Aufstieg ins Elysium

In der gotischen Westrosette der Regensburger Ulrichskirche strahlen die bunten Farben vom runden Mittelfeld über zwei mal zwölf konzentrisch angeordnete Glasscheiben nach außen. Im Zentrum schaut ein frontal dargestellter Engel (mit großer Ähnlichkeit zum berühmten lachenden Engel im Dom nebenan) auf den Betrachter hinunter. Er ist von zwölf intensiv blauen Perlen mit roten Spitzen umgeben. Die auf die Mitte ausgerichteten Maßwerkelemente werden von dünnen grünen, roten und blauen Strahlen begleitet, die wie Lebensadern nach außen führen.

Die offenen Hände des blondgelockten Engels liegen auf der unteren blauen Hälfte der Rosette auf, die leicht gewölbt an die Rundung der Erde erinnert. In deren blauen Feldern sind oben sechs expressiv gemalte Gesichter zu erkennen, unten drei Totenköpfe. Die dunkle Farbe und der finstere Gesichtsausdruck der Köpfe lassen an Menschen in irdischer Dunkelheit denken, an Umnachtete und Unerlöste.

Oberhalb der einladend ausgebreiteten Arme des Engels sind die Farben heller und bunter. Sieben Köpfe und drei Händepaare verteilen sich auf die Felder. Erhobene Hände und frohe Gesichter künden von glücklichen Menschen, von Erlösten. Sie sind bereits vom Engel mit wolkenartigen Flügeln an den Schultern zum Elysium erhoben worden, in das Land der Glückseligen, ins himmlische Licht. Sie leuchten wie Edelsteine.

Man könnte die Beobachtungen dabei bewenden lassen. Doch erstaunt es, dass der Künstler – wenn er dem Engel schon die Körperhaltung des Gekreuzigten gibt – nicht gleich Jesus als Auferstandenen und Schlüssel zum Himmelstor ins Zentrum gesetzt hat. Die Bibel erzählt, dass nach dem Sündenfall Cherubim das Tor zum Paradies bewachen (Gen 3,24) und an der Schwelle zur Endzeit Engel die Menschen ermahnen und offenbaren, was bald kommen wird (Offb 1,1; 22,6.16). Somit kann der Engel mit ausgebreiteten Armen Jesu Platz einnehmen. Er ist vom gleichen intensiven Himmelsblau wie der schmale blaue Streifen ganz oben umgeben, der wie ein Sternenhimmel aussieht und nach dem sich drei Händepaare sehnsüchtig ausstrecken. Der Engel erhebt die Menschen ins himmlische Licht, auf die Insel der Glückseligen, aber er vermag sie nicht zu erlösen oder zum Vater zu führen und ihnen damit eine ewige Heimat im Himmel anzubieten.

Das Elysium, die Insel der Glückseligen, wird so aus christlicher Sicht eine Zwischenstufe zum Himmel: sie ist die helle, obere Seite der Welt, der lebenswerte und lebensfrohe Teil. Wie in der griechischen Mythologie sind Himmelsboten zu den Menschen in der Dunkelheit gesandt, um sie aus ihren misslichen Lebensumständen herauszuholen, sie mit ausgebreiteten Armen willkommen zu heißen, ihnen auf die Füße zu helfen, sie in die Freiheit zu führen und hinein in das Licht der Gesegneten, Glücklichen, Lebenden.

Die Abwesenheit von Jesus fordert die Anwesenheit anderer Himmelsboten ein: Uns! – Alle, die an Gott glauben und eine Sendung in sich spüren, in welcher Form auch immer, den Be-nach-teiligten so zu helfen, dass sie gleichberechtigte Beteiligte an den Gütern und dem Wissen dieser Erde werden. Dabei gilt es nicht, die ganze Welt zu umarmen, sondern dem Einzelnen und Nächsten konkrete Hilfe zukommen zu lassen. Von so einem Handeln geht Segen aus, ähnlich wie die Hintergrundflächen der Engelshände golden leuchten.

So wie Jesus damals seine Jünger zu Menschenfischern, zu begeisterten Menschensuchern und -fängern berufen hat, um möglichst alle am Reich Gottes teilhaben zu lassen, so sind WIR heute berufen, ihren Auftrag engelsgleich in unserem Lebenskreis auszuführen und Menschen von der Dunkelheit ins Licht zu begleiten.

 

Himmelsmantel

Eine große T-förmige Leinwand bildet den Hintergrund für das große Chorkreuz. Es begleitete die Gläubigen der evangelisch-lutherischen Kirche Sankt Petri in Wuppertal von Aschermittwoch bis Pfingsten durch die Fasten- und Osterzeit. Durch die blaue Farbe wird das Kreuz gleichsam in den Himmel gehoben und noch mehr in die Mitte Gottes, für den das Symbol des Kreises und die rötliche Farbe stehen. Das Kreuz und das Leiden bleiben, doch die Umgebung des Kreuzes hat sich verändert: Jesus stirbt nicht mehr allein am Kreuz. Er wird in der größten Einsamkeit von Gott gehalten, von hinten umfangen, mit dem Mantel des Himmels bekleidet und mit seiner Barmherzigkeit gewärmt.

Die T-Form will kein zweites, alternatives Kreuz bilden, sondern die einfachste Form eines Gewandes wiedergeben. Es erinnert an das hohepriesterliche Untergewand Jesu, das Josephus Flavius so beschreibt: „Dieser Rock besteht nicht aus zwei Stücken, so dass er auf den Schultern und an der Seite genäht wäre, sondern er ist aus einem einzigen Faden gewebt.“ (Josephus Ant. III,161)

Dieses einzigartige Gewand spielt auch im Johannesevangelium eine besondere Rolle (19,23-24). Der Evangelist greift die Worte aus Psalm 22,19 auf, um zu verdeutlichen, dass Jesus der von Gott auserwählte Hohenpriester war: Die Soldaten teilten seine Kleider unter sich, aber um sein außerordentliches, in einem Stück gewebtes Gewand warfen sie das Los, um es nicht zu zerstören!

Das Himmelsgewand im Hintergrund lässt uns das Kreuz zudem in Verbindung mit einigen Aussagen des Paulus im Brief an die Hebräer sehen, in denen Jesus als der wahre und einzige, bereits im Alten Testament angekündigte Hohepriester erkennbar wird. Als Hohepriester, der sich bei Gott mit der Hingabe seines eigenen Lebens für uns eingesetzt hat und zu Gott erhoben bleibend für unsere Rettung eintritt.

„Denn jeder Hohepriester wird aus den Menschen genommen und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen. Er ist fähig, mit den Unwissenden und Irrenden mitzufühlen, da er auch selbst behaftet ist mit Schwachheit, und dieser Schwachheit wegen muss er wie für das Volk so auch für sich selbst Sündopfer darbringen. Und keiner nimmt sich selbst diese Würde, sondern er wird von Gott berufen, so wie Aaron. So hat auch Christus sich nicht selbst die Würde verliehen, Hohepriester zu werden, sondern der zu ihm gesprochen hat: Mein Sohn bist du. Ich habe dich heute gezeugt, wie er auch an anderer Stelle sagt: Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks. Er hat in den Tagen seines irdischen Lebens mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört worden aufgrund seiner Gottesfurcht. Obwohl er der Sohn war, hat er durch das, was er gelitten hat, den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden und wurde von Gott angeredet als Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks.“ (Hebr 5,1-10)

„So ist auch Jesus zum Bürgen eines besseren Bundes geworden. Auch folgten dort viele Priester aufeinander, weil der Tod sie hinderte zu bleiben; er aber hat, weil er in Ewigkeit bleibt, ein unvergängliches Priestertum. Darum kann er auch die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten; denn er lebt allezeit, um für sie einzutreten. Ein solcher Hohepriester ziemte sich in der Tat für uns: einer, der heilig ist, frei vom Bösen, makellos, abgesondert von den Sündern und erhöht über die Himmel; einer, der es nicht Tag für Tag nötig hat, wie die Hohepriester zuerst für die eigenen Sünden Opfer darzubringen und dann für die des Volkes; denn das hat er ein für alle Mal getan, als er sich selbst dargebracht hat.“ (Hebr 7,22-27)

„Die Hauptsache bei dem Gesagten aber ist: Wir haben einen solchen Hohepriester, der sich zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel gesetzt hat, als Diener des Heiligtums und des wahren Zeltes, das der Herr selbst aufgeschlagen hat, nicht ein Mensch.“ (Hebr 8,1-2)

Das tief in das Himmelsgewand hineingetauchte Kreuz erinnert schließlich auch an die Taufe, bei der die Täuflinge beim Eintauchen ins Wasser symbolisch mit Jesus sterben und mit ihrem Auftauchen zum neuen Leben auferstehen: einem Leben als Christen, weil alle auf Christus Getauften ihn selbst angezogen haben (vgl. Gal 3,27). Innerlich gewandelt durch ein Leben aus Glauben, Hoffnung und Liebe (vgl. Hebr. 10,20-24), kann die innige Verbundenheit mit Gott äußerlich als überirdischer Mantel wahrgenommen werden.

