen deuten perspektivisch nicht nur einen Hügel an, ebenso kann durch den gebogenen Horizont auch das Erdenrund in ihm gesehen werden. Letzteres wird durch das Quadrat verstärkt, das symbolisch für unsere sichtbare Welt steht.

Die mittige und das Quadrat sprengende Position lassen in der stehenden Gestalt Christus, den Auferstandenen erkennen. Durch die Aussparung seines Körpers ist er wie abwesend dargestellt, aber mit der klaren Kontur der Silhouette doch greifbar nahe. Die Darstellung erinnert an die Begegnung einiger Jünger mit dem Auferstandenen am See Tiberias. Nach dem wunderbaren Fischfang und dem gemeinsamen Mahl wussten die Jünger plötzlich, dass die Person, die sie so unbegreiflich angerührt hatte, ihr Herr war (vgl. Joh 21,1-14). So mag der Auferstandene wie im Bild dargestellt möglicherweise abwesend erscheinen, aber real-präsent und lebendig ist er durch die Vermittlung des Geistes schon dem, der da glaubt. „Keiner unter den Jüngern wagte ihn zu befragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.“ (Joh 21, 12) Mit den ausgebreiteten Armen scheint der Auferstandene auch hier zu bekräftigen: Ja, ich bin es!

Erinnert ihr euch, dass ich euch sagte: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. … ihr seht mich, weil ich lebe und auch ihr leben werdet.“ (Joh 14,6.19b)? Jesu Gestalt ist unvoreingenommen und zukunftsoffen. Christus ist eine neue Schöpfung, die Person und der Ort, durch die und an dem neues entstehen kann: neues Leben, Begegnungen, Freude, und vieles mehr. Christus ist der Erstgeborene der neuen Schöpfung, die sich hinter ihm wellenförmig über den Erdball ausbreitet und die Welt neu gestaltend in zartem grün-gelb-gold aufblühen lässt. Als „Bild des unsichtbaren Gottes“ steht er der Schöpfung vor und hat segnend die Hände über sie erhoben.

Paulus bezeugt am Anfang seines Briefes an die Gemeinde in Kolossai: „Er ist Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen. Er ist vor aller Schöpfung und in ihm hat alles Bestand. Er ist das Haupt, der Leib aber ist die Kirche. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten; so hat er in allem den Vorrang. Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles auf ihn hin zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.“ (Kol 1,15-20)

Von Christus verwandelt

Zwei Welten begegnen sich in diesem oben leicht gerundeten Glasfenster: Eine Äußere und eine Innere, eine Sichtbare und eine Unsichtbare, eine Geschaffene und eine Geglaubte.

Die äußeren Scheiben leben durch dynamisch fließende Bewegungen. Mit ihren weichen Linien und den erdigen Farben Gelb, Braun und Blau erzählen sie von Wachstum und sich bedingenden Zusammenhängen. Auch wenn einzelne Flächen des ursprünglich zusammenhängenden Echtantik-Glases vom Künstler an anderen Stellen platziert wurden, ist doch eine schwungvolle Verbindung zu spüren, die den Blick von einer Seite auf die andere Seite und wieder zurück pendeln lässt. Dadurch ist eine gewisse Unruhe zu spüren, ein chaotisches Durcheinander, das sich nach Ruhe und einer neuen Ordnung sehnt.

Die inneren Schreiben bilden ein durchgehendes und nach oben breiter werdendes Band mit kleineren Formen, die schwerelos in einem weißen Medium schweben. Sie erscheinen wie Elementarteilchen, wie die Essenz von etwas Größerem, die sich hier sammelt und nach oben strebt. Orangegelb, Rot und Blau sind zudem Primärfarben des Farbkreises, die in diesem von Licht getragenen Geschehen auf etwas Wesentliches und Ursprüngliches hinweisen können.

Das rote Feld in der Mitte wirkt wie ein Fremdkörper zwischen diesen beiden Bildwelten. Einen Übergang beschreibend zeigt es Körperlichkeit und bleibt aber aufgrund seiner unbestimmten Formen denoch abstrakt. Zugleich scheint es wie ein Herz den Impuls zur Verwandlung zu geben: Die Verwandlung von der alten in die neue Schöpfung in Christus (vgl. 2 Kor 5,17 und 1 Kor 15,51f). Mit dem gleichen Deutungsansatz kann in der Bildmitte ein Kreuz gesehen werden. Die atmende Bewegung im Fenster scheinen das Seufzen, die Geburtswehen und die Sehnsucht der ganzen Schöpfung aufzunehmen, „von der Knechtschaft der Vergänglichkeit erlöst [zu] werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21f).

Die vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft sind farblich im Glasfenster vertreten und symbolisieren die Schöpfung als Ganzes wie in ihrer steten Veränderung und Vergänglichkeit. Als zentrales, von innen her wesentlich erfassendes und verwandelndes Geschehen kann hier die Auferstehung der Schöpfung gesehen werden: Ein vom Licht erfasstes, freudiges Emporwirbeln in die Herrlichkeit Gottes. – Und darüber hinaus, als Erfüllung unserer tiefen geschöpflichen Sehnsucht, auch ein Ankommen und Ruhen in Ihm.

alle fünf Glasfenster aus dem Osterfestkreis
(zweitletzte Präsentation, weit nach unten scrollen)

Du führst mich hinaus ins Weite

Von dunklen Bildrändern her öffnet sich das Motiv in der Mitte zu einer unendlichen Weite, die durch den blauen Horizont und den weißen Luftraum darüber angedeutet werden. Das rahmende Nachtblau verliert dabei mit jeder neuen Farbe seine Kraft und lässt immer lichtdurchlässigere und wärmere Farben zu.

Hoch aufgerichtet leuchtet mittendrin ein filigranes, goldgelbes Kreuz. Die Linien sind nicht durchgehend, es hat seine Todesmacht verloren. Stattdessen kündet das Kreuz von der Überwindung des Todes, vom Segen, von der Rettung, die von ihm ausgehen, vom Perspektivwechsel, den es bewirkt. Es kündet von der Ordnung und von Gott, der das Leben sowohl hier und jetzt als auch dort und danach zusammenhält.

Schicht um Schicht führt das Bild schrittweise aus einem dunklen Raum hinaus ins Licht. Es gibt das Ende eines Tunnels wieder: einer beengten, ungemütlichen, aussichtslosen Wegstrecke, die kein Ende nehmen wollte und menschlich gesehen zum Scheitern verurteilt war. Denn die Dunkelheit wurde von vertikalen Gnadenstrahlen erleuchtet und in farbige Schleier gewandelt, die sich ihrerseits mehr und mehr auflösen und dabei die Sicht auf das Dahinter freigeben

Das Bogensegment am unteren Bildrand suggeriert, dass es sich bei dem Geschehen nicht um eine Kleinigkeit handelt, sondern um die große Bühne, um ein Weltgeschehen, das alle auf dem Weltenrund gleichermaßen bewegt und betrifft.

Verdichtet werden existenzielle Themen wie Dunkelheit und Licht, Wärme und Kälte, Leben und Tod, Enge und Weite dargestellt. Es wird die Freude vermittelt, nach der Blindheit wieder sehen, wieder Farben und Formen erkennen zu können, dank Jesu Tod und Auferweckungen einen überwältigend neuen Horizont zu erhalten, die Zuversicht, dass das Leben weitergeht. Befreiung ist spürbar, das Angebot neuer Möglichkeiten und Perspektiven. Gott schenkt einen neuen Lebensraum.

