Er schaut mich an

Eingebettet in einen neongelben Farbrahmen, ist im Vordergrund ein gestaltetes Kreuz zu sehen, darüber gleich einer Lichterscheinung ein frontal dargestelltes Gesicht. Die Ecken und Ränder des Bildes weisen grauschwarze Schattierungen auf, so dass der Focus noch mehr auf das weiße Gesicht in der Bildmitte gelenkt wird. Seine Konturen sind verschwommen, doch die weit geöffneten Augen und der wie zum Pfeifen zugespitzte Mund sind klar zu erkennen. Daneben ist eine erhobene Hand mit einer großen Wunde zu sehen.

Wie das Gesicht über dem Kreuz angeordnet ist, muss es dasjenige von Jesus sein, der im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel als „Licht vom Licht“ bezeugt wird. Wie aus dem Sonnenlicht tritt er uns in diffusem Weiß gegenüber. Als Sohn des Lichts und gleichzeitig als der Menschensohn begegnet er uns, entrückt und doch gegenwärtig, durch das Kreuz vom Betrachter getrennt und über es erhöht, uns doch nahe. So sind Jesu Herkunft und Aufgabe, sein Tod wie seine Auferstehung, seine Erhöhung ebenso wie seine Rückkehr zum Vater im Bild zu spüren. Zentral wird jedoch der Wendepunkt des Todes, der Auferstehung und des Abschieds von Jesus dargestellt.

Dunkel ragt der Kreuzstamm von unten in das Bild hinein. Das diesem Bereich eingeschriebene, schwarze Quadrat kann für vieles stehen. Es kann als Symbol für abgrundtiefe Nacht und Verlassenheit in den Todesstunden gedeutet werden, aber ebenso für das Grab oder den Zugang zum Reich des Todes, in das er hinuntergestiegen ist, um alle zu retten, die verloren waren. Die Kreuzmitte ist mit einem braunen Quadrat besetzt. Es sieht wie eine Öffnung aus. Kann es ein Symbol sein für den Übergang in eine andere Dimension, den wir uns nach dem Tod erhoffen? Darüber steht eine menschliche Gestalt mit ausgebreiteten Armen. Ob sie den Gekreuzigten oder bereits den zum Himmel Emporgehobenen darstellt, ist nicht einfach festzustellen. Da sie aber im oberen Teil des Kreuzes im Übergang zum Gesicht steht, mag sie eher den Auferstehenden darstellen, der noch die dunkle körperliche Schwere besitzt, sich aber bereits von allem Irdischen löst. In den waagrechten Kreuzesarmen mag rechts die Kälte des Todes bzw. des Winters dargestellt sein, links mit dem grünen Blätterpaar das aufkeimende Leben und die Hoffnung.

Von der Auferstehung kündet neben dem weißen Gesicht Jesu auch die erhobene Hand. Mit dem Wundmal offenbart sie dem Schauenden, dass Jesus wirklich der zum Leben auferweckte Gekreuzigte ist. Wie Jesus im Bild schaut und die Hand erhoben hat, erinnert er an die Begegnung mit den Jüngern nach seiner Auferstehung. Auch Thomas war dabei. Da trat Jesus durch die verschlossenen Türen hindurch „in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus – hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Joh 20,26-29)

Das durch und durch mit positiven Zeichen gestaltete Bild (auch das an sich negative Kreuz bildet eher ein Pluszeichen und ist von Verwandlung und Leben durchdrungen) vermittelt eine durch und durch von Ostern geprägte Ermutigung des Betrachters. Wie eine Ikone möchte es unseren Blick zur wahrhaftigen Begegnung mit Jesus führen, damit Sein Anblick bei uns Gutes bewirkt, heilt und ermutigt. Und ist sein Mund nicht so geformt, als würde er uns anhauchen und mit der Gabe des Heiligen Geistes beschenken? – Genauso wie er es damals mit seinen Jüngern gemacht hat, damit sie mutig in die Welt ziehen und in Tat und Wort seine frohe Botschaft verkünden? (vgl. Joh 20,19-23)

Im Heute sind wir seine Jünger. Von ihm mit Gaben beschenkt und befähigt, Gutes zu tun und Licht zu den Menschen zu bringen. Genauso wie Er.

Neues Leben

Ruhig geben sich die Farben und Formen dem Auge des Betrachters. Oben und als Hintergrund dominieren warme Gelb- und frische Grüntöne, unten und näher beim Betrachter rotbraune Farben mit weißen Farbtupfern. Filigran und vergänglich wie farbige Blätter im Herbst bilden sie den Boden des Bildes. Aus drei verschwommen dargestellten Basen steigt ein Dickicht von braunen Strichen bis in die farbigen Spitzen empor. Sie suggerieren geknickte Hölzer. Und das Ganze ist zusammengefügt zu einer Krone, einer Dornenkrone.

Das Gebilde ist nicht erhaben und ziert auch keinen Kopf. Die „Krone“ liegt vielmehr wie niedergelegt am Boden, Niederlage und Tod gleichzeitig symbolisierend. Wenn da nicht die vielen kleinen weißen Blüten wären, die in diesem Dickicht von Zerbrochenem von Leben zeugen und es wunderbar verkünden.

Ein Auferstehungsbild? Die blühende Dornenkrone vermag genauso von der verspottenden Dornenkrönung Jesu während seiner Passion zu erzählen wie von seiner wahren Königswürde als Sohn Gottes. Sie spricht im dreiteiligen Fundament die drei Tage der Grabesruhe an, in den weißen Blüten seine Auferweckung von den Toten. So wächst das Bild von unten nach oben dem Licht entgegen, bildet links stellvertretend für die ganze Schöpfung ein Ahornblatt und streckt sich nach dem Licht rechts oben.

Das ganze Bild strömt eine wohltuende Wärme aus. Von Vergänglichkeit oder Tod ist nicht mehr viel zu spüren. Übermächtig wirken das Aufstrebende und die Fülle des Lebens. Doch die verdorrten Zweige sind die Grundlage für das neue Wachstum. An und auf diesem Dornengebilde treiben die siebzehn weißen Blüten. In ihnen ist keine farbliche Altlast zu sehen, sondern kindliche Reinheit und Neuschöpfung. Sie künden von der Größe ihres Schöpfers, der sie nach dem Winterschlaf durch die Wärme der Sonne ans Licht gerufen hat. Auferweckung durch und durch.

Sieg des Lichts

Licht und Dunkel stehen sich in diesem Bild gegenüber. Nicht mehr im Kampf, sondern in entspannter Ruhe und Ordnung zeigen sie sich. Mittig und erhaben leuchtet weißes Licht, welches die dunklen Elemente in die Ecken verdrängt. Über allem schwebt ein vertikaler Balken, der weder Licht noch Dunkel ist, sondern ganz aus Gold.

Alle Symbole sprechen von einer finalen Auseinandersetzung zwischen Leben und Tod, ja vom Sieg des Lebens über den Tod! Wie aus einer anderen, immateriellen Welt dringt das Licht durch die türartige Öffnung in den diesseitigen Lebensraum hinein; an seinen Rändern sich in sonnengelbe, dann orange Farben wandelnd und Wärme ausstrahlend. Alles soll licht und warm werden. Das Angstmachende, Einengende, Lähmende, Verschließende und zum Tod Führende muss endgültig weichen. Links unten lösen sich die rechteckig erstarrten Elemente auf, rechts ist das Wegrollen einer schweren Kreisform zu spüren.

Licht und Dunkel stehen sich nicht nur farblich, sondern auch in den beiden Kreisformen im Bild gegenüber. Während der dunkle Kreis das Bild verlassen muss, scheint die helle Kreisform von oben hereinzukommen. Ihr Wesen ist mit Transparenz, Zuneigung und, wie es das goldene Element in sich aufnimmt, mit Offenheit zu beschreiben. Diese Kreisform steht für das unendliche Leben, für das Transzendente, für Gott.

Hier wird mit gestalterisch formalen Mitteln Auferstehung gefeiert. Im senkrechten Rechteck begegnet uns der von den Toten Auferweckte. Mit der goldenen Farbe wird auf seine göttliche Herkunft hingewiesen, mit seiner erhöhten Position auf seine Rückkehr zum Vater und die Verherrlichung zu seiner Rechten. Die drei gelben Waagrechten muten wie Stufen an und mögen an sein Hinabsteigen in das Reich des Todes erinnern, gleichzeitig aber auch sein Heraufsteigen nach drei Tagen Grabesruhe.

Ob es so geschehen ist? Keiner weiß es. Es ist ein Bild des Glaubens. Ein Glaubensbild, das von der unzerstörbaren Kraft des Lebens erzählt. Es ist ein Bild, das alle einlädt, dem einst Geschehenen zu trauen, über die gelben Stufen gleichsam ins Licht zu steigen und sich so in das Werk der Erlösung hineinnehmen zu lassen.

