Maria Knotenlöserin

Hell hebt sich die Figur von den braunroten Ziegelsteinen ab. Die junge Frau mit einem Schleier, der ihr Haar bedeckt und als weiter Umhang bis auf den Boden fällt, ist ein Lichtblick. Sie verbindet in sich Elemente traditioneller Mariendarstellungen mit zeitgenössischen Attributen wie dem kurzen Haarschnitt, ihrem Pullover oder dem knielangen Rock, die sie als junge Frau unserer Zeit auftreten lassen. In den Raum hineinblickend, hat sie die Arme leicht nach unten angewinkelt, um mit beiden Händen einen von mehreren Knoten im Seil vor ihr zu lösen.

Maria wird hier als einfache junge Frau aus Nazareth dargestellt. Mit ihren bloßen Füssen steht sie mit beiden Beinen auf dem Boden. Geerdet, die Sorgen und Nöte der Menschen kennend. Bescheiden und auf Augenhöhe begegnet die Gottesmutter so dem Hilfesuchenden und bietet ihm ihre Dienste an, Fürsprache bei Jesus einzulegen, damit dieser die Knoten – die falschen Verwicklungen, die belastenden Ereignisse und festgefahrenen Gespräche und Entwicklungen löse. Maria ist so durch und durch Mittlerin zwischen den Menschen und ihrem Sohn Jesus, unserem Erlöser, Retter und Befreier von allem, was uns hindert, den Willen Gottes zu erfüllen.

Nicht Maria ist somit die Knotenlöserin, sondern Jesus, dessen Kreuz in der Kapelle der Hochtaunus-Klinik in Bad Homburg ihr gegenüber an der Wand angebracht ist. Sie steht hinter den Gläubigen und ist Ansprechpartnerin für alle, die ein Problem haben. Er geht den Gläubigen voraus und ist ihre Mitte. Sie führt alle zu ihm, damit sie bei ihm Heil erfahren.

Vorbild dieser modernen Mariendarstellung ist das Gnadenbild in der katholischen Wallfahrtskirche St. Peter am Perlach in Augsburg. Es wurde um 1700 vom Maler Johann Georg Melchior Schmidtner im Auftrag vom Augsburger Patrizier Hieronymus Ambrosius Langenmantel für den Altar „Maria zum Guten Rat“ gemalt.

Papst Franziskus hat als Jesuit 1986 Abbildungen des Gnadenbildes nach Argentinien gebracht und dadurch eine Verehrung der Gottesmutter bewirkt, die seit dem 8. Dezember 1996 jeden 8. Tag des Monats Tausende  Gläubige in die Kirche San José del Talar pilgern lässt, um vereint vor der Kopie des Augsburger Bildes zu beten.

In der Hochtaunus-Klinik in Bad Homburg ist diese junge Mariendarstellung aus hellem Stein ein Lichtblick im Leben all derer, die ihren Unfall oder ihre Krankheit als einen „Knoten“ in ihrem sonst so „glatt gelaufenen“ Leben erfahren und sich schwer tun, ihn zu lösen. Sie können Maria als hervorragende Gesprächspartnerin erleben. Und an Stelle von Kerzen haben sie die Möglichkeit, ein Erinnerungsband am Sockel der Marienfigur zu befestigen, die bleibende Bitte, mit ihrer Fürbitte bei Jesus nicht aufzuhören, dass er alle das Leben behindernden Knoten doch lösen und entfernen möge, damit wieder ein erlöstes, volles, ganzheitliches, freies Leben möglich ist. Bleibt zu hoffen, dass das Beziehungs-Band zu Maria nach der Genesung zu einem festen „Freundschaftsband“ wird.

Weitere Arbeiten/Ansichten von Thierry Boissel und Daniel Bräg in der Klinikkapelle Bad Homburg.

Zwei moderne Mariendarstellungen von Daniel Bräg waren im Rahmen des Festes “Maria Himmelfahrt” zusammen mit einem Dutzend anderer moderner Arbeiten zu Maria am 20. und 21. August 2016 in Warendorf ausgestellt. Alle Kunstwerke finden Sie in der PDF-Version des Begleitheftes zur Ausstellung: Flyer

Verinnerlicht

Die rosarote Glasskulptur vermag den Blick auf sich zu ziehen. Ihre Erscheinung hebt sich fast nur durch die Farbe vom Hintergrund ab, körperlich ist ihre Gestalt genauso aus Elementen aufgeschichtet wie die Transportpaletten ihres Podiums oder die Betonmauer hinter ihr.

Die sie erfüllende rote Farbe macht ihre Faszination aus. Die Figur ist transparent bis in ihr Inneres, gibt Einblick in das, was sie durchflutet und bewegt: ein zartes Rot, das an Blut oder Liebe erinnern kann, in seiner Tendenz zum Rosa aber auch an all die Spielzeugpuppen und -figuren, die in der Konsumwelt im Trend sind.

Doch diese Figur steht singulär und erhoben vor dem Betrachter. Und sie sieht anders aus. Ihre Arme sind angewinkelt, die Hände flach an die Brust gelegt (Detailansicht), Betroffenheit signalisierend, Sympathie, Mitleid vielleicht sogar, wenn auch der leicht nach vorne geneigte Kopf in diese Haltung der Zuneigung einbezogen wird. Mit offenen Augen schaut sie den Betrachter aus dem jugendlichen Gesicht an.

Wer ist diese Frau im langen Faltenkleid und dem modischen Hut oder Helm, die von innen her warm strahlt und für die Menschen da zu sein scheint? Ist es irgendeine Frau oder könnte es trotz dem Fehlen einer äußeren Aura eine besondere Frau sein, eine Heilige wie Maria?

Einzigartig ist die Erfüllung mit einer inneren Kraft, die einem Feuer gleich in ihr brennt. Von Maria wissen wir, dass Gott sie mit der Kraft des Höchsten“ überschattete und sie so zur Gottesgebärerin und -mutter wurde (Lk 1,35). Die Skulptur vermag die Liebe Gottes, die in ihr brennt, sichtbar zu machen. Diese Liebe, diese Kraft des Höchsten und ihre Erfahrung aus dem Leidensweg mit Jesus machen sie sehend für die Nöte der Menschen. Sie lassen Maria uns nahe sein als eine von uns und doch durch und durch von Gott geprägte Frau.

Während traditionelle Marienfiguren sie durch äußere Attribute wie das Kleid oder das Jesuskind erkennbar machen, verweist diese Figur auf die innere Haltung Mariens. Das Glas verdeutlicht ihre Offenheit für Gott und macht diese für alle so transparent, dass sie Gottes Gegenwart in ihr suchen und durch Marias Offenheit für die Menschen auch erfahren – in Zeiten der Mutlosigkeit, der Krankheit und Einsamkeit, der Dunkelheit, der Trauer und des Schmerzes, usw.

“Ich schaffe mir meine eigene Maria …
deren Schutz sich auf meine Seele auswirkt …
… eine Maria, die für mich da ist …
… die in meiner Größe erscheint, mir gegenüber steht und in meine Augen sehen kann
… eine, die mir durch ihre Farbigkeit Kraft gibt und Mut zuspricht ….
… eine Maria, die sich zu mir neigt und mir ihre Liebe schenkt …
… eine die mit mir trauert und leidet …
… eine Maria, die meinen Schmerz fühlt und diesen mit mir teilt …
… eine, deren Liebe ich spüre und die meine Liebe spürt.

Eine Maria, die da ist, wenn ich sie brauche …
… die mich so nimmt, wie ich bin …
… wenn es mir gut und wenn es mir schlecht geht.“
(Isabelle Böhm)

Diese Arbeit war im Rahmen des Festes “Maria Himmelfahrt” zusammen mit einem Dutzend anderer moderner Arbeiten zu Maria am 20. und 21. August 2016 in Warendorf ausgestellt. Alle Kunstwerke finden Sie in der PDF-Version des Begleitheftes zur Ausstellung: Flyer

Aufnahme in den Himmel

Die menschenähnliche Gestalt erinnert an Vielerlei. Sie lässt vor allem den Menschen dahinter suchen. Denn Größe und Gestalt stimmen mit einem Menschen überein, aber es sind nicht eindeutig Beine oder Arme auszumachen. Vielmehr fallen acht oder sind es gar neun blätter- oder flügelartige Ausformungen im Bereich des Oberkörpers auf. Zusammen mit dem spitz zulaufenden unteren Körperende verleihen sie der Gestalt etwas Schwebendes, das sowohl mit tierischen als auch himmlischen Wesen in Verbindung gebracht werden kann.

Auch das Material des Objektes verhüllt den Menschen viel mehr als es ihn enthüllt, vermitteln die Stoffbahnen doch den Eindruck einer mit Leinenbinden umwickelten Gestalt. So wie man es früher mit Verstorbenen gemacht hatte. Doch die geschwungenen Umrisse, die bewegten Ausformungen erzählen nicht von einer toten, sondern von einer lebenden Person. Hier liegt keine Mumie, sondern steht jemand, der dem Betrachter die Botschaft vom Leben verkündet.

Der Untertitel bringt das Kunstwerk in Verbindung mit Maria und den „sieben“ Schmerzen, die sie in Jesu Kindheit und bei seiner Passion mitdurchlitten hat.

1. Darstellung Jesu im Tempel mit Weissagung Simeons (Lk 2,34-35)
2. Flucht nach Ägypten vor dem Kindermörder Herodes (Mt 2,13-15)
3. Verlust des zwölfjährigen Jesus im Tempel (Lk 2,43-45)
4. Jesus begegnet seiner Mutter am Kreuzweg
5. Kreuzigung und Sterben Christi (Joh 19,17-39)
6. Kreuzabnahme / Beweinung Christi (Mt 27,57-59)
7. Grablegung Jesu (Joh 19,40-42)

In der Kunst wurden die sieben Schmerzen Mariens gerne mit Schwertern oder Messern dargestellt, die ihr Herz durchbohrten. Formal ist eine gewisse Ähnlichkeit durchaus gegeben, aber die Ausformungen weisen darüber hinaus. Der Schmerz und das Mitleiden sind wunderbar gewandelt worden in ein größeres Ganzes, so wie beim Schmetterling alle Mühen der Raupe in Anbetracht seiner neuen Lebensform und Schönheit in den Hintergrund treten. Diese Erfahrung dürfen auch wir Menschen glücklicherweise immer wieder – wenn auch leider nicht immer – machen. Diesbezüglich kann die Plastik über Maria hinaus jeden Menschen ansprechen und ihm Trost und Hoffnung schenken. Schmerz, Leid und Trauer nicht ewig, sondern werden einst gewandelt in himmlische Freude, wie es auch die Aufnahme Mariens in den Himmel vorbildhaft zum Ausdruck bringt.

Im gleichen Sinn lassen sich bei der beflügelten Gestalt auch trefflich die Worte Jesu aus der Bergpredigt hören und meditieren. Denn auch sie künden von einer unvorstellbaren Wandlung zum Guten, Ganzen, Vollendeten, welche eine endgültige Nähe zu Gott beinhalten.

Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.
Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn so wurden schon vor euch die Propheten verfolgt.
(Mt 5,3-12)

Gekreuzigt – auferstanden – in den Himmel aufgefahren

Eine nackte männliche Person befindet sich im Schoß einer Frau mit blauem Gewand. Er schaut zu ihr hoch, während sie dem Betrachter in die Augen schaut. Ihre beiden großen Hände sind nach vorne gekehrt. Sie sind leer, als wollte sie damit sagen: Seht, das ist mein geliebter Sohn!

Auch ohne die traditionelle Ikonografie lassen sich in den beiden Personen Maria und Jesus erkennen. Sie, die ihn in der Geburt einst in die Welt entlassen hat, muss ihn nun erneut loslassen – in den Tod. Dabei liegt er nicht wie in bekannten Pietà-Darstellungen horizontal über ihren Knien, sondern steht in seiner Mutter. Der Künstler hat Jesus ganz materiell in ihren Mutterschoss zurückkehren lassen, so dass er nicht nur durch ihren Mantel, sondern auch durch ihren Körper geschützt wird. So wird Maria gleichzeitig als Schutzmantelmadonna wiedergegeben. Jesus war der Erste, der ihren Schutz erfahren durfte. Nackt wie er geboren wurde, liegt er nun wieder in ihrem Schoß, an ihrem Herzen.

Durch seine senkrechte Gestalt ist seine Auferstehung vorweggenommmen, auch wenn sein Körper mit Mariens loslassenden Händen zusammen noch auf das Kreuz und seinen Tod hinweisen. Deutlich sind seine Wundmale an den Füssen zu sehen.

Seine Gestalt ist eher jämmerlich zu bezeichnen. Sie erinnert an den im Buch Jesaja beschriebenen Gottesknecht (Jes 42,1-4; Jes 49,1-6; Jes 50,4-11; Jes 52,13-53,12), aber auch an von Krankheit, Not und Sterben gezeichnete Körper.

Damit kann sich jeder Mensch in Elend und Not in Jesu Gestalt wiederfinden und darf sich von Maria in seiner Not und gegebenenfalls auch in seinem Sterben gehalten und geborgen fühlen.

So sehr der blaue Mantel das Zeichen Mariens ist, wird die blaue Farbe in dieser Darstellung auch zur Farbe des Himmels. Maria wird zur Himmelspforte, durch die Jesus mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wird. Maria wird dadurch auch zum Sinnbild für den barmherzigen Vater selbst, der seinen toten Sohn in sich aufnimmt, um ihm an seinem Herzen und zu seiner Rechten neues, ewiges, herrliches Leben zu geben.

MARIA

Ohnmächtig
vor Trauer

Machtlos
gegenüber dem Tod

Loslassen
wie bei der Geburt

Lassen
was unfassbar ist

GOTT

 

Marianne Oettl

Bis zum Grund

Ein Lichtstrahl durchdringt die Farbflächen. Zunächst hellblau klar, wechselt er mit dem Eindringen in den unteren dunkleren Farbraum seine Farbe in ein helles Gelb. Wie eine Pfeilspitze taucht er bis zur Unterkante des Bildes ein; scheint den blauen Hintergrund in eine linke und eine rechte Seite zu teilen. Und doch bleiben die beiden Farbflächen durch die Fortführung der nach rechts ansteigenden Trennlinie im Lichtstrahl verbunden.

Dieser Lichtstrahl schneidet nicht wie ein Messer durch, sondern dringt in die Materie ein, aus dem klareren Blau des Himmels in das grünliche Blau des Wassers und des Wachstums der Erde. Um den Lichtstrahl herum breitet sich kelchartig ein durch ihn erhellter Schein aus, der lediglich am Bildrand einen tiefblauen Rand hinterlässt. Eine zusätzliche Farbveränderung lässt sich links vom Lichtstrahl feststellen. Eine rote Lichtbrechung begleitet hier das Licht und erscheint im unteren Bereich am intensivsten.

Trotz des einschneidenden Ereignisses geht von dem Bild eine große Ruhe aus. Ein Grund mag im harmonischen Miteinander der scheinbaren Gegensätze liegen, bei denen sich Waagrechte und Senkrechte kreuzen, dunkle und helle Flächen durchdringen oder strenge geometrische Elemente mit weichen Farbübergängen die Waage halten. Auch das Trennende zwischen Oben und Unten ist durch den Lichtstrahl überwunden. Ein zweiter Grund mag der Umstand sein, dass der Lichtstrahl auch bleibenden Halt gibt, einen festen Anhaltspunkt bildet, wie ein Leuchtstab, ein immaterieller Anker, der tief in der diagonal aufsteigenden Fläche steckt.

Was mag das Bild für uns bedeuten? Dieser Lichtstrahl, der offensichtliche Grenzen durchdringt ohne zu verletzen und bis auf den Grund des eigenen Wesens vordringt und Tiefen ausleuchtet, die selbst uns oft unbekannt sind? Vom Psalmvers 139,23: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, prüfe mich und erkenne mein Denken!“ ausgehend, könnte der Lichtstrahl als ein Zeichen für Gott gedeutet werden. Die Keilform des Lichtstrahls lässt auf einen unendlich großen Anfang schließen – Gott selbst – das punktgenaue Auftreffen auf der Unterkante des Bildes auf sein individuelles Eingehen auf den Menschen. So kann der Lichtstrahl für Gottes Ergründen des Menschen stehen, das Prüfen seiner Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit.

Ob Maria auch so ein Lichtstrahl durchdrungen hat, als Gott ihr durch den Engel ankündigte, dass er sie zur Mutter seines Sohnes auserkoren hatte? Dann könnte das Licht auch als Symbol für Gottes Geist gesehen werden, durch den Maria Jesus empfangen hat. Und von Menschenseite her könnte er als strahlende Antwort Marias verstanden werden: JA, „mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Denn Licht streut, die Lichtquelle wäre demzufolge die Seele oder das Herz Mariens.

Das Bild lässt sich auch als Metapher für meine Gottesbeziehung sehen. Der Lichtstrahl gleichsam als Datenautobahn des Austausches zwischen Gott und mir. Es stellt visuell die Frage, ob ich es zulasse, dass Gott mich besucht, erforscht und mein Herz erkennt, wie es der Psalmist erbittet. Dass Gott meine Bedürftigkeit sieht, auf meine Sehnsucht (vgl. Jes. 26,9) nach ihm antwortet. – Gleichzeitig mag es Anstoß sein, das göttliche Licht zu verinnerlichen! Es zuzulassen, in mir aufzunehmen, mich von ihm durchdringen und verändern zu lassen zu einer Lichtgestalt, die Anhaltspunkt für andere sein kann.

Diese Arbeit war im Rahmen des Festes “Maria Himmelfahrt” 2014 zusammen mit einem Dutzend anderer moderner Arbeiten zu Maria in Warendorf ausgestellt. Alle Kunstwerke finden Sie in der PDF-Version des Begleitheftes zur Ausstellung: Maria ImPuls der Zeit

Verkündigung an Maria

In drei quadratischen Bildern entfaltet sich das Geschehen geradezu minimalistisch. Die einzelnen Begegnungsorte heben sich nur geringfügig durch die weiße Farbe vom unbearbeiteten Untergrund ab. In der Weite der Leinwand wurde so ein materieller und gleichzeitig spiritueller Raum mit hoher Reinheit geschaffen. Die Eiform identifiziert ihn als einen Ort des beginnenden Lebens.

Die Handlung ist klein dargestellt und beherrscht doch die weite, leere Fläche, so als wolle damit gesagt werden, dass sie für den ganzen Raum zentral und allein wichtig ist. Die Figuren sind auf Silhouetten reduziert. Es sind lehmfarbene Abdrucke bzw. Wiedergaben von „Protagonisten“ aus berühmten Werken des 15. Jahrhunderts (siehe unten). Auf zeitgenössische Weise aktualisiert und in ein neues Umfeld integriert vermögen sie eine moderne Sprache zu sprechen. Sie stehen im Spannungsfeld von dünnen, senkrechten wie waagrechten, dunklen Linien und vergoldeten Flächen, die leuchten.

Ankunft
Das linke Bild könnte den Untertitel „Ankunft“ haben. Eine engelhafte Gestalt „rauscht“ aus einer raum- und zeitlosen Sternenwelt heran, einer Welt ohne Koordinaten. Die goldene ovale Form könnte ein Ohr darstellen, ein „Geistesohr“ zum Lauschen über das Irdische hinaus. Maria steht in der diesseitigen Welt, am Kreuzungspunkt von Raum und Zeit. Sie ist als Sitzende, als Wartende, als Er-wartende dargestellt. In den Koordinaten kündigt sich schon das Kreuz an, im rechten Bild ist dieser Verweis dann ausformuliert. Die goldene ovale Form weist aber auch schon auf das ewige Antlitz Christi hin.

Berührung
Der mittlere Teil ist zärtlicher formuliert als die äußeren, hier findet eine „Berührung“ statt. Fast aus einem „Nichts“ erscheint der Engel, wie aus einer Wolke sich ins Irdische manifestierend. Zwei Hände berühren einander. Der materielle Raum (als Symbol für die Erde) biegt sich zur Schale, wird empfangend – wobei die konkave Linie auch ein angedeuteter Zeitstrom sein könnte, der den Tiefpunkt überwindet. In der Talsohle (Bildmitte) ist eine Verdichtung aus mehreren Lagen Japanpapier zu beobachten. Die materielle Konzentration bringt zum Ausdruck, dass eine Zeitenwende eingeleitet wurde, die Menschen wieder Boden unter den Füßen erhalten. Auf der „Erhebung“, die sich dadurch gebildet hat, wird Maria vom Himmelsboten zärtlich berührt und lässt sie – dargestellt mit der feinen goldenen Linie – Gottes Kraft spüren.

