Augenkreuz, Augenblicke, Durchblicke

Aus vier quadratischen Bildtafeln schauen den Betrachter 16 Augen an. Als Lichtpunkte heben sie sich von den schwarzen Flächen ab, bzw. scheinen sie hinter ihnen zu leuchten. Wie durch Löcher schauen sie in den Kirchenraum hinein. Menschenaugen, aber immer nur eines, nie ein Augenpaar. Das irritiert. Es ist, als würden viele Leute hinter dieser Verkleidung ein Auge zukneifen, um mit dem anderen besser durch das Loch sehen zu können. Weit offene, wachsame Augen. Augen, die ruhig schauen, beobachten.

Zu wem sie wohl gehören mögen? Entfernt erinnern die vielen Augen an die Vision des Propheten Ezechiel, der den Thron Gottes von vier himmlischen Wesen (Cherubim) begleitet sah, die ringsum voller Augen waren (Ez 10,12). Andererseits erinnert die Darstellung von jeweils einem Auge an Abbildungen des einen Auges des einen Gottes. Es steht für die alle Geheimisse durchdringende Gegenwart Gottes. Stephan Balkenhol interpretiert es frei. Das Gegenüber bleibt im Wesentlichen verborgen, genauso wie das Kreuz hinter den vier Relieftafeln. Das Gegenüber, das alles zu sehen andeutet, gibt sich selbst bedeckt, maskiert. Aber die Augen signalisieren eine wachsame Präsenz.

Dabei stellt sich die Frage, ob es wirklich nur EIN Gegenüber ist. Die Überlagerung des Kreuzes durch vier Quadrate, die mit ihren Innenkanten einen kreuzförmigen Freiraum bilden, legt es nahe. Es sind irgendwie auch die Augen dessen, der am Kreuz gestorben ist und durch den Glauben der Menschen sich nun immer wieder neu in den Augen und deren Blicken zu erkennen gibt („Augenkreuz“ im Kontext des Altars).

Die Begegnung mit IHM muss und will gesucht werden. Die dem Kreuz vorgelagerte Arbeit weist darauf hin, dass Er – wenn auch verborgen – da ist und aus dem Geheimnis heraus uns sieht, schaut und liebt. Umgekehrt können auch wir ihn nur schauen, wenn wir durch das Vordergründige, durch das Sichtbare hindurchschauen, den Durchblick auf das Wesentliche der Dinge und Vorgänge suchen. Die profane Arbeit in der Kirche zeigt zudem, dass Gott nicht ausschließlich über religiöse Symbole „zu sehen ist“, sondern sich hinter / in allen Dingen der Welt versteckt, um sich dem zu offenbaren, der den Durchblick und damit „den Blick dahinter“ wagt.

In der Gesamtansicht der Kirche ergeben sich neue Perspektiven für das Kunstwerk. An zentraler Stelle der Chorwand wandelt sich die Arbeit zu einer Art Black Box. Visuell mögen vielleicht Analogien zum heiligen Stein (Kaaba) in Mekka aufsteigen, der von den Muslims als das Haus Gottes betrachtet wird, zu dem er alle einlädt. Parallelen zum christlichen Kirchenraum sind offensichtlich. Vom Wort „black box“ selbst sind auch Verbindungen zu einem Flugschreiber möglich, der alle Daten und Vorgänge in einem Flugzeug aufzeichnet und speichert. Im Zusammenhang mit den Augen könnte diese Funktion auch auf einen Gott übertragen werden, der alles sieht und erinnert. Das wäre allerdings eine verkürzte Sicht. Denn so verborgen sich Gott gibt, der Zugang zu ihm ist weder verschlossen noch unzugänglich. In der Arbeit zeigt sich das durch den kreuzförmigen Zwischenraum, der das große Würfelquadrat – ohne es auseinanderbrechen zu lassen – in vier kleinere Quadrate aufteilt und dadurch Ein- und Durchblicke auf Dahinterliegendes, auf Inneres ermöglicht. Das schwarze Quadrat  weckt die Neugierde des Betrachters und gibt Blicke in sein Innerstes frei. Da hier der Gekreuzigte zu sehen ist, Gottes geliebter Sohn, der sein Leben für unseres hingegeben hat, liegt die Deutung nahe, im „Augenkreuz“ von Stephan Balkenhol ein modernes Symbol für Gott Vater zu sehen, das Einblicke in sein Innerstes ermöglicht.

Die sechs weiteren Figuren, die an den Seitenwänden der Kirche befestigt wurden, bringen „Augenblicke“ der Geschichte Gottes mit den Menschen zur Sprache. Links vorne in einem Diptychon ein Mann und eine Frau, einander zugewandt, die vor einem grünen und goldenen Hintergrund stehen. Ihre Nacktheit und die beiden Hintergrundfarben deuten, ohne es explizit zu betonen, das Paradies an, die ursprüngliche Fülle des Lebens. Gegenüber sind vor einem silber-braunen Hintergrund ein Skelett und ein Mann zu sehen, der allseits gegenwärtige Tod, der uns Menschen begleitet und unsere Vergänglichkeit in Erinnerung ruft. In den mittleren Positionen stehen sich Maria mit dem Jesuskind im Arm und der Auferstandene gegenüber. Irritieren mag, dass Jesus nach heutigem Dress-Code gekleidet ist, dadurch verwurzelt der Künstler nach alter christlicher Tradition das vor 2000 Jahren Geschehene in unserer Zeit. Dies wird auch im dritten Figurenpaar deutlich, das eine junge Frau und einen jungen Mann unserer Zeit zeigt. Gott will seine Heilsgeschichte in unserer Zeit fortschreiben, … mit jedem von uns. Stephan Balkenhol hat mit seinen Kunstwerken eine wunderbare zeitgenössische Katechese geschaffen: als Einladung, Gott und sein Wirken näher kennenzulernen.

Weiteres Bild: Mann im Turm

Dieses und weitere Werke waren im Sommer 2012 im Rahmen der documenta 13 in der Kath. Kirche Stankt Elisabeth zu sehen. Weitere Informationen zu Stefan Balkenhol in St. Elisabeth.

Zur Austellung ist der Katalog STEPHAN BALKENHOL in SANKT ELISABETH erschienen. Auf 96 Seiten dokumentieren 90 Farbabbildungen und Texte des Bischofs von Fulda, Josef Meyer zu Schlochtern, Matthias Winzen, Rainer Marten und Helmut Krausser die Bedeutung dieser außerordentlichen Ausstellung. Snoeck-Verlagsgesellschaft Köln, 2012, ISBN 978-3-86442-020-7, Euro 19,80

Pressemeldungen zu den Arbeiten von Stephan Balkenhol in Sankt Elisabeth:

Belebende Kraft

Ähnliche Farben und Bildsymbole bilden vereinen diese drei Quadrate zu einem Triptychon. Unwillkürlich vergleicht das Auge die drei Bilder und sucht einerseits Entsprechungen, andererseits Unterschiede. So sind Gelb, Rostrot und Weiß in allen drei Bildern zu finden, Blau nur in den rechten beiden Quadraten in drei verschiedenen Symbolen. In den seitlichen Quadraten sind die Symbolzeichen zudem klar und eindeutig (Zoom Bild links / Bild rechs), während sie in der Mitte (Zoom Bild Mitte) verwaschen und undeutlich gemalt sind. Im Weiteren korrespondieren die beiden Quadratzeichen oben links und rechts durch ihre Position wie durch die invertierten Farben miteinander. Außerdem treten das orange und das blaue Quadratmotiv oder das weiße geometrisch abstrahierte Tiermotiv links mit den beiden Motiven rechts durch ihre Ähnlichkeit miteinander in Beziehung.

Den Untergrund oder die Basis für dieses Beziehungsgeflecht bildet ein sattes, kräftiges Gelb. Dieses wird entweder durch Schattierungen in sanftem Rostrot oder durch grau erscheinende Einschlüsse, die von Spachtelspuren stammen, unterbrochen. In der Mitte treten diese Texturen auffälliger in Erscheinung, teilweise sogar einen fast ornamentalen Rahmen bildend. Zudem ist dieses Bild stärker als die anderen von vertikalen rötlichen Bereichen geprägt.

Was die Symbole wohl zu bedeuten haben, die Schattierungen und Farberscheinungen? In der Mitte kann von Abdrücken gesprochen werden, von Spuren, die bezeugen, dass hier mal etwas war. Die rostrote Farbe lässt zusätzliche Wärme spüren, der angedeutete Kreis mit eingeschriebenem Kreuz ein überragendes Geschehen.

Der Künstler hat die drei Bilder aus einer Auferstehungserfahrung heraus gemalt. Ob sich dadurch auch für uns „Auferstehung“ darin sehen lässt, hängt von unseren Erwartungen ab. Aber unabhängig von konkreten Vorstellungen, die letztlich durch andere „Vor-Bilder“ geformt wurden, können wir das kräftige Gelb mit Licht und Wärme verbinden. Der Künstler hat eine schöne Farbe verwendet, in der man sich wohl fühlen kann. Diese Farbe trägt gewissermaßen das neue Leben. Sie überlagert auch die Spuren des vorhergehenden Lebens. Dieses ist wohl noch spürbar und teilweise auch sichtbar, aber im Wesentlichen hat alles eine neue Gestalt.

In den Symbolzeichen liegt etwas Geheimnisvolles. Sie lassen sich nicht eindeutig erklären. Was sollen sie genau darstellen? Aber müssen sie das? Hat sich die Auferstehung Jesu nicht auch im Verborgenen ereignet und weiß deshalb niemand, wie sie vor sich gegangen ist? Die Symbolzeichen stehen somit als Platzhalter für das Unerklärliche und doch Gewesene und dadurch Nachwirkende.