Lebens(g)rund

Blau – Blau machen
Freiheit genießen
auf dem Boden liegend
in den Himmel schauen
ins Blaue!

Von der Enge des Alltags
hinauf in die Weite
durch einen Astkreis
den Blick fokussieren
Gott wahrnehmen, nicht sehen

Der Astkreis schwebt
wie eine Lebenskrone über mir
oder wie ein Fenster in die Ewigkeit
gewachsen, geflochten
gehalten von meinen Begrenzungen

Eine Momentaufnahme?
Wahrnehmung eines Augenblicks?
Oder ist es immer da?
Und ich sehe es nicht?
Das Lebensrad?

Was alles rund läuft in meinem Leben?
Was still und leise treibt
mich bewegt, aufbricht
sprießt und letztlich blüht?
Lebensfülle um die leere Mitte?

Lebensrad
in Bewegung sein
das Leben spüren
seine Veränderung erleben
unsichtbar gehalten und bewegt

Er ist da – und mein Halt
weiten Raum schaffend
Gestaltungsfreiraum gebend
luftige Kraftquelle
Lebensfülle – Atem

Lebensrund, Lebensgrund
zeit-leben-s aus Gott heraus
und auf Ihn hin wachsend als
sichtbare Gestalt des Unsichtbaren
vergängliche Schönheit des Ewigen

 

Bis zum 17. April 2022 sind in der Kirche St. Bonifatius Emmendingen von Carola Faller-Barris eine Kunstinstallation zur Fastenzeit 2022 mit zwei ihrer Kunstwerke zu sehen. Meine Gedanken zu den beiden Kunstwerken können Sie hier lesen: Voll-Kommen und Grace.

Schätze im Himmel

Der kompakte, aufgerichtete Figurenblock gibt sich in seiner menschenartig abstrahierten Gestalt verschlossen und unnahbar. Mit geöffneter Front jedoch stellt er sein reiches und feingliedriges Innenleben zur Schau. Die Mitte bildet ein hoher, spitzer Turm, der an die immer höher werdenden Wolkenkratzer dieser Welt erinnert. In den seitlichen Nischen befinden sich vier stilisierte „Heiligen“-Figuren in Turm-Kleidern und mit aufgetürmtem Kopfschmuck. Ihre phantasievollen Gewänder greifen die Formensprache des Turmes auf als wäre er das große Idol ihres Daseins.

„Hack nimmt hier deutlich Bezug auf die mittelalterliche Tradition der Wandelaltäre, die an Festtagen geöffnet wurden und den Blick auf das Heilsgeschehen frei gaben, also durch einen Wechsel von Verbergen und Erscheinung das religiöse Staunen steigerten. Mit dem Unterschied, dass hier nun anstelle des christlichen Heilsgeschehens der Turm zu Babel als Menetekel menschlicher Vermessenheit, als Sinnbild der Selbstvergötterung erscheint. Der autonome Mensch wird selbst zum Schrein, in dessen Innerem verborgen er sein Babel trägt. Von Zeit zu Zeit stellt er es Ehrfurcht gebietend zur Schau. „ (Dr. Barbara Renftle in: getürmt, 2021, Stiftung bc – pro arte, S.41)

So stellt die geöffnete, stehende Altarfigur jedem Betrachter die Frage, was er im Verborgenen gesammelt oder aufgetürmt hat und welche Referenzpersonen ihm zur Seite stehen bzw. ihn auf dem Weg durch das Leben begleiten. Auf die Frage, was uns im Leben wichtig sein soll, gibt Jesus eine ganz klare Antwort: „Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde …, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen! Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. … Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. … Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie … sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? (Mt 6,19-21.24c.26)

Sinnbildlich weist der innere Turm auf Größenwahn, Hochmut und Überheblichkeit hin. Noch stehen er und seine Getreuen stark und sicher. Doch Jesus weist darauf hin, dass gesammelte Schätze (siehe auch Lk 12,15-21) und selbstgemachte Heiligtümer uns nicht retten können. Wir sollen immaterielle Schätze im Himmel (nicht in der Cloud …) sammeln, mit unseren Herzen auf Gottes Barmherzigkeit und Fürsorge vertrauen. Paradoxerweise bringt gerade das schlichte Äußere der Skulptur diese innere Haltung der Demut  zum Ausdruck: unauffälliges und unspektakuläres, aber hilfsbereites und haltgebendes Da-Sein für andere. Heilige Schätze zu sammeln bedeutet Haltungen und Werte leben, die von Achtung und Wohlwollen für alle Menschen, Lebewesen und die ganze Erde geprägt sind. Weil eine solche Haltung und solches Handeln von Umsicht, Fürsorge und Liebe beseelt Gutes bewirken wollen, sind sie heilig, überzeitlich und gehen in die Ewigkeit ein. Sie lösen jetzt schon ein interaktives Heilsgeschehen aus und werden deshalb zu einem Schatz im Himmel.

Skulpturen von Klaus Hack und Arbeiten weiterer Künstler*innen sind bis zum 26. November 2021 in der Themenausstellung “Getürmt. Turmmotive in der Gegenwartskunst” in der Galerie der Stiftung S BC – pro arte in Biberach im Original zu sehen. Dort kann auch der sehr informative Ausstellungskatalog bezogen  werden.

Lebensenergie

Geheimnisvoll steht die Stele im Raum. Über dem Sockel aus Jura-Kalkstein erhebt sich eine tiefblaue rechteckige Fläche mit den Ausmaßen eines großen Menschen. Die Kontur der Stele folgt dem natürlichen Wuchs des Baumstammes, aus dem das Brett geschnitten wurde. So ruht die Stele breit auf dem Sockel, verjüngt sich zur Mitte und weitet sich nach oben wieder.

Die blaue Fläche wie der sie umgebende Goldrand sind unregelmäßig und wirken dadurch lebendig. In der Tradition der Ikonenmalerei hat die Künstlerin die Lindenholztafel mit Marmormehl und Alabaster grundiert und sie dann beidseitig in sechs Schichten mit verschiedenen Lapislazuli-Naturpigmenten bemalt. Der mehrschichtige Aufbau als auch das tiefgründige und leuchtstarke Lapislazuli geben der Fläche eine unvergleichliche Tiefe, so dass die Tafel auch wie eine Türe oder ein Durchgang wirkt. Die natürliche kristalline Struktur des kostbaren Pigmentes lässt die Oberfläche durch hellere und dunklere Bereiche unterschiedlich intensiv in Erscheinung treten. Blattgold umrahmt das ultramarine Spiel mit Licht und Schatten und enthebt es gleichzeitig ins Unergründliche, Immaterielle, Geistige.

Formal verweist das Kunstwerk, das uns in der Lebensgröße eines Menschen gegenübertritt, auf niemanden Konkreten, es hat keine praktische Funktion. Man begegnet dem Werk wie einem großen Unbekannten mit menschenähnlichen Proportionen. Im numinosen Blau und Gold bleibt Gott wie in einem unfassbaren Anders-Sein verborgen. Doch die schlichte Gegenwart, der kostbare Aufbau und die mystische Ausstrahlung ziehen den Betrachter geheimnisvoll in den Bann und laden zum Innehalten und zur Begegnung, zur stillen Einkehr und zum meditativen Verweilen, zur staunenden Auseinandersetzung ein. In dieser Gegenüber-Stellung stellt sich die Frage, wie und wo aus dem geheimnisvollen Ganz-Anderen ein persönlicher Gott für mich wird. Was sich in dieser Begegnung mit Gott konkret erlebbar für mich herauskristallisiert und zu einer kostbaren, individuellen Lebenserfahrung wird.

