Spannungsbogen der Liebe

Wie Seerosen auf einer das Licht und die Sonne spiegelnden Wasseroberfläche muten die Buchstaben in dieser dreiteiligen Arbeit an. In jedem Teil des Triptychons leuchtet ein anderes Wort auf. Links oben groß, deutlich und erhaben: „deum“ in einer sich nach unten neigenden Einheit, umgeben vom Blau des Himmels. In der Mitte lässt sich das Wort „alterum“ entziffern. Die sieben Buchstaben tanzen geradezu verstreut in der unteren Bildhälfte, das Bildformat seitlich durchbrechend. Im rechten Bildteil befinden sich die beiden Buchstaben „m“ und „e“ ganz groß und ganz unten, das „e“ wiederum über die Bildkante hinausragend.

Wie drei Welten kommen die drei Wörter „deum“ – „alterum“ – „me“ dem Betrachter entgegen. Man spürt, das „me“ steht mir am nächsten, dann geht es wie über eine Treppe nach oben zum „deum“. Auch ohne Lateinkenntnisse wird einem der Sinn dieses Triptychons deutlich: Hier geht es um mich, um Gott und dazwischen um die anderen. Die Darstellung macht deutlich, dass sie für jeden von uns wie eine Brücke zu Gott sind, ganz wie der König im Weltgericht sagt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)

Langsam wird einem klar, dass es in dieser dreiteiligen Arbeit um die Liebe geht. Geradezu spielerisch verschmitzt vermag einem aus der Innenform eines jeden „m“ ein Herz ins Auge zu springen, liebevoll die Antwort des suchenden Gesetzeslehrers an Jesus andeutend: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.“ (Lk 10,27)

Auffallend ist, dass die drei Wörter nicht im Nominativ, sondern im Dativ geschrieben sind. Ob es daran liegt, dass der Nominativ die drei Bereiche der Liebe nur repräsentativ und beziehungslos darstellen würde, der Dativ jedoch auf das Objekt der Liebe hinweist, von wem sie gegeben wird und wem sie gilt? Denn Liebe ist immer ein Geschenk, das gegeben und empfangen wird. Liebe, die nur sich selbst kennt, ist unglücklich machender Egoismus. Liebe, die nur Nächstenliebe ist, verliert sich selbst. Und nur Gottesliebe? Das haben die Eremiten und Säulenheiligen der frühchristlichen Zeit ausprobiert. Doch auch die Gottesliebe allein hat keinen Bestand, wenn sie nicht in der Nächstenliebe tätig wird.

Liebe braucht die Spannung der drei Pole, zwischen denen sie sich formen und entfalten kann. Das gibt uns auch die Künstlerin in dem formalen und farblichen Dreiklang ihres Triptychons zu be(tr)achten. Was eigentlich wie in einem Spiegel uns gegenüber stehen sollte, offenbart sich so immer mehr als visionäres und herausforderndes Ziel, da es vielen in unserer Zeit genau um das Gegenteil geht. Es geht weder um Gott noch um die anderen, sondern primär um sich selbst. Es geht nicht, wie dem Schriftgelehrten, um das ewige Leben, sonderen um den schnellen persönlichen Erfolg. Gott erleben viele nur in weiter Ferne, das Schicksal der anderen berührt nur am Rande oder wenn die Medien ihren Focus darauf richten.

Dabei ist es gerade die Liebe zu Gott, die unsere Liebe formt, schult und ihr Gestalt gibt. Deshalb sollen wir ihn auch mit ganzem Herzen, ganzer Kraft und mit allen Gedanken lieben. Die primäre Ausrichtung auf ihn gibt unserer Liebe eine Offenheit, die weit über uns hinausgeht. Sie ermöglicht eine Weltsicht, bei der die Armen und Kranken, die Behinderten und Benachteiligten genauso einen Platz im persönlichen Blickfeld haben wie die Bedürfnisse des eigenen Ichs. Und die liebende Ausrichtung auf Gott entfaltet in uns alle notwendigen Kräfte, um unsere Gesellschaft um des Nächsten willen gerechter und besser zu gestalten.

Begeisterter Aufbruch

Kann eine Osterbegegnung bereits ein Pfingstereignis sein? Das Bild von Manfred Hartmann suggeriert es und lässt die Emmaus-Erzählung (Lk 24,13-35) in einem neuen Licht sehen. Sein Bild ist horizontal in eine dunkle und eine helle Hälfte zweigeteilt. In ihrer Anordnung erinnern sie unwillkürlich an Tod und Auferstehung. Zwei Tage ruhte Jesus im Grab. Am dritten Tag erstand er von den Toten. Ob deswegen der Bildträger dreigeteilt ist?

Aus der Dunkelheit des Todes und des Grabes ragt das Kreuz weit nach oben. Es trägt keine Merkmale der Folter mehr. Hell und freundlich scheint in seiner Mitte eine aufgehende Sonne zu leuchten, die beiden Kreuzarme können freundschaftlich die beiden gelben Menschengestalten umarmen: Erscheinung des Auferstandenen inmitten der beiden Jünger! Wie er den Lobpreis sprach und das Brot brach, haben sie ihn erkannt. Ihm zugeneigt, sind die beiden dargestellten Jünger der äußeren Form des Brotes ähnlich geworden. Wie zwei Klammern ( ) umgeben sie das geteilte Brot. Sie sind auch von der warmen Farbe des Brotes erfüllt, Jesus endgültig gleichförmig und gleichfarbig geworden, können sie nun nach Jerusalem zurückkehren und bezeugen, dass Jesus sie auf ihrer Reise begleitet hat und sie ihn als Auferstandenen, als Lebenden erkannt haben.

Im Nachhinein haben sie erst das Brennen ihrer Herzen deuten können, das ihnen die Gegenwart Jesu signalisiert hatte.. Allein sie weilten in der Dunkelheit der Erkenntnis. Ihre dunklen, von Traurigkeit und Niedergeschlagenheit erfüllten Gestalten sind links unten neben dem Herz und in der Mitte der rechten Bildtafel zu erkennen. Wie Jesus vor einigen Tagen von der Dunkelheit des Grabes umschlossen war, so waren ihre Herzen von den unbegreiflichen Eindrücken der vergangenen Tage umgeben und brauchten einen äußeren Impuls, um zu erkennen und von neuem lichterloh für die Sache Jesu zu brennen.

