Blick ins aller Heiligste

Feine Farbklänge verleihen dem Bild etwas Zärtliches, Geheimnisvolles und Kostbares. Schwebend atmen die einzelnen Elemente ineinander und bilden zusammen eine Lebensgemeinschaft, die alles Bekannte übersteigt.

Das weiße Oval mit seinem diffusen Rand schenkt diesem Organismus einen grenzenlosen und lichtvollen Lebensraum, der mit seiner Energie das erdig wirkende, ockerrote Umfeld strahlenförmig erleuchtet. Vom unteren Bildrand her durchquert ein rosafarbenes Kreuz das Oval in seiner Höhe und Breite. Wie ein Stempel prägt es die neue Gemeinschaft, wie ein Schlüssel öffnet es das Verständnis für das Wunder, dass es dieses Miteinander überhaupt gibt – sah doch bei der Kreuzigung alles nicht so rosig aus.

Das Kreuz lässt die Wandlung miterleben, die der an ihm Gekreuzigte durchlitten und durchlebt hat. Die quadratische rote Mitte erzählt mit ihrer farbig-formalen Symbolik von der irdischen Gewalt, dem vergossenen Blut, dem qualvollen Tod. Gewandelt bildet es die kraftvolle Mitte des neuen Lebensraumes, das schlagende Herz, das aller Heiligste. Das Viereck ist der irdische Schlussstein im Gewölbe der Ewigkeit, die verdichtete Gegenwart Gottes unendlicher Liebe in der menschlichen Geschichte. Es ist ein stiller Ruhepol, Halt für den Unsicheren, Orientierung dem Suchenden.

Intensiv, fröhlich und unbeschwert lebt das Kreuz aus seiner quadratisch-kraftvollen Mitte heraus. Die rosa Farbe mag einen verklärten Blick suggerieren, aber keinesfalls einen zu optimistischen oder unrealistischen Blick durch eine rosarote Brille. Sie ist vielmehr die Farbe der Liebe und der Zärtlichkeit, die Farbe des jungen, neuen Lebens, das – einem Fötus gleich – im Entstehen begriffen ist.

Im oberen Bereich der Aureole deuten zwei kleinere Ovale die Köpfe von zwei Menschen an. Ihre Körper lassen sich in den mit ihnen verbundenen Linien und Schattierungen erahnen. Links eine größere Gestalt, sitzend vielleicht, mit ausgebreiteten Armen, rechts eine kleinere Gestalt, der linken zugewandt. Sie lassen an einen Vater oder eine Mutter mit ihrem Kind denken. Beide sind einander zugeneigt und bilden im intensiven Austausch eine von Liebe getragene Einheit. Sie versinnbildlichen in abstrahiert menschlicher Form die Einheit der Zweiheit, die Versöhnung der Gegensätze, die Geborgenheit im Einen oder auch das Geheimnis der Trinität.

Im österlich erschlossenen Lebensraum kann so Gott-Vater gesehen werden, der seinen Sohn nach dem irdischen Leben und Sterben mit offenen Armen im ewigen Leben empfängt. In der kleineren Gestalt dürfen wir aber auch uns selbst als Kinder Gottes erkennen, die wir einst von Ihm ins Allerheiligste aufgenommen werden und sein göttliches Erbarmen, seine grenzenlose Liebe in unmittelbarer Nähe erfahren.

 

Dieses und weitere Kunstwerke von Anneli Schwager sind bis Ende 2022 in der Ausstellung “Für die Welt” in der Ev. Patmos-Gemeinde an der Gritznerstraße 18/20 in 12163 Berlin im Original zu sehen.
Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie hier.

Ostermorgen – Zwischen Mythos und Logos

Suchend streift der Blick über das großformatige Bild und versucht einen Zusammenhang bzw. den roten Faden in der Fülle an Motiven zu finden. Noch herrscht wie vor der Erschaffung der Welt Chaos auf dem Bild. In dem scheinbar ungeordneten Durcheinander tut sich der suchende Geist schwer, das Ganze zu verstehen. Es ist nur ein schrittweises Herantasten möglich, bis nach und nach Erkenntnis und Verstehen geschenkt wird. Die Eindrücke sind überwältigend und schwer zu entschlüsseln. Innehalten ist angesagt vor dem Geschehen in dieser komplexen Bildwelt. Geschieht hier nicht etwas noch nie Dagewesenes, etwas, das alles Bekannte über den Haufen wirft und sich neu buchstabiert: Die Auferstehung von den Toten? Es ist ein Ringen um „Worte“, die Darstellung des Nicht-Darstellbaren. Es ist nicht die siegreiche Auferstehung wie im Isenheimer Altar von Matthias Grünewald oder das triumphale händelsche Halleluja. Es ist vielmehr ein verwundertes Sich-die-Augen-Reiben nach den erschütternden Ereignissen der Karwoche, eine Revolution im Verborgenen, wie der Totgeglaubte zwischen den Beinen des erblindeten Todes aus der Höhle heraustransportiert wird, mit den Füssen voraus in den Tag hineingetragen wird von einem Widder.

Die Bildmitte nimmt eine hohe, weiße Gestalt ein. Als unumstößliche Dreiecksfigur dominiert sie das Bild und teilt es in eine linke und eine rechte Hälfte, bzw. in drei Teile. Am einäugigen Riesen mit drei Armen ist kein Vorbeikommen. Seine Größe weist darauf hin, dass sich durch ihn alles entscheidet. Seine Gehrichtung gibt maßgeblich die ungewohnte Blick- und Leserichtung von rechts nach links vor. Hat der Künstler einen Weg zurück gemalt, einen Weg zurück ins Leben? Kann es sein, dass in den drei Bildteilen die Geschehnisse der drei österlichen Tage dargestellt sind? Karfreitag, Karsamstag und Ostern?

Beginnend im rechten Bildteil lässt sich der rote Hahn erkennen, der mit seinem Schrei Petrus seine dreimalige Verleugnung Jesu schmerzhaft zum Bewusstsein bringt. Die Frau daneben ist die Magd, die nach Jesu Verhaftung zu Petrus sagt: „Der war auch mit ihm zusammen.” (LK 22,56) Im grünen Gesicht unter dem Hahn ist Petrus selbst als gebrochene Säule dargestellt. In der ganzen Bestürzung über seinen Verrat wird ihm bewusst, dass seine Kraft nicht ausreicht, um das Gebäude zusammenzuhalten. Gleichsam stellvertretend schreit der rote Kopf seinen Schmerz hinaus (Bild-Impuls dazu). In der Zusammenschau steht dieses rechte Drittel des Bildes somit für den Verfall, den Verrat, für das ganze Leiden der Kreatur, für die Welt des Todes.

Aber im Zentrum des rechten Drittels dominiert ein großes grünes Gesicht das Bild. Es ist das Antlitz des Menschensohnes, der im Grab liegt. Erstaunlich sind seine großen offenen Augen und sein unter dem Widder langgesteckter Körper. Erich Schickling verbindet seine Gestalt mit einer Erzählung aus der griechischen Mythologie: Odysseus hatte mit zwölf seiner Gefährten in der Höhle des Zyklopen Polyphem Zuflucht gesucht. Doch nachdem dieser seine Schafe hineingetrieben hatte, verschloss er die Höhle mit einem großen Stein und begann einen Gefährten nach dem anderen zu fressen. So wurde er zum Inbild des Ungeheuers und des Todes. Um Polyphem zu entkommen, griff Odysseus zu einer List, wodurch es ihm gelang, diesen mit einem glühenden Pfeil in sein einziges Auge derart zu blenden, dass Odysseus und seine restlichen Gefährten am nächsten Morgen, als die Tiere hinausgetrieben wurden – sich am Bauch der Schafe festklammernd – ungesehen aus der Höhle des Todes entkommen konnten.

Bei Schickling ist es ein männliches Tier, welches die große, fast das ganze Bildformat querende, brettartig versteifte Gestalt unten am Riesen vorbei auf die andere Seite trägt. Ein Bild für Gott-Vater, an dem sich Jesus festklammert und von dem er aus dem Reich des Todes gerettet wird? Oder eine Erinnerung an Isaak, den einzigen Sohn Abrahams, der durch Gottes Eingreifen vom Tode verschont blieb und an dessen Stelle ein Widder geopfert wurde (Gen 22,1-19)? Gleichzeitig wird Jesus vom blauen Wasser des Lebens aus der Dunkelheit ins Licht gespült und auf der anderen Seite von den ersten Strahlen des Ostermorgens ans Licht gezogen. Alles geschieht im Verborgenen und endet offenbart. Es ist nicht der Kopf als Sitz des Verstandes, der dieses Wunder zuerst begreift. Mit den Füßen voran wird die Welt des Todes überwunden. Sie werden schon vom lichten Glanz der Ostersonne überstrahlt, welche mit ihrer Intensität die linke Bildseite dominiert.

Die Ostersonne als Symbol für den Morgen, die Auferstehung und das Offenbarte korrespondiert mit einem dunklen, geheimnisvollen Rund darüber. Es könnte als Symbol für die uns unbekannte Seite Gottes stehen, für die Nacht, den Traum, den verborgenen Gott, von dem wir nichts wissen. Dennoch ist dieses Rund nicht vollkommen dunkel und schwarz, sondern in seinem Innern rot, blau und grün belebt, den Symbolfarben für seine Liebe, Treue und die Hoffnung. Für den Künstler mag diese geheimnisvolle Dunkelheit auch für den Traum als Ursprung der Kreativität gestanden haben, denn als drittes Symbol des Ostermorgens springt aus dieser Dunkelheit rechts daneben ein geflügeltes Pferd vom Himmel und fordert Polyphem zum Kampf heraus. „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht in ihrem Lauf bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab als harter Krieger mitten in das Land des Verderbens.“ (Weish 18,14-15) Das springende Ross ist das göttliche Wort, der Logos. Polyphem wehrt es ab, wird dadurch aber von seiner Suche nach Odysseus abgelenkt.

Mit seinem Ostermorgen formuliert Erich Schickling einen Gegenentwurf und eine Antwort auf Picassos berühmtes Monumentalbild „Guernica“, das er in Erinnerung an den Terrorangriff des 26. April 1937 auf die spanische Stadt Guernica malte und in dem sich das durch Gewalt, Terror und Krieg verursachte Leid im vielfachen Aufschrei von Schmerz, Verzweiflung, Not und Tod verdichtet. Schickling verwendete den gleichen Bildaufbau und ähnliche Bildelemente, so dass in einer Fülle von Details ein direkter Bezug gegeben ist und eine bildliche Antwort auf die Frage: Gibt es etwas, worauf man hoffen darf angesichts von Leid und Tod?

Doch während bei Picasso der Aufschrei der vielen unerhört verhallt, die Gewalt und das himmelschreiende Unrecht das letzte Wort haben und – bis auf die zarte Blume als Symbol für die Regeneration der Natur – alles trost- und hoffnungslos ist, lebt Erich Schicklings Bild vom Glauben und der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. In Jesu Schrei hört Gott das verdichtete Leiden eines jeden Menschen und der ganzen Menschheit. Als Gottesknecht und „-krieger“ ist Jesus für alle gestorben. Durch Jesu Auferweckung von den Toten hat er den Tod besiegt und alle Menschen, die daran glauben, aus dessen Gefangenschaft befreit. Das Licht der aufgehenden Sonne und die Kraft des herabspringenden Pferdes, des Wortes, erfüllen die ganze Schöpfung mit Hoffnung und Leben. Das weiße Licht verwandelt selbst die furchteinflößende Gestalt des Polyphem, den Angst verbreitenden Tod in einen Diener Gottes (vgl. 1. Kor 15,55).