Das starke Blau kann Ausgangspunkt für Gedanken an den nächtlichen Himmel und die damit verbundene Stille sein, die den Blick in die unergründliche Weite des Weltalls begleitet. Es bringt auch die geheimnisvollen Dimensionen der Meere zur Sprache. So wandelt sich die Stele zu einem Durchgang oder einer Tür, die in die Weite des Nichtdarstellbaren und Unbegreiflichen führt. Die Farbintensität des Lapislazuli lässt eine kosmische Energie erfahren, die unsere Sinne zu ergreifen, zu erheben und in die Transzendenz hineinzunehmen vermag. Eine transzendente Gegenwart, die sich in Dunkelheit hüllt und durch Treue auszeichnet, denn die Farbe Blau steht symbolisch für die Treue. Die blaue Stele vermag deshalb ein höheres Da-Sein für den Menschen darzustellen („Ich bin, der ich bin.“ Ex 3,14), das Halt gibt und als wirkmächtige Kraft eine Energie ausströmt, die wie eine Quelle unerschöpflich fließend Erfrischung, Erneuerung und Leben spendet.

Vom 22. Mai bis 25. August 2021 war LAPIS SOLARIS in der Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich zu erleben. Auf der Website der Bahnhofkirche finden Sie mehrere Videos und Meditationen zum Kunstwerk.

Lebensvielfalt

Die kleinformatige Druckgrafik bezaubert durch das Spiel der gebogenen Linien und der klaren Farben und Flächen. Die Grundform wurde beim Druckprozess vier Mal um 90 Grad gedreht und wandert damit gewissermaßen am Rand um die Bildmitte herum. Dort berühren sich die beiden seitlichen Elemente, während sich das untere und das obere Element in der Mitte überschneiden und eine waagrecht liegende Spindelform bilden. Die Grafik lebt durch die leicht asymmetrisch angeordneten Grundelemente, weil dadurch alle Schnittformen einen individuellen Charakter erhalten. Sie lebt außerdem durch die Schattierungen in den einzelnen Farbflächen, die Farbtöne anderer Elemente durchscheinen lassen.

Assoziativ können ganz verschiedene Vorstellungen oder innere Bilder in der Grafik wiedererkannt werden. So vermag sie an ein Windrad zu erinnern, das sich lustig im Winde dreht. Es kann in den grün-grauen „Blättern“ auch eine stilisierte Blume gesehen werden oder eine nach rechts geneigte „blumige“ Kreuzform. Von der Mitte ausgehend können die grüne Kelchform links und die grau-gelbe Kelchform rechts als stilisierte Tulpen gedeutet werden.

Die beiden blauen Dreiecke hingegen inspirieren mehr zu einer landschaftlichen Sicht und lassen an Himmel und Wasser denken, vielleicht an einen von Hügeln umsäumten See, in dem sich eine grüne und eine graue Bergflanke spiegeln. Denkbar ist aber auch ein rein abstraktes Sehen von flächigen Formen, die sich um eine Mitte als Dreh- und Angelpunkt gruppieren und die spannungsvoll zwischen einem Sich-nach-innen-Wenden und einem Nach-außen-Strahlen hin- und herpendeln.

Wenn man die Formen in Leserichtung vor einem blauen Hintergrund sieht, dann erscheinen zwei angeschnittene Eiformen, die sich sanft berühren. Das  Grün links erinnert an pflanzliches Leben, in den hellen Tönen und dem Gelb rechts leuchtet eine Geistigkeit auf. Durch die beiden sie von oben und unten anschneidenden Bögen sind sie dennoch in einer Art gemeinsamer Logik miteinander verbunden. So gesehen erscheint die Komposition wie ein Übergang, wie eine Transformation von einer menschlich irdischen Sphäre in eine aufblühende Geistigkeit.

Die vier Positionen der Grundform und die unterschiedlichen Assoziationen machen deutlich, wie vielfältig unsere Wahrnehmung ist und wie jeder aufgrund der individuellen Erlebnisse andere Dinge wiedererkennt. Dadurch offenbart sich eine lebendige und gleichzeitig fröhliche Fülle, die aus der „Artenvielfalt“ des Lebens entstanden ist und nur durch den Respekt und die Freiheit des anderen weiter bestehen kann. Sie  macht deutlich, dass von uns allen eine größtmögliche Beweglichkeit erwartet wird, um andere Positionen und Blickwinkel einnehmen und nachvollziehend verstehen, respektieren und schützen zu können.

Stille

 

„Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. […] Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. […] Dann sprach Gott: Es werde ein Gewölbe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. Gott machte das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes. Und so geschah es. […] Dann sprach Gott: Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort und das Trockene werde sichtbar. Und so geschah es. Und Gott nannte das Trockene Land und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer. Gott sah, dass es gut war.“ (Gen 1,1.3-4a,6-7,9-10)

Wie in den ersten Zeilen der Bibel aufgezählt finden sich auch im Bild Licht, Himmel, Wasser, Meer und Land in betörender Einfachheit. Eine traumhaft schöne und menschenleere Meereslandschaft breitet sich vor dem Betrachter aus. Der unberührte weiße Sand auf der rechten Seite und der brandungslose Übergang zum Meer vermitteln eine große Ruhe, ja Frieden. Bei dem strahlend blauen Himmel und der klaren Sicht kann der Blick fast unendlich weit schweifen. Am Horizont lässt sich in der nach rechts auslaufenden blauen Linie sogar die Erdrundung erahnen.

Die paradiesische Schönheit ist fast zu schön, um wahr zu sein. Himmel und Erde ergänzen sich in gleichwertigen Dimensionen. Das auf der Wasseroberfläche changierende Licht gestaltet einen fließenden Übergang zwischen Wasser und Land und lässt uns gerade darin das spiegelnde Himmelsblau sehen. In der Vertikalen korrespondiert die Aufhellung des Himmels mit den weißen Sandpartien. Durch die Abwesenheit der Sonne, jeglicher Lebewesen und Wasserbewegungen sowie durch das spannungsfreie und damit entspannte Miteinander der verschiedenen Landschaftskomponenten liegt eine große Stille über dem Meerhimmelland von Manfred Koch.

So lädt das Bild zum Inne-Halten und Still-Werden ein. Mit seiner atemberaubenden Schönheit reißt es den Betrachter aus der Atemlosigkeit unserer beschleunigten Zeit heraus in die Slow Motion und von da aus in den Still-Stand des bewundernden Staunens, der Kontemplation. Ohne Ablenkung kann die Stille wahr-genommen werden und die stille Erhabenheit des Seins wieder gespürt und erlebt werden: Das Da-Sein ohne Aktivität, ohne etwas tun oder bewegen zu müssen.

Und vielleicht sehen wir dann – im Einklang mit Gott – dass die Schöpfung gut ist, so wie sie ist!

weitere Bilder von Manfred Koch

Die Fotoarbeiten von Manfred Koch waren 2020 im Donau-Einkaufszentrum Regensburg ausgestellt. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: ÜBERGANGENES | MEERHIMMELLAND, hrsg. von den Kunstsammlungen des Bistums Regensburg im Erich Weiß Verlag Bamberg. 100 Seiten mit 85 Fotografien und Texten von M. Baumann, R. Feiter, I. Schönwald, M. Liebel, R. Goretzki, B. Hauser. Der Katalog kostet 15 EURO und kann direkt über den Verlag bezogen werden.

Verdichtete Kraft

Vor einem blauen Hintergrund wirbelt in einem lichten Bogen eine weiße Wolke durch die Luft. So könnte es gesehen werden, wenn man den blauen Hintergrund als Himmel betrachtet. Dennoch stellt sich die Frage, was das Blau sein könnte. Die Farbe könnte ebenso für das Weltall, für Wasser oder etwas anderes stehen. Die weißen Lichtpunkte lassen sich durch ihre Unschärfe auch nicht genau identifizieren. Sie erinnern an Sterne, doch ihre Verdichtung lässt den Betrachter die Idee verwerfen. Die schmalen langen Stiele an den Lichtpunkten weisen vielmehr auf etwas Blumenartiges hin, ja von den Proportionen her gar auf Gänseblümchen.