Der Kehrvers aus Psalm 18,20a.29b singt in mir: „Du führst mich hinaus ins Weite, du machst meine Finsternis hell.“ (GL 629,1 / KG 607 / RG 732) Er lässt in mir Dankbarkeit und Freude aufsteigen und mich einstimmen in das Gebet des Psalmisten und in das wunderbare Lob der Stärke Gottes:

Er griff aus der Höhe herab und fasste mich, zog mich heraus aus gewaltigen Wassern.
Er entriss mich meinem mächtigen Feind und meinen Hassern, denn sie waren stärker als ich.
Sie überfielen mich am Tag meines Unheils, doch der HERR wurde mir zur Stütze.
Er führte mich hinaus ins Weite, er befreite mich, denn er hatte an mir Gefallen.
Der HERR handelte gut an mir nach meiner Gerechtigkeit, vergalt mir nach der Reinheit meiner Hände. Denn ich hielt mich an die Wege des HERRN und fiel nicht ruchlos ab von meinem Gott.
Ja, ich habe alle seine Entscheide vor mir, weise seine Satzungen nicht von mir ab.
Ich war vor ihm ohne Makel, ich nahm mich in Acht vor meiner Sünde.
Darum hat der HERR mir vergolten nach meiner Gerechtigkeit, nach der Reinheit meiner Hände vor seinen Augen.
Gegen den Treuen zeigst du dich treu, lauter handelst du am Lauteren.
Gegen den Reinen zeigst du dich rein, doch falsch gegen den Falschen.
Ja, du rettest das elende Volk, doch die Blicke der Stolzen zwingst du nieder.
Ja, du lässt meine Leuchte erstrahlen, der HERR, mein Gott, macht meine Finsternis hell.
Ja, mit dir überrenne ich Scharen, mit meinem Gott überspringe ich Mauern.
Gott, sein Weg ist lauter, das Wort des HERRN ist im Feuer geläutert.
Ein Schild ist er für alle, die sich bei ihm bergen.
Denn wer ist Gott außer dem HERRN, wer ist ein Fels, wenn nicht unser Gott?
Gott hat mich mit Kraft umgürtet und vollkommen machte er meinen Weg.
(Ps 18,17-29)

 

Arbeiten von Albert Mellauner waren im Frühjahr 2023 in der Ausstellung „Farbrhythmen“ in der Hofburg Brixen zu sehen.

Offen für das Unvorstellbare

Von den Farben fasziniert schweift der Blick kreuz und quer über die drei Blätter dieses Triptychons, um einen Anhaltspunkt für das Verstehen dieser expressiven Farbenfülle zu erhalten. Insbesondere die Seitenflügel geben neuartige Formen wieder, Verdichtungen, die man so vorher noch nicht gesehen hatte. Allen drei Darstellungen gemeinsam sind die offenen Kreise und die verschiedenfarbig gekritzelten Flächen, die sich ganz unterschiedlich entfalten. Zeichnerisch hat das Kritzeln seine ganz eigene Bedeutung: Es ist das Loslassen von der konkreten, körperhaften Form und das Sich-Hineinbegeben in einen vorbewussten Zustand, der offen ist für das Neue und Außer-Ordentliche.

Das mittlere Blatt lässt die Umrisse eines menschlichen Körpers erkennen: Kopf, Oberkörper, Becken, Beine und Knie, aber keine Arme. Die aufrechte, leicht nach vorn gebeugte Gestalt erscheint ohne Bezug zu einem weiteren Objekt vor dem hellen Hintergrund in einem schwebenden Zustand. Durch ihre Körperhaltung kann in ihr sowohl ein Gekreuzigter als auch ein aufgestellter Liegender gesehen werden. Die leeren Formen lassen auf eine vergangene Existenz schließen, die eine Verwandlung erfährt zu einer Fülle, die im neuen Element der Farbfelder ihren Ausdruck findet (vgl. 1Kor 15,51). So kann die Gestalt als eine geistige Existenz gesehen werden, die nur noch mit einem auslaufenden Strich wie mit einer Nabelschnur mit dem Irdischen verbunden ist. Im Innern nur Licht (gelb) und Leben (grün). Nichts Körperhaftes. Den Himmel im Rücken.

In den äußeren beiden Blättern findet sich die Kreisform des Kopfes wieder. Sie lässt in den personalisierten Gestalten engelhafte Wesen erkennen (vgl. Lk 24,4; Joh 20,12), welche die neue Lebensfülle ausstrahlen. Sie umrahmen ein einzigartiges, unvorstellbares, geradezu unglaubliches Geschehen: Jesus, der Gekreuzigte und Verstorbene lebt! Im zentralen Bild ist der Lebende sowohl in der Haltung des Gekreuzigten und im Tode Liegenden wiedergegeben wie auch als stehender, zum Leben auferweckter und von Leben erfüllter Mensch.

In seinem Leib keimt das Leben wie bei einem aus einem Samenkorn herauswachsenden Keimling. Es ist nicht das alte Leben, das zu neuem Leben erwacht. Das alte Leben, der alte Leib ist gestorben (vgl. 1Kor 15, 35-38). Doch genau dadurch konnte Neues entstehen: Neues Leben, neue Entwicklungen, neue Beziehungen und  Strukturen, symbolisiert durch die unaufhaltsam sich ausbreitenden Farben. Die Farben tanzen gleichsam durch das Triptychon, springen auf den Betrachter über und erfüllen ihn mit Freude.

Das Triptychon erzählt von der Erneuerungskraft, die der Auferstehung Christi innewohnt. Es zeugt von der gewaltigen Verwandlungsbereitschaft Gottes, aus Totem Lebendiges auferstehen zu lassen. Die drei Blätter wecken auch die Sehnsucht nach Verwandlung und Erneuerung in der Kirche hin zu einem geschwisterlichen Miteinander als Kinder Gottes aus der Besinnung auf die ursprünglichen Inhalte. Daraus wächst das Vertrauen in die Kraft Gottes, aus tot Geglaubtem Leben hervorbrechen zu lassen, das Unvorstellbare neue Wirklichkeit werden zu lassen und die Kirche Jesu Christi wieder zum Blühen und Strahlen zu bringen.

Zusammenhalt

Haltlos waren die rotbraunen Metallbänder, als sie dem Generationenwechsel im Schienenbau zum Opfer fielen. Ausgerechnet sie, die dazu gefertigt wurden, alten hölzernen  Eisenbahnschwellen Halt zu geben und mit ihnen Stabilität den Schienen und Sicherheit den darüberrollenden Zügen und Fahrgästen.

Aufgeschnitten lagen die Bänder in Haufen als Schrott oder Altmetall herum. Offen für einen neuen Verwendungszweck, der vom Einschmelzen bis zur Weiterverwendung in einem anderen Kontext reichen konnte. Wie hier in einem Kunstwerk.

Verbunden wurden sie vom Künstler durch das Verschweißen an unerwarteten Stellen. Sie bilden in ihrer Verworfenheit nun eine Solidargemeinschaft, in der jedes Band die Spuren seiner ursprünglichen Bestimmung und Aufgabe als auch seine Trennung davon als gestaltgebendes Moment in das neue Zusammen und damit in den neuen Lebensabschnitt einbringt. Die Gemeinschaft ist der Wund-Verband, der hilft die Verletzungen der Vergangenheit zu heilen. Sie werden sichtbar bleiben und damit der neuen Gestalt ein unverwechselbares Gesicht verleihen.