Zum Schluss gehen die Gedanken nochmals zurück zum Aufbau des Triptychons. Die Dreizahl legt eine Verbindung mit den drei Tagen zwischen Tod und Auferstehung nahe, aber das Geschehen gruppiert sich um eine Mitte herum. Vielleicht will damit eine Konzentration zum Ausdruck gebracht werden, die auch mit der hellroten Farbe zu tun hat? Vielleicht hat sich eine hoffnungslose Situation gerade durch den Einfluss der Liebe oder die Hingabe eines Menschen zu einem unerwarteten Aufbruch in eine neue Welt gewandelt. Es lässt sich nicht sagen, nur vermuten, wie die Dreiheit gedeutet werden soll. Traditionell steht ein dreimaliges Erscheinen, ein dreimaliger Ritus auch für ein absolutes Geschehen, das mit Sicherheit so passiert ist, das wirklich war und dem geglaubt werden darf.

In seiner Abstraktheit vermittelt das Triptychon also Wesentliches einer Auferstehung: das Unerwartete, das sich geheimnisvoll ereignet und sich letztlich kraftvoll vor unseren Augen und in unserem Leben manifestiert und Freude verbreitet. Wer wie Maria Magdalena oder die Jünger hingeht und schaut, wird diese aufstellende, belebende Kraft erfahren.

Christus, der Herr

Wer die Kirche des Heilig-Geist-Klosters in Wickede-Wimbern betritt, wird nicht anders können, als auf die neue Chorwandgestaltung zu schauen. Ein großes Segel in hellen Farben bildet zusammen mit einem roten Band den Kontrast zum hängenden Bronzekreuz von Dr. Else Hoffmann aus dem Jahr 1978 und lässt in ihm den gekreuzigten und auferstandenen Herrn wahrnehmen. Dieses künstlerische Ensemble beherrscht als visuelle Attraktion den Kirchenraum und gibt Besucher:innen, Betenden und Feiernden Orientierung und Perspektive.

Das Stoffsegel und seine Bemalung lassen ganz verschiedene Zugänge zu, von denen hier nur einige beleuchtet werden sollen. Zum einen steigt das Stoffsegel wie eine Flamme vom Altar auf. Was in dieser Flamme aufleuchtet, hat seinen Ursprung in der Hingabe Jesu, in seiner Liebe zu uns Menschen. Für uns und unser Heil ist er gestorben (vgl. Röm 5,6). So wird in der übergroßen Flamme die übergroße Liebe Gottes zu uns Menschen sichtbar. Die helle Flamme hinterfängt dabei das dunkle Kreuz und gibt ihm den neuen Hintergrund der Auferstehung und des Lebens. Was am Altar gefeiert wird, ist das Gedächtnis seines Todes und seiner Auferstehung.

Bis ins Kreuz hinein ist alles von der Kraft der Auferstehung und des Lebens durchdrungen. Das schwere Kreuz hat die Last des Todes verloren. Es schwebt und Jesus selbst scheint im freien Innenraum des Kreuzes zu schweben. Noch sind die Arme ausgebreitet, aber Hände und Füße sind nicht mehr ans Holz genagelt. Dieses Kreuz verkündet die Überwindung des Todes und zeigt Jesus als Christus, den Herrn als Befreier, der allen Besucher:innen den österlichen Willkommensgruß zuspricht: „Friede sei mit euch.“ (Joh 20,19)

Dabei scheint Christus im Kreuz über der blauen Fläche zu schweben und vermag an den Sturm auf dem See Genezareth zu erinnern, bei dem er über das Wasser auf seine Jünger zuging. In dieser Klosterkirche geht Jesus auf die Gläubigen zu. – Gott kommt zu den Menschen. – Die finden sich unvermittelt in der Rolle des Petrus wieder, der auf den Ruf seines Herrn das mehr oder weniger sichere Boot verlässt und im Glauben versucht über das Wasser auf den Herrn zuzugehen. Doch angesichts des heftigen Windes bekam er Angst, zweifelte und begann unterzugehen, so dass Jesus ihn retten musste. (vgl. Mt 14,24-31)

Durch die mandorlaartige Form und die zentrale Lichterscheinung, welche von sonnengelben Farbbahnen begleitet wird, vermittelt das Kunstwerk eine freudige Begeisterung. Im Dialog mit dem Kreuz wird wie bei der Taufe (Mt 3,17) oder der Verklärung Jesu göttliche Offenbarung spürbar erlebbar. Man hört förmlich Gottes Stimme aus dem Licht heraus sagen: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören.“ (Mt 17,5)

Umgekehrt können auch Worte von Jesus gehört werden, der mit weit ausgebreiteten Armen zu seinem Vater betet: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will. Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht.“ (Mt 11,25-30)

Solche Worte ermutigen, solche Lichtblicke tun der Seele gut. Denn das große Altarbild kann auch als Segel eines Bootes oder Schiffes gedeutet werden, das sich Kirche oder Gemeinde nennt. Es ist sichtlich zu spüren, dass hier ein neuer, guter Wind weht, ein Wind, der dieser Gottesdienstgemeinde und Klostergemeinschaft eine klare, hoffnungsvolle Richtung gibt.

Eine zusätzliche Dynamik erhält die Installation durch ein schmales langes Band in Rottönen, das sich so von rechts oben zum Kreuz hinunter schwingt, dass es das Kreuz visuell mitträgt (Nahansicht). Dadurch steht der Auferstandene nicht nur im Dialog mit seinem Vater, der hinter ihm steht, aber im unzugänglichen Licht wohnt, sondern auch mit dem Heiligen Geist, der ihn führt und mit Kraft erfüllt.

Was für eine Vision! Was vermögen sich dem Glaubenden dadurch für Horizonte zu öffnen! Ist es zu verwegen, sich in Jesus hineinzuversetzen, um sowohl die liebende Nähe des Vaters als auch die belebende Kraft des Heiligen Geistes zu erfahren?

Großformatige Wandkalender, Postkartenkalender und Karten mit Motiven von Eberhard Münch sind im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich: www.adeo-verlag.de

Aufbruch zum Leben

Acht Skelette bilden auf den zwei großen Bildtafeln (Zoom) eine Art Totentanz quer durch den Chor der katholischen Kirche St. Peter und Paul in Dürbheim. Sie liegen nicht, sondern sitzen, stehen, hängen, trommeln, blasen die Fanfare. Aus dem Staub des sandigen Bodens haben sie sich erhoben, wieder menschliche Gestalt angenommen. Während die einen noch mit verschränkten Armen im Dunkeln kauern, stehen andere schon aktiv im Licht, blasen und schlagen zum Aufbruch. Sie scheinen nicht nur die im „Schatten des Todes“ Sitzenden zum Aufstehen bewegen, sondern auch alle im Kirchenraum Anwesenden wecken und aktivieren zu wollen. Damit steht die künstlerische Intervention in einer Linie mit der biblischen Erzählung von der Auferweckung der Toten im Buch Ezechiel 37,1-14. Damals stärkte Gott durch die großartige Vision sein in langjähriger Gefangenschaft entmutigtes Volk und gab ihm neue Kraft, seiner alles erneuernden Geisteskraft zu vertrauen.

Von außen nach innen bauen sich die beiden Bildtafeln auf und entwickeln über eine imaginäre Kopflinie hinweg eine ungeheure Kraft, die letztlich über die Fanfaren hinaus den Bildrand quert: Alle sollen von dieser Auferstehung hören, alle sollen von dieser Hoffnung leben. Im Gottesdienst bilden die beiden Fanfaren spielenden Skelette ein Spalier für den, der durch die Öffnung in ihrer Mitte geht: den Leiter des Gottesdienstes, den Pfarrer oder den Diakon, der den lebendigen Gott verkündet und das Brot des Lebens reicht. Und wenn der Priester am Altar steht, wird erst recht deutlich, dass die Fanfarenstöße und Trommelwirbel Christus gelten. Denn gerade während der sakramentalen Handlung am Altar handelt der Priester in „persona Christi“.

Die Bildtafeln sind eigens für diesen Chorraum gemacht. Wie eine Chorschranke trennen sie den Altarraum: vorne der aktuelle Volksaltar, hinten der barocke Hochaltar mit dem Allerheiligsten (Choransicht). Obwohl die Platten auf den ersten Blick wie eine Mauer wirken, lassen sie unzählige Durchblicke auf den Hintergrund zu. Die meisten Linien sind mit der Motorsäge „gezeichnet“ bzw. aus der Spanplatte herausgeschnitten worden. Sie finden sich bei den Schattenbereichen genauso wie bei den stern- und kreuzförmigen Gebilden, die dunkel den hellen Hintergrund strukturieren. Insbesondere fallen sie aber bei den Skeletten und der Zeichnung ihrer Knochen auf (Detailansicht). Was dem lebenden Menschen Halt gibt, ist hier Freiraum, Leere, Nichts. Durch die Schnitte wurde gleich in zweifacher Weise Trägermaterial (Spanplatte und Knochen) entfernt, was die Verwandlung zu immateriellen Wesen noch hervorhebt.