Gespräch
Im rechten Bild verdichtet sich die Handlung: Zwischen Gabriel und Maria entwickelt sich nun ein Gespräch. Der Engel schwebt nun über Maria und gibt ihr etwas hinunter, das wie ein Tierbein aussieht, aber die Kontur einer Textrolle ist. Maria, in einem Buch lesend, neigt sich nach hinten und wendet sich damit Gabriel zu. Dadurch bildet sie nun selbst eine Art Schale. Auch die strömenden Linien wirken verbindend, lebendige Linien, die über die gesamte Leinwand das Kreuz bilden, ein Leben bringender Tod wird vorverkündet. In die nach rechts führende, also zukunftsweisende Linie sind kleine Punkte Blattgold eingewoben: Gold, das aus einem Baldachin über dem Engel und Maria stammt und nun in die Zukunft hineinfließt. Die Szene spielt sich jetzt völlig in einem verdichteten Zentrum ab, geistig konzentriert und auch eingezogen in den irdischen Weltenkörper. Denn bald wird ein kleines Kind in Bethlehem geboren werden …

Die Protagonisten sind nach Barthélemy d’Eyck, Verkündigungsgruppe, Cathédrale St. Sauveur, 1443-44, Ste. Marie-Madeleine, Aix-en-Provence/Frankreich (Links); Leonardo da Vinci, Verkündigungsgruppe, ca. 1474, Galleria degli Uffizi, Florenz/Italien (Mitte); dem Meister der Sterzinger Altarflügel, Maria, Verkündigungsgruppe , 1456-1459, Deutschordenshaus, Sterzing/Südtirol/Italien (Rechts)

 

Die Betrachtung folgt den Gedanken des Künstlers und gibt diese in Auszügen wörtlich wieder, ohne dass sie als solches gekennzeichnet sind. Der Originaltext ist nachzulesen in: Heimo Ertl, Sabine Maria Hannesen, Norbert Jung: Perspektivenwechsel. Ave Maria – Die Verkündigung an Maria in modernen Kunstwerken, Bamberg 2013, S.118. ISBN 978-3-931432-32-4

Heilige Nacht

Punkte, wo man hinschaut. In dichten Reihen bedecken sie das Bild und legen eine bunte Schicht über den Bildgrund. Dennoch ist klar eine dunkelblaue Dreieckform zu erkennen, die von den unteren beiden Ecken bis zur Mitte des oberen Bildrandes aufsteigt. Vor dem helleren Hintergrund gleicht sie einer Pyramide oder einem Zelt, das in sich ein helles, längliches Element birgt.

Vor dem dunklen Hintergrund werden die Farbpunkte intensiver, leuchtender, und einzelne strahlen wie Sterne. Doch nur die weißen Punkte sind durchgehend gemalt. Die pinkfarbenen Punkte sind vor allem im Dreieck anzutreffen, überragen es aber wolkengleich im unteren und im oberen Bereich. Die gelben Farbtupfer sind bis auf die linke untere Ecke des Dreiecks überall anzutreffen. Zum einen umgeben sie das Dreieck wie eine Aura, zum anderen betont ein gelber Schatten das helle Element und lassen es als einen eigenständigen Körper wahrnehmen. Bei längerem Hinschauen meint man Füße und einen Kopf zu erkennen, eine hoch aufragende, menschliche Person zu sehen. In ihr scheinen die weißen Punkte Materie und Gestalt anzunehmen und eine Lichtgestalt zu formen.

Aber ist das möglich? Es sind doch nur das dunkelblaue Dreieck, die innenliegende weiße Form und die Farbtupfer in Weiß, Pink, Gelb und Blau zu sehen. – Doch all diese Elemente sind voller Symbolik! Kraft der ihnen innewohnenden Verbindungen vermögen sie ein weihnachtliches Geschehen anzusprechen. So haben die vielen Farbtupfer eine Ähnlichkeit mit einem Regenschauer und vermögen das Lied zu erinnern, in dem das Volk singt:

„Tauet, Himmel, den Gerechten!
Wolken! regnet ihn herab!
Rief sein Volk in bangen Nächten
Aus der Sünde finsterm Grab.
Und Er kam. – Mit Ihm kam Segen,
Wie ein milder Frühlingsregen
Wie des Himmels sanfter Tau
Rings erquicket Feld und Au.“
(nach Christoph von Schmid, 1811)

Gleichzeitig lassen die vielen gelben Farbtupfer an ein Lichtermeer denken, wie es an einem Christbaum oder auch in der Osternacht zu beobachten ist. In ihm vermeint man auch die göttliche Gnade und Herrlichkeit aufleuchten zu sehen, die sich auf die Erde niedersenkt und sich insbesondere auf bzw. im dunkelblauen Dreieck manifestiert, dem Symbol für Maria. Es verweist einerseits mit der Zeltform auf die temporäre und bewegliche Behausung, die jede Mutter ihrem Kind gibt, es beschützend und behütend. Andererseits mag sie die Glaubenshaltung Mariens zum Ausdruck bringen. Fest auf dem Boden der Erde stehend, ist sie doch mit ihrem ganzen Wesen auf den Himmel und auf Gott ausgerichtet. Dies so stark, dass sich ihr äußeres Erscheinen mit dem Symbol für den dreieinigen Gott deckt.

So wird deutlich, dass Gottes Sohn die göttliche Lebensgemeinschaft nie verlassen hat, um durch Maria Mensch zu werden. In Maria nimmt Gott Menschengestalt an, vor dem Hintergrund ihres Glaubens und ihrer Liebe hebt er sich als Licht vom unerschaffenen Lichte ab. Vor Maria oder in ihr vermag die Lichtgestalt damit einen Durchgang zum ewigen Licht zu bilden.

In einer ganz anderen Sichtweise kann das dunkelblaue Dreieck auch als eine sich in der Tiefe des Bildes verlierende Straße gesehen werden. Einsam steht dann die hochaufragende Lichtgestalt auf dem Weg. Als Licht in der Dunkelheit wie als Weg weist die Lichtgestalt auf Jesus hin. Er mag auf uns zuzugehen, aber genauso gut könnte er eine Einladung darstellen, ihm zu folgen. Vielleicht schwingt in der Darstellung aber auch beides mit und suggerieren die vielen Lichtpunkte, dass Begegnung und Nachfolge eins sind und zusammen mit unzähligen Menschen geschehen. Hin zu Mitmenschen, die auf unser Kommen und unsere Zuwendung warten, und durch sie zu Gott selber.

Durch die bunten Farbtupfer breitet sich Wärme über das Bild aus. Auch Freude schwingt mit. Außerdem ist eine neue Gemeinschaft zu spüren. Symbolisch zum Ausdruck gebracht durch die Farbtupfer untereinander, andererseits durch den Bezug zu den grundlegenden Farbelementen. Letztlich wird damit die neue Gemeinschaft unter den Menschen angesprochen, die durch Maria und die Geburt ihres Sohnes eine neue Basis erhielt – und weihnachtliche Dimensionen.

Der ganze Bild-Zyklus wird im Buch “CREDO” von Herausgeber Norbert Lammert präsentiert. Das Buch beinhaltet einen einführenden Text vom Herausgeber, eine Auswahl an Credotexten aus den frühen Jahrhunderten bis heute und die Abbildung des 19-teiligen Credo-Zyklus.

Hier können Sie den ganzen Zyklus auf der Website des Künstlers anschauen.

Ein Kind entzweit …

Zwei dünne weiße Stoffrechtecke mit bedruckten Versen aus dem Koran stehen heute im Zentrum unserer Aufmerksamkeit (Gesamtansicht). Sie sind mit den Versen 16 bis 22 und 88 bis 93 der Sure 19 bedruckt, in denen es zentral um Maria und die Empfängnis des Gottessohnes geht. Nach der Verkündigung der Frohbotschaft an Maria (16 bis 22) folgt eine Reaktion zum diesbezüglichen Glaubensverständnis der Christen.

Sie, die Ungläubigen, die Christen sagen: „Der Barmherzige hat sich ein Kind zugelegt.” Mit dieser eurer Behauptung habt ihr etwas Schreckliches begangen. Schier brechen die Himmel aus Entsetzen darüber auseinander und spaltet sich die Erde und stürzen die Berge in sich zusammen, dass sie dem Barmherzigen ein Kind zuschreiben. Dem Barmherzigen steht es nicht an, sich ein Kind zuzulegen.

Die Bearbeitung und Darstellung dieser fünf Verse macht den Unterschied zwischen den beiden Stoffen aus. Oben ist der Text mit einem Goldfaden gestickt (Detailansicht), unten mit einem roten Garn in das Gewebe eingebracht, wobei hier die Garnenden als lange herunterhängende Fäden belassen wurden. Dadurch werden zwei ganz unterschiedliche Sichtweisen deutlich.

Mit dem Goldfaden wird hervorgehoben und gewürdigt, dass für die Muslime auch diese Worte zur Offenbarung Gottes gehören. Das Kostbare, Erhabene und Göttliche soll durch das Edelmetall zum Ausdruck kommen, als Zeichen dafür, dass Gott selbst gesprochen und damit seine ureigenen Gedanken kundgetan hat. Eine nahezu unermessliche Bestürzung und Distanzierung spricht aus ihnen. Was die Christen glauben, ist unannehmbar, unglaublich und letztlich Beweis, dass sie nach dem muslimischen Glaubensverständnis Ungläubige sind. Was sie glauben, ist für den Barmherzigen derart schrecklich, dass nicht nur er, sondern auch seine ganze Schöpfung (Himmel und Erde) und unausgesprochen auch alle Muslime unter der Spannung, die diese unerträgliche Behauptung auslöst, zu zerbersten drohen.

Der mit dem roten Faden wiedergegebene Text knüpft an diese gewaltigen und gewaltsam wirkenden Worte an. Was für die einen (die Muslime) Gottes heilige Offenbarung ist, die verehrt wird (Goldfaden-Variante), ist für die anderen (die Christen) ein Angriff auf ihr zentrales und ebenso unantastbares Glaubensverständnis der Gottessohnschaft Christi, dass in Jesus Christus der „eine” Gott Mensch geworden ist. Die rote Schrift lässt unwillkürlich an Blut denken (Detailansicht). Die herabhängenden Fäden suggerieren sogar herabfließendes Blut und lassen an die oft blutigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen zu diesen und anderen Glaubensansichten und -überzeugungen denken.

Mit den beiden künstlerisch gestalteten Varianten möchte die Künstlerin jeder Religion Respekt erweisen. Die Arbeit zeigt auf, wie unterschiedlich gerade Glaubenswahrheiten gesehen und empfunden werden. Die Arbeit kann damit als Bindeglied im interreligiösen Dialog, als kleines Plädoyer für mehr Offenheit und Verständnis untereinander angenommen werden. Vielleicht wird durch den Text auch bewusst, wie viel Provokation für Muslime darin liegt, Weihnachten, das Fest der Geburt Jesu, in der aufwändigen westlichen Art und Weise zu feiern. Das Entsetzen der Muslime darüber, dass Jesus Gottes Sohn sein soll, mag uns Christen vielleicht auch nachdenklich machen und zum dankbaren Staunen über unseren Glauben und das Wunder der Menschwerdung anregen. Weder das eine noch das andere ist selbstverständlich.

Gottesmutter – Menschensohn

Abstrakt und mit einfachen Formen und Farben erzählt dieses Bild dem interessierten Betrachter seine Geschichte. Eine Geschichte, die von der Spannung der beiden Bildhälften und dem Geschehen in seiner Mitte lebt. Die blaue Farbe steht im Gegensatz zum feurigen Rot darüber. Und beide scheinen sich seitlich und nach oben oder unten endlos auszubreiten. Doch in der Bildsituation begegnen sie sich als stille Förderer und Zeugen einer einzigartigen Begegnung, die sich zwischen der tiefen weißen Schale und dem goldenen Quadrat ereignet. Von der waagrechten weißen Trennlinie unsichtbar gehalten scheint es in der bewegten Offenheit des Halbkreises zu schweben und gleichzeitig in seiner Mitte zu ruhen: Von oben geschenkt, von unten empfangen, von beiden gehalten.