Offen geben sich die Zwischenräume, durchlässig für ganz verschiedene Deutungen. So kann in der Metallskulptur ein Menschen- oder Löwengesicht gesehen werden, das von einem roten Wuschelkopf oder einer roten Mähne umgeben ist. Gleichzeitig atmet in dem Linienverbund die Blätterstruktur einer blühenden Rose. Da ist viel Luft, Freiraum und Toleranz im Innern, aber auch viel Offenheit nach außen. Die freien Enden der Bänder sind bereit, Suchenden Halt und Gemeinschaft anzubieten. Im einen wie im anderen Bild ist Leben und Freude zu spüren, … ein neuer, sinngebender Zusammenhalt.

Schritte in die Weite

Der Blick des Betrachters geht mit zwei Fußspuren durch eine angedeutete Türöffnung in einen schmalen, langen Raum, dessen Rückwand perspektivisch leicht nach rechts aus dem Zentrum verschoben wurde. Die farbigen Flächen wirken plakativ, symbolisch. Der Raum mit dem braunen Boden, den roten Seitenwänden und der gelben Rückwand erscheint ohne Fenster, Türen und ohne Decke wie eine ausweglose Sackgasse.

Diesen imaginären Raum hat ein Mensch barfuß betreten. Die weißen Abdrücke bilden einen seltsamen Kontrast zu den anderen Bildelementen. Der abstrakte Raum erhält durch diese Spuren etwas Menschliches. Eine menschliche Präsenz wird spürbar. Der braune Boden lässt an Erde denken. Der Ort hat etwas Grabähnliches. Doch die roten Wände pulsieren voller Leben und sie können wie symbolische Hände der Liebe gesehen werden, die den Verloren-Geglaubten umfassen und ihm Halt geben, die den Erkalteten und Erstarrten wärmen und in ihm neues Leben zirkulieren lassen.

Auch die sonnengelbe Rückwand mit der Leiter signalisiert, dass dieser Raum kein Ort des Todes ist, sondern der Auferstehung und des Lebens. Es führt über die Leiter ein Weg ins Freie und in die Weite durch den, der von sich sagte: „Ich bin die Tür, ich bin der Weg, ich bin die Auferstehung und das Leben“: JESUS!

ER ist es, der zu den Angehörigen von kürzlich Verstorbenen, wie zu Jairus oder der Schwester des Lazarus, sprach: „Fürchte dich nicht, glaube nur!“ (Mt 5,36) ER ist es, der zu den Verstorbenen selbst sagt: „Talita cum – Steh auf!“ (Mt 5,41; vgl. Joh 11,1-45) ER lässt die Worte aus Psalm 18 immer wieder Wirklichkeit werden: „Er führt mich hinaus ins Weite.“ (Vers 20) „Du schufst weiten Raum meinen Schritten“ (Vers 37). Jesus ist im Symbol des feinen Türbogens ins Bild gebracht. Durch ihn wird die Wahrnehmung positiv verändert, die Sicht auf das Kreuz wird im Symbol der Leiter wieder auf das Leben geweitet, denn er sagt: ICH sage dir: Steh auf! ICH führe dich ins Weite – in die Weite des Lebens!

 

Die Arbeit von Thomas Lauer war bis zum 18. Oktober 2022 in der Gemeinschaftsausstellung „Talita kum – steh auf!“ Theodosius Akademie im Kloster Hegne am Bodensee ausgestellt.

Blick ins aller Heiligste

Feine Farbklänge verleihen dem Bild etwas Zärtliches, Geheimnisvolles und Kostbares. Schwebend atmen die einzelnen Elemente ineinander und bilden zusammen eine Lebensgemeinschaft, die alles Bekannte übersteigt.

Das weiße Oval mit seinem diffusen Rand schenkt diesem Organismus einen grenzenlosen und lichtvollen Lebensraum, der mit seiner Energie das erdig wirkende, ockerrote Umfeld strahlenförmig erleuchtet. Vom unteren Bildrand her durchquert ein rosafarbenes Kreuz das Oval in seiner Höhe und Breite. Wie ein Stempel prägt es die neue Gemeinschaft, wie ein Schlüssel öffnet es das Verständnis für das Wunder, dass es dieses Miteinander überhaupt gibt – sah doch bei der Kreuzigung alles nicht so rosig aus.

Das Kreuz lässt die Wandlung miterleben, die der an ihm Gekreuzigte durchlitten und durchlebt hat. Die quadratische rote Mitte erzählt mit ihrer farbig-formalen Symbolik von der irdischen Gewalt, dem vergossenen Blut, dem qualvollen Tod. Gewandelt bildet es die kraftvolle Mitte des neuen Lebensraumes, das schlagende Herz, das aller Heiligste. Das Viereck ist der irdische Schlussstein im Gewölbe der Ewigkeit, die verdichtete Gegenwart Gottes unendlicher Liebe in der menschlichen Geschichte. Es ist ein stiller Ruhepol, Halt für den Unsicheren, Orientierung dem Suchenden.

Intensiv, fröhlich und unbeschwert lebt das Kreuz aus seiner quadratisch-kraftvollen Mitte heraus. Die rosa Farbe mag einen verklärten Blick suggerieren, aber keinesfalls einen zu optimistischen oder unrealistischen Blick durch eine rosarote Brille. Sie ist vielmehr die Farbe der Liebe und der Zärtlichkeit, die Farbe des jungen, neuen Lebens, das – einem Fötus gleich – im Entstehen begriffen ist.

Im oberen Bereich der Aureole deuten zwei kleinere Ovale die Köpfe von zwei Menschen an. Ihre Körper lassen sich in den mit ihnen verbundenen Linien und Schattierungen erahnen. Links eine größere Gestalt, sitzend vielleicht, mit ausgebreiteten Armen, rechts eine kleinere Gestalt, der linken zugewandt. Sie lassen an einen Vater oder eine Mutter mit ihrem Kind denken. Beide sind einander zugeneigt und bilden im intensiven Austausch eine von Liebe getragene Einheit. Sie versinnbildlichen in abstrahiert menschlicher Form die Einheit der Zweiheit, die Versöhnung der Gegensätze, die Geborgenheit im Einen oder auch das Geheimnis der Trinität.

Im österlich erschlossenen Lebensraum kann so Gott-Vater gesehen werden, der seinen Sohn nach dem irdischen Leben und Sterben mit offenen Armen im ewigen Leben empfängt. In der kleineren Gestalt dürfen wir aber auch uns selbst als Kinder Gottes erkennen, die wir einst von Ihm ins Allerheiligste aufgenommen werden und sein göttliches Erbarmen, seine grenzenlose Liebe in unmittelbarer Nähe erfahren.

 

Dieses und weitere Kunstwerke von Anneli Schwager sind bis Ende 2022 in der Ausstellung „Für die Welt“ in der Ev. Patmos-Gemeinde an der Gritznerstraße 18/20 in 12163 Berlin im Original zu sehen.
Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie hier.

Atem der Seele

Auf einem mit einem weißen Tuch bedeckten Tisch konzentrieren sich in der Mitte goldene Schmetterlinge. Sie bilden eine Art Nest, einen Schwarm, eine übervolle Schale, von der ausschwärmend sich die Schmetterlinge im ganzen Raum auf den Gegenständen und an den Wänden niedergelassen haben.