Tatsächlich hat die Künstlerin hunderte von Gänseblümchen auf die beiden mit grünem Ammoniumeisencitrat und Kaliumhexacyanidoferrat fotosensibilisierten Büttenpapiere gelegt und sie dann mit Sonnenlicht belichtet. Bei diesem Fotogramm blieben die Stellen mit den Blumen unbelichtet, wodurch die blaue Farbe der Chemikalien anschließend ausgewaschen werden konnte. Der blaue Grund entstand bei diesem Cyanotypie oder auch Eisenblaudruck genannten Verfahren dadurch, dass die Eisenverbindung in den belichteten Bereichen zweiwertig und wasserunlöslich wurde. So entsteht bei dieser künstlerischen Technik eine Umwandlung, die nicht von Künstlerhand, sondern durch das Licht geschaffen wurde. Die Künstlerin musste die Umwandlung im Prozess des Auswaschens nur noch sichtbar machen.

Aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Chemikalien mit Licht und Wasser ist etwas Luftiges entstanden, etwas Beschwingtes, Frohes und Hoffnungsvolles. Die doppelte Verwandlung durch das Licht (Gänseblümchen in Lichtstellen, Eisen in blaue Fläche) rief einen mystischen Lichtertanz ins Leben, ein verdichtetes Sternenmeer, das wie ein segensreicher Regen langsam auf die Erde niederschwebt, ins Wasser fällt und in die Tiefe der Materie sinkt.

Die Zartheit des segensreichen Blütenregens erinnert an das Pauluswort im Römerbrief 5,5: “Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.” Ist das nicht eine schöne Vorstellung, das lichte Funkeln als Gottes Segen zu sehen, der gerade in der menschlichen Nacht wie ein Feuerwerk funkelnd und niedergehend meine innere Dunkelheit erhellt, meiner Mutlosigkeit Hoffnung schenkt, meine Lähmung durch das Feuerwerk berührt und in Bewegung wandelt? Das Diptychon bringt in seiner Zweiteilung gut dieses Berührende, Verwandelnde und Verbindende zum Ausdruck. So wie Jesus sich bei der “Heilung des Gelähmten” (Mk 2,3-12) des Gelähmten annahm, zu ihm stand und ihm durch die Vergebung der Sünden in der Tiefe half – was seinen ganzen Körper gesunden ließ und ihm damit wieder die Bewegungsfreiheit schenkte.

Auch der Psalm 65 (2-14) spiegelt diese Sicht und weitet sie auf die ganze Schöpfung aus. Der Beter formte seine Worte in einen eindrucksvollen Lobpreis auf Gott als Retter und Schöpfer:

Dir ist Schweigen Lobgesang, 

Gott, auf dem Zion,
dir erfüllt man Gelübde.
Du erhörst das Bittgebet.
Alles Fleisch wird zu dir kommen.
Sündenlasten, die mir zu schwer sind,
unsere Frevel, nur du kannst sie sühnen.
Selig, den du erwählst und in deine Nähe holst,
in deinen Höfen darf er wohnen.
Wir wollen uns sättigen am Gut deines Hauses,
am heiligen Gut deines Tempels.
Furcht gebietende Taten vollbringst du
und gibst uns Antwort in Gerechtigkeit,
du Gott unsrer Rettung, du Zuversicht
aller Enden der Erde und der fernsten Gestade.
Du gründest die Berge in deiner Kraft,
du gürtest dich mit Stärke.
Du stillst das Brausen der Meere,
das Brausen ihrer Wogen, das Tosen der Völker.
Alle, die an den Enden der Erde wohnen,
erschauern vor deinen Zeichen;
das Kommen des Morgens und des Abends
erfüllst du mit Jubel.
Du hast für das Land gesorgt, es getränkt,
es überschüttet mit Reichtum.
Der Bach Gottes ist voller Wasser,
gedeihen lässt du ihnen das Korn,
so lässt du das Land gedeihen.
Du hast seine Furchen getränkt,
seine Schollen geebnet,
du machst es weich durch Regen,
segnest seine Gewächse.
Du hast das Jahr mit deiner Güte gekrönt,
von Fett triefen deine Spuren.
In der Steppe prangen Auen,
es gürten sich die Höhen mit Jubel.
Sie jauchzen, ja, sie singen.

Ein himmlischer Augenblick

Die Haltung der hochgewachsenen Frau im Sommerkleid und des sich an sie schmiegenden Mädchens laden zum Verweilen ein. Bildfüllend und im Verhältnis zum Kind fast übergroß ist die Mutter dargestellt. Barfuß steht sie auf dem Boden, die rechte Hand so in die Hüfte gestemmt, dass diese zum Kind hin kippt und von hinten den Stuhl stützt, damit dieser unter dem Gewicht ihrer Tochter nicht kippt. Mit der anderen Hand hält sie locker die Stuhllehne. Ihren Kopf hat sie ihrer Tochter zugeneigt und schaut sie aus den Augenwinkeln liebevoll an, als wollte sie sagen: „Seht mal, meine Tochter!“

Diese sitzt im weißen Kleid keck auf der Rückenlehne des Stuhls. Sie lehnt sich in kindlicher Versunkenheit an die mütterliche Schulter, sich nur mit der rechten Hand am Arm der Mutter festhaltend. In der anderen Hand hält sie eine gelbe Frucht. Mit freundlichem Blick schaut das Mädchen den Betrachter an.

Eine gelöste Zufriedenheit geht von dieser innigen Zweisamkeit aus. Ihre Verbundenheit und Zuneigung zueinander hat die Künstlerin zum einen durch einen cyanfarbigen Farbfluss verstärkt, der von der rechten Hand der Mutter ausgehend sich über ihren Gürtel und die andere Hand auf die Schienbeine des Kindes und einen Teil des Stuhls ergießt. Zum anderen bildet der angewinkelte Unterarm der Tochter mit dem Gürtel der Mutter zusammen die Horizontale eines Pluszeichens, dessen Vertikale die vereinten Arme von Mutter und Tochter sind. Denn eins und eins geben durch den tiefen Frieden und die Herzenseinheit eben mehr als zwei.

Faszinierend ist auch die Transparenz, welche die Künstlerin durch Überzeichnungen und übermalte Zeichnungen (Pentimenti) erreicht. Diese bringen eine spielerische Ungezwungenheit ins Bild, deuten frühere Positionen (wie die andere Position des Fußes) an und lassen andere Welten durchscheinen. So kann im blauen Hintergrund die kindliche Zeichnung eines Tieres entdeckt werden, das einen Stab mit einem rechteckigen Gegenstand am oberen Ende vor sich hält. Ob es einen Seelöwen, einen übergroßen Vogel oder gar ein Fabelwesen darstellt, ist der Fantasie des Betrachters überlassen.

Räumlich sind Mutter und Kind in einem zeitlosen Ambiente dargestellt. Das einzige Requisit ist der Stuhl, auf dem die Tochter in erhöhter Position thront. Durch die Andeutung von Brettern und den hellblauen Hintergrund gleicht der Bildraum einer Freiluftbühne mit Blick in den Himmel. Dadurch wirken die wortlose Übereinstimmung, die Harmonie und Vertrautheit  zwischen Mutter und Tochter  paradiesischer oder auch in einen anderen Kontext entrückt, der weitere Assoziationen ermöglicht.

So fürsorglich stark wie die Mutter an der Seite ihrer Tochter steht, ihr Halt und Schutz gibt, sie aber auch ihre Eigenständigkeit ausprobieren lässt, könnte die Mutter symbolisch auch für Gott Vater stehen, der wohlwollend auf seinen Sohn schauend sagt: „Seht, das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ (Mt 3,17) Auf dem Stuhl erhöht mag man auch an den zwölfjährigen Jesus denken, der im Tempel durch sein Zuhören und Fragenstellen die Gelehrten Gottes Weisheit erfahren ließ. Der Gedanke an eine moderne Darstellung der Sedes sapientie, des Stuhls der Weisheit, den Maria für ihren Sohn bildet, mag auf den ersten Blick vielleicht abwegig erscheinen, aber die Reduktion der Bildelemente legt eine Verbindung nahe. Ikonografisch erinnert die Haltung des Kindes durch viele Vorbilder zudem an den Jesusknaben, wie er auf dem Schoß Mariens thront und die Frucht der Versuchung Evas in der Hand hält als Hinweis auf die Erlösung von allen Sünden durch seinen Tod.

Die träumerisch-selbstvergessene Darstellung der beiden vermag also weit über sich hinauszuweisen. Sie zeigen uns einen himmlischen Augenblick, weil sie einen tiefen Frieden, eine stille Freude, ein inniges Glück, eine selbstverständliche  Hingabe und einen unerschütterlichen Glauben an den Anderen ausstrahlen, die nicht alltäglich sind und auch nicht für viel Geld gekauft werden können. So künden sie von der unsichtbaren Gegenwart eines Dritten, dem sie sich geöffnet haben und der sich ihnen mit seinen Gaben schenkt.