Geisterhaft, unwirklich erscheinen die Skelette so im Material der Spanplatte als skelettierte Lichtgestalten. Von den Knochen her, von ihrer tragenden Körperstruktur her löst sich ihre Körperlichkeit in Luft und Licht auf. Vollzieht sich an ihnen Auferstehung? Umgekehrt wurde die Spanplatte mit jedem Schnitt geschwächt, mit jeder Materialentfernung mehr zum Skelett ihrer selbst. Dabei hatte sie als Recyclingprodukt von Holzspänen selbst schon eine Verwandlung zu einer neuen Form erfahren. Aber diese Verwandlung von Material spielt sich in unserer Wirklichkeit ab und ist absolut verständlich und beobachtbar. Ganz anders ist es bei den Gestalten. Deren Rückkehr in bewegtes Leben, ihre Auferstehung entzieht sich unserer Beobachtung, unseren Sinneskräften und der Künstler muss zu Symbolen greifen, wenn er „anschaubar“ machen möchte, was in einer anderen Dimension stattfindet. Hier kann es die Teilung des Chorraums sein, die eine Ahnung von dem vermittelt, was eigentlich verborgen ist. Der vordere Teil ist unser Lebensraum. Die Verwendung des Alltagsmaterials Holz unterstreicht das. Und dahinter, verbunden durch einen schmalen Gang, ist das Andere, das Sakrale, Auferstehung, ewiges Leben, Gott, zu dem nur Glauben und Hoffen gelangen können. Aber das Geschehen am Altar kann ein Wegweiser in diese andere Dimension sein.

Diese Installation von Hans-Jürgen Kossack wurde 2011 im Rahmen der Ausstellung malhalten – Gegenwartskunst in einundzwanzig Kirchen in der katholischen Kirche St. Peter und Paul in Dürbheim gezeigt.

Er schaut mich an

Eingebettet in einen neongelben Farbrahmen, ist im Vordergrund ein gestaltetes Kreuz zu sehen, darüber gleich einer Lichterscheinung ein frontal dargestelltes Gesicht. Die Ecken und Ränder des Bildes weisen grauschwarze Schattierungen auf, so dass der Focus noch mehr auf das weiße Gesicht in der Bildmitte gelenkt wird. Seine Konturen sind verschwommen, doch die weit geöffneten Augen und der wie zum Pfeifen zugespitzte Mund sind klar zu erkennen. Daneben ist eine erhobene Hand mit einer großen Wunde zu sehen.

Wie das Gesicht über dem Kreuz angeordnet ist, muss es dasjenige von Jesus sein, der im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel als „Licht vom Licht“ bezeugt wird. Wie aus dem Sonnenlicht tritt er uns in diffusem Weiß gegenüber. Als Sohn des Lichts und gleichzeitig als der Menschensohn begegnet er uns, entrückt und doch gegenwärtig, durch das Kreuz vom Betrachter getrennt und über es erhöht, uns doch nahe. So sind Jesu Herkunft und Aufgabe, sein Tod wie seine Auferstehung, seine Erhöhung ebenso wie seine Rückkehr zum Vater im Bild zu spüren. Zentral wird jedoch der Wendepunkt des Todes, der Auferstehung und des Abschieds von Jesus dargestellt.

Dunkel ragt der Kreuzstamm von unten in das Bild hinein. Das diesem Bereich eingeschriebene, schwarze Quadrat kann für vieles stehen. Es kann als Symbol für abgrundtiefe Nacht und Verlassenheit in den Todesstunden gedeutet werden, aber ebenso für das Grab oder den Zugang zum Reich des Todes, in das er hinuntergestiegen ist, um alle zu retten, die verloren waren. Die Kreuzmitte ist mit einem braunen Quadrat besetzt. Es sieht wie eine Öffnung aus. Kann es ein Symbol sein für den Übergang in eine andere Dimension, den wir uns nach dem Tod erhoffen? Darüber steht eine menschliche Gestalt mit ausgebreiteten Armen. Ob sie den Gekreuzigten oder bereits den zum Himmel Emporgehobenen darstellt, ist nicht einfach festzustellen. Da sie aber im oberen Teil des Kreuzes im Übergang zum Gesicht steht, mag sie eher den Auferstehenden darstellen, der noch die dunkle körperliche Schwere besitzt, sich aber bereits von allem Irdischen löst. In den waagrechten Kreuzesarmen mag rechts die Kälte des Todes bzw. des Winters dargestellt sein, links mit dem grünen Blätterpaar das aufkeimende Leben und die Hoffnung.

Von der Auferstehung kündet neben dem weißen Gesicht Jesu auch die erhobene Hand. Mit dem Wundmal offenbart sie dem Schauenden, dass Jesus wirklich der zum Leben auferweckte Gekreuzigte ist. Wie Jesus im Bild schaut und die Hand erhoben hat, erinnert er an die Begegnung mit den Jüngern nach seiner Auferstehung. Auch Thomas war dabei. Da trat Jesus durch die verschlossenen Türen hindurch „in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus – hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Joh 20,26-29)

Das durch und durch mit positiven Zeichen gestaltete Bild (auch das an sich negative Kreuz bildet eher ein Pluszeichen und ist von Verwandlung und Leben durchdrungen) vermittelt eine durch und durch von Ostern geprägte Ermutigung des Betrachters. Wie eine Ikone möchte es unseren Blick zur wahrhaftigen Begegnung mit Jesus führen, damit Sein Anblick bei uns Gutes bewirkt, heilt und ermutigt. Und ist sein Mund nicht so geformt, als würde er uns anhauchen und mit der Gabe des Heiligen Geistes beschenken? – Genauso wie er es damals mit seinen Jüngern gemacht hat, damit sie mutig in die Welt ziehen und in Tat und Wort seine frohe Botschaft verkünden? (vgl. Joh 20,19-23)

Im Heute sind wir seine Jünger. Von ihm mit Gaben beschenkt und befähigt, Gutes zu tun und Licht zu den Menschen zu bringen. Genauso wie Er.

Neues Leben

Ruhig geben sich die Farben und Formen dem Auge des Betrachters. Oben und als Hintergrund dominieren warme Gelb- und frische Grüntöne, unten und näher beim Betrachter rotbraune Farben mit weißen Farbtupfern. Filigran und vergänglich wie farbige Blätter im Herbst bilden sie den Boden des Bildes. Aus drei verschwommen dargestellten Basen steigt ein Dickicht von braunen Strichen bis in die farbigen Spitzen empor. Sie suggerieren geknickte Hölzer. Und das Ganze ist zusammengefügt zu einer Krone, einer Dornenkrone.

Das Gebilde ist nicht erhaben und ziert auch keinen Kopf. Die „Krone“ liegt vielmehr wie niedergelegt am Boden, Niederlage und Tod gleichzeitig symbolisierend. Wenn da nicht die vielen kleinen weißen Blüten wären, die in diesem Dickicht von Zerbrochenem von Leben zeugen und es wunderbar verkünden.

Ein Auferstehungsbild? Die blühende Dornenkrone vermag genauso von der verspottenden Dornenkrönung Jesu während seiner Passion zu erzählen wie von seiner wahren Königswürde als Sohn Gottes. Sie spricht im dreiteiligen Fundament die drei Tage der Grabesruhe an, in den weißen Blüten seine Auferweckung von den Toten. So wächst das Bild von unten nach oben dem Licht entgegen, bildet links stellvertretend für die ganze Schöpfung ein Ahornblatt und streckt sich nach dem Licht rechts oben.

Das ganze Bild strömt eine wohltuende Wärme aus. Von Vergänglichkeit oder Tod ist nicht mehr viel zu spüren. Übermächtig wirken das Aufstrebende und die Fülle des Lebens. Doch die verdorrten Zweige sind die Grundlage für das neue Wachstum. An und auf diesem Dornengebilde treiben die siebzehn weißen Blüten. In ihnen ist keine farbliche Altlast zu sehen, sondern kindliche Reinheit und Neuschöpfung. Sie künden von der Größe ihres Schöpfers, der sie nach dem Winterschlaf durch die Wärme der Sonne ans Licht gerufen hat. Auferweckung durch und durch.

Sieg des Lichts

Licht und Dunkel stehen sich in diesem Bild gegenüber. Nicht mehr im Kampf, sondern in entspannter Ruhe und Ordnung zeigen sie sich. Mittig und erhaben leuchtet weißes Licht, welches die dunklen Elemente in die Ecken verdrängt. Über allem schwebt ein vertikaler Balken, der weder Licht noch Dunkel ist, sondern ganz aus Gold.

Alle Symbole sprechen von einer finalen Auseinandersetzung zwischen Leben und Tod, ja vom Sieg des Lebens über den Tod! Wie aus einer anderen, immateriellen Welt dringt das Licht durch die türartige Öffnung in den diesseitigen Lebensraum hinein; an seinen Rändern sich in sonnengelbe, dann orange Farben wandelnd und Wärme ausstrahlend. Alles soll licht und warm werden. Das Angstmachende, Einengende, Lähmende, Verschließende und zum Tod Führende muss endgültig weichen. Links unten lösen sich die rechteckig erstarrten Elemente auf, rechts ist das Wegrollen einer schweren Kreisform zu spüren.

Licht und Dunkel stehen sich nicht nur farblich, sondern auch in den beiden Kreisformen im Bild gegenüber. Während der dunkle Kreis das Bild verlassen muss, scheint die helle Kreisform von oben hereinzukommen. Ihr Wesen ist mit Transparenz, Zuneigung und, wie es das goldene Element in sich aufnimmt, mit Offenheit zu beschreiben. Diese Kreisform steht für das unendliche Leben, für das Transzendente, für Gott.