So sehr das Bild im Gesamtaufbau sich von unten nach oben entwickelt, von der Dunkelheit zum Licht, so kann gleichzeitig eine Kreisbewegung im Uhrzeigersinn beobachtet werden, die ihren Anfang rechts unten, in der kleinsten Bildtafel, hat. Zwischen den beiden roten Flächen können auf der einen Jüngergestalt auch die Umrisse einer Schrifttafel gesehen werden, welche an die Darstellungen der beiden Gesetzestafeln des Mose erinnert. Sie könnte auf Jesus verweisen, der von Mose und den Propheten ausgehend, den ihn begleitenden Jüngern dargelegt hatte, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht. Die linke rote Fläche mag deswegen pfeilförmig in den oberen Teil hineinragen. Andererseits können die beiden Flächen auch als die Herzen der Jünger gedeutet werden, zweigeteilt, uneinig, unförmig. Und es wäre dann die in dieser symbolischen Steintafel verborgene geheimnisvolle Gegenwart Jesu, welche die Jünger unsichtbar zusammenhalten würde. Durch seine Worte werden sie unterwegs immer mehr zu einer neuen Einheit geformt und mit neuem Leben erfüllt, demjenigen des Auferstandenen. Wie im linken unteren Bildteil dargestellt, brennt diese neue Lebensfülle ähnlich der einem Samenkorn innewohnenden Kraft alle einengenden Grenzen durch und eröffnet dadurch neue Erkenntnisse und daraus resultierende neue Handlungsweisen, die sich ganz am Auferstandenen orientieren.

Vom Geist des Auferstandenen befreit und von Gottes Geist bewegt, werden sie von nun an immer wieder von diesem prägenden Ereignis erzählen und sie werden in der Nachfolge Jesu selbst das Brot in die Hand nehmen, den Lobpreis sprechen und das Brot brechen, um allen Menschen seine hingebende Gegenwart zu offenbaren und lichtvolle, begeisterte Gemeinschaft mit ihm zu ermöglichen.

Einfach schön

Einfach präsentiert sich das Bild mit seinen wenigen Elementen und Farben. Schnell ist es in seinem leicht diagonalen und symmetrischen Aufbau erfasst. Die leuchtenden Farben vermitteln eine Heiterkeit, eine positive Kraft geht vom den harmonischen, prallen Formen aus. Die von oben hereinzufließen scheinende weiße Aufhellung lässt zu, dass im gelben, nach unten auslaufenden Oval ein dreidimensionales Gebilde gesehen werden kann, ein Ei oder eine aufbrechende Knospe, links und rechts beschützend gehalten von einer roten und einer blauen Schicht, die in ihrer Form an Hände oder Knospenblätter erinnern und dem zentralen Gegenstand gleichzeitig etwas wie eine Aura, eine Ausstrahlung verleihen.

Andererseits gibt die rot-blaue Fassung gewissermaßen Einblick in ein leuchtendes Geschehen, das nach unten ausfließt. Die eiförmige Gestalt scheint durch die Aufhellung von oben rechts zu kommen und sich nach unten links in die „Bildwelt“ zu ergießen. Dabei kann die weiße Fläche im gelben Umfeld als eine Hand gesehen werden, die von oben in dieses Aufbrechende hineingehalten wird, Mitte und Kraft gebend, vielleicht auch Wesen und Auslöser seiend.

Dieses von innen und von außen Gehaltene, von der Liebe formgebend Umfangene und vom Wasser und der Luft nährend Unterstützte vermag Staunen über das Wunder des Entstehens und des Wachsens, über das Werden alles Geschaffenen auszulösen. Es ist, als hätte der Künstler mit symbolischen Zeichen ein im Mutterbauch heranwachsendes Kind gemalt, die unübertreffliche Freude und die Schönheit dieses Geschenks sichtbar gemacht, aber auch die Bedingungen, unter denen sich Leben in einer ersten Phase entwickeln kann: in Stille und Geborgenheit, ohne Hast und zunächst den Blicken entzogen. Dieses Gesetz des Werdens gilt für alles körperlich Lebendige in der Menschen-, Tier- und Pflanzenwelt und nicht zuletzt im geistigen Bereich, im persönlichen Leben, in Kunst und Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, das gilt für jede Idee, jede Entscheidung, jedes Programm. Wir wissen das eigentlich alle und erleben doch täglich die Folgen „unausgetragener Ideen“ …

Zurück zum Bild: man erhält den Eindruck, etwas Heiliges zu schauen, ja dem Heiligen selbst ins Angesicht zu schauen. In der Einfachheit dieser Farben und Formen dringt sehr viel von seinem Wesen durch, von tiefer Ruhe, von seinem Licht, seiner Liebe und Herzlichkeit.

Die längere Betrachtung dieses Bildes fasziniert und ermutigt, allem Werdenden und Entstehenden – sei es körperlich oder sei es geistig – so lange schützenden Raum zu geben, bis es – ähnlich einem Kind – bereit für die Geburt ist, bereit für Eigenständigkeit, die in ihrem Innersten von einer höheren Macht – Gott – gehalten wird.

Leidenschaftliche Bewegung

Ein geheimnisvolles Bild! Dunkelrote Bereiche überwiegen und würden das Bild recht düster machen, wären da nicht helle Bereiche, die hier und dort wie glühende Kohle aus dem Untergrund aufleuchten, und die feinen weißen Striche, die Oberfläche und Bewegung vermitteln.

Aufgrund dieser haarartigen Struktur lässt der Filmausschnitt (ganzes Video) trotz seiner farblichen Verfremdung an ein Kornfeld denken, das vom Wind hin und her bewegt wird. Selbst aus dem festgehaltenen Eindruck ist die unaufhörliche Bewegung noch herauszuspüren, die im Video das Bildformat leben lässt. So abstrakt der Bildausschnitt aus einem größeren Ganzen des Videos und auch des Kornfeldes wirkt, er behält die Charakteristika des Gesamten und vermag zumindest andeutungsweise von ihm zu erzählen.