Wucht des Todes noch
schwarz hingesetzt
verfügt der Tod
hingerollt der Stein aus Angst
tot-sicher
Ende
aller Herrlichkeit.
Weggewälzt
die dunkle Last
frei der Blick
das Tor zum Licht.
Das Grab hielt ihn nicht mehr
unfassbar leer
der Schreckens-Freude Raum:
„Er ist nicht mehr hier.
Auferstanden ist der Herr.“
Ausgestreckt am Kreuze einst
zum Himmel auf der Schrei
Abstiegsweg ins Totenreich
erhoben aus dem Grabe, hell
eint Erd und Himmel – ER.
Lebendiger der eine Weg zum Vater hin
SEINE Liebe, grenzenlos.
Umfasst du ihre „Länge und Breite,
Höhe und Tiefe“ geformt in der Geschichte des Abstiegs?
Auferstanden von den Toten ist der Herr,
lebt das WORT:
„Ich lebe – und auch ihr werdet leben.“

(Lyrik von P. Meinulf Blechschmidt in: Sehen – Glauben – Leben. Gedanken zum Glaubensbekenntnis, Beuroner Kunstverlag, Beuron 2007, S. 39f, ISBN 978-3-87071-166-5)

Strecken zum Licht

Ein alltäglicher Moment begegnet uns auf diesem Bild. Ein Mann streckt sich mit erhobenen Armen ganz weit nach hinten. Gerade scheint er die maximale Dehnung erreicht zu haben und in dieser Stellung zu verharren. Aus den geschlossenen Augen und dem nach hinten geneigten Kopf darf geschlossen werden, dass der Mann dieses Strecken mit jeder Faser seines Körpers genießt.

In Bezug auf den Raum oder die Zeit lässt der Bildausschnitt keine Aussage zu, wo sich dieser Mensch oder in welcher Tages- oder Jahreszeit er sich befindet. Mit einem Unterhemd bekleidet ist er einfach da, in der Bewegung seinen Körper erlebend und im Wechsel von Spannung und Entspannung ihm nachspürend. Gleichzeitig scheint er sich einem für uns unsichtbaren Licht zu öffnen, das von links her helle Stellen auf seiner gewölbten Brust und seinem Gesicht hinterlässt.

Auf der anderen Seite lässt sich hinter ihm ein dunkler Schatten an der Wand ausmachen, ein Schatten, bei dem nach einer gewissen Zeit die Form eines Kreuzes sichtbar wird. In diesem Zusammenspiel von Vorder- und Hintergrund scheint sich der Mann an das Kreuz zu lehnen und aus der Dunkelheit dieses Kreuzes heraus das Licht in sich aufzunehmen. Ja, wie er mit ausgebreiteten Armen vor dem Schatten eines Kreuzes steht, weckt er Assoziationen an den Gekreuzigten, aber auch an den im Morgengrauen Auferstandenen und sich nach dem Licht Ausstreckenden.

So lässt das Bild eine ganze Reihe von Ansichten und Interpretationen zu. Viele auf den ersten Blick unbedeutende Details lassen eine Motivtiefe entdecken, die weit über einen Mann beim Frühturnen oder bei der Morgengymnastik hinausgeht. In seinem Strecken und Dehnen ist genauso die Spannung des sich vom Schlaf erhebenden Körpers zu spüren wie jene des neuen Tages, dem er sich entgegenstreckt und dessen Licht und Frische er tief in sich einzuatmen scheint. In beiden ist etwas von der Auferstehung spürbar, die wir im Glauben am Ende unserer Tage erwarten. Insofern ist dieses frühmorgendliche Strecken Gebet mit Leib und Seele, körperlicher Ausdruck einer Geisteshaltung, die sich ganz auf das Licht ausrichtet. Es ist ein Einüben auf das letzte große Aufstehen und Strecken, das Auferstehen zum ewigen Leben.

Licht zum Leben

Eine Lichtexplosion dominiert das Bild. Wie bei einem Feuerwerk formen die fallenden Funken einen Schweif bis zur Erde. In der Mitte dieses Sterns, der an die Erscheinung in Bethlehem zu erinnern vermag, die Andeutung eines Menschen, die wie damals der Stern die Geburt eines neuen Menschen und eines neuen Zeitalters ankündigt.

Die aufstrebende Lichtgestalt überdeckt rote Farbspuren auf dem Malgrund. Das lässt spüren: es gab ein schmerzhaftes und blutiges Davor. Ein Davor, ohne welches Auferstehung nicht möglich gewesen wäre.

Erstaunlich, dass der Hintergrund nicht himmelblau gemalt, sondern im Holz des Untergrundes belassen wurde. Erstaunlich auch die weiße Silhouette, die eine Stadt und durch den einsamen Wanderer gleichzeitig eine Wüsten- oder Hügellandschaft anklingen lässt.

Auf der anderen Seite der grünende Baum, Zeichen nach dem Winter aufblühenden neuen Lebens. Aber sind es nicht zwei Stämme? Ein heller und ein dunkler, die sich kreuzend zum Andreaskreuz formen?

Das Ereignis lässt sich mit den wenigen Angaben nicht in Raum und Zeit lokalisieren. Dennoch spannt es von links nach rechts einen Bogen von den Anfängen der Menschheit bis in unsere Zeit. Die zwei sich nahe stehenden Bäume vermögen an das biblische Paradies zu erinnern, in deren Mitte die Bäume des Lebens und der Erkenntnis von Gut und Böse standen (Gen 2,9). Damit weisen sie auch auf Adam und Eva, auf den Sündenfall hin. In der Mitte ist dann als kosmisches Ereignis, und damit für alle sichtbar und gültig, die Auferstehung Jesu dargestellt, die gleichzeitig Himmelfahrt, Erhöhung und Geistausgießung ist.

In der rechten, freieren Bildhälfte kommt eher unsere Zeit zur Sprache. Mit der einsamen Gestalt des Herkules am Scheideweg ist eine Figur aus der griechischen Mythologie dargestellt, die letztlich für jeden von uns steht. Denn er wird vor die Wahl gestellt, den verlockenden, bequemen, aber vergänglichen Weg der Lust oder aber den beschwerlichen, mühevollen Weg der Tugend zu gehen. Herkules wählt Letzteres. In der Leere der weißen Fläche ist im erhobenen Arm seine Entschlossenheit zu spüren, den steinigen, mühsamen Weg in die Berge einzuschlagen, der ihn zur Unsterblichkeit führt.

Was haben die drei Bildelemente nun miteinander zu tun? Fassen sie nicht in einem grandiosen Überblick entscheidende Eckpunkte menschlicher Erkenntnis in dieser Welt zusammen? Der grünende Baum erzählt, wie sich die ersten Menschen von seinem Urbild im Paradies das Recht auf Unterscheidung und damit auf Entscheidung holten. Herkules steht als Prototyp für alle Menschen, die von diesem Recht auf Entscheidung vielfach Gebrauch machen müssen. Und dominierend in allem Leben das Sinnbild der Auferstehung, die den in eine andere, dauerhafte Wirklichkeit führt, der sich glaubend für diesen Weg entscheidet.

Baustelle des Lebens

Viele fragmentarische Teile bilden dieses Triptychon. Das Auge weiß nicht so recht, wo es mit dem Schauen anfangen soll, um die Einzelteile zu einem Ganzen zusammenzuführen. Der gemeinsame Hintergrund ist mit den Holzstrukturen lebendig, aber unruhig, die gerüstartigen Konstruktionen auf den Seitenteilen wunderschön in warmem Licht liegend, aber diffus, mit viel Angefangenem, Ungeordnetem … Lediglich in der Zusammenschau der beiden Außenteile ist eine klare Zuordnung zur Mitte zu beobachten.

Dort scheint auf den ersten Blick die größte Klarheit zu herrschen. Im Zentrum steht eine weiße Leiter, die an ein Kreuz gelehnt ist. Ein Kreuz, das sich farblich kaum vom Hintergrund abhebt. Ein Kreuz, das mehr durch die Vertikale der Leiter und eine lange weiße, die Kreuzarme untergreifende Horizontale in Erscheinung tritt. Dieser die drei Bildteile verbindende Balken macht einen sammelnden, wohltuend umfassenden Eindruck. Das Kreuz steht auf keinem festen Boden, in keinem wirklichen Raum, sondern schwebt – nur von der durchgebogenen weißen Waagrechten gehalten – in einem undefinierbaren Raum. Soll es Haltlosigkeit vermitteln oder mehr auferstehungsgleiche Leichtigkeit?

Die hellen Grüntöne und die warmen roten Farben im Kreuz lassen zu Letzterem tendieren. Auch die Leiter lässt vermuten, dass die Kreuzabnahme des Leichnams Jesu schon stattgefunden hat. So können die Frühlingsfarben, das Herz und die fünf krönenden x-Zeichen als „Erinnerungen“ oder „Abdrücke“ dessen gesehen werden, der ein Herz für die Menschen hatte und mit einer Dornenkrone verspottet am Kreuz starb. Sie künden von der Auferstehung dessen, der hier vor kurzem den Boden unter den Füßen verloren hat.