Doch von wem oder was ist hier die Rede? Was haben die Symbole und Farben zu bedeuten? Die horizontale Zweiteilung weist auf Himmel und Erde hin, das satte Rot auf die leidenschaftliche Liebe Gottes, die sich im Lichtstrahl kraft des Geistes offenbart und nach unten in die weiße Schale ergießt. Im tiefen Blau kommt unsere Erde als blauer Planet zur Sprache. Die Farbe kann aber genauso als Symbol für das Wasser als schöpferischen Ursprung allen Lebens gedeutet werden wie für den unergründlichen Glauben. In dieser Schöpfung nimmt der nach oben offene Halbkreis eine Sonderstellung ein. Durch die weiße Farbe wird Reinheit angedeutet. An der Oberfläche getragen und sich ausbreitend, kommt immerwährende Offenheit und Bereitschaft zum Ausdruck, das Göttliche in sich zu empfangen, aufzunehmen und zu bewahren.

So wird die vorbildliche Haltung Mariens dargestellt, ihr JA auf Gottes An-Spruch in die Zeit, dass sein ewiges WORT in ihr Menschengestalt annehmen solle. Für IHN steht das goldene Quadrat in der optischen Mitte des Bildes. Gold steht dabei für das Göttliche, Unvergängliche, Höchste, die Quadratform für seine irdische Gestalt. Ganz Gott und ganz Mensch vereint er Himmel und Erde, bringt er allen Orientierung und Frieden, die ihn wie Maria in sich aufnehmen und ihm Wohnung geben. In ihnen erfüllt sich, was Jesus zu Beginn der Bergpredigt verkünden sollte: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen.“ (Mt 5,3.8)

Einfach
und voll Spannung
unten und oben
nicht einerlei.
Die Erde
Werk des Schöpfers
unten elementar ausgestreckt.
Feuer der Liebe
Fülle des Geistes von oben
darin verborgen-offenbar
ein Strahl von Licht
aus der Höhe nach unten.
Die Schale,
offen und horizont-weit
eingesenkt in die Welt
erhoben darüber hinaus für das Licht
reine, lichte Offenheit
„immerwährende Empfängnis“.
Das Ewige WORT
empfangen
von Maria, der Jungfrau:
Ja.
Maria, Gabe an die Welt
Zuwendung Gottes
An-spruch in die Zeit
reine Empfängnis
Geschenk zur Freiheit
WORT von oben:
„Gott-mit-uns“
Ant-wort von unten:
„Mir geschehe nach deinem Wort“
für die Welt.

(Lyrik von P. Meinulf Blechschmidt in Sehen – Glauben – Leben. Gedanken zum Glaubensbekenntnis, Beuroner Kunstverlag, Beuron 2007, S. 19, ISBN 978-3-87071-166-5)

Weltentreffen

Im Zentrum dieser Weihnachtsdarstellung steht zweifelslos die Geburt Christi. Und auch wenn der Künstler ein Bildzitat des Meisters von Moulin (Ende 15. Jh.) verwendet, ist es durch seinen Hintergrund und die beiden quadratischen Elemente ein modernes Bild mit einem zeitlosen Inhalt: die Geburt Jesu.

Die Komposition konzentriert sich auf die Mittelachse. Das untere Rechteck ergibt sich aus dem Abdruck von zwei Hirnhölzern. Beim einen sind die Jahrringe umlaufend, beim anderen ist die Mitte ausgespart, um dem Jesuskind als Krippe zu dienen. Darüber öffnet sich wie ein Fenster in eine vergangene Zeit das Bildzitat des Meisters von Moulin und gibt den Blick frei auf Maria und Josef.

Bei Maria ist intensivste Hinwendung zu beobachten. Mit geneigtem Haupt schaut sie staunend auf das Kind, es mit offenen Händen anbetend und gleichzeitig beschützend segnend. Josef dagegen steht mit seinem Körper parallel zu Maria und erscheint dadurch vom Kind abgewendet. Allein durch den zum Kind gedrehten Kopf erhält es Beachtung. Seine Hände sind zum Gebet gefaltet. Hinter Maria und Josef sind zwei weitere Personen zu entdecken, auch weitet sich das Bild durch ein Fenster hindurch bis zum Himmel.

Dieser öffnet sich gleichsam in der Vision eines rechteckigen Farbfeldes, welches sich majestätisch hinter dem Bildzitat erhebt. Es ist von einem zentralen hellen Quadrat geprägt, welches sich seitlich und nach oben in violett-roten Farberscheinungen weitet, sodass der Eindruck von einem Kreuz entsteht, in dem Leiden und Auferstehung gleichermaßen schon gesehen werden können. Nach unten hinterfängt es zum einen das Bildzitat, zum anderen scheint es durch die Ausbildung des unteren Abschlusses zu einem gerissenen Segmentbogen seine Kraft gleichsam in das Bildzitat einfließen zu lassen, an dessen unterstem Punkt sich der Gottessohn befindet. So gesehen, kann man den Holzstoß auch als modernen Altar sehen, an dem der Geburt, dem Leben und Sterben und der Auferstehung Jesu gedacht wird.

Noch nackt, doch nicht schutzlos liegt er da. Neigt sich der Himmel durch das Wolkenband nicht gerade tief zur Erde, wo es sich an seinem tiefsten Punkt wie eine große Schale behutsam auf den Holzstapel senkt, sich mit ihm schneidet und so das Kind in den Zeichen des Himmels und des Holzes zweifache Geborgenheit erfährt? Immaterielle, geistige, göttliche Zuwendung von oben, irdisch materiellen Schutz von unten.

Christi Geburt: Gott schenkt uns Menschen seinen Sohn, damit wir durch ihn IHN selbst besser kennenlernen. Er legt sich uns zu Füßen, setzt sich uns schutzlos aus, damit wir über das Staunen und ehrfürchtige Anbeten hinaus Vertrauen fassen und glauben, dass ER ein guter und treuer Gott ist. Dabei vermag das Holz einen dreifachen Impuls zu vermitteln. Erstens, dass Gott ganz irdisch Mensch wird, um uns in unserem Elend zu besuchen, zweitens, dass Jesus Zimmermann wurde und drittens, dass er sich am Kreuz wie auf dem Altar hingibt, um uns aufzurichten und erneut den Weg zu ihm zu öffnen.

Heilsgeschichte

Die nackte Frau auf dem mit zwei weißen Laken bedeckten Tisch irritiert. Regungslos, wie aufgebahrt liegt sie in dieser Mauernische unter dem Segmentbogen. Hinter ihr verdeckt ein Wandbehang teilweise den schwarzen Hintergrund. Über ihren Füßen schwebt ein Engel, der uns durch sein Aussehen und seine Gestik an die Boten aus den Marienverkündigungen der Renaissance erinnert. Doch im Gegensatz zu diesen Vorbildern und auch zur liegenden Frau ist er sehr klein dargestellt. Sie stehen sich auch nicht gegenüber, sondern er schwebt über ihr. Und während er festlich gekleidet agiert, liegt sie nackt und regungslos vor ihm …

Kann das ein Verkündigungsbild sein? Ist es nicht respektlos, Maria so „bloß“ (dar-)zu stellen? Wieso liegt sie nackt auf diesem mit drei Klappböcken improvisierten Tisch? Wieso konzentriert sich die Inszenierung auf diese Mauernische, die vielmehr ein Durchgang zu sein scheint? Was ist wohl die Bedeutung des grünen Stoffbehangs hinter ihr? Und warum dieser Engel? … So und anders könnten die Fragen zu jedem einzelnen der verschiedenen Elemente in diesem Bild weitergehen. Doch würden wir bei den Fragen bleiben, bliebe die Darstellung ein Rätsel. Ihre sorgfältige Betrachtung jedoch vermag uns ihre tiefe Bedeutung zu erschließen und zu offenbaren.

Beginnen wir mit der Frau. Waagrecht teilt sie das Bild in eine untere und eine obere Hälfte. Obwohl sie regungslos daliegt, ist sie nicht tot. Ihre Augen sind offen. Ihre Arme hält sie seitlich ihres Oberkörpers auf der Höhe der Tischkante. Von ihrem Körper geht eine natürliche Spannung aus. Ihre Nacktheit scheint gewollt zu sein und signalisiert Bereitschaft und Hingabe. Dennoch ist kein sexuelles Verlangen zu entdecken. Auf der harten Tischplatte liegend, die mit zwei frisch gewaschenen und gebügelten Laken abgedeckt ist, sieht sie eher aus wie ein Patient auf einem Operationstisch oder ein Opferlamm auf einem Altar. Diese Frau scheint bereit, alles herzugeben für den, den sie liebt. Der drohende schwarze Hintergrund deutet an, dass es gegebenenfalls auch ihr Leben sein kann.

Unter dem Mauerbogen liegt sie im „Dazwischen“. Sie befindet sich im Licht des Diesseits der Mauer, während sich hinter ihr ein undurchdringliches Jenseits verbirgt. So liegt sie in einem Durch- oder Übergang, scheint eine Grenzerfahrung zu machen, bei der es mit den Synonymen Licht und Dunkelheit letztlich um Leben und Tod geht. An seiner Grenze hängt der grüne Stoffbehang und bildet gleichzeitig den zentralen Hintergrund für die liegende Frau. Mit seiner grünen Farbe und nahezu quadratischen Form lässt er an ein Symbol für die Erde denken und vermag mit seinen Blumen und Früchten an das biblische Paradies mit dem Baum des Lebens und dem Baum der Erkenntnis in seiner Mitte zu erinnern. Der rote Saum seitlich und unten mag die Cherubim symbolisieren, die mit flammenden Schwertern das Paradies bewachen, das nur von oben her zugänglich ist … und von vorn, da, wo die nackte Frau auf dem Tisch liegt. Durch den Tisch von der Erde erhöht, liegt sie genau auf halber Höhe des Behanges, so dass ihre Gebärmutter exakt in der Mitte dieses symbolischen Paradiesgartens zu liegen kommt.

Vor diesem grünen Stoffbehang erscheint die Frau als neue Eva. Bereit, durch ihre Demut den Übermut ihrer Urahnen vor Gott wieder gut zu machen. Während Adam und Eva sich bei der Begegnung mit dem Heiligen fürchteten und sich ihre Nacktheit mit Blättern bedeckten, entblößt sich die neue Eva geradezu und zeigt sich furchtlos. Zeitlich versetzt soll am gleichen Ort, an dem die Sünde der Auflehnung und des Misstrauens gegen Gott geschah, nun durch die Hingabe und das Vertrauen Mariens wieder Heil in die Welt kommen. Das Granatapfelmotiv auf dem Stoff deutet auf Leben und Fruchtbarkeit hin. So zwischen dem Engel und Maria angeordnet, mag der Granatapfel einerseits für Jesus stehen, andererseits für die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, die Maria als erste Glaubende dieser Gemeinschaft in Jesus gleichsam zur Welt bringt. Als Mutter Gottes wird sie auch als Mutter der Kirche verehrt.