Der schlichte Tisch mit den goldenen Schmetterlingen erinnert an den mit Kelch und Patene bedeckten eucharistischen Tisch in den Kirchen. Der Tisch steht für jede gute menschliche Versammlung zum gemeinsamen Mahl. In den Kirchen erinnert der „Tisch des Herrn“ an das Letzte Abendmahl, in dem sich Jesus nach Lobpreis und Dank selbst seinen Jüngern schenkte mit den Worten: „Nehmt, das ist mein Leib“ – „Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.“ (Mk 14,22f) Etwas davon schwingt in den Schmetterlingen mit in den Raum und zu den Menschen.

Wunderbar werden hier Tod und Auferstehung symbolisch dargestellt. Denn das weiße Tischtuch erinnert auch an ein Leichentuch, mit dem man Verstorbene zudeckt. Doch dieses hier ist in der Mitte kaum sichtbar aufgerissen und durch seine Öffnung steigen unaufhaltsam Schmetterlinge. So steht dem einsamen Ableben die gemeinsame Auferstehung gegenüber, dem irdischen Tod das göttliche Leben, der Zeitlichkeit die Ewigkeit.

Der Schmetterling war durch das Verpuppen und Schlüpfen aus dem anscheinend leblosen Kokon nach monatelanger äußerer Ruhe in der Antike das Sinnbild der Wiedergeburt und Unsterblichkeit und ist in der christlichen Kunst noch heute ein Symbol für die Auferstehung. In der altgriechischen Sprache wurde der Schmetterling „Psyché“ genannt, weil die Hellenen diese Verwandlungskünstler als Verkörperung der menschlichen Seele sahen. Im Schmetterling fanden sie die Lebendigkeit und den Atem der Seele wieder, die nach der überraschenden Verwandlung die Erdgebundenheit hinter sich lässt und in ungeahnter Leichtigkeit im Sonnenlicht dem Himmel entgegentanzt.

Der goldene Schmetterlingsschwarm deutet funkelnd auf ein außerordentliches Ereignis, eine unerwartete Fülle an Leben und Bewegung, eine sich unaufhörlich ausbreitende Segensfülle, auf ein Sich-Verteilen und -Verschenken. Er erinnert an das staunend hervorgebrachte Wort aus dem Johannesevangelium 1,16 über Jesus: „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.“ Dieser dichte Schmetterlingsschwarm vermag Wesentliches von Jesus zu versinnbildlichen: Die Offenbarung seiner göttlichen Herkunft, die Kraft und den Auftrag, die ihn beseelten Gutes zu tun und den Menschen alles an die Hand und ins Herz zu geben, damit aus der Verbundenheit mit Gott Verwandlung zu einem neuen Leben möglich wird. Ein Leben, das durch den Atem der Seele Freiheit und Leichtigkeit gewinnt. Ein Leben, das durch die Begeisterung der Seele alle Lebensdimensionen so verwandelt, mitgestaltet und prägt, dass sie teil hat an der Ewigkeit.

Video vom „Offenen Himmel“ im Klinikum Singen im Mai 2021:  mit Flügeln und mit einem langen Atem (43 Min)

Befreiung zum Leben

Jedem der drei heiligen Tage ist im Triptychon ein Bild gewidmet: Karfreitag, Karsamstag und Ostern. Farblich sticht durch die rötlich-braune Farbe das mittlere Bild heraus, von der Form her ist das Kreuz am besten zu fassen, während das Osterbild je nach Sichtweise Unterschiedliches zu sehen ermöglicht.

Die hellen, gleichlangen Balken verweisen als Kreuzzeichen auf den Tod Jesu, weshalb dieses Bild dem Karfreitag zugeordnet werden kann. Das Kreuz wirkt wie eine Klammer über dem breiten Rahmen, wie ein Gitter vor einer Fensteröffnung, um etwas Dahinterliegendes zu versperren. So sehr das Kreuz im Vordergrund steht, führt der Blick daran vorbei in die Tiefe, in eine mit lichten Punkten durchsetzte Finsternis. Das Lichtermeer in der Nacht erinnert an das stille Totengedenken auf Friedhöfen, bei denen allein die Kerzenlichter bis zum Verlöschen bei den verstorbenen Lieben ausharren.

Doch das Kreuz selbst trägt im „Brustbereich“ oder im Herzen das Leiden und den Schmerz, den Tod und die Einsamkeit. So erhält seine Gestalt menschliche Züge, bei der die Arme weit ausgebreitet sind – wie um alle Menschen aufzufangen und vor dem Verderben zu retten. Auch die weißliche Farbe des Kreuzes kann in diese Richtung gedeutet werden: Jesus ist der, „der heilig ist, frei vom Bösen, makellos, abgesondert von den Sündern und erhöht über die Himmel.“ „Darum kann er auch die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten.“ (Hebr 7,26.25) Das helle Kreuz macht deutlich: Jesus ist „das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ (Joh 1,29).

Das Starre, Recht-Eckige, Unflexible und Unbewegliche findet sich auch im zentralen Bild. Die engmaschige Gitterstruktur der schwarzen Linien erinnert an ein dorniges Heckendickicht. Doch im Durchblick auf das rötliche Licht ist Verwandlung spürbar. Dunkel ist bereits die schalenförmige Grundstruktur des Auferstehungsbildes angedeutet, aber sie gleicht mehr einem von Erkenntnis erschrockenen und darunter leidenden Kopf. Inferno und Fegefeuer können in diesem Bild gesehen werden, aber auch eine Transformation zu etwas Neuem. Oder ein alle Verstorbenen vertretendes Gesicht, das als Seele darauf hofft, bei Gott Erbarmen zu finden und von Jesus beim Hinabsteigen zu den Toten gerettet zu werden.

Das dritte Bild nimmt die weiß-braunen Farben des linken Bildes auf und ordnet sie neu. Gott läutert und wandelt das Bestehende in der glühenden Kraft seiner Liebe zu einem befreiten, ungebundenen Leben, das allein aus der Liebe heraus handelt. Es gibt nicht mehr verschiedene Ebenen, sondern nur noch die Gegenwart der Auferstehung. Formal wird das durch die freien und lebendigen Formen zum Ausdruck  gebracht, inhaltlich durch die Heimkehr zu Gott, der Begegnung mit IHM, seiner Umarmung und der dadurch erfahrenen Geborgenheit (vgl. Lk 15,24). Die schwungvollen Formen machen zudem deutlich, dass die Auferstehung ein lebendiger Prozess des Erkennens und Wahrnehmens ist, in dem die neue Wirklichkeit Gottes in unserem Leben erst nach und nach sichtbar wird. So ähnlich wie bei den Emmausjüngern (vgl. Lk 24,13-35), die ebenfalls in diesem Bild gesehen werden können.

Die Zusammenschau aller drei Bilder tut gut und ermöglicht ein Ausloten und Finden des eigenen Standpunktes. Das Triptychon zeigt in Leserichtung einen befreienden Entwicklungsprozess auf: Das stellvertretende Opfer Jesu und seine Auferstehung befreien zu einer erneuerten Beziehung zu Gott, die Kraft und Mut gibt, Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv und kreativ den Aufgaben unserer Zeit zu stellen.