In eine mysteriöse und verhüllende Dunkelheit gekleidet, bringt das vom Wind bewegte Kornfeld etwas zum Ausdruck, was wir üblicherweise nicht so bewusst wahrnehmen. Eine unsichtbare und von der Mächtigkeit her auch unfassbare Kraft trifft auf Millionen von Ähren. Fest in der Erde verwurzelt, wachsen sie mit eigener Kraft dem Himmel entgegen, wo sie auf den Wind treffen, sich von ihm bewegen und biegen lassen.

Könnte das Kornfeld nicht ein Gleichnis für uns Menschen sein, die auf der Erde und von ihr leben? Und der Wind Symbol für die Kraft Gottes, die uns umgibt, umwirbt und bewegen möchte? Bewegung, die nicht äußerlich bleiben, sondern gerade durch das stetige Hin- und Herwogen in uns eingehen und zu einem verinnerlichten Bestandteil von uns werden möchte?

Im Video nimmt das wie aus der Tiefe aufleuchtende rote Licht noch stärker als im Bild an der Bewegung der Ährenspitzen teil. Da sind es Wogen von feurigem Licht, die das Bild-Feld in alle Richtungen durchziehen, die aus dem Nichts in unfassbarer Intensität aufleuchten, um sich nach einem flüchtigen Augenblick gleich wieder aufzulösen.

Ein faszinierendes Schauspiel unbeschreiblicher Schönheit, das an die überwältigende Kraft der Liebe denken lässt, an Leidenschaft und Begeisterung, die mehr oder weniger intensiv unser Leben durchziehen und es zum Glühen bringen. Wie im Leben möchte man die beglückenden Erfahrungen festhalten, in ihnen verweilen, und vermag es doch nicht.

Dem Geduldigen wird allerdings die Gewissheit und die Freude geschenkt, dass solche unglaublich dichten Lebensphasen wiederkehren – unverhofft, zärtlich bewegend, überwältigend, beglückend – und durch die Erfahrung wie durch die Erwartung wesentlich dazu beitragen, dunkle oder haltlose, schwierige, leere Zeiten auszuhalten.

Ausstrahlung

Was für eine Wärme geht von diesem Bild aus! Was für ein Sog führt ins glühende Zentrum dieses Bildes! Ungeformte Materie scheint von einem feurigen Kern nach außen geschleudert zu werden und sich dabei, dunkler werdend, zu verfestigen. Darüber schwebend oder darin schwimmend, strukturieren weiße, unförmige, auf die Mitte ausgerichtete Fragmente das Bild. Einige erscheinen uns als flüchtige Wolken, andere, vor allem die größeren, eher als Inseln. Der größten von ihnen ist ein gelber Kreis beigeordnet.

Schöpfung? Das Bild lässt an etwas denken, das im Entstehen ist, das von einer unsichtbaren Mitte gleichsam angezogen und zusammengefügt wird. Es könnte die Anziehungskraft der Erde sein. Die feurige orange-rote Farbe lässt an das brodelnde Innere unseres Planeten denken, an die flüssigen Magmamassen, die hier und dort durch die Vulkane an die Oberfläche treten und die Erde „ursprünglich“ mitgestalten.

Die zentrale Kreisform wie die strahlenförmige Anordnung der weißen Elemente bringen gleichzeitig die Fragilität alles Geschaffenen zur Sprache. So wie sich die Materie gefunden hat, könnte sie durch die geballte und vielleicht auch gestaute Energie auseinander bersten, explodieren. Die „Inseln“ im Glutmeer lassen daran denken, dass der Boden unter den Füßen heiß werden und sich das Leben unter der Sonne schon bald auf einer „dahinschmelzenden Eisscholle“ befinden könnte.

Erinnern die strahlenförmigen wolkenähnlichen Gebilde nicht diskret an das Zifferblatt einer Uhr? – Die Zeit läuft! Auch wenn kein Zeiger genau sagen kann, wie spät es ist! Wie der Klimawandel weist das Bild darauf hin, dass es höchste Zeit ist, sich jetzt unseres Planeten anzunehmen: Ihn als lebendigen Organismus zu beachten, mit ihm achtsam, sorgsam, umsichtig umzugehen und ihn nicht weiter auszubeuten oder wie eine unerschöpfliche Müllhalde zu behandeln.

Die Fragilität von allem Geschaffenen und die damit einhergehende Vergänglichkeit mag ein Grund für einen veränderten Umgang mit unserer Umwelt sein. Mit seiner Ausstrahlung spricht das Bild noch etwas an, das unser Verhalten prägen sollte: die Schönheit der Schöpfung. Ist in ihrer überbordenden Lebensfülle nicht Gottes schöpferischer Geist zu spüren? Kommt in der orange-roten Farbe des Bildes nicht seine Liebe zum Ausdruck, die der Schöpfung zu Grunde liegt und alles Geschaffene im Werden wie im Vergehen durchwirkt, hält und mit Schönheit erfüllt?

Lebensbogen

Im Zentrum dieser Bilderreihe steht offensichtlich der Mensch. Auf jeder Bildtafel ist er anders dargestellt, von anderen Farben umgeben und von anderen Symbolen begleitet. Hier wird eine Lebensgeschichte erzählt, in idealisierter Form ein Bogen über das ganze menschliche Leben gespannt: Geburt und Kindheit, Jugend, die Lebensmitte, das Alter und zuletzt das Lebensende.

Die Größe der Gestalten erzählt dabei von einem Auf- und einem Abstieg, einem Wachsen und einem Vergehen. Das Leben wird durch die Farben als ein Ganzes dargestellt, bei dessen Durchquerung alle Farben und Stimmungen des Lebens kennengelernt werden. Die Farben orientieren sich am Tages- und Jahresablauf, welche unserem Leben einen festen Rhythmus geben: Von der blauen Farbe des Morgens wird der Bogen über das warme Licht des Mittags zu den Farben der untergehenden Sonne und des dunkler werdenden Abends gespannt. Das sphärische Blau des Winters wird vom aufbrechenden Grün des Frühlings abgelöst, um im sommerlichen Gelb seinen hellsten Ausdruck zu finden und dann über das herbstliche Rot in die zurückhaltenden Farben des Jahresendes überzugehen.