Hier wird mit gestalterisch formalen Mitteln Auferstehung gefeiert. Im senkrechten Rechteck begegnet uns der von den Toten Auferweckte. Mit der goldenen Farbe wird auf seine göttliche Herkunft hingewiesen, mit seiner erhöhten Position auf seine Rückkehr zum Vater und die Verherrlichung zu seiner Rechten. Die drei gelben Waagrechten muten wie Stufen an und mögen an sein Hinabsteigen in das Reich des Todes erinnern, gleichzeitig aber auch sein Heraufsteigen nach drei Tagen Grabesruhe.

Ob es so geschehen ist? Keiner weiß es. Es ist ein Bild des Glaubens. Ein Glaubensbild, das von der unzerstörbaren Kraft des Lebens erzählt. Es ist ein Bild, das alle einlädt, dem einst Geschehenen zu trauen, über die gelben Stufen gleichsam ins Licht zu steigen und sich so in das Werk der Erlösung hineinnehmen zu lassen.

Wucht des Todes noch
schwarz hingesetzt
verfügt der Tod
hingerollt der Stein aus Angst
tot-sicher
Ende
aller Herrlichkeit.
Weggewälzt
die dunkle Last
frei der Blick
das Tor zum Licht.
Das Grab hielt ihn nicht mehr
unfassbar leer
der Schreckens-Freude Raum:
„Er ist nicht mehr hier.
Auferstanden ist der Herr.“
Ausgestreckt am Kreuze einst
zum Himmel auf der Schrei
Abstiegsweg ins Totenreich
erhoben aus dem Grabe, hell
eint Erd und Himmel – ER.
Lebendiger der eine Weg zum Vater hin
SEINE Liebe, grenzenlos.
Umfasst du ihre „Länge und Breite,
Höhe und Tiefe“ geformt in der Geschichte des Abstiegs?
Auferstanden von den Toten ist der Herr,
lebt das WORT:
„Ich lebe – und auch ihr werdet leben.“

(Lyrik von P. Meinulf Blechschmidt in: Sehen – Glauben – Leben. Gedanken zum Glaubensbekenntnis, Beuroner Kunstverlag, Beuron 2007, S. 39f, ISBN 978-3-87071-166-5)

Strecken zum Licht

Ein alltäglicher Moment begegnet uns auf diesem Bild. Ein Mann streckt sich mit erhobenen Armen ganz weit nach hinten. Gerade scheint er die maximale Dehnung erreicht zu haben und in dieser Stellung zu verharren. Aus den geschlossenen Augen und dem nach hinten geneigten Kopf darf geschlossen werden, dass der Mann dieses Strecken mit jeder Faser seines Körpers genießt.

In Bezug auf den Raum oder die Zeit lässt der Bildausschnitt keine Aussage zu, wo sich dieser Mensch oder in welcher Tages- oder Jahreszeit er sich befindet. Mit einem Unterhemd bekleidet ist er einfach da, in der Bewegung seinen Körper erlebend und im Wechsel von Spannung und Entspannung ihm nachspürend. Gleichzeitig scheint er sich einem für uns unsichtbaren Licht zu öffnen, das von links her helle Stellen auf seiner gewölbten Brust und seinem Gesicht hinterlässt.

Auf der anderen Seite lässt sich hinter ihm ein dunkler Schatten an der Wand ausmachen, ein Schatten, bei dem nach einer gewissen Zeit die Form eines Kreuzes sichtbar wird. In diesem Zusammenspiel von Vorder- und Hintergrund scheint sich der Mann an das Kreuz zu lehnen und aus der Dunkelheit dieses Kreuzes heraus das Licht in sich aufzunehmen. Ja, wie er mit ausgebreiteten Armen vor dem Schatten eines Kreuzes steht, weckt er Assoziationen an den Gekreuzigten, aber auch an den im Morgengrauen Auferstandenen und sich nach dem Licht Ausstreckenden.

So lässt das Bild eine ganze Reihe von Ansichten und Interpretationen zu. Viele auf den ersten Blick unbedeutende Details lassen eine Motivtiefe entdecken, die weit über einen Mann beim Frühturnen oder bei der Morgengymnastik hinausgeht. In seinem Strecken und Dehnen ist genauso die Spannung des sich vom Schlaf erhebenden Körpers zu spüren wie jene des neuen Tages, dem er sich entgegenstreckt und dessen Licht und Frische er tief in sich einzuatmen scheint. In beiden ist etwas von der Auferstehung spürbar, die wir im Glauben am Ende unserer Tage erwarten. Insofern ist dieses frühmorgendliche Strecken Gebet mit Leib und Seele, körperlicher Ausdruck einer Geisteshaltung, die sich ganz auf das Licht ausrichtet. Es ist ein Einüben auf das letzte große Aufstehen und Strecken, das Auferstehen zum ewigen Leben.

Licht zum Leben

Eine Lichtexplosion dominiert das Bild. Wie bei einem Feuerwerk formen die fallenden Funken einen Schweif bis zur Erde. In der Mitte dieses Sterns, der an die Erscheinung in Bethlehem zu erinnern vermag, die Andeutung eines Menschen, die wie damals der Stern die Geburt eines neuen Menschen und eines neuen Zeitalters ankündigt.

Die aufstrebende Lichtgestalt überdeckt rote Farbspuren auf dem Malgrund. Das lässt spüren: es gab ein schmerzhaftes und blutiges Davor. Ein Davor, ohne welches Auferstehung nicht möglich gewesen wäre.

Erstaunlich, dass der Hintergrund nicht himmelblau gemalt, sondern im Holz des Untergrundes belassen wurde. Erstaunlich auch die weiße Silhouette, die eine Stadt und durch den einsamen Wanderer gleichzeitig eine Wüsten- oder Hügellandschaft anklingen lässt.

Auf der anderen Seite der grünende Baum, Zeichen nach dem Winter aufblühenden neuen Lebens. Aber sind es nicht zwei Stämme? Ein heller und ein dunkler, die sich kreuzend zum Andreaskreuz formen?

Das Ereignis lässt sich mit den wenigen Angaben nicht in Raum und Zeit lokalisieren. Dennoch spannt es von links nach rechts einen Bogen von den Anfängen der Menschheit bis in unsere Zeit. Die zwei sich nahe stehenden Bäume vermögen an das biblische Paradies zu erinnern, in deren Mitte die Bäume des Lebens und der Erkenntnis von Gut und Böse standen (Gen 2,9). Damit weisen sie auch auf Adam und Eva, auf den Sündenfall hin. In der Mitte ist dann als kosmisches Ereignis, und damit für alle sichtbar und gültig, die Auferstehung Jesu dargestellt, die gleichzeitig Himmelfahrt, Erhöhung und Geistausgießung ist.

In der rechten, freieren Bildhälfte kommt eher unsere Zeit zur Sprache. Mit der einsamen Gestalt des Herkules am Scheideweg ist eine Figur aus der griechischen Mythologie dargestellt, die letztlich für jeden von uns steht. Denn er wird vor die Wahl gestellt, den verlockenden, bequemen, aber vergänglichen Weg der Lust oder aber den beschwerlichen, mühevollen Weg der Tugend zu gehen. Herkules wählt Letzteres. In der Leere der weißen Fläche ist im erhobenen Arm seine Entschlossenheit zu spüren, den steinigen, mühsamen Weg in die Berge einzuschlagen, der ihn zur Unsterblichkeit führt.

Was haben die drei Bildelemente nun miteinander zu tun? Fassen sie nicht in einem grandiosen Überblick entscheidende Eckpunkte menschlicher Erkenntnis in dieser Welt zusammen? Der grünende Baum erzählt, wie sich die ersten Menschen von seinem Urbild im Paradies das Recht auf Unterscheidung und damit auf Entscheidung holten. Herkules steht als Prototyp für alle Menschen, die von diesem Recht auf Entscheidung vielfach Gebrauch machen müssen. Und dominierend in allem Leben das Sinnbild der Auferstehung, die den in eine andere, dauerhafte Wirklichkeit führt, der sich glaubend für diesen Weg entscheidet.

Baustelle des Lebens

Viele fragmentarische Teile bilden dieses Triptychon. Das Auge weiß nicht so recht, wo es mit dem Schauen anfangen soll, um die Einzelteile zu einem Ganzen zusammenzuführen. Der gemeinsame Hintergrund ist mit den Holzstrukturen lebendig, aber unruhig, die gerüstartigen Konstruktionen auf den Seitenteilen wunderschön in warmem Licht liegend, aber diffus, mit viel Angefangenem, Ungeordnetem … Lediglich in der Zusammenschau der beiden Außenteile ist eine klare Zuordnung zur Mitte zu beobachten.

Dort scheint auf den ersten Blick die größte Klarheit zu herrschen. Im Zentrum steht eine weiße Leiter, die an ein Kreuz gelehnt ist. Ein Kreuz, das sich farblich kaum vom Hintergrund abhebt. Ein Kreuz, das mehr durch die Vertikale der Leiter und eine lange weiße, die Kreuzarme untergreifende Horizontale in Erscheinung tritt. Dieser die drei Bildteile verbindende Balken macht einen sammelnden, wohltuend umfassenden Eindruck. Das Kreuz steht auf keinem festen Boden, in keinem wirklichen Raum, sondern schwebt – nur von der durchgebogenen weißen Waagrechten gehalten – in einem undefinierbaren Raum. Soll es Haltlosigkeit vermitteln oder mehr auferstehungsgleiche Leichtigkeit?