Herrlichkeit Gottes

Bäume säumen die zentrale Blickachse, deren Horizont durch eine sanfte Erhebung begrenzt wird. Auf jeder Seite der Allee stehen zwölf, die in ihrer Zusammenschau dreieckige Pyramiden bilden. Die idealisierten Kronen der Bäume gehen am Horizont übergangslos in die Wölbung des Hügels über und bewirken damit eine zentralperspektivische Sogwirkung, welche das weiße Quadrat hervorhebt. Diese Hervorhebung wird durch die vertikale Beschneidung der Bäume zur Mitte hin und den dadurch entstandenen ehrerbietenden Abstand verstärkt. Die „Schatten“ in den tropfenartigen Baumkronen machen eine Art Transparenz oder Durchleuchtung sichtbar, wodurch alle Bäume bis in die hinterste Reihe in ganzer Gestalt erkennbar sind.

Der Blick durch die Allee wird durch die geometrische Form eines aufrecht stehenden weißen Rechtecks gebremst und verschleiert. Die Lichterscheinung erhebt sich kontrastreich aus einer schwarzen, in den Boden eingesenkten Form, die einem Grab gleicht, und sie ragt etwa hälftig über den Horizont hinaus in den zartrosa gefärbten Himmel hinein. Am Scheitelpunkt der sanften Steigung der blauen Erhebung kann in blassroten Großbuchstaben schwach V E R G E H E N gelesen werden. Das Wort weitet das bisher Gesehene zu einer neuen Sicht mit anderen Augen. Plötzlich wird der abstrakte helle Raumkörper in der Bildmitte gleichsam zu einem Monument für die Vergänglichkeit, zu einem „Denk-mal“ über die Bedeutung und das Wesen von Werden und Vergehen.

Alles vergeht, alles verändert sich, außer Gott bleibt nichts in Ewigkeit so wie es ist. Könnte die rechteckige Erscheinung ein Symbol für die Zeit darstellen? Viereckig, weil die Zeit eine menschlich weltliche Formulierung ist, transparent, weil sie nicht sichtbar ist? Inmitten des Hains, weil sie eine kostbare Erfahrung der Gegenwart ist mit möglichem Rückblick auf die Vergangenheit und begrenzter Aussicht auf die Zukunft?

Das aus der Dunkelheit des „Grabes“ aufsteigende gefasste Licht löst wie eine unsichtbare Gegenwart von unten nach oben die Grenze zwischen Erde und Himmel auf. Durch den fließenden Übergang in den blauen Bereich und die Wiederaufnahme und Steigerung der nach oben weisenden Horizontlinie des Hügels findet auch diese Bewegung im erhabenen Quadrat ihre Vollendung.

Das weiße Quadrat wirkt am Horizont wie eine Großleinwand, wie eine Projektionsfläche für Visionen. Es lenkt den Blick in die Ferne und kann ermahnen, im gegenwärtigen Handeln auch an die Zukunft zu denken und nicht alles rosarot verzaubert zu sehen. Seine Leuchtkraft lässt zudem an eine höhere Gegenwart denken, in der alles Werden und Vergehen seine Vollendung findet. Es könnte ein Sinnbild für das Neue Jerusalem sein, in dem es keine Nacht mehr geben wird, weil Gottes Gegenwart selbst allen Menschen Licht ist und sie der Macht des Todes entreißt. Das Quadrat kann gar als „Wohnung Gottes unter den Menschen“ gedeutet werden nach der Vision des Himmlischen Jerusalems im Buch der Offenbarung (21,3-5): „Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: „Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu.“

Vor diesem Hintergrund erhält das Gemalte eine noch tiefere Dimension. Es geht um den Blick über alles Vergehen und Vergangene hinaus in die Ewigkeit. Dem Seher Johannes wurde die heilige Stadt Jerusalem gezeigt, „wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Sie glänzte wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Jaspis.“  In der weiteren Beschreibung werden die „zwölf Stämme der Söhne Israels“ und die „zwölf Apostel des Lammes“ genannt (Offb 21,12.14), die sinnbildlich in den 24 gleichmäßig gewachsenen und schönen Bäumen ihren Platz seitlich der Herrlichkeit Gottes haben. In der Tropfenform der Baumkronen klingt das Abwischen aller Tränen an, denn „der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“

Das vom Künstler mit „Monument IV“ betitelte Bild ist weniger ein Monument für die Vergänglichkeit oder ein Denkmal für die Zeit, sondern vielmehr ein Monument für Gottes bleibende Gegenwart durch alle Zeit hindurch. Es ist ein Bekenntnis, dass nicht das lebensbestimmende VERGEHEN das letzte Wort hat, sondern Gott selbst im durch seine Liebe bewirkten AUFERSTEHEN zum ewigen Leben.

Dieses und weitere Werke von Nikola Saric waren bis zum 31. Oktober 2020 in der Ausstellung „Reflexionen“ im Domschatz- und Diözesanmuseum Eichstätt im Original zu sehen.

Berichtigung

Auf der weißen Scheibe des Bildes „Monument IV“ von Nikola Saric steht das Wort VERSEHEN und nicht VERGEHEN. Laut Künstler bezieht sich das „Versehen“ hier eher auf die politisch-journalistische Sprache im Zusammenhang mit Ausdrücken wie „Kollateralschaden“, „menschliche Fehler“ und „Tat aus Versehen“. Das Wort VERSEHEN steht dabei auch im Kontext der versehentlichen Zivilopfern bei militärischen Operationen.

In meinem Zugang zum Wort VERSEHEN habe ich mich also gleich zweifach versehen: Zum einen habe ich mich verschaut beim Lesen des Wortes, zum anderen habe ich das Wort auf der Erhebung am Horizont und nicht auf der Scheibe in der Bildmitte verortet. Für diese Fehldeutung entschuldige ich mich an dieser Stelle. Gleichzeitig wird deutlich – auch im Sinne der Intention des Künstlers, wie wichtig achtsames, umsichtiges Schauen und rücksichtsvolles Handeln sind, damit es eben nicht aus Versehen zu Kollateralschäden kommt.

Mein Bildzugang bleibt bestehen, weil die Deutung mit dem „Versehen“ in sich stimmig ist. Zudem hat Nikola Saric sein Einverständnis dazu gegeben: „Ich finde Ihren Text sehr interessant und finde es spannend wie unterschiedlich sich Gedanken zu einem Bild entwickeln können. Ich bin auch der Meinung, dass wir den Text so stehen lassen.“

Transitus

Langgezogen schwebt das Stück Holz über dem Boden. Braunschwarz hebt es sich von den hellen Steinfliesen ab. Seine unregelmäßigen Ränder erinnern an die Bewegung von Wasser und lassen es wie ein Boot dahinfließen.  Dunkel umgibt es seinen hellen Passagier – eine Hinterlassenschaft wie das Holz selbst. Abgestreift, liegengelassen, liegengeblieben. Im Fluss der Zeit gestrandet und übriggeblieben.

Das Tuch auf der Mooreiche ist hingeworfen wie ein Bettlaken nach dem Aufstehen. Auf der einen Seite hängt es von der Eiche wie auf den Boden herabfließend. Auf der anderen Seite – abgesondert – liegt ein ordentlich zusammengelegtes Tuch als Referenz auf das gefaltete Schweißtuch im Grab Jesu und verweist auf den Morgen seiner Auferstehung (vgl. Joh 20,6-7).