Auf dem ersten Bild wird das neue Leben als Geschenk des Himmels sichtbar. Es wird von oben in diese Welt hineingegeben und ruht wie auf einem Thron in der Bildmitte, als sollte gesagt werden, dass es ein Zusammenwirken von irdischen und himmlischen Kräften für die Entstehung eines Menschenkindes braucht. Das Neugeborene ist beinahe weiß, verhüllt und in Vasenform dargestellt: Es ist noch ein unbeschriebenes Blatt, doch wurde – wie es die Sterne über ihm andeuten – unendlich viel in es hineingelegt für die Bewältigung des Lebensweges, als Wegzehrung und um damit die Mitmenschen beschenken zu können. Das in den Grund weisende Dreieck könnte für alles stehen, was im Kindesalter wachsen sollte als Grundlage für ein gelingendes Leben: Vertrauen, Verlässlichkeit, Sicherheit …

Aus dem zweiten Bild sprechen Wachstum, Aufbruch und Heiterkeit. Der jugendliche Mensch wendet sich von der Kindheit ab, er hat gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen. Er setzt sich kraftvoll in Bewegung, selbstbewusst mit dem Finger auf sich zeigend. Er hat das ganze Leben vor sich! Voller Tatendrang schaut er nach oben, scheint sich an Idealen und großen Vorbildern zu orientieren, um seinen eigenen Lebensweg zu finden. Das Symbol über ihm erfasst seine Situation: Das Leben steckt voller unendlicher Möglichkeiten. Und der Bogen unter seinen Füßen bringt zum Ausdruck: Was in der Kindheit grundgelegt wurde, begleitet und trägt ihn nun bei seinem Tanz ins Leben.

Im dritten Bild wird der Mensch in glutroter Farbe fest und aufrecht stehend gezeigt. Voller Energie und auf Expansion ausgerichtet steht er in der Fülle seines Lebens. Er hat seinen Weg und seine Mitte gefunden und vermag die Höhepunkte des Lebens zu erreichen, aber auch seine Tiefen auszuloten: Ein Arm weist nach oben, der andere nach unten. In der Mitte des Lebens hat er die Chance, Halt, Vorbild und Orientierung für die Menschen links und rechts von ihm zu sein, er kann führen, aber auch verführen. Gleichzeitig nimmt er den Wechsel zwischen der scheinbar unbegrenzten Jugend und den zunehmenden Begrenzungen des nahenden Alters wahr. Diese Festigkeit und Klarheit, aber auch die Begrenztheit in diesem Lebensabschnitt möchte das Quadrat über ihm symbolisch andeuten.

Das vierte Bild spricht vom Alter. Der Mensch steht da, wie in einer Form geprägt, festgelegt, ja beinahe starr. Es lässt die aufsteigende Angst des Abschieds im wieder enger werdenden Lebensraum durch hochgezogene Schultern spüren – aber hinter sich hat er den warmen Reichtum der Erfahrungen und Erlebnisse, die sich wie geologische Schichten im Laufe der Jahre abgelagert haben. Im Rot spiegelt sich die empfangene und gegebene Liebe, auf die der alternde Mensch als Kapital seines Lebens zurückblicken kann. In ihr öffnet sich ein gleißend heller Bogen, der in eine andere Wirklichkeit zu führen scheint. Das nach oben gerichtete Dreieck steht für die Umkehrung der Kräfte.

Im fünften Bild wird das Sterben und der Tod angesprochen. Der Mensch schaut auf das Leben und alle zurückbleibenden Menschen zurück. Er ist von einem Saphirblau umgeben, das bei der Betrachtung der Bilder nie aus dem Blick geraten ist und den Bogen zum ersten Bild schlägt, der Geburt. Der Kreis des irdischen Lebens hat sich geschlossen. Eine große Ruhe geht von der schwarzen und von beiden Seiten bedrängten Gestalt aus. Das saphirblaue Feld hinter ihr und das aus dem Kreis herausfließende Licht scheinen sie aus den Tiefen der Erde herauszuziehen in eine andere Wirklichkeit. Wir glauben, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern ein Übergang. Darauf weist auch die Form des umgekehrten T mit seinen aus dem Bild und ins Unendliche führenden roten Balken hin. Liebe und Unendlichkeit – unendliche Liebe – sind wir ihr nicht das ganze Leben nachgegangen, so dass wir auch im Tod auf sie als ganz andere und doch irgendwie vertraute Wirklichkeit hoffen?

Veränderungen

„Aus dem Dunkel bricht ein glühender Feuerball hervor und verströmt ein intensiv leuchtendes Licht. Wie von einer schützenden Schale wird das lodernde Feuer halbkreisförmig umfangen. Reliefartig hebt sich die Farbe vom Bildgrund ab und kommt auf den Betrachter zu. Dieser Eindruck steht im Wechsel mit einer Sogwirkung, die den Blick in die Tiefe des Bildraumes lenkt. Helmut Schober versteht seine Malerei als Darstellung von Energie und Licht, deren Erscheinungen er in immer neuen Facetten Ausdruck verleiht. So erinnert der glühende Feuerball an kochendes vulkanisches Gestein, das sich als Lava ergießt. Vorstellbar ist jedoch auch ein kosmisches Ereignis in den unendlichen Dimensionen des Weltalls. Entsteht hier vor unseren Augen ein Gestirn aus leuchtenden Gas- und Staubwolken, dessen Licht in den umliegenden dunklen Weltraum hineinstrahlt?