Die hellen Grüntöne und die warmen roten Farben im Kreuz lassen zu Letzterem tendieren. Auch die Leiter lässt vermuten, dass die Kreuzabnahme des Leichnams Jesu schon stattgefunden hat. So können die Frühlingsfarben, das Herz und die fünf krönenden x-Zeichen als „Erinnerungen“ oder „Abdrücke“ dessen gesehen werden, der ein Herz für die Menschen hatte und mit einer Dornenkrone verspottet am Kreuz starb. Sie künden von der Auferstehung dessen, der hier vor kurzem den Boden unter den Füßen verloren hat.

Das Bild lässt viele Lesemöglichkeiten zu. Traditionelle Kompositionen von Kreuzigungsdarstellungen aufnehmend, gehen die drei Bildteile doch ganz neue Wege. So sehr die Holzteile in den Seitenflügeln an die Kreuze der beiden Schächer erinnern, zu finden sind sie nicht wirklich, obwohl sich in den schwer bestimmbaren Teilen der Bilder auch Gestalten oder Teile davon entdecken ließen.

Die Holzkonstruktionen bilden vielmehr das Gerüst für den schmalen waagrechten weißen Balken, auf dem das Kreuz nun zu ruhen scheint, nachdem unter ihm der Boden weggebrochen ist. Will damit angedeutet werden, dass der bisherige Boden nicht mehr tragbar war und deshalb eine neue Basis für eine unfassbar neue Botschaft nötig war?

Das Leben hat durch Jesu Tod und Auferstehung neue Dimensionen erhalten: es endet nicht mehr mit dem Tod. Gott ist in das Reich der Toten hinabgestiegen und hat sie erlöst (Der unter dem Kreuz liegende Kopf erinnert an Adam – Detailbild). In einem fast versteckten Detail verwebt der Künstler im Mittelbild das einmalige Kreuzereignis mit jedem Leben: der Querbalken des Kreuzes schiebt sich elastisch lebend zwischen die Sprossen der Leiter vor den rechten Holmen. Die Leiter lässt sich als Symbol für menschliches Leben sehen, in das sich das Kreuz wie es der Einzelne erkennt, einschiebt. Mit seiner dunklen, schweren Seite sicherlich, aber auch in seiner befreienden.

Dialogisches Gegenüber

Einer Skulptur gleich steht der kreuzförmige Glaskörper frei im Raum. Kreuze, die nicht an der Wand hängen oder einfach auf dem Tisch liegen, sind selten geworden. Diesem hier ist zudem eigen, dass es trotz seines schweren Materials schwebend leicht aussieht. Dieses Kreuz hat von sich aus keinen festen Ort, sondern vermag sich den Bedürfnissen seines Betrachters anzupassen, wenn dieser im Kreuz mal mehr ein dialogisches Gegenüber, dann wieder einen sichtbaren oder unsichtbaren Begleiter sucht, so wie es bis in unsere Zeit hinein das kleine „Sterbekreuz“ war, das „Hand in Hand“ mit dem Erlöser in der Sterbestunde beistand.

Das Kreuz aus Glas signalisiert zu Recht Zerbrechlichkeit. Damit wird unsere menschliche Schwachheit reflektiert, unsere Anfälligkeit, unter großem körperlichem Druck zu zerbrechen. Doch mit der Dicke und der Oberflächenbehandlung fängt der Künstler die innere Zerbrechlichkeit auf und verleiht dem Kreuz eine Festigkeit, die Unzerstörbarkeit ausstrahlt. Erhaben steht es im Raum und bietet seine Vermittlung an. Es geht nicht um das Kreuz selbst, sondern um den, der an ihm würdevoll gestorben ist, und um den Menschen, der in diesem Kreuz Halt sucht. Wie das an sich durchsichtige Glas durch das Sandstrahlen die Sicht auf das hinter dem Kreuz Seiende verwehrt, so vermag auch der Suchende das vor ihm Liegende mit seinen Sinnen nicht zu durchdringen. Allein, wenn er das Holzkreuz aus seiner Fassung herauslöst, eröffnet sich ein begrenzter Durchblick.

Das innere, individuell gestaltete, goldgelb und mit rötlichen Spuren bemalte Kreuz ist im großen äußeren Kreuz geborgen. Das Hölzerne ist ein Teil vom Glasigen, es wird von ihm umgeben und getragen. Dieses in der Natur gewachsene, „lebendige Herzstück“ des Kreuzes kann herausgenommen, davor gelegt oder spürbar in die Hand genommen werden. Es möchte physischer Halt sein, der einerseits die Nähe und Wärme des am Kreuz Gestorbenen und Auferstandenen erfahrbar macht und hilft, die Krankheit oder den Tod anzunehmen, andererseits auch als Begleiter zurück ins gesunde Leben oder eben ins Grab mitgenommen werden kann. So will dieses Kreuz nicht nur Raumschmuck sein, sondern mit dem betrachtenden, betenden, leidenden und vielleicht auch scheidenden Menschen ganz konkret in einen tröstenden, stärkenden, aufbauenden und sinnstiftenden Dialog treten.

Form und Material des äußeren Kreuzes lassen die Schwere des Todes, des physischen Abschieds aus dem irdischen Leben spüren. Die matte Oberfläche des Stehkreuzes vermittelt aber gleichzeitig Leichtigkeit und Hoffnung. Die Öffnung in der Mitte verstärkt diesen Eindruck. Sterben ist schwer, man ahnt mehr als man sieht, was nach dem Tod kommt, aber durch Christus haben wir die Gewissheit, dass der Tod Durchgang ist, dass das Leben danach weitergeht.

In der Mitte gegenwärtig

Fasziniert mag das Auge auf der hellen Gestalt in der vertikalen Mitte des Bildes verweilen. Wie eine Erscheinung tritt sie aus dem lichten Gelb hervor, ganz Geist und doch sich materialisierend unseren Blicken zu erkennen gebend. Die Arme kaum erahnbar am Körper angelegt, Oberkörper und Kopf leicht nach vorne geneigt, spricht äußerste Zurückhaltung genauso wie ein Auf-uns-Zukommen aus dieser Menschengestalt.

Ein Heiligenschein bezeichnet die Gestalt als eine mit Gott in enger Verbindung stehende Person. Kommt sie direkt von ihm? Wie aus einer Türöffnung scheint sie aus der rechteckigen Öffnung, die unsere Welt andeuten könnte, auf uns als Betrachter zuzukommen. Auch die beiden Flügel bezeichnen sie als Bote Gottes und als Lichtbringer in die dunklen Momente unserer Welt.

Doch kommt die engelsgleiche Erscheinung wirklich durch die rechteckige Öffnung auf unsere Seite? Die Öffnung könnte auch nur ein Fenster sein, ein Durchblick und Ausblick auf etwas Wunderbares. Der Engel wartet auf uns, will uns ermutigen, zeigt Zukünftiges, zu Erwartendes, weckt damit Sehnsucht nach Wärme, Heil und Geborgenheit. – Alles also nur Illusion, Vertröstung, bestenfalls Vision?

Nein! Die Flügel des Engels sprechen eine andere Sprache. Sie bilden in Form und Farbe ein großes Herz. So groß und warm könnte es Gottes Herz darstellen, denn aus seiner unendlichen Liebe zu uns schickt er uns Boten und Zeichen seiner liebenden Nähe. So wie das Herz für die glühende Liebe des Senders stehen mag, kann es auch als unser Herz gesehen werden, in das der Bote tritt. Es erhält durch die Lichtgestalt eine starke Mitte. Es wird zusammengehalten und zeigt zugleich Offenheit für die geheimnisvolle Präsenz eines Anderen.

Denn die Erscheinung muss kein Engel sein. Wir können auch am oberen Bildrand den Querbalken eines Kreuzes wahrnehmen und die Lichtgestalt als Jesus deuten, eingehüllt in glühende Liebe. Oder als den Auferstandenen, der durch die Liebe seines Vaters zum Leben erweckt worden ist und nun – nicht fern und undefinierbar im Irgendwo, sondern klar und deutlich – in unseren Herzen lebt und ihm göttliche Impulse gibt. Lässt das ihn umgebende wunderbare Rot nicht die kraftvolle Präsenz seines Heiligen Geistes spüren?

 

Weitere Bildmotive von Christel Holl finden Sie und können Sie bestellen auf der Website des Beuroner Kunstverlages.

Einer steht dahinter

Manchmal lohnt sich ein genauerer oder hinterfragender Blick. So wie bei dieser Knospe in einer Kreuzform. Das Bild ist mit drei Ebenen oder Formen sehr einfach aufgebaut: Hintergrund, Kreuzform, Knospe.

Der Hintergrund präsentiert sich in einem dunklen, aber transparenten Blau. Nacht könnte damit angedeutet sein, aber auch Geheimnis. Die Transparenz lässt auf ein lichtes Dahinter schließen – nur der nächste Tag oder gar etwas Größeres, welches hinter allem und damit auch hinter diesem Geschehen steht und es hält?

Die in Rottönen gemalte rechteckige Form hebt sich als etwas Geschaffenes vom eher endlosen Hintergrund ab. Wie eine Straße oder ein Weg mit einem großen Rastplatz durchquert sie das Bild in der Vertikalen. Es muss nicht ein Kreuz sein, aber es kann. Die Gestaltung der Kreuzform ist offen für weitere Interpretationen. Es ist nichts Dunkles mehr in diesem „Kreuz“ zu finden. Lichtdurchflutet und vom Rot der Liebe und des Lebens umgeben verkündet das ursprüngliche Symbol für einen grausamen Tod durch Jesu Auferstehung nun Hoffnung und neues Leben. Das Kreuz ist nicht mehr Endstation, sondern Durchgang zu Neuem.