Dieser heilsgeschichtliche Bogen entfaltet sich zusätzlich in der Botschaft des im Flug vor der liegenden Frau niederknienden Engels. Als Bote aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt hat er seine Hände zum Gruß geöffnet, das unsichtbare Wort behutsam zur Erde und Maria nahe bringend: „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. (…) Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.“ (Lk 1,28.31.35)

Die Antwort Mariens ist in den Augen des Malers diejenige einer reifen Frau: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1, 38). Diese bedingungslose Hingabe hat der Künstler mit dieser nackten Frau übersetzt, die sich ostentativ Gott aussetzt, um von ihm wie von einem Bräutigam genommen zu werden, schwanger zu werden, bereit sein Kind unter ihrem Herzen zu tragen. In ihrem Fleisch soll sein Wort Wohnstatt finden, Menschengestalt annehmen und dann den vergänglichen Weg allen irdischen Lebens gehen.

So wie Maria daliegt, erinnert sie stark an Abbildungen von Grabeskammern mit Jesus. Mit ihrem JA wird sie wie einige Jahrzehnte später ihr Sohn Jesus vom Heiligen Geist mit neuem Leben erfüllt. Mit ihrer Hingabe antizipiert sie die Hingabe ihres Sohnes am Kreuz, sie wird dabei nicht sterben, aber sie legt ihr Leben doch ganz in Gottes Hand. So, dass er durch sie den ersten Schritt zur Erlösung und Auferstehung des Menschengeschlechtes bewirken (operare) kann.

Gehalten!

Die beiden Gestalten dieser Skulptur – für manchen Betrachter erst auf den zweiten Blick klar zu erkennen – bilden eine unzertrennbare Einheit (auch aus anderer Perspektive: Ansicht von vorne). Ihre raue Oberflächenstruktur schweißt sie zusammen und erschwert gleichzeitig das Erkennen von Einzelheiten. Durch die grobe Holzbearbeitung wird der Eindruck erweckt, dass ihnen durch eine äußere Macht stark zugesetzt wurde. Sie wirken geschunden, gezeichnet, mitgenommen von dem, was sie erlebt haben. So bilden sie eine Schicksalsgemeinschaft.

Auf dem einfachen Hocker sitzt mit aufrechtem Rücken eine fein gebaute Frau. Über den Kopf hat sie ein Tuch geworfen. Ob die Kopfbedeckung fest zu ihrem Auftreten gehört oder ein Zeichen der Trauer ist, lässt sich aus diesem Blickwinkel nicht feststellen. Wesentlich erscheint, dass sie fortwährend auf das Haupt der zu ihren Füssen in die Knie gegangenen Person schaut.

Der Mann hängt wie ein Häuflein Elend in ihren Armen und fließt von da in einer einzigen diagonalen Bewegung erschöpft zu Boden. Ihre Knie geben ihm seitlichen Halt, der Hocker und ihr Schoß stützen ihn hinten.

Kaum zu glauben, dass es sich um Mutter und Sohn handelt. Sie sieht so jung aus, dass sie auch als Geschwister gesehen werden könnten. Doch jede Faser seines Leibes weist darauf hin, dass er, die Frucht ihres Leibes, aus ihr hervorgegangen ist.

Wie damals sind sie nun wieder vereint. Sie, die keinen sichtbaren Rückhalt hat, ist wiederum sein einziger Halt. Dabei trifft sie das Schicksal ihres toten Sohnes schwer. Wie Pfeile verlaufen die Diagonalen seines Oberkörpers und seines rechten Armes auf ihre Brust und ihren Kopf zu (vgl. Lk 2,35a). Er war ihre Hoffnung gewesen, ihr Stolz, ihr Leben. Auch wenn sichtbar das Leben aus ihm gewichen ist, kann sie noch nicht loslassen. Nachdenklich und betrachtend sitzt sie da.

Was ihr wohl alles durch den Kopf geht? An welche Erlebnisse, Begegnungen und Worte sie wohl denkt? – Wir werden es nie erfahren. – Wir können uns nur mit unseren eigenen Lebenserfahrungen in ihr Schweigen hineinfühlen. Vielleicht vermag ihr Leid und ihr Schmerz uns in unseren Leiden und Schmerzen Halt zu geben. Vielleicht spüren wir dann auch, wie diese Frau letztlich von Dem gehalten wird, der ihr diesen Lebensweg aus ihrer Glaubens- und Lebensbejahung heraus zugetraut hat. Ja vielleicht weitet sich unser Blick auch so weit, dass wir in der jungen Frau nicht nur Maria, sondern auch Gott selbst erkennen, der uns mütterlich das Leben schenkt und uns über unseren Lebensweg hinweg durch den Tod hindurch begleiten und letztlich zur endgültigen Heimat bei ihm führen wird.

Anna Selbdritt

In warmen Farben offenbart sich dem Betrachter dieses Fensters eine geistige Schau. Von goldgelbem, geradezu göttlichem Licht umgeben und durchdrungen lebt das Glasfenster von dem großen, ruhig bewegten und fließenden Element, welches in seinem Inneren eine statische Personengruppe beherbergt.

Der Darstellung liegt ein aus dem 14. Jahrhundert stammendes Andachtsbild zu Grunde – Anna Selbstdritt (Anna zu dritt) –, das die heilige Anna als Mutter Marias und Großmutter Jesu zeigt. Stets hält sie als Erwachsene das Jesuskind und eine kindlich dargestellte Maria in ihren Armen und bietet ihnen mütterlichen Schutz. Frontal und sitzend dargestellt kommen bei ihr herrschaftlich bzw. „frauschaftlich“ gütige Fürsorge und Beständigkeit zum Ausdruck. Mutter bzw. Großmutter wird und bleibt man (bzw. frau) für alle Zeiten.

Den Jüngeren wird die Darstellung der Anna Selbdritt nicht mehr so bekannt sein. Meist trat sie als geschnitzte Skulptur oder als Andachtsbild mit einer neutralen Landschaft im Hintergrund in Erscheinung. Im Glasfenster von Christina Simon werden die drei Personen jedoch in einen Kontext gestellt, aus dem das göttliche Wirken stärker zur Geltung kommt. So sind die drei Personen in einem erdigen Braun dargestellt, während sie von gelb-weißem Licht umflutet werden, das seine höchste Konzentration in der weißen Aussparung oberhalb der drei Köpfe erreicht.

Breit und unerschütterlich nimmt die heilige Anna den Platz in der Mitte ein. Ihre Grundform bildet ein Dreieck. Auf ihren Knien sitzen rechts ein Mädchen – Maria –, links ein nackter Knabe – Jesus. Beide sind im Seitenprofil zu sehen, sich gegenübersitzend, einander anschauend und die Hände reichend. Dabei ist Maria nur minimal größer dargestellt. Das scheint von Bedeutung zu sein und zum Nachdenken anregen zu wollen, denn auf vielen alten Darstellungen ist der Größenunterschied zwischen Mutter und Kind dadurch ausgeglichen, dass der kleine Jesus auf Annas Schoß steht.

Die Künstlerin schreibt dazu: „Das Physiognomie und Gestik beschreibende Linienspiel innerhalb der Figuren verweist auf das familiäre Geflecht und gleichzeitig in seiner Dreiheit auf das zentrale Mysterium des Christentums, die Dreieinigkeit. Drei Generationen stehen auf unterschiedliche Art und Weise zueinander in Beziehung. Der Enkel im kindlichen Spiel mit seiner mädchenhaft wirkenden jungen Mutter, die wie eine Schwester erscheint. Die alte Großmutter mit ihrem wachen und behütenden Auge und ihrer Verantwortung den Kindern gegenüber. Familiäre Bindung wird durch das vom Himmel herabfließende Tuch, das die Figurengruppe umhüllt und diese wie in einer Gondel über die irdischen Zeiten hinaus trägt, in die geistliche Sphäre gehoben. Hier verweist das Tuch als ein Medium zwischen Himmel und Erde auf die Verbindung von Geist und Fleisch.“

Es ist, als würde sich der Himmel öffnen, um Geschenke in das (Welt)Bild einströmen zu lassen. Mit fließenden Bewegungen öffnet sich das Tuch nach den zopfartigen Windungen, um in seiner höhlenartigen Mitte ein Geheimnis freizugeben: die unveränderlich gültige Grundstruktur für gelingendes menschliches Zusammenleben: der Zusammenhalt zwischen den Generationen in Liebe und gegenseitigem Respekt.

Bei weiterem Nachdenken kann man über die Darstellung der Anna Selbdritt hinausgehend einen Bogen durch die Heilsgeschichte schlagen. Dann steht Anna sinnverwandt für das Prinzip des Lebens, für die Liebe, ja für Gott selbst. Dann kann die ikonenhafte Darstellung auch den Erschaffungsmythos der ersten Menschen mit dem schöpferischen Ursprung des neuen Adams und der neuen Eva verbinden – Ehrentitel, welche die mittelalterlichen Theologen für Jesus und Maria verwendeten. Und auch in diesem Zusammenhang wurde Anna angerufen als Hüterin und Fürsprecherin für Familie, Volk und Kirche.

Flyer mit den Abbildungen aller drei Fenster in der St. Anna-Kirche in Pettstätt und Beschreibungen der Künstlerin

Ave Maria, virgo potens – ein Andachtsbild?

Anselm Kiefer liebt es, kurze, prägnante Worte in seine Arbeiten zu integrieren. Als Schrifthinweise deuten sie eine mögliche Interpretationsrichtung der verwendeten Materialien an, führen den Betrachter allerdings oft in ein Dilemma zwischen dem Bezeichneten und dem Dargestellten. Denn der Künstler spannt weite Bögen und verarbeitet existentielle Themen gerne in Verbindung mit gesellschaftspolitischen Ereignissen und unter Berücksichtigung ethischer Dimensionen. Insbesondere die Rückbesinnung auf die Vorgänge in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ist ihm wichtig. So stellt sich auch hier die Frage, was Inhalt und Botschaft dieser Arbeit sein könnte.

Irdische Sehnsucht
Durch die Verwendung verschiedener, auch authentischer Materialien begegnet uns ein mehrschichtiges Bild, das allein durch seinen Aufbau Tiefe aufweist und den Betrachter einlädt, diese auszuloten. Wenngleich die graubraunen und rotfarbenen Farbtöne eine warme Atmosphäre schaffen, so ist das Bild doch von Durst und Sehnsucht nach Begegnung und Erfüllung geprägt.
Die Boden bildende Lehmschicht erzählt selbstredend davon. Einst war sie durch das verbindende Wasser geschmeidig und fruchtbar, nun ist sie ausgetrocknet und von Rissen durchzogen ein Bild des Elends und der Machtlosigkeit. Noch künden die Rosen von der einstigen Kraft, Nährboden zu sein, aber die Erde ist zum wackeligen Halt für die ebenso trockenen Blumen verkommen. Noch ist das aufstrebende Element und die einstige Schönheit der Rosen spürbar. Die Liebeserklärung steht noch. Das Verlangen nach Licht, Wasser und Wärme bleibt bestehen, die Sehnsucht nach neuem Leben.