Das Bild lässt viele Lesemöglichkeiten zu. Traditionelle Kompositionen von Kreuzigungsdarstellungen aufnehmend, gehen die drei Bildteile doch ganz neue Wege. So sehr die Holzteile in den Seitenflügeln an die Kreuze der beiden Schächer erinnern, zu finden sind sie nicht wirklich, obwohl sich in den schwer bestimmbaren Teilen der Bilder auch Gestalten oder Teile davon entdecken ließen.

Die Holzkonstruktionen bilden vielmehr das Gerüst für den schmalen waagrechten weißen Balken, auf dem das Kreuz nun zu ruhen scheint, nachdem unter ihm der Boden weggebrochen ist. Will damit angedeutet werden, dass der bisherige Boden nicht mehr tragbar war und deshalb eine neue Basis für eine unfassbar neue Botschaft nötig war?

Das Leben hat durch Jesu Tod und Auferstehung neue Dimensionen erhalten: es endet nicht mehr mit dem Tod. Gott ist in das Reich der Toten hinabgestiegen und hat sie erlöst (Der unter dem Kreuz liegende Kopf erinnert an Adam – Detailbild). In einem fast versteckten Detail verwebt der Künstler im Mittelbild das einmalige Kreuzereignis mit jedem Leben: der Querbalken des Kreuzes schiebt sich elastisch lebend zwischen die Sprossen der Leiter vor den rechten Holmen. Die Leiter lässt sich als Symbol für menschliches Leben sehen, in das sich das Kreuz wie es der Einzelne erkennt, einschiebt. Mit seiner dunklen, schweren Seite sicherlich, aber auch in seiner befreienden.

Dialogisches Gegenüber

Einer Skulptur gleich steht der kreuzförmige Glaskörper frei im Raum. Kreuze, die nicht an der Wand hängen oder einfach auf dem Tisch liegen, sind selten geworden. Diesem hier ist zudem eigen, dass es trotz seines schweren Materials schwebend leicht aussieht. Dieses Kreuz hat von sich aus keinen festen Ort, sondern vermag sich den Bedürfnissen seines Betrachters anzupassen, wenn dieser im Kreuz mal mehr ein dialogisches Gegenüber, dann wieder einen sichtbaren oder unsichtbaren Begleiter sucht, so wie es bis in unsere Zeit hinein das kleine „Sterbekreuz“ war, das „Hand in Hand“ mit dem Erlöser in der Sterbestunde beistand.

Das Kreuz aus Glas signalisiert zu Recht Zerbrechlichkeit. Damit wird unsere menschliche Schwachheit reflektiert, unsere Anfälligkeit, unter großem körperlichem Druck zu zerbrechen. Doch mit der Dicke und der Oberflächenbehandlung fängt der Künstler die innere Zerbrechlichkeit auf und verleiht dem Kreuz eine Festigkeit, die Unzerstörbarkeit ausstrahlt. Erhaben steht es im Raum und bietet seine Vermittlung an. Es geht nicht um das Kreuz selbst, sondern um den, der an ihm würdevoll gestorben ist, und um den Menschen, der in diesem Kreuz Halt sucht. Wie das an sich durchsichtige Glas durch das Sandstrahlen die Sicht auf das hinter dem Kreuz Seiende verwehrt, so vermag auch der Suchende das vor ihm Liegende mit seinen Sinnen nicht zu durchdringen. Allein, wenn er das Holzkreuz aus seiner Fassung herauslöst, eröffnet sich ein begrenzter Durchblick.

Das innere, individuell gestaltete, goldgelb und mit rötlichen Spuren bemalte Kreuz ist im großen äußeren Kreuz geborgen. Das Hölzerne ist ein Teil vom Glasigen, es wird von ihm umgeben und getragen. Dieses in der Natur gewachsene, „lebendige Herzstück“ des Kreuzes kann herausgenommen, davor gelegt oder spürbar in die Hand genommen werden. Es möchte physischer Halt sein, der einerseits die Nähe und Wärme des am Kreuz Gestorbenen und Auferstandenen erfahrbar macht und hilft, die Krankheit oder den Tod anzunehmen, andererseits auch als Begleiter zurück ins gesunde Leben oder eben ins Grab mitgenommen werden kann. So will dieses Kreuz nicht nur Raumschmuck sein, sondern mit dem betrachtenden, betenden, leidenden und vielleicht auch scheidenden Menschen ganz konkret in einen tröstenden, stärkenden, aufbauenden und sinnstiftenden Dialog treten.

Form und Material des äußeren Kreuzes lassen die Schwere des Todes, des physischen Abschieds aus dem irdischen Leben spüren. Die matte Oberfläche des Stehkreuzes vermittelt aber gleichzeitig Leichtigkeit und Hoffnung. Die Öffnung in der Mitte verstärkt diesen Eindruck. Sterben ist schwer, man ahnt mehr als man sieht, was nach dem Tod kommt, aber durch Christus haben wir die Gewissheit, dass der Tod Durchgang ist, dass das Leben danach weitergeht.

In der Mitte gegenwärtig

Fasziniert mag das Auge auf der hellen Gestalt in der vertikalen Mitte des Bildes verweilen. Wie eine Erscheinung tritt sie aus dem lichten Gelb hervor, ganz Geist und doch sich materialisierend unseren Blicken zu erkennen gebend. Die Arme kaum erahnbar am Körper angelegt, Oberkörper und Kopf leicht nach vorne geneigt, spricht äußerste Zurückhaltung genauso wie ein Auf-uns-Zukommen aus dieser Menschengestalt.

Ein Heiligenschein bezeichnet die Gestalt als eine mit Gott in enger Verbindung stehende Person. Kommt sie direkt von ihm? Wie aus einer Türöffnung scheint sie aus der rechteckigen Öffnung, die unsere Welt andeuten könnte, auf uns als Betrachter zuzukommen. Auch die beiden Flügel bezeichnen sie als Bote Gottes und als Lichtbringer in die dunklen Momente unserer Welt.

Doch kommt die engelsgleiche Erscheinung wirklich durch die rechteckige Öffnung auf unsere Seite? Die Öffnung könnte auch nur ein Fenster sein, ein Durchblick und Ausblick auf etwas Wunderbares. Der Engel wartet auf uns, will uns ermutigen, zeigt Zukünftiges, zu Erwartendes, weckt damit Sehnsucht nach Wärme, Heil und Geborgenheit. – Alles also nur Illusion, Vertröstung, bestenfalls Vision?

Nein! Die Flügel des Engels sprechen eine andere Sprache. Sie bilden in Form und Farbe ein großes Herz. So groß und warm könnte es Gottes Herz darstellen, denn aus seiner unendlichen Liebe zu uns schickt er uns Boten und Zeichen seiner liebenden Nähe. So wie das Herz für die glühende Liebe des Senders stehen mag, kann es auch als unser Herz gesehen werden, in das der Bote tritt. Es erhält durch die Lichtgestalt eine starke Mitte. Es wird zusammengehalten und zeigt zugleich Offenheit für die geheimnisvolle Präsenz eines Anderen.

Denn die Erscheinung muss kein Engel sein. Wir können auch am oberen Bildrand den Querbalken eines Kreuzes wahrnehmen und die Lichtgestalt als Jesus deuten, eingehüllt in glühende Liebe. Oder als den Auferstandenen, der durch die Liebe seines Vaters zum Leben erweckt worden ist und nun – nicht fern und undefinierbar im Irgendwo, sondern klar und deutlich – in unseren Herzen lebt und ihm göttliche Impulse gibt. Lässt das ihn umgebende wunderbare Rot nicht die kraftvolle Präsenz seines Heiligen Geistes spüren?

 

Weitere Bildmotive von Christel Holl finden Sie und können Sie bestellen auf der Website des Beuroner Kunstverlages.

Einer steht dahinter

Manchmal lohnt sich ein genauerer oder hinterfragender Blick. So wie bei dieser Knospe in einer Kreuzform. Das Bild ist mit drei Ebenen oder Formen sehr einfach aufgebaut: Hintergrund, Kreuzform, Knospe.

Der Hintergrund präsentiert sich in einem dunklen, aber transparenten Blau. Nacht könnte damit angedeutet sein, aber auch Geheimnis. Die Transparenz lässt auf ein lichtes Dahinter schließen – nur der nächste Tag oder gar etwas Größeres, welches hinter allem und damit auch hinter diesem Geschehen steht und es hält?

Die in Rottönen gemalte rechteckige Form hebt sich als etwas Geschaffenes vom eher endlosen Hintergrund ab. Wie eine Straße oder ein Weg mit einem großen Rastplatz durchquert sie das Bild in der Vertikalen. Es muss nicht ein Kreuz sein, aber es kann. Die Gestaltung der Kreuzform ist offen für weitere Interpretationen. Es ist nichts Dunkles mehr in diesem „Kreuz“ zu finden. Lichtdurchflutet und vom Rot der Liebe und des Lebens umgeben verkündet das ursprüngliche Symbol für einen grausamen Tod durch Jesu Auferstehung nun Hoffnung und neues Leben. Das Kreuz ist nicht mehr Endstation, sondern Durchgang zu Neuem.

