Doppeldeutige Last

Weiß gezeichnete Gegenstände verteilen sich auf einem diagonal im Bild stehenden Balken. In der oberen Hälfte als Bild im Bild in völliger Dunkelheit, unten vor einem blau-weiß-kalten, schattenhaften menschlichen Abbild. Still wird die Gewalt thematisiert, die Jesus erfahren hat: seine Dornenkrönung und die Verspottung durch die Soldaten, die Bloßstellung durch die Beraubung seiner Kleider, die Kreuzigung mit den vier Nägeln. Das querliegende Holz, welches das innenliegende Bild mittig teilt, macht die Holzbalken erst zum Kreuz und die gesamte Darstellung zu einer Kreuztragung.

Das Mahn- und Denk-Mal bringt zeichenhaft die Gewalt ins Bild. Wo Gewalt am Menschen angewendet wird, wird er seiner Freiheit und Unversehrtheit beraubt. Seine Würde wird missachtend in den Dreck gezogen und mit Füßen getreten. Auch vorgegebene, starre Strukturen und Rahmenbedingungen, in die sich Menschen vermeintlich zu fügen haben, sind Gewaltanwendungen. Menschen, die Unterdrückung erfahren, erleiden äußere und innere Verletzungen und sind oft nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Wer Gewalt anwendet, ist oft ohnmächtig gegenüber der Stärke anderer Menschen und versucht, den anderen durch zerstörerische Aktivitäten zum Schweigen, Nicht-Handeln oder gar zum Tode zu bringen. Jesus hat die Gewalt am eigenen Leib zugelassen und durchlitten. Wir glauben, dass er dies alles erduldet hat, um uns in unseren Leiden nahe sein zu können und uns durch Hingabe seines Lebens von aller Schuld und allen Gebundenheiten zu erlösen. Die rote Farbe am Fuß des Holzes deutet schon auf das Blut, das er für uns vergossen hat zur Vergebung unserer Sünden. (vgl. Röm 3,25; Eph 1,7)

In dieser Einzigartigkeit trägt Jesus seine Königswürde ähnlich der INRI-Tafel mit sich, die über seinem Haupt ans Kreuz genagelt wurde (vgl. Lk 23,38). Anstelle der Inschrift in hebräischer, lateinischer und griechischer Schrift (vgl. Joh 19,20b) ist hier die von einer Königskrone überhöhte Dornenkrone und ein einfaches Kleidungsstück zu sehen. Sie krönen und kleiden gleichsam den hellblauen, gebeugten Schatten am Boden (dessen Farbe gut die himmlische Herkunft und Reinheit Jesu zu symbolisieren vermag) und heben den Namenlosen aus dem Staub. Die kristallin dargestellten Nägel erinnern seinen gewaltsamen Tod und lassen in ihrer stilistischen Nähe zu geschliffenen Edelsteinen auch dessen Überwindung erahnen, was wunderbar im urchristlichen Philipperhymnus in Worte gefasst wurde:

„Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters.“ (Phil 2,6-11)

Himmelsmantel

Eine große T-förmige Leinwand bildet den Hintergrund für das große Chorkreuz. Es begleitete die Gläubigen der evangelisch-lutherischen Kirche Sankt Petri in Wuppertal von Aschermittwoch bis Pfingsten durch die Fasten- und Osterzeit. Durch die blaue Farbe wird das Kreuz gleichsam in den Himmel gehoben und noch mehr in die Mitte Gottes, für den das Symbol des Kreises und die rötliche Farbe stehen. Das Kreuz und das Leiden bleiben, doch die Umgebung des Kreuzes hat sich verändert: Jesus stirbt nicht mehr allein am Kreuz. Er wird in der größten Einsamkeit von Gott gehalten, von hinten umfangen, mit dem Mantel des Himmels bekleidet und mit seiner Barmherzigkeit gewärmt.