Gott hat das letzte Wort. Darauf weisen auch die Omega-Zeichen auf dem Widder hin: „Ich bin das Alpha und das Omega, spricht Gott, der Herr, der ist und der war und der kommt, der Herrscher über die ganze Schöpfung.“ (Offb 1,8)

Lebens(g)rund

Blau – Blau machen
Freiheit genießen
auf dem Boden liegend
in den Himmel schauen
ins Blaue!

Von der Enge des Alltags
hinauf in die Weite
durch einen Astkreis
den Blick fokussieren
Gott wahrnehmen, nicht sehen

Der Astkreis schwebt
wie eine Lebenskrone über mir
oder wie ein Fenster in die Ewigkeit
gewachsen, geflochten
gehalten von meinen Begrenzungen

Eine Momentaufnahme?
Wahrnehmung eines Augenblicks?
Oder ist es immer da?
Und ich sehe es nicht?
Das Lebensrad?

Was alles rund läuft in meinem Leben?
Was still und leise treibt
mich bewegt, aufbricht
sprießt und letztlich blüht?
Lebensfülle um die leere Mitte?

Lebensrad
in Bewegung sein
das Leben spüren
seine Veränderung erleben
unsichtbar gehalten und bewegt

Er ist da – und mein Halt
weiten Raum schaffend
Gestaltungsfreiraum gebend
luftige Kraftquelle
Lebensfülle – Atem

Lebensrund, Lebensgrund
zeit-leben-s aus Gott heraus
und auf Ihn hin wachsend als
sichtbare Gestalt des Unsichtbaren
vergängliche Schönheit des Ewigen

 

Bis zum 17. April 2022 sind in der Kirche St. Bonifatius Emmendingen von Carola Faller-Barris eine Kunstinstallation zur Fastenzeit 2022 mit zwei ihrer Kunstwerke zu sehen. Meine Gedanken zu den beiden Kunstwerken können Sie hier lesen: Voll-Kommen und Grace.

Der Schrei

Auf einer kleinen Anhöhe streckt sich in weißes Licht getaucht der gekreuzigte Schmerzensmann nach oben zum Schrei. Man meint die Worte aus dem Psalm 130 (1-2,5) zu hören: „Aus den Tiefen rufe ich, HERR, zu dir: Mein Herr, höre doch meine Stimme! Lass deine Ohren achten auf mein Flehen um Gnade. … Ich hoffe auf den HERRN, es hofft meine Seele, ich warte auf sein Wort.“

Der expressive Bildaufbau führt zu diesem Schrei in der oberen Bildmitte und konzentriert sich in ihm. Von rechts unten führen – die Oberkanten der blauen und grünen Elemente verlängernd und verbindend – Linien im Zickzack treppenartig nach oben. Ähnlich laufen die Verlängerungen der Seitenkanten der blauen und grünen Elemente von unten kommend im Kopfbereich zusammen und kreuzen sich dort.  Auf diese Weise erreicht die ganze Schöpfung mit allem Leben, Leid und allen Schmerzen in diesem gewaltigen Schrei einen einzigartigen Höhepunkt. Die flammend rote Farbe intensiviert den Schrei zum gequälten Aufschrei eines Gefolterten, eines ungerechterweise Höllenqualen Erleidenden, der die Schuld der ganzen Welt auf sich nimmt.

Als Antwort auf diese himmelschreiende Ungeheuerlichkeit finden sich im Bild drei Reaktionen: Rechts oben zeigt sich der Kopf einer Person, die schweigend im Beobachterstatus verharrt. Das rundliche Gesicht könnte auch der verdunkelten Sonne oder Gott Vater gehören, der in sich gekehrt seinem Sohn beisteht, aber nicht in das Leiden eingreift. Im gleichen Weiß wie bei der gezackten zentralen Form schreit links ein Pfau mit dem Gekreuzigten und verstärkt den Schrei von Seiten der Tierwelt. Unter dem Kreuz, es gleichsam mit ihrem Leib umfassend – denn Knie und Ellbogen berühren sich fast – findet sich kniend eine junge Frau, die in ihren Händen ein Tuch mit dem Abdruck eines traurig blickenden Gesichtes hält. Dem Tuch nach wäre die Frau Veronika, in der Tradition wird aber Maria Magdalena weinend unter dem Kreuz dargestellt. Wie auch immer verkörpert die Frau die zutiefst Betroffene, Trauernde, Mitleidende.

Mehrere Bildelemente weisen symbolhaft über den Schrei der Verlassenheit und die letzte Verlautbarung (vgl. Mk 15,34.37) des Gekreuzigten hinaus: Das maskenhaft wiedergegebene Gesicht auf dem Tuch verweist auf die Doppelnatur der Person Jesu („Person” stammt vom lateinischen „personare“, dem „Hindurchtönen“ der Schauspielerstimme durch die Maske, die seine Rolle charakterisiert). In der menschlichen Gestalt Jesu leidet der Sohn Gottes und in diesem Leiden und Sterben leiden und sterben auch die anderen beiden Personen der Dreifaltigkeit, die untrennbar mit ihm verbunden sind. So kann am linken oberen Bildrand in der verkrampften Hand auch ein zur Mitte gewandtes gefiedertes Wesen – eine Taube –  als Symbol für den Heiligen Geist und auf der anderen Seite das Sonnengesicht als Symbol für Gott-Vater gesehen werden. Jesus leidet in dieser Sichtweise inmitten der Dreifaltigkeit und sein Schrei ertönt im Anblick und Angesicht seines Vaters. Die Palmen und Pflanzenelemente erinnern nicht nur an den Einzug in Jerusalem, sondern deuten auch den bevorstehenden Einzug in das himmlische Paradies, ins himmlische  Jerusalem an (vgl. Lk 23,43). Erich Schickling hat die Kreuzigung zudem in eine Mandelform gemalt (zu sehen sind die „Klammern“ der Mandorla), um die Bedeutung des Kreuzestodes als Übergang und „Geburt“ in diese neue, göttliche Welt zu offenbaren, in der Gott „alle Tränen von ihren Augen abwischen wird: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“ (Offb 21,4)

So trägt der stumme Schrei Jesu stellvertretend das Leid der Welt weiter durch das Bild und über das Bild hinaus in die Ohren Gottes: im Rot die hilflose Wut, all das vergossene Blut, das verlorene Leben, die geopferte Liebe. Im Grün die fragmentierte, zerbrochene Hoffnung, die gegen alle Hoffnung hofft. Im Dunkelblau am Fuße des Kreuzes die Treue der Liebenden, der Glaube, dass nichts verloren geht und die Liebe über den Tod hinaus Früchte trägt (vgl. 1Kor 13,13). Und im Weiß des Gekreuzigten und des Pfaus als Sinnbild des Himmels darf bereits das Licht der Auferstehung aufleuchten. Denn kein Schrei verhallt unerhört in Gottes Ohren, denn „beim HERRN ist die Huld, bei ihm ist Erlösung in Fülle“. (Ps 130,7)

 

Im Pfarrhof Gempfing sind in Verbindung mit der Stadtpfarrkirche St. Johannes Rain am Lech anlässlich des 10. Todestages des Künstlers Hinterglasbilder, Temperabilder, Kreuzwege, Entwürfe zu Glasfenstern ausgestellt. Vernissage ist am Sonntag, 13. März 2022 um 16 Uhr. Anmeldung bitte unter 09090-1346. Danach jeden Sonntag bis Ostermontag (außer Ostersonntag) von 14-17 Uhr geöffnet.

Geheimnis des Glaubens

Die Zusammenschau der drei quadratischen Bilder lässt durch Ihre Heterogenität eine Fülle von Assoziationsmöglichkeiten zu. Denn das Grau der Steine und des Wasserglases oder das runde Element in jedem Bild vermögen Verbindungen zu schaffen und den “Trialog” zu beleben. Auf verschiedenen Ebenen entstehen Bezüge, die immer wieder um eine Dreiheit kreisen:

Allen drei Bildern geht es um Ausdehnung und um Irritation. Die Ausdehnung erfolgt um eine runde Mitte herum (auch beim Glas hat die nicht sichtbare Öffnung des Glases in etwa den gleichen Durchmesser wie die beiden zentralen Steine). Die verwendeten Primärfarben Gelb, Rot und Blau bilden die Basis für den ganzen Farbenkosmos. Von links oben bis zum unteren Bild ist zudem eine Steigerung zu beobachten. Während die goldgelben Samen, die auch Wachstum beinhalten, noch geschlossen daliegen, scheint die rote Farbe im zweiten Bild wie Feuer oder vergossenes Blut unter dem dunklen Stein hervorzuspritzen, um dann ganz rechts explosionsartig alles zu sprengen und jede feste Form hinter sich zu lassen bzw. in Seifenblasen eine temporäre Form einzunehmen. Letztere stehen im Gegensatz zu den Versteinerungen in den anderen beiden Bildern, die Überzeitliches versinnbildlichen.

Die Bildtitel zu den in einem trompe-d’oeil-haften Realismus gemalten Arbeiten legen einen Zusammenhang mit alchemistischem Denken nahe. Splendor solis lässt an das gleichnamige illustrierte alchemistische Manuskript aus dem 15. Jahrhundert denken, in dem es um die Herstellung und Wirkungsweise des Steines der Weisen geht. Mit Mercurius wird Quecksilber (keckes oder lebendiges Silber) bezeichnet, von dem angenommen wurde, dass es den flüssigen und festen Zustand überschreitet. Ob es sich bei dem Triptychon um eine Darstellung der Tria Prima der Alchemie handelt? In der Tria Prima beschreibt Paracelsus das Gesetz des Dreiecks: zwei Komponenten kommen zusammen, um eine dritte zu erzeugen. Grundlage sind bei ihm Schwefel, Salz und Merkur. Schwefel ist die Flüssigkeit, die das Hohe und das Niedrige verbindet. Salz gilt als Grundstoff, Merkur ist der allgegenwärtige Geist des Lebens.

Doch anstatt von Schwefel liegen Weizenkörner auf dem runden Stein, anstelle von Salz spritzt Blut über die quadratische Platte und statt Quecksilber schießt blasenbildendes Wasser in die Höhe. Diese Beobachtung und auch der zweite Bildtitel Salz der Erde, der in engem Bezug zu Jesus steht, sorgen für Irritation. Sind hier alchemistische Symbole weiterentwickelt worden und mit neuen Bedeutungen verbunden worden? Dann wäre eine christliche Interpretation der vielleicht unorthodoxen Darstellung von etwas Bekanntem gar nicht so abwegig. Vorzugsweise setzen wir unsere Betrachtung rechts oben fort.

Der viereckige Stein ist ein Symbol für die Erde. Mit Salz der Erde werden die Worte aus der Bergpredigt (Mt 5,13) angesprochen, mit denen Jesus auf die unabdingbare, verantwortungsvolle Aufgabe der Jünger in der Welt hinweist, Gutes zu bewirken, sich für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit einzusetzen – Licht der Welt zu sein. Jesus hat sein Leben bis in den Tod hinein dafür hingeben. Er ist DAS Salz der Erde, der mit seinem Leben und seinem Blut zur Vergebung des Unrechts an den Menschen neue Maßstäbe gesetzt hat. So kann das mittlere Bild als eine Art Kreuzigung gesehen werden: Gottes Sohn, erschlagen durch unsere Sünden. Sein Blut ist das Salz der Erde, das bewirken sollte, dass solches Unrecht nicht weiter geschieht. Er ist der Stein der Weisen, der in uns diesen Sinneswandel vollbringt und einen menschlichen Goldstandard etabliert wie es keine alchemistischen Wunder zustande bringen. Blut und Wein verweisen auf die Einsetzungsworte beim Abendmahl: „Trinkt alle daraus, das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ (Mt 26,27f). Der perfekt runde Stein in der Mitte mag die göttliche Natur Jesu andeuten, die Zweiteilung mit der roten Farbe, dass er mit seinem Blut die gespaltene Erde/Materie versöhnt.