‚Der Geist des Herrn’, heißt es in einem Kirchenlied (GL 249), ‚erfüllt das All mit Sturm und Feuersgluten’ – diese spirituelle Vorstellung nimmt vor der Malerei von Helmut Schober Gestalt an und lässt das Gedachte zum lebendigen Bild werden. Evokationen an Licht- und Feuererscheinungen, wie sie in der Bibel geschildert werden, schließen sich an: das Pfingstwunder, die Ausschüttung des Heiligen Geistes, der auf die Apostel herabkam und ihr Leben durch Mut und Glaubensstärke veränderte (vgl. Apg 2). Auf dynamische Vorgänge spielt auch der Bildtitel ‚Veränderungen’ an. Diese werden als Prozesse des Glühens, des Aufbrechens und des Verschmelzens visualisiert, offenbaren in der Betrachtung jedoch das Potential einer spirituellen Tiefe, die über das Sichtbare hinausführt.“

Die Betrachtung von Frau Sabine Sander-Fell (IM DIALOG, Zeitgenössische Kunst in Pax Christi Krefeld, 2004, S. 46-47) auf der spirituellen Ebene fortführend, kann das halbkreisförmige Rund auch als großes C gelesen werden, das auf Christus Jesus hinweist, der die ganze Schöpfung umfängt, trägt, bewahrt (vgl. Kol 1,15-20). Wie ein Herz leuchtet die rote Erscheinung in der Mitte dieses göttlich-menschlichen Lebensraumes: Geschützt und doch mit Öffnungen versehen, damit sein feuriger Lebensatem aus der Tiefe aufsteigen und sich über die ganze Welt ausbreiten kann. Die roten Schattierungen, die wie Wellen über die Bildoberfläche wogen, deuten auf die Wärme der göttlichen Liebesglut hin, die als heißer Atem die erloschenen Glaubensfeuer sorgsam wieder zu entfachen und zu beleben vermag.

Dieser glühend roten Mitte wohnt eine gewaltige Kraft inne. Es erinnert an die zerstörerische Macht des Feuers, an die Explosionen und Kriege, die unsere Welt und unsere Herzen erschüttern und auch das Ende der Welt ins Blickfeld rücken. So gesehen kann das Bild bedrohlich wirken und Angst machen. Es kann aber auch die Bitte um den göttlichen Beistand auslösen, „den Geist der Weisheit und der Einsicht, den Geist des Rates und der Stärke, den Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht“ (Jes 11,2), damit wir mit Mensch und Umwelt richtig umgehen können und es eben nicht zu einer Katastrophe kommt.

Übrigens: Je dunkler der Raum wird, in dem das Bild hängt, um so mehr leuchtet die rote Farbe! Ob auch darin ein Bild für den Heiligen Geist gesehen werden darf, der in unserer Mitte um so mehr aufleuchtet, als uns die Lebenssituation bedrückt und einengt? Das Bild veranschaulicht gewissermaßen, wie Gott mit der schöpferischen Kraft seines Geistes, die Veraltetes auseinanderfallen und Neues entstehen lässt, in den Menschen gegenwärtig ist, sie von innen her verändert, aufbrechen und neue Wege beschreiten lässt. – Weil sie Seine Kraft und Führung erfahren, aber auch die Geborgenheit in Ihm.

Die Broschüre IM DIALOG, Zeitgenössische Kunst in Pax Christi Krefeld mit vielen Abbildungen und hervorragenden Beschreibungen zu den 33 Kunstwerken kann für Euro 3,50 + Porto im Pfarrbüro bestellt werden: pfarrbuero@pax-christi-gemeinde-krefeld.de

amo ergo sum

Amo – ergo – sum steht von oben nach unten gelesen unter den drei Bildtafeln, die gegen unten immer ausladender und deren beide Hauptdarsteller immer formatfüllender werden. Ihre geschwungene Form ist nicht nur außen bewegt, sondern lebt auch im Innern durch das Spiel der Farbnuancen. Die beiden Formen mögen an Wellen erinnern, aber auch Assoziationen an stilisierte Vogelköpfe oder erotisches Spiel auslösen. Letztlich zeichnen sie auf abstrakte Weise den Weg der Liebe: Ihre Existenz und ihre Bewegung, die mittels Annäherung, Berührung und Gemeinschaft bildende Verbundenheit in ihrer Mitte Neues entstehen lässt.

Im Gegensatz zum “Cogito ergo sum – ich denke, also bin ich” des Philosophen Descartes steht bei Sr. Claudia Krämer das christliche “amo ergo sum – ich liebe, also bin ich.” Mit diesen drei Worten hat sie das zentrale Anliegen Jesu meditativ ins Bild gebracht: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst! Daraus resultiert, wie Jesus es gegenüber dem Gesetzeslehrer formuliert hat, das Leben (vgl. Lk 10,25-28).

Wie die Schrift ist auch das Spiel der beiden Formen aus der Hand der Künstlerin „geboren“. In der obersten Bildtafel thematisieren sie die Begegnung. In der Annäherung ist die gegenseitige Anziehungskraft zu spüren, aus der eine herzliche Zuneigung hervorgeht. Das eine Element kommt von oben, vom Himmel, das andere von unten, von der Erde her. Das eine ist schon groß im Bild, während das andere erst am Kommen ist.

In der Mitte sind die beiden Formen schon stärker im Bild. Der weiße Freiraum ist weniger geworden. Die untere „Welle“ ist aufgestiegen, die obere „Welle“ hat sich auf die untere herabgesenkt, ohne dass eine der beiden dominieren würde. Durch die Berührung und die stellenweise Überlagerung hat die Begegnung an Intimität gewonnen. Sie lassen sich aufeinander ein und binden sich aneinander.

In der untersten Bildtafel wird die Einheit zum Ausdruck gebracht, die aus dieser liebenden Verbundenheit entstanden ist. Beide Elemente nehmen gleich viel Platz ein. Sie sind beide im „Kopf- und Bauchbereich“ auf den anderen eingegangen und geben durch die Überlagerung (gemeinsame Interessen?) der Beziehung Halt und Beständigkeit, gleichsam die Worte aufgreifend: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken.“ (Lk 10,27)

In der Mitte dieser beiden „Liebenden“ offenbart sich als „Frucht“ das neue Leben: Ein Menschenkopf. Aus dem Zentrum der liebenden Vereinigung heraus wird der Mensch geboren und erhält darin seine Geborgenheit. Auch als Erwachsener. Hat die Künstlerin ihn deshalb so nachdenklich dargestellt? Weil wir unser ganzes Leben lang Werdende sind? Gerade durch die Liebe? Die Spitze der roten, ihn umgebenden Form weist auf seinen Kopf, sein Denken hin, die Spitze der rosafarbenen Form auf seine Brust und seine Liebe , als wollten sie sagen: Liebe! – und du wirst das Leben in Fülle erfahren.

Liebe und Hass

LOVE und HATE steht in großen Buchstaben auf zwei fast symmetrischen, unförmigen Gebilden, die als überdimensionale Hände dem Betrachter gegenübertreten. Es sind Hände, die sich zu Fäusten geballt haben und zum Schlagen bereit sind oder bereits kräftig auf den „Tisch“ geschlagen haben.