Die große Knospe suggeriert, dass dieses Neue im Gegensatz zur Kreuzform eine ganz andere, bisher unbekannte Lebensform beinhaltet. Anstelle der harten und geraden Formen besteht sie aus weichen, geschwungenen Linien, das künstlich Geschaffene ist nun dem natürlich Gewachsenen gewichen. Eine silberne Aura umgibt diese Pflanze des neuen Lebens, in deren Knospe sich die Farben der „alten Welt“ von außen nach innen wiederholen. Damit wird angedeutet, dass dieses ganz Andere und Neue dennoch aus dem Bekannten und Vorhergehenden entsteht und damit seine Spuren trägt. Aber in seinem Innern, umrahmt von einer feinen Goldspur, leuchtet in reinem, hellem Gelb die Einzigartigkeit und Schönheit seiner treibenden Kraft auf – unscheinbar, bezaubernd, von der überwältigenden Zuneigung des hinter uns Stehenden erzählend.

Himmelstanz

Eine ungewöhnliche Begegnung in den Wolken: zwei Gestalten in wehenden Gewändern reichen sich die Hand. Die linke Gestalt scheint von der rechten nach oben gezogen, willkommen geheißen, zum Tanz aufgefordert zu werden. Und sie folgt dieser Einladung mit ganzem Herzen.

Wer sind diese beiden? Die Künstlerin Christina Simon hat sich in das mystische Leben der Mechthild von Magdeburg aus dem frühen 13. Jh. hineinversetzt und sich in ihre Schriften vertieft, um Erfahrungen daraus in einem Linolschnitt-Zyklus darzustellen.

Mechthilds Bestreben war es, so weit wie möglich unsere Diesseitigkeit zu übersteigen, um Gott nahe zu sein. Ihre sehnsüchtige Gottsuche, ihre drängende Gottesliebe zeigt die Künstlerin in dem feurigen Rot ihres Gewandes und ihrer Haut und ebenso, wie sie aus dunklem Grund aufschwebt in unbekannte Höhen des Lichts zu einer von schräg oben entgegenkommenden Gestalt, die sie, sich ihr leicht entgegenneigend, beim linken Handgelenk fasst. Männlich? Weiblich? Göttlich – das Ziel ihrer Sehnsucht? Weisen ein Flügel am Rücken, eine Taube über ihrem Haupt, die Purpurfarbe an Gewand und Haut, die hellen Lichterscheinungen auf eine außerirdische Vision? In der Mitte ihrer Begegnung, bei der Berührung beider Hände ist der Hintergrund ganz weiß, ganz hell. – Ungestaltetes Licht! – Da braucht es keine Worte mehr, keine Farbe, da ist alles gesagt. Ein intensiver Blickkontakt begleitet dieses Aufeinander-Zukommen und ein beinahe geometrisch zu bestimmendes Aufeinander-Bezogensein.

Kann denn Sprache die Begegnung von Gott und Mensch in Worte fassen? Kaum. Mechthild von Magdeburg fand das Bild vom Tanz, um mitzuteilen, welches Erlebnis ihr geschenkt worden war und Christina Simon greift es auf, um das darzustellen und festzuhalten. Tanz: gemeinsam sich mit dem ganzen Körper, seinem ganzen Selbst der Melodie, dem Rhythmus überlassen, das kann mehr ausdrücken und mehr verstehen, als viele Worte. Mechthild wurde das mystische Erlebnis des Einswerdens der Seele mit Gott geschenkt: „Ich tanze Herr, wenn du mich führst …“

> Weitere Bilder aus dem Zyklus und ausführliche Beschreibung auf der Website der Künstlerin

Bedeutsame Hände

Hände und Unterarme sind in diesem Kreuzweg die Hauptdarsteller. Bis auf drei Ausnahmen sind keine Körper oder Köpfe zu sehen (alle Bilder). Aber es geht ganz klar um den Menschen, ein Essen, Gefangenschaft, Stürze, Leid, Kreuzigung und Auferstehung. Die Handlung beschränkt sich in ihrem Ausdruck auf die fotografische Wiedergabe der menschlichen Arme und Hände, deren unterschiedliche Haltungen voller Symbolik sind. Im Dialog mit dem Holzbalken und dem Licht verstehen sie das Leiden und die Auferstehung Jesu eindrücklich zum Ausdruck zu bringen. Dies verstärkt der sparsame Einsatz von Farbe im ersten und letzten Bild sowie ankündigend in der Kreuzigung.

Die Hände begegnen und berühren sich, sind in gestischem Gespräch. Hier wird die eine von einer anderen ergriffen und gehalten. Ihre diagonal-vertikale Ausrichtung ist von Bedeutung. Ebenso, dass der untere Arm das waagrechte Holz kreuzt und ein breites gelbes Lichtband senkrecht die Dunkelheit trennt. Vor dem Hintergrund der Kreuzigung wird so die göttliche Hilfe symbolisiert: Einerseits die rettende Hand von oben, welche den Menschen am schlaffen Handgelenk aus der Tiefe des Leids und des Todes errettet. Andererseits das hereinbrechende Licht, das die Dunkelheit zurückweichen lässt und durch seine Vertikale dem furchtbaren Kreuzestod bereits einen glorreichen Ausgang gibt.

Bedeutsam sind die sechs Hälften der Passionsfrucht, die im Kreuzungspunkt des Lichtstrahls auf dem Holzbalken liegen. So wie seit dem 17. Jahrhundert in der Passionsblume die ganze Leidensgeschichte Jesu gesehen wurde (daher auch der Name), so kann deren Frucht die Auferstehung bezeichnen. Die Hälften geben gleichsam Einblick in das an sich Verborgene der Auferstehung, lassen im Innern der unansehnlichen und harten Schale das reife Fruchtfleisch sehen, sie bilden eine symbolische Siegeskrone angesichts des überwältigten Todes und der erlittenen Folterqualen.

Das Fehlen von Blut und geschundenen Körperteilen mag irritieren. Ob damit gesagt werden will, dass den Darstellern die Erfahrung der Folter und des Todes unbekannt ist? Oder könnte dies auch zum Ausdruck bringen, dass in der Auferstehung alle Wunden geheilt werden? Dass wir im Tod zu einem neuen und ganzheitlichen Leben auferweckt werden, das zeitlos und integral unser ganzes Wesen beinhaltet? – Wir?

Auch die verschiedenen Hände und Arme mögen verunsichern. Der Kreuzweg folgt in seiner Handlung und Abfolge dem Leidensweg Jesu. Aber er wird von Menschen jeden Alters und Geschlechts dargestellt, um deutlich zu machen, dass erstens viele Menschen einen solchen Leidensweg gehen müssen. Zweitens zeigt er auf, dass es unsagbar schwer ist, einen solchen Weg alleine zu gehen und es gut tut, eine hilfreiche Hand bei sich zu haben. Letztlich zeigen die verschiedenen Teilnehmenden auf, dass der Leidensweg Jesu in seiner Wirkung alle Menschen betrifft. Jesus ist für uns alle gestorben. Durch seine Auferweckung von den Toten hat er uns allen die Hoffnung auf ewiges Leben geschenkt.

Gesamtansicht aller Kreuzwegbilder

Sehnsucht nach Befreiung

Neun Fensterteile bilden zusammen eine Art Triptychon. Fünf schlangenförmige Elemente umgeben eine zentrale Figur, deren Oberteil von einem ähnlichen Element eng umklammert ist. Gleichzeitig erscheint die menschliche Person erhöht, ja schwebend und dennoch gehalten in einem gelben Bereich mit T-Form.

Gebundenheit spricht aus der schmalen Silhouette dieser Gestalt, deren Beine eng nebeneinander liegen und denen die Arme auf den Rücken gedreht sind. Wie Fesseln überziehen kreuz und quer Linien den Körper. Auch die Körperhaltung vermittelt Gefangenschaft, Unfreiheit, Leiden und Erdulden einer unfreiwilligen Situation. Fuß- und Kopfhaltung dieses Menschen mögen an Darstellungen des Gekreuzigten erinnern, aber hier wird eine menschliche Grundexistenz dargestellt.

Mit unserem Denken und Tun verstricken wir uns immer wieder in unfreiwillige Gebundenheiten, welche unser Leben Stück für Stück bis zur Unbeweglichkeit einschränken. Oft merken wir gar nicht, wie unsere Freiheit zu Denken und zu Handeln geschwunden ist und nehmen den beschränkten Lebensraum als die größtmögliche Fülle an. Wie ein starrer Panzer können aber auch Krankheiten, Unfälle und andere Lebensumstände unseren Körper und Geist umgeben und zur Bewegungslosigkeit zwingen.

