Befähigung zur Wahrnehmung von etwas ganz anderem

„Kirche – auch in ihrer baulichen Gestalt – ist immer Raum der Verkündigung des Wortes Gottes. Nicht nur in der Predigt, sondern auch in der Kunst, die uns in besonderer Weise an die Erfahrung heranführt, dass wir die wesentlichen Dinge im Leben nicht machen, sondern empfangen.

Das Ziel der Kunst ist nicht Belehrung, sondern Begegnung. Dass diese Begegnung glückt, hängt ebenso sehr vom Können des Künstlers ab wie vom Kontext, in dem sich sein Werk darstellt, und vom Betrachtenden, der es wahrnimmt. Das bedeutet: Es ist letztlich etwas Unverfügbares, um das es geht – in der Kunst genauso wie in aller Religion und so auch im christlichen Glauben.

Kunst will uns befähigen zur Wahrnehmung von etwas anderem als uns selbst und dem, was wir schon wissen. Oder, umgekehrt, uns zu einer anderen Wahrnehmung unser selbst und dessen, was wir immer schon gewusst zu haben glauben, befähigen. Sie will in uns etwas hervorrufen, Empfindungen vielleicht, Assoziationen, Gedanken, Fragen und die Ahnung: Es muss nicht alles bleiben, wie es ist – es könnte auch ganz anders sein. Sie will uns in Unruhe versetzen und ruhig werden lassen, uns auf etwas konzentrieren und uns schweifen lassen, nicht nur zu uns selbst hinführen, sondern auch von uns selbst wegführen. Sie will uns öffnen für die Begegnung mit dem Anderen, der im Raum der Kirche zu uns redet,“

Käthi La Roche in: „Kunstwerk“ Grossmünster – Ein theologischer Führer, TVZ Zürich 2009, S. 50f

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