Die große Knospe suggeriert, dass dieses Neue im Gegensatz zur Kreuzform eine ganz andere, bisher unbekannte Lebensform beinhaltet. Anstelle der harten und geraden Formen besteht sie aus weichen, geschwungenen Linien, das künstlich Geschaffene ist nun dem natürlich Gewachsenen gewichen. Eine silberne Aura umgibt diese Pflanze des neuen Lebens, in deren Knospe sich die Farben der „alten Welt“ von außen nach innen wiederholen. Damit wird angedeutet, dass dieses ganz Andere und Neue dennoch aus dem Bekannten und Vorhergehenden entsteht und damit seine Spuren trägt. Aber in seinem Innern, umrahmt von einer feinen Goldspur, leuchtet in reinem, hellem Gelb die Einzigartigkeit und Schönheit seiner treibenden Kraft auf – unscheinbar, bezaubernd, von der überwältigenden Zuneigung des hinter uns Stehenden erzählend.

Himmelstanz

Eine ungewöhnliche Begegnung in den Wolken: zwei Gestalten in wehenden Gewändern reichen sich die Hand. Die linke Gestalt scheint von der rechten nach oben gezogen, willkommen geheißen, zum Tanz aufgefordert zu werden. Und sie folgt dieser Einladung mit ganzem Herzen.

Wer sind diese beiden? Die Künstlerin Christina Simon hat sich in das mystische Leben der Mechthild von Magdeburg aus dem frühen 13. Jh. hineinversetzt und sich in ihre Schriften vertieft, um Erfahrungen daraus in einem Linolschnitt-Zyklus darzustellen.

Mechthilds Bestreben war es, so weit wie möglich unsere Diesseitigkeit zu übersteigen, um Gott nahe zu sein. Ihre sehnsüchtige Gottsuche, ihre drängende Gottesliebe zeigt die Künstlerin in dem feurigen Rot ihres Gewandes und ihrer Haut und ebenso, wie sie aus dunklem Grund aufschwebt in unbekannte Höhen des Lichts zu einer von schräg oben entgegenkommenden Gestalt, die sie, sich ihr leicht entgegenneigend, beim linken Handgelenk fasst. Männlich? Weiblich? Göttlich – das Ziel ihrer Sehnsucht? Weisen ein Flügel am Rücken, eine Taube über ihrem Haupt, die Purpurfarbe an Gewand und Haut, die hellen Lichterscheinungen auf eine außerirdische Vision? In der Mitte ihrer Begegnung, bei der Berührung beider Hände ist der Hintergrund ganz weiß, ganz hell. – Ungestaltetes Licht! – Da braucht es keine Worte mehr, keine Farbe, da ist alles gesagt. Ein intensiver Blickkontakt begleitet dieses Aufeinander-Zukommen und ein beinahe geometrisch zu bestimmendes Aufeinander-Bezogensein.

Kann denn Sprache die Begegnung von Gott und Mensch in Worte fassen? Kaum. Mechthild von Magdeburg fand das Bild vom Tanz, um mitzuteilen, welches Erlebnis ihr geschenkt worden war und Christina Simon greift es auf, um das darzustellen und festzuhalten. Tanz: gemeinsam sich mit dem ganzen Körper, seinem ganzen Selbst der Melodie, dem Rhythmus überlassen, das kann mehr ausdrücken und mehr verstehen, als viele Worte. Mechthild wurde das mystische Erlebnis des Einswerdens der Seele mit Gott geschenkt: „Ich tanze Herr, wenn du mich führst …“

> Weitere Bilder aus dem Zyklus und ausführliche Beschreibung auf der Website der Künstlerin

Bedeutsame Hände

Hände und Unterarme sind in diesem Kreuzweg die Hauptdarsteller. Bis auf drei Ausnahmen sind keine Körper oder Köpfe zu sehen (alle Bilder). Aber es geht ganz klar um den Menschen, ein Essen, Gefangenschaft, Stürze, Leid, Kreuzigung und Auferstehung. Die Handlung beschränkt sich in ihrem Ausdruck auf die fotografische Wiedergabe der menschlichen Arme und Hände, deren unterschiedliche Haltungen voller Symbolik sind. Im Dialog mit dem Holzbalken und dem Licht verstehen sie das Leiden und die Auferstehung Jesu eindrücklich zum Ausdruck zu bringen. Dies verstärkt der sparsame Einsatz von Farbe im ersten und letzten Bild sowie ankündigend in der Kreuzigung.

Die Hände begegnen und berühren sich, sind in gestischem Gespräch. Hier wird die eine von einer anderen ergriffen und gehalten. Ihre diagonal-vertikale Ausrichtung ist von Bedeutung. Ebenso, dass der untere Arm das waagrechte Holz kreuzt und ein breites gelbes Lichtband senkrecht die Dunkelheit trennt. Vor dem Hintergrund der Kreuzigung wird so die göttliche Hilfe symbolisiert: Einerseits die rettende Hand von oben, welche den Menschen am schlaffen Handgelenk aus der Tiefe des Leids und des Todes errettet. Andererseits das hereinbrechende Licht, das die Dunkelheit zurückweichen lässt und durch seine Vertikale dem furchtbaren Kreuzestod bereits einen glorreichen Ausgang gibt.

Bedeutsam sind die sechs Hälften der Passionsfrucht, die im Kreuzungspunkt des Lichtstrahls auf dem Holzbalken liegen. So wie seit dem 17. Jahrhundert in der Passionsblume die ganze Leidensgeschichte Jesu gesehen wurde (daher auch der Name), so kann deren Frucht die Auferstehung bezeichnen. Die Hälften geben gleichsam Einblick in das an sich Verborgene der Auferstehung, lassen im Innern der unansehnlichen und harten Schale das reife Fruchtfleisch sehen, sie bilden eine symbolische Siegeskrone angesichts des überwältigten Todes und der erlittenen Folterqualen.

Das Fehlen von Blut und geschundenen Körperteilen mag irritieren. Ob damit gesagt werden will, dass den Darstellern die Erfahrung der Folter und des Todes unbekannt ist? Oder könnte dies auch zum Ausdruck bringen, dass in der Auferstehung alle Wunden geheilt werden? Dass wir im Tod zu einem neuen und ganzheitlichen Leben auferweckt werden, das zeitlos und integral unser ganzes Wesen beinhaltet? – Wir?

Auch die verschiedenen Hände und Arme mögen verunsichern. Der Kreuzweg folgt in seiner Handlung und Abfolge dem Leidensweg Jesu. Aber er wird von Menschen jeden Alters und Geschlechts dargestellt, um deutlich zu machen, dass erstens viele Menschen einen solchen Leidensweg gehen müssen. Zweitens zeigt er auf, dass es unsagbar schwer ist, einen solchen Weg alleine zu gehen und es gut tut, eine hilfreiche Hand bei sich zu haben. Letztlich zeigen die verschiedenen Teilnehmenden auf, dass der Leidensweg Jesu in seiner Wirkung alle Menschen betrifft. Jesus ist für uns alle gestorben. Durch seine Auferweckung von den Toten hat er uns allen die Hoffnung auf ewiges Leben geschenkt.

Gesamtansicht aller Kreuzwegbilder

Sehnsucht nach Befreiung

Neun Fensterteile bilden zusammen eine Art Triptychon. Fünf schlangenförmige Elemente umgeben eine zentrale Figur, deren Oberteil von einem ähnlichen Element eng umklammert ist. Gleichzeitig erscheint die menschliche Person erhöht, ja schwebend und dennoch gehalten in einem gelben Bereich mit T-Form.

Gebundenheit spricht aus der schmalen Silhouette dieser Gestalt, deren Beine eng nebeneinander liegen und denen die Arme auf den Rücken gedreht sind. Wie Fesseln überziehen kreuz und quer Linien den Körper. Auch die Körperhaltung vermittelt Gefangenschaft, Unfreiheit, Leiden und Erdulden einer unfreiwilligen Situation. Fuß- und Kopfhaltung dieses Menschen mögen an Darstellungen des Gekreuzigten erinnern, aber hier wird eine menschliche Grundexistenz dargestellt.

Mit unserem Denken und Tun verstricken wir uns immer wieder in unfreiwillige Gebundenheiten, welche unser Leben Stück für Stück bis zur Unbeweglichkeit einschränken. Oft merken wir gar nicht, wie unsere Freiheit zu Denken und zu Handeln geschwunden ist und nehmen den beschränkten Lebensraum als die größtmögliche Fülle an. Wie ein starrer Panzer können aber auch Krankheiten, Unfälle und andere Lebensumstände unseren Körper und Geist umgeben und zur Bewegungslosigkeit zwingen.

Gott sei Dank muss es nicht so bleiben und gibt es die sehnsüchtige Hoffnung auf eine Macht, die stark genug ist, diese einer massiven Befestigung gleichende Umgebung aufzubrechen. Umgeben und neu gehalten vom goldgelben Licht, das symbolisch für Gott steht, sind bereits Teile weggesprengt worden, die nun haltlos im Luftraum schweben. Ihre Formen lassen noch den Körper erahnen, den sie bedrängt haben. Die Befreiung ist im Gange, die Erlösung nicht mehr fern.

Aus der Zusammenschau von dem Fenster zur Linken und dem zur Rechten wird dieser zum Altar hin orientierte Prozess auf dreifache Weise verdeutlicht:

Zum einen ist die Befreiung am Menschen selbst festzustellen, der im linken Fenster noch vollständig von den starren Elementen eingemauert ist, auf der anderen Seite aber frei im von unten auftauchenden (auf der anderen Kirchenseite im von oben hereinbrechenden) goldenen Licht badet. Dieses Licht bezeugt die befreiende und belebende Kraft, wie wir sie in der Natur von der Sonne kennen und nach einem langen Winter ersehnen. Seine Kreuzform verbindet sich mit der Erlösung und Auferstehung Jesu, die durch seine Hingabe möglich geworden war und das Heil für alle Menschen gebracht hat. Die dritte Form der Befreiung kommt in der von sechs auf vier abnehmenden Anzahl der umgebenden Elemente zum Ausdruck.