LOVE und HATE, LIEBE und HASS sind auf die Außenseiten der Finger tätowiert. Männer in amerikanischen Gefängnissen schreiben sich diese beiden Worte manchmal auf ihre Hände, um ihren Kampf für das Gute auch äußerlich zu manifestieren. Geballte Kraft steckt in diesen beiden stilisierten Fäusten aus Beton, die sich nur an den Daumenspitzen berühren. Durch die Fäuste erhalten die beiden Wörter LOVE und HATE mehr Ausdruck und es wird auch offensichtlich, dass diese beiden Gefühle untrennbar mit dem menschlichen Denken und Handeln verbunden sind.

Sagt nicht der Volksmund, dass die rechte Hand vom Herzen kommt, rechtschaffen und gebend ist, während die linke Hand mit „falsch“ oder „schlecht“ in Zusammenhang gebracht wird? Schon zu Zeiten des Predigers Kohelet verband man rechts und links mit richtig und falsch, mit gut und böse: „Der Verstand des Gebildeten wählt den rechten Weg, der Verstand des Ungebildeten den linken.“ (Koh 10,2) In der Übersetzung der Lutherbibel wird dies noch deutlicher: „Des Weisen Herz ist zu seiner Rechten; aber des Narren Herz ist zu seiner Linken.”

In den beiden Fäusten wird der unvereinbare Gegensatz zwischen diesen beiden starken Gefühlen sichtbar. Sie sind zwar beide im Herzen verankert, doch sollen wir uns immer wieder neu für die Liebe entscheiden. Schon Mose gab dem Volk Israel das Gebot: „Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen Bruder tragen. … Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Lev 19,17-18) In der gleichen Linie ruft der Prophet Amos den Israeliten zu: „Sucht das Gute, nicht das Böse; dann werdet ihr leben und dann wird, wie ihr sagt, der Herr, der Gott der Heere, bei euch sein. Hasst das Böse, liebt das Gute und bringt bei Gericht das Recht zur Geltung!“ (Am 5,14-15) Und auch Jesus erwähnt Liebe und Hass im Zusammenhang mit den Verlockungen des Geldes in einem Satz: „Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.“ (Mt 6,24)

Bei Jesus kommt schön zum Ausdruck, dass sich Liebe oder Hass immer an ein Gegenüber richten: „er wird zu dem einen halten und den andern verachten“. In gewisser Hinsicht ist es heutzutage noch gut, wenn solche Gefühle wie Liebe und Hass noch in unseren Herzen wohnen. Da gibt es noch ein Gegenüber, dem man sich zu- oder von dem man sich abwendet. Schlimmer wird es, wenn wir keine Gefühle mehr zeigen, wenn wir durch Desinteresse gefühls- und teilnahmslos geworden sind. Den Mitmenschen ignorieren ist schlimmer als ihn hassen, weil dadurch keine Be-Achtung, keine Auseinandersetzung mit dem anderen mehr da ist und er gleichsam in die Nichtexistenz gestürzt wird.

Die Skulptur ermutigt mich über den Kampf für das Gute hinaus zum Kampf gegen die Ignoranz in der Welt. Mit der Skulptur begleiten mich die Worte des Apostels Paulus an die Korinther: Brüder und Schwestern, „seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark! Alles was ihr tut, geschehe in der Liebe.“ (1 Kor 16,13-14) Insofern wünsche ich mir im Gegensatz zur geschlossenen Faust des Hasses für die Liebe eine offene Hand: Als Zeichen der Offenheit für den Nächsten, als Ausdruck des Friedens und der Bereitschaft, ihm mehr als die Hand zu reichen, damit er meine Zuneigung und meine Liebe spüren kann.

Fenster zur Ewigkeit

Wie ein übergroßer Tabernakel zieht dieses Diptychon den Blick des Besuchers auf sich. Unterstützt durch die Architektur der Kirche – ihre schlichte Ausstattung wie die Platzierung unter dem Chorbogen in der Apsis – kann dieses Bild seine Wirkung als Fenster in die Ewigkeit entfalten.

Der Künstler versteht seine Arbeit als Versuch über das irdische Leben und die glückselige Ewigkeit. Dadurch stellt er es in die räumlichen und zeitlichen Spannungsbögen „Erde – Himmel“ und „Zeit – Ewigkeit“.

Mit irdisch begrenzten Mitteln hat Robert Weber den „Sprung“ von hier nach dort gewagt. Das vertikale Format hat allein schon Verweischarakter. Das Bild besteht im Wesentlichen aus zwei identischen, rechteckigen, mit Blattgold belegten Holzplatten, die in der Mitte durch ein gleichgestaltetes Streifenelement getrennt, bzw. verbunden werden. Ist damit angedeutet, dass Himmel und Erde nicht zu verwechseln sind, aber alles Irdische in seiner ganzen Größe in die Ewigkeit eingehen wird?

Die weiße Lichterscheinung – nur eine Wolke oder gar eine Lichtgestalt? – deutet den Übergang an. Alles Irdische ist berufen, in die Ewigkeit einzugehen. Was hier unten mit dem irdischen Leben anfängt, wird im Himmel vollendet. Die Lichterscheinung ist für mich ein Hinweis auf den Auferstandenen, der uns zu seinem Vater vorausgegangen ist und damit den Weg zu Ihm bereitet hat, wie er es seinen Jüngern verheißen hat: „Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.“ (Joh 14,2-3)

Die roten Farbflächen erinnern mich unter anderem an das pulsierende Leben, das Zeugnis der Liebe und an freudige Glücksgefühle. Unten rechts kommen sie mir wie Samenkörner vor, aus denen die Fülle unserer Existenz hervorgeht. Von Gott in uns hineingelegt, wie die fast spiegelbildliche Anordnung suggeriert, durch Jesus neu belebt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10)? Begleiten deshalb rote Farbspuren die Lichtgestalt hinauf und hinunter? Weil wir erst durch das Geschenk und dadurch die Erfahrung der unendlichen Liebe Gottes befähigt sind, an der göttlichen Lebensfülle teilzuhaben, und unsere Liebe erst vollendet und in die Ewigkeit eingehen wird, wo wir IHN und einander zu lieben vermögen?