Diese Arbeit von Isabelle Roth war 2018 in der Galerie der Stiftung S BC – pro arte in ihrer Ausstellung “Bemuttert – Die Darstellung von Mutter und Kind in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts” zu sehen. Spannend ist dabei der Blick über die traditionellen Darstellungen von Maria mit Jesuskind hinaus, bzw. wie sich das Erbe dieser religiösen Tradition in der Jetztkunst manifestiert.

Niemand wird sie benutzen – oder doch?

Buch um Buch stapeln sich über 130 Bibeln in schwindelerregende Höhe. Jedes Buch liegt leicht versetzt über dem anderen, so dass sich eine dynamische Treppe ergibt, die zuerst nach hinten, dann nach links oben führt, um dann noch weiter nach hinten anzusteigen.

Von verschiedenen Seiten gesehen ist es ein sehr schiefer Turm, der sich in die Höhe schraubt. Er gleicht einer suchenden Bewegung, die sich mal nach links, dann wieder nach rechts in die Höhe wagt. Symbolisch steht die Bücherskulptur für den Menschen in seiner Gottessuche. Die Büchertreppe hat kein Zwischenpodest, auf dem zwischendurch eine Pause eingelegt werden könnte. Schritt um Schritt geht es weiter. Ohne Geländer, ohne Absturzsicherung. Was für ein Wagnis! Was braucht es für einen Glauben, sich auf so einen Weg einzulassen und zu hoffen, dass er trägt und vor allem nicht ins nirgendwo, sondern zu Gott führt.

Die Installation von Jochen Höller führt vor Augen, dass das Wort Gottes eine Stiege zum Himmel, zu Gott selbst ist. Das Wort Gottes ist eine Tritthilfe in ungeahnte Höhen und göttliche Welten. Es hilft sich zu erheben, Gott zu suchen und ihm zu vertrauen. Es hilft, sich auf den Weg zu machen.

Die Arbeit führt aber auch vor Augen, dass niemand diese Bibeln, die bislang schon nicht benutzt worden sind, benutzen wird. Ins Kunstwerk integriert, können sie nicht mehr geöffnet werden. Doch die Bibel muss ein offenes Buch sein, sonst kann Gottes Wort nicht lebendig werden. Die Bibel muss ein offenes Buch sein, damit Gottes Wort wirken kann, damit die göttliche Weisung zu den Menschen gelangen kann, damit die Menschen nicht nur menschlich miteinander umgehen, sondern göttlich.

Durch ihre Dynamik und Symbolkraft passt die Skulptur wunderbar in die 2004 von den Architekten Ulrich und Ilse Maria Königs in Burgweinting erbaute Kirche, „die sich öffnet zum Himmel und Geborgenheit gibt auf Erden”.

Jochen Höller hat mit der Skulptur seiner Himmelsleiter Mitte Mai 2018 beim Wettbewerb des Katholischen Bibelwerks Austria gemeinsam mit dem Bibelwerk Linz „Transformiert statt ausrangiert“ den 1. Preis gewonnen! “Die Schlichtheit und die spirituelle Gesamtaussage des Kunstwerks sowie die Professionalität der Umsetzung haben die Jury überzeugt”, heißt es in der Begründung.

Die Bücherskulptur war im Sommer 2018 in der Katholischen Kirche St. Franziskus in Regensburg-Burgweinting installiert.

Himmelszelt voller Gnade

Zwei weiße Hände von porzellanartiger Beschaffenheit ragen nebeneinander aus der Wand. Sie halten zwei Stricknadeln, die durch einen Draht verbunden sind, der die Maschen hält. Gestrickt wird mit zwei verschiedenfarbigen Fäden: einem mit Gold durchwirkten blauen Faden, der, wie die Hände, aus der Wand kommt, und einem dickeren roten Faden, der unten einem Fadengewirr entspringt. In dieses verstrickt sind menschliche Figuren in unterschiedlichen Körperhaltungen: still betend, im Fadenmeer versinkend oder verzweifelt sich an einem nach oben führenden Faden festhaltend, usw.

Die weißen Hände stricken eine Art Zelt, das auf seiner Außenseite blau und auf der Innenseite rot ist und dem Mantel entspricht, mit dem in traditionellen Darstellungen Maria gekleidet ist. Dabei symbolisiert das Blau den Himmel und Rot die Erde. Entsprechend entspringt der Faden für die blaue Außenseite dem Jenseits, hier ausgedrückt durch sein kontinuierliches Hervortreten aus der Wand. Demgegenüber werden die Menschen, die sich in ihrer Not an Maria wenden, durch die strickende Tätigkeit mit dem roten Faden nach oben und aus ihrer Misere gezogen, gleichzeitig wächst dadurch der Mantel in Richtung Erde und kommt ihnen schützend entgegen.

Maria wird hier nicht als Mensch mit individuellen Zügen dargestellt, sondern allein durch ihre strickenden Hände. Mit dieser typisch weiblichen Tätigkeit verbindet sie irdische Not mit himmlischem Erbarmen und fertigt damit einen weiten Mantel für die Bedürftigen. Wie ein Himmelszelt schwebt er über ihnen, beschützend, wärmend, Gottes Zuneigung und Liebe vermittelnd. Beeindruckend wird die Wandlung sichtbar, die Maria durch ihre Mittlerfunktion bewirkt. Die Menschen, die in der verwirrenden Not oder dem Chaos unterzugehen drohen, erhalten durch sie neue Hoffnung. Sie werden aufgerichtet und ihr zerstörerisches Leid wird gewandelt in den behütenden, Ruhe und Ordnung gebenden Innenmantel eingearbeitet, was sie gestärkt durchs Leben gehen lässt. Dadurch erhält der Schutzmantel Marias im Gegensatz zu traditionellen Darstellungen eine größere Eigenständigkeit, gleichzeitig wird Marias Mittlerfunktion zwischen Himmel und Erde, die bei der Marienfrömmigkeit eine große Rolle spielt, besonders deutlich.

Verkündigung … an Maria?

Eine junge Frau sitzt im Schlafanzug an ihrem Laptop und trinkt dabei eine Tasse Kaffee oder Tee. Das gemalte Geschehen könnte eine ganz normale Frühstückssituation darstellen, wenn nicht verschiedene Gegenstände im Raum auf etwas Außergewöhnliches hinweisen würden. Die braune Wand gibt einen seltsam dunklen Rahmen für den lichterfüllten Spiegel und seinen Kontrapunkt im Lilienstrauß. Auch das Apple-Logo korrespondiert seltsam gut mit der blauen Tasse, dem Bildschirm im Spiegel und dem Boden. Und dann ist da noch der Fotograf, der kniet, aber nicht die Sitzende, sondern genauso wie die Frau mich als Betrachter ins Visier nimmt. – Was will und kann uns der Künstler damit alles sagen?

Wer die Striche und damit die Zeichnung in der dunklen Rückwand zu entdecken vermag, wird direkt zum Thema des Bildes geführt. Mit wenigen Linien ist da die Verkündigung an Maria aus dem Verkündigungstriptychon von Simone Martini aus dem Jahre 1333 skizziert. Die Darstellung erinnert an Malereien in Grisaille-Technik, welche in Renaissance- und Barockbildern oft als Verweis auf „Vorbilder“ der im Bild dargestellten Protagonisten verwendet wurden. Die lässig mit angezogenem Bein am Tisch sitzende Frau wird durch die Mariendarstellung unmittelbar über ihr als moderne Maria definiert. Sie ist die neue Eva, wie es der angebissene Apfel auf dem Laptop weiter andeutet. Dieser steht wie ein aufgeschlagenes Buch offen vor ihr auf dem Tisch.