Gott sei Dank muss es nicht so bleiben und gibt es die sehnsüchtige Hoffnung auf eine Macht, die stark genug ist, diese einer massiven Befestigung gleichende Umgebung aufzubrechen. Umgeben und neu gehalten vom goldgelben Licht, das symbolisch für Gott steht, sind bereits Teile weggesprengt worden, die nun haltlos im Luftraum schweben. Ihre Formen lassen noch den Körper erahnen, den sie bedrängt haben. Die Befreiung ist im Gange, die Erlösung nicht mehr fern.

Aus der Zusammenschau von dem Fenster zur Linken und dem zur Rechten wird dieser zum Altar hin orientierte Prozess auf dreifache Weise verdeutlicht:

Zum einen ist die Befreiung am Menschen selbst festzustellen, der im linken Fenster noch vollständig von den starren Elementen eingemauert ist, auf der anderen Seite aber frei im von unten auftauchenden (auf der anderen Kirchenseite im von oben hereinbrechenden) goldenen Licht badet. Dieses Licht bezeugt die befreiende und belebende Kraft, wie wir sie in der Natur von der Sonne kennen und nach einem langen Winter ersehnen. Seine Kreuzform verbindet sich mit der Erlösung und Auferstehung Jesu, die durch seine Hingabe möglich geworden war und das Heil für alle Menschen gebracht hat. Die dritte Form der Befreiung kommt in der von sechs auf vier abnehmenden Anzahl der umgebenden Elemente zum Ausdruck.

Diese Hoffnung soll allen Gläubigen zur Glaubensgewissheit werden: in dem im Kirchenraum intensiv erlebten und gefeierten Gottesdienst, damit auch im Alltag Gottes begleitende und befreiende – und dadurch österliche – Gegenwart spürbar erfahren wird.

Link zur Darstellung aller 6 Fenster

Aus der Mitte heraus

Bekannte Elemente wie die sitzende Christusgestalt oder die altmeisterlich vollendete Malweise vermitteln den Eindruck, vor dem Werk eines alten Meisters zu stehen. Der fliegende Fischschwarm zur Linken oder die fallende Skulptur des Gekreuzigten zur Rechten verwirren jedoch und geben Rätsel auf. Auch die beiden Messer und die Lanze, die auf den Sitzenden zufliegen, sind ungewöhnlich und wecken die Sinne, sich intensiver mit diesem Bild auseinander zu setzen, um seiner Geschichte vielleicht etwas auf die Spur zu kommen.

In der Mitte meinen wir unserer Wahrnehmung noch trauen zu können. Der Thronende lässt sich aufgrund der Wundmale als der auferstandene Christus identifizieren. Als Salvator mundi, als Retter der Welt, segnet er die Schöpfung zu beiden Seiten. Dass er nicht wirklich sitzt, sondern vielmehr als Weltenrichter zwischen Tag und Nacht vor dieser mit geheimnisvollen Zeichen versehenen Rückwand und auf diesem erhebenden Sockel erscheint, stört noch nicht weiter. ER steht im Mittelpunkt – in der Mitte des Bildes und betont auf dem roten Kreis des Podests. Dass Christus allerdings die Gesichtszüge des Künstlers trägt, bringt einiges durcheinander. Die Gott zugesprochenen Attribute werden nun gewissermaßen vom Künstler vereinnahmt und machen deutlich, dass auch er die Macht hat, Welten zu erschaffen.

Dabei ist sein Schaffen kein Erschaffen aus dem Nichts. Das Zusammenfügen und Anordnen der verschiedenen Bildzitate stellt vielmehr eine Ordnung dar, die neuen, eigenen Gesetzen gehorcht. Der Bildtitel weist in Anlehnung an das gleichnamige Gedicht von Eduard Mörike auf die schiedsrichterliche Funktion des Künstlers hin. Er steht immer zwischen zwei Zeiten und hat es in der Hand zu entscheiden, was er aus dem Fundus der Vergangenheit nehmen will, um die Zukunft zu gestalten. Was durch ihn geschieht, hat durchaus Auferstehungscharakter, wie die drei sich öffnenden, weißen Blüten der sogenannten Osterlilien in Anspielung auf die drei österlichen Tage andeuten. Nicht nur die Macht der Nacht wird gebrochen – links überflutet schon das Licht der Morgensonne die Berggipfel –, auch die Macht des Todes. Am Fuße des Baumstammes, der durch die herabfallende Figur des Gekreuzigten zum Kreuzesstamm wird, wächst wie in der Geborgenheit einer Bauchhöhle, dem Uterus, ein Kind heran – neues Leben. Die stürzende Jesusgestalt muss dabei nicht blasphemisch gemeint sein, sondern kann Zeichen sein, dass er nicht am Kreuz geblieben, sondern von seinen Freunden begraben worden ist. In diesem schwebenden Dazwischen ist er einerseits mit der Kopfneigung in einem eindrücklichen Dialog mit dem Embryo, über den er wie schützend den Arm auszubreiten und ihn zu umarmen scheint, andererseits steht er mit dem linken Arm und dem wehenden Lendentuch in direkter Verbindung zum Auferstandenen. Darauf, dass der Leib des irdischen Lebens der Vergänglichkeit anheimfällt und etwas Neues an seine Stelle getreten ist, können die wie abgehackt wirkenden Armstümpfe und der fehlende Unterleib hinweisen.

Auf der linken Bildseite schweift der Blick in die Weite, aber auch in die Tiefe auf einen Fluss mit starker Strömung, der durch das Tauwasser (gut über und unter der Speerspitze zu sehen) des ewigen Schnees gespeist wird. Was lange Zeit gefroren war, wird durch die Wärme des „neuen Tages“ lebendig und zu einem Quell des Lebens. Die Fleischmesser und die Lanze stehen dazu im Widerspruch. In ihrer Ausrichtung auf „Christus“ und die unmittelbare Nähe zu ihm fühlen sie sich eher bedrohlich an, tragen den Tod in sich. Indirekt haben aber auch sie mit der Auferstehung zu tun. So bat der Auferstandene den ungläubigen Thomas, seine Hand in die durch eine Lanze geöffnete Seite zu legen, um sich zu überzeugen und gläubig zu werden (Joh 19,34; 20,27). Die Bedeutung der Messer erschließt sich mir noch nicht wirklich, sie könnten aber ein Hinweis sein, dass Christus als Lamm Gottes sein Blut für die Vergebung der Sünden vieler vergossen hat.

Zuletzt bleibt uns noch die Deutung der wunderbar gemalten und ganz unterschiedlichen Fische. Dass sie nicht im Wasser schwimmen, stört uns in der neuen Ordnung des Künstlers nicht mehr. Auffallend ist ihre Christus-Orientierung, ihre Ausrichtung auf den Auferstandenen. Ob der Künstler hier die Erzählung vom wunderbaren Fischfang nach einer ergebnislosen Nacht neu ins Bild bringen wollte (Joh 21,1-14)? Die Hundertdreiundfünfzig Fische wurden in der Bibelauslegung immer wieder als Symbol für die gesamte Menschheit gedeutet. Sie könnten aber auch zeichenhaft für die an Christus Glaubenden stehen, diejenigen Menschen, die sich im Glauben Christus zugewandt, ihr Leben aus dem Glauben heraus auf ihn ausgerichtet haben.

Nun könnte die Frage auftauchen, ob der Künstler durch sein Bild vielleicht beabsichtigte, dass ihm eine ähnliche Aufmerksamkeit zuteil würde wie dem Auferstandenen. Das wäre anmaßend. Aber seine Mittlerfunktion, auf die dieses Stilmittel hinweist, hat uns die Auferstehung Christi und ihre Bedeutung durch die verschiedenen Symbole hindurch neu erfahren lassen. Nach der anfänglichen Irritation ist der Künstler im Verlaufe der Betrachtung wieder hinter sein Vorbild zurückgetreten, damit Er aus der Mitte heraus für alle Menschen auch Quelle des Lebens sein kann.

 

Gelassen stieg die Nacht an Land,
lehnt träumend an der Berge Wand;
ihr Auge sieht die goldne Waage nun
der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
vom Tage, vom heute gewesenen Tage.

Das uralt alte Schlummerlied –
sie achtet’s nicht, sie ist es müd;
ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
der flücht’gen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
es singen die Wasser im Schlafe noch fort
vom Tage, vom heute gewesenen Tage.
(Eduard Mörike)

Begeisterter Aufbruch

Kann eine Osterbegegnung bereits ein Pfingstereignis sein? Das Bild von Manfred Hartmann suggeriert es und lässt die Emmaus-Erzählung (Lk 24,13-35) in einem neuen Licht sehen. Sein Bild ist horizontal in eine dunkle und eine helle Hälfte zweigeteilt. In ihrer Anordnung erinnern sie unwillkürlich an Tod und Auferstehung. Zwei Tage ruhte Jesus im Grab. Am dritten Tag erstand er von den Toten. Ob deswegen der Bildträger dreigeteilt ist?