Ein Wort aus dem Hebräerbrief vermag vielleicht auf seine Weise zusammenzufassen, wie mir das Bild Verheißung und Ermutigung im Glauben geworden ist: „Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten, und sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt.“ (Hebr 12,1b-2)

Pulsierendes Leben

Ein leuchtendes Rot, das wie bei der Mikrofotografie durch den Mutterbauch von feinen Äderungen durchzogen ist und das den Augen verborgene Leben sichtbar macht. Leben, das aus der Liebe entstanden ist und von ihr gehalten wird.

Dieses Rot ist durch und durch lebendig, pulsierend vom Kreuz-Zentrum aus in die Höhe und die Tiefe, und ganz besonders nach links und rechts in die Breite. Seine Arme sprengen die Grenzen der „quadratischen“ Form, gehen bis zum Bildrand und scheinen darüber hinaus den Betrachter umarmen zu wollen.

Diese warmen und lichtvollen Rottöne in der Form eines Kreuzes – oder vielmehr einer Menschenbrust mit ausgebreiteten Armen – führen mich zur unermesslichen Liebe Gottes. Sie lassen mich Geborgenheit erfahren, seine göttliche, Leben schaffende Liebe spüren.

Ein Raum der Liebe tut sich mir auf, erfüllt von glühender Leidenschaft, wie in einem Schmelzofen unaufhörlich Neues schaffend. In diesen Rottönen finde ich den Anfang und das Ende des Lebens Jesu, in ihnen fließt das helle Blut des Lebens, das von seinem Herzen durch die Adern seines mystischen Leibes, der Kirche, fließt.

Geboren von der Jungfrau Maria, breitet sich – wie die Kreuzapplikation auf dem Bild – seine „Blutspur“ über die Erde, sühnend und sie mit seinem Wort, seinem Fleisch und Blut tränkend zu neuem Leben erweckend. Es ist keine Spur des Leids oder der Gewalt, sondern eine Spur glühender mütterlicher und väterlicher Barmherzigkeit und Liebe.

Und der Fisch? Ist er nicht etwas fremd auf diesem Bild, ganz ohne Wasser? – Aber vielleicht soll er störend sein, damit wir besser hinschauen und uns mehr überlegen …

In der christlichen Ikonographie ist der Fisch ein Symbol für Jesus Christus. Er ist ganz „Gottes eingeborener Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, eines Wesens mit dem Vater“ und gleichzeitig ganz der Sohn Mariens, weil er „für uns Menschen und zu unserem Heil“ ihr „Fleisch angenommen hat durch den Heiligen Geist und Mensch geworden ist“ (vgl. Großes Glaubensbekenntnis).

Das Bild von Thalia Uehlein führt uns so gesehen zum Geheimnis des „Immanuel“ – dem „Gott mit uns“. Sie erinnert uns an das Geschenk des Lebens aus dem Zusammenwirken der göttlichen und menschlichen Liebe. Sie erinnert uns darüber hinaus an die Kostbarkeit des Blutes – so wichtig wie das Licht, das in ihm aufleuchtet, oder das Wasser, in dem der Fisch schwimmt.

Erwartung

Ein zartes Grün und ein frisches Rosa prägen dieses Bild, das durch gelbe Lichtzonen eine gewisse Symmetrie erhält. Wie ein großes transparentes Segel füllt das rosa Quadrat den Raum, durch eine dunkle Mitte mit dem grünen Band verbunden, auf ihm ruhend.

Die Farben erinnern mich an eine Pflanze. Von der grünen Erde ausgehend hat sie eine einzige große Blüte in den Himmel ausgestreckt und da wie ein Segel oder Empfänger aufgespannt.

Die von oben nach unten durch die Mitte gehende und sich auf der grünen Ebene reflektierende Lichtspur weist auf die Sehnsucht nach genau diesem Licht hin.

Damit möglichst viel von diesem Licht eingefangen werden kann, füllt das „Segel“ praktisch den ganzen Bild-Raum. Das Licht ist die Kraft dieses Wesens, es scheint sein Antrieb zu sein. Sieht das rosa Quadrat mit der dunklen Basis nicht auch wie ein Schiff aus, das durchs grüne Wasser (der Hoffnung) zieht und eine goldene Spur hinterlässt?

Die Worte des bekannten Adventsliedes gehen mir durch den Kopf: „Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein’ höchsten Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort.“ (GL 114)

Pflanze oder Schiff, in beiden Bildern finde ich etwas von meiner weihnachtlichen Erwartung wieder. In der Pflanze sprechen mich die Sehnsucht nach dem Licht und die Offenheit dafür an. Im Bild vom Schiff spüre ich die Berufung, selber Lichtträger zu werden durch die Aufnahme von Gottes Sohn in mir.

Advent, unser Weg zu Gott. Advent, unser Weg zur Begegnung mit dem Gott, der auf uns Menschen zukommt., zu uns niedersteigt. Das Bild von Thalia Uehlein öffnet viele Zugänge. Nach längerem Betrachten wandelte sich bei mir das tiefrosafarbene Feld am Ende der Leuchtspur zu einer Hütte. Ist das eine Einladung, uns auf diesen Weg des Lichts zu begeben, um beim Eintreten in dieses unfassbar Größere ganz weihnachtlich – wie die Hirten vor Bethlehem – das „Geheimnis der Liebe“ zu erfahren? Dann wäre ja das rosa Quadrat so etwas wie ein großer Heiligenschein!

Gewebte Liebe

Dieses abstrakte Bild mit schwarzem Hintergrund erfordert von uns etwas Zeit, um das schwache Leuchten in der Fläche als ein feinstes Gewebe von goldenen Linien erkennen zu können. Was wir auch weiter auf dem Bild entdecken wollen, dieses aufgeklebte, Falten schlagende, golddurchwirkte Papier bleibt alles, was uns der Künstler in diesem Bild zum Thema Liebe sagen will.

Waagrechte und senkrechte Linien sind zu sehen, unregelmäßig gewellt, Verdichtungen und Leerräume bildend (Detailbild). Ununterbrochene fließende Bewegung von links nach rechts und von oben nach unten und umgekehrt finden sich in diesen Linien, gleichsam Leben in sich tragend. Könnten diese Linien nicht Zeichen für die Liebe sein?