Sie scheint der Versuchung des neuen Mediums nicht zu erliegen, sondern seine Informationsmöglichkeiten (Wissen, vgl. Gen 3) für die gezielte Lektüre und den Austausch mit dem „Unsichtbaren“ zu nutzen. Auf dem Bildschirm im Spiegel ist erstaunlicher- und wunderbarerweise nicht spiegelverkehrt zu lesen:

und das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gewohnt
und wir haben seine Herrlichkeit
gesehen

Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen
einen Sohn wird sie gebären,
und man wird ihm den Namen Emmanuel geben
was heißt Gott mit uns

Diese Worte aus dem Johannesevangelium 1,14 und dem Buch Jesaja 7,14 kündigen ihr die Inkarnation Gottes unter den Menschen an. Gott offenbart sich ihr in diesen Worten, auch wenn es nicht die gleichen Worte wie jene des Engels sind, lassen sie sehend werden für das Geheimnis der Menschwerdung. Nicht zufällig steht von der Frau aus gesehen hinter dem Computer ein Strauß Lilien. Der Künstler hat nicht nur eine Lilie dargestellt, sondern viele Lilien, die über die Symbolik der Reinheit und Jungfräulichkeit hinaus auf eine unfassbare Fülle hinweisen. Vor dem dunklen Hintergrund bildet er im Raum eine helle „Gestaltwerdung“ des unfassbaren Lichtes, das im Spiegel zu sehen ist. Hier werden die Lilien zum Symbol für Jesus, der aus dem unerschaffenen Licht in unsere Welt kam (vgl. Credo) und uns aus seiner Fülle Gnade über Gnade zukommen ließ (vgl. Joh 1,17).

Als Pendant zum Engel von Simone Martini, der dem Lilienstrauß zu entsteigen scheint, begegnet uns auf der anderen Seite des Bildes gegenüber der jungen Frau ein Fotograf. Er ist nur im Spiegel dargestellt und gehört damit zur „anderen“ Welt, die nicht begreifbar, aber dennoch gegenwärtig ist. Seine kniende Haltung gleicht einer Kniebeugung, sein erhobener linker Arm einem Flügel. Doch im Gegensatz zum Engel arbeitet der Fotograf nonverbal. Er öffnet seine Kamera für einen kleinen Augenblick, um das Trägermaterial zu belichten. Dadurch geschieht hier auf eine weitere Art „Gestaltwerdung“. Allerdings fotografiert er nicht die junge Frau, sondern mich als Betrachter, denn bei mir und jetzt soll die Botschaft „Fleisch“ werden. Das mag auch der Grund sein, wieso mich die junge Frau unentwegt anschaut, ja geradezu fixiert.

Es geht um mich. Gott will durch mich unter den Menschen wohnen. Nicht nur für einen flüchtigen Moment wie bei einem ehrenden „Schnappschuss“ oder einem vergänglichen Foto, sondern verdichtet und überzeitlich wirkend wie in diesem gemalten Bild. Die blaue Tasse, die sich als Blickfang fast mittig im Bild vor dem Oberkörper der Frau befindet, mag andeuten, dass wir Seine Worte so oft und wie ein Getränk zu uns nehmen und verinnerlichen sollen, damit sie uns Leben werden. Dann wird Immanuel, „Gott mit uns“ sein und der Himmel – wie es der blaue Boden verheißt – unsere Lebensgrundlage und unser Halt werden.

Vom Himmel hoch

Mit wenigen Kohlestrichen hebt sich der Kinderkopf vom weißlich strukturieren Hintergrund ab. Er scheint aus dem Nichts aufzutauchen. Zeichnerische Ausschweifungen deuten jedoch an, dass er von oben kommt, in Rundungen gesprochen geradezu in die Welt purzelt.

Körperlich scheint der Kopf allein zu sein. Und doch wird er auf der rechten Seite durch die dunkleren Schattierungen und nach unten durch einen gelblicheren Farbkörper und der darüber liegenden Notenlinie gehalten.

Festlich stimmt der Musikschlüssel auf die ersten drei Töne ein. Wer sie nachsummt, wird neben den Tönen schnell auch die dazugehörigen Worte aus dem bekannten Weihnachtslied hören: „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Diese Worte begründen im Lied den Auftritt und die Botschaft des verkündenden Engels, während sie in der vorliegenden Arbeit dem Kind zugeordnet werden können. „Vom Himmel hoch, da komm ich her!“

So schlicht kommt diese bahnbrechende Botschaft an, dass sie übersehen und überhört werden kann. Gott drängt seine Menschwerdung den Menschen nicht auf. Nur wer offen für Gott ist und auf ihn zu hören vermag, bei dem kann die Botschaft ankommen und das Wort Fleisch werden.

Ein anderer Aspekt leuchtet durch die Darstellung diskret auf: Jedes Menschenkind ist ein Geschenk des Himmels, ein Geschenk Gottes an seine Eltern als auch an alle Menschen. In jedem Neugeborenen schenkt Gott sich selbst in neuem Leben und neuer Liebe mitten unter uns Menschen.

Vom Himmel hoch da komm ich her …
damit der Mensch zum Mensch wird mehr und mehr!

Gekreuzigt – auferstanden – in den Himmel aufgefahren

Eine nackte männliche Person befindet sich im Schoß einer Frau mit blauem Gewand. Er schaut zu ihr hoch, während sie dem Betrachter in die Augen schaut. Ihre beiden großen Hände sind nach vorne gekehrt. Sie sind leer, als wollte sie damit sagen: Seht, das ist mein geliebter Sohn!

Auch ohne die traditionelle Ikonografie lassen sich in den beiden Personen Maria und Jesus erkennen. Sie, die ihn in der Geburt einst in die Welt entlassen hat, muss ihn nun erneut loslassen – in den Tod. Dabei liegt er nicht wie in bekannten Pietà-Darstellungen horizontal über ihren Knien, sondern steht in seiner Mutter. Der Künstler hat Jesus ganz materiell in ihren Mutterschoss zurückkehren lassen, so dass er nicht nur durch ihren Mantel, sondern auch durch ihren Körper geschützt wird. So wird Maria gleichzeitig als Schutzmantelmadonna wiedergegeben. Jesus war der Erste, der ihren Schutz erfahren durfte. Nackt wie er geboren wurde, liegt er nun wieder in ihrem Schoß, an ihrem Herzen.

Durch seine senkrechte Gestalt ist seine Auferstehung vorweggenommmen, auch wenn sein Körper mit Mariens loslassenden Händen zusammen noch auf das Kreuz und seinen Tod hinweisen. Deutlich sind seine Wundmale an den Füssen zu sehen.

Seine Gestalt ist eher jämmerlich zu bezeichnen. Sie erinnert an den im Buch Jesaja beschriebenen Gottesknecht (Jes 42,1-4; Jes 49,1-6; Jes 50,4-11; Jes 52,13-53,12), aber auch an von Krankheit, Not und Sterben gezeichnete Körper.

Damit kann sich jeder Mensch in Elend und Not in Jesu Gestalt wiederfinden und darf sich von Maria in seiner Not und gegebenenfalls auch in seinem Sterben gehalten und geborgen fühlen.

So sehr der blaue Mantel das Zeichen Mariens ist, wird die blaue Farbe in dieser Darstellung auch zur Farbe des Himmels. Maria wird zur Himmelspforte, durch die Jesus mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wird. Maria wird dadurch auch zum Sinnbild für den barmherzigen Vater selbst, der seinen toten Sohn in sich aufnimmt, um ihm an seinem Herzen und zu seiner Rechten neues, ewiges, herrliches Leben zu geben.

MARIA

Ohnmächtig
vor Trauer

Machtlos
gegenüber dem Tod

Loslassen
wie bei der Geburt

Lassen
was unfassbar ist

GOTT

 

Marianne Oettl

Himmel und Hölle

Himmel und Hölle sind einander im Zentrum des Bildes als Schriftbilder gegenübergestellt. Verbunden sind sie durch ein Pluszeichen. Das Wort „Himmel“ steht aufrecht, die „Hölle“ ist auf dem Kopf geschrieben. Von oben wie von unten führen sich verjüngende Strahlen ins Bildzentrum und scheinen den dunkelgrauen Hintergrund aufzureißen.

Es ist erstaunlich, dass die Künstlerin Himmel und Hölle so nahe beieinander und in der gleichen hellen Schrift dargestellt hat. Sie hat zwar den Himmel traditionellen Vorstellungen entsprechend oben und die Hölle unten gezeichnet, aber die Unterschiede sind nicht groß. Es ist nicht einfach auszumachen, wo der Himmel bzw. die Hölle beginnen; räumlich schon gar nicht. Das Wortpaar vermittelt zudem den Eindruck zusammenzugehören, sich beinahe spiegelbildlich zu bedingen.