Göttliche Antwort
Als ein Gegenüber hängen von oben herab weitere getrocknete Rosen ins Bild. Ein Spiegelbild? Oder steht hier etwas Kopf? Oder wird da eine Grenze angedeutet, die überwunden werden kann? Außer dem Bildrand haben diese Rosen keine wirkliche Basis. Allerdings bergen sie ein geheimnisvolles schwarzes Kreiselement mit einer dunklen Mitte. Im oberen Bereich des Bildes angeordnet, könnte es auf eine übergeordnete Unendlichkeit hinweisen. Gleichzeitig lässt es an ein Auge denken, das sich in der christlichen Bildtradition häufig als Symbol für Gott findet.
Durch die vertikale Gegenüberstellung stehen die beiden Rosengruppen in einem Dialog zueinander. Ein stummes Gespräch, bei dem die Bewegung der oberen Rosen auf die der unteren eine Antwort zu geben scheint. Eine Antwort, die direkt mit den von Hand in dieses Spannungsfeld geschriebenen Worten „Ave Maria, virgo potens“ zu tun haben muss.

Maria als Mittlerin
„Ave Maria“ – wer kennt nicht die lateinischen Anfangsworte des Engels bei der Ankündigung ihrer Erwählung zur Mutter Gottes und ihr schlichtes Ja auf das Unfassbare? Und da die Erde alles Leben hervorbringt, steht Maria als gesprungene Erde symbolisch für die Erwartung des Volkes Israels, dass ein starker Retter es von der römischen Besatzungsmacht befreien wird.
Unerwartet folgt nach dem „Ave Maria“ ein „virgo potens“ und nicht das „gratia plena“ aus dem „Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade“. Was wohl der Grund für diesen anderen Wortlaut sein mag und woher die Worte stammen mögen, die durchaus mit Maria und ihrem bedingungslosen Sich-zur-Verfügung-Stellen zu tun haben? Die Spur führt zur Lauretanischen Litanei mit dreiundfünfzig zum Teil sehr bildhaften und poetischen Anrufungen der Muttergottes, denen stets ein „bitte für uns!“ folgt. Dieses Gebet ist seit dem 16. Jahrhundert im Wallfahrtsort Loreto in Italien bezeugt und hat seither die Bitten vieler Menschen gebündelt. Unter den Anrufungen findet sich auch „virgo potens, ora pro nobis“ – „mächtige Jungfrau, bitte für uns!“ Maria und Macht? Geht das zusammen? Sie schreibt sich selbst keine Macht zu. Sie war gewissermaßen genauso ohnmächtig und kraftlos wie wir. Aber ihre Offenheit für den Anruf Gottes und ihr Einverständnis zu seinem Vorhaben müssen eine einzigartige Nähe geschaffen haben. Wer also Maria als „Virgo potens“ verehrt, der glaubt, dass seine Bitten durch ihre Mittlerschaft verstärkt an Jesus herangetragen und auf Grund ihrer Herzensnähe bevorzugt erhört werden. Die vielen Votivtafeln in den Wallfahrtsorten der Christenheit bezeugen dies.

Der leidtragende Mensch
Der Künstler zitiert mit diesen beiden Wortpaaren also den Anfang eines Gebetes. Da er weder ein „ora pro nobis“ noch eine Bitte hinzugefügt hat, muss das Bild selbst auf eine Bittstellung hin befragt werden. Hinter den Rosen zeichnet sich tatsächlich die halb verborgene Gestalt eines Mannes ab, von dem in der Bildmitte der nach links blickende Kopf, rechts davon sein angewinkelter rechter Arm und darunter ein nackter Oberschenkel erkennbar sind. Er mutet wie ein Riese an, von Gestalt her mächtig genug, um sich helfen zu können. Es sieht so aus, als würde er tief im Dreck stecken, beladen mit einer Last, die dunkelgrau aus der Erde aufsteigt und sich über ihn legt. Ist nicht ein Auge und ein schelmisches Grinsen in diesem Schatten zu entdecken, der wie eine Schuld in unentwegtem Dialog mit dem Gewissen des leidtragenden Menschen bleibt?
Nur eine machtvolle Hilfestellung kann seine Not wenden. Ob die mit Licht durchtränkten Grauschattierungen im Hintergrund dafür stehen könnten? Das rostbraune Dunkel verdrängend, kommen sie wie eine Wolke auf die menschliche Gestalt herunter und umgeben sie stärkend und erhellend. Als verbindendes Element könnte diese mächtige Helligkeit in aufsteigender Richtung als Maria gedeutet, herabkommend als göttliche Gnade oder Hilfe gesehen werden. Aber auch andere Deutungen des nicht unwesentlichen Geschehens im Hintergrund sind möglich.

In seiner Offenheit hat dieses Bild mit bekannten Andachtsbildern letztlich wenig zu tun. Dennoch greift es elementare menschliche Regungen auf, schafft Identifikationsmöglichkeiten und unaufdringliche Zugänge zu Gott. Anselm Kiefer hat mit dieser Arbeit bewusst oder unbewusst eine einladende Ermutigung geschaffen, dass im Gebet zu Maria und damit zu Gott eine gewaltige Kraft steckt. Also doch ein Andachtsbild?

Dieser Bild-Impuls wurde in der Ausgabe 4/2008 der Zeitschrift “das münster”, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft erstveröffentlicht.

Erinnerung und Hoffnung

Mitte Oktober 2008 erhielt Anselm Kiefer als erster bildender Künstler den Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. Unter anderem, weil er dem Buch in seinem Werk einen wichtigen Platz eingeräumt hat. 2007 und 2008 hat sich der Künstler intensiv mit biblischen Themen auseinandergesetzt. Dabei sind Werke wie Palmsonntag, Jakobsleiter, Wurzel Jesse und verschiedene Arbeiten mit dem Thema der Maria entstanden, darunter die vorliegende Arbeit. Rein äußerlich hat sie wenig mit dem Marienthema zu tun.

Ein gutes Dutzend großer Bleifolianten sind mehr schlecht als recht zu einem Stapel aufgeschichtet. Dazwischen und rund herum immer wieder Stacheldraht oder vielmehr Rasierklingendraht, wie ihn die Nato verwendet. Der Stapel gleicht einem Scheiterhaufen mit in alle Richtungen herausragender Holzwolle, damit der Stapel beim Anzünden schneller brennt.

Aber Maria? Der Stacheldraht könnte ja noch mit dem Dornwald in Verbindung gebracht werden. Aber Maria? Wollen die Bücher ein Hinweis auf sie sein? Darf denn der Werktitel so bezeichnend genommen werden, dass etwas von Maria in dem Werk zu sehen sein muss?

Bleiben wir mit unseren Überlegungen zunächst bei den Büchern. Sie sind riesig, alten Büchern nachempfunden, Folianten aus Pergament und in mühsamer Arbeit von Hand beschrieben. Nicht nur groß, sondern in Blei auch sehr schwer, können sie ihre Bedeutung und ihr Gewicht in den Augen ihrer Auftraggeber und Besitzer zum Ausdruck bringen. Die Botschaft der Bücher wurde damit gebührend gewürdigt. Hier scheinen sie – ganz aus Blei – für den Besitzer zu schwer und unbequem geworden zu sein, so dass er sich ihrer entledigen und sie verbrennen will. Vielleicht ist ihre Botschaft aber einfach unverständlich geblieben – Blei lässt sich ja von Röntgenstrahlen nicht durchdringen, gibt den Inhalt nicht preis.

Erinnerungen an die Bücherverbrennungen des Nationalsozialismus mögen wach werden, die schon 1933 begannen. Durch den Rückgriff auf das Lied mit dem Dornwald vergleicht der Künstler Zeiten des Brachliegens, der Verfolgung bis zur Zerstörung alles Geistigen, was nicht in die Vorstellungen der Machthaber passte. Die aufgeschichteten Bücher mögen als Mahnmal für jene stehen, die einst Namen trugen: Berthold Brecht, Erich Kästner, Thomas und Heinrich Mann, Stephan Zweig, Else Lasker-Schüler, Kurt Tucholsky und viele andere. Es ging um die Zerstörung des Geistigen. Kritik und Opposition, Kreativität und Veränderung sollten im Keim erstickt werden …

Wie war diese Barbarei im Land der Dichter und Denker möglich? Anselm Kiefer deutet in der Wahl des Standortes für den Bücherstapel eine Antwort an: er steht in gutbürgerlicher Umgebung auf einem gepflegten Kiesweg, durch eine halbhohe Hecke von einem gepflegten Garten mit blühenden Blumen getrennt. Von der anderen Seite her verwehrt eine übermannshohe dichte Hecke jeglichen Einblick. Über die niedrigere Hecke wäre Einblick möglich gewesen, wenn man es denn gewollt hätte, zumal dann, als der Bücherhaufen – und er steht hier wohl stellvertretend für alles geschehene Unrecht, lodernd brannte.

Und was hat Maria damit zu tun? Die Frage bleibt. Aber ist sie nicht durch das gelesene und meditierte Wort Gottes, durch den An-Spruch Gottes an sie mit dem Logos, seinem Sohn, schwanger geworden? So könnten die Bücher Symbol für Maria sein, die unter ihrem Herzen das Wort par excellence trug. Eine bleischwere Last, eine bedeutsame Botschaft, an der sich schon bald die Geister scheiden und in Lager aufteilen werden. Die Evangelien sind voll Überlegungen und Machenschaften, wie die Mächtigen von Anfang an das unbequeme, aufrüttelnde, in Frage stellende Wort Jesu voller Autorität und Wahrheit zu vernichten suchten. Aber auch Jesu Tod konnte den Weg und die Wirkkraft seiner Worte nicht aufhalten. Der Stacheldraht mag diesbezüglich weniger eine beschützende Funktion haben als vielmehr Ausdruck eines brisanten Inhalts zu sein, der sich nicht in den Folianten festhalten lässt und an dem man sich wie an einem scharfen Messer verletzten kann, wenn man nicht damit umzugehen weiß. Die Konsequenzen kennen wir alle … Die Nachfolgegenerationen sind mit der Aufarbeitung des jeweils begangenen Unrechts schwer beschäftigt.

Mit „Maria durch ein Dornwald ging“, dem Advents- und Weihnachtslied in einfacher, kinderliedhafter Form aus dem 19. Jahrhundert zitiert Anselm Kiefer bei seiner Retrospektive den „Dornwald“ des vergangenen Jahrhunderts. Und er meint damit auch, dass mit Hilfe des Kindes, zu dem Maria ihr „Ja“ gesagt hat, die Dornen Rosen tragen könnten, es eigentlich keines Stacheldrahtes bedürfe, wenn, und das ist die Voraussetzung, wir alle und in allen Lebenslagen unser „Ja“ zu ihrem Kind sprächen, wie Maria es tat.

Ein wahrhaftig friedenspreiswürdiger Rückblick in die Geschichte und Ausblick in die Zukunft, so einfach klingend wie ein Kinderlied und ebenso fundamentbildend wie ein solches.