Diese Hoffnung soll allen Gläubigen zur Glaubensgewissheit werden: in dem im Kirchenraum intensiv erlebten und gefeierten Gottesdienst, damit auch im Alltag Gottes begleitende und befreiende – und dadurch österliche – Gegenwart spürbar erfahren wird.

Link zur Darstellung aller 6 Fenster

Aus der Mitte heraus

Bekannte Elemente wie die sitzende Christusgestalt oder die altmeisterlich vollendete Malweise vermitteln den Eindruck, vor dem Werk eines alten Meisters zu stehen. Der fliegende Fischschwarm zur Linken oder die fallende Skulptur des Gekreuzigten zur Rechten verwirren jedoch und geben Rätsel auf. Auch die beiden Messer und die Lanze, die auf den Sitzenden zufliegen, sind ungewöhnlich und wecken die Sinne, sich intensiver mit diesem Bild auseinander zu setzen, um seiner Geschichte vielleicht etwas auf die Spur zu kommen.

In der Mitte meinen wir unserer Wahrnehmung noch trauen zu können. Der Thronende lässt sich aufgrund der Wundmale als der auferstandene Christus identifizieren. Als Salvator mundi, als Retter der Welt, segnet er die Schöpfung zu beiden Seiten. Dass er nicht wirklich sitzt, sondern vielmehr als Weltenrichter zwischen Tag und Nacht vor dieser mit geheimnisvollen Zeichen versehenen Rückwand und auf diesem erhebenden Sockel erscheint, stört noch nicht weiter. ER steht im Mittelpunkt – in der Mitte des Bildes und betont auf dem roten Kreis des Podests. Dass Christus allerdings die Gesichtszüge des Künstlers trägt, bringt einiges durcheinander. Die Gott zugesprochenen Attribute werden nun gewissermaßen vom Künstler vereinnahmt und machen deutlich, dass auch er die Macht hat, Welten zu erschaffen.

Dabei ist sein Schaffen kein Erschaffen aus dem Nichts. Das Zusammenfügen und Anordnen der verschiedenen Bildzitate stellt vielmehr eine Ordnung dar, die neuen, eigenen Gesetzen gehorcht. Der Bildtitel weist in Anlehnung an das gleichnamige Gedicht von Eduard Mörike auf die schiedsrichterliche Funktion des Künstlers hin. Er steht immer zwischen zwei Zeiten und hat es in der Hand zu entscheiden, was er aus dem Fundus der Vergangenheit nehmen will, um die Zukunft zu gestalten. Was durch ihn geschieht, hat durchaus Auferstehungscharakter, wie die drei sich öffnenden, weißen Blüten der sogenannten Osterlilien in Anspielung auf die drei österlichen Tage andeuten. Nicht nur die Macht der Nacht wird gebrochen – links überflutet schon das Licht der Morgensonne die Berggipfel –, auch die Macht des Todes. Am Fuße des Baumstammes, der durch die herabfallende Figur des Gekreuzigten zum Kreuzesstamm wird, wächst wie in der Geborgenheit einer Bauchhöhle, dem Uterus, ein Kind heran – neues Leben. Die stürzende Jesusgestalt muss dabei nicht blasphemisch gemeint sein, sondern kann Zeichen sein, dass er nicht am Kreuz geblieben, sondern von seinen Freunden begraben worden ist. In diesem schwebenden Dazwischen ist er einerseits mit der Kopfneigung in einem eindrücklichen Dialog mit dem Embryo, über den er wie schützend den Arm auszubreiten und ihn zu umarmen scheint, andererseits steht er mit dem linken Arm und dem wehenden Lendentuch in direkter Verbindung zum Auferstandenen. Darauf, dass der Leib des irdischen Lebens der Vergänglichkeit anheimfällt und etwas Neues an seine Stelle getreten ist, können die wie abgehackt wirkenden Armstümpfe und der fehlende Unterleib hinweisen.

Auf der linken Bildseite schweift der Blick in die Weite, aber auch in die Tiefe auf einen Fluss mit starker Strömung, der durch das Tauwasser (gut über und unter der Speerspitze zu sehen) des ewigen Schnees gespeist wird. Was lange Zeit gefroren war, wird durch die Wärme des „neuen Tages“ lebendig und zu einem Quell des Lebens. Die Fleischmesser und die Lanze stehen dazu im Widerspruch. In ihrer Ausrichtung auf „Christus“ und die unmittelbare Nähe zu ihm fühlen sie sich eher bedrohlich an, tragen den Tod in sich. Indirekt haben aber auch sie mit der Auferstehung zu tun. So bat der Auferstandene den ungläubigen Thomas, seine Hand in die durch eine Lanze geöffnete Seite zu legen, um sich zu überzeugen und gläubig zu werden (Joh 19,34; 20,27). Die Bedeutung der Messer erschließt sich mir noch nicht wirklich, sie könnten aber ein Hinweis sein, dass Christus als Lamm Gottes sein Blut für die Vergebung der Sünden vieler vergossen hat.

Zuletzt bleibt uns noch die Deutung der wunderbar gemalten und ganz unterschiedlichen Fische. Dass sie nicht im Wasser schwimmen, stört uns in der neuen Ordnung des Künstlers nicht mehr. Auffallend ist ihre Christus-Orientierung, ihre Ausrichtung auf den Auferstandenen. Ob der Künstler hier die Erzählung vom wunderbaren Fischfang nach einer ergebnislosen Nacht neu ins Bild bringen wollte (Joh 21,1-14)? Die Hundertdreiundfünfzig Fische wurden in der Bibelauslegung immer wieder als Symbol für die gesamte Menschheit gedeutet. Sie könnten aber auch zeichenhaft für die an Christus Glaubenden stehen, diejenigen Menschen, die sich im Glauben Christus zugewandt, ihr Leben aus dem Glauben heraus auf ihn ausgerichtet haben.

Nun könnte die Frage auftauchen, ob der Künstler durch sein Bild vielleicht beabsichtigte, dass ihm eine ähnliche Aufmerksamkeit zuteil würde wie dem Auferstandenen. Das wäre anmaßend. Aber seine Mittlerfunktion, auf die dieses Stilmittel hinweist, hat uns die Auferstehung Christi und ihre Bedeutung durch die verschiedenen Symbole hindurch neu erfahren lassen. Nach der anfänglichen Irritation ist der Künstler im Verlaufe der Betrachtung wieder hinter sein Vorbild zurückgetreten, damit Er aus der Mitte heraus für alle Menschen auch Quelle des Lebens sein kann.

 

Gelassen stieg die Nacht an Land,
lehnt träumend an der Berge Wand;
ihr Auge sieht die goldne Waage nun
der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
vom Tage, vom heute gewesenen Tage.

Das uralt alte Schlummerlied –
sie achtet’s nicht, sie ist es müd;
ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
der flücht’gen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
es singen die Wasser im Schlafe noch fort
vom Tage, vom heute gewesenen Tage.
(Eduard Mörike)

Begeisterter Aufbruch

Kann eine Osterbegegnung bereits ein Pfingstereignis sein? Das Bild von Manfred Hartmann suggeriert dies und lässt uns die Emmaus-Erzählung (Lk 24,13-35) in einem neuen Licht sehen. Seine Bildfläche ist horizontal in eine dunkle und eine helle Hälfte geteilt. In ihrer Anordnung erinnern sie unwillkürlich an Tod und Auferstehung. Zwei Tage ruhte Jesus im Grab. Am dritten Tag erstand er von den Toten. Ob der Bildträger deswegen au drei Teilen zusammengesetzt ist?

Aus der Dunkelheit des Todes und des Grabes ragt das lichte Kreuz weit nach oben. Es trägt keine Merkmale der Folter mehr. Hell und freundlich scheint in seiner Mitte eine aufgehende Sonne zu leuchten, die beiden Kreuzarme können freundschaftlich die beiden gelben Menschengestalten umarmen: Erscheinung des Auferstandenen inmitten der beiden Jünger! Wie er den Lobpreis sprach und das Brot brach, haben sie ihn erkannt (vgl. Lk 24,30f). Ihm zugeneigt, sind die beiden dargestellten Jünger der äußeren Form des Brotes ähnlich geworden. Wie zwei Klammern ( ) umgeben sie das geteilte Brot. Sie sind auch von der warmen Farbe des Brotes erfüllt. Jesus endgültig gleichförmig und gleichfarbig geworden können sie nun nach Jerusalem zurückkehren und bezeugen, dass Jesus sie auf ihrer Reise begleitet hat und sie ihn als Auferstandenen, als Lebenden erkannt haben.

Im Nachhinein haben sie erst das Brennen ihrer Herzen deuten können, das ihnen die Gegenwart Jesu signalisiert hatte. Allein sie weilten in der Dunkelheit der fehlenden Erkenntnis. Ihre dunklen, von Traurigkeit und Niedergeschlagenheit erfüllten Gestalten sind links unten neben dem Herz und in der Mitte der rechten Bildtafel zu erkennen. Wie Jesus von der Dunkelheit des Grabes umschlossen war, so waren ihre Herzen von den unbegreiflichen Eindrücken der vergangenen Tage umgeben und brauchten einen äußeren Impuls, um zu erkennen und von neuem lichterloh für die Sache Jesu zu brennen.