Zwischen den beiden Wörtern ist nicht wirklich Raum für unsere Lebenswelt. Das Dazwischen ist nur mit dem Verbindungszeichen markiert. Es bildet das Kreuz, in dem sich die Horizontale als Symbol für die Erde und die Vertikale als Verbindung von Himmel und Hölle überschneiden. Es steht für uns Menschen, für unsere Freiheit, uns für das eine oder das andere entscheiden zu können. Es steht umso stärker im Spannungsfeld der beiden Krafträume, als Jesus Christus wegen seiner guten Werke viele in ihrem Denken und Handeln gestört hatte und sie ihn deswegen zu Tode gekreuzigt hatten.

So weist das Bild dezent darauf hin, dass der Himmel und die Hölle in uns beginnen, in unserem Denken, Reden und Handeln. Es weist darauf hin, dass Gut und Böse, Himmel und Hölle sehr nahe beieinander liegen und es manchmal schwer ist, das eine vom anderen zu unterscheiden. Die Anordnung der beiden Wörter kann allerdings auch als Tipp gedeutet werden: Der Himmel ist auf unserer Erde dort, wo die Dinge im Guten stehen und stehen gelassen werden. Die Hölle zeigt sich überall, wo die Dinge und die Weltordnung durcheinander gewirbelt oder auf den Kopf gestellt worden sind. – An uns ist es, die richtige Wahl zu treffen. Wir haben die Fähigkeit und die Macht, mit unseren Gedanken und Entscheidungen Licht in die Dunkelheiten dieser Welt zu bringen. Da es kein Dazwischen gibt, kann es nur darum gehen, dem „Himmel“ immer mehr Raum auf unserer Erde zu geben.

Gielia Degonda gewann mit dieser Arbeit 2013 den gleichnamigen Wettbewerb der Schweizerischen St. Lukasgesellschaft für Kunst und Kirche. Die Jury hatte ihr Werk aus 40 eingereichten Bildern ausgewählt.

Weltentreffen

Im Zentrum dieser Weihnachtsdarstellung steht zweifelslos die Geburt Christi. Und auch wenn der Künstler ein Bildzitat des Meisters von Moulin (Ende 15. Jh.) verwendet, ist es durch seinen Hintergrund und die beiden quadratischen Elemente ein modernes Bild mit einem zeitlosen Inhalt: die Geburt Jesu.

Die Komposition konzentriert sich auf die Mittelachse. Das untere Rechteck ergibt sich aus dem Abdruck von zwei Hirnhölzern. Beim einen sind die Jahrringe umlaufend, beim anderen ist die Mitte ausgespart, um dem Jesuskind als Krippe zu dienen. Darüber öffnet sich wie ein Fenster in eine vergangene Zeit das Bildzitat des Meisters von Moulin und gibt den Blick frei auf Maria und Josef.

Bei Maria ist intensivste Hinwendung zu beobachten. Mit geneigtem Haupt schaut sie staunend auf das Kind, es mit offenen Händen anbetend und gleichzeitig beschützend segnend. Josef dagegen steht mit seinem Körper parallel zu Maria und erscheint dadurch vom Kind abgewendet. Allein durch den zum Kind gedrehten Kopf erhält es Beachtung. Seine Hände sind zum Gebet gefaltet. Hinter Maria und Josef sind zwei weitere Personen zu entdecken, auch weitet sich das Bild durch ein Fenster hindurch bis zum Himmel.

Dieser öffnet sich gleichsam in der Vision eines rechteckigen Farbfeldes, welches sich majestätisch hinter dem Bildzitat erhebt. Es ist von einem zentralen hellen Quadrat geprägt, welches sich seitlich und nach oben in violett-roten Farberscheinungen weitet, sodass der Eindruck von einem Kreuz entsteht, in dem Leiden und Auferstehung gleichermaßen schon gesehen werden können. Nach unten hinterfängt es zum einen das Bildzitat, zum anderen scheint es durch die Ausbildung des unteren Abschlusses zu einem gerissenen Segmentbogen seine Kraft gleichsam in das Bildzitat einfließen zu lassen, an dessen unterstem Punkt sich der Gottessohn befindet. So gesehen, kann man den Holzstoß auch als modernen Altar sehen, an dem der Geburt, dem Leben und Sterben und der Auferstehung Jesu gedacht wird.

Noch nackt, doch nicht schutzlos liegt er da. Neigt sich der Himmel durch das Wolkenband nicht gerade tief zur Erde, wo es sich an seinem tiefsten Punkt wie eine große Schale behutsam auf den Holzstapel senkt, sich mit ihm schneidet und so das Kind in den Zeichen des Himmels und des Holzes zweifache Geborgenheit erfährt? Immaterielle, geistige, göttliche Zuwendung von oben, irdisch materiellen Schutz von unten.

Christi Geburt: Gott schenkt uns Menschen seinen Sohn, damit wir durch ihn IHN selbst besser kennenlernen. Er legt sich uns zu Füßen, setzt sich uns schutzlos aus, damit wir über das Staunen und ehrfürchtige Anbeten hinaus Vertrauen fassen und glauben, dass ER ein guter und treuer Gott ist. Dabei vermag das Holz einen dreifachen Impuls zu vermitteln. Erstens, dass Gott ganz irdisch Mensch wird, um uns in unserem Elend zu besuchen, zweitens, dass Jesus Zimmermann wurde und drittens, dass er sich am Kreuz wie auf dem Altar hingibt, um uns aufzurichten und erneut den Weg zu ihm zu öffnen.

Zweifacher Lichtspalt

Es gibt Bilder, die beim Betrachten einfach gut tun. Dieses Aquarell mit seinen lichtvollen Blautönen gehört meines Erachtens dazu. Nicht weil es viel darstellen würde oder besonderes virtuos gemalt wäre, nein, es sind seine Einfachheit, sein Licht und seine Blautöne, die faszinieren.

So sehr die einzelnen Farbquader passgenau ineinander greifen, sind sie doch voller Leben. In jedem Feld gibt es hellere und dunklere Bereiche, an ihren Begrenzungen leuchtet da und dort ein heller Spalt und lässt Luft (zum atmen) dazwischen ahnen.

Die Farbabstufungen führen wie über Treppenstufen von außen nach innen zum Licht. Das äußerste Blau bildet als größtes zusammenhängendes Feld ein Gefäß und den tragenden Rahmen. Da fallen vier große, dunkle und, bis auf einen, quadratische Würfel auf, die wie Kontrapunkte den zentralen Lichtspalt flankieren. Zwischen ihnen situieren sich drei mittelblaue und zwei hellblaue Flächen. Sie bilden gleichsam eine zweite oder dritte Ebene und lassen das Aquarell durch den Blick in die Tiefe dreidimensional erscheinen.

Es ist das zentrale Licht, das die einzelnen Farbkörper in Ihrer Farbigkeit aufleuchten lässt. Es ist der eine schmale Lichteinlass, der den zentralen Raum so hell macht, dass er als bergender Raum wahrgenommen werden kann, als Raum, der auch eine Öffnung zum Himmel hin hat. Und es ist dieses von hinten durchstrahlende eine Licht, welches mit Erstaunen die Zwei-, Drei- und Vierzahl der Farbflächen entdecken lässt. Es ist, als würde erst das ungeschaffene Licht unsere geschaffene Welt und ihre Möglichkeiten richtig erkennen lassen.

Der Lichtspalt vermittelt den Eindruck eines größeren, allerdings mehrheitlich verdeckten Durchgangs. Dadurch ist er uns Einladung, in diesen Farbraum einzutreten und darin zu verweilen. Die Farbe Blau verkörpert hier Sympathie und Harmonie, Vertrauen und Freundschaft. Blau steht auch für den Himmel und das Göttliche, das wir dort verorten. So vermag dieser Farbraum, so kerkerhaft und karg er vielleicht auch wirken mag, einen Ort der Geborgenheit zu vermitteln. Einen Ort, an dem göttliches und menschliches Vertrauen zusammentreffen und im Hier und Jetzt schon himmlische Zustände zu schaffen.

Dennoch wird der Farbraum eine Zwischenstufe und der helle Lichtspalt Verheißung bleiben. Denn in uns lebt die Sehnsucht, eines Tages hinter das Geschaffene schauen zu dürfen und IHN, von seinem ewigen Licht erhellt, durchleuchtet und erleuchtet, von Angesicht zu Angesicht zu schauen.

wartende Engel

Es ist selten, dass ein Kunstwerk eine solche Tiefenwirkung entfaltet. In der Radierung von Markus Lüpertz wird der Betrachter geradezu in das zentrale Licht hineingezogen: nach vorn – oder auch in die Höhe, wenn man sich das Bild über sich vorstellt. In der Barockzeit haben viele Kirchenbaumeister ihre Kuppeln oben mit einer Laterne voller Fenster versehen, um einen ähnlichen Lichteffekt zu erzielen.