Der runde Stein – ohne Anfang und Ende – ist Symbol für die Unendlichkeit und für Gott. Mit seinen Versteinerungen ist er ein Urgestein. Die Weizenkörner sind im Licht und der Wärme der Sonne (Spendor solis = Pracht der Sonne/Sonnenglanz) gereift und als Goldkörner dargestellt. Mit dem Stein in der Mitte wird ihre nächste Wandlung zu Mehl angedeutet, aus dem dann Brot und andere Lebensmittel gemacht werden können. Entsprechend kann hier eine Allegorie Gott Vaters gesehen werden, der der Sonne ihre Pracht verliehen hat und uns das tägliche Brot schenkt.

Auf dem unteren Blatt wird alles Bisherige gesprengt und in eine neue Daseinsform überführt, der etwas für uns Menschen Unfassbares anhaftet. Das versteinerte Wasserglas birst und das Wasser sucht sich nicht den bekannten Weg der Schwerkraft, sondern breitet sich überraschenderweise wie eine in die Freiheit entlassene Materie nach oben aus, die dabei noch fröhliche Luftblasen bildet. Merkur bzw. Hermes war in der griechischen Mythologie der geflügelte Götterbote, der Überbringer von Botschaften. Im christlichen Glauben wird die unsichtbare göttliche Kraft dem Heiligen Geist zugeordnet, der kreativ in der ganzen Schöpfung am Wirken ist: unsichtbar, geheimnisvoll, wunderbar, lebendig.

So liegt die Vermutung nahe, dass Manfred Scharpf in diesem Triptychon über die alchemistische Tria prima hinaus die grundlegende und alles umfassende „Tria prima“ des christlichen Glaubens allegorisch gemalt hat: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Oder anders betrachtet: Das mystische Geheimnis der beiden Hauptsakramente Taufe und Abendmahl (Brot und Wein).

Gewagter Blick

Eine in ein blaues Tuch gewickelte Frau steht im Dialog mit dem Licht hinter einem raumteilenden Vorhang. Sie hat ihn ein wenig zur Seite geschoben, so dass sie unentwegt das blendend weiße Licht schauen kann. Dieses scheint auf der linken Seite so stark, dass es den Vorhang durchdringt und diesen gleichsam entmaterialisiert. Vom energiegeladenen Lichtereignis führt die Bewegung im Bild über den ausgestreckten Arm und die Falten des blauen Wickeltuches in die dunklere Ecke rechts unten, in der sich hinter der Ferse der Frau – die Wellenlinien ihrer Körperkontur aufnehmend  – eine Schlange windet. So gibt es im Gemälde ein dunkleres Diesseits, von dem aus die junge Frau den Blick wie von einer Bühne in ein unbeschreibliches Jenseits wagt.

„Maria“ nennt die Künstlerin das Bild, das die Frau „voll der Gnaden“ ganz anders als gewohnt und doch sehr treffend darstellt. Anders ist der moderne Kontext, in dem sie zwischen Licht und Schatten steht, dem „lichten“ Ruf folgend sich Gott zuwendet und dem Bösen und der Versuchung (in Gestalt der Schlange) widersagt. Treffend ist sie in ihrer Mittlerposition zwischen Gott und der Welt wiedergegeben. Es bleibt offen, im Bild die „Verkündigung an Maria“ zu sehen, die beispielhafte „Nachfolge Mariens“, eine Andeutung der „Himmelfahrt Mariens“ oder auch den „Apokalyptischen Kampf“.

Verkündigung
In traditionellen Darstellungen wird Maria vom Engel „heimgesucht“ – oder auch: „daheim besucht?“ Die Initiative liegt beim von Gott gesandten Engel, Maria verhält sich passiv bejahend (vgl. Lk 1,28-38). Hier scheint es so, als würde Maria aktiv einem Impuls der Neugier folgen, indem sie vorsichtig den Vorhang öffnet, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt, während der Engel nicht personifiziert dargestellt ist. Wer könnte dem wehren, da Maria mit so großer Zartheit und Unschuld wie beiläufig den Vorhang beiseiteschiebt, nicht ahnend, dass sie damit eine Grenze überschreitet, die über ihren Daseinsbereich hinausgeht: Die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits, Immanenz und Transzendenz, endlichem Raum und Zeitlosigkeit. So wird mit dem geöffneten Vorhang gleichzeitig eine höhere, heilsgeschichtliche Ebene angedeutet: Die bisher absolut geltende Grenze zwischen Gott und Mensch – für die auch der Vorhang stand, der in der Stiftshütte das Volk Israel vom Allerheiligsten trennte – wurde mit der Menschwerdung Gottes geöffnet.

Nachfolge
Durch das über ihrem rechten Arm hängende halbtransparente Tuch wird die Schwangerschaft Marias angedeutet. So kann sie als Gott schauende Christusträgerin gesehen werden. Sie erkennt in Jesus Gottes Sohn und sein Licht und folgt ihm daraufhin ihr Leben lang. So steht das Bild für die radikale Veränderung ihres Lebens, aus der eine lebenslange Haltung und Orientierung resultiert: Vorbildlich das Licht und damit das Gute im Blick zu behalten und das Leben aus dieser Grundhaltung heraus zu gestalten.

Aufnahme in den Himmel
Ihr gewagter Blick ermöglicht eine Vorschau dessen, was sie am Ende ihrer Tage erwarten wird: Vom Licht, das sie in sich aufgenommen und getragen hat und dem sie durch alle Höhen und Tiefen hindurch treu gefolgt ist, aus dem Tod erhoben, umarmt und in Ewigkeit gehalten zu werden.

Machtkampf
Ebenso finden sich Hinweise auf die schwangere Frau auf den Wolken, deren Kind vom Drachen bedroht wird (Offb 12,1-6). Der neutrale Boden wirkt durch die Schattierungen und Lichtreflexe wie ein Wolkenmeer über einer Wüstenlandschaft, es kleidet sie zwar kein Sonnenlicht, doch das starke Licht ist da und der Drache wird durch die Schlange symbolisiert. Es ist ein stiller Machtkampf zwischen Gut und Böse dargestellt, zwischen den Mächten des Himmels und der Erde, bei dem ganz klar das Licht gewinnt und die Schlange davonziehen muss. Vorbildlich hat Maria dem Reptil den Rücken zugewendet und ihre Augen zum Herrn erhoben, um ihn unentwegt zu schauen und ihr Heil von ihm zu erwarten (vgl. Ps 123).

Dieser gewagte und doch zuversichtliche Blick Mariens erhält durch den fast bildfüllenden Vorhang eine weitere Bedeutung. Während die rechte Hälfte von seiner braungrauen Farbigkeit her undurchdringlich erscheint, erstrahlt die linken Hälfte in einer zarten Farbigkeit von blauem und rotem Purpur und Karmesin und vermag dadurch auf den Vorhang im Offenbarungszelt (= Stiftshütte) zu verweisen, der das Heiligste vom Allerheiligsten mit der Bundeslade trennte (vgl. Ex 26,31ff; Ex 36,35), zu dem nur Aaron und seine Söhne Zugang hatten. Allen anderen war bei Todesstrafe der Zutritt verwehrt. Wie revolutionär mutet es nun an, wenn mit Maria eine Frau – der inneren Berufung folgend – es wagt, den Vorhang im „Tabernakel“ (lat. tabernaculum = Zelt, Hütte) mit sanfter Hand zur Seite zu schieben, um im Licht Gottes Herrlichkeit zu schauen und diese gleichsam über den Blick bejahend in sich aufzunehmen? Dadurch, dass die Künstlerin Maria ihre eigene Gestalt und eigenen Gesichtszüge gab, hat sie eine Brücke zur Gegenwart geschaffen und verstärkt die Einladung zur Nachahmung. Wir sollen wie sie die Erfahrung des Psalmisten erleben: „Meine Augen schauen stets auf den Herrn; denn er befreit meine Füße aus dem Netz.“ (Ps 25,15) Wir sollen wie sie erfahren: „Wenn wir offen sind für die Wirklichkeit Gottes, kann sich alles verändern.“ (Kardinal Marx)

Erstaunlicherweise zeigt sich Maria weder vom Licht geblendet noch erschrocken. Sie ist für die Begegnung mit Gott auch nicht besonders gekleidet. Barfuß und im übergeworfenen Umhang sieht es mehr danach aus, als sei sie eben aufgestanden, weil sie ein Klopfen oder Rufen gehört hat und nun mit dem Gewicht auf ein Bein verlagert gerade einen Blick nach draußen wagt, um den Rufer ausfindig zu machen. Maria geht einem Weckruf nach, Gottes Weckruf an uns. Alltäglich ruft Er uns aufzustehen, Ihn zu schauen, in Seinem Licht zu erkennen, was im Hier und Jetzt notwendig ist, und es mutig zu tun.

Beflügelndes Miteinander

Leben ist diesem vermutlich intuitiv entstandenen Bild eingeschrieben. Leben ohne Vorgabe, ungebundenes, freies Leben! Lebendigkeit, die sich in der spielerischen Entfaltung von Strichformen und Farbakzenten, in der freien Bewegung und dem geselligen Miteinander äußert.

Das helle und fröhliche Bild kann auf ganz unterschiedliche Weise betrachtet werden. Nachfolgende Zugänge können eröffnende Impulse sein.

Welcher Strich, welches Lebenszeichen, mag wohl der erste auf der Leinwand gewesen sein? Wo fand ein zweiter Strich seinen Platz, als Ausgleich und Partner zum ersten? Welcher Strich ergänzte dieses Paar zu einem Trio bzw. zu einer Familie? Auf welche Weise verdichteten sich die Striche bis nach und nach das komplexe Gefüge einer (Farb- und auch Lebens-) Gemeinschaft entstand? Welche Striche sind bei der Entstehung der Komposition übermalt worden und haben dabei die Farbe gewechselt?

Die vielen Pinselstriche verunmöglichen wie bei einem Schneegestöber einen Blick in die Tiefe. Während vorne die starken Farben wirken, verwirbeln die schwächeren nach hinten. Die unterschiedliche Intensität ermöglicht umgekehrt ein Auftauchen oder Erscheinen der Farben, indem die Pinselstriche mit zunehmender Farbigkeit in den Vordergrund rücken und über den anderen Strichen zu schweben scheinen.

Diese lebensfrohe Komposition durchziehen fast unmerklich Bewegungen, die durch farb- und formbedingte Verdichtungen entstanden sind. Sie äußern sich in vielfältigen Bezügen, Farbintensivierungen, Aneinanderreihungen, Gruppenbildungen. So bilden zwei „Linien“ – ausgehend von den unteren Ecken – über der Bildkante eine in das Bild hineinführende Dreiecksform. Darüber, leicht nach rechts verschoben, eine Ansammlung von gelb-orangen und violetten Strichen, die eine Kreisform ohne feste Mitte bilden. Zudem schwingt ein großer Bogen von der rechten unteren Ecke links um die Kreisform herum zur rechten oberen Ecke hoch. Nicht zuletzt finden sich in der linken oberen Ecke gelb-orange Striche dicht beieinander. Einen Akzent bildet der vielfarbig schräg angelegte blau-weiße Strich in der oberen Mitte. Er wirkt in seiner Umgebung von gelben und weißen Strichen wie ein Ruhepol im Fluss der Farben, wie ein „Aufhänger“ oder Anker bei gedanklicher Unruhe. Ein spiegelbildliches Gegenüber oder „Dialogpartner” findet er in der gelbrot übermalten dunkelblauen Spitze des Dreiecks unten.