Aus der Dunkelheit des Todes und des Grabes ragt das Kreuz weit nach oben. Es trägt keine Merkmale der Folter mehr. Hell und freundlich scheint in seiner Mitte eine aufgehende Sonne zu leuchten, die beiden Kreuzarme können freundschaftlich die beiden gelben Menschengestalten umarmen: Erscheinung des Auferstandenen inmitten der beiden Jünger! Wie er den Lobpreis sprach und das Brot brach, haben sie ihn erkannt. Ihm zugeneigt, sind die beiden dargestellten Jünger der äußeren Form des Brotes ähnlich geworden. Wie zwei Klammern ( ) umgeben sie das geteilte Brot. Sie sind auch von der warmen Farbe des Brotes erfüllt, Jesus endgültig gleichförmig und gleichfarbig geworden, können sie nun nach Jerusalem zurückkehren und bezeugen, dass Jesus sie auf ihrer Reise begleitet hat und sie ihn als Auferstandenen, als Lebenden erkannt haben.

Im Nachhinein haben sie erst das Brennen ihrer Herzen deuten können, das ihnen die Gegenwart Jesu signalisiert hatte.. Allein sie weilten in der Dunkelheit der Erkenntnis. Ihre dunklen, von Traurigkeit und Niedergeschlagenheit erfüllten Gestalten sind links unten neben dem Herz und in der Mitte der rechten Bildtafel zu erkennen. Wie Jesus vor einigen Tagen von der Dunkelheit des Grabes umschlossen war, so waren ihre Herzen von den unbegreiflichen Eindrücken der vergangenen Tage umgeben und brauchten einen äußeren Impuls, um zu erkennen und von neuem lichterloh für die Sache Jesu zu brennen.

So sehr das Bild im Gesamtaufbau sich von unten nach oben entwickelt, von der Dunkelheit zum Licht, so kann gleichzeitig eine Kreisbewegung im Uhrzeigersinn beobachtet werden, die ihren Anfang rechts unten, in der kleinsten Bildtafel, hat. Zwischen den beiden roten Flächen können auf der einen Jüngergestalt auch die Umrisse einer Schrifttafel gesehen werden, welche an die Darstellungen der beiden Gesetzestafeln des Mose erinnert. Sie könnte auf Jesus verweisen, der von Mose und den Propheten ausgehend, den ihn begleitenden Jüngern dargelegt hatte, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht. Die linke rote Fläche mag deswegen pfeilförmig in den oberen Teil hineinragen. Andererseits können die beiden Flächen auch als die Herzen der Jünger gedeutet werden, zweigeteilt, uneinig, unförmig. Und es wäre dann die in dieser symbolischen Steintafel verborgene geheimnisvolle Gegenwart Jesu, welche die Jünger unsichtbar zusammenhalten würde. Durch seine Worte werden sie unterwegs immer mehr zu einer neuen Einheit geformt und mit neuem Leben erfüllt, demjenigen des Auferstandenen. Wie im linken unteren Bildteil dargestellt, brennt diese neue Lebensfülle ähnlich der einem Samenkorn innewohnenden Kraft alle einengenden Grenzen durch und eröffnet dadurch neue Erkenntnisse und daraus resultierende neue Handlungsweisen, die sich ganz am Auferstandenen orientieren.

Vom Geist des Auferstandenen befreit und von Gottes Geist bewegt, werden sie von nun an immer wieder von diesem prägenden Ereignis erzählen und sie werden in der Nachfolge Jesu selbst das Brot in die Hand nehmen, den Lobpreis sprechen und das Brot brechen, um allen Menschen seine hingebende Gegenwart zu offenbaren und lichtvolle, begeisterte Gemeinschaft mit ihm zu ermöglichen.

Kraft der Auferstehung

Bekanntes mit neuen Augen zu sehen ist immer wieder eine anspruchsvolle Aufgabe. Zu schnell trüben vorhandene Bilder den Blick und behindern eine unvoreingenommene Sichtweise. Dies könnte auch bei dieser Bronzearbeit geschehen, auf der ein liegender und ein stehender Mensch gezeigt werden. Letzterer wird durch die ausgebreiteten Arme schnell als Jesus identifiziert. Es ist die Haltung, die er am Kreuz einnehmen musste. Losgelöst vom Kreuz wird die gleiche Haltung aber zu einer Geste der Offenheit und des allumfangenden Willkommen-Heißens.

Gegensätzlichkeit charakterisiert die beiden Personen. Die annähernd gleich großen Rechtecke hinterfangen, wiederholen und betonen ihre Körperhaltung. Der Liegende befindet sich ganz unten im waagrechten Feld, ein Gewandteil fällt über die Unterkante hinaus. Ausgestreckt liegt er da, den Eindruck erweckend, gestürzt oder gefallen zu sein, als kümmerliches Wesen in der Ecke dieser an eine große Kiste oder gar an einen Sarg erinnernden Form.

Doch noch im Fallen scheint er die Hoffnung nicht aufgegeben zu haben. Seine rechte Hand ist hilfesuchend ausgestreckt und erfüllt sein Liegen mit Zuversicht und erwartendem Drängen. Bildlich wird das so zum Ausdruck gebracht, dass der Oberteil des Kopfes und die rechte Hand in den untersten Teil des anderen, senkrechten Elementes hineinragen, das wie zwischen dem waagrechten Feld und der liegenden Person eingeschoben erscheint.

Damit wird diese im Sterben begriffene oder bereits verstorbene Person in zweifacher Weise von oben her dem Tod entrissen: von oben wie auch in den verschiedenen Bildebenen. Die offene Hand wird dabei zum spannungsgeladenen Wendepunkt. Darüber taucht wie aus dem Nichts aus der gleichmäßigen Oberfläche der Grundplatte der senkrechte Mensch auf: als Auferstehender. Neue Kraft ist in ihn eingekehrt, ein neues Gleichgewicht, auch ohne Bodenhalt. Die Schwerkraft der Erde ist überwunden. Losgelöst, ja erlöst von allen Gebundenheiten schwebt er nun vor der Mitte des vertikalen Hintergrundes. Die gleiche Macht, die Jesus den Toten entrissen und dem Leben zugeführt hat, ist nun auch sein Halt und sein Heil geworden. Frontal dem Betrachter zugewendet, hoheitlich über alles Erniedrigende und Erdrückende erhoben, dringt die befreiende Geste des Auferstandenen durch und wird die Seine. Die ausgebreiteten Arme signalisieren eine neue, alle Grenzen überschreitende Weite. Alle sollen an diesem neuen Leben teilhaben, in ihm Zuversicht, Halt, Kraft und Dauer finden.

Die Waagrechte und die Senkrechte des Kreuzes sind noch zu erkennen, können aber in dieser Form nicht mehr Marter und Tod bringen. Sie haben eine dynamische Form angenommen und einen Weg geöffnet, der letztendlich ins Leben führt.

Erlösung

Feuer, und mitten drin blass wie ein Geist der Gekreuzigte. Er neigt den Kopf nach rechts, das Leiden scheint vollbracht. Er schwebt mehr als er am Kreuz steht, dennoch hängt er mit den Armen am horizontalen Kreuzbalken. Eigenartig, wie er mitten in diesem Flammenmeer steht. In diesen Flammen, die nach längerem Betrachten zu einer blutroten Menschenmenge werden können, die mit erhobenen Armen zu rufen scheint: Ans Kreuz mit ihm, kreuzige ihn! In ihrem Zorn wollen sie ihn verbrennen, vernichten – doch er wird ihnen ans Kreuz entzogen.

Ihr Schreien und Rufen scheint sich nach oben hin in Luft aufzulösen. Je länger der Blick auf der unteren Bildhälfte ruht, verschwindet auch der Eindruck einer aufgebrachten Menschenmenge zugunsten einer zurückbleibenden. Erhöht, erhaben steht Christus über dem Geschehen. Kreuzigung, Auferstehung und Heimkehr zum Vater werden hier in einem Bild thematisiert. Gott wird dabei als weißlich-gelbes Licht angedeutet, der seinen Sohn umfängt und ihn gewissermaßen in seine ursprüngliche, ungeschaffene Lichtgestalt zurücknimmt.

Zu denken gibt, dass von Jesu Wunden kein Blut aus geht. Es ist nicht sein Blut, das auf dem Bild die Menschheit oder die Schöpfung erlöst. Wie kann das wohl gedeutet werden? Hat Jesus sich ausgeblutet, ging seine Hingabe bis zum letzten Blutstropfen? Oder hat der Künstler ihn ganz in Weiß dargestellt, fast nur angedeutet – als den, der frei ist von jeder Schuld? („Von der Jungfrau geboren“, besagt ja in der antiken Mythensprache genau das, und zwar rückblickend auf sein Leben!)