Der stufenlose Übergang vom Dunkel zum Licht ist ein Blick vom noch Greifbaren in das Unfassbare, ein Blick in die Unendlichkeit. In kreisenden Bewegungen wird das Auge zum Licht geführt. Vermag es in den Bildecken die Tunnelwand noch zu sehen, verliert es durch die Stärke der Lichterscheinung schon bald alle Anhaltspunkte und muss sich blind dem Licht hingeben, wenn es weitergehen möchte. So sehr das Auge also verführt wird zu schauen, wird ihm letztlich kein irdischer Ein- oder Ausblick geboten. Vielmehr hat sich der Himmel „geöffnet“ und lässt in weiter Ferne seinen Glanz ahnen.

Begleitet werden unsere Blicke von neun Engeln. Mit wenigen Strichen hat der Künstler menschenähnliche Gestalten in langen Gewändern und mit Flügeln skizziert, die auf dem Rund des Ovals zu tanzen scheinen. In ihrer Einfachheit haben sie etwas Kindliches an sich. Doch ihre lineare Ausführung macht sie zu transparenten Wesen, die uneingeschränkt das hinter ihnen Seiende sehen und wahrnehmen lassen – Botschafter Gottes, Übermittler von Gottes Wort.

In der Adventszeit liegt es nahe, die Verkündigung der Frohbotschaft von der Geburt des Heilands an Hirten in dem Bild zu sehen, bei der sich zu dem Engel eine große himmlische Heerschar gesellt, die Gott lobte und sang: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2,13f). Aber der Künstler legt sich nicht fest. Er könnte genauso eine Erzählung aus dem Johannesevangelium im Kopf gehabt haben, in der Jesus zum Erweis seiner Sendung zitiert: „Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn“ (Joh 1,51) oder Jakobs Traum im Buch Genesis (28,12ff): „Er sah eine Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder.“

Aber das Kunstwerk will zu keiner der drei Erzählungen so richtig passen. Auch die zentralen Linien lassen sich damit nicht erklären. Das Kunstwerk ist kein historischer Tatsachen-Bericht, ebenso wenig wie es die Evangelien sind. Aber es ist eine starke Einladung, zum Licht aufzubrechen und sich dabei von den Engeln begleiten und führen zu lassen. Sei es zum Licht des Neugeborenen in der Krippe, sei es das ewige Licht, auf das wir hoffen und ein ganzes Leben lang zugehen.

Die Radierung wurde für die Kunstausstellung „Sieben Engel für Württemberg“ in Stuttgart geschaffen. Als künstlerischer Beitrag zum 475-Jahr-Jubiläum der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und zugleich zugunsten der Stiftung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg wurden sieben Künstlerinnen und Künstler von internationalem Renommee gebeten, ihre Engelsvorstellungen in einer graphischen Gestaltung auszuführen. Die Kunstwerke können über diesen Link angeschaut und auch erworben werden!

Himmelstanz

Eine ungewöhnliche Begegnung in den Wolken: zwei Gestalten in wehenden Gewändern reichen sich die Hand. Die linke Gestalt scheint von der rechten nach oben gezogen, willkommen geheißen, zum Tanz aufgefordert zu werden. Und sie folgt dieser Einladung mit ganzem Herzen.

Wer sind diese beiden? Die Künstlerin Christina Simon hat sich in das mystische Leben der Mechthild von Magdeburg aus dem frühen 13. Jh. hineinversetzt und sich in ihre Schriften vertieft, um Erfahrungen daraus in einem Linolschnitt-Zyklus darzustellen.

Mechthilds Bestreben war es, so weit wie möglich unsere Diesseitigkeit zu übersteigen, um Gott nahe zu sein. Ihre sehnsüchtige Gottsuche, ihre drängende Gottesliebe zeigt die Künstlerin in dem feurigen Rot ihres Gewandes und ihrer Haut und ebenso, wie sie aus dunklem Grund aufschwebt in unbekannte Höhen des Lichts zu einer von schräg oben entgegenkommenden Gestalt, die sie, sich ihr leicht entgegenneigend, beim linken Handgelenk fasst. Männlich? Weiblich? Göttlich – das Ziel ihrer Sehnsucht? Weisen ein Flügel am Rücken, eine Taube über ihrem Haupt, die Purpurfarbe an Gewand und Haut, die hellen Lichterscheinungen auf eine außerirdische Vision? In der Mitte ihrer Begegnung, bei der Berührung beider Hände ist der Hintergrund ganz weiß, ganz hell. – Ungestaltetes Licht! – Da braucht es keine Worte mehr, keine Farbe, da ist alles gesagt. Ein intensiver Blickkontakt begleitet dieses Aufeinander-Zukommen und ein beinahe geometrisch zu bestimmendes Aufeinander-Bezogensein.

Kann denn Sprache die Begegnung von Gott und Mensch in Worte fassen? Kaum. Mechthild von Magdeburg fand das Bild vom Tanz, um mitzuteilen, welches Erlebnis ihr geschenkt worden war und Christina Simon greift es auf, um das darzustellen und festzuhalten. Tanz: gemeinsam sich mit dem ganzen Körper, seinem ganzen Selbst der Melodie, dem Rhythmus überlassen, das kann mehr ausdrücken und mehr verstehen, als viele Worte. Mechthild wurde das mystische Erlebnis des Einswerdens der Seele mit Gott geschenkt: „Ich tanze Herr, wenn du mich führst …“

> Weitere Bilder aus dem Zyklus und ausführliche Beschreibung auf der Website der Künstlerin

Lebenstreppe

Auf dem Foto kann man nur eine Treppe erkennen. Sie ist aus Stein und trägt Spuren der Verwitterung: abgesplitterte Treppenkanten und schwarzen Schimmel. Es kann keine stark frequentierte oder öffentliche Treppe sein, denn die seitlichen Handläufe und Geländer zur Gewährung der Sicherheit fehlen.

Wozu mag sie wohl dienen? Wohin mag sie führen? Der Bildausschnitt gibt keine klare Auskunft über die Umgebung, den Zweck und das Ziel der Treppe. Sie führt von einer durch den dunklen (gemalten) Balken angedeuteten Waagrechten am unteren Bildrand hinauf zu einer durch eine starke Diagonale angedeuteten Ebene, die über dem Horizont des Betrachters liegt. Ob diese Ebene eine Brücke oder ein Balkon ist, lässt sich nicht erkennen. Die dunkle Unterseite suggeriert aber einen Blick wie aus der Öffnung einer Höhle heraus in die Weite eines klaren Himmels.

Diese Öffnung wird von der Treppe diagonal durchquert und lässt den Eindruck entstehen, dass die Treppe durch den Himmel oder sogar in den Himmel führt. – Ein verrückter Gedanke! – Jetzt verstellt die Treppe noch den Ausblick, doch bereits die Treppe selbst und die Plattform an ihrem Ende verheißen eine ungehinderte Sicht auf die himmlische Weite.

Wer diese Treppe hinaufgehen will, braucht Vertrauen: Vertrauen in die luftige und schon etwas in die Jahre gekommene Konstruktion, sowie Vertrauen in sich selbst, da er oder sie sich weder links noch rechts abstützen kann. Einziger Halt ist – im Bild mit dem blauen Himmel angedeutet – der Glaube, dass sich dieses Wagnis lohnen wird und sinnvoll ist.

Diese Treppe könnte ein Sinnbild für unser Leben sein. Aus der Horizontalen suchen wir den Aufstieg, den Erfolg. Körperlich helfen uns Rolltreppen, Fahrstühle, Autos und Seilbahnen und andere moderne Verkehrsmittel, schnell und bequem Höhen zu überwinden. Wer will, kann ganz leicht „hoch hinaus“. Aber das ist nicht das wirkliche Leben. Letztlich müssen wir doch alle die Erfahrung der Anstrengung machen, dass man nicht überallhin kann, wo man gerne sein möchte, dass man nicht alles auf einmal haben kann, dass sich das Leben – glücklicherweise – nur Stufe für Stufe realisieren lässt. Erst am Ende werden wir vollumfänglich sehen, was „oben“ ist. Erst am Ende der Treppe werden wir den Aufstieg mit seinen verschiedenen Etappen bewerten können und erfahren, ob er zu einem lohnenden Ziel geführt hat.