Es ist ein Tanz der Farben auf der Leinwand, bei dem jeder Strich voller Kraft und Dynamik für sich selbst stehen könnte und ein eigenes Kunstwerk bildet. In schier endloser Kombination steht jeder farbige Pinselstrich mit den anderen im Dialog und zusammen entwickeln sie eine Dynamik, die im Miteinander über sich selbst hinauswächst: beflügelnd, begeisternd, beseelend, bestärkend, belebend, bewegend. Durchdrungen und getragen von Dem, der das Leben selbst ist und es mit Seiner Liebe erfüllt.

In dem Sinne könnte das Gemälde ein Sinnbild einer Gesellschaft sein, die aus Individuen, wechselnden Gruppen und deren Interaktionen besteht. Einer Gesellschaft, in der durch die Liebe erbauende und einende Kräfte wirken, welche die vielen auseinanderstrebenden Gruppen zu einer Gemeinschaft verbinden. Ganz wie der Apostel Paulus Gläubige in Kolossai ermahnt: „Vor allem bekleidet euch mit der Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist! Und der Friede Christi triumphiere in euren Herzen. Dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar!“ (Kol 3,14-15) Wer so lebt, wird – wie jeder Pinselstrich im Bild – Spuren voller Leidenschaft, spontaner Lebenszeichen, tiefgründiger Freude hinterlassen, die das Miteinander beflügeln.

Herzensarbeit

Wie eine kosmische Wolke schweben und leuchten die vielen stilisierten Sterne vor dem nachtschwarzen Hintergrund. Jeder Stern ist aus sechs sich kreuzenden Strichen zusammengesetzt. Ihre Farbigkeit erinnert an eine bunte Blumenwiese oder an ein sich immer wieder neu entfaltendes Feuerwerk. Unterschiedliche Größen formen Gruppen und vermitteln ein natürliches Wachstum und einen lebendigen Dialog zwischen den einzelnen Sternen und Sternhaufen. Ein Dutzend weißer Sterne umgibt den Verband wie vorgelagerte Außenposten. Der „Blumenteppich“ leuchtet durch seine starke Farbigkeit von innen heraus, die dunkleren und dahinterliegenden Sterne verleihen dem Gebilde eine kosmische Tiefe und lassen eine starke Lichtquelle hinter dem Betrachter vermuten.

Das Bild ist über einen längeren Zeitraum entstanden. Jeden Tag hat der Künstler in einer anderen Farbe einen Stern gemalt oder eine Blume sich entfalten lassen. So haben sich über die Wochen und Monate viel Zeit und Aufmerksamkeit in diesem Bild versammelt und jedem einzelnen Stern in dem Gesamt einen einzigartigen und leuchtenden Platz gegeben.

Das Sternenmeer oder der „fliegende Blumenteppich“ lassen mich an den bekannten Pfadfinderspruch denken: „Jeden Tag eine gute Tat!“ Denn durch jede gute Tat, durch alles, was man tut, um anderen eine Freude zu machen, geht gewissermaßen ein Stern oder eine Blume auf. Jede gute Tat verändert  positiv das Leben des Beschenkten – und auch des Schenkenden selbst. Gutes Tun erfüllt den Tag mit Sinn und Zufriedenheit, weil das Leben wertgeschätzt und gefördert wird.

Jesus lebte uns beispielhaft vor, auf wie vielfältige Weise man Gutes tun kann. Seine Worte waren und bleiben Worte der Wahrheit und des Heils. Er holte Verstoßene und Ausgegrenzte in die Gemeinschaft zurück und gab ihnen neue Chancen. Er war barmherzig, wenn Menschen ihre Verfehlungen erkannten und um Vergebung baten. Er lebte in Armut und anspruchslos ganz aus der Beziehung zu seinem himmlischen Vater. Die guten Worte und Werke Jesu leuchten wie Sterne in der Nacht, sie sind für jeden, dem sie zugutegekommen, eine bleibende Wohltat und Freude, ein ewiges Heil.

Paulus ermutigt die Gläubigen in Galatien (Gal 6,10): „Deshalb lasst uns, solange wir Zeit haben, allen Menschen Gutes tun“ und die Gemeinde in Thessaloniki (2 Thess 3,13): „Ihr aber, Brüder und Schwestern, werdet nicht müde, Gutes zu tun!“ Seine Worte tönen bis in unsere Zeit, wo sie auch von weltlichen Seelenführern aufgenommen werden, weil das Gute-Tun einen wesentlichen Einfluss auf das Glück aller und auch das Seelenheil des Schenkenden hat.

So leuchten auch unsere guten Gedanken, Worte und Werke wie Sterne im Leben unserer Mitmenschen. Insbesondere wenn es ihnen nicht gut geht, ist das an sie herangetragene Gute in ihrer Dunkelheit ein Lichtblick der Hoffnung, in ihrer Ratlosigkeit haltgebende Orientierung, in ihrer Krankheit oder Einsamkeit eine heilsame Umarmung, in der Armut und Not eine wertvolle Zuwendung.  In unserem Leben brauchen wir das Gute so notwendig wie die Luft zum Atmen. Ist es da verkehrt, in dem Sternenensemble auch ein Herz, mehrere Herzen oder zwei Lungenflügel zu sehen, die das Gute ein- und ausatmen – immer und immer wieder – und es zum Leuchten bringen?

Geisteskraft

Eine eruptive Stichflamme bestimmt dieses Bild. Sie bricht aus dem dunklen kantigen Teil des Bildes hervor und gestaltet lebendig die Bildmitte. Sie ist der helle Mittelpunkt im dunkleren Umfeld. Sie ist das Licht in der Nacht, die unbändige Kraft in der lähmenden Kälte der Erstarrung.

Der abstrakte Aufbau des Bildes lässt keine zeitliche oder örtliche Zuordnung des Geschehens zu. Einzigartig und gleichzeitig unendlich steht es im Raum des sich stetig erneuernden Geschaffenen.

Es ist eine Urkraft zu spüren, die wie bei einem Vulkanausbruch aus der Tiefe kommend gewaltige Massen zu bewegen und zu verändern vermag. Mit den warmen Gelb- und Rottönen wird eine kraftvolle Energie angedeutet, das verdeckte Licht lässt ahnen, dass sie im Verborgenen agiert und der große Widerschein verweist auf ihre übergroße Wirkung.

Das Bild erinnert an Auferstehungsbilder, in denen sich Christus in hellem Glanz aus dem Grab erhebt. Vielleicht soll in dieser Assoziation aufleuchten, dass Jesus nach der Auferweckung von den Toten seinen Jüngern den „Heiligen Geist“ geschenkt hat (Joh 20,22), und „die Verheißung“ seines Vaters in Erinnerung rufen, dass „die Kraft aus der Höhe“ sie erfüllen wird (Lk 24,49). Schemenhaft und subjektiv meint man eine formatfüllende rundliche Form zu erkennen, die oben links eine Doppelung aufweist. Ob in diesen beiden “Köpfen” Vater und Sohn gesehen werden dürfen, die uns aus ihrer göttlichen Einheit heraus ihren Geist senden, damit wir mit ihnen eins werden? – So gesehen erscheint das Bild wie eine moderne Dreifaltigkeitsdarstellung!

Gleichzeitig darf das Licht in der Bildmitte mystisch spirituell auf uns gedeutet werden:  Der Heilige Geist ist ein Geschenk Gottes an alle Menschen, um aus einer intensiven Verbindung mit Gott unsere Beziehungen zu Ihm, den Mitmenschen und der ganzen Schöpfung zu gestalten. So ist es der Heilige Geist, der in dieser Verbundenheit in unseren Geistesblitzen aufleuchtet und der überall wirkt, wo wir geistesgegenwärtig seinen Impulsen folgend handeln. Der Heilige Geist stärkt unsere Begabungen, er brennt in unserer Leidenschaft und befeuert unser Engagement für das Gute.

Wie das Magma im Innern der Erde glüht der Heilige Geist in uns. Wir sind wie Vulkane, durch die seine erneuernde Lebenskraft fruchtbar in unsere Lebenswelten einfließen will. Das geschieht die meiste Zeit still und unbemerkt, doch es gibt auch gewaltige Ausbrüche und Manifestationen, bei denen große Veränderungen und Wandlungen bewirkt werden. Die schöpferische und erneuernde Kraft des Heiligen Geistes wird oft unterschätzt. Sie vermag Welten zu bewegen und in einem stetigen Prozess zu erneuern. Die gleiche Kraft Gottes ist in uns aktiv, belebt und erneuert uns unablässig. Sie ermutigt, stärkt, tröstet und fördert unseren Geist und unsere Kräfte in einem uns angemessenen Maß. Zum einen durch den Glauben, dann durch die Hoffnung, vor allem aber durch die Liebe.

 

1. Der Geist des Herrn erfüllt das All
mit Sturm und Feuersgluten;
er krönt mit Jubel Berg und Tal,
er lässt die Wasser fluten.
Ganz überströmt von Glanz und Licht,
erhebt die Schöpfung ihr Gesicht,
frohlockend: Halleluja.

2. Der Geist des Herrn erweckt den Geist
in Sehern und Propheten,
der das Erbarmen Gottes weist
und Heil in tiefsten Nöten.
Seht, aus der Nacht Verheißung blüht;
die Hoffnung hebt sich wie ein Lied
und jubelt: Halleluja.

3. Der Geist des Herrn treibt Gottes Sohn,
die Erde zu erlösen;
er stirbt, erhöht am Kreuzesthron,
und bricht die Macht des Bösen.
Als Sieger fährt er jauchzend heim
und ruft den Geist, dass jeder Keim
aufbreche: Halleluja.

4. Der Geist des Herrn durchweht die Welt
gewaltig und unbändig;
wohin sein Feueratem fällt,
wird Gottes Reich lebendig.
Da schreitet Christus durch die Zeit
in seiner Kirche Pilgerkleid,
Gott lobend: Halleluja.

Maria Luise Thurmair, GL 347 / EG 554

Link zu allen Pfingstbildern der Künstlerin

Befreiung zum Leben

Jedem der drei heiligen Tage ist im Triptychon ein Bild gewidmet: Karfreitag, Karsamstag und Ostern. Farblich sticht durch die rötlich-braune Farbe das mittlere Bild heraus, von der Form her ist das Kreuz am besten zu fassen, während das Osterbild je nach Sichtweise Unterschiedliches zu sehen ermöglicht.

Die hellen, gleichlangen Balken verweisen als Kreuzzeichen auf den Tod Jesu, weshalb dieses Bild dem Karfreitag zugeordnet werden kann. Das Kreuz wirkt wie eine Klammer über dem breiten Rahmen, wie ein Gitter vor einer Fensteröffnung, um etwas Dahinterliegendes zu versperren. So sehr das Kreuz im Vordergrund steht, führt der Blick daran vorbei in die Tiefe, in eine mit lichten Punkten durchsetzte Finsternis. Das Lichtermeer in der Nacht erinnert an das stille Totengedenken auf Friedhöfen, bei denen allein die Kerzenlichter bis zum Verlöschen bei den verstorbenen Lieben ausharren.

Doch das Kreuz selbst trägt im „Brustbereich“ oder im Herzen das Leiden und den Schmerz, den Tod und die Einsamkeit. So erhält seine Gestalt menschliche Züge, bei der die Arme weit ausgebreitet sind – wie um alle Menschen aufzufangen und vor dem Verderben zu retten. Auch die weißliche Farbe des Kreuzes kann in diese Richtung gedeutet werden: Jesus ist der, „der heilig ist, frei vom Bösen, makellos, abgesondert von den Sündern und erhöht über die Himmel.“ „Darum kann er auch die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten.“ (Hebr 7,26.25) Das helle Kreuz macht deutlich: Jesus ist „das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ (Joh 1,29).