Es überrascht, dass das, was weich und stoffig aussieht, doch fest und fast wie versteinert ist, denn beide Tücher bestehen aus Gips. Aber weil die langgestreckte Draperie die Formen einer liegenden Person aufnimmt, tastet der irritierte Blick immer wieder sich vergewissernd darüber, ob sich nicht doch jemand unter dem Tuch befindet. Auch von der Seite betrachtet wirkt das teilweise herunterhängende Tuch wie ein im Meer Treibender, der sich mit letzter Kraft auf ein sicheres Stück Holz hat retten können und nun wie in Kreuzform zerflossen und ermattet darniederliegt.

Das Holz ist das Fragment einer Eiche, das Jahrhunderte in einem Moor oder einem feuchten Kiesbett lag und dessen Eisengerbstoffe den Stamm von innen heraus dunkel verfärbt und verhärtet haben. Auf diese Weise hat es als eine Art Fossil seinen Verfall überdauert und seine Energie in sich bewahrt. Das Holz wirkt wie eine Kapsel oder Hülle, in der das Tuch überfließendes Licht und Leben andeutet – ein Leben, das der Tod nicht vernichten konnte.

Die Skulptur erinnert an die Vergänglichkeit des Lebens, ans Sterben, den Tod, den Abschied durch das Zurückgeben an die Erde und das Einbetten in sie. Holz und Tuch erinnern an die letzte Liegestätte, in die wir unsere Lieben für ihre letzte Reise betten. Das helle Tuch atmet mit seinen bewegten Falten Licht und Lebendigkeit in der Dunkelheit des Sterbens und des Todes. Als Relikt des Übergangs erzählt es von der Entfaltung des Lebens von der Geburt bis über den Tod hinaus in ein unsichtbares, erneuertes Leben. So wird aus dem Faltenwurf des stofflichen Seins ein gefalteter Entwurf der neuen Wirklichkeit.

In der Ritterkapelle des Heilsbronner Münsters bildet die Skulptur mit ihren vielfältigen inhaltlichen und räumlichen Bezügen einen besonderen Kraftort. Inmitten der schweren rechteckigen Grabsteine der Ritter lässt sie – erst recht im Licht der Sonne leuchtend – leicht und bewegt, kraftvoll und lebendig die österliche Auferstehung spürbar gegenwärtig werden.

 

Das besprochene Kunstwerk war 2020 Teil der Ausstellung „bewegt – beflügelt – bewahrt“ im Münster Heilsbronn und dem Religionspädagogischen Zentrum Heilsbronn.

Pfingstfeuer – Geistes-Gegenwart

Raumfüllend und menschenbewegend durchweht ein feuriges Geschehen das Bild. Es wird von einer Person am unteren Bildrand wie von einem Docht gehalten. Diese Person steht zwischen Leben und Tod, denn links liegen Menschen in der bogenförmig angelegten Dunkelheit, rechts stehen die Menschen als Auferstandene in einem Bereich, in dem sich das Dunkle bereits aufzulösen beginnt. Der Mann steht schief, aber stark zwischen diesen beiden Existenzformen. Die gelbe und die rote Farbe zeichnen ihn als Auferstandenen, als alle überragenden Mann des Lichts und der Liebe, als Vermittler zwischen Himmel und Erde.

Über seinem Haupt steht eine weitere malerisch nur angedeutete Menschengruppe dicht beisammen. Sie bildet im Gegensatz zu den anderen beiden Gruppen eine neue Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, die durch einen gemeinsamen Geist geeint zusammensteht in guten und in schlechten Zeiten. Das über diesen Menschen lodernde Feuer tragen sie wie einen in Flammen stehenden hohen Hut. Die vom Wind angetriebene Feuersbrunst brennt lichterloh und scheint wie ein tobender Waldbrand alles zu verzehren. Das kraftvolle Rot und Gelb zeugt von der ungeheuren Dynamik des Geschehens, doch dazwischen sind blaue und grüne Stellen auszumachen: Zeichen der Hoffnung, des Wachstums, der Verwandlung und des Neuanfangs.

„Wenn der Geist sich regt“, wird uns Menschen eine Kraft zugesprochen, die das Menschenmögliche übersteigt und in göttliche Dimensionen führt. Durch den Titel verbindet die Künstlerin ihr Bild mit dem jungen geistlichen Lied von Norbert Weidinger:

Wenn der Geist sich regt, der Leben schafft,
unverständlich noch, doch voller Kraft.
Überwindet mutig die Distanz,
stehet auf und reicht die Hand zum Tanz.

Kv: Füllt den neuen Wein nicht in die alten Schläuche,
zwängt die junge Kirche nicht in alte Bräuche.

Öffnet Herz und Ohren weit dem neuen Klang,
schöpfet Mut für euren Glauben, seid nicht bang.

Wenn der Geist sich regt und Feuer legt
und verbrennen will, was ihr noch pflegt,
gebt ihm Raum, errichtet nichts, was trennt
Feuer warf er auf die Erde, dass es brennt.

Wenn der Geist sich regt, ein Sturm aufzieht,
in die Segel bläst, reißt alles mit,
springt ins Boot und helft dem Steuermann,
dass mit voller Kraft es vorwärts gehen kann.

Das Lied fordert zu einer Erneuerungsbewegung auf, welche bereit ist, das Alte zurückzulassen, um mit dem Steuermann Jesus zu neuen Ufern aufzubrechen. So kann das feurige Geistgeschehen auch als Segel des bogenförmigen Bootes gesehen werden, in dem Jesus Mast und Steuermann zugleich ist. Wir sind aufgerufen, zu ihm ins Boot zu springen, ihm zu helfen, indem wir uns Gottes Geist öffnen und dank seiner Geistes-Gegenwart in bislang verfahrenen Lagen situativ das Richtige tun. So kann Gott durch uns wirken und Großes vollbringen. So kann Gott das Wirken seines Sohnes durch uns fortsetzen (vgl. Joh 14,26), weiter an seiner Kirche bauen und über sie hinaus von seiner Geistes-Gegenwart Zeugnis ablegen.

Es werde Licht

Aufstehen können, sich bewegen dürfen, frei sein – diese Ostertage lassen uns erleben, wie fragil unsere sonst scheinbar so selbstverständlichen Alltagsgeschenke sind. Wie kann ich das Lähmende all der beängstigenden und traurigen Nachrichten überwinden und mein Leben und das anderer Menschen verändern? Wie kann wieder neues Leben entstehen, wie kann es weitergehen?

Tom Kristen gelingt es in seinem Entwurf für ein Altarbild, die große Botschaft von Ostern mitten hinein in unseren Alltag zu setzen. Auferstehung: Wie soll ein Moment dargestellt werden, der unsere menschliche Vorstellungskraft komplett überfordert und der nur geglaubt werden kann?

Der in Straubing aufgewachsene Künstler schöpft aus einer Kindheitserinnerung: „Ich war krank und hatte nach mehreren Fiebertagen eine Grippe überstanden. und ein langer Schlaf brachte wohl die Lebensgeister zurück. Meine Mutter ging durch das dunkle Zimmer zum Fenster und öffnete den Vorhang. Licht flutete ins Zimmer und durch das geöffnete Fenster flossen Geräusche und Gerüche.“

Die einfache Geste weckt heilsame Assoziationen. Aus dem abgeschlossenen Raum tut sich eine neue helle Aussicht auf, der Ausblick in einen lebensvollen Morgen. Die Schwäche kann überwunden werden mit der Kraft des Neubeginns. Die achtsame Fürsorge eines liebenden Menschen stärkt uns, der eigenen Lebendigkeit zu vertrauen.