Diese Schuldlosigkeit zog die Menschen an und ließ sie staunen und bewundern, war den Priestern und den römischen Besatzern aber unerträglich. Darum wurde ihm Schuld angehängt: er habe gegen das Gesetz des Moses verstoßen, z.B. am Sabbat geheilt, mit Zöllnern Dirnen und öffentlichen Sündern Umgang gepflogen, Völlerei getrieben, sein gewollt wie Gott, den römischen Kaiser nicht geehrt, Gott gelästert und ein nach ihrem Verständnis völlig überzogenes, skandalöses Selbstverständnis gehabt – „ich aber sage Euch, …“

Schließlich wurde die Kreuzesstrafe über ihn verhängt, weil er Gesetze des Tempels nach ihrem Sinn hinterfragte und sie entsprechend ihrer tieferen Notwendigkeit, ihrem eigentlichen Sinn nach anwandte. Dies trieb ihm Menschenscharen zu, die mit dem Herzen verstanden, wie er mit der Schuld anderer umging, des Zöllners, der Ehebrecherin … und die auch mit dem Herzen seine Schuldlosigkeit erfassten. Das gefährdete in den Augen der geistlichen und weltlichen Obrigkeit die öffentliche Ordnung, passte nicht ins öffentliche Leben, und wurde nicht als höchster Wert anerkannt, sondern als Konkurrenz aufgefasst, die beseitigt werden musste.

In dieser Einzigartigkeit stellt ihn der Künstler nach seinem Tod dar. Jesus hat alle Schuld, die man ihm nachgesagt hat und dazu die Schuld der ganzen Menschheit auf sich genommen und gelöscht. Im Bild steht er, der sein Werk erfüllt und damit Erlösung gebracht hat, als Wegweiser, der die Botschaft hinterlässt, wie wir von nun an mit Schuld umgehen können. Das Weiß in dem der Künstler Jesus dargestellt hat, ist eigentlich gar keine Farbe. Wenn weißes Licht durch ein Prisma zerlegt wird, entsteht ein farbiges Spektrum von Rot bis Violett, in allen Farben des Lebens, auch den dunklen. Ist das ein Hinweis darauf, dass die Frohe Botschaft dazu verhelfen kann, alle Farben jedes Lebens letztendlich in Weiß zu bündeln? In schuldfreies Weiß?

Jedes Osterfest sollte bei aller Osterfreude auch diesem Aspekt Raum geben, in wie weit wir diese Wegweisung zulassen.

Per sempre ti rivedo

Die große weiße Gestalt irritiert. Sie ist da und erscheint doch als flüchtiger Anblick, als durch das Bild huschende Existenz. Wer ist sie, wovor flieht sie? Drei Kreisflächen sind wie bei einem Schneemann übereinander angeordnet und durch eine darunterliegende weißere Form miteinander verbunden. Die roten, den obersten Teil der Figur berührenden Worte suggerieren eine menschliche Gestalt, auch wenn keine konkreten, individuellen Züge zu erkennen sind. Mit den horizontal nach links „verwehten“ Farbläufen vermittelt sie Bewegung, Entschwinden einer Erscheinung oder Verflüchtigen eines Geistes, als hätte ein gewaltiger Sturm sie erfasst. Vergänglichkeit wird spürbar, Getriebenwerden, wohin man nicht will.
Da Weiß von Künstlern oft als Farbe des Übergangs verwendet wird, als Farbe „der ersten und der letzten Dinge“ (Otto Zech), könnte man das Weiße als Wesen, Geist, oder Seele im Aufbruch in eine andere Existenz verstehen, während die drei festen Kugeln in der linken Bildhälfte – gehalten durch luftige Schutzräume – für das stehen können, was Geist, Wissen und Können an Spuren zurücklassen.

Der Hintergrund aus akkurat aufgetragenem Blattgold bildet zu dieser unförmigen und flüchtigen Erscheinung einen eigenartigen Kontrast. Er erinnert an den Goldgrund auf Ikonen und mittelalterlichen Altarbildern und bringt in dieser Tradition Transzendentes, Gott zur Sprache, wie er ähnlich einem Netz oder einem Gitter jeden auffängt und ihm Halt verleiht. Gott ist der kostbare Hintergrund allen Lebens, er erhebt das Vergängliche zu etwas Einmaligem und Beständigem.

Sechs rote Farbgebilde vollenden den farblichen Dreiklang. Je drei sind beiderseits der weißen Figur übereinander angeordnet und bilden durch Farbe, Größe und Anzahl einen wohltuend lebendigen Kontrast zur Hauptgestalt. In der Art und Weise, wie sie aufgetragen sind, wohnt ihnen in der linken Bildhälfte etwas Unvollendetes, Vergängliches inne. Ihre unterschiedlich gestalteten Formen erinnern durch ihre schwache Farbdeckung an Lippenstiftspuren. Ob sie als Abschiedsküsse, als Zeichen der Zuneigung, der herzlichen Verbundenheit und der Nähe gelesen werden dürfen? Andererseits lassen ihre diffusen roten Formen an schwimmende Kleinlebewesen denken, die im „Aquarium“ der kostbaren Erinnerungen von der Kraft des Lebens künden. Tatsächlich hat der Künstler mit einem farbgetränkten Tuch gearbeitet, bewusst die Spuren des Stoffes hinterlassend, von der Berührung erzählend und dem Kleid, das jetzt keine Rolle mehr spielt und deshalb zurückgelassen wird.
Die rundlich geformten Zeichen der rechten Seite erscheinen dagegen in ihrer kompakten Form als Markierungen oder Anhaltspunkte, die Werte des Lebens, Stabilität und Überdauern versprechen.

Inmitten dieses flüchtigen Geschehens laden vier in Schriftform festgehaltene Worte zum Nachdenken ein. Durch den unmittelbaren Bezug geben sie sich als gedanklicher Ausdruck der weißen Gestalt, erscheinen sie wie ein mit letzter Kraft gemaltes Vermächtnis des Davoneilenden: per sempre ti rivedo. Obwohl die Zeichen wackelig geschrieben sind und ein erbärmliches Bild abgeben, geht durch die rote Farbe und ihre verbindende Lage eine besondere Kraft von ihnen aus. Und durch den Farbunterschied und die zwei Zeilen werden die einzelnen Worte zusätzlich hervorgehoben:

per sempre ti rivedo
– für immer seh ich dich wieder

Diese wenigen Worte nehmen der gewaltsamen Trennung die Endgültigkeit. Aus ihnen spricht eine Zuversicht, die, alle irdischen Begrenzungen hinter sich lassend, neue Perspektiven setzt: für immer seh ich dich wieder. Nicht endgültiger Abschied, sondern nie endende Gemeinschaft wird in diesen Worten zum Ausdruck gebracht. Hier kommt ein Glaube zum Ausdruck, der alle irdischen Gebundenheiten außer Kraft setzt und gleichzeitig über das vordergründige Ende von uns Menschen hinaus einen neuen Lebensabschnitt erhofft und verkündet.

Die letzten Worte – ein Neuanfang
Die vom Künstler verwendeten Worte stammen aus einem Gedicht von Giuseppe Ungaretti, das er am 24. Mai 1959 in Rom geschrieben hat. Es sind die letzten vier Worte eines persönlichen Glaubensbekenntnisses, der Höhepunkt eines Gedankens, der hier in der deutschen Übersetzung von Ingeborg Bachmann wiedergegeben wird:

Ganz ohne Ungeduld werde ich träumen,
Ich werde mich an die Arbeit machen,
die nie enden kann,
Und nach und nach, gegen Ende,
Kommen Arme den Armen entgegen,
Öffnen sich wieder hilfreiche Hände,
Licht geben die wiederauflebenden Augen
In ihren Höhlen,
Und du, plötzlich unversehrt,
Wirst auferstehen, nochmals
Wird deine Stimme mir Lenkerin sein,
Für immer seh ich dich wieder.

Im Bild wie im Gedicht wird der Betrachter in den Dialog zweier Liebender hineingenommen. Er sieht Vergehen, Entschwinden, spürt den Erinnerungen und Liebesbezeugungen nach und muss ebenfalls loslassen. Durch den Goldgrund und die letzten Worte wird ihm aber eine gewaltige Hoffnung vermittelt. So kurz das Leben, so flüchtig seine Lebensspuren auch sind, er ist in einem größeren Ganzen, das wir personalisierend Gott nennen, gehalten und aufgehoben. ER schenkt uns die Perspektive des nie endenden geistigen Lebens und des nie endenden Wiedersehens.

Dieser Bild-Impuls wurde in der Ausgabe 3/2007 der Zeitschrift „das münster“, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft erstveröffentlicht.

Große Umarmung

Es ist der Vorzug des Künstlers, mit seiner Bildsprache etwas anschaulich zu machen, was jenseits unseres sprachlichen Ausdrucksvermögens liegt. Dabei ist auch das Dargestellte oft nur eine Art vermittelnde Brücke zum Unsichtbaren, das wir wohl wahrnehmen, aber eben nicht sehen können.

Im Bild von Christiane Vincent-Poppe begegnet uns vor einem blauen Hintergrund eine mächtige Licht-Erscheinung. Ihr hellster Punkt leuchtet wie eine Sonne aus der Tiefe dieser Erscheinung. Sie schwebt über einem schalenförmigen Bündel Striche, die auch als Sessel, Arme oder Flügel gesehen werden können – je nach Betrachtungsweise.