Das Starre, Recht-Eckige, Unflexible und Unbewegliche findet sich auch im zentralen Bild. Die engmaschige Gitterstruktur der schwarzen Linien erinnert an ein dorniges Heckendickicht. Doch im Durchblick auf das rötliche Licht ist Verwandlung spürbar. Dunkel ist bereits die schalenförmige Grundstruktur des Auferstehungsbildes angedeutet, aber sie gleicht mehr einem von Erkenntnis erschrockenen und darunter leidenden Kopf. Inferno und Fegefeuer können in diesem Bild gesehen werden, aber auch eine Transformation zu etwas Neuem. Oder ein alle Verstorbenen vertretendes Gesicht, das als Seele darauf hofft, bei Gott Erbarmen zu finden und von Jesus beim Hinabsteigen zu den Toten gerettet zu werden.

Das dritte Bild nimmt die weiß-braunen Farben des linken Bildes auf und ordnet sie neu. Gott läutert und wandelt das Bestehende in der glühenden Kraft seiner Liebe zu einem befreiten, ungebundenen Leben, das allein aus der Liebe heraus handelt. Es gibt nicht mehr verschiedene Ebenen, sondern nur noch die Gegenwart der Auferstehung. Formal wird das durch die freien und lebendigen Formen zum Ausdruck  gebracht, inhaltlich durch die Heimkehr zu Gott, der Begegnung mit IHM, seiner Umarmung und der dadurch erfahrenen Geborgenheit (vgl. Lk 15,24). Die schwungvollen Formen machen zudem deutlich, dass die Auferstehung ein lebendiger Prozess des Erkennens und Wahrnehmens ist, in dem die neue Wirklichkeit Gottes in unserem Leben erst nach und nach sichtbar wird. So ähnlich wie bei den Emmausjüngern (vgl. Lk 24,13-35), die ebenfalls in diesem Bild gesehen werden können.

Die Zusammenschau aller drei Bilder tut gut und ermöglicht ein Ausloten und Finden des eigenen Standpunktes. Das Triptychon zeigt in Leserichtung einen befreienden Entwicklungsprozess auf: Das stellvertretende Opfer Jesu und seine Auferstehung befreien zu einer erneuerten Beziehung zu Gott, die Kraft und Mut gibt, Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv und kreativ den Aufgaben unserer Zeit zu stellen.

Erlöser der Welt

Zweifach und dem Betrachter frontal zugewandt wird der segnende Christus in diesem Diptychon dargestellt. Jesus ist in beiden Bildern nach dem berühmten Vorbild des Salvator Mundi von Leonardo da Vinci um 1500 wiedergegeben, allerdings in Grisaille-Technik und mit deutlichen Veränderungen. Im Vergleich zum Original – bei dem Jesus in idealer Gestalt als Licht und Erlöser der Welt aus dem dunklen Hintergrund heraustritt – hat Manfred Scharpf gerade die Hintergründe am stärksten verändert und dadurch Christus als Salvator Mundi, als Erlöser der Welt, in neue Zusammenhänge gestellt.

In jedem Bild sind in Variationen die gleichen acht Elemente dargestellt: Christus, der Hintergrund, die Doppelkugeln in seiner Hand, das Weinglas bzw. der Kelch auf der linken Seite, der Brustschmuck, die Seifenblasen, die Klaviatur der Farben als Basis des Bildes und die Zeichen der Zerstörung und des Aufbruchs. Die meisten Elemente sind komplementär, also gegensätzlich, aber sich ergänzend dargestellt. Sie erzählen unterschiedliche Geschichten, zielen aber auf das Gleiche. Im Vergleich der Unterschiede entsteht die Frage nach deren Bedeutung. Durch die Nebeneinanderstellung der beiden Varianten erweitert sich der Dialog zwischen den nicht abschließend zu entschlüsselnden Symbolen.

Links wirkt der Erlöser gealtert. Vor allem im Halsbereich ist ein Netz von Sprüngen und Rissen zu beobachten, die auf den Verfall des Originalbildes verweisen. An den Stellen, die auf dem nicht restaurierten Originalbild von Da Vinci größere Fehlstellen aufwiesen, sind bei Manfred Scharpf gemalte Verletzungen und Durchbrüche der Leinwand zu sehen. Sie sind mit dem kostbaren Pigment Lapislazuli gefüllt und deuten auf einen dahinterliegenden Himmel. Jesus wird mit einer traubenbehangenen Krone dargestellt, eingewachsen in das Astwerk einer Weinrebe. So erscheint er als Dionysos, der griechische Gott des Weines, der schöpferischen Naturkraft und der Ekstase. Die Darstellung erinnert aber auch an die Worte Jesu: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“ (Joh 15,5) Dieser Satz tönt wie eine Mahnung, dass Jesus als Salvator Mundi nur die erlösen kann, die mit ihm in enger und lebendiger Beziehung leben. So wie Jesus mit dem Ast- und Blattwerk verwachsen in den Hintergrund rückt, verstärkt die Distanzierung die Aussage, dass er im Lebensalltag vieler Menschen keine große Rolle mehr spielt.

Dagegen ist der Messkelch im blauen Kreis nach vorne ins Blickfeld gerückt wie ein Markenzeichen. In der Kugel in der Hand des Erlösers ist er schwach angedeutet und steht schief. In der schwebenden Kugel steht der Kelch jedoch gerade und leuchtet farbintensiv. Neben dem Brustschmuck in Form eines gebrochenen und mit einem Nagel durchbohrten Herzens vermag der Kelch an die Worte Jesu beim letzten Abendmahl zu erinnern: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis! […] Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.“ (Lk 22,19-20) Erlösung ereignet sich gerade in der Kommunion mit Jesus in der Gestalt von Brot und Wein. Die Heilkraft des Kelches wird durch die Struktur eines aufgeschnittenen Achats verstärkt, der den Ruf eines Heilsteins hat (vgl. Hildegard von Bingen) und die Form eines Omega zeichnet, des letzten Buchstabens im griechischen Alphabet. „Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Wer durstig ist, den werde ich unentgeltlich aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt.“ (Offb 21,6) Damit geht es im Abendmahl um mehr als um eine Grals-Mystik, – in der der Kelch als wunderkräftiges, heiliges Gefäß, als Gral, beschrieben wird, – denn Jesus schenkt uns Erlösung durch die Spende seiner ewigen Lebenskraft.

Auch im rechten Bild ist der Hintergrund stark gegliedert. Die Natur ist durch menschliche Bauten vollständig verdrängt worden. In der Bildmitte trennt eine Mauer aus Goldbarren die Welt der Menschen mit Atomkraftwerken, religiösen Bauten und Hochhäusern, die wie rauchende Fabrikschlote wirken, von der göttlichen Welt. Die Geld- und Profitgier beutet die Ressourcen der Schöpfung schonungslos aus, mit der Folge, dass die Schönheit der ursprünglichen Schöpfung völlig verunstaltet und verschwunden ist.

Jesus als Erlöser ist durch die Mauer klar von dieser Menschenwelt getrennt und dadurch in den Vordergrund gerückt. Seine segnende Hand erscheint mit dem erhobenen Zeigfinger in diesem Kontext mahnend. Auch die schwebenden Seifenblasen mahnen, dass die „Blase“ schnell platzen und sich der scheinbare Reichtum in Nichts auflösen kann. Auch aus dieser Darstellung kann Jesus gehört werden, wie er sagt: „Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen! Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. […] Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zum einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ (Mt 6,19-21.24)

In diesem Bild wird in der farbigen Glaskugel die Natur in der Gestalt eines Weinstocks hervorgehoben. Er wirkt wie eine Antithese oder Vision zur zerstörten Natur im Hintergrund. Der Weinstock verweist auf den Ursprung und erinnert an die bereits zitierten Worte, dass ER der Weinstock und wir die Reben sind und wir von IHM getrennt nichts Dauerhaftes zustande bringen. Die Trauben, die Jesus wie nebensächlich auf dem Zeigefinder seiner segnenden Hand balanciert, verstärken diese Aussage. Sie befinden sich an einem zentralen Ort in diesem fein pointierten „Denk-mal“. Als rundes, natürliches und mit Leben gefülltes und dadurch göttliches Element bilden sie einen formalen Gegensatz zu den eckig-künstlichen Goldbarren. Ihnen scheint eine große Sprengkraft innezuwohnen, denn an dieser Stelle beginnt die Mauer instabil zu werden und die Gold-Ziegelsteine in der Mauer des irdischen Paradieses beginnen herunterzufallen. Diesbezüglich wiederholt und verdichtet sich das linke Bild in diesem Rondo.

Es bleibt die Reflexion der fallenden Gefäße und des roten Scheins im Hintergrund des rechten Bildes. Während das Weinglas mit den grünen Trauben unauffällig dargestellt ist, spritzt aus dem Kelch im rechten Bild eine rote Flüssigkeit heraus. Ist es das Blut, das Jesus für uns vergossen hat und das mit roten Tropfen im linken Brustschmuck bereits angedeutet wird? Oder deutet der fallende Kelch auf die versäumte Chance, das Heilsangebot Jesu anzunehmen und durch ihn Erlösung von allen Gebundenheiten zu erhalten, die unfrei und krank machen und zum Tode führen? Die rote Farbe findet sich hinter Jesus ganz oben im Bild zwischen den Häusern am Horizont wieder. Zum einen als diffuser, indirekter Schein eines verborgenen Brandes oder einer sonnenähnlichen Lichtquelle, zum anderen als tropfenartige rote Punkte, die an Jesu Wort erinnern: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. […] Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf der Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, sondern Spaltung. […] Wenn ihr im Westen eine Wolke aufsteigen seht, sagt ihr sofort: Es gibt Regen. Und so geschieht es. Und wenn der Südwind weht, sagt ihr: Es wird heiß. Und es geschieht. Ihr Heuchler! Das Aussehen der Erde und des Himmels wisst ihr zu deuten. Warum könnt ihr dann diese Zeit der Entscheidung nicht deuten? Warum findet ihr nicht schon von selbst das rechte Urteil?“ (Lk 12,49a.5.54-57)

Das Diptychon thematisiert also zum einen unseren rauschartigen, egoistischen und die Welt ausbeutenden Lebensstil und zum anderen die entscheidende Kernfrage, ob wir Christus bzw. dem Salvator Mundi die Rettung und Erlösung der Welt noch zutrauen. Wenn nicht, dann muss der Mensch mit seinen beschränkten Fähigkeiten und Möglichkeiten permanent versuchen die Welt „selbst zu retten“ – mit den fatalen Folgen, die wir allenthalben sehen. Wenn ja, dann müsste jede und jeder einzelne von uns sehr viel demütiger sein und Gott einen Platz in seinem Leben geben, der Erlösung und damit Veränderung von innen heraus bewirkt.

Von Gottes Gegenwart erleuchtet erkennen

Kraftvoll umreißt die gelbe Linie eine menschliche Kopfform und lässt sie aus dem blau-grünen Grund hervortreten. Die Form ist nach oben geöffnet, wodurch die beiden geschwungenen Linien auch wie grafisch vereinfachte – den Kopf umfassende – Hände gesehen werden können. Nur das rechte Auge ist mit Bleistift ausgearbeitet und mit einem gelben Strich konturiert und hervorgehoben. Der Mund ist lediglich angedeutet. Alle anderen Gesichtsmerkmale sind weggelassen worden, um die Botschaft klarer zum Ausdruck zu bringen. Die Signatur am linken unteren Bildrand gleicht einem achtlos weggeworfenen Auge. Offensichtlich ist das zweite, für das räumliche Sehen wichtige Auge für den Prozess des geistigen Sehens unbedeutend.