Aufnahme in den Himmel

In einer wunderbar starken Bewegung senkt sich der blaue Raum auf den dunkelgrauen Figurenkomplex nieder und berührt beinahe die stehende Gestalt. Sie trägt ein Kind auf ihren Armen und steht an einem Bett. Der Silhouette nach beugt sich links eine weitere Person über die im Bett Liegende. Ob sie schläft, krank oder gar gestorben ist, lässt sich aus den wenigen Hinweisen nicht ableiten.

Allerdings erscheint die Figurengruppe zwischen zwei Welten dargestellt. Bröckelt nicht die Erde unter dem Bett weg, verweigert sie nicht den nötigen Halt, um sicher darauf stehen und leben zu können? Durch diese feinen gestalterischen Veränderungen des Hintergrundes befindet sich die Figurengruppe in einer Übergangszone zwischen Erde und Himmel, die sich grau und gegenstandslos gibt. An seiner engsten Stelle scheint das Bett mit den Personen zu schweben und wenn sich der Himmel weiter herunterneigt, bald von ihm umgeben zu sein.

Diese Hinweise deuten darauf hin, dass die im Bett liegende Person gestorben sein muss. Die intensive blaue Farbe und die Herkunft der Figurengruppe aus dem Marientod von Giotto di Bondone (1310) verbinden das Bildgeschehen letztlich mit Maria und ihrer Himmelfahrt, wie in der Umgangssprache ihre Aufnahme in den Himmel bezeichnet wird.

In diesem Bild wird nicht mit Engelscharen, Pauken und Trompeten ihre glorreiche Himmelfahrt gefeiert. Still neigt sich der Himmel wie in einer großen ehrenden Verneigung über das Sterbebett Mariens, um ihr ewige Heimat bei Gott zu geben. In Christus ist Gott selbst an das Sterbebett Mariens herangetreten, um sie persönlich zu sich zu holen. Bildhaft ist dies bereits mit dem Kind auf seinen Armen geschehen, welches die Seele von Maria darstellt, die bereits bei Gott weilt.

Was für eine gewaltige Vision, dass Gott uns Menschen im Tod nahe ist und diejenigen zu sich holt, die während ihrer Erdenzeit mit ihm gelebt haben, ja ihn aufgenommen und ihm das Leben und ihre liebende Zuwendung geschenkt haben.

Die kraftvolle und blauschwere Weite des Himmels laden zum Meditieren dieses Glaubensgeheimnisses ein. Wenn die Erde uns ihren nährenden Boden entzieht, dann bietet die Weite des Himmels einen neuen Halt. Oder bildlich gesprochen, wenn die Kräfte der Erde schwinden und sie austrocknet, wird der Himmel sich öffnen und lebenspendende Wasser regnen lassen.

Diesbezüglich erinnert das Bild an das adventliche Kirchenlied „Tauet, Himmel, aus den Höhn, tauet den Gerechten, … Wolken regnet ihn herab!“ (GL 104; KG 313) Was verdorrt ist, soll unter seinem Segen aufblühen, heißt es da. Und in der dritten Strophe wird sehnsüchtig gerufen: „Komm, du Trost der ganzen Welt, rette uns vom Tode. Komm aus deiner Herrlichkeit, komm uns zu erlösen.“

An Maria hat sich die Verheißung Gottes, „den Mittler selbst zu sehen und zum Himmel einzugehen“ (KG 303,1) bereits erfüllt! Als Glaubende leben wir in der Hoffnung, dass Gottes Verheißung auch uns gilt und unser irdisches Leben durch sein Kommen vollendet.

Maria in Erwartung

Maria soll das sein? Diese Skulptur entspricht überhaupt nicht den herkömmlichen Vorstellungen von Maria. Kein Heiligenschein, kein besonderes Gewand, kein Kind zeichnet sie als Muttergottes aus. Die Bronze zeigt einfach eine junge Frau, die sich hingesetzt hat. Beim Betrachten fällt auf, dass vieles keine Rolle spielt: weder der Stoff, mit dem sie bekleidet ist, noch die Beine oder die Details ihres Gesichts. Um die besonderen Umstände dieser Frau hervorzuheben, hat der Künstler alles Unwesentliche vereinfacht. Es geht ihm um die Haltung, wie diese Frau ihr noch unsichtbares Kind hält und wie sie sich selbst gehalten fühlt.

In sich gekehrt ruht sich die junge Frau auf der erhöhten Sitzfläche aus, sie legt eine Pause ein. Den Kopf leicht gesenkt, scheint ihre Aufmerksamkeit ganz beim Kind zu sein. Sie erweckt den Eindruck, in sich hineinzuhorchen, dem in ihrem Bauch wachsenden und sich bewegenden Kind nachzuspüren. Eine andächtige und würdevolle Ruhe geht von dieser Frau aus.

Die rechte Hand hat sie unter den gewölbten Bauch gelegt. Sie scheint das Kind von außen liebkosen zu wollen und gleichzeitig fühlend zu prüfen, wie es ihm geht. Ob es gesund ist? Ob es sich wohlfühlt bei ihr? Die linke Hand liegt mit etwas Abstand auf dem Oberschenkel. Aus der leicht geöffneten Handfläche sprechen Offenheit und Bereitschaft für das, was mit ihr geschieht. Aber auch Ungewissheit ist herauszulesen, die Frage, WIE alles geschehen soll.

Also doch Maria? Die Ganzfigur ist in gerader Frontalansicht geschaffen. Dadurch erhält die Frau etwas Thronendes und trotz ihrer Schlichtheit etwas Majestätisches. Der Umstand, dass sie ein Kind erwartet, verleiht ihr die eigentliche Würde. Es könnte Maria sein. Die Art und Weise, wie diese Frau innehält, lässt Besinnung und Einkehr spüren, einen Dialog mit dem Kind in sich und mit dem, der ihr das Kind geschenkt hat.

Es könnte sein, dass sie gerade an die Botschaft des Engels denkt, der ihr erschienen war und verheißen hatte, dass sie den Sohn des Höchsten empfangen wird und ihm den Namen Jesus geben soll. Seinen Worten nachhorchend könnte es sein, dass sie ihre damalige Antwort bekräftigend wiederholt: Mir geschehe, wie du es gesagt hast. Insofern steht die Skulptur der biblischen Erzählung nah.

Und wenn der Künstler mit seiner Plastik nicht die biblische Maria gemeint hätte, sondern eine junge Frau unserer Tage namens Maria? – Auch an ihr wäre ein Wunder geschehen und ebenso wären ihr Bereitschaft und Annahme abverlangt worden. Ein Ja, das heutzutage zunehmend schwerer fällt zu sprechen, weil damit einhergeht, seinen Körper mit einem heranwachsenden Wesen zu teilen und die eigenen Lebensgewohnheiten und -pläne auf das Wohl des Kindes abzustimmen. Ein Ja, das Verantwortung für das neue Leben mit sich bringt, nicht wissend, wie es sich entwickeln und was es bringen wird.

Maria! Die Bronzeskulptur erinnert an sie, deren Muttersein aus dem gewohnten Rahmen gefallen war und bringt angesichts der unfassbaren Aufgabe ihr bescheidenes Sich-zur-Verfügung-stellen zum Ausdruck. Ein Vorbild – für jeden von uns.

 

Diese „Maria in Erwartung“ wurde im Advent 2007 nach dem alpenländischen Brauch „Frauentragen“ in einer Münchner Pfarrgemeinde abends von Haus zu Haus getragen. Die jeweilige Familie beherbergt dann die Figur für eine Nacht, begleitet von Gebeten und einem gemeinsamen Essen. Sie bringt so ihre Offenheit und Bereitschaft zum Ausdruck, für Menschen wie Maria und Josef ein offenes Haus zu haben und Jesus zu erwarten.

Link zum Erlebnisbericht einer Frau aus Schäftlarn

Die große Frage

Eine Frau stützt den Kopf in ihre Hände. Ein vertrautes Bild. Wer hat das nicht schon gemacht, wenn der Kopf beim Überlegen zu schwer geworden ist? Blasses Licht und unscharfe Konturen beherrschen das Motiv und scheinen Ausdruck der Gedanken zu sein, welche diese Frau bewegen.

Doch im Verhältnis zum Gesicht sind die Hände überdimensional, riesig. Auch die Anordnung der Finger macht keinen stimmigen Eindruck. Sie sind alle gleich lang. Der Künstlerin scheint es nicht auf eine realistische Wiedergabe anzukommen. Die „Hände“ sollen offenbar ein Gefäß sein, in dem das Gesicht wie in einem Kelch ruht. Ihre Größe lässt an jemand Größeren denken, so wie es etwa im Psalm 139,5-6 heißt: „Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich. Zu hoch ist für mich dieses Wissen, zu hoch, ich kann es nicht begreifen.“

Ein geheimnisvolles Geschehen scheint diese Frau in tiefe Nachdenklichkeit gestürzt zu haben. Ein Schatten hat sich über ihr Gesicht und den oberen Teil der Hände gelegt und erinnert an die „Kraft des Höchsten“, die Maria bei der Verkündigung überschatten wird (Lk 2,35). Ihre Stirn und ein Teil ihrer Augen werden allerdings von einem weißen Licht in Form eines Dreiecks erhellt. Erleuchtung von oben und von außen wird suggeriert, von einem, der selbst Licht ist und dieses Licht in das menschliche Dunkel bringen will durch diese Frau.

Doch das Gesicht bleibt fragend, die Augen gehen suchend in die Ferne. Schriftzeichen äußern gleichsam eine listenartige Folge von Gedanken, die Maria beim Anspruch Gottes durch den Kopf gegangen sein müssen. „Wie soll das geschehen?“ Mit durchdringendem Blick lotet sie im Dialog mit der dreieckigen Lichtquelle die Bedeutung der Worte des Engels aus.

Auch wenn die Fingerformen zwischendurch den Eindruck erwecken, dass sich diese Frau Kissen an den Kopf drückt, um diesen Anruf nicht hören zu müssen, ist sie doch eine Hörende. Alle Hindernisse durchdringend drückt sich eine transparente Farbform geradezu gewalttätig wie eine Schallkappe an ihren Kopf. Die einzige Farbe im Bild kann nicht bedeutungslos sein: die Farbe der Liebe und des Blutes und damit des Lebens. Könnte dieses schwere Rot, das auch in einer Dreiecksform erscheint, zeichenhaft für die Schwere der Entscheidung stehen, für den Verzicht auf ein eigenes Leben, auf eigene Pläne?

Blasses Licht erfüllt das Bild. Weder Freude noch Aufbruch sind zu spüren. Eher Fassungslosigkeit, was Gott mit ihr vorhat und wie das alles geschehen soll. Aus dem Bild geht nicht hervor, was sie Gott zur Antwort geben wird. Es signalisiert lediglich eine Bereitschaft und eine Offenheit wie sie Gefäßen eigen ist. Diese Frau zeigt sich bereit, das göttliche Licht in sich aufzunehmen, es in sich zu tragen und der Welt zu schenken.