Tom Kristen gestaltet vor diesem Hintergrund eine ganz eigene Darstellung der Auferstehung. Es ist Christus selbst, der den Vorhang und damit eine neue Perspektive aufmacht. Das Wechselspiel zwischen Verbergen und Zeigen, Verhüllen und Enthüllen ist ein frühes und bedeutendes Motiv der christlichen Kunst  wie des kirchlichen Brauchtums. Damit das Wesentliche sichtbar wird, wurde am fünften Fastensonntag das Kreuz bis zum Ende der Karfreitagsliturgie verhüllt.

Der Künstler stellt in der weiten Geste des Öffnens Jesus dar als aufrecht stehenden „Christus Triumphans“, als den Gottessohn, der den Tod besiegt hat. Die ausgebreiteten Arme erinnern an das überwundene Kreuz. Ein hoch am Bildrand aufragender Baum deutet symbolisch noch den Kreuzesstamm an. Das abgefallene, auf dem Boden verstreute winterfahle Laub im Gegenüber zur verlassenen Ruhestätte des Schlafes zeugt vom Werden und Vergehen im ewigen Kreislauf der Natur.

Vor dem Fenster zeigt sich flächig aufgetragenes zartes Frühlings- und kräftiges Bergesgrün als Hoffnung auf neues Wachstum. Das christliche Osterfest ist in seinem Sinngehalt eingebettet in das Naturgeschehen im Jahreslauf, in den Rhythmus des Lebens. Die Wiederkehr der Vegetation, das Wiederaufsprießen des Korns, nachdem es in der Erde starb, erfüllt nicht nur die Sehnsucht des Menschen nach dem leuchtenden Aufblühen der Schöpfung, sondern ist existenziell. Doch Ostern erschöpft sich nicht in einer allegorischen Darstellung der Jahreszeiten. Der Sohn stirbt am Kreuz für einen Neuanfang der Menschen mit Gott. Christus verspricht als „Licht der Welt“ (Joh 8,12) eine lebensrettende Orientierung für alle zu sein, die ihm nachfolgen.

Christus selbst ist es, der im Auferstehungsbild von Tom Kristen das Licht herein lässt, die Dunkelheit vertreibt. „Ex oriente lux“, aus dem Osten kommt das Licht: Die Ausstrahlung des Auferstehungsortes Jesu bietet Christen eine neue Orientierung, wörtlich abgeleitet von „Orient“, die Richtung, wo die Sonne aufgeht. Mit Jesus ist eine neue Sonne aufgegangen, die ihre Strahlen in unseren Alltag schickt und Erstarrtes aufbrechen lässt.

Ostern lädt ein, diesen Aufbruch zu wagen, jeden Tag neu. Jesus macht dazu Mut: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Eine Fülle, die nicht immer mehr vom Selben bedeutet, sondern sich in jedem Moment zeigt, in dem wir neu aufstehen, für uns, für den Nächsten, in dem wir an das Leben glauben – in seiner ganzen Weite von Schmerz und Trauer, Freude und Liebe.

auferstehen

Drei Stelen mit bunten Aufsätzen bilden eine Figurengruppe. Ihre Anordnung erinnert an die Kreuzigung, doch ist nicht eindeutig, ob die seitlichen Stelen an die beiden Verbrecher erinnern sollen oder an Maria und Johannes, die unter dem Kreuz standen. Es sind ja keine Kreuzarme zu sehen, die Stelen sind rein vertikal ausgerichtet. Das Kreuz findet sich nur in einem tiefen Einschnitt im Sockel der rechten Stele. Ein weiteres Kreuz wird durch die längere mittlere Stele in Verbindung mit dem eingesetzten Rechteck im Pfosten und den beiden Schalen auf gleicher Höhe angedeutet. Das Kreuz ist da, aber entmachtet – gewandelt vom Todbringenden zum Lebenspendenden.

Der Künstler bringt das zur Sprache, indem er Fundstücke von alten Balken für den unteren Teil der Stelen verwendet und im oberen und obersten Bereich kleinteilige Dreiecke zu neuen Formen schichtet. So entstehen bei den seitlichen Stelen beredte Oberkörper, die einander zugewandt im Dialog zu sein scheinen. Die mittlere Stele ist diesbezüglich ruhiger aufgebaut. Sie wird von einer bunten Krone aus unterschiedlich bemalten Dreiecken gekrönt.

Jedes Teilelement scheint eine andere Geschichte zu erzählen. Sie hatten einst eine andere Verwendung und wurden dann entsorgt oder weggeworfen. Der Künstler hat sie als Fundstücke aufgegriffen und ihnen in der Skulptur eine neue Aufgabe gegeben. Im neuen Miteinander sind sie durch den Künstler zu einem neuen Leben erweckt worden. Das Verachtete, Zerschlagene und Fragmentierte wurde durch den künstlerischen Prozess zu etwas Bedeutungsvollem erhoben. So stehen sie gezeichnet von der Vorgeschichte in neuer Gestalt da.

Die mittlere erhöhte Stele strahlt etwas Königliches aus. Die weißen kleinteiligen Holzstücke unter der Krone lassen mit einem gewissen Abstand ein Augenpaar unter einem weißen Haarstreifen erkennen, im helleren vertikalen Holzstück darunter eine Nase, im Rechteck noch weiter unter einen Mund. Im Philipperbrief (2,8-9) heißt es von Jesus: „er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen.“ In der Mitte thront der Auferstandene als König, als Sieger über den Tod. Die verwendeten Holzstücke erzählen von Erniedrigung und Auferstehung, von Tod und neuem Leben.

Den bunten Dreiklang vervollständigen die zwei farbigen Schalen zuoberst auf den seitlichen Stelen. Die linke Schale ist dünn und leicht geformt. Innen ist sie bunt mit Dreiecksformen bemalt, die eine Verbindung zur Krone herstellen. Die rechte Schale ist aus massivem Holz geschnitzt. Innen ist sie unbehandelt, dafür ist sie außen strukturiert mit Farben bemalt. So unterschiedlich die beiden Schalen aufgebaut und verziert sind, so haben sie doch einen ähnlichen Durchmesser und befinden sie sich auf gleicher Höhe.

Was wäre, wenn die beiden Stelen nicht einzelne Figuren darstellten, sondern die Arme und Hände eines Königs, der die Schalen wie die Krone als Attribute seiner neuen Würde tröge? Sie könnten für seine Offenheit stehen, für seine Bereitschaft, alles auf sich zu nehmen, damit wir es leichter haben (vgl. Mt 11,28), alles für uns zu geben, damit wir in Fülle am Leben teilhaben können (vgl. Joh 10,10). Seine Einladung lautet: Auferstehen. Mit ihm und durch ihn in allen möglichen Situationen immer wieder neu ins Leben auferweckt und aufgestellt zu werden.

Glaubensgeheimnis

Flüchtig bewegt umgeben die goldenen Flächen einen relativ kleinen Christuskorpus im weiten Chorraum der Kirche Maria Rosenkranz in Osnabrück. Er schwebt vor einem weißen Kreuz, das seinem Körper in der Senkrechten eine Richtung gibt, ihn mit den kurzen Querbalken aber nicht zu halten vermag.