Dafür bricht von der oberen rechten Ecke ein weißliches Objekt in die Bildfläche und den Kopf dieses Menschen ein. Die kantige Form lässt an einen keilförmig behauenen Stein denken, der, ohne die Schädeldecke zu verletzen, ins geistige Bewusstsein tritt, die eigenen Vorstellungen durchbricht und ins Geistige überführt. Die stilisierte Dreidimensionalität der Form kann auch als lichtes Buch gesehen werden, dessen Inhalte in den Geist des Menschen übergehen. Die weiße Farbe, die lebendige Offenheit der Form und die von oben hereinbrechende Bewegung erinnern auch an die Taube als Symbol für den Heiligen Geist.

Begeisterung? Oder geht es mehr um den Geist der Erkenntnis, um den Geist, der uns mit Gedankenblitzen mehr als nur das Sichtbare sehen lässt? Tut es nicht grundsätzlich und immer not, über die vordergründige Begrenzung hinauszusehen, die Wirklichkeit in ihren Höhen und Tiefen auszuloten und auch die geistige Dimension ins Auge zu fassen? Letztlich bis in die Seele zu blicken?  Der jugendliche Gesichtsausdruck und die wache Kopfstellung lassen spüren, wie dieser Mensch etwas Unsichtbares entdeckt hat und nun mit dem geistigen  Auge zu erkennen und mit dem Verstand zu „begreifen“ versucht.

Der fokussiert suchende und gleichzeitig die gesichtete Wirklichkeit abtastende Blick fasziniert. Der aufmerksam nach oben gerichtete Blick wirkt wie durch ein Fernrohr in die Weite gerichtet und gleichzeitig wie ein Röntgenblick, wie ein die Wirklichkeit durchdringendes Schauen, das auch unsichtbare Welten wahrnimmt und zu fassen versucht.  Die weichen, die Kopfform querenden Pinselstriche mögen für diese unsichtbaren und doch gegenwärtigen Welten stehen, die wie Gedanken durch den Kopf gehen und den Hintergrund wie das Wasser eines unergründlichen Sees erscheinen lassen.

Die gelben Linien elektrisieren. Es geht darum, nicht nur mit dem äußeren Auge zu erkennen, sondern die Wahrheit auch mit dem inneren, geistigen Auge zu sehen und anzunehmen, bis sich Gott im “Auge als Spiegel der Seele” wie ein Lichtpunkt widerspiegelt. Wer IHN in sein Leben aufnimmt und Jesus in allen Menschen erkennt, der ist ein von Gott wie von einem Keil Gezeichneter und gleichzeitig ein von Gottes Gegenwart Leuchtender.

„Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung, damit ihr ihn erkennt. Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt und wie überragend groß seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist durch das Wirken seiner Kraft und Stärke.“
(Eph 1,17-19)

Dialoge

In dem konstruktivistisch anmutenden Bild befinden sich sechs flächige Formen paarweise miteinander im Dialog. Zwei olivgrüne, senkrecht stehende Rechtecke bilden die größten Dialogpartner. Sie stehen sich in gleicher Größe und gleicher Höhe mit respektvollem Abstand gegenüber.

Über den olivgrünen Rechtecken sind oben zwei Quadrate miteinander im Gespräch, unten zwei breite grüngelbe Bogenformen. Beide Formen verbinden auf eigene Weise die beiden Rechtecke.

Die beiden Quadrate gleicher Größe sind versetzt übereinander und auch versetzt zur Mitte angeordnet. Ihre Gestaltung ist gegensätzlich: Während das obere Quadrat durch das Blattgold hell leuchtet und sich solitär über den beiden gelben Bogenformen erhebt, ist  das dunkelgrüne Quadrat durch seine farbliche Nähe zu den darunterliegenden Rechtecken nur schwach präsent bzw. hat es für diese eine Brückenfunktion.

Die beiden Bogenformen sind die einzigen dynamischen Elemente im Bild. Ihre Bewegung führt von der Seite her nach oben und nach unten gewölbt zueinander und übereinander, um auf der anderen Seite wieder auseinanderzugehen. Die eine ist wie eine Schale nach oben geöffnet, die andere wölbt sich entgegengesetzt wie ein Hügel in der Landschaft. In der teilweisen Überlagerung verdichtet sich ihre Farbe und erhalten die Formen Halt.

Ein Stück Stacheldraht und das Wort DU bilden das letzte Gesprächspaar. Während das helle, goldgelbe DU für das Gegenüber offen ist und es zur Begegnung einlädt, grenzt der schwarze Stacheldraht das Gegenüber als unerwünschte Person aus. In der Mitte des Bildes erinnert er auch, dass Begegnungen und Beziehungen mitunter nicht harmonisch verlaufen und zu Verletzungen und Ausgrenzungen führen können.

Mit diesen vier symbolischen Gesprächspaaren und ihrem Dialog miteinander und untereinander ist in dem Bild alles auf Begegnung und Beziehung ausgerichtet. Dabei wird das verbindende und gemeinschaftsstiftende Wesen von Begegnungen ebenso sichtbar, wie der respektvolle Dialog auf Augenhöhe oder die Verletzlichkeit, die entsteht, wo Menschen sich einander öffnen. Ermutigend, tröstend und vergebend leuchtet über allen menschlichen Begegnungen das für Gott stehende goldene Quadrat. Als Quelle des Lebens ist er der Ursprung jeder Begegnung. Als das Licht der Welt begleitet und führt er uns durch alle Höhen und Tiefen.

So spiegelt sich in den vielfältigen Bezügen der konstruktiven Bildformen Gottes trinitarisches Wesen und seine liebevolle Zuwendung zum Menschen: Die beiden senkrechten Hintergrundrechtecke können als Gesetzestafeln gesehen werden, als haltgebende Struktur für die menschliche Gemeinschaft, die deutlich Recht und Unrecht, Gut und Böse unterscheidet. Alle anderen Formen stehen – diese Spaltung verbindend – darüber: Das goldene Quadrat als Symbol für die Vollkommenheit, das Licht und die Liebe Gottes. Das grüne Quadrat als Symbol für die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, aber auch für das überwundene Leid. Und drittens die grüngelben, gebogenen Formen, in deren Begegnung sich der Heilige Geist im Dialog zwischen DU und ICH lebendig realisiert.

Wirbel um das Licht

Kreisförmige Bewegungen ziehen wie bei einem Strudel alles zur weißen Mitte hin. Die Spirale erinnert an Naturphänomene wie Wasserstrudel, Gletschermühlen, Wirbelstürme, Schneckenhäuser u.a.m. Im Wesentlichen besteht das Bild aus Blautönen, die an einen Wassersog nach unten erinnern. Doch dann müsste es zur Mitte hin immer dunkler werden. Im Bild wird es jedoch immer heller und die kreisrunde Mitte erscheint mit den gebogenen Strahlen eher wie ein leuchtender Stern in dunkler Nacht.

Dieser Zugang wird unterstützt durch die mit Hügeln und Bäumen angedeutete Landschaft, die links unten zu erkennen ist. Sie wird zur Mitte hin in den Wirbel hineingezogen und löst sich dabei auf.

Was ist das für ein Wirbel um ein Licht, das die ganze Schöpfung um sich kreisen lässt und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht? Was ist das für ein Stern, der sich der Dunkelheit widersetzt, ja kontrastreich in sie hineinzustrahlen und sie nachhaltig aufzuhellen vermag? Was ist das für ein Licht, das auch in der größten Dunkelheit noch wahrnehmbar ist und seine rettende Anziehungskraft ausübt?

In Psalm139,12 werden diese Gedanken staunend mit Gottes Allgegenwart in Verbindung gebracht: „Auch die Finsternis ist nicht finster vor dir, die Nacht leuchtet wie der Tag, wie das Licht wird die Finsternis.“ Und der Prophet Jesaia kündigt die Geburt des messianischen Herrschers mit dem Aufstrahlen eines hellen Lichtes über dem Volk an, das in der Finsternis lebt. Dieses Licht entreißt das Volk den „Todesschatten“. Er schreibt: „Denn ein Kind wurde uns geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt. Die Herrschaft wurde auf seine Schulter gelegt. Man rief seinen Namen aus: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Die große Herrschaft und der Frieden sind ohne Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, es zu festigen und zu stützen durch Recht und Gerechtigkeit, von jetzt an bis in Ewigkeit.“ (Jes 9,1-6)

Die Geburt dieses Kindes wandelt den Sog nach innen in einen nach außen sprühenden Wirbel. In wunderbaren Worten beschreibt Paulus im Brief an die Kolosser das Heilswirken Gottes durch Jesus Christus: „Dankt dem Vater mit Freude! […] Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes. […] Er ist Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. […] Alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen. […] um durch ihn alles auf ihn hin zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.“ (Kol 1,12a.13.15,16c.20)

Der Wirbel um das Licht ist also weit über die Advents- und Weihnachtszeit hinaus berechtigt, sofern Jesus Christus der Dreh- und Angelpunkt ist. Und überall, wo dem so ist, geht von ihm eine alles durchdringende, zum Leben verwandelnde Segenskraft aus.

Präsent

In der als Diptychon geteilten, kleinformatigen Arbeit begegnen sich und auch uns ganz unterschiedlich gestaltete Bildwelten, die scheinbar unvermittelt nebeneinanderstehen:

Das linke Bild zeigt Maria aus der von Matthias Grünewald zwischen 1512 bis 1516 gemalten Verkündigungstafel des „Isenheimer Altars“. Durch den knapp bemessenen Bildausschnitt ist die Gestalt Mariens aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang herausgelöst und von allen umgebenden Bildsymbolen freigestellt. So bleibt der Fokus auf ihrem seitlich abgewendeten und nach hinten geneigten Kopf, der ihr überraschtes Zurückweichen vor dem Engel, aber auch ihr konzentriertes Hinhören zum Ausdruck bringt. Am rechten Bildrand – in Verlängerung der diagonal ins Bild führenden gelockten Haarsträhne – weisen die zum Gebet gefalteten Hände bereits auf die andere Seite des Diptychons.

Die zweite Bildfläche ist bis auf die Zeichnung rechts oben ganz in lichtem, changierendem Grau gehalten. Eine zart angedeutete Mauer füllt die unteren zwei Drittel des Hochformats. Die obere Abschlusskante setzt sich in das linke Bild fort und verbindet dadurch beide Bildtafeln miteinander. Wo in Grünewalds Originalbild mächtig der rot gewandete Engel vor Maria steht, ragen hier von rechts oben nur zwei im gleichen Rot gehaltene Hände ins Bild, die ein mit Geschenkband verschnürtes Päckchen halten. Die fein umrissenen Hände erinnern an Kinderhände oder an die eines Engels, die das Paket von jenseits der Mauer und aus dem Himmel in den Bildraum hineinreichen. Anstatt es freudig entgegenzunehmen, beäugt Maria die Gabe abschätzend aus den Augenwinkeln, denn die eingeschriebene Kreuzform wird ihr nicht entgangen sein. Noch bleiben die Hände geschlossen im Gebet, nur die gekreuzten kleinen Finger mögen andeuten, dass sie ihre stille Frage, wann der HERR den verheißenen Messias sendet, mit ins Gebet genommen hat. Die zeitenwendende Antwort des Engels lautet: Jetzt! – Und auf ganz andere Weise, als sie es erwartet hätte, weil sich seine Ankunft ganz persönlich mit ihrem Leben verbindet. Darum erschrickt Maria bei den Worten des Engels. – Und aus dem Lukasevangelium wissen wir, dass sie das Geschenk angenommen hat: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ (Lk 1,38)

Das Diptychon thematisiert neben der Glaubenserfahrung Mariens auch unsere eigene. Manches Widerfahrnis stellt sich im Nachhinein als großes Geschenk, als großer Segen dar, obwohl wir es uns nicht ausgesucht hatten und es, wenn man uns gefragt hätte, rundheraus abgelehnt hätten. „Präsent“ bedeutet sowohl „Geschenk“ als auch „Gegenwart“. Der Andachtsbildcharakter der Arbeit lädt uns ein, beide Bildhälften mit unserem eigenen Leben in Beziehung zu setzen: Als Ereignis im Jetzt. So präsent wie Maria das Geschehen bei der überraschenden Verkündigung durch den Engel Gabriel erlebt hat. Und genauso wie Matthias Grünewald rund 1500 Jahre später seine Verkündigung an Maria als gegenwärtiges Geschehen in das Spital der Antoniter versetzt hat, damit die Kranken Jesus leibhaftig vor Augen sehen und in ihrem Herzen aufnehmen konnten.