Dynamische Energie geht von diesem Lichtkreis aus. Energie, die sich auf der rechten Seite der „Sonne“ sichtbar zu materialisieren scheint und im Gegenuhrzeigersinn stärker werdend letztlich in den schalenförmigen Grundbogen einfließt. Dabei lassen die roten Teile an Blut und Liebe denken – Basiselemente des Lebens, die uns Geschaffenen unaufhörlich aus dem unerschaffenen Licht zukommen.

Diese starke Ausstrahlung wird durch einen weißen Lichtschleier verstärkt, der die Erscheinung kreisförmig durchwirkt und verklärt. Alles ist voller Leben bei dieser Gestalt, die im Himmel zu schweben scheint und ihn durch ihr Licht gleichzeitig in wunderbaren Farben zum Leuchten bringt.

So sehr das Auge bei dieser faszinierenden Erscheinung verweilt, es vermag seine Gestalt nicht auf ein bekanntes Bild zu reduzieren. Einzelne Elementkombinationen ergeben das Brustbild eines Menschen mit weit ausgebreiteten Armen. Durch die lichte Ausdehnung können seine „Arme“ aber auch als „Flügel“ wahrgenommen werden, wodurch sich die Gestalt eines geflügelten Wesens ergibt, das dennoch weder als Taube, als Engel oder als Geist bezeichnet werden kann. Dazwischen, bedingt durch die symmetrische Ausdehnung der Erscheinung, Gedanken an ein Kreuz. – Ein Kreuz, das vom Licht erfasst und durch es verwandelt selbst zur Lichtquelle geworden ist.

In der angedeuteten Form des Gabelkreuzes, einem weit in die vorchristliche Zeit zurückreichendes Symbol für den Lebensbaum, steht es für das Leben schlechthin. Und obwohl man in der Römerzeit dieses Symbol des Lebens zum Werkzeug für den schimpflichsten und unehrenhaftesten Tod pervertierte, hat es durch die Auferstehung Jesu seine positive Zeichenkraft beibehalten. Freilich steht es jetzt auch für den Tod, den der Gekreuzigte mit aller Qual, mit aller Verlassenheit und aller Verzweiflung erlitten hat, ausgeliefert der Frage: Mein Gott, warum …?

Die Antwort – die auch unseren Warum-Fragen einen Sinn geben könnte – ist hier als geheimnisvolles Geschehen ins Bild gesetzt. Es vermittelt erkennbar, aber nicht fassbar, nah und doch entrückt den Übergang in eine andere Wirklichkeit, in der Sprache der Bibel: ins Paradies.

„Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ Diese alttestamentliche Frage, die das Sehnen der Menschheit über den Tod hinaus ausdrückt, hat Paulus an die Korinther konkretisierend auf Jesus als den „Erstgeborenen“ bezogen. Und wir „Nachgeborenen“ haben diese Frage bewahrt bis auf den heutigen Tag mit aller Sehnsucht und aller Hoffnung, die in ihr steckt.

Gerade in einer Zeit, in der der Tod nicht mehr die selbstverständlich ins Leben gehörende Rolle spielt wie einst und seine „Öffentlichkeit“ ins Private, ja ins Verborgene und in die Anonymität von Kliniken und Abdankungshallen gedrängt wird, andererseits durch die täglichen Berichte über den aberwitzigen, sinnlosen Tod, den Menschen sich selbst und ihren Mitmenschen zufügen, ein Zerrbild des Todes entsteht, bietet das Bild von Christiane Vincent-Poppe eine ermutigende Perspektive.

Wir werden erwartet. Die erhabene Licht-Erscheinung vermag die geheimnisvolle, lichte und weite Offenheit Gottes zu umschreiben, der uns einlädt, auf ihn zuzugehen und uns im Tod vom Leben umarmen zu lassen, in ihn einzugehen und von seinem Licht und seiner Liebe gleichgestaltend durchdrungen und erneuert zu werden. Der Tod ist kein Ende, er ist „Hinübergang“, Ankommen und Vollendung des Lebens.

Feuer des Lebens

Drei Lichtgestalten bewegen sich, ja scheinen zu tanzen vor dem orangeroten Hintergrund. Ihre Körper sind von goldgelben Flammen umgeben, die sie brennen, glühen und wie Gold leuchten lassen. Dampfwölkchen deuten auf große Hitze und einen verzehrenden Verbrennungsvorgang hin. Dabei hebt sich die mittlere Gestalt durch eine größere Leuchtkraft und Unversehrtheit von den beiden vom Verfall Gezeichneten ab. Es scheinen auch seine Arme zu sein, welche wie ein Bildstrich die beiden ihm Zugewandten auch körperlich mit ihm verbinden. Erst durch seine horizontale Armstellung werden die auf Einzeltafeln dargestellten und dadurch voneinander getrennten Menschen miteinander verbunden zu einer Gemeinschaft.

Kopf-, Körper- und Beinhaltung deuten Zuneigung an, ein Miteinander. Es ist, also wolle der Künstler darauf hinweisen, dass sich menschliches Leben ganz für sich allein nicht entfalten kann, dass es auf Zusammenhalt, -arbeit und -leben angelegt ist.

Wie bereits erwähnt, steht der junge Mann in der Mitte als der Verbindende und Haltgebende in dieser Trias. Intensiv schaut er auf den Mann zu seiner Rechten, dessen Gesichtszüge ein fortgeschrittenes Alter verraten und dessen Glieder starke Spuren der Zersetzung aufweisen. Lange wird er nicht mehr stehen können. Von der Frau auf seiner Linken kann schwer etwas gesagt werden. Ihr Gesicht erscheint verhüllt, ihr Körper durch die zusammenhängenden Flächen jugendlicher. Von ihrer Haltung her steht sie im Einklang mit dem jungen Mann in der Mitte – beide Körper sind gleich gebogen, beide Köpfe gleich geneigt.

Vom Bildaufbau her den „Drei Grazien“ von Raffael (1504/05) nahestehend, lenkt der Künstler den Blick durch die Verfremdung und vor allem durch die Darstellung der einzelnen Personen über das Bekannte hinweg. Insbesondere die zentrale Gestalt lässt aufgrund der von gotischen Kreuzen her bekannten gebogene Körperhaltung und den Wundmalen an den Gekreuzigten denken. Ohne Kreuz und nicht erhöht – auf gleicher Ebene – schafft er als vom Licht Verwandelter und Auferstandener mit seinen ausgebreiteten Armen eine partnerschaftliche Verbundenheit, bei der die ihm zur Seite gegebenen Menschen gleichsam seine „Hände“ werden. Er lässt sie teilhaben an dem Licht und der Energie, die ihn durchströmen …

… damit auch sie immer mehr in das hineinverwandelt werden, was Jesus von Ewigkeit her ist und wofür er gestorben ist. Stellvertretend stehen sie für die ganze Menschheit. Wir alle sollen, von Jesu leidenschaftlichem Zeugnis angesteckt, immer mehr zu Söhnen und Töchtern Gottes werden, von materiell Verhafteten zu geistigen Menschen, die Jesu „Feuer“, seine Wahrheit und Liebe, durch unser Leben lichtvoll, verwandelnd und erneuernd in die Welt hineintragen. Jesus selbst wird uns dabei Mitte, Halt und feurig pulsierende Quelle sein.

Osterlicht

Frohe Ruhe strahlt dieses Bild aus. Liegt es am fast symmetrischen Aufbau oder an den weichen Farbtönen? Oder weil das weiße vertikale Band die verschiedenen Bildelemente durchquert und zusammenhält? Aber auch die schwarze waagrechte Form und das hellblaue Feld, beide im unteren Bereich des Bildes positioniert und durch die helle Vertikale wie an einem Pendel fest mit dem dunkelblauen Element am oberen Bildrand verbunden, tragen ihren Teil dazu bei. Zudem scheint das warme Gelb auf dem weißen Hintergrund zu schweben und vermittelt sonnige Leichtigkeit.

Aber andererseits prägt die dunkle Form das Bild an zentraler Stelle und die dunklen Schatten an den Rändern bilden einen düsteren Hintergrund für das Geschehen. Hier kommen Leid und Tod unübersehbar zur Sprache. Aber die sargähnliche Form ist aufgebrochen und kann den Verstorbenen nicht festhalten, die dunkle Vergangenheit ist verdrängt durch einen neuen Zeitraum, der von warmem Licht erfüllt ist.

Der Grund für diese alles verändernde Verwandlung muss in der breitbandigen Mittelachse liegen. Sie scheint aus dem souverän am oberen Bildrand schwebenden Element mit den drei hellen Kreuzen herauszufließen, um das in der Tiefe Ruhende zu hinterfangen und am unteren Bildrand in den schmalen weißen Saum mündend auch alles zu umfassen. Es ist, als wolle damit angedeutet werden, dass dieses von oben Kommende die tragende und letzte Wahrheit allen Geschehens ist – nicht das Leid und nicht der Schmerz, und auch nicht der Tod.