Durch den Titel hat die Künstlerin das Thema ihres Bildes vorgegeben. Aber – sie hat eine moderne junge Frau fotografiert und in die biblische Szene gesetzt und damit hat sie die Frage an Maria an uns weitergereicht. Was werde ich Gott zur Antwort geben, wenn er mich in seinen Dienst ruft? – „Ja, es geschehe wie du gesagt hast“? oder „ich weiß nicht recht, ich kann mich nicht entscheiden“ oder „das kann ich mir nicht vorstellen – warum gerade ich – nein danke – ich habe andere Pläne“? Das Bild stellt uns und unsere Verfügbarkeit in Frage. Aber immer und immer wieder werden unerwartete Aufgaben, Anforderungen in unser Leben eintreten und unsere Pläne durchkreuzen. Unsere Offenheit für Anrufe und unsere Bereitschaft Ja zu sagen zu dem, was wir als Aufgabe für uns erkennen, werden uns bereichern und können heilbringend sein – wie bei Maria.

Heilige Familie

Die im Mittelpunkt stehende Krippe und das dem Betrachter gezeigte Kind lassen in den drei Menschen unschwer Jesus, Josef und Maria erkennen. Die geschnitzte Ausführung verbindet sie mit vielen traditionellen Weihnachtskrippen und birgt die Gefahr in sich, das Besondere dieser Figurengruppe zu übersehen: Die leere Krippe, der stehende Josef, der Jesus in die Höhe hält, Maria staunend, beinahe erschrocken dasitzend.

Die leere Krippe ist nicht leer! Sie ist voller Bedeutung. Zunächst ist sie der Ort des Geschehens in Bethlehem, als Maria das göttliche Kind gebar, es in Windeln wickelte und in eine Krippe legte, weil in der Herberge kein Platz für sie war. Desweiteren ist die Krippe weniger als ärmlicher Futtertrog für Tiere gestaltet, sondern vielmehr als Thron für einen König. Und drittens lässt die Konstruktion der Krippe aufmerken, denn unten wölbt sich ein tragendes Halbrund nach oben, in das ein nach unten weisender Dreieckskörper eingesenkt ist. Begegnung und Verbindung zweier Formen, die in ihrer einfachen Ausdrucksweise das Wunder der Heiligen Nacht und auch dieser Familie formulieren: Gott wurde in Jesus Christus Mensch!

Darum wird Jesus nicht als ein in Windeln eingewickelter Säugling dargestellt. In ein langes, schlichtes Gewand gekleidet, schwebt er, von Josef nur leicht gestützt und ihn um einen halben Kopf überragend, geradezu vor uns. (Detailbild) Mit großen wachen Augen – in einem eher unkindlich wissenden Gesicht – schaut er uns Betrachter an. Bedeutsam hält er uns seine nach vorne gewendeten offenen Handflächen hin, als wollte er sagen: „Schaut, das bin ich!“ Auf die Krippe deutend, könnten seine Hände darauf hinweisen, dass er als „reicher“ Gott durch die Menschwerdung „arm“ geworden ist. Andererseits weisen sie auch auf Maria und Josef hin, die ganz auf ihn ausgerichtet sind und ihn durch ihre Haltung in den Mittelpunkt stellen. Verhaltene Freude spricht aus ihren Gesichtern: Es ist nicht nur ihr eigener Sohn, es ist Gottes Sohn, den sie der Welt zeigen!

Ermutigend ist für heutige Familienväter, dass Josef nicht als grübelnder alter Mann dargestellt wurde, sondern als moderner junger Vater, der ohne Berührungsängste seine Vaterrolle ernst nimmt: Er steht hinter seinem Kind und gibt ihm Halt und Schutz, nicht nur mit den Händen. Mit seinem Oberkörper neigt er sich zur Seite, um dem kleinen Jesus Raum zu geben. Behutsam stützt er mit seiner Hand den Rücken von Jesus, so dass dieser aufrecht stehen kann.

Aber was ist mit seinem Gesicht geschehen? Die uns zugewandte linke Seite ist klar herausgearbeitet und lässt in Josef einen Mann mit Weltoffenheit, mit Realitätssinn und Augenmaß erkennen: den Zimmermann. Die andere Gesichtshälfte, dem Kind zugewandt, ist vom Künstler aus der Proportion geschnitten und mehr angedeutet als ausgearbeitet. Sie bringt die andere Seite von Josef zur Sprache: Er ist auch Gottesmann, der offene Sinne für das Unsichtbare hat und in seinen Träumen Gottes Stimme wahrnimmt. Innerlich und äußerlich wachsam, geht er seiner Berufung nach, steht er zu den ihm anvertrauten Menschen.

Maria sitzt. Mit ihrer „erniedrigten“ Position, dem offenen Haar und dem wallenden Mantel erinnert sie – hervorgerufen durch bekannte innere Bilder – einerseits an den Engel, der ihrem Leben mit seiner Botschaft eine jähe Wendung gab. Wie er legt sie ergriffen die linke Hand auf die Brust und die andere als Zeichen ihrer Hingabe offen in ihren Schoß. Zeichen der Ehrfurcht und des Staunens. Was ihr damals verkündet wurde, ist nun Wirklichkeit: „Das Wort ist Fleisch geworden!“ Durch sie, aufgrund ihres Glaubens, ihres Ja-Wortes. Deshalb ist ihre Haltung andererseits auch wesentlich die ihre. Was geschehen ist, bewegt sie zutiefst und lässt sie ahnungsvoll in die Zukunft schauen. Es ist, als sähe sie im Geiste bereits, was das Kind für sie und für alle Menschen zu bedeuten hat.

So zeigt uns diese Heilige Familie Menschen, die aus der Verbindung mit ihrem inneren Grund leben und die offen sind für die Anrufe Gottes in dem, was ihnen im Leben begegnet. Menschen, die aus der Gottverbundenheit heraus einander Halt geben, um die vielfältigen Zumutungen des Lebens anzunehmen und zu integrieren. Menschen wie Du und ich?

Glück !?

Die beiden an sich unabhängigen Bilder stehen einander thematisch und kompositorisch nahe. In beiden Werken steht ein Bild einem Durchgang mit vergleichbaren Proportionen gegenüber, der mit Licht erfüllt ist. Auch Gegensätze prägen die Komposition: Die Bilder sind im Vergleich zu den Durchgängen erhöht. Auf ihnen sind Heilige in ekstatischer Haltung dargestellt, die von je zwei spielenden Putten begleitet auf Wolken schwebend in den Himmel entrückt werden. Neben dieser „dreifachen“ Erhöhung sitzt ein Kind auf der Treppe bzw. steht ein weiteres auf dem Boden. Sie sind allein und wirken verloren in der großen Türöffnung und vor dem undefinierten Hintergrund. Während ihre unsichtbaren (da von ihnen aus um die Ecke herum platzierten) Gegenüber mit ausgebreiteten Armen dem Licht über ihnen entgegenschauen, sind sie mit sich selbst beschäftigt. Der Junge zündet sich gerade eine Zigarette (oder einen Joint) an, während das Mädchen von ihrem Idol Marilyn Monroe träumt. Dieser Genuss, diese irdische Vision scheint sie zu „elektrisieren“.

Die Bilder erscheinen wie aus der Türe herausgeschnitten und an die Wand gehängt. Obwohl sie thematisch in eine Kirche gehören würden, befinden sie sich in einem weltlichen Gebäude. Mit Maria und Franziskus (erkennbar am Ordensgewand und den Stigmata) werden zwei der wichtigsten Vorbilder des christlichen Glaubens in glücklichen Momenten ihres Lebensweges gezeigt. Ihre Platzierung im Museum deutet an, dass sich die Frage nach der erfüllenden und beglückenden Lebensgestaltung überall und zu jeder Zeit stellt, letztlich aber doch sehr religiös geprägt ist. Welche Bindung macht mich glücklich, schenkt mir inneren Frieden? Wer oder was motiviert mich, ermutigt mich und schenkt mir die Kraft, Großes zu erreichen?

In der Gegenüberstellung der barocken Heiligenbilder mit der heutigen Wirklichkeit der Kinder stoßen nicht nur Vergangenheit und Gegenwart aufeinander, in den Personen begegnen sich auch die Erfüllung und die Suche danach. In diesem Bild wird neben der Frage der Sinnfindung auch die Berufs- und Berufungsfrage angeschnitten, die sich sicher bei Kindern und Jugendlichen am intensiven stellt, uns aber gewissermaßen immer wieder neu begegnet: Wo will ich hin? Zu was bin ich berufen? Die lichten und grenzenlosen Räume hinter den Kindern mögen Ausdruck dafür sein, dass ihnen alle Möglichkeiten offen stehen.

Obwohl das Mädchen noch auf Marilyn Monroe „steht“, stellt sich aufgrund des mit Licht erfüllten Raumes die Frage, ob sie wie Maria vielleicht gerade von einem unsichtbaren Engel angesprochen wird. „Wie soll das geschehen?“, mag sich auch das Mädchen fragen. Wie kann ich eine Karriere machen wie Marilyn oder Maria …? – Ob sie an Gott glaubt? Ob sie ihm ihr Leben anvertraut, es gleichsam in seine Hände legt, wie es einst Maria gemacht hat mit den Worten: „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Maria ist für dieses Vertrauen, für diese Hingabe in ihre Aufgabe mit der Aufnahme in den Himmel belohnt worden. Aber was für ein Gewicht hat dieser immaterielle „Gewinn“ schon bei der Entscheidungsfindung gegenüber dem weltlichen Ruhm und dem finanziellen Erfolg?

Auch der Junge scheint sich in seiner Glückssuche schwer zu tun. Seine sitzende Haltung am unteren Ende der Treppe signalisiert einen Tiefpunkt. Er gibt sich mit vergänglichem Genuss zufrieden. Sein Gegenüber, Franziskus, hat entgegen dem Zeitgeist auf die durch Armut geprägte Nachfolge Christi gesetzt und ist reich beschenkt worden. Vielleicht stellen sich dem Jungen ähnliche Fragen.

Der Künstler lässt uns mit der Geschichte der beiden Jugendlichen im Ungewissen. Aber wenn wir das unendliche Licht hinter ihnen als Gegenwart Gottes deuten, dann leuchtet uns die Zuversicht entgegen, dass Er alle Suchenden mit Erkenntnis unterstützt und – wie die Entscheidung auch fallen wird -, hinter ihrem Entschluss stehen wird.

„In den Arbeiten von Stephan Melzl zeigt sich exemplarisch die Macht des Bildes, rationales Denken zu transzendieren. Für die Darstellung innerer Zustände und Phantasien konstruiert er gegenständliche Welten von eigentümlicher Melancholie und zugleich humorvoller Komik. Die widersprüchlichen Empfindungen, die seine Bilder auslösen, fallen auf den Boden der eigenen Widersprüchlichkeit, und kaum etwas erscheint in seinen Bildern als gesichert. Sie erzählen von einem fragmentierten, einem ambivalenten Zustand einer Bewältigung der äußeren und inneren Wirklichkeit.” (Auszug aus einem Text von Dorothea Strauss, Freiburg)