So sehr sich das Bild im Gesamtaufbau von unten nach oben entwickelt, von der Dunkelheit zum Licht, so kann gleichzeitig eine Kreisbewegung im Uhrzeigersinn beobachtet werden, die ihren Anfang rechts unten, in der kleinsten Bildtafel, hat. Zwischen den beiden roten Flächen können auf der einen Jüngergestalt auch die Umrisse einer Schrifttafel gesehen werden, welche an die Darstellungen der beiden Gesetzestafeln des Mose erinnert. Sie könnte auf Jesus verweisen, der von Mose und den Propheten ausgehend, den ihn begleitenden Jüngern dargelegt hatte, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht. Die linke rote Fläche mag deswegen pfeilförmig in den oberen Teil hineinragen. Andererseits können die beiden Flächen auch als die Herzen der Jünger gedeutet werden, zweigeteilt, uneinig, unförmig. Und es wäre dann die in dieser symbolischen Steintafel verborgene geheimnisvolle Gegenwart Jesu, welche die Jünger unsichtbar zusammenhalten würde. Durch seine Worte werden sie unterwegs immer mehr zu einer neuen Einheit geformt und mit neuem Leben erfüllt, dem Auferstandenen gleich. Wie im linken unteren Bildteil dargestellt, brennt diese neue Lebensfülle ähnlich der einem Samenkorn innewohnenden Kraft alle einengenden Grenzen durch und eröffnet dadurch neue Erkenntnisse und daraus resultierende neue Handlungsweisen, die sich ganz am Auferstandenen orientieren.

Vom Geist des Auferstandenen befreit und von Gottes Geist bewegt, werden sie von nun an immer wieder von diesem prägenden Ereignis erzählen. Sie werden in der Nachfolge Jesu selbst das Brot in die Hand nehmen, den Lobpreis sprechen und das Brot brechen, um allen Menschen seine hingebende Gegenwart zu offenbaren und lichtvolle, begeisterte Gemeinschaft mit ihm zu ermöglichen.

Kraft der Auferstehung

Bekanntes mit neuen Augen zu sehen ist immer wieder eine anspruchsvolle Aufgabe. Zu schnell trüben vorhandene Bilder den Blick und behindern eine unvoreingenommene Sichtweise. Dies könnte auch bei dieser Bronzearbeit geschehen, auf der ein liegender und ein stehender Mensch gezeigt werden. Letzterer wird durch die ausgebreiteten Arme schnell als Jesus identifiziert. Es ist die Haltung, die er am Kreuz einnehmen musste. Losgelöst vom Kreuz wird die gleiche Haltung aber zu einer Geste der Offenheit und des allumfangenden Willkommen-Heißens.

Gegensätzlichkeit charakterisiert die beiden Personen. Die annähernd gleich großen Rechtecke hinterfangen, wiederholen und betonen ihre Körperhaltung. Der Liegende befindet sich ganz unten im waagrechten Feld, ein Gewandteil fällt über die Unterkante hinaus. Ausgestreckt liegt er da, den Eindruck erweckend, gestürzt oder gefallen zu sein, als kümmerliches Wesen in der Ecke dieser an eine große Kiste oder gar an einen Sarg erinnernden Form.

Doch noch im Fallen scheint er die Hoffnung nicht aufgegeben zu haben. Seine rechte Hand ist hilfesuchend ausgestreckt und erfüllt sein Liegen mit Zuversicht und erwartendem Drängen. Bildlich wird das so zum Ausdruck gebracht, dass der Oberteil des Kopfes und die rechte Hand in den untersten Teil des anderen, senkrechten Elementes hineinragen, das wie zwischen dem waagrechten Feld und der liegenden Person eingeschoben erscheint.

Damit wird diese im Sterben begriffene oder bereits verstorbene Person in zweifacher Weise von oben her dem Tod entrissen: von oben wie auch in den verschiedenen Bildebenen. Die offene Hand wird dabei zum spannungsgeladenen Wendepunkt. Darüber taucht wie aus dem Nichts aus der gleichmäßigen Oberfläche der Grundplatte der senkrechte Mensch auf: als Auferstehender. Neue Kraft ist in ihn eingekehrt, ein neues Gleichgewicht, auch ohne Bodenhalt. Die Schwerkraft der Erde ist überwunden. Losgelöst, ja erlöst von allen Gebundenheiten schwebt er nun vor der Mitte des vertikalen Hintergrundes. Die gleiche Macht, die Jesus den Toten entrissen und dem Leben zugeführt hat, ist nun auch sein Halt und sein Heil geworden. Frontal dem Betrachter zugewendet, hoheitlich über alles Erniedrigende und Erdrückende erhoben, dringt die befreiende Geste des Auferstandenen durch und wird die Seine. Die ausgebreiteten Arme signalisieren eine neue, alle Grenzen überschreitende Weite. Alle sollen an diesem neuen Leben teilhaben, in ihm Zuversicht, Halt, Kraft und Dauer finden.

Die Waagrechte und die Senkrechte des Kreuzes sind noch zu erkennen, können aber in dieser Form nicht mehr Marter und Tod bringen. Sie haben eine dynamische Form angenommen und einen Weg geöffnet, der letztendlich ins Leben führt.

Erlösung

Feuer, und mitten drin blass wie ein Geist der Gekreuzigte. Er neigt den Kopf nach rechts, das Leiden scheint vollbracht. Er schwebt und hängt dennoch mit den Armen am horizontalen Kreuzbalken. Eigenartig, wie er mitten in diesem Flammenmeer steht. In diesen Flammen, die nach längerem Betrachten zu einer blutroten Menschenmenge werden kann, die mit erhobenen Armen zu rufen scheint: Ans Kreuz mit ihm, kreuzige ihn! In ihrem Zorn wollen sie ihn verbrennen, vernichten – doch er wird ihnen ans Kreuz entzogen.

Ihr Schreien und Rufen scheint sich nach oben hin in Luft aufzulösen. Je länger der Blick auf der unteren Bildhälfte ruht, verschwindet auch der Eindruck einer aufgebrachten Menschenmenge zugunsten einer zurückbleibenden. Erhöht und erhaben steht Christus über dem Geschehen. Kreuzigung, Auferstehung und Heimkehr zum Vater werden hier in einem Bild thematisiert. Gott wird dabei als weißlich-gelbes Licht angedeutet, das seinen Sohn umfängt und ihn gewissermaßen in seine ursprüngliche, ungeschaffene Lichtgestalt zurücknimmt.

Zu denken gibt, dass von Jesu Wunden kein Blut ausgeht. Es ist nicht sein Blut, das auf dem Bild die Menschheit oder die Schöpfung erlöst. Wie kann das wohl gedeutet werden? Hat Jesus sich ausgeblutet, ging seine Hingabe bis zum letzten Blutstropfen? Oder hat der Künstler ihn ganz in Weiß dargestellt angedeutet als den, der frei ist von jeder Schuld? („Von der Jungfrau geboren“, besagt ja in der antiken Mythensprache genau das, und zwar rückblickend auf sein Leben!)

Diese Schuldlosigkeit zog die Menschen an und brachte sie zum Staunen und zur Bewunderung, war den Priestern und den römischen Besatzern aber unerträglich. Darum wurde ihm Schuld angehängt: er habe gegen das Gesetz des Moses verstoßen, z.B. am Sabbat geheilt, mit Zöllnern Dirnen und öffentlichen Sündern Umgang gepflogen, Völlerei getrieben, sein gewollt wie Gott, den römischen Kaiser nicht geehrt, Gott gelästert und ein nach ihrem Verständnis völlig überzogenes, skandalöses Selbstverständnis gehabt – „ich aber sage Euch, …“

Schließlich wurde die Kreuzesstrafe über ihn verhängt, weil er Gesetze des Tempels nach ihrem Sinn hinterfragte und sie entsprechend ihrer tieferen Notwendigkeit, ihrem eigentlichen Sinn nach anwandte. Dies trieb ihm Menschenscharen zu, die mit dem Herzen verstanden, wie er mit der Schuld anderer umging, des Zöllners, der Ehebrecherin … und die auch mit dem Herzen seine Schuldlosigkeit erfassten. Das gefährdete in den Augen der geistlichen und weltlichen Obrigkeit die öffentliche Ordnung, passte nicht ins öffentliche Leben, und wurde nicht als höchster Wert anerkannt, sondern als Konkurrenz aufgefasst, die beseitigt werden musste.

In dieser Einzigartigkeit stellt ihn der Künstler nach seinem Tod dar. Jesus hat alle Schuld, die man ihm nachgesagt hat und dazu die Schuld der ganzen Menschheit auf sich genommen und gelöscht. Im Bild steht er, der sein Werk erfüllt und damit Erlösung gebracht hat, als Wegweiser, der die Botschaft hinterlässt, wie wir von nun an mit Schuld umgehen können. Das Weiß in dem der Künstler Jesus dargestellt hat, ist eigentlich gar keine Farbe. Wenn weißes Licht durch ein Prisma zerlegt wird, entsteht ein farbiges Spektrum von Rot bis Violett, in allen Farben des Lebens, auch den dunklen. Ist das ein Hinweis darauf, dass die Frohe Botschaft dazu verhelfen kann, alle Farben jedes Lebens letztendlich in Weiß zu bündeln? In schuldfreies Weiß?

Jedes Osterfest sollte bei aller Osterfreude auch diesem Aspekt Raum geben, in wie weit wir diese Wegweisung zulassen.