Vielleicht hilft uns bei unseren Überlegungen, dass der Engel Maria zweimal als Frau der Gnade angesprochen hat: zuerst als „Begnadete“, dann als diejenige, die „bei Gott Gnade gefunden“ hat (Lk 1,28.30). Im „Ave Maria“ wiederholen wir den englischen Gruß, wenn wir beten: „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit Dir“. Wie Maria bietet Gott auch uns seine Gnade als Geschenk an:  Seine heilsame, Heilung bewirkende Gegenwart in uns, Gottes innigste Zuneigung zu und Liebeserklärung an uns!

Bund für‘s Leben

Die Botschaft des Engels an Maria, dass sie den Sohn Gottes empfangen und gebären werde, ist per se raum- und zeitfüllend. Die gebogenen Flügel des herabsteigenden Engels füllen dynamisch die Bildfläche, den Körper des Engels verhüllend und gleichzeitig seine Herkunft offenbarend: Er ist ein Bote des Himmels und des Lichts. Und er ist ein Bote, der seinem Gegenüber auf Augenhöhe begegnet, ihm zugeneigt Gottes Gedanken und Entschlüsse auf eindringliche Weise übermittelt.

Maria ist in den Farben des Himmels gekleidet, weil sie „Magd des Herrn“ ist, Ihm gehörend und offen für sein Wort. Ihre Arme und Hände bilden einen geschützten Bereich, in deren Oval die Umrisse eines Kleinkindes zu erkennen sind. Die grüne Farbe hinter ihr und in ihrem Kleid weisen auf ihre irdische Herkunft und gleichzeitig auf ihre Fruchtbarkeit hin. Sie wird „ein Kind empfangen, einen Sohn gebären“ durch die „Kraft des Höchsten“ (vgl. LK 1,31.35).

Spiralförmig konzentriert sich der bewegte Lichteinbruch im Bauchbereich des Engels, um von dort zu Maria weiterzufließen und im Kind sein Ziel und seine Erfüllung zu finden.

„Der Herr ist mit dir“ offenbart kraftvoll die überwältigende Gnadenfülle. Der Engel überbringt des Himmels Fülle einer Frau, die bescheiden am Rande steht. Gott nimmt sie persönlich unter seine Flügel und seinen Schutz. So wie das Licht Maria umgibt und sie zärtlich berührt, verdeutlicht der Engel die respektvolle Gegenwart des Höchsten, welcher sie „überschattet“ und durch ihr Einverständnis fruchtbar werden lässt.

In den zwei sich hier begegnenden Welten wird deutlich, dass stellvertretend gerade ein grenzüberschreitender „Bund für‘s Leben“ geschlossen wird: Gottes bedingungsloses Ja zu uns Menschen und das ebenso freie Ja Mariens als Antwort auf das Wort Gottes bilden die Grundlage für die Entstehung einer neuen Lebensdimension. Zuerst in der Gestalt von Jesus. Gott hat sich erniedrigt und ist Mensch geworden (vgl. Phil 2,6-8). Jesus ist die Menschwerdung des göttlichen Lebens. In der Folge entstand durch sein Zeugnis und die Hingabe seines Lebens in den Menschen neue Hoffnung und neues Leben. Und schließlich verbinden die Christen durch den Glauben an Jesus und seinen Vater die Erde mit dem Himmel und erleben das Leben in einer Fülle, die durch die Hingabe Jesu sogar die zeitliche Begrenzung durchbricht und in ewiges Leben einmündet (vgl. Joh 10,10; 11,25f).

Heilsgeschichtlich gesehen findet das Ja Mariens sein Vorbild im Alten Bund, den Gott durch Moses mit seinem Volk geschlossen hat. Bevor Mose das Volk mit dem Blut des Bundes besprengte, antwortete es nach der Verlesung der Zehn Gebote und aller Vorschriften: „Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun; wir wollen gehorchen.“ (Ex 24,7) Ähnlich hingebungsvoll sagte Maria: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ (Lk 1,38) Sie ebnet den Weg, damit Jesus den Neuen Bund mit der Hingabe seines Lebens vollenden und mit seinem Blut besiegeln kann (vgl. Lk 22,20).

Durch Maria erneuert Gott seine grenzenlose Liebe zu uns Menschen und zum Leben. Durch ihr Ja zu Gott und zu seinem Sohn Jesus, der nun in ihr Wohnung bezieht, verbinden sich ihre Lebensgeschichten untrennbar zur neuen Lebensgemeinschaft von Gott und Mensch auf Augenhöhe.

Herrlichkeit Gottes

Bäume säumen die zentrale Blickachse, deren Horizont durch eine sanfte Erhebung begrenzt wird. Auf jeder Seite der Allee stehen zwölf, die in ihrer Zusammenschau dreieckige Pyramiden bilden. Die idealisierten Kronen der Bäume gehen am Horizont übergangslos in die Wölbung des Hügels über und bewirken damit eine zentralperspektivische Sogwirkung, welche das weiße Quadrat hervorhebt. Diese Hervorhebung wird durch die vertikale Beschneidung der Bäume zur Mitte hin und den dadurch entstandenen ehrerbietenden Abstand verstärkt. Die „Schatten“ in den tropfenartigen Baumkronen machen eine Art Transparenz oder Durchleuchtung sichtbar, wodurch alle Bäume bis in die hinterste Reihe in ganzer Gestalt erkennbar sind.

Der Blick durch die Allee wird durch die geometrische Form eines aufrecht stehenden weißen Rechtecks gebremst und verschleiert. Die Lichterscheinung erhebt sich kontrastreich aus einer schwarzen, in den Boden eingesenkten Form, die einem Grab gleicht, und sie ragt etwa hälftig über den Horizont hinaus in den zartrosa gefärbten Himmel hinein. Am Scheitelpunkt der sanften Steigung der blauen Erhebung kann in blassroten Großbuchstaben schwach V E R G E H E N gelesen werden. Das Wort weitet das bisher Gesehene zu einer neuen Sicht mit anderen Augen. Plötzlich wird der abstrakte helle Raumkörper in der Bildmitte gleichsam zu einem Monument für die Vergänglichkeit, zu einem „Denk-mal“ über die Bedeutung und das Wesen von Werden und Vergehen.

Alles vergeht, alles verändert sich, außer Gott bleibt nichts in Ewigkeit so wie es ist. Könnte die rechteckige Erscheinung ein Symbol für die Zeit darstellen? Viereckig, weil die Zeit eine menschlich weltliche Formulierung ist, transparent, weil sie nicht sichtbar ist? Inmitten des Hains, weil sie eine kostbare Erfahrung der Gegenwart ist mit möglichem Rückblick auf die Vergangenheit und begrenzter Aussicht auf die Zukunft?

Das aus der Dunkelheit des „Grabes“ aufsteigende gefasste Licht löst wie eine unsichtbare Gegenwart von unten nach oben die Grenze zwischen Erde und Himmel auf. Durch den fließenden Übergang in den blauen Bereich und die Wiederaufnahme und Steigerung der nach oben weisenden Horizontlinie des Hügels findet auch diese Bewegung im erhabenen Quadrat ihre Vollendung.

Das weiße Quadrat wirkt am Horizont wie eine Großleinwand, wie eine Projektionsfläche für Visionen. Es lenkt den Blick in die Ferne und kann ermahnen, im gegenwärtigen Handeln auch an die Zukunft zu denken und nicht alles rosarot verzaubert zu sehen. Seine Leuchtkraft lässt zudem an eine höhere Gegenwart denken, in der alles Werden und Vergehen seine Vollendung findet. Es könnte ein Sinnbild für das Neue Jerusalem sein, in dem es keine Nacht mehr geben wird, weil Gottes Gegenwart selbst allen Menschen Licht ist und sie der Macht des Todes entreißt. Das Quadrat kann gar als „Wohnung Gottes unter den Menschen“ gedeutet werden nach der Vision des Himmlischen Jerusalems im Buch der Offenbarung (21,3-5): „Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: „Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu.”

Vor diesem Hintergrund erhält das Gemalte eine noch tiefere Dimension. Es geht um den Blick über alles Vergehen und Vergangene hinaus in die Ewigkeit. Dem Seher Johannes wurde die heilige Stadt Jerusalem gezeigt, „wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Sie glänzte wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Jaspis.“  In der weiteren Beschreibung werden die „zwölf Stämme der Söhne Israels“ und die „zwölf Apostel des Lammes“ genannt (Offb 21,12.14), die sinnbildlich in den 24 gleichmäßig gewachsenen und schönen Bäumen ihren Platz seitlich der Herrlichkeit Gottes haben. In der Tropfenform der Baumkronen klingt das Abwischen aller Tränen an, denn „der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“

Das vom Künstler mit „Monument IV“ betitelte Bild ist weniger ein Monument für die Vergänglichkeit oder ein Denkmal für die Zeit, sondern vielmehr ein Monument für Gottes bleibende Gegenwart durch alle Zeit hindurch. Es ist ein Bekenntnis, dass nicht das lebensbestimmende VERGEHEN das letzte Wort hat, sondern Gott selbst im durch seine Liebe bewirkten AUFERSTEHEN zum ewigen Leben.

Dieses und weitere Werke von Nikola Saric waren bis zum 31. Oktober 2020 in der Ausstellung „Reflexionen“ im Domschatz- und Diözesanmuseum Eichstätt im Original zu sehen.

Berichtigung

Auf der weißen Scheibe des Bildes „Monument IV“ von Nikola Saric steht das Wort VERSEHEN und nicht VERGEHEN. Laut Künstler bezieht sich das “Versehen” hier eher auf die politisch-journalistische Sprache im Zusammenhang mit Ausdrücken wie “Kollateralschaden”, “menschliche Fehler” und “Tat aus Versehen”. Das Wort VERSEHEN steht dabei auch im Kontext der versehentlichen Zivilopfern bei militärischen Operationen.

In meinem Zugang zum Wort VERSEHEN habe ich mich also gleich zweifach versehen: Zum einen habe ich mich verschaut beim Lesen des Wortes, zum anderen habe ich das Wort auf der Erhebung am Horizont und nicht auf der Scheibe in der Bildmitte verortet. Für diese Fehldeutung entschuldige ich mich an dieser Stelle. Gleichzeitig wird deutlich – auch im Sinne der Intention des Künstlers, wie wichtig achtsames, umsichtiges Schauen und rücksichtsvolles Handeln sind, damit es eben nicht aus Versehen zu Kollateralschäden kommt.