Die T-Form will kein zweites, alternatives Kreuz bilden, sondern die einfachste Form eines Gewandes wiedergeben. Es erinnert an das hohepriesterliche Untergewand Jesu, das Josephus Flavius so beschreibt: „Dieser Rock besteht nicht aus zwei Stücken, so dass er auf den Schultern und an der Seite genäht wäre, sondern er ist aus einem einzigen Faden gewebt.“ (Josephus Ant. III,161)

Dieses einzigartige Gewand spielt auch im Johannesevangelium eine besondere Rolle (19,23-24). Der Evangelist greift die Worte aus Psalm 22,19 auf, um zu verdeutlichen, dass Jesus der von Gott auserwählte Hohenpriester war: Die Soldaten teilten seine Kleider unter sich, aber um sein außerordentliches, in einem Stück gewebtes Gewand warfen sie das Los, um es nicht zu zerstören!

Das Himmelsgewand im Hintergrund lässt uns das Kreuz zudem in Verbindung mit einigen Aussagen des Paulus im Brief an die Hebräer sehen, in denen Jesus als der wahre und einzige, bereits im Alten Testament angekündigte Hohepriester erkennbar wird. Als Hohepriester, der sich bei Gott mit der Hingabe seines eigenen Lebens für uns eingesetzt hat und zu Gott erhoben bleibend für unsere Rettung eintritt.

„Denn jeder Hohepriester wird aus den Menschen genommen und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen. Er ist fähig, mit den Unwissenden und Irrenden mitzufühlen, da er auch selbst behaftet ist mit Schwachheit, und dieser Schwachheit wegen muss er wie für das Volk so auch für sich selbst Sündopfer darbringen. Und keiner nimmt sich selbst diese Würde, sondern er wird von Gott berufen, so wie Aaron. So hat auch Christus sich nicht selbst die Würde verliehen, Hohepriester zu werden, sondern der zu ihm gesprochen hat: Mein Sohn bist du. Ich habe dich heute gezeugt, wie er auch an anderer Stelle sagt: Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks. Er hat in den Tagen seines irdischen Lebens mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört worden aufgrund seiner Gottesfurcht. Obwohl er der Sohn war, hat er durch das, was er gelitten hat, den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden und wurde von Gott angeredet als Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks.“ (Hebr 5,1-10)

„So ist auch Jesus zum Bürgen eines besseren Bundes geworden. Auch folgten dort viele Priester aufeinander, weil der Tod sie hinderte zu bleiben; er aber hat, weil er in Ewigkeit bleibt, ein unvergängliches Priestertum. Darum kann er auch die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten; denn er lebt allezeit, um für sie einzutreten. Ein solcher Hohepriester ziemte sich in der Tat für uns: einer, der heilig ist, frei vom Bösen, makellos, abgesondert von den Sündern und erhöht über die Himmel; einer, der es nicht Tag für Tag nötig hat, wie die Hohepriester zuerst für die eigenen Sünden Opfer darzubringen und dann für die des Volkes; denn das hat er ein für alle Mal getan, als er sich selbst dargebracht hat.“ (Hebr 7,22-27)

„Die Hauptsache bei dem Gesagten aber ist: Wir haben einen solchen Hohepriester, der sich zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel gesetzt hat, als Diener des Heiligtums und des wahren Zeltes, das der Herr selbst aufgeschlagen hat, nicht ein Mensch.“ (Hebr 8,1-2)

Das tief in das Himmelsgewand hineingetauchte Kreuz erinnert schließlich auch an die Taufe, bei der die Täuflinge beim Eintauchen ins Wasser symbolisch mit Jesus sterben und mit ihrem Auftauchen zum neuen Leben auferstehen: einem Leben als Christen, weil alle auf Christus Getauften ihn selbst angezogen haben (vgl. Gal 3,27). Innerlich gewandelt durch ein Leben aus Glauben, Hoffnung und Liebe (vgl. Hebr. 10,20-24), kann die innige Verbundenheit mit Gott äußerlich als überirdischer Mantel wahrgenommen werden.