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Thomas Werk, Der barmherzige Samariter, 2006
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Der barmherzige Samariter

Ohne Hilfestellung kämen wir wahrscheinlich nicht auf den Gedanken, in dieser linearen Gestalt den barmherzigen Samariter zu sehen. Denn die Umrisse lassen neben einem Fuß oder einem Kopf auch andere Assoziationen zu.

Das die Arbeit prägende braunschwarze Band scheint mit einer breiten Feder auf das Blatt aufgetragen: Ansätze sind erkennbar und die auslaufenden Farbschattierungen vermitteln den Eindruck, dass die Striche in einem Zug gezogen worden sind.

Mit dem Band ist das Wichtigste ins Bild gebracht. Auf einer relativ schmalen Basis baut sich ein baumartiges Gebilde auf, das sich in der Mitte verdoppelt und in vielen Rundungen ausformt. An drei Stellen gehen je drei kurze Bänder strahlenartig von der Grundform weg.

Ist nun eine Person dargestellt oder sind es gar zwei Personen? Die beiden hufeisenförmigen Bögen oben links lassen an die Köpfe von zwei Personen denken. Die beiden Kreisformen in der Bildmitte dürfen wohl als Hände gesehen werden, wodurch wir zusammen mit den angedeuteten Beinen eine aufrechte, nach links schreitende Person zu erkennen vermögen, die eine weitere Person im Huckepack auf dem Rücken trägt.

In der Bibel heißt es, dass der Mann aus Samarien Mitleid mit dem von den Räubern zusammengeschlagenen Mann hatte. In seiner Barmherzigkeit hielt er sein Reittier an, stieg er ab und beugte er sich zum Verletzten nieder, um seine Wunden mit Öl und Wein zu pflegen und dann zu verbinden. Danach hob er ihn auf sein Reittier und brachte ihn in eine Herberge, damit dort für ihn gesorgt werde (Lk 10,30-35).

Im Gegensatz dazu ist hier der Samariter selbst als Träger des Verletzten dargestellt. Zeigt er sich durch seine Barmherzigkeit nicht für den anderen verantwortlich und belastet er sich dadurch nicht genauso wie sein Reittier? Und es scheint, dass er sich mit drei weiteren Personen beladen hat, die seiner tragenden Hilfe bedürfen.

Überraschenderweise ist in der dargestellten Gestalt auch der gute Hirte erkennbar, der immer wieder den verlorenen Schafen nachgeht und diese, wenn sie müde oder verletzt sind, auf seinen Schultern nach Hause trägt (Lk 15,5). Deckungsgleich sind beide von der Grundhaltung der Sympathie, des Mitleidens (von griech. syn, pathein = mitleiden) geprägt. Was die Bibel als exemplarische Einzelfälle wiedergibt, ereignet sich immer wieder und bildet einen festen Bestandteil des Lebens. Nicht umsonst hat Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter als Vorbild für den Gesetzeslehrer genommen, damit dieser (und auch wir) genauso handeln (Lk 10,36-37).

Weiter oben wurde gesagt, dass mit dem Band das Wesentliche ins Bild gebracht worden sei. Bildhaft bringt es zum Ausdruck, dass die Barmherzigkeit – das erbarmende, mitleidende Herz – die verbindende Kraft ist, die über alle erdenklichen Grenzen hinweg Menschen zu neuer Verbundenheit zusammenführt.

Patrik Scherrer, 15.07.2006

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