Als viertes Element verbindet eine dünne graue Linie mit roten Enden den ungegenständlichen goldenen Hintergrund mit der geradlinig strengen Form des Kreuzes. Sie verstärkt mit dem angedeuteten Kreis die Präsenz einer haltgebenden größeren oder höheren Macht. Denn der Kreis umgibt den Gekreuzigten und gibt ihm einen schützenden Raum. Wie eine Lupe lenkt er den Fokus auf den Mann mit den ausgebreiteten Armen und das immateriell weiß leuchtende Kreuz hinter ihm. Die geometrische Form verbindet den Kreis mit dem Kreuz, gleichzeitig bildet seine Rundung einen feinen Kontrast zu den Geraden des Kreuzes.

Zu diesen beiden linearen Elementen bilden die gestische Hintergrundmalerei und der zentrale Christuskorpus zwei organische Gegenpole. Sie stehen für das Leben, das Lebendige.

Der goldene Hintergrund erzählt von der schöpferisch dynamischen Kraft Gottes, von seiner Unbegreiflichkeit, von seiner Gegenwart und von seiner Schönheit. Im freundlichen Goldgrund können Anklänge an die Sonne wiedergefunden werden – Gott ist Licht, er ist das Licht der Welt. Im warmen Goldgrund kommt Gottes Größe zum Ausdruck und können seine Liebe und Güte gespürt werden.

In Jesus Christus ist er Mensch geworden, wegen uns gekreuzigt und für uns gestorben. Er ist hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tag auferstanden von den Toten. Symbol dafür ist das verwandelte Kreuz hinter dem Christuskorpus: anstelle von Holz ist es eine immaterielle Aussparung in der Mauer. Das Kreuz ist eine Vertiefung, die indirekt beleuchtet zu einem Lichtblick in die Ewigkeit wird. Durch Jesus hat der Tod seine Macht verloren und wurde uns der Weg zum ewigen Leben geöffnet. Aus der Ferne betrachtet scheint das Kreuz jedoch nicht in die Wand eingelassen, sondern von allem Materiellen befreit davor zu stehen. So ist es das leuchtende Zeichen des Sieges. 

Der vom Kreuz befreite schwebende Christuskorpus veranschaulicht, dass Jesus am dritten Tag auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist.

In den Kreis Gottes zurückgekehrt, sitzt er nun zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. Das Kreuz bildet gleichsam den Thron, von dem aus Jesus die Lebenden und die Toten richtet. Er ist uns zugewandt, denn er ist der Kommende, der uns zu sich holen wird, in die Wohnung seines Vaters.

 

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde,
und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn.

Gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tag auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters,
von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.
(Glaubensbekenntnis)

voll Kommen

Licht durchdringt die Mitte eines dicht gebundenen Astkranzes, der von seiner Erdenschwere befreit im Bildraum schwebt. Immaterielles begegnet Materiellem, das Unfassbare dem Fassbaren.

Von hinten unten überstrahlt das Licht den oberen Teil des Kranzes und löst ihn partiell auf. In der unteren Hälfte geschieht das Entmaterialisieren durch Absprengen von kleinen Astteilen oder Dornen. Das Licht nimmt dem Kranz die einengende Kraft, überwältigt ihn loszulassen und aus der Starre in die Bewegung zu gehen.

Durch das aufstrahlende und überstrahlende Licht von hinten wird der Dornenkranz zu einem Fenster in die Ewigkeit, einem Durchbruch, einem Durchgang für die Begegnung mit Gott.

Der geflochtene Kranz erinnert mit seinen spitzen Enden an die Dornenkrone Jesu und das damit verbundene Leiden. Der Kranz vermag darüber hinaus Symbol für das irdische Leben mit seinem Wachstum zu sein. Zum einen waren die Äste einmal Teil aufstrebender und blühender Pflanzen, die dann geschnitten und in eine neue Form gezwungen worden sind. Zum anderen steht das Kranzgeflecht für das Wiederkehrende in unserem Leben, das sich Jahreskreis um Jahreskreis zu einem festeren Gebilde fügt.

Hier, mitten drin, leuchtet nun dieses neue Licht auf, das fähig ist, das oft dornige und festgefahrene Leben in eine neue Dimension zu überführen. Nicht von vorne, sondern von hinten, aus dem Verborgenen heraus, von der Schattenseite her. Es kommt von außerhalb, und doch von innen her. Was für eine Botschaft: Das österliche Licht strahlt mitten in unserem Leben auf, es verwandelt uns von innen. Von unseren inneren Freiräumen her schenkt uns Gott Erlösung von allem Bindenden, die Gnade, ganz zu Ihm zu kommen und in der vollkommenen, allumfassenden Gemeinschaft mit ihm zu leben.

Österliche Kraft

Explosiv verbreitet sich die lichte Energie von der Mitte ausgehend über das Bild. Von innen her bekleidet dieses strahlende Licht die ganze Bildfläche. Seine Mitte liegt hinter einem kleinen gelben Rechteck, das von einem Kreuz gezeichnet ist. Das Kreuz ist noch zentral da, aber es hat seine Macht verloren.

Denn hinter diesem gelben Rechteck ereignet sich eine unaufhörliche Lichtexplosion, die zwei rechteckige Formen überstrahlt. Der innere Rahmen ist gelb und eher quadratisch, der äußere Rahmen schwarz und gleicht von den Dimensionen her einer Tür. Es ist, als wolle die starke Lichterscheinung alles Bisherige und Dagewesene sprengen und neue Dimensionen eröffnen.

Eine erste Auswirkung ist in der unteren Bildhälfte zu beobachten. Schwarze Dunkelheit ist förmlich an den Rand gedrängt worden. Das Licht hat sich tief in den Bereich aller lebensbedrohenden Machenschaften (Dornen links und rechts) und auch des Todes (schwarzes Kreuz) eingesenkt, um alle zu erleuchten, die im Schatten des Todes verloren sind.

Auf eine moderne Weise bringt der Künstler das Hinabsteigen Jesu in das Reich des Todes und seine Auferweckung durch eine lichte Kraft zum Ausdruck, die alles verändert. So heißt es im Osterlob des „Exsultet“ zu Beginn der Osternachtfeier: „Dies ist die selige Nacht, in der Christus die Ketten des Todes zerbrach und aus der Tiefe als Sieger emporstieg. […] Der Glanz dieser heiligen Nacht nimmt den Frevel hinweg, reinigt von Schuld, gibt den Sündern die Unschuld, den Trauernden Freude.“

Durch die Auferstehung Jesu ist zudem eine Tür in die Ewigkeit geöffnet worden. Es kommt nicht nur Licht in unsere Welt hinein, sondern es wird auch offenbar, dass es nach dem irdischen Tod lichtvoll weitergeht. Endete das Leben bislang mit dem Tod, so ist das irdische Leben seit Jesu Auferstehung bereits der erste Teil eines unfassbar längeren Lebens in der Gemeinschaft mit Gott.

Sehr schön wird das in einem österlichen Kirchenlied (GL 337) besungen:
4. „Die Seite, die geöffnet war, / freu dich und singe, / zeigt sich als Himmelspforte dar, Halleluja. Sing fröhlich Halleluja!
5. O Christ, nun feste Hoffnung hab, freu dich …
    auch du wirst gehn aus deinem Grab. Halleluja! Sing fröhlich …
7. So wirst zum Leben du erstehn, / freu dich …
    und deinen Heiland ewig sehn, Halleluja. Sing fröhlich Halleluja.

Als Zeichen der Liebe und des Dankes scheint jemand die rote Rose oben an den Lichtkranz „geheftet“ zu haben. Es ist, als wolle sie sagen, dass die Liebe stärker als der Tod ist, weil Gott selbst Liebe ist und darin den Tod überwunden hat.