Mein Bildzugang bleibt bestehen, weil die Deutung mit dem „Versehen“ in sich stimmig ist. Zudem hat Nikola Saric sein Einverständnis dazu gegeben: „Ich finde Ihren Text sehr interessant und finde es spannend wie unterschiedlich sich Gedanken zu einem Bild entwickeln können. Ich bin auch der Meinung, dass wir den Text so stehen lassen.“

zu gast mahl

Ein dreifacher Dreiklang klingt durch das von geometrischen Formen geprägte Bild. Farblich ertönt er durch den gelben Hintergrund, die dunklen Balken und die roten Dreiecke. Formal finden sich Quadrat, Rechteck und Dreieck wieder und jedes Element ist mehr oder weniger mit der Zahl Drei verbunden.

Ein warmes Gelb bildet den haltgebenden Rahmen für die nach innen und nach unten führenden farblichen Abstufungen, die im zentralen Freiraum des Quadrates ihre Ruhe finden. Diese „Mitte“ befindet sich über dem von links eingerückten waagrechten schwarzblauen Rechteck, welches die Basis für diese unsichtbare Gegenwart darstellt.

Die vertikalen Rechtecke sind schlanker und länger geformt als die Basis. Aber die gleiche Fläche und Farbe verbindet die drei Rechtecke und lässt eine von der linken Seite der liegenden Form ausgehende und über das äußere Rechteck aufsteigende Bewegung entstehen, die am oberen Ende des erhöhten und genau in der senkrechten Bildmitte angeordneten Rechtecks endet.

So überlagert sich die absteigende Bewegung der gelben Elemente mit der aufsteigenden Bewegung der dunkelblauen Elemente. Gleichsam als Symbol für diese Begegnung können die beiden roten Dreiecke gesehen werden, die sich auf der linken Seite des Quadrates mit der rechtwinkligen Spitze berühren. Das große Dreieck zeigt nach unten, das kleine Dreieck nach oben. Zusammen bilden sie eine stilisierte Kelchform, die neben der „freien Mitte“ über dem altarähnlichen Rechteck schwebt. Der Künstler erweist damit eine Referenz an die „Dreifaltigkeitsikone“ von Andrei Rubljow und weitet gleichzeitig die Symbolik der beiden Dreiecke, so dass sie auch als lebendiges Miteinander von Himmel und Erde oder als herzliche Zuneigung von Gott und Mensch gesehen werden können.

Die dreistufige Lichtmanifestation erinnert in Verbindung mit den drei tiefdunkelblauen Figuren und dem roten Kelch an Abrahams Begegnung mit Gott bei den Eichen von Mamre (vgl. Gen 18,1-15). In der „Hitze des Tages“ hat er in den drei Männern Gott erkannt und ihnen ein Gastmahl bereitet. In der Symbolik des modernen Meditationsbildes schwingt der Geist und die Bewegung dieser einzigartigen Begegnung mit: Im mehrfachen Dreiklang atmend, Gottes Anwesenheit und Abwesenheit gleichzeitig vergegenwärtigend (vgl. Jer 23,23), sie offenbarend im Licht und im Kelch, sie partiell verdeckend und verhüllend durch die schwarzblauen Rechtecke bzw. sie verbergend im unergründlichen Dunkel des Nachtblaus selbst.

Werke von Thomas Lauer waren bis zum 18. Oktober 2020 in der “Kunst am Berg”-Ausstellung “Wann reißt der Himmel auf?” in der Feldbergkirche zu sehen.

Mutmacher

Das grüne Viereck inmitten des rötlichen Ambientes zieht die Aufmerksamkeit auf sich und löst Fragen aus: Ist es ein Bild oder ein Fenster? Wieso ist es von einer helleren orangen Aura umgeben und durch diese hervorgehoben? Die Leiter darunter erscheint wie ein weiteres Bilderrätsel. Denn sie ist massiv gebaut, aber so kurz, dass nicht klar ist, wohin sie führen soll. Zudem steht sie vor einem hellen gelb-orangen Licht, das an ein Ofenfeuer erinnert. Das dritte Bildelement besteht aus schwarzen Zeichen umrahmt von drei blauen Linien. Die Buchstabenreihenfolge „ꓥllĂI“ steht nahe dem islamischen Eigennamen für Gott: “Allah”, aber bleibt andeutend unbestimmt. Auch der rötlich-warme Bildraum ist mit den spärlichen Angaben wortkarg. Denn es ist wohl eine Ecke erkennbar, eine Kante auf Augenhöhe, aber weder ein Boden noch eine Decke.

Wo man auch hinschaut, man kommt nicht weiter. Man fühlt sich wie in einer Sackgasse. Vielleicht ist aber gerade das die künstlerische Intention: In der Aporie, der Weglosigkeit neue Wege ins Leben aufzuzeigen.

Als Christ versuche ich mir das Bild als einen spirituellen Lebensraum voller Wärme und Liebe vorzustellen. Die Leiter stünde dann symbolisch für einen Weg in die Höhe, für das Bemühen, aufzusteigen und höhere Werte anzustreben. Das grüne Feld könnte in dieser Interpretation Leben, Freiheit und Wachstum andeuten. Möglich wäre auch ein Stück Paradies oder ein hortus conclusus – ein geschlossener Garten, dem auch die schwarze Umgrenzung entsprechen würde.

Vielleicht lässt sich das Bild aber auch viel einfacher und profaner aus unserer Lebenswirklichkeit heraus deuten. In der Verkehrsordnung bedeutet die rote Farbe immer ein Verbot. Vor einer roten Ampel müssen wir anhalten und dürfen nicht weitergehen oder weiterfahren bis sie auf grün gesprungen ist. Rote achteckige Verkehrsschilder gebieten uns zu stoppen, diagonale rote Striche signalisieren uns, dass das auf der Tafel Dargestellte nicht erlaubt ist.

Davon ausgehend könnte das Bild die Summe aller Einschränkungen und Verbote symbolisieren, die im Extrem zu einer Sackgasse oder einem Gefängnis ohne Ausgang führen können. Es geht nicht weiter, es gibt keinen Ausweg mehr. Die Glut, die Energie für einen Ausbruch ist zu wenig kraftvoll, Hilfsmittel wie Leitern oder Stäbe sind zu kurz oder ungenügend.

In dieser Situation leuchtet das grüne Licht auf. Nachdem schon fast alle Hoffnung aufgegeben worden ist, kann es nun weitergehen. Jenseits aller Einschränkungen gibt es ein Weiterkommen, einen neuen Lebensraum, in dem freies Denken und Handeln erwünscht sind und der Wachstum ermöglicht.

Das Bild ist ein Mutmacher, überall im Leben nach „grünen Lichtern“, nach Fenstern zu neuen Freiräumen Ausschau zu halten, insbesondere in Zeiten, in denen sie selten oder nur schwer zu sehen sind. Das ermutigt zu glauben, dass wir nie allein sind. Es ermutigt zu hoffen, dass Gott mit uns ist und uns in seiner Liebe immer wieder Wege, Chancen und Freiräume schenkt, die Neuanfänge ermöglichen.

Für die Künstlerin stehen die einzelnen Buchstaben für solche Auf- oder Ausbrüche: Das umgekippte „V“ steht für sie für „venio“ =  ich komme, ich folge der Aufforderung herzukommen. Es ist der Ausdruck meiner Umkehr zu Gott, die Sehnsucht oder Bitte, dass Er kommen und helfen möge, weil ich nicht mehr kann. Das „A“ ist der erste Buchstabe im Alphabet und steht für Anfang, Aufbruch, Ausweg. Die  drei „I“ können Zählstriche oder Versuche sein, aber auch wie “leben”, “lieben” oder “loben” sinnbildlich für Bewegung und Wachstum stehen. Die Striche könnten aber auch für ein griechisches Iota stehen, für Jesus, der inmitten unserer Anfänge gegenwärtig ist und uns im Übergang in neue Lebenswirklichkeiten begleitet.

Grünes Licht lehrt dich     was Unterbrechung ist

Grünes Licht ist etwas     was du nicht bestimmst
Manchmal ist es ein Anfang     Du weißt es nicht
Manchmal rettet es dich vor dir selbst

Du bist unterwegs    Warum gehst du nicht?
Es gibt grünes Licht    Freie Fahrt!

Der hinter den grünen Lichtern steht
Kennt deinen Schritt
Dein Kommen und Gehn
(Sr. Christamaria Schröter)

Das Bild und der Text von Sr. Christamaria sind auf einer Faltkarte beim Buch- & Kunstverlag der Christusbruderschaft in Selbitz erhältlich.

Rampenlicht der Gnade

Eine Frau steht dem Betrachter zugewandt in gelblich-weißem Licht. Ihre Silhouette zeichnet sich klar vom Hintergrund ab. Der Blick folgt den Konturen ihrer Haare, dem Zweiteiler, den sie trägt. Ihre Arme sind leicht angehoben, die Hände in lockerer Haltung. Ihre Gestalt ist erdig braun, um anzudeuten, dass sie von der Erde geschaffen und irdischer Natur ist.

Sie steht in einem gegenstandsfreien offenen Raum. Unter ihr breitet sich eine bläuliche Wolke aus, darüber ist nur Licht, das sich durch die hellere Mitte bühnenartig nach hinten öffnet. Vertikale Farbverläufe deuten ein herabkommendes Geschehen an, das sich insbesondere in der Mitte über und um die Frau herum konzentriert.

Ohne sichtbaren äußeren Halt über den Wolken zu gehen braucht ein gesundes Maß an Selbstvertrauen. Sie sieht nicht wie eine Seiltänzerin aus oder dass sie mit dem Gleichgewicht zu kämpfen hätte. Im Gegenteil, es scheint für sie eine Selbstverständlichkeit zu sein (man beachte, dass in einem Wort drei wesentliche Wörter vereinigt sind: selbst, verstehen und stehen), vom Licht umgeben zu sein, in ihm zu stehen und zu leben.

Da die Künstlerin das Bild durch ihr Bibelzitat aus Röm 5,5b „denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist“ eindeutig in einen christlichen Kontext stellt, darf das Licht als eine Kraft gesehen werden, die von Gott ausgeht und für den Menschen gedacht ist.

So kann man das fließende Licht als Symbol für die Liebe Gottes sehen. Durch den Heiligen Geist umgibt sie jeden Menschen, der Gott als seinen Vater angenommen hat. Durch den Heiligen Geist pulsiert sie mit dem Blut in unseren Herzen und unseren Adern, um uns und alles, was wir tun, zu durchdringen und mit seinem Geist zu erfüllen.

Das Licht ist ein Ausdruck seiner Gnade, die er allen Menschen zukommen lässt, die offen für sein Wirken sind, ob sie ihn kennen oder nicht. Gott ist da – stark wie das Tageslicht, wärmend wie die Sonne, darüber hinaus am Tag und in der Nacht und auch im Innern von uns. Gottes liebende Gegenwart durch den Heiligen Geist gibt von unseren Herzen ausgehend einen Halt, der alle anderen Sicherheiten überflüssig macht. Seine Liebe ist wie eine Boje, die im Sturm am Ort und über Wasser hält. Sie ist wie ein Heißluftballon, der seine Passagiere sicher durch die Luft trägt, wenn es einem den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Seine Liebe ist das Licht, das auch dann scheint, tröstet und gegen allen Anschein Halt und Orientierung gibt, wenn sich überall Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit breit gemacht hat.

In Seinem Licht zu stehen bedeutet für Christen die Selbstverständlichkeit, dass Gott durch seinen Heiligen Geist da ist: immer, überall, in allen Lebenslagen. Das Licht symbolisiert von Gott her die Gnade und vom Menschen her das Vertrauen, dass er da ist und handelt, auch wenn es nicht danach aussieht (vgl. Ps 23). Es ist ein heiliges Miteinander, das wie das Licht weit über sich hinaus segensreich Gutes bewirken kann.