Waagrecht für die Liebe zwischen den Menschen und allem Geschaffenem, senkrecht als Symbol für Gottes Liebe zu seiner Schöpfung und unsere Antwort darauf? Ist die Liebe nicht ein lichtvoller und wie Gold kostbarer Strom, der die Herzen erfreut und die Augen zum Leuchten bringt, wenn sie in Gestalt von Achtung, Menschlichkeit, Mitleid, Barmherzigkeit, Zuneigung, Hilfsbereitschaft, Sorgfalt, Herzlichkeit, Güte, Freundlichkeit u. a. m. daherkommt?

In seiner reinsten Form begegnet uns die Liebe im menschgewordenen Gottessohn. Jesus ist das Licht der Welt. Wer ihm nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben. (Joh 8,12)

Das Bild von Kai Althoff mag verdeutlichen, dass jeder Akt der Liebe ein Licht im Dunkel des Nichts ist. Wunderschön kommt hier zum Ausdruck, wie das Schenken und Empfangen der Liebe in jeder Beziehung ein Netzwerk entstehen lässt, das einerseits fein und verletzlich wie Gaze ist, andererseits durch die ihm innewohnende Kraft für alle Stürzenden ein auffangendes und haltgebendes Netz darstellt.

Die dankbaren Worten eines Beters, die uns im Psalm 139 überliefert sind, bringen das treffend zum Ausdruck:

“Denn du, Gott, hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter.
Ich danke Dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.
Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder dir nicht verborgen.
Deine Augen sahen, wie ich entstand, in deinem Buch war schon alles verzeichnet; meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war.“
(Ps 139, 13-16)

So betrachtet, kann das goldene Gewebe auch ein Symbol für mich sein – ich bin entstanden im Zusammenwirken der Liebe Gottes in der Liebe vieler Menschen!

Überfließende Liebe schenkt neues Leben

Die Legende überliefert vom heiligen Nikolaus, wie er von der Not eines armen Mannes gehört hatte, der seine drei bildhübschen Töchter nicht verheiraten konnte, weil er kein Geld für die Mitgift hatte. Nikolaus erbarmte sich der drei Mädchen und beschenkte eine nach der anderen im Schlaf mit vielen Goldstücken aus seinem großen Erbe, damit sie heiraten konnten.

Kai Althoff stellt diese Ereignisse in einer Bildsequenz dar. Der heilige Nikolaus neigt sich gerade durch das offene Fenster über die schlafenden Mädchen, um der letzten von ihnen den Schatz in die Arme zu legen. Die Drei merken noch nichts von ihrem Glück, schlafen sie doch tief und fest. Der Vater hingegen ist wach und verfolgt das ungewöhnliche Geschehen mit offenem Mund. Was da geschieht, scheint ihm die Sprache zu verschlagen.

Das Wesentliche wäre damit gesagt. Ein kurzes Verweilen im Bild enthüllt uns jedoch mehr.

Nikolaus ist mit dem roten Gewand und der Mitra als Bischof dargestellt. Das Bischofsgewand bedeutet, dass er als Vorsteher und Hirte einer Gemeinde ein hörendes Herz für die Not seiner „Schafe“ hat. Diese Güte ist ihm auch in sein jugendliches Gesicht geschrieben. Er blieb nicht tatenlos in seinem Palast, sondern beherzigte das Wort Jesu: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Um seine Spende nicht an die große Glocke zu hängen, warf er die goldenen „Äpfel“ des Nachts in das Zimmer der drei Jungfrauen.

Die Farbe Rot wird im Gottesdienst an Pfingsten, Karfreitag und Namenstagen von Märtyrern / Bekennern des Glaubens getragen. Im Teilen und damit Verschenken seines Erbes bezeugt der heilige Nikolaus seinen Glauben an Jesus Christus. Wie er ist Nikolaus in seinem Denken und Tun vom Heiligen Geist, dem Geist der Liebe erfüllt und geleitet.

Der Künstler Kai Althoff hat auch die Betten der drei Mädchen rot dargestellt. Sie schlafen im Bett der Liebe, oder anders gesagt wird damit ausgesagt, dass sie verliebt sind. Sie selbst sind erschreckend weiß und schemenhaft dargestellt, fast wie Menschen, die dem Tode nahe sind. Doch von unten nach oben scheint eine Besserung stattzufinden. Ist die unterste Gestalt voller Unruhe – wie in einem Kampf – und ihr Gesicht leichenblass, so kehrt die Ruhe und die Farbe nach oben zunehmend in den Körper der Jungfrauen zurück.

Unabhängig vom Gold, das jede schon erhalten hat, möchte der Künstler uns damit etwas über die Veränderung erzählen, die das Geschenk in den drei Frauen bewirkt hat. Die fehlende Mitgift war nicht nur eine schlimme Notlage, sondern hat sie wie jede Armut an den Rand des Lebens gedrängt, wo es nur noch den täglichen Kampf mit dem Tod – um das kostbare Gut des Lebens – gibt. Durch sein Geschenk hat sie Nikolaus, und das hat zu seiner Heiligkeit beigetragen, vor dem langsamen Tod gerettet. Durch sein Geschenk hat der heilige Nikolaus ihnen die Möglichkeit gegeben, zu heiraten und in die Fülle, das Glück des Lebens zurückzukehren.

Wo wir unsere Reichtümer (nicht nur materiell) teilen, treten wir in die Fußstapfen des heiligen Nikolaus. Grundsätzlich sind alle Menschen Bedürftige der Liebe. Insofern ist jedes selbstlose Schenken ein Hingehen zum Nächsten, ein Eingehen auf seine Not und eine Hilfe auf seinem Weg zur Lebensfülle.

Ich bin froh, dass uns dies der heilige Nikolaus immer wieder in der Vorweihnachtszeit in Erinnerung ruft – wenn wir mit dem Machen und Kaufen von Weihnachtsgeschenken beschäftigt sind. Nicht das Geschenk ist wichtig – sondern die Beziehung zum Menschen, die Liebe zu ihm, die letztlich die Liebe